Saturn/Neue CDs (3/99) Kinderzimmer Productions Die hohe Kunst

Transcrição

Saturn/Neue CDs (3/99) Kinderzimmer Productions Die hohe Kunst
Saturn/Neue CDs (3/99)
Kinderzimmer Productions
Die hohe Kunst der tiefen Schläge
EPIC/SONY MUSIC
Das Duo aus Ulm setzte bereits mit seinen ersten beiden Alben “Kinderzimmer Productions”
und “Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit”, beide erschienen bei Indie-Labels,
neue Maßstäbe im deutschen HipHopp. Jetzt sind Quasimodo alias Sascha Klammt und
Textor alias Henrik von Holtum bei einer Major-Company untergekommen – aber sie
haben sich deshalb nicht zurückgelehnt. Mit ihrem dritten Longplayer halten sie spielend
das hohe textliche und musikalische Niveau der Vorgänger. DJ Quasimodo hat 13 Stücke
zusammengebaut aus zahllosen, genial ausgewählten Samples von Old School HipHop
über stimmungsvollen Jazz mit groovigen Kontrabaß-Zupfereien bis hin zu Neil Youngund Johnny Cash-Zitaten. Darüber setzt sich Rapper Textor wie gewohnt mit intelligentem
Humor mit den Facetten des Alltagslebens auseinander und kultiviert die im Plattentitel
beschworene “Hohe Kunst der tiefen Schläge”: die Verbal-Angriffe, die da an die Adresse
der deutschen Sprechgesangs-Szene abgeschossen werden, müßten in ihrer scharfzüngigen
Eleganz, die nie in billiges Geschimpfe abdriftet, manchem reimenden Kollegen Tränen
der Mißgunst in die Augen treiben. Zu den Höhepunkten zählen neben dem ironischen
“Fett viel besser “ und dem eingängigen “Doobie” vor allem das in die zwei Hälften “Out
Of The Ordinary” und “Kippen” zerlegte “Twoinonetwo”. Hier zeigen Sascha Klammt und
Henrik von Holtum, was alles in ihnen steckt: bestechende Reime mit irrwitziger
Assoziationen, schräge Melodien und fette, knochentrockene Beats, die abseits von
gängigem Hitparaden-HipHop direkt auf die Magengrube des Zuhörers abzielen.
Kinderzimmer Productions bieten auch auf ihrem neuen Album keine leicht konsumierbare
Kost an, dafür entwickelt ihr musikalisches Gebräu eine Langzeitwirkung, die es in sich
hat. (fs)
Kultur News (3/99)
Kinderzimmer Productions
Die hohe Kunst der tiefen Schläge
(EPIC)
Dem eigenen Kinderzimmer sind Quasimodo und Textor schon länger entwachsen. Der
Spieltrieb blieb und schlägt sich auf ihrem dritten Album in Anarchie und Chaos nieder,
doch auch in dröhnenden Industrial-Klängen zu Jazz-Schnipseln – musikalisch allzeit
clever. Dazu verbaut Textor im lustlosen Nörgel-Flow muttersprachliche Klischees und
zitiert fremde Zungen so gewitzt, daß man Bauklötze staunt. (wd)
PRINZ (FFM) 3/99
In Ulm, um Ulm und um Ulm herum
Kinder im Olymp
Das Duo Kinderzimmer Productions hat eine deutschsprachige HipHop-Platte veröffentlicht,
die auch US-Rappern gefallen könnte.
Was ist die härteste Aufgabe in New York? In “Stirb Langsam – Jetzt erst recht” zwingt
ein Terrorist den Polizisten John McClane (Bruce Willis), mit einem Schild “I hate niggers”
durch Harlem zu laufen. Fast so erniedrigend wäre es, vor einem Plattenladen in Brooklyn
laut deutschen HipHop hören zu müssen.
Jetzt erscheint eine Platte, die so einen Auftrag zum Vergnügen machen könnte: “Die
Kunst der tiefen Schläge” von Kinderzimmer Productions. Sollte ein Rapper aus Brooklyn
die bekommen, wird ihm zuerst die Hülle gefallen – sie zeigt Muhammad Ali beim Kampf.
Dann wird er die Platte anhören und feststellen: Sie klingt so gut wie die wirklich guten
Platten aus den USA.
Zwei Jahre haben Sascha Klammt, genannt Quasimodo, und Henrik von Holtum, der sich
als Rapper Textor nennt, an ihrem dritten Album gearbeitet – jetzt sind Textors Verse
ein Teil von Quasimodos Musik.
Die beiden Ulmer kennen sich seit ihrer Kindheit, mit dem Produzieren haben sie nach
ihrer Konfirmation angefangen. Begeistert vom Rapper KRS-One experimentierten sie
mit HipHop; acht Jahre später erschien ihr erstes Album, damals noch auf ihrem eigenen
Label, 1996 ihr zweites, “Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit”.
Von anderen deutschen Rappern unterscheiden sich die beiden Studenten vor allem
durch ihre Haltung: Die zwei sind sehr heiter, aber sie blödeln nicht herum. Das werden
die Rapper in Brooklyn wohl kaum bemerken – dort spricht keiner deutsch.
Sebastian Hammelehle
ACTIV MUSICMAGAZINE (3/99)
Kinderzimmer Productions:
Vom Elternhaus in die Ruhmeshalle
Allmählich sieht man die Musiklandschaft vor lauter Deutsch-Rappern nicht mehr. Jeder
halbwegs redegewandte nationale Sprechartist hat momentan die Chance, es zum
Plattenvertrag zu bringen. Da verliert man leicht den Überblick. Was niemanden davon
abhalten sollte, dem speziellen Anliegen von Kinderzimmer Productions zu lauschen.
Quasimodo und Textor, so die Namen der beiden Heimwerker straight outta elterliche
Bude, kultivieren eine bodenständige Methode mit Eigenleben. Sie spielen sich nicht grob
wie Moses Pelham auf. Sie umgibt nicht die Aura des Teenagerschwarms wie Cappuccino.
Nein, sie meinen es ernst, ohne irgendwie verkrampft zu sein. Sie lassen Bass und
Drumcomputer unbehandelt laufen, ihre Samples sind amerikanischer Herkunft. Die
Botschaft: HipHop hat vor den Fantastischen 4 angefangen, kommt von der Straße und
hat etwas mit Musikalität zu tun.
Quasi und Textor feiern den aufrührerischen Geist von Public Enemy oder Boogie Down
Productions und die Intelligenz von A Tribe Called Quest als Wurzeln ihres Sounds. Sie
samplen ihre transatlantischen Vorbilder sogar. Dennoch ist die offizielle Rap-Sprache
Deutsch – eine seltene, aber funktionierende Mischung. Musik ist den Jungs keineswegs
über Nacht zugeflogen. Vor zwölf Jahren schnappten sie erstmals ihre Lieblingsmusik
auf, wenig später standen erste Geräte zu Hause im Kinderzimmer. Das Duo verfolgte
die Entwicklung im HipHop und eiferte den Vorbildern fleißig nach. Das erste Album der
beiden erschien 1994, mußte aber wegen eines ungeklärten Samples vorschnell vom
Markt. Von diesem Rückschlag ließen sich die Talente nicht aus der Ruhe und dem Konzept
bringen. Auf ihrem dritten Album klingen KP wie eine ernstzunehmende Option. Entspannte
Raps mit witzigen Anekdoten aus dem Leben des Duos kontrastieren mit rougher, teilweise
trippig-psychedelischer oder jazziger Hintergrundmusik. Über dieser Produktion schwebt
der Charme des Untergrunds.
Die Redaktion verlost fünf Special-Digipacks (Stichwort: “Ringrichter”) der neuen LP
inklusive zweier Bonustracks, die nur auf der im aktiv-Handel erhältlichen Version
enthalten sind. So kommt das Duo garantiert noch unwiderstehlicher.
‚Die Kunst der tiefen Schläge‘ (Epic/Sony) ist exklusiv in allen aktiv Shops als Special
Edition Digi-Pack mit zwei Bonustracks erhältlich.
JETZT (3/99)
Sascha Klammt alias Quasi Modo und Henrik von Holtum alias Textor haben schon
zusammen im Sandkasten gespielt. Als Kinderzimmer Productions machen die beiden
Ulmer heute HipHop mit schlauen Texten und ausgeklügelten Beats. “Die hohe Kunst der
tiefen Schläge” heißt ihr drittes Album. Es beweist die alteTheorie, daß die beste Musik
oft aus der Provinz kommt.
Wie sahen eure Kinderzimmer aus?
Q: Ganz gewöhnlich. Ganz normale behütete Mittelstandsverhältnisse. Ich habe viel, ja
fast ausschließlich, mit Lego gespielt.
T: Ich auch. Wir kennen uns ja schon sehr lange – seit 20 Jahren.
Wie alt seid ihr jetzt?
Q: 25
T: Ich bin jetzt 24, das ist also ´ne richtige Sandkasten-Freundschaft. Wenn ich das
heute so betrachte, dann haben sich die Sachen, die wir jetzt machen, schon damals
angedeutet. Quasi Modo war schon immer der Mensch, der Kassettenrekorder aufgeschraubt
hat.
Wann habt ihr angefangen, euch für HipHop zu interessieren?
Q: Wir haben in der Pubertät, so mit 12, 13, die ersten Platten gehört. Damals gab es
überhaupt keine Informationen: Wo kommt das her, wie wird das gemacht? Auf jeden
Fall wollten wir diese komische, neuartige Musik auch gerne machen.
Eure erste Platte ist dann ja tatsächlich im Kinderzimmer entstanden...
T: Die sind alle da entstanden.
Die neueste auch?
Q: Ja. Aber das läuft heute natürlich etwas professioneller ab. Ganz am Anfang hatten
wir nur einen Plattenspieler mit Lautstärkeregler-Scratchen und billigen Tapes und so.
Manchmal war das zum Verzweifeln. Als wir endlich zwei Plattenspieler hatten, haben
wir versucht Mixe von zwei Platten auf Kassette aufzunehmen. Das Ergebnis überspielst
du dann von einem Tape zum anderen, und während die Überspielung läuft, versuchst
du, was Neues draufzubauen.
T: Das sogenannte Ping-Pong-Verfahren. Das macht man bis zu dreizehn, vierzehn Mal,
dann geht schon einiges.
Klingt ziemlich anstrengend.
T: Stimmt, weil wir so lange gebastelt haben, ist Sascha bei seinen Eltern ausgezogen
und bei uns in die Einliegerwohnung im Keller gezogen.
Q: Diese Arbeitsweise vom Anfang prägt uns noch heute. Unsere Beats sind teilweise
sehr vertrackt, weil wir uns mit den Stücken viel Zeit lassen und lange an Details
herumbasteln. Wir sind das ja gewöhnt.
Wie lebt es sich so als B-Boy in Ulm?
Q: Die Situation in Ulm ist schon besonders. Wir waren, am Anfang zumindest , die
einzigen. Das machte die Sache sehr schwierig.
T: Außerdem wurde HipHop ja immer als eine Großstadt-Kultur angesehen. Unsere
Situation hat sich davon stark abgehoben. Deswegen ist bei uns ein sehr bewußter
Umgang mit Themen und Inhalten entstanden. Wir hatten ja keine Posse von B-Boys
um uns herum. Wir konnten deshalb die ganze HipHop-Situation nicht so gut nachstellen
wie zum Beispiel die Hamburger, wo es 400 B-Boys gibt, die sich auch untereinander
treffen. Bei uns ging das nicht, wir trafen uns mit Heavy-Metal-Jungs. Das führte natürlich
zu einer ganz anderen Einschätzung der Geschichte – was ich immer als Vorteil begriffen
habe.
Nun wohnt ihr nicht mehr bei den Eltern. Aber ihr nennt euch immer noch
Kinderzimmer Productions.
T: Genau, wir beziehen uns wie die Gruppe Boogie Down Productions, die wir übrigens
sehr klasse finden, auf den Anfangspunkt unserer Karriere, nicht auf den Endpunkt.
“Boogie Down” ist ja ein anderes Wort für die Bronx. Wir stehen zu dem Konflikt: Ulm,
Kinderzimmer, nicht Bronxd, nichts, was glorreich wirkt. Klar wird uns das immer wieder
vorgehalten und negativ ausgelegt. Aber ich glaube, es lohnt sich das auszuhalten.
Eure neue Platte ist nicht so leicht zugänglich wie die beiden Vorgänger.
T: Das haben wir schon öfter gehört. Unsere Hoffnung ist, daß die Platte beim ersten
Hören genug Interesse weckt, um sie ein zweites und drittes Mal anzuhören.
Q: Und nach dem fünfzigsten Mal, wird’s dann richtig gut und entspannt.
T: Das stimmt, wir haben sie mindestens zweihundertmal gehört. Und uns fallen immer
noch neue Sachen auf. Wenn diese Platte in zehn Jahren noch verkauft und gehört würde,
dann wäre das der größte Erfolg.
Sascha, warum heißt du eigentlich Quasi Modo, so häßlich bist du doch gar
nicht?
Q: Ein Freund hat mich mal so genannt, wie ich immer so krumm und bucklig am
Plattenspieler stehe. Ich sagte: “Stimmt, du hast recht.” Genau betrachtet war der
Glöckner von Notre Dame ja auch ein sehr sympathischer Typ.
Jürgen Ziemer
SPEX (3/99)
Toys_an die Macht
Deutschsprachiger HipHop, unversehens gereift, ist deshalb trotzdem noch nicht
>>erwachsen<<. Kinderzimmer Productions erinnern in Werk und Auslegung daran, daß
das auch gar nicht erstrebenswert wäre, weil die Alternative zu >>frühvergreist<<
nicht >>kindisch<< heißt, sondern >>vertraut mit der tückischen Spielzeughaftigkeit
von Produktionstechniken<<. UH_YOUNG KIM zwischen Teddys, Murmeln und Mobiles.
Terminiert Toys!<< war einer der Schlachtrufe des untergegangenen Altherren-Untergrunds
in HipHop-Deutschland. Toys waren diejenigen, die in der Hierarchie der Szene ganz
unten standen, weil sie ihre Hausaufgaben in Sachen Headspins, Fat Caps und Wildstyle
nicht gemacht hatten und sich erdreisteten, das Mikrofon ohne den Segen der SzenePäpste zu ergreifen. Als deutscher Rap auf der Suche nach einer neuen Identität war,
wurden Toys von den Wächtern der unbefleckten HipHop-Lehre zu Zielobjekten unerbittlicher
Diss-Tiraden stilisiert: Die junge Republik fraß ihre eigenen Kinder im SchwarzeneggerStil. 1999 hat sich das Blatt gewendet. Zwischen den Polen Hamburg und Stuttgart wird
gestylt, veröffentlicht und verkauft. Und mit jedem neuen Release wird klarer, daß nicht
nur Bier in diesem Lande fließen kann. Das erskillte Flowpotential von >>Sauerkraut<<
und >>Schtonks<< setzt dem anachronistischen Erbe des Großen Diktators ein ende
– Deutsch groovt wieder. Und die Beats stehen US-Standards in nichts mehr nach. Fast
wie in New York. HipHop ist global – H&M auch.
Provinz Is The Place
Kinderzimmer Productions haben sich in Daunenjacken noch nie wohl gefühlt. Schon
früh lösten sich Textor und Quasimodo vom einheitlichen Badboy-Look, von RespektKollekten und Keep-It-Realismen eines Backgrounds, der einen ganzen Ozean weit
entfernt ist. Ulm ist eben nicht die Bronx. Weil sie nie einen Hehl daraus machten, daß
die heimische Plattensammlung ihr einziger Bezugspunkt zu HipHop ist, stieß ihr letztes
Album auch über gut informiere B-Boy-Kreise hinaus auf gleichgetunte Ohren. Im
Kinderzimmer lebt der eigensinnige Geist von HipHop. Als Spielwiese ohne verschränkte
Arme und Posse-Codes, dafür mit der Rohheit des Breakbeats und Texten, die Keimlinge
in Köpfe setzen. Zwei Jahre nach >>ewiger Jugend und Glückseligkeit<< geben Henrik
von Holtum (Textor) und Sascha Klammt (Quasimodo) deutschem HipHop den Dreh, der
den Kopfnicker aus der Monotonie des Standard-Sounds reißt. Ihr neues Album - >>Die
hohe Kunst der tiefen Schläge<< - lässt sich nicht nur gut anhören. Zuhören, wirken
lassen und noch mal hören heißt die Strategie, um die Dimensionen der Kinderzimmerwelt
zu erschließen.
Ihr habt schon sehr früh Leute erreicht, die HipHop aus Deutschland peinlich
finden. Wie habt ihr das gemacht?
Textor: Die Fraktion, die deutschen Rap peinlich findet, tut das, weil sie nicht weghören
kann. Hier besteht eben keine Kultur des Überhörens von Texten wie in englischsprachigen
Ländern. Dazu wird die Sache noch durch den kulturellen Zugang erschwert. Du musst
HipHop richtig lesen, um zu verstehen, daß es kein leeres Phrasendreschen ist. Entscheidend
ist das Wie, die Abstraktion durch Skills und die Art der Codierung. Daß viele unsere
Musik nachvollziehen können, liegt sicherlich daran, daß wir eine gelebte und keine
ideelle Realität verarbeiten. Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich auf Garagenhöfe
und Vorstadt. Wir haben HipHop immer als Musik begriffen und nicht als DreieinigkeitsKultur.
Sneakers und Baggy-Pants sind euch auch nicht so wichtig. Wo bleibt da der
Style?
Textor: Das Problem ist, daß Style zu oft wie ein Abziehbildchen verstanden wird. Ich
habe keine Ahnung, was Streetwear betrifft. Style heißt für mich, dich überzeugend zu
präsentieren, daß du das, was du bist, auch nach außen tragen und es offensiv verteidigen
kannst.
Auf wen trifft das momentan im deutschen HipHop zu ?
Quasimodo: Eins, Zwo stehen da ganz oben.
Textor: Und die Absoluten natürlich....aber auch MCs wie B.O.B., die einfach nicht
wahrgenommen werden. Er ist ein echter Beißer, ´ne krasse Gestalt, und kein Mensch
kennt ihn.
Im Gegensatz zu euch klingen die Hamburger Sachen cleaner, auf jeden Fall
club-kompatibler.
Textor: Das Schöne, Klare und Verständliche hat uns nie wirklich Spaß gemacht. Wenn
ich heute Leuten beim Auflegen zuhöre, kann ich irgendwann nicht mehr zwischen den
Stücken differenzieren. Das klingt wie eine Soße. Natürlich ist eine saubere Bassdrum
eine Anforderung, die der Club stellt, wenn du wirklich Druck haben willst. Insgesamt
sollte aber ein Ausgleich da sein. Sowohl die Cluborientierung als auch Strömungen, die
sich mehr an der Old School bedienen, sind Aspekte von HipHop, die gut sind, wenn die
Sache gesund sein soll. Es wird nur dann schwierig, wenn sich alle auf eine Sache
einschießen. Ich vermisse im Moment die Vielseitigkeit, die HipHop von ´88 bis Mitte
der Neunziger hatte.
Quasimodo: Wir sind immer noch stark von der New School und dem frühen PremierSound beeinflußt.
Textor: Musikalisch sind bei uns deshalb Breakbeats die stärkste Komponente. Das
Festhalten am gesampelten Loop. Ich halte diese Plattenspieler-Idee für eine der größten
Ideen überhaupt. Das Arbeiten mit dem Sampler ist ja eine Erweiterung dessen, die
logische Konsequenz. So wie DJ Premier einmal gesagt hat, daß der Sampler als
zusätzlicher Plattenspieler gedacht ist, oder einer von mehreren, und nicht als
Musikinstrument im Sinne der klassischen Form, Musik zu machen.
He-Man oder Lego
Die Atomisierung von Beat-Elementen pro Takt spiegelt bei Kinderzimmer Productions
die inhaltliche Dichte der Raps wieder. Während in anderen Mikrokosmen kollektiv
Reimtechniken auf geerdetem HipHop-Grund verfeinert werden, passiert im KindzerzimmerUniversum unfaßbares. Wo der klassische MC die positiven Parameter einer stark
vereinfachten Weltsicht von gut und böse, stark und schwach, dope und whack ausschließlich
für sich besetzt, entzieht sich Textor dem eindeutig greifbaren Oversize-Korsett der
Superlativen und Platitüden. Textor und Henrik von Holtum streiten viel und hinterlassen
dabei mehr Fragen als gutgemeinte Ratschläge zur Lebensbewältigung: >>Ich schreibe
Zwischenzeilen, damit man zwischen Zeilen lesen kann.<< Da drängt sich kein Master
Of The Universe mit der x-ten Story seiner Heldentaten auf. Statt dessen organisieren
sich Metaphern wie Legobausteine im Kopf des Hörers. Die 1:1-Rezeption der Muttersprache
zwängt dem wehrlosen Ohr in diesem Fall nicht die typische Homie-Realität auf. Textor
bietet einem keine Schablonen, sondern einen Setzkasten voller Sinnfragmente, die erst
durch ihre Losgelöstheit ein Eigenleben entwickeln können.
An einer Stelle auf der neuen Platte sprichst du davon, daß du dein Geld mit
>>imaginären Höllenqualen<< verdienst. Leidest du, wenn du Texte schreibst?
Textor: Es hat immer viel mit Überwindung zu tun. Ich habe ein riesengroßes Phlegma,
das ich nur mithilfe panischer Angst überwinden kann. Wenn ich Texte schreibe, sieht
das so aus, daß ich durch die Gegend laufe und denke und sammle und denke und
aufschreibe.
Ich hab ein Notizbuch voll davon. Ab einem gewissen Punkt heißt es dann: Setzen, Blatt
nehmen, HipHop einwerfen, schreiben, im Kreis rumlaufen und dieses Ding solange vom
Flow durchgehen, bis nichts mehr hakt. Das Zu-Papier-Bringen ist nicht der eigentliche
Prozeß. Es ist dieses Gedankenwälzen, das Denken in Zeilen, das ich nicht mehr loswerde.
Du verwendest viele Zitate aus US-Paps. Warum klaust du so gerne bei anderen
Rappern?
Textor: Zitieren ist für mich Sampeln auf die eigenen sprachlichen Möglichkeiten
übertragen. Textpassagen aus Raps haben großen Einfluß auf die Farbe meines täglichen
Lebens. Du sitzt in der Bahn, und dir geht sowas im Kopf rum wie >>Why he’s Stevie
Wonder and why he’s James Browns<< (Black Sheep, d.Red.). Darüber könnte man
Aufsätze schreiben. Das beeinflußt das Drumrum, was passiert, und kann Situationen
verändern, vielleicht sogar besser machen. Oder >>My thoughts are now universes<<
von Jeru. Das ist so dieses Ding...(zieht mit dem Finger Kreise in die Luft und verdreht
die Augen).
Auf der neuen Platte läßt du den Hörer einige Male ins Leere laufen, wie in dem
Stück >>68<<. Worum geht’s da, um Hippies und Esoterik?
Textor: Nein, >>68<< ist das Tempo des Stücks. Konkrete Inhalte sind nicht zu
benennen. Es geht um ein Stimmungsbild, und das bastelt sich aus den Erlebnissen von
verschiedenen Leuten und mir selber zusammen. Der Ansatz für den Text war, auf dieses
HipHop-Ich zu verzichten. Ich hatte das Gefühl, daß sich in solchen Personenverschiebungen,
also wenn du deine Perspektive auslagerst, neue Möglichkeiten ergeben.
Meistens ist es so, daß der Rapper eine Realität schafft, auf die sich viele einigen
können.
Textor: Ich schaffe es ja nicht mal mehr, Leute, die sich auf HipHop als gemeinsamen
Kontext einigen können, zusammenzubringen. Eine Generation abwärts sind die
ästhetischen Vorstellungen schon ganz andere. Es zerfällt alles so. Ich stoße immer
wieder auf dieses Blasenphänomen, wie sich Leben organisiert. Du bewegst dich so in
dieser Schnittmenge. Und vieles steht konträr zueinander, so wie jetzt bei mir: Auf der
einen Seite klassischen Kontrabaß studieren und auf der anderen HipHop machen.
>>68<< hat viel mit der Verwirrung zu tun, diese Realitäten zusammenzubringen und
das Gefühl zu haben, es ist stimmig: Ich bin nicht 17 Personen, ich bin eine. Und das
ohne äußere Hilfe zu schaffen und, selbst wenn Irritationen von außen kommen, es
immer noch zu schaffen.
Act Like You Know
Textor trägt den inneren Konflikt nach außen. Seine Message (!) bewegt sich in einem
Spannungsfeld von ständigem Selbstzweifel und Kritik an Anpassung und Trendhörigkeit.
Auf dem letzten Album stellt er lakonisch dazu fest: >>Ihr versteht nicht, was ich tue?
Ich versteh es manchmal selber nicht.<< Es geht in Ordnung, nicht den Durchblick zu
haben, solange diese Eingeständnis auch Eigenständigkeit markiert. >> Die hohe Kunst
der tiefen Schläge<< spricht diesbezüglich einen deutlichen Ton: >>Also macht ein
Gesicht, als ob Ihr wißt, um was es geht.<<
Ist der neue Textor selbstbewußt?
Textor: Ich habe irgendwann festgestellt, daß vieles, worauf Leute ihr Selbstvertrauen
bauen, nicht besser ist, als das, was ich geschafft habe. Lange Zeit sind wir beiden sehr
stiefmütterlich behandelt worden: >Macht Ihr nur euren HipHop-Blödsinn, aber dann
fängt der Ernst des Lebens an.< Irgendwann stand ich da und dachte mir: Ich habe
Abitur gemacht, Zivildienst, mein eigenes Geld verdient, studiere klassische Musik, habe
in dieser Zeit drei Platten gemacht und bin jetzt 24. Wer aus meinem Bekanntenkreis
kann das von sich behaupten ?
Quasimodo: Ich!
Textor: Ich hab meinen Scheiß jedenfalls erledigt. Wenn Ihr mir den Respekt nicht gebt,
nehme ich ihn mir.
Glaubst du, daß dich die Leute dadurch besser verstehen?
Textor: Nein. Aber es ist nicht mehr ganz so schlimm wie früher.
Quasimodo: Du stehst drüber.
Textor: Nein, das mein ich nicht. Es geht nach wie vor darum, den Leuten klar zu
machen, worum es geht, aber auch die Grenzen zu erkennen. Bis hierhin geht es, danach
nicht mehr.
Auf der letzten Platte wart ihr noch genervt von B-Boy-Allüren und PillenRavern. Wovon seid ihr heute genervt?
Textor: Davon, daß sich dein Leben ändern muß, weil sich die äußeren Umstände ändern.
Das geht gerade alles in eine Richtung, die ich nicht gut finde, aber auch nicht ändern
kann. Mir ist ´ne Vinylscheibe z.B. lieber, aber ich muß mich drauf einstellen, daß ich
in 20 Jahren nur noch so MPEG-Dinger kriege. Dieses Hinnehmen gegebener Umstände:
>Wenn Computer nicht funktionieren, funktionieren sie eben nicht.< Aber im Umgang
untereinander sieht das ganze anders aus. Wenn zwischenmenschlich irgend etwas nicht
geht, völlig ausrasten und Leute kleinhacken. Dazu kommt, daß viele Leute nicht wissen,
was sie wollen und Sachen machen, von denen sie nicht überzeugt sind.
Seht ihr da eine Verantwortung für Kinderzimmer Productions?
Textor: Was die Leute aus unserer Platte machen, wird sich zeigen. Erstmal haben wir
eine Verantwortung uns selbst gegenüber. Kinderzimmer Productions ist das Ergebnis
einer sehr, sehr langen Freundschaft und eine Sache, die uns am Leben gehalten hat.
Es macht Sinn.
Quasimodo: Und wenn wir das kaputtmachen, sieht es ganz schön leer aus.
Das Spiel mit dem Major
Ein Ende ist erstmal nicht zu befürchten. Das würde ihrem neuen Label auch gar nicht
gefallen. Auch wenn die ersten Berphrungen mit der hiesigen Unterhaltungsindustrie bei
Textor und Quasimodo eher schlechte Erinnerungen wecken – ihr Debütalbum >>Die
Erste<< wurde wegen urheberrechtlichen Streitigkeiten um ein Stranglers-Sample wieder
eingestampft -, wird >>Die hohe Kunst der tiefen Schläge<< von dem Riesen Sony/Epic
an die Öffentlichkeit geboxt. Kein Grund für Major-Paranoia, denn auf der neuen Platte
sind Kinderzimmer Productions in ihrem eigenem Verständnis von Rhyme & Beats noch
ein Stück weiter gegangen – ohne Liebeslieder zu produzieren.
Hat Sony eure Samples bezahlt?
Textor: Nein.
Kommt da noch was auf euch zu?
Quasimodo: Hoffentlich nicht....
Und wie waren die Verhandlungen?
Textor: Wir hatten einen guten Stand. Wir hatten ja schon zwei Platten gemacht, unser
Label gegründet und uns um die Firma gekümmert. Dann haben wir ihnen vorgerechnet,
was sie erwarten können. Deswegen konnten wir auch den Standardvertrag ablehnen,
weil der uns nicht genug Freiheiten geboten hat. Die Rechte auf unsere vergangenen
und kommenden Vinyl-Veröffentlichungen haben wir behalten.
Auf der neuen Platte rappst du >>Hätt‘ ich keine Ohren, würd‘ ich zur
Plattenidustrie gehen<<. Hier sitzen wir nun in der Villa von Sony.
Textor: Die Zeile bezog sich mehr auf die Sache, A&R zu werden. Aber das soll jetzt
auch keine Ausrede sein. Die einzige Strategie, mit der Musikindustrie umzugehen und
auch mit der schizophrenen Situation klarzukommen, einerseits Ideale zu bewahren und
auf der anderen Seite nicht verhungern zu wollen – denn für diese Ideale muß ich sterben
-, ist, diesen Konflikt offenzulegen und sich auch öffentlich selber ans Bein zu pissen.
Die Frage, ob es noch o.k. ist, nicht auszuparen in deiner Arbeit, denn es ist ja Teil deiner
Arbeit.
Wie undterschiedlich sind denn die Ideale?
Textor: Epic hat uns ja nicht gesignt, weil sie unsere Musik so toll finden. Erstmal sehen
sie das Produkt Kinderzimmer Productions und ihr Verkaufspotential. Wenn ich etwas
auf Tonträger banne, tue ich das nicht, um reich und berühmt zu werden. Es geht mir
darum, viele Leute zu erreichen, verstanden werden zu wollen und Realitäten zu schaffen.
Außerdem möchten wir gerne etwas zurückgeben, denn HipHop hat uns schon lange
begleitet.
Gewieft
Kinderzimmer Productions
Die hohe Kunst der tiefen Schläge
Epic/Sony Music
Wenn in Ulm das Kinderzimmer des deutschen HipHop steht, dann sitzt da drin
wahrscheinlich so ein Kind wie die gelbe Lisa Simpson: früh-intellektualisiert bis hin zu
Anfällen von Altersweisheit beobachtet es das mithin hirnrissige Treiben seiner Umwelt
und schreibt sein Tagebuch voll mit wohlformulierten, treffenden Analysen, nicht, ohne
auch ständig sich selbst und seine Rolle in diesem Gefüge zu hinterfragen. In Gottes
Namen ja, der Vergleich hinkt mit beiden Beinen, aber fest steht: Kinderzimmer Productions
sind anders als andere deutsche HipHop-Acts . Im Kinderzimmer kocht ein eigenes
Süppchen, und da sind keine Posen drin, keine Crossover-Anbiederungen, keine catchy
Refrains, keine witzischen Geschichten und knalligen Pary-Rhymes. Was nur heißen soll,
daß Format- Funk und –Fernsehen wohl auch auf dem dritten Album des Duos aus UStadt wenig Verwertbares auftreiben werden, und nicht, daß das nicht umfassend Spaß
machte. Musical director Quasimodo alias Sascha Klammt bugsiert seine staubtrockenen
LoFi-Beats mit Versatzstücken von moody Jazz bis quietschigen Cartoon-Soundtracks
geschickt hin und her, von Soul Coughing zurück nach Moloko bis hinein in Tricky’sche
SchleppHopDimensionen. Und reichert seinen skelettierten Sound mit einem solchen
Sammelsurium an Samples an, daß man sich mitten im fröhlichen Quellen-Raten oft
bang des ersten Kinderzimmer-Albums erinnert, das damals wegen eines ungeklärten
Stranglers-Samples zurückgezogen werden musste (und jetzt übrigens wiederveröffentlicht
wurde) – Leute wie Neil Young und Johnny Cash haben sicher auch gute Anwälte...Und
“Textor” Henrik von Holtum macht sowieso nur einer Konkurrenz: nämlich er selbst auf
dem ehrfurchteinflößenden KP-Vorgängeralbum IM AUFTRAG EWIGER JUGEND UND
GLÜCKSELIGKEIT (gegen das DIE HOHE KUNST DER TIEFEN SCHLÄGE fast zwangsläufig
etwas abfällt), wo er seine Rundumabgrenzung und Sozialanalysen noch eine Spur
haarsträubender und pointierter formuliert hatte. Aber auch hier und heute ist es eine
Freude, an seinen Lippen zu hängen, wie er mit abgeklärtem, immer etwas gelangweilt
wirkendem Overstatement in der Stimme halsbrecherisch zwischen deutsch, französisch
und englisch pendelt und mehr denkwürdige Sentenzen, Anspielungen und elegante
Disses vom Stapel lässt, als man selbst beim zehnten Hören verarbeiten kann. “Ruft
SOS wenn ihr mich hört, sonst seid ihr schnell im Text ertrunken.” Danke. Wir nehmen
gern noch’n Schluck. (jols)
MEISOUNDS MAGAZIN (3/99)
Duo mit Spieltrieb
Holtum und Klammt alias
Kinderzimmer Productions und die hohe Kunst der tiefen Schläge.
Für Rastamann Henrik “Textor” von Holtum und seinen DJ Sascha Klammt, der sich trotz
knuddeligem Äußeren mit dem Namen Quasimodo rumschlagen muß, steht fest: “Wir
wären gern Teil einer Jugendbewegung gewesen. Doch wir waren verflucht einsam.” Aus
dieser Not erwuchs in zwei isolierten Kinderzimmern eine eigenständige Version des USimportierten Spiels mit Beats und Samples. Der Beitrag von Holtum und Klammt zur
HipHop-Kultur war gekrönt von sentimentalen und ironischen Texten, die einen Teufel
taten zu behaupten, daß Ulm und Brooklyn irgendwie doch das gleiche seien. Kinderzimmer
Prod. waren klein und liebevoll, bis sie den Sprung in die Welt der Industrie wagten: Mit
pubertärem Bum-Bum-Rap hat ihr aktuelles Album (“Die hohe Kunst der tiefen Schläge”)
aber auch gar nichts gemein – weder in Text, noch in Wahl und Einsatz von Samples und
erst recht nicht im Sound, der die Worte “rough” und “deep” nach langer Zeit wieder mit
Leben füllt. Dennoch: In Anlehnung an die band-interne Aufgabenteilung studiert Textor
Musik, Quasimodo Elektrotechnik. Was “Ordentliches” und der Rückweg stehen ihnen
offen. (hv)
VISIONS(3/99)
Kinderzimmer Productions
Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt
“Die hohe Kunst der tiefen Schläge” – ein unbescheidener, aber durchaus treffender Titel
für das dritte Album von Kinderzimmer Prodctions. Kaum eine andere deutsche HipHopBand arbeitet dauerhaft auf derart hohem Niveau wie das Duo aus Ulm und schafft es
dabei auch noch, die gängigen Klischees weiträumig zu umschiffen. Kurz gesagt: Henrik
von Holtum (alias Rapper Textor) und Sascha Klammt (alias DJ Quasi Modo) sind endgültig
im HipHop-Olymp angelangt.
Zwei Jahre für ein neues Album ist eine relativ lange Zeit, wenn man bedenkt,
daß Fettes Brot fast im Jahrestakt ihre Platten veröffentlichen.
Henrik: “Ja, die leben aber auch davon.”
Ihr also nicht?
Henrik: “Nein, wir studieren beide.”
Sascha: “Unser Studium wird aber durch Kinderzimmer Productions finanziert.”
Henrik studiert Kontrabaß an einer Musikhochschule. Inwieweit wirkt sich das
auf KZP aus?
Henrik: “Man kommt zwangsläufig an andere Platten ran, was sich bei einigen Samples
niederschlägt. Außerdem geht auf technischer Seite vieles schneller, was früher sehr
zeitaufwendig war. Ansonsten ist HipHop allerdings ein ziemliches Kontrastprogramm.”
Und was machst du, Sascha?
Sascha: “Ich studiere Elektrotechnik und erledige für uns die Studioarbeit. Und ab und
zu mache ich ein paar Kleinigkeiten für andere Leute.”
Könntest du dir vorstellen, professioneller Produzent für andere Bands zu
werden?
Sascha: “Eventuell schon. Ich werde demnächst mein Studium beenden und habe mich
entschieden, nicht als Ingenieur rumzudackeln. Musik ist mir wichtiger, und ich muß jetzt
versuchen, da richtig ein Bein reinzukriegen – auch was etwa Remixes angeht. Für
Zweimal Das Gleiche habe ich einen Song produziert, aber das war erst einmal ein
Versuch. Es wird zwar kein Geld rausspringen, meiner Meinung nach ist aber ein recht
gutes Stück entstanden.”
Trotz dieser Produktionsarbeit steht ihr in Deutschland immer noch ziemlich
alleine da.
Sascha: “Bei vielen deutschen Bands ist es so, dass sie unheimlich klare Sounds aus
dem Computer raussaugen. Das hat uns nie Saß gemacht, wir samplen wirklich alles.
Da klingt es teilweise eben etwas schmutzig, entwickelt aber auch einen ganz eigenen
Charme. Insofern unterscheiden wir uns schon grundsätzlich, denn im direkten Vergleich
fällt das sofort auf.”
Henrik: “In der Attitüde gibt es auch Unterschiede: Wenn man von der Musik absieht,
ist der HipHop-Anteil bei anderen Bands viel stärker ausgeprägt, als er bei uns je hätte
sein können – wenn man etwa das Aussehen, die Sprache oder den Gestus betrachtet.
Wir hatten nie eine Szeneanbindung, denn während man sich in einer Stadt wie Hamburg
als B-Boy schon lange gut bewegen konnte, hätte so etwas in einer Stadt wie Ulm nie
funktioniert – dort ist man total isoliert. Ich glaube, daß sich dieser Standortfaktor
durchaus auf unsere Herangehensweise ausgewirkt hat, weil wir immer versucht haben,
diese alte Repräsent -Idee zu verwirklichen. Nicht in der Form, dass wir das amerikanische
Vorbild auf unsere Lebenssituation draufstülpten und so lange pressten, bis es passte,
sondern so, daß wir das, was wir leben, auch irgendwie in der Musik unterbringen.”
Sascha: “Es ist aber auch so, daß wir hauptsächlich amerikanische Sachen hören...”
Henrik: “...das machen die meisten anderen aber auch. Deswegen finde ich die meisten
neueren deutschen Produktionen eigentlich amerikanischer als unsere, weil sie sich an
neueren US-Sachen orientieren. Die Massiven Töne sind vom Klangbild ziemlich nah dran
an dem, was momentan in Amerika gemacht wird. Unsere Orientierung liegt dagegen,
glaube ich, fünf bis zehn Jahre zurück. Da muß man aufpassen mit den Zeitparametern:
Old School ist für mich Furious Five, dann kommt New School, und dann muß man noch
irgendwo einen Break machen. Wir sind damit aufgewachsen, was die Kids heute Old
School nennen, und daran orientieren wir uns vom Sound her immer noch.”
Rappst du eigentlich, um dich mitzuteilen?
Henrik: “Was meinst du mit mitteilen?”
Hast du das Bedürfnis, den Leuten durch deine Texte etwas mit auf den Weg
zu geben?
Henrik: “Meine Antriebskraft, Musik zu machen, war immer, Dinge auszudrücken, die
sich mit Sprache nicht auf den Punkt bringen lassen, weil einem die richtige Farbe dafür
fehlt.
Das Schönste ist für mich, jemand anderem, der das Stück hört, das Gefühl zu geben,
verstanden zu werden. Das hat Musik zumindest mir immer gegeben: Daß jemand Sachen
für mich ausdrückt, einen Zustand komprimiert und in fünf Minuten auf den Punkt bringt.
Das hilft einem. Die Situation wird dadurch schöner, besser, angenehmer. Egal, ob man
wütend oder glücklich ist; eben dieser Geschmacksverstärker, der Musik sein kann;
Sachen einfangen – nicht direkt festhalten, aber in eine Form bringen.”
Ist Textor dabei eine andere Person als Henrik von Holtum?
Henrik: “Hmm. Vielleicht sollte ich damit anfangen, Textor als eigene Person zu etablieren.
Da gibt es auch eine Entwicklung seit den ersten Platten: Das HipHop-Ich bezog sich
normalerweise auch direkt auf die konkrete Person, die vor dir sitzt. Auf der neuen Platte
integriere ich dagegen mehr Sachen, die ich einfach nur gehört habe oder mir ausdenke.
Natürlich hatte ich keinen Sex mit Madonna in einem Penthouse in New York - auch
wenn ich das sage. So gesehen ist es ein Spiel mit Unwahrheiten – etwas vorgeben, was
man gerne hätte”
Auf euren Covern seid ihr nie abgebildet. Ist das Absicht?
Henrik: “Am Anfang nicht, es wird aber immer mehr zur Absicht. Gerade jetzt, mit ‚Epic’
im Rücken, wollen wir uns nicht als Rampensau präsentieren.”
Von euch gibt es weder Maxis noch Remixes, lediglich die Alben. Auch recht
ungewöhnlich für eine HipHop Band..
Henrik: “Wir sind eben nicht mit einer Single-Kultur groß geworden, für uns war die
Ausdrucksform von HipHop immer die LP, obwohl das eigentlich nicht ganz richtig ist.
Aber bevor ich mich hinsetze und noch mal Energie in einen Remix stecke, mache ich
lieber etwas Neues.”
Der gängige Ansatz ist aber auch, jemand anderem ein Stück zum Remixen zu
geben.
Henrik: “Ja, aber wozu? Jetzt machen wir es auch, weil ‚Epic’ darauf besteht, und es
ist für uns auch kein großes Opfer oder Zugeständnis an den Sellout. Aber die ganze
Remixgeschichte war für mich – bis auf wenige Ausnahmen – eigentlich nie wichtig.”
Sascha: “Im Grunde wird es auch erst jetzt interessant für uns, weil uns die Sachen aus
Deutschland nie wirklich umgehauen haben – und da stellt sich die Frage: ‚Wem gibt
man es?’. Es ist immer noch etwas problematisch, aber es wird jetzt spannender. Von
‚Doobie’ haben 5 Sterne einen Remix gemacht, und Rabauke von Eins, Zwo hätte auch
einen machen sollen, hat es aber zeitlich nicht hinbekommen. Und wir selbst haben auch
einen gemacht, weil uns sonst niemand einfiel.”
Ich habe euch mal als ‚Intellektuellen-HipHopper’ tituliert. Kommt euch bei
diesem Begriff das Grauen?
Henrik: “Kommt drauf an, wie du intellektuell definierst.”
Die Texte sind eben nicht so geradlinig, daß man sie schon beim zweiten Hören
komplett durchschaut.
Henrik: “Das ist eher eine Aussage über die Qualität und nicht die Art. Wenn etwas gut
ist, kann ich es immer wieder hören, daß heißt aber nicht, daß es intellektuell wäre. Das
Problem, das ich generell mit dem Begriff ‚intellektuell’ habe, ist, daß sofort ein Klischeebild
entsteht. Und das Klischeebild, das bei mir hochkommt, mag ich nicht: HipHop endlich
in die Kulturgeschichte des Abendlandes integrieren, mit unglaublich cleveren Texten,
Goethe-Zitaten und Rückgriffen auf Minne-Gesänge.”
Sascha: “Eine gewisse Langlebigkeit zu erzielen, war aber durchaus unser Ziel. Bei so
viel Zeit und Mühe, die wir reinstecken, kann man das aber auch erwarten. Es ist eben
nicht einfach mal hingepfuscht.”
Henrik: “Angenommen, in zehn Jahren sagt jemand: ‚Ich habe auf eurer zweiten Platte
noch etwas entdeckt’, dann wäre ich wirklich glücklich.”
Seid ihr eigentlich immer noch zufrieden mit euren Namen?
Henrik: “Es stellt sich langsam dieses Motto vom Hosenbandorden ein: ‚Ein Schuft ist,
wer Schlechtes dabei denkt.’ Und wer jetzt immer noch meint, daß wir mit Playmobil
spielen und uns im Kindergarten fotografieren lassen wollen, ist einfach ein Trottel. Wer
die Bezüge nicht herstellen kann, soll eben meinen, es sei ein infantiles Rumgeblödel
– da stellt sich bei uns eine Art Trotzreaktion ein. Damit, daß es viele Missverständnisse
gibt, haben wir uns mittlerweile abgefunden.
Falk Albrecht
RAVELINE (3/99)
Zweimal Das Gleiche
Klartext (EFA/LP)
Kinderzimmer Productions
Die hohe Kunst der tiefen Schläge (Epic/Sony/LP)
Deutscher HipHop trägt allmählich seine Früchte. In den Charts geht was und immer
mehr Majors interessieren sich für diese Art von Entertainment. Da gibt es natürlich auch
manchmal Releases, die dem werten Rezensenten nicht ganz so gut gefallen. Und dieses
Mal sind es ausgerechnet zwei Releases aus Ulm. Die Kinderzimmer haben mit ihren
ersten beiden Alben eindrucksvoll bewiesen, daß auch eine nicht ganz exakte
Aufnahmequalität ihre Reize haben kann und der Contrabass viel zu selten in HipHopTunes eingebunden wird. Ihre dritte LP erscheint nun bei Epic und als Erstes stellt man
befriedigt fest, daß es ja immer noch so rauscht. Glück gehabt. Leider spiegeln die elf
Stücke ebenfalls keine Weiterentwicklung wider, und das ist weniger schön. Hier und da
gibt’s mal ein witziges Sample und da einen netten Beat, aber der Vorgänger “Im
Auftrag...” war eindeutig besser und abwechslungsreicher. Da hilft auch kein Hörspiel.
ZDG aus dem Kinderzimmr-Umfeld haben es da leichter, denn sie haben keinen Vorgänger.
Und trotzdem vermag auch ihr Album zu keiner Zeit Zeichen zu setzen und langweilt
schnell. Die Reimskillz von Klaus MC sind okay, aber bei den Beats hapert es des öfteren.
Das Gegenteil von gut ist halt immer noch gut gemeint.
dj erecto
MAX (3/99)
Das Duo Kinderzimmer Productions beweist, daß der Hip Hop auch aus der Provinz
kommen kann
Amerikanische Rapper sind ganze Kerle. Sie haben vollbusige Frauen, breitschultrige
Bodyguards und tragen Namen wie Big Punisher oder Puff Daddy, weil sie glauben, die
Großstadt sei ein Dschungel, in dem nur der Starke überlebt. Sascha Klammt, 25, und
Henrik von Holtum, 24, sehen das anders: Sie leben in Ulm. Dort werden Samstags die
Bürgersteige blank gewienert, und Ruhestörung ist eine ernstzunehmende Straftat.
“Für uns begann HipHop im Kinderzimmer, das war der Platz, wo wir spielen und
experimentieren konnten”, sagen die beiden Sandkastenfreunde, “darum haben wir uns
Kinderzimmer Productions genannt.”
In der Wohnung von Saschas Eltern haben sie vor fünf Jahren ihr komplettes Debütalbum
aufgenommen. Leider mußte diese Platte wegen eines ungeklärten Samples bald wieder
vom Markt genommen werden.
Ärgerlich, aber schon das zweite Album “Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit”
war viel erfolgreicher und zeigte, daß es von Vorteil sein kann, wenn man in der Provinz
wohnt. Moses P. jedenfalls wäre nicht auf die Idee gekommen, Old-School-HipHop mit
Jazz- und Märchenplatten zu mixen.
Auch auf der neuen Platte “Die Kunst der tiefen Schläge” machen Kinderzimmer Productions
wieder alles richtig, weil sie alles anders machen: Kleine Sound-Schnipsel und dicke
Beats bilden das Fundament für Henriks Texte, die so hintergründig sind, als wolle er
sich mit dem wortgewaltigen Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer messen. Die
Märchenplatten sind inzwischen nicht mehr wichtig....
KÖLNER STADT ILLUSTRIERTE
Kinderzimmer Productions
Die hohe Kunst der tiefen Schläge
Hip Hop Wie das Cover und der Titel des Albums schon verraten, werden hier tiefe
Schläge ausgeteilt, und die ersten Tracks hauen den Hörer tatsächlich um. Die Produktion
zeugt von einem großen Vinylarchiv, das mal spartanisch, mal jazzig immer den richtigen
Ton findet. Konzeptionell kann man die Produktionen durchaus mit Pete Rock, den Beastie
Boys oder Gangstarr vergleichen. Textor ist zwar nicht der begnadetste deutschsprachige
Rapper, versucht aber eine alternative Herangehensweise an seine Lyrics. Nicht im Stile
der Hmburger (Fun)-Rapper, auch keine Betroffenheits-Thematik, sondern das, was den
Heranwachsenden, der ernst genommen werden will, interessiert. Das ist nicht gerade
besonders umwerfend, deswegen wäre das Album in einer Instrumental-Version
wünschenswert, trotzdem das Frischeste, was man hierzulande hört. - jas
INTRO (3/99)
Spektakel
Kinderzimmer Productions
Die Hohe Kunst Der Tiefen Schläge
(Epic/Sony)
Zwei chronische Spielernaturen aus Ulm: mit Kontinuität setzt die mittlerweile dritte
KiZi-Elpee genau jene gedanklichen und musikalischen Stränge fort, die die beiden
Vorgängeralben offen gelassen hatten. Fitte Freidenker, die mit Beats, Samples und
Worten jonglieren – Tüftler in their truest schwäbisch sense. Jäger und Sammler, die
den “Pal Joey”-Soundtrack genauso zu schätzen wissen wie Gang Starr, MC Shy-D, die
Beastie Boys und Siegfried Lenz. Geschichten, die das Leben schreibt, lyrische Selbstreflexion
und summa summarum noch mehr Humor-Prozentpunkte Fett i.Tr. Deswegen auch
zweigeteiltes Vergnügen: man beginnt mit der straighteren Definition, um sich später,
gegen Ende des Albums, der experimentellen Seite zuzuwenden, und liebgewonnene
KiZi-Traditionen werden mit neuen Inhalten gefüllt. “Die hohe Kunst der tiefen Schläge”
entzieht sich geschickt der Gefahr, durch Germanistik-Studenten, -Professoren und andere
sogenannte Intellektuelle als hippeskes Analyse/Diskurs-Modell “Moderner deutscher
Sprechgesang” mißbraucht und instrumentalisiert zu werden. Ein seltsam verschrobenes,
interessantes Stück Vinyl/CD. Kinderzimmer Productions beim Major “Epic/Sony” und
mehr Klartext den je – “Willkommen Bei Welt Der Wunder”!
Chris Maruhn
Style and the family tunes
(Jan./Feb.99)
STEP back, don’t stand so close. Kinderzimmer Productions stehen 1999 mit MajorRückendeckung im Ring. Zwei lange Jahre haben sie sich Zeit genommen, um in Form
zu kommen, die Techniken zu verfeinern und schließlich ihren dritten Longplayer “Die
hohe Kunst der tiefen Schläge” vorzulegen. Die gemeinsame Geschichte von Quasi Modo
und dem Textor geht zurück in die Days Of Wayback, als Fahrräder noch Bonanza hießen
und Prilblumen über den Waschbecken in ihren Elternhäusern klebten, die nur einen
Steinwurf auseinanderlagen. Damals machte Quasi Modo die ersten Scratch-Versuche
auf billigen Plattenspielern unterm Bett, der Textor reimte in einfachstem Englisch und
hängte sich armdicke Rope-Chains um den Hals, was zur Folge hatte, daß er aufgrund
des Gewichts vornüber kippte. So die Legende. Der Name Kinderzimmer Productions ist
also kein Produkt jungshafter Spaßtyrannei, sondern verweist direkt auf die eigene
Biographie, also das Kinderzimmer als Ausgangsort der Hip Hop, äh, Karriere. Productions
ist dementsprechend die Referenz an einen von ihnen sehr geschätzten Act: Boogie
Down Productions. Die KiZis und einige andere haben dazu beigetragen, daß man Hip
Hop-Platten aus Deutschland nicht mehr nur wegen der “an sich guten Sache” kauft,
sondern aufgrund der Qualität von Produktion und Inhalt, die dem US-Output kaum
noch hinterherhinkt.
Manchmal übertrifft außeramerikanischer Hip Hop sogar die “Ware” aus Übersee bezüglich
Rhymeskillz, Innovation und Wagnischarakter. Noch nie ist es einem deutschen Hip HopProjekt gelungen, Tonnen unterschiedlichster Samples so unverkrampft, spielerisch und
organisch zu montieren, daß das Resultat an keiner Stelle reißbretthaft wirkt. Auch
Kinderzimmer Productions selbst nicht. Woran sie immer schon gearbeitet haben, an der
hohen Kunst der tiefen Schläge, präsentieren sie auf Album Nummer drei in Reinform.
Für Quasi Modo besteht ein Teil dieser Kunst darin, den tiefsten, fettesten und
markerschütterndsten Tiefschlag-Baß aller Zeiten zu extrahieren, der deine
Lautsprechermembran auch dann noch vibrieren läßt, wenn schon kein Ton mehr
wahrnehmbar ist. Unterdessen surft Textor auf multiplen Bedeutungsebenen virtuos über
die Oberfläche eines bis aufs äußerste verdichteten Textes und erzählt Geschichten, die
anderen MCs das Wasser in die Augen treiben werden. Er disst sparsam, aber überaus
effektiv und elaboriert: “...ich nehm dich nur auf Tape auf, du disst dich von alleine...”.
Übrigens: “Die hohe Kunst der tiefen Schläge” verspricht zusätzlich zum reinen Hörerlebnis
noch lustigen Sample- und Zitate-Raten Spaß für die ganze Familie.
Visions 10/98
Miles / Tied & Tickled Trio
Kinderzimmer Produktions
13.08.’98 – Köln, Prime Club
200 Besucher
Gerade mal wenige Stunden in Köln und schon mittendrin im großen PopKomm-Auflauf.
Nach den üblichen Startschwierigkeiten (Klamotten zum Messestand schlörren, Hotel
finden, verwirrende U-Bahn-Pläne verstehen) dann zum Prime-Club, wo Stella, Miles,
Tied & Tickled Trio und Kinderzimmer Productions gastierten.
Erstgenannte wurden natürlich standesgemäß verpaßt, so daß wir hier gleich zur großen
Überraschung des Abends übergehen können: Miles brettern mit einer Nonchalance und
Konsequenz, die für Leutchen Anfang 20 ihresgleichen sucht, dermaßen tight und groovy
durch Programm, daß den Anwesenden mehr als nur einmal die Kinnladen herunterklappen.
Als hätten sie nie etwas anderes getan, schleudern die vier unfaßbar harmlos aussehenden
Würzburger ihre melodieverliebten, mit gehörig Pop-Appeal versetzten Songperlen von
der Bühne – ohne Firlefanz und optische Mätzchen, aber in jeder Sekunde präsent bis
in die Zehenspitzen. Schließt man die Augen, kommen einem skurrile Bilder in den Sinn:
Paul McCartney und Brian Wilson gründen mit Dave Grohl an den Drums und der WeezerGitarrenfraktion eine All-Star-Combo. Soll heißen: Sechziger-Jahre-Songwriting wird
gekonnt mit Marshall-Riffing verkuppelt und das Ergebnis mit Warp 12 ins Hier und Jetzt
gebeamt. So toll, daß ich’s kaum fassen kann und es in den nächsten Tagen jedem
erzähle, der mir über den Weg läuft. Das Weilheimer ‚All Star‘-Projekt Tied & Tickled Trio
verlangt dem Publikum anschließend deutlich mehr an Konzentration und Aufmerksamkeit
ab und liegt mit seinen wüsten Free Jazz-Einlagen und dem dumpfen Kontrabaß nach
den luftig-eingängigen Songs von Miles umso schwerer in der Magengrube. Gut, aber
auch fordernd, was heute nicht jedermanns Sache ist.
Auch Kinderzimmer Productions hinterlassen an diesem Abend nicht den allerbesten
Eindruck, was aber weniger an ihnen selbst als am matschigen Sound liegt. “Back” ist
noch einigermaßen wiedererkennbar, danach geht für diejenigen, die nicht gerade im
vorderen Viertel stehen, vieles verloren, zumal Textor ziemlich hektisch und laut rappt.
Die heutigen Gewinner, da ist man sich einig, heißen eindeutig Miles.
Alex Brandt / Patrick Grossmann
Facts and Rumors
Kinderzimmer Productions
Dritte Platte kommt im Februar
Das vielgesuchte Debütalbum der Ulmer Intellektuellen-Hiphopper Kinderzimmer
Produktions soll Mitte Oktober in leicht veränderter Fassung wiederveröffentlicht werden.
Nachdem die Erstauflage des rund halbstündigen Machwerks vergriffen war, durfte es
nicht mehr verkauft werden, weil das Stück “Back” unerlaubterweise ein Sample des
Stranglers-Songs “Golden Brown” enthielt. Der Track wird nun in neu gemixter Fassung
enthalten sein, ansonsten ändert sich nichts. Veröffentlicht wird die Platte übrigens vom
bandeigenen Label, das über ‚EFA‘ vertrieben wird. Im Februar soll dann das dritte
reguläre Album von KiZiProd erscheinen, das Ende August bereits zum größten Teil
fertiggestellt war. Obwohl die Band nach zwei Indie-Releases mittlerweile beim ‚Sony‘Tochterunternehmen ‚Epic‘ gelandet ist, sollen die Songs ihrem Manager zufolge ähnlich
unkommerziell ausgefallen sein wie eh und je. Ob insofern überhaupt eine Single
erscheint, ist bislang noch unklar.
Bild: Back ohne “Back”: Kinderzimmer Productions re-releasen ihr vergriffenes Debüt

Documentos relacionados