Der maschinelle Sklave - Fachbereich Informatik

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Der maschinelle Sklave - Fachbereich Informatik
Der mechanische Sklave: mechanische Intelligenz und intelligente Mechanik
(Henner Schneider, Fb Informatik, FH Darmstadt)
Die ursprünglich im Bereich der Prozeßrechentechnik begonnene Automatisierung von Fertigungsprozessen fand ihren Einsatz überwiegend im Bereich der Fließprozesse und im Bereich einfach zu steuernder Stückprozesse. Dazu gehört beispielsweise auch die Telefonvermittlungstechnik als die weltweit größte zusammenhängende Maschine. In allen Bereichen der Industrie und des
privaten Lebens sind heute Prozeßsteuerungen im Einsatz. Dabei werden in großem Umfang Mikrorechner in technische Systeme integriert.
Heute stellen Roboter einen wesentlichen Teil der industriellen Fertigungsautomatisierung dar.
Wie die Entwicklung des Computers von anfänglich spezialisierten Rechnern zum universell einsetzbaren, freiprogrammierbaren Computer führte, so wurden auch in der Technik der Werkzeugmaschinen zuerst spezialisierte Maschinen entwickelt und erst danach flexibel einsetzbare Roboter.
Fertigungsautomatisierung
Die ersten Werkzeugmaschienen, wie Bohrmaschinen, Drehmaschinen, Fräsmaschinen etc. befreiten den Menschen von einfacher, aber lästiger Routinearbeit und ermöglichten die Verbesserung
der Fertigungsgenauigkeit. Dem Menschen blieb die mechanisch kompliziertere Arbeit, z.B. das
Einlegen und Herausnehmen der Werkstücke an der Maschine sowie der Werkstücktransport und
insbesondere die Überwachung der Fertigungsqualität. Die Arbeit des Menschen wurde dabei im
Rahmen der Fließbandarbeit dem Rythmus der Maschine untergeordnet, d.h. der Arbeiter wurde
zum Sklaven der Maschine. Heute übernimmt der Roboter weitgehend die Manipulation der
Werkstücke. Damit entfällt auch diese Routinearbeit. Als Aufgabe des Menschen verbleibt das
Einrichten bzw. Programmieren der Maschinen und die Qualitätskontrolle. Doch auch an der Automatisierung dieser Bereiche wird gearbeitet. Insbesondere der Einsatz der Bilderkennung ermöglicht den visuellen Sinn des Menschen zu ersetzen und die darauf basierenden Arbeiten zu
automatisieren.
Die Fertigungssteuerung wird zunehmend dem Computer übertragen, nur so ist eine weitere Rationalisierung insbesondere im Materialfluß möglich. Die vollautomatische Fabrik wurde in speziellen Bereichen schon realisiert. Heute wird die Automatisierung sogar auf den gesamten Bereich
der Zulieferindustrie ausgedehnt, um die als "Just in time" bezeichnete Optimierung des Materialflusses zu erreichen. Doch hat sich die als "Computer Integrated Manufacturing (CIM)" bezeichnete Technik nur dort bewährt, wo relativ uniforme Fertigungsprozesse zu automatisieren sind. In
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Bereichen, die eine flexible Anpassung an Marktsituationen erfordern, ist die Kreativität des Menschen bislang noch nicht verzichtbar.
Auch den am stärksten durch menschliche Kreativität geprägten industriellen Bereich der Produktentwicklung hat der Einsatz von Computern grundlegend verändert. Die Entwicklung wurde
durch den Einsatz von "Computer Aided Design (CAD)" vereinfacht und beschleunigt. Insbesondere wurden durch den Computereinsatz auch solche Konstuktionsaufgaben lösbar, die früher
wegen ihrer Komplexität allenfalls intuitiv zugänglich waren.
Robotik
Der Traum der Menschen, einen Androiden als Abbild des Menschen selbst zu schaffen, ist schon
alt. Bereits aus der griechischen Mythologie kenne wir den zyprischen König Pygmalion. Er soll
sich in die schönen Galatea, eine Elfenbeinfigur verliebt haben. Pygmalion nahm Galatea zur Frau,
nachdem sie von Aphrodite, der Göttin der Liebe, belebt worden war. Diese Geschichte zieht sich
mit "Pygmalion und Galathea" einer Erzählung von W. S. Gilbert, mit "Pygmalion" (1913) von
George Bernard Shaw und dem Musical "My Fair Lady" (1956 am Broadway uraufgeführt) von
Frederik Loewe und Alan Jay Derner abgewandelt durch die Literatur. Aber auch Menschen als
Erbauer von Androiden finden sich in der griechischen Mythologie, z. B. in der Figur des Dädalus,
der eine Holzfigur geschaffen haben soll, durch deren Adern Quecksilber floß. Doch die Götter
bestraften ihn für seine Versuche, ihnen nachzueifern.
Auch die Probleme und den Mißbrauch der Robotertechnik finden wir in der Literatur. So findet
sich schon in der jüdischen Sagenwelt der "Golem" als Figur des Bösen. Im Talmud, der Schriftensammlung der jüdischen Religion, wird damit der Tonklumpen bezeichnet, dem der Schöpfer den
Lebensodem einhaucht. Der Rabbi Löw soll 1580 in Prag einen Golem als Synagogendiener geschaffen haben, bis dieser ihn mit zunehmender Selbsterkenntnis im Alter von 13 Jahren zwang,
ihn wieder zu Ton zu machen. Auch indische Sagen enthalten die Darstellung von Androiden.
In der Zeit der Romantik beschrieb E.T.A. Hoffmann (1776 - 1822) im Jahr 1815 in seiner Erzählung "Der Sandmann" die Puppe "Olimpia" als einen Androiden, der menschliche Fähigkeiten
nachbildete1. Das Thema wurde von anderen Autoren aufgegriffen. Jaques Offenbach (1819 1880) benutzte es in seiner Oper "Hoffmanns Erzählungen", deren Uraufführung 1881 in Paris
stattfand. Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856 - 1939) machte davon in seiner
1919 erschienen Studie "Das Unheimliche" Gebrauch. Auch in der bildenden Kunst wurde das
Thema von mehreren Malern aufgegriffen, u. a. 1913 von Alfred Kubin in seinen Zeichnungen zum
"Sandmann".
Ebenfalls in der Romantik stellte Mary Shelley (1797 - 1851) in ihrem Roman "Frankenstein oder
Der moderne Prometheus" (1818) die schreckliche Vision eines künstlichen Menschen dar2. Sie
hatte bei einem gemeinsamen Sommeraufenthalt mit Freunden im Jahr 1816 bei Genf Lord Byron
getroffen. Er schlug aus einer Laune heraus der Gruppe einen Wettstreit zum Schreiben von Gespenstergeschichte vor, woraus das weltbekannte Buch von Mary Shelly entstand. Sie identifizierte
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die Titelfigur ihres Romanes mit Prometheus, von dem die die griechische Sage berichtet, daß ihn
der Göttervater Zeus u. a. dafür bestrafte, daß er den Menschen aus Lehm erschuf. Auch diese
Vision verbreitete sich weiter durch die Literatur- und speziell durch die Filmgeschichte.
Der tschechoslowakische Schriftsteller Karel Capek prägte 1921 in seinem Bühnenstück "Rossums
Universal-Roboter" den Begriff "Roboter". Das slawische Wort "robota" bedeutet "schwer arbeiten". Andere Autoren verwendeten diesen Begriff und schließlich wurde er zum Bezeichner der
heutigen technischen Roboter.
In der modernen Literatur finden sich Androiden und Roboter in vielfältiger Form3. Der ScienceFiction Autor Isaac Asimov erarbeitete in seinen Werken die Grundideen des Roboters als technisch sinnvoller Maschine, die er in "drei Gesetzen der Robotik" beschrieb:
1. Ein Roboter darf ein menschliches Wesen nicht verletzen oder durch Nichtstun zulassen,
daß ein Mensch Schaden oder ein Leid zugefügt wird.
2. Ein Roboter muß den von Menschen gegebenen Anweisungen gehorchen, es sei denn, es
bestehen Konflikte mit dem ersten Gesetz.
3. Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, es sei denn, es bestehen Konflikte mit
dem ersten oder zweiten Gesetz.
Am bekanntesten wurden die beiden Roboter R2D2 und C3PO aus dem Film "Krieg der Sterne"
(1977) von George Lucas. Sie stellen die "Dick und Doff" des Roboterzeitalters dar.
Im Laufe der Zeit wurde immer wieder versucht, Androiden auch technisch zu realisieren. Technisch perfekt realisierte mechanische Androiden waren Automaten, wie die "Allesschreibende
Wundermaschine", die der aus Darmstadt stammende Feinmechaniker Friedrich Knaus um 1760
am Hofe Maria Theresias in Wien baute. Die Maschine befindet sich heute im Museum für Industrie und Gewerbe in Wien. Aus der Vielzahl mechanischer Automaten heben sich als die vielleicht
schönsten derartigen Androiden der Schreiber, der Zeichner und die Musikerin heraus, die von
Pierre und Henri-Louis Jaquet-Droz und ihren Mitarbeitern Jean-Frédéric Leschot, Henri Maillardet und Jacob Frisard um 1774 in La Chaux-de-Fonds, dem Zentrum des schweizer Uhrenbaus
geschaffen wurden. Sie befinden sich heute in restaurierter Form im Geschichtsmuseum in Neuenburg und werden dort ab und zu vorgeführt.
Aber wie überall waren auch Scharlatane am Werk. So schuf der sonst hochbegabte Wolfgang von
Kempelen einen Schachspieler, den er 1769 in Wien vorstellte. Der Schachspieler saß an einem
kastenförmigen Tisch mit dem Schachspiel und spielte gegen einen menschlichen Spieler. Das Geheimnis bestand darin, daß im Tisch ein menschlicher Schachspieler verborgen war. Denn das
Schachspiel zu automatisieren, konnte zur damaligen Zeit nicht gelingen. Da der schachspielende
Androide als Türke dargestellt war, spricht man heute noch von einem "Türken", wenn man eine
solche Scharlatanerie benennen will.
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Die Entwicklung von Industrierobotern begann mit den "numerich gesteuerten Werkzeugmaschinen (NC-Maschinen)", die der Amerikaner G. C. Devol 1946 erfand und 1952 patentiert bekam.
Erste numerisch gesteuerte Maschinen wurden am M.I.T. entwickelt und 1952 erstmals vorgestellt. Der Brite C. W. Kenward erfand 1954 einen Roboter, der ihm 1957 patentiert wurde. Ein
erster industrieller Roboter wurde ab 1959 von der Firma Planet Corporation hergestellt. Er wurde
noch von mechanischen Kurvenscheiben gesteuert.
Im Jahr 1958 gründete Joe Engelberger die Firma Unimation Inc., die ab 1960 erste mit einer numerischen Steuerung versehene Roboter hergestellte. Das Modell "Unimate"war nach den Ideen
von Devol konstruiert. Im Jahr 1968 wurde am Stanford Research Institute der mobile Roboter
"Shakey" entwickelt. Der weithin bekannte "Stanford-Arm" wurde 1971 an der Stanford University gebaut. Er stellt den Prototyp der heute üblichen elektrisch betriebenen Knickarm-Roboter
dar. In der Folgezeit entstanden in Amerika und dann weltweit Roboterfirmen.
Besonders in Japan wurde frühzeitig die Bedeutung der Robotik für die Rationalisierung industrieller Fertigungsprozesse erkannt. Schon 1971 wurde der Japanische Industrie-Roboter Verband
gegründet. Die japanische Industrie entwickelte eigene Robotersysteme und setzte sie in großer
Zahl ein. Beispielsweise wurde 1979 der SCARA Schwenkarm-Roboter (Selective Comliance
Assembly Robot) für Montageaufgaben an der Yamanashi Universität entwickelt. Besonders die
amerikanische Roboterindustrie wurde durch die Entwicklung in Japan in erhebliche Bedrängnis
gebracht. Viele amerikanische Roboterfirmen sind wieder untergegangen.
In den letzten zehn Jahren hat der industrielle Einsatz von Robotern einen steilen Zuwachs erlebt.
In Deutschland wurden im Jahr 1994 ca. 45.000 Industrieroboter eingesetzt4.
Nachdem die Mechanik der Roboter einen hohen technologischen Stand erreicht hat, konzentriert
sich die weitere Entwicklung heute auf die Steuerung der Roboter. Neben den grundlegenden Problemen der Kinematik, zu deren Lösung zunehmend Methoden der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden, rückt die Entwicklung autonomer, mobiler Systeme ins Interesse der Entwickler.
Auch hier werden mit vielfältiger Sensorik, Bilderkennung und lernenden Systemen mit Neuronalen Netzen die Methoden der künstlichen Intelligenz verwendet. Durch den Einsatz solcher Methoden gelingt es, Roboter für Aufgaben einzusetzen, die bislang eine Domäne des Menschen waren5.
Die aktuelle Forschung beschäftigt sich beispielsweise mit Laufmaschinen, die auch in unwegsamem Gelände beweglich sind. Ein nicht ganz neues, doch zunehmend aktuelles Thema ist die Telerobotik, z. B. für die Chirurgie, für Experimente im Weltraum etc.
Simulation
Bei der Entwicklung neuer Systeme und bei der Fertigungsvorbereitung ist der Bau von Prototypen des Produktes und der Fertigungseinrichtungen unumgänglich. Die Erstellung realer Prototypen ist allerdings sehr aufwendig. Daher wird heute angestrebt, diesen Bereich ebenfalls durch
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Computereinsatz zu unterstützen. Die Verwendung von Computersimulationen hat sich dabei
schon auf vielen Gebieten bewährt. Die zunehmende Leistungsfähigkeit der Computergraphik erschließt auch der Computersimulation immer weitere Gebiete. Die Computersimulation entwickelt
sich stark expandierend zu einem wesentlichen Anwendungsgebiet der Informatik.
Auch in der Robotik ist die Computersimulation von zunehmender Bedeutung. Denn mit der Einführung der Off-Line Programmierung ist es unverzichtbar, die Programme vor ihrem realen Einsatz zu testen. Da es viel zu riskant wäre die Programmtests mir dem realen Roboter durchzuführen, bietet sich die Simulation der Roboterfunktionen an. Daß Roboter, wie auch andere Maschinen erhebliche Gefahrenquellen sind, zeigte sich drastisch, als 1981 bei einem Unfall in Japan ein
Ingenieur ums Leben kam.
Soziale Folgen
Die zunehmende Automatisierung der industriellen Fertigung hat vielfältige soziale Folgen, die
bislang nicht angemessen berücksichtigt wurden. Einerseits werden weniger qualifizierte Arbeitskräfte in großem Umfang freigesetzt. Andererseits werden höher qualifizierte Arbeitskräfte für die
Einrichtung und Wartung der Anlagen benötigt. Das führt schon jetzt, aber vermehrt in Zukunft zu
der Notwendigkeit eines allgemein höheren Bildungsniveaus. Das aber erfordert einschneidende
Änderungen in unserem gesamten Bildungssystem, die dieses System aus sich heraus offenbar bislang nicht leisten kann.
Die durchgehende Nutzung der Maschinen erfordert eine Anpassung der Arbeitszeit des zum Betrieb benötigten Personals mit vollständig neuen Arbeitszeitregelungen, wie man sie bislang für
nicht möglich hält. Allerdings werden davon nicht alle Arbeitnehmer betroffen sein. Oft sind für
den Menschen verbleibenden triviale Arbeiten nur aus Gründen der Rentabilität nicht automatisiert
worden. Auch werden beispielsweise Qualitätsprüfungen, die automatisiert sind, von Menschen
nachkontrolliert, nur um Rechtsvorschriften zu genügen. Diese und viele weitere Probleme sind
unbefriedigend bzw. gar nicht gelöst. Hier wird der Mensch offenbar wieder zum Sklaven der Maschine. Es ist nicht abzusehen, welche sozialen Probleme sich aus der Entwicklung insgesamt ergeben werden. Daher ist es dringend an der Zeit, daß sich alle Beteiligten damit auseinandersetzen
und ihr Handeln an ethischen Grundsätzen orientieren, wie sie vom Präsidium der "Gesellschaft für
Informatik (GI)" 1994 verabschiedet wurden6.
Weiterführende Literatur
1. Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus: Der Sandmann. Frankfurt am Main: Insel Verlag,
1986 (Insel Taschenbuch; 934)
ISBN 3-458-32634-0
2. Shelly, Mary Wollstonecraft: Frankenstein oder Der moderne Prometheus. Frankfurt;
Leipzig: Insel, 1988. ISBN 3-458-32730
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3. Morris, Brian: Die Welt der Roboter. Frankfurt: Umschau Verlag, 1986. ISBN 3-52469058-0
4. Industrieroboter - Stand und Perspektiven. In: KI Künstliche Intelligenz - Forschung,
Entwicklung, Erfahrungen. Organ des Fachbereichs 1 "Künstliche Intelligenz" der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI), 8. Jahrg., H. 3 (Herbst 1994) S. 60 - 63.
5. Moravec, Hans: Mind Children: der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Hamburg: Hoffmann u. Campe, 1990. ISBN 3-455-08373-0
6. Rödiger, Karl-Heinz (Sprecher) u.a. (Arbeitskreis "Informatik und Verantwortung" der
GI): Ethische Leitlinien der Gesellschaft für Informatik (GI). Bonn: Gesellschaft für Informatik (GI), 1994.
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