Jüdisches europa heute. eine erkundung jewish europe today. aN

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Jüdisches europa heute. eine erkundung jewish europe today. aN
Jüdisches europa heute.
Eine Erkundung
Ein studentisches Projekt des Instituts für Volkskunde/
Europäische Ethnologie der LMU München
jewish europe today.
AN EXPLORATION
A Student Project of the Institute of European Ethnology
at the University of Munich (LMU)
die installation erzählt von einer Forschungsreise mit
unerwartetem Verlauf. ausgehend von dem artikel „Beten
und Bräunen“ aus der Zeitung „Jüdische allgemeine“ aus
dem Jahr 2009, stand bei dieser Feldforschung in Marbella
die suche nach einer ausgeprägten touristischen infrastruktur für jüdische urlauberinnen und urlauber im Fokus.
die beiden Forscherinnen hofften neben einem offenen
Zugang ins Feld auf die Begegnung mit zahlreichen ausländischen erholungssuchenden jüdischer herkunft. touristen,
die neben Jetset und sonnenbaden auch hochzeiten und
Bar/Bat Mitzwot feiern und an kulturellen events der Jüdischen gemeinde Marbellas teilnehmen würden. doch
bei ihrer ankunft in Marbella erkannten die beiden studentinnen schnell, dass das Feld so zugänglich nicht sein
würde. die Forschungsreise entwickelte sich daher zu
einer anhaltenden suche nach „Jüdischem“ in Marbella
und umgebung. die auflösung des Forschungsthemas vor
ort führte bei den beiden Forscherinnen neben der Frage
„What am i doing here?“ auch zu einer hinterfragung der
mitgebrachten erwartungen. in den Mittelpunkt rückte
zunehmend der Forschungsprozess als solcher, den die
Besucherinnen und Besucher an dieser stelle durch Fotos
und reisenotizen nachvollziehen können.
the installation tells of a research trip which took an unexpected turn. starting with the article “pray and sunbathe”
in the “jüdische allgemeine” newspaper in 2009, the field
work in Marbella was to be focussed on the search for an
obvious tourist infrastructure for jewish holiday-makers.
apart from easy access to their area of research, the two
students hoped to meet lots of foreign visitors of jewish
origin in search of a relaxing holiday. tourists who are not
just interested in a jet-set lifestyle and sunbathing, but
who also come to weddings and Bar/Bat Mitzvah celebrations, and who take part in the cultural events of the
jewish Community in Marbella. however, on arrival, the
two students quickly realized that this field was not going
to be so readily accessible. the research trip developed
into a continuous search for “all things jewish” in Marbella
and the surrounding area. as the subject of their field trip
dissolved into thin air while there, the two students were
faced with the question “what am i doing here?” as well as
analyzing their initial expectations. the research process
as such increasingly became the focus of their attention,
as can be seen here in the form of photographs and notes
about their journey.
In der 15-Millionen-Metropole Istanbul finden sich heute
nur noch wenige Spuren einer einst reichen sephardischen
Kultur. Mit ihr verschwindet auch eine Sprache – das Judenspanisch – aus dem öffentlichen Bewusstsein und ein entscheidender Schlüssel in die Vergangenheit der jüdischen
Türkinnen und Türken geht verloren. Ende des 15. Jahrhunderts floh ein Großteil der jüdischen Bevölkerung aus
Spanien ins Osmanische Reich und viele Jüdinnen und
Juden fanden in Istanbul einen neuen Lebensort. Über
viele Jahrhunderte war Judenspanisch Alltagssprache
für die jüdischen Türken. Hauptelement der Sprache ist
das Spanische des 15. Jahrhunderts und sie weist neben
Hebräisch auch sprachliche Einflüsse aus dem Arabischen,
Türkischen bzw. der italienischen oder griechischen Sprache
auf – je nach Gebiet, in dem sich die sephardischen Jüdinnen
und Juden nach ihrer Vertreibung angesiedelt haben.
Heute gibt es in Istanbul nur noch wenige hundert Menschen, die Judenspanisch noch aktiv sprechen, dennoch
setzen sich viele Akteurinnen und Akteure für den Erhalt
der Sprache ein. Diesen Wettlauf gegen die Zeit möchte
diese Installation näher betrachten und stellt einige Versuche zur Sprachrettung in Istanbul vor. Dabei dient ihr die
judenspanische Monatszeitschrift „El Amaneser“ als Medium.
Very few traces of the once rich Sephardic culture are to
be found today in Istanbul, the metropolis of 15-million. As
a result, a language—Judeo-Spanish—is also disappearing
from the public consciousness and a major key to the past
of Jewish Turks has been virtually lost. At the end of the
15th century, the majority of Jews living in Spain fled to
the Ottoman Empire and many found a new place to live
in Istanbul. For many centuries, Judeo-Spanish was the
everyday language of Jewish Turks. The main element of
the language is 15th-century Spanish and it includes, apart
from Hebrew, linguistic influences from Arabic, Turkish,
Italian and Greek, depending on the region settled by the
Sephardic Jews after their expulsion. Today, there are only
a few hundred people who actively speak Judeo-Spanish
and, however, there are a few activists who try to keep the
language alive. This intallation takes a closer look at the
race against time and shows several attempts in Istanbul to
save the language. The monthly Judeo-Spanish magazine
“El Amaneser” is used as a medium to further this aim.
Seit der Besiedlung, etwa 900 nach der Zeitenwende,
stellt das Leben auf der abgelegenen Insel die Menschen
vor gewisse Herausforderungen. Stürmisches Wetter, ungewöhnliche Ernährung, ein hoher Einsamkeitsfaktor, um
nur drei Beispiele zu nennen. Island hat rund 327.000 Einwohner. 80% davon gehören der evangelisch-lutherischen
Staatskirche an. Juden gibt es laut offizieller Statistik keine,
da die jüdische Religion keine staatliche Anerkennung
besitzt. Und doch kamen und kommen immer wieder
Jüdinnen und Juden nach Island, ob auf der Durchreise,
Flucht oder während des Militärdiensts, wegen der Arbeit
oder der Liebe. Wie sich ihr Jüdisch-Sein definiert, oder
ob es vielleicht nur von außen zugeschrieben wurde oder
wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Geblieben sind
nur wenige, auch – aber nicht nur – weil ein jüdisch-religiöses Leben in Island nicht einfach war und ist. Die wenigen
jüdisch geprägten Familien, die heute in und um Reykjavik
leben, stammen aus unterschiedlichen Nationen. In einer
Art inoffizieller Gemeinschaft treffen sie sich zu besonderen
Anlässen, um rund um die jüdischen Jahresfeste ihre Tradition und Kultur aufrechtzuerhalten. Dies alles fand und
findet weitgehend jenseits einer öffentlichen Wahrnehmung statt. Vielmehr stehen das gemeinschaftliche Miteinander und eine improvisierte, wenig festgeschriebene
Art gelebter jüdischer Kultur im Vordergrund.
Ever since its settlement around 900 CE, people living on
this remote island have had to face certain challenges:
stormy weather, an unusual diet, and a high degree of isolation—to name just three examples. Iceland has a population of some 327,000, of which 80% belong to the Evangelical Lutheran Church of Iceland. According to official
statistics there are no Jews, as Judaism is not a religion
recognized by the state. Nevertheless, Jews came and
continue to come to Iceland, whether on the way to somewhere else or after fleeing another country, whether on
military service or because of a job or out of love. How
they define their Jewishness, or whether it was or is only
an attribute given to them, varies from one case to another.
Only very few have remained, also—but not only—because Jewish religious life in Iceland was and is still not easy.
The few families who live in and around Reykjavik today, for
whom the Jewish faith is important, come from a number
of different countries. They form a kind of inofficial congregation and meet on special occasions to uphold their
tradition and culture around annual Jewish festivals. This
all took place, and still does, largely unbeknown to the general public. The feeling of a communal togetherness and
an improvised, barely defined means of living out Jewish
cultural traditions are of much greater importance.
In Warschau gab es bis zur Schoa eine der größten und
traditionsreichsten jüdischen Gemeinden Europas. In den
Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren jüdisches Leben und jüdische Kultur in Polen so gut wie nicht
mehr vorhanden. Die wenigen jüdischen Polinnen und Polen, die die Schoa überlebt haben, hielten ihre Herkunft
und Tradition privat und bedeckt. Auch heute bezeichnen
sich in Polen nur wenige in offiziellen Umfragen als jüdisch.
Die Eröffnung des „Museums der Geschichte der polnischen Juden” im Herbst 2014 stellt in dieser Hinsicht ein
zentrales Ereignis dar: Polen, und ganz besonders Warschau, wird wieder als ein Ort jüdischen Lebens und jüdischer Kultur wahrgenommen. Auch lassen sich noch
weitere Prozesse beobachten wie z.B. das Aufkommen
zahlreicher jüdischer Kulturfestivals, die im ganzen Land
verteilt stattfinden. Was können solche Festivals leisten
und einem interessierten Publikum bieten?
Das Singer-Festival in Warschau wird seit 2004 jährlich
veranstaltet. Es steht in der Tradition des Warschaus der
Zwischenkriegszeit und erinnert an die reiche jiddischsprachige Kultur, von der heute so gut wie nichts mehr zu
spüren ist. Aber nicht nur Nostalgie, auch ganz zeitnahe
Fragen stehen im Zentrum dieses Festivals. Ein Erlebnisraum wird geschaffen – ein Ort des Präsentierens, des Inszenierens und des Austausches. Die Beliebtheit jüdischer
Kulturfestivals in Polen schafft neue Impulse für eine deutlichere Sichtbarkeit jüdischer Kultur und jüdischen Lebens
in der polnischen Öffentlichkeit. Gleichzeitig stellen die
Festivals eine Kontaktzone dar, in der neue Diskurse zur
jüdischen Kultur auch für eine nicht-jüdische Öffentlichkeit erfahrbar gemacht werden können.
Up until the Shoah, one of the largest and most traditional
Jewish communities in Europe was in Warsaw. For decades
after the end of World War II, Jewish life and Jewish culture were virtually non-existent in Poland. The few Jewish
Poles to have survived the Shoah kept their background
and traditions private and low key. In official surveys today,
very few Poles call themselves Jewish.
In this light, the opening of the “Museum of the History of
Polish Jews” in fall 2014, was a pivotal occasion. Poland,
and more especially Warsaw, is once again to become a
place of Jewish culture where Jews live. Other developments can also be observed, as for example the emergence
of numerous Jewish cultural festivals which take place
around the country. What can such festivals achieve and
offer an interested general public?
The Singer Festival in Warsaw has been held every year
since 2004. Its roots are in the tradition of Warsaw in the
inter-war period and it recalls the rich culture of the Yiddish
language, of which there are virtually no traces to be found
today. However, it is not just nostalgia but contemporary
questions which lie at the heart of this festival. A special
setting has been created—a place for presentations, enactments, and exchanges. The popularity of Jewish cultural
festivals in Poland has triggered a new impulse for a much
more visible Jewish culture and everyday Jewish life in
public in Poland. At the same time the festivals also create
“contact zones” in which new discourse on Jewish culture
also reaches a non-Jewish audience.
In Umeå versucht eine kleine jüdische Gemeinschaft seit
2009, in einem gelben Haus einen konkreten Ort aktueller
jüdischer Kultur und Traditionen zu etablieren. Sie nennen
sich die Judiska Föreningen (Jüdische Vereinigung) und
sind etwa 30 Mitglieder, die am gemeinsamen Erleben
jüdischer Kultur, Religion und Tradition interessiert sind.
Das Gelbe Haus trägt von außen keinen Hinweis auf diese
Vereinigung und doch ist es für die Jüdinnen und Juden
Umeås, aber auch für an jüdischer Kultur Interessierte,
ein stets offener, willkommener Ort.
Diese Installation möchte diesem Treffpunkt für die Aushandlung von Identitäten und kultureller Zugehörigkeit ein
Stück weit Sichtbarkeit verschaffen und verhandelt dabei
auch Fragen nach den Grenzen und Möglichkeiten heimatlicher Verortungen in der heutigen schwedischen Gesellschaft. Angehörige der jüdischen Religion gehören zu den
fünf anerkannten ethnischen Minderheiten und können
auf politische und finanzielle Unterstützung des Staates
zurückgreifen. Die Jüdische Vereinigung in Umeå versucht
darüber hinaus, auch kulturell einen offenen Raum zu
schaffen und gesellschaftlich wahrgenommen zu werden.
Since 2009, a small Jewish community in Umeå has been
trying to establish a permanent center for contemporary
Jewish culture and tradition in a yellow-painted house.
They call themselves the Judiska Föreningen (Jewish Association) and have some 30 members who are interested in sharing Jewish culture, religion, and traditions with
others. There is no sign on the brightly-colored house to
draw attention to this association; it is however always an
open and welcoming place for the Jews of Umeå, as well as
anyone else interested in Jewish culture.
This installation aims at making the meeting place for
discussions about identity and cultural affiliation more
visible and also broaches the question as to the limits and
possibilities of creating a sense of “heimat” in Swedish society today. Members of the Jewish faith belong to one of
five recognized ethnic minorities and, as such, can call on
the political and financial support of the state. The Jewish
Association in Umeå also tries to create an open cultural
space and to be recognized by society.
diese installation steht unter dem Motto „Being Jewish as
a Lifestyle and profession“ und ermöglicht den Besucherinnen und Besuchern einen Blick in eine imaginäre küche.
die küche erscheint als ort der aushandlung jüdischer
identitätsfragen und Lebensentwürfe rund um die Frage
einer koscheren Lebensführung. speisegebote gibt es in
allen religiösen kulturen in unterschiedlicher ausprägung
und so spielt das thema essen auch in der jüdischen religion eine große rolle. dabei gibt es eigentlich so etwas
wie „eine jüdische küche“ gar nicht, vielmehr gibt es eine
große Zahl an regionalen küchen. die lokalen rezepte und
speisetraditionen wurden durch die Jahrhunderte auch
innerhalb jüdischer Familientraditionen adaptiert und an
die jüdischen speisegebote angepasst. gerade eine stadt
wie London ist bekannt für ihre vielseitige und international
bunt gemixte küche und wenn es einen ort gibt, an dem
sich die kulturgeschichte des essens wunderbar studieren
lässt, dann ist es London. allen hier vorgestellten akteurinnen und akteuren liegt der kulinarische dialog am herzen
und er bringt dabei ganz neue nuancen der koscheren küche mit sich. „kosher style“ ist nur eine davon und sie geht
oftmals eng einher mit einer art des professionalisierten
„Jewish Lifestyle”.
the motto of this installation is “Being jewish as a Lifestyle
and profession” and provides visitors with a view of an
imaginary kitchen. the kitchen represents a place where
questions about jewish identity and concepts are posed in
the light of a kosher lifestyle. there are any number of different variations of dietary laws in all religious cultures and
the subject of food plays a major role in judaism as well.
in fact there is not really a “jewish” cuisine as such, but
more a large number of regional dishes, local recipes and
traditions which have been adapted over the centuries by
jewish families to comply with jewish dietary laws. a city
such as London is well known for its varied, international
mixture of cooking styles, and if there is any place where
the cultural history of food can be so wonderfully studied,
then it must be London. Culinary dialog is close to the heart
of all the protagonists presented here and it automatically
reveals entirely new nuances about kosher food. “Kosher
style” is just one of these and is often to be seen hand in
hand with a professionalized “jewish lifestyle.”
Budapest besitzt heute wieder eine der größten und
aktivsten jüdischen Gemeinden in Europa. Besonders zeigt
sich dies in dem jüdischen Viertel Zsidonegyed, das sich
im VII. Bezirk der Stadt befindet. Das historische Viertel
hat sich in den letzten Jahren zu einem Ort entwickelt,
der wegen seiner vielen hippen Cafés, Restaurants, Bars
und Clubs sowohl bei Touristen als auch bei Einheimischen
sehr beliebt ist. Dieses Viertel ist ein Ort der Kontraste und
seit dem Regierungsantritt von Viktor Orbán 2010 finden
hier soziale und politische Umbrüche ihren Widerhall: Alt
trifft auf Neu, temporäre Zwischennutzungen etablieren
sich in baufälligen Häusern und Demonstrationen für den
Erhalt der historischen Gebäude gehören zum Alltag im
jüdischen Viertel. Auch der politische Protest gegen
Gentrifizierungsprozesse, Fremdenfeindlichkeit und den
wachsenden Antisemitismus beeinflussen das Viertel und
die dort lebenden Menschen.
Diese Installation möchte mit einer imaginären „Budapest
Bar“ einen exemplarischen Ort innerhalb des jüdischen
Viertels nachzeichnen. Dabei wird der Atmosphäre der
zahlreichen sogenannten Ruinenkneipen nachgespürt, für
die die ungarische Hauptstadt bekannt ist. Das große Angebot an touristischen Sehenswürdigkeiten und kulturellen Besonderheiten verdeutlicht, dass das jüdische Viertel
Budapests ein vielschichtiger und lebendiger Ort ist.
Once again, Budapest now has one of the largest and most
active Jewish communities in Europe today. This is especially
apparent in the Jewish quarter Zsidonegyed in the city’s
7th district. In the past few years this historical neighborhood has evolved into a very popular place among tourists
and local residents alike, thanks to the number of hip
cafés, restaurants, bars, and clubs. This quarter is a place of
contrast and, since Viktor Orbán took office in 2010, it has
resonated with social and political change: old meets new,
the temporary use of derelict buildings has established
itself, and demonstrations to save the city’s historical
fabric are an everyday occurrence in the Jewish quarter.
Political protests against gentrification, xenophobia, and
the increase in anti-Semitism have had an influence on this
district and the people who live there.
This installation of a fictive “Budapest bar” is intended to
reflect a typcial place in the Jewish quarter and conjure up
the atmosphere of the many so-called ruin bars for which
the Hungarian capital has become well known. The huge
number of tourist sights and cultural highlights clearly
demonstrate how varied and vibrant the Jewish quarter in
Budapest has become.