PDF 21 - Deutsche Sprachwelt
Transcrição
PDF 21 - Deutsche Sprachwelt
AUSGABE 21 Herbst 2005 6. Jahrgang – 3 ISSN1439-8834 (Ausgabe für Deutschland) Eindeutigkeit ade Horst Haider Munske schreibt über eine Steinzeitreform und über Kultusminister, die als Frühstücksdirektoren und Grüßauguste handeln. Seite 3 Entschuldigung? Hermann Zabel kritisiert als Rechtschreibreformer den Diskussionsstil bekannter Reformkritiker und fordert von ihnen eine Entschuldigung. Seite 4 Heil dem Heil Hans Hermann Meyer verteidigt das schöne kleine Wort „Heil“ und weist nach, daß der uralte Gruß an keinen Massenverbrechen schuldig ist. Seite 9 Kriminalfall Schiller Hans Binder geht dem Schicksal der Gebeine Schillers nach und widmet sich besonders der Frage nach dem Verbleib von Schillers Schädel. Seite 11 Schon gespendet? V on Zeit zu Zeit sehen wir unsere Listen durch und prüfen, welche Bezieher der DEUTSCHEN SPRACHWELT gespendet haben. Ist schon sehr lange keine Spende mehr eingegangen, senden wir die DSW nicht mehr zu, um Kosten zu senken. Ausgenommen sind zum Beispiel Büchereien, Schulen oder Museen. Derzeit läuft wieder eine Prüfung. Wenn Sie also schon lange nicht mehr gespendet haben, holen Sie dies bitte nach, um nicht versehentlich aus dem Bezieherkreis auszuscheiden. Falls Sie die Zeitung nicht mehr möchten, schreiben Sie am besten an [email protected]. Vielen Dank! Ihr Verein für Sprachpflege Lehrer für die deutsche Sprache Von schwarzen Schafen und leuchtenden Vorbildern Von Thomas Paulwitz I ch glaube nicht, daß die deutsche Sprache etwas so Bedeutendes darstellt, daß man sie unbedingt erhalten müßte.“ Dieser Satz stammt nicht etwa – wie man angesichts öffentlicher Sprachpanschereien vielleicht erwarten könnte – vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank oder der Deutschen Telekom oder der Deutschen Bahn, sondern – halten Sie sich fest – von einem jungen Deutschlehrer. Unser Leser Helge Wolff, ein Mathematik- und Physiklehrer aus Gießen, berichtete uns fassungslos von einem Erlebnis auf einer Klassenfahrt. Ihm war aufgefallen, daß der besagte Deutschlehrer ständig von „Kids“ redete, wenn er von seinen Schülern sprach. Daraufhin lenkte Wolff das Gespräch auf das Anglizismenproblem. Sein Kollege fand das alles halb so wild, schließlich habe es seit jeher Einflüsse aus anderen Sprachen gegeben. Als Wolff einwendete, daß diese Einflüsse durch Gegenbewegungen zurückgedrängt wurden und daß gerade Deutschlehrern die Verpflichtung zukomme, für eine saubere Sprache bei den Schülern zu sorgen, erntete er nur Unverständnis und das eingangs wiedergegebene Bekenntnis zur Gleichgültigkeit gegenüber der deutschen Sprache. Leider ist dieses Erlebnis kein Einzelfall. Daß es ausgerechnet unter den Deutschlehrern zahlreiche schwarze Schafe gibt, belegen viele Zuschriften, die die DEUTSCHE SPRACHWELT laufend erreichen und die wir natürlich auch wiedergeben. Das stößt nicht immer auf Gegenliebe. Leserin Renate Beigang, eine begeisterte ehemalige Lehrerin, die viele Jahre in der Uckermark Deutsch unterrichtet hat, fühlte sich von solchen Belegen in ihrer Berufsehre gekränkt. Sie empörte sich: „Wenn man Ihre Zeitung liest, ist man von der Gewissen- und Verantwortungslosigkeit einer Redaktion abgestoßen, die Leserbriefe von der ‚Qualität‘ des Herrn Hildebrandt abdruckt, der da behauptet, die Gleichgültigsten gegenüber dem Sprachproblem finde man im Berufsstand der Lehrer und Germanisten.“ Wolfgang Hildebrandt, der selbst Lehrer ist, hatte in seinem Beitrag „Sprachnotstand in der Schule“ (DSW 18, Seite 10) von einer mangelhaften Einstellung vieler Deutschlehrer zu ihrem Unterrichtsgegenstand berichtet und dafür nahezu ausschließlich Zustimmung aus der Leserschaft erfahren. Es soll nicht verschwiegen werden, daß es eine Vielzahl einsatzfreudiger Deutschlehrer gibt, die sich für die deutsche Sprache ins Zeug legen und für hoffnungsvolle Lichtblicke sorgen. Diese Lehrer gilt es zu unterstützen und zu ermutigen. Sie sind nicht gemeint, wenn Klagen über Deutschlehrer laut werden. Ein solcher Hoffnungsträger ist Josef Kraus, Deutschlehrer, Schulleiter, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes und DSW-Autor (DSW 6 und 15). Sein neuestes, äußerst lesenswertes Buch heißt „Der PISASchwindel. Wie Eltern und Schule Potentiale fördern können“. Kraus fordert eine „Offensive für muttersprachliche Bildung“. Nicht jeder Lehrer begeistert die Kinder für die deutsche Sprache. „Das Beherrschen von Sprache ist eine Schlüsselqualifikation, vor allem die Muttersprache ist der Zentralschlüssel für alles Erfahren, Mitteilen, Denken und damit Lernen“, schreibt Kraus. Die Deutschen billigten der Muttersprache als Schulfach zwischen der 1. und der 10. Klasse nur 16 Prozent der Wochenstunden zu, die Franzosen hingegen 26 oder die Schweden 24 Prozent. Die Spracherziehung sei in den vergangenen dreißig Jahren stark vernachlässigt worden. Kraus fordert einen Literaturkanon, eine Stärkung der Schulbibliotheken und von den Eltern, daß sie ihren Kindern ein Kontrastprogramm zu Fernseher und Rechner bieten. Und dieses Programm heißt: Lesen, Lesen, Lesen. Josef Kraus, Der PISA-Schwindel. Unsere Kinder sind besser als ihr Ruf. Wie Eltern und Schule Po- Erfolge aus der Arbeit der DEUTSCHEN SPRACHWELT Anglizismen: Tag der deutschen Sprache: Deutsche Telekom bloßgestellt Besseren Deutsch- Zwei Bundesländer unterricht gefordert machen nicht mit Dem Aufruf unserer SprachsünderEcke, sich bei der Telekom über neue Tarifbezeichnungen wie Call Plus oder XXL Freetime zu beschweren, sind zahlreiche Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT gefolgt. „Zu Recht kann ein Kunde erwarten, in einwandfreiem Deutsch bedient zu werden“, hieß es etwa. Der massenhafte Protest führte dazu, daß sich die Telekom verzweifelt zu rechtfertigen suchte – mit fragwürdigen Argumenten. Siehe Seite 10. Anläßlich des Tags der deutschen Sprache am 10. September verbreitete die DEUTSCHE SPRACHWELT die Forderung, den Deutschunterricht an den Schulen stark aufzuwerten. Der Anteil der Deutschstunden am Gesamtunterricht müsse erhöht werden, Deutschlehrer müßten wieder stärker auf die Genauigkeit des Ausdrucks achten, die Literatur müsse wieder öfter Gegenstand des Unterrichts sein. Viele Medien berichteten darüber. Mehr in der nächsten Ausgabe. Rechtschreibreform: Die Aufklärungsarbeit trägt Früchte: Bayern und Nordrhein-Westfalen haben sich dem Beschluß der Kultusministerkonferenz widersetzt, die mißlungene Rechtschreibreform zum 1. August dieses Jahres an ihren Schulen verbindlich in Kraft treten zu lassen. Dort wird die bewährte Rechtschreibung weiterhin nicht als Fehler gewertet. Zahlreiche Hörfunksender übertrugen am 1. August eine Stellungnahme der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Siehe Seite 4. Bild: obs / Initiative „Mehr vom Tag – mehr vom Leben“ tentiale fördern können, SignumVerlag, Wien/München 2005, 248 Seiten, gebunden, 16,90 Euro. Das Buch können Sie über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT bestellen. Einen Bestellschein finden Sie auf Seite 8! Vor fünf Jahren in der DSW Ausgabe 2, 20. September 2000 Die zweite Ausgabe der DEUTSCHEN SPRACHWELT fragt auf der Titelseite „Wer stoppt Dr. Pansch?“ und ruft die Leser zur Wahl des „Sprachwahrers des Jahres“ auf. Klaus Däßler geht an die Wurzeln der weltweiten Sprachzerstörung. Alexander Glück stellt das von der DSW verbreitete Wörterbuch „Engleutsch? Nein danke!“ vor. Manfred Pohl beginnt eine Reihe mit „Betrachtungen zur sogenannten Rechtschreibreform“. Robert Borsch belegt mit einem Blick auf die Geschichte, daß auch Schöpfungen deutscher Wörter sich einbürgern können. Die DSW dokumentiert die Antwort des Kulturstaatsministers Michael Naumann auf Fragen des FDP-Bundestagsabgeordneten Jürgen Türk zum Sprachschutz in Deutschland. Thomas Paulwitz berichtet, wie die DSW die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Entscheidung beeinflußte, zum 1. August 2000 nach einem einjährigen Experiment wieder zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Die Ausgabe 2 ist noch erhältlich! Bestellen Sie auf Seite 5. Leserbriefe Seite 2 DER LESERVORSCHLAG Lustige Begriffe in Umlauf bringen Seit langer Zeit freue ich mich über Ihre Zeitung zur Erhaltung unserer Muttersprache. Leider helfen unsere Bemühungen kaum. Vielleicht könnte man mit einem kleinen Wettbewerb versuchen, auf positive Weise Interesse für die deutsche Sprache zu wecken. Mit lustigen Ausdrücken wie „Besseresser“ statt Gourmet sollen deutsche Begriffe gefunden und „eingeschleust“ werden. Es könnte die Werbung, die so gerne neue Wörter benützt, möglicherweise sie gebrauchen statt erfundener amerikanischer „Zwitterwörter“. Elisabeth Schamp Sonderschuldirektor i. R. Genial ist supergeil Was „super“ war, das wurde „geil“. Ob asozial, ob kollegial – auch „supergeil“ nahm daran teil. Heut wird, was „geil“ war, zu „genial“. Fritz-Jürgen Schaarschuh Blaupunkt-Deutsch: Bist Sauferei zu drinnen? Zum Übersetzen gehört mehr als nur ein Wörterbuch. Obwohl diese Binsenweisheit einen nicht gerade vom Stuhl reißt, hat sie bei Anbietern technischer Geräte zuweilen den Bekanntheitsgrad eines böhmischen Dorfs. Leser Peter-Ingo Bosse hat uns auf eine Sicherheitswarnung (!) für den Einbau eines Autoradios des Unternehmens Blaupunkt aufmerksam gemacht, die aufgrund ihrer hanebüchenen Übersetzung ins Deutsche völlig unverständlich ist. Kostprobe gefällig? Bitte sehr: dashboard, check if the integrated springs are bended to inside of this, has show in the picture at least 0,4 inches or 10 millimetres. Bevor und hinter die Gesellschaft des Fassung Eisenwaren Ein, am Armaturenbrett, überprüfen falls die integrierte Quellen bist Sauferei zu drinnen über dieses hat hereinführen die Konterfei, mindestens 0,4 bewegt sich langsam vorwärts oder auch 10 millimetre. Was hat Ihnen gefallen? Was hätten wir besser machen können? Worauf sollten wir stärker eingehen? Sch reiben Sie uns, wir freuen uns auf Ihre Meinung! Auch wenn wir nicht jeden Bri ef beantworten und veröffentlichen kön nen, so werten wir doch alle Zuschriften sor Bei einer Veröffentlichun gfältig aus. g behält sich die Redaktion das Recht vor, sinnwahrend zu kürzen. Auf diese Weise wollen wir möglichst viele Leser zu Wort kommen lassen. Schreiben Sie bitte an: DEUTSCHE SPRACHWE LT Leserbriefe Postfach 1449, D-91004 Erlangen schriftleitung@deutsche-s prachwelt.de Man fragt sich, wer hier angesichts der „Sauferei“ wohl blau war. Auf englisch liest sich die Anleitung zwar auch nicht fehlerfrei, aber immerhin so: Before and after the assembly of the mounting hardware A, in the car Wirbel um Lafontaine Frische Luft Es ist mir unverständlich, wie es auf einer Messe kein Rauchverbot geben kann. Es sind viele Menschen dort, die geschädigt werden und die neuen Produkte ebenso. Wenn Herr Safranski sein gesundheitsschädliches Verhalten ausleben will, so soll er das dort machen, wo er nur sich und andere Raucher schädigt. Im öffentlichen Raum hat Tabakrauch nichts zu suchen und die Abbildung solcher Personen in Publikationen wie der Ihren (DSW 20, Seite 4) auch nicht. Tim Greve Bosse wundert sich: „Blaupunkt war früher immerhin eine weltbekannte deutsche Firma. Es muß die Frage erlaubt sein, wie eine solche Firma diesen Unsinn in die Welt verschicken kann, ohne Schaden zu nehmen.“ (pau) Liebe Leser! Englisch lernen mit der DSW Lektion 1: Which Swiss Swatch watch? A uch die DEUTSCHE SPRACHWELT kann sich der Globalisierung nicht entziehen. Als Weltunternehmen mit Lesern in über sechzig Ländern kann sich die DSW der weltweiten Entwicklung nicht verschließen. Zahlreiche Unternehmen des deutschen Sprachraums stellen bereits auf die Weltsprache BSE (bad simple English) um. Da können wir einfach nicht abseits stehen. Um gut aufgestellt für das 21. Jahrhundert zu sein, bietet die DSW deswegen ihren Lesern ab sofort einen Englischkurs der besonderen Art an. Aufgrund der überall betonten Leichtigkeit, die englische Sprache zu erlernen, erwarten wir keinerlei Schwierigkeiten bei unseren Lesern. (dsw) Englisch für Anfänger Drei Hexen schauen sich drei Swatch-Uhren an. Welche Hexe schaut welche Swatch-Uhr an? Auf englisch: Three witches watch three Swatch watches. Which witch watches which Swatch watch? Englisch für Fortgeschrittene Drei geschlechtsumgewandelte Hexen schauen sich drei Swatch-Uhrenknöpfe an. Welche geschlechtsumgewandelte Hexe schaut sich welchen Swatch-Uhrenknopf an? Auf englisch: Three switched witches watch three Swatch watch switches. Which switched witch watches which Swatch watch switch? Englisch für Profis Drei süße Schweizer Hexen-Schlampen, die sich wünschen, geschlechtsumgewandelt zu sein, möchten sich drei Schweizer Swatch-Uhrenknöpfe anschauen. Welche süße Schweizer Hexen-Schlampe, die sich wünscht, geschlechtsumgewandelt zu sein, möchte sich welchen Schweizer SwatchUhrenknopf anschauen? Auf englisch: Three sweet Swiss witch-bitches, which wished to be switched Swiss witch-bitches, wish to watch three Swiss Swatch watch switches. Which sweet Swiss witch-bitch, which wishes to be a switched Swiss witch-bitch, wishes to watch which Swiss Swatch watch switch? Diese Lektion hat Leser Rüdiger Sibiller aufgelesen und eingesandt. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Großes Leser-Echo auf DSW-Beitrag E ine Fülle von Reaktionen lö- on des Denkens“ entlarvt: es ist der Neoliberalisste der Beitrag „Korruption des „(angelsächsische) Denkens“ (DSW 20, Seite 7) aus, mus“. Aber was ist Neoliberalismus? Die Bürger der Oskar Lageben auf fontaines Buch „Politik für diese Frage alle“ entnom– wenn übermen war. Wir haupt – recht hatten gefununterschiedden, daß die liche AntGedanken des worten. Wir ehemaligen wollen uns SPD-Vorsitdas sprachzenden beachtliche Leben lich seien und aber nicht zu sie deswegen schwer maunseren Lesern chen: Die Reinicht vorentchen werden halten wollen. immer reicher, Daß die Bundie Armen imdestagswahlen mer ärmer. vorgezogen Soziale Kälte. würden und Schneidige Lafontaine sich Manager wolplötzlich auf len den Shareder Liste der Oskar Lafontaine erhitzt die Gemüter. Bild: obs holder value PDS und in alsteigern und len Medien wiederfinden würde, war sonst nichts. Soziale Gerechtigkeit. zum Redaktionsschluß übrigens gar Ist diese Links-Sprache nicht auch nicht abzusehen. So fiel der Artikel abgegriffen? Es fehlt nach Lafontaine unversehens in den Wahlkampf. das begriffliche Rüstzeug, damit das Volk die Politiker und eine neue PoLafontaine rief mit seinem Beitrag litik versteht: eine neue Sprache und unter unseren Lesern ähnlich unter- nicht die dem Volk aufgezwungene schiedliche Meinungsbekundungen neoliberalistische. Ängstlich fragen hervor, wie es zwei Ausgaben zuvor wir uns, ob das eine Aufforderung der Artikel über die Literaturnobel- an die Kultusminister ist, nach der preisträgerin Elfriede Jelinek (ver- Rechtschreibreform weitere Sprachgleiche DSW 18 und 19) tat: Von reformen durchzuführen. Jedenfalls stürmischer Zustimmung über nach- danken wir Oskar Lafontaine für denkliche Kritik bis zu heftiger Ab- seine neoliberalistischen Erleuchtunlehnung war alles zu lesen. Beson- gen. Sie können uns als Verpackung ders aus dem westdeutschen Raum für Sprachkritik nur eingeschränkt kamen erregte Zuschriften. Leser aus gefallen. Ehrliche und verständliche Mitteldeutschland und Österreich Worte – ja, das würde uns freuen, hingegen pflichteten Lafontaine in aber bitte von allen Politikern. der Regel bei. Anstoß genommen Heinz-Dieter Dey wurde eher an der politischen Vergangenheit Lafontaines, die gar Naziparolen nicht das Thema seines Beitrags war. Manche fürchteten sogar, der „Lu- Nachdem Sie solchen Naziparolen xus-Linke“ Lafontaine habe von der verbreitenden Leuten Platz bieten, DSW aus Spendengeldern ein dickes bitte ich Sie, mir zukünftig Ihre ZeiHonorar erhalten. Hier können wir tung nicht mehr zuzuschicken. entwarnen: Unsere Autoren erhalten Hartmut Kolb nämlich grundsätzlich kein Honorar, Parteipolitisch einseitig auch nicht Oskar Lafontaine. Sie haben mich schwer enttäuscht. Um es klarzustellen: Die DEUT- Aus einem Mitstreiter und UnterstütSCHE SPRACHWELT stellt ein Fo- zer ist nun ein Gegner geworden. Die rum dar, in dem auch Politiker und Ursache: Der Abdruck einer Seite abweichende Meinungen zu Wort aus dem Buch von Oskar Lafontaine. kommen können. Ein weiterer DSW- Der Verfasser behauptet, daß mit der Autor ist zum Beispiel der nieder- Sprache die Ideologie des angelsächsächsische CDU-Ministerpräsident sischen Kapitalismus übernommen Christian Wulff (siehe DSW 17) oder würde, und versucht somit ein Feindin dieser Ausgabe der Rechtschreib- bild aufzubauen, das wir alle hofften reformer Hermann Zabel (siehe Sei- überwunden zu haben. Die Polemik te 4). Wenn wir auch eine deutliche schließt sich nahtlos an die vor 1914 Meinung haben, so nehmen wir doch gepflegten Feindbilder an. Im Ernst, immer eine streng überparteiliche was hat ein parteipolitisch einseitiger Haltung ein. Nicht alle in der DSW Artikel in einem der richtigen deutgeäußerten Meinungen stimmen mit schen Sprache verpflichteten Flugder der Herausgeber oder der Schrift- blatt zu tun? Die Beweisführung des leitung überein. Das ist unserer An- Herrn Lafontaine ist abwegig. Die sicht nach kein Fehler, sondern kann Verhunzung der deutschen Spradie Zeitung und die Diskussion in ihr che erfolgt eher durch die Werbung beleben und vielleicht zu neuen Er- und durch die geistlose Übernahme angelsächsischer Begriffe, aber auf kenntnissen führen. kleinstem Niveau. Zum Beispiel lese Ihre Schriftleitung ich in unserem heute empfangenen Gemeindebrief: Treffen der „boy Ist die Links-Sprache group“, also der 12- bis 14jährigen, nicht auch abgegriffen? am ... Hier im Badeort Bad SalzufFür Politiker ist Sprache das Sein, len heißt es Health Dept., Welcome auch für Oskar Lafontaine. Sprachli- Point, es wimmelt von Fitness- und cher „Euphemismus“, also Schönfär- Wellness-Zusammenschlüssen. Zum berei, ist bei allen Politikern beliebt, Abschluß möchte ich doch empfehum die Wähler nicht zu verschrec- len, sich von schillernden Persönken. „Politikverdrossenheit“ – ja, das lichkeiten, vor allem wenn sie abgeWort kennen wir zur Genüge – ent- halfterte, wenn auch gut verdienende steht allerdings durch jahrelanges Politiker sind, fernzuhalten, und lieAuseinanderfallen von Willensbe- ber die „coole“ Jugend ins Visier kundungen und Handeln. Lafontaine zu nehmen. Ganz besonders stört hat den Übeltäter für die „Korrupti- mich die infame Wortwahl, die Sie abdrucken: „Der ewige Aufsteiger nimmt die Sprache der herrschenden Schichten an.“ Gemeint ist natürlich Gerhard Schröder. Erwin H. Kleine Nicht alle Linken sind „vaterlandslose Gesellen“! Als Regionalleiter eines Sprach- und Kulturvereins bin ich seit Jahren begeisterter Leser der DEUTSCHEN SPRACHWELT. Mit der Veröffentlichung eines Auszugs aus Oskar Lafontaines Buch „Politik für alle“ in Ausgabe 20 beweisen Sie zweierlei wieder einmal auf eindrucksvolle Weise, nämlich erstens: daß die DEUTSCHE SPRACHWELT unabhängig und ausgewogen zu berichten weiß und daß das Eintreten für unsere Sprache nicht ideologisch und rechtskonservativ eingefärbt sein muß. Merke: Nicht alle Linken sind „vaterlandslose Gesellen“! Zweitens, daß Lafontaine – wie auch immer man politisch zu ihm stehen mag (ob populistischer Blender oder wahrer Streiter für die Bewahrung des Sozialstaates) – zumindest in der Frage der euphemistischen Sprachverfälschung der anglizistischen Begriffswelt unumstößliche Wahrheiten verkündet, die uns die neoliberalen Globalisierungseuphoriker gerne vorenthalten möchten und statt dessen lieber ihre „hochglänzenden Mogelpackungen“ verkaufen – oder besser gesagt, unterjubeln wollen. Danke für diesen Beitrag! Alfred Bielefeld Gegründet im Jahr 2000 Erscheint viermal im Jahr Auflage: 25.000 Die jährliche Bezugsgebühr beträgt 10 Euro. Für Nichts- und Geringverdiener ist der Bezug kostenfrei. Zusätzliche Spenden sind sehr willkommen. Bundesrepublik Deutschland Verein für Sprachpflege e. V. Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Bankleitzahl 763 500 00 Kontonummer 400 1957 BIC: BYLADEM1ERH IBAN: DE63763500000004001957 Republik Österreich Verein für Sprachpflege e.V. Volksbank Salzburg Bankleitzahl 45010 Kontonummer 000 150 623 Bitte bei der Überweisung vollständige Anschrift mit Postleitzahl angeben! ISSN 1439-8834 (Ausgabe für Deutschland) Herausgeber Verein für Sprachpflege e.V. Sammelanschrift Deutsche Sprachwelt Postfach 1449, D-91004 Erlangen Fernruf 0049-(0)91 31-48 06 61 Ferndruck (Fax) 0049-(0)91 31-48 06 62 [email protected] [email protected] [email protected] Schriftleitung Thomas Paulwitz [email protected] Gestaltung und Satz moritz.marten.komm. Claudia Moritz-Marten [email protected] Anzeigen moritz.marten.komm. Hans-Paul Marten Fernruf 0049-(0)22 71-6 66 64 Ferndruck (Fax) 0049-(0)22 71-6 66 63 [email protected] Freie Mitarbeiter Astrid Luise Mannes, Frank Fehlberg, Franz Firla, Frank Geissler, Wolfgang Dorn, Jürgen Langhans, Fritz-Jürgen Schaarschuh, Dagmar Schmauks, Maria Schorpp, Rominte van Thiel Druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH Wiener Straße 80, A-3580 Horn Die 22. Ausgabe erscheint im Winter 2005/2006. Redaktions- und Anzeigenschluß sind am 1. November 2005. Hintergrund Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Seite 3 Verordnete Unordnung Von Horst Haider Munske I. Beschädigtes Vertrauen in die Eindeutigkeit der Rechtschreibung Brauchen wir eigentlich eine Rechtschreibreform? Kann man Sprachnormen wirklich reformieren? Und gibt es überhaupt eine Instanz im deutschen Sprachgebiet, die dazu fähig und dazu legitimiert wäre? Diese Fragen stellen sich erneut, nachdem die meisten deutschen Kultusminister Teile der neuen Schreibregeln zum 1. August für alle Schulen in Kraft gesetzt haben. Denn nach jüngster Allensbach-Umfrage ist der Widerstand unter den Deutschen gegen Reformexperimente mit der Sprache ungebrochen. Das spiegelt sich auch in den Entscheidungen der meisten großen Zeitungen und Buchverlage gegen die verordnete Orthographie der Kultusministerkonferenz (KMK). Die Folgen dieses Nebeneinanders bisheriger, „reformierter“, teilreformierter (Hausorthographien) und willkürlich gemischter Schreibungen sind verheerend. Die Einheit der deutschen Rechtschreibung ist dahin. Die wenigsten kennen sich noch aus und wissen, was gerade gilt. Was ist geblieben von der bisherigen vertrauten Rechtschreibung? Was hat die „Reform“ von 1996 geändert? Was wurde davon inzwischen neureformiert? Was davon entspricht wiederum der bisherigen Schreibung? Noch verwickelter wird es in der schulischen Praxis: Was muß zum Beispiel ab dem neuen Schuljahr im Reich der brandenburgischen Kultusministerin als falsch geahndet werden, was wird nur als falsch angestrichen und wo gibt es Varianten zwischen „alt“ und „neu“? Glücklich, wer in diesem Herbst mit seinen schulpflichtigen Kindern nach Bayern oder Nordrhein-Westfalen umzieht. Dort gilt noch die bisherige liberale Anerkennung von „alt“ und „neu“. Nur die Lehrer haben es überall gleich schwer mit dem, was sie unterrichten sollen. Schlimmer aber noch als dieses verordnete Durcheinander sind die Langzeitfolgen für die Geltung orthographischer Normen. Das Vertrauen in die weitgehende Übereinstimmung von Sprachgefühl und Sprachnorm, in Eindeutigkeit und Richtigkeit der Rechtschreibung ist empfindlich beeinträchtigt. Die deutsche Schriftsprache – das war das überdachende, einigende Band der Kulturnation. Dessen waren sich die verantwortlichen Kulturpolitiker bewußt, als sie in die Präambel der Wiener Vereinbarung vom 1. Juli 1996 schrieben: „Sie [die einzurichtende Kommission für deutsche Rechtschreibung] wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin.“ Tatsächlich haben die Kommission und die Beamten der Kultusministerkonferenz das Gegenteil bewirkt. II. Pyrrhus als Kultusminister Warum, so fragen sich viele, die auch von Politikern vernünftiges Verhalten erwarten, warum richtet die KMK einen Rat für Rechtschreibung ein, folgt ihm in seinen ersten Empfehlungen zu dem umstrittensten Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung und erklärt dann: Das war’s! Komma und Silbentrennung, die ja ohnehin meist fakultative (wahlfreie) Regeln enthalten, darf er noch behandeln. Der Rest sei „unstrittig“. Fremdwortschreibung, groß und klein, Laut-Buchstaben-Beziehungen, also zum Beispiel Newage und Horror Vacui, heute Früh und seit Langem, schnäuzen und behände – das alles, worüber fast zehn Jahre gestritten wurde, das sei nun unstrittig und könne der Schule endgültig verordnet werden. Ist das ihr Umgang mit Spra- Von einer Steinzeitreform und von Kultusministern, die als unbeholfene Frühstücksdirektoren handeln che, Wörter in ihrem Gegensinn zu gebrauchen? So wie einst die DDR die Berliner Mauer als „Friedensgrenze“ titulierte. Warum düpiert die KMK den eigenen Rat und den von ihr empfohlenen Vorsitzenden Hans Zehetmair? Erklärungen gibt sie nicht, aber plausible Vermutungen. Nach meinen Erfahrungen im Umgang mit der KMK war es dies: Sie sah mit den jüngsten unerwarteten Empfehlungen des Rates ihre Reformfelle davonschwimmen, fürchtete, daß eine Verlängerung der Übergangszeit das Ende dieser vor fast zwanzig Jahren eingeleiteten Reform besiegeln werde. Dabei geht es längst nicht mehr um die Orthographie. Es geht um die Macht dieser Kultusministerkonferenz in Deutschland. Forderungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, sie einfach abzuschaffen, zeigen, wie gefährdet ihre Stellung ist. Seit Jahrzehnten beherrscht sie mit ihren Ausschüssen und Kommissionen die überregionale Kulturpolitik. Was ihre Beamten untereinander ohne jede öffentliche Debatte ausgehandelt und was ihre Amtschefs in gemeinsame Vorlagen gegossen haben, wird in den Sitzungen der Kultusminister stets einstimmig abgesegnet. Die Minister haben hier nur noch die Rolle des Grüßaugusts und Frühstücksdirektors ihrer mächtigen KMK-Organisation. Das zeigen auch ihre unbeholfenen Auftritte in Fragen der Rechtschreibung. Wer hier aufbegehrt, dem wird schnell klargemacht, daß er die eigene Machtposition gegenüber den Ministerpräsidenten und dem Bund gefährdet. So erklärt sich auch der rigorose Umgang der KMK mit ihren eigenen Kommissionen, der Rechtschreibkommission (1987 bis 1996), der Zwischenstaatlichen Kommission (1997 bis 2004) und dem Rat für deutsche Rechtschreibung (seit 2005). Es ist die übliche Praxis der KMK, sich von interessierten Verbänden kostenlosen Rat zu holen, aber nur das zu akzeptieren, was ihr paßt. Wer da glaubt, ein Recht auf Mitsprache oder gar Entscheidung zu haben, ist auf dem Holzweg. Die Arbeitsgruppe Rechtschreibreform der KMK hat sich von ihrer Mannheimer Reformkommission weismachen lassen, die neuen Regeln machten den Unterricht einfacher und leichter. Mit Kritikern haben sie nie ein Wort gewechselt, auch jede öffentliche Auseinandersetzung gemieden. Jetzt wollen sie nur noch eins: das Prinzip der vermeintlichen Reform retten. Darum der Affront gegen den eigenen Rat, darum nehmen sie alles Durcheinander an den Schulen in Kauf. Daß sich die schönen Versprechungen in keiner Weise erfüllt haben, ist längst egal. Die meisten Politiker geben sogar zu, heute würden sie niemals mehr eine Rechtschreibreform versuchen. Dennoch marschieren sie von einem Pyrrhussieg zum anderen. der Reiseschreibmaschine und der Statistiken über Rechtschreibfehler. Damals entstand das Ethos der Sorge um Schreibanfänger und Wenigschreiber. Heute scheitert kein Lehrling mehr an der Rechtschreibung seines Bewerbungsschreibens. Er holt sich die Vorlage aus dem Netz. Und keiner schämt sich eines Fehlers in seiner SMS (telefonischen Textnachricht). Nur die Schuldiktate verlangen ihm noch die richtige Rechtschreibung ab. Welches die richtige ist, schert ihn wenig. Hauptsache, die Note stimmt. Das begründet den angeblichen Erfolg der Reform in der Schule. man am besten nur „hin-über“ (und nicht „hi-nüber“), damit man am Ende der Zeile schon ahnen kann, wie es in der nächsten weitergeht und damit keine unsinnigen Bruchstücke wie hiund -nüber übrigbleiben. Nicht wie ein Schüler laut sprechend Silben trennt, ist entscheidend, sondern wie ein Leser am sichersten und am schnellsten den Sinn erkennt. Gerade im Zeitalter elektronischer Medien kommt es aufs Lesen an. Daran muß sich die Rechtschreibung orientieren. Zwei Kriterien sind dabei ausschlaggebend: die Sprachangemessenheit und die Tradition des Schreibens. Aber was ist angemessen? Sicher nicht die folgende Faustregel, wie sie jetzt an den Schulen verbreitet wird: groß schreibe man alles, was wie ein Substantiv aussieht, zum Beispiel nach jedem Artikel. Also etwa „aufs Herzlichste, des Öfteren, im Nachhinein“. Denn, so fragt unser Sprachgefühl, was ist das Öftere, das Nachhinein und das Herzlichste? Es gibt sie nicht, denn sie kommen bloß in adverbialen Wendungen vor. Darum ist die Großschreibung hier falsch. So wurde es 1901 auf der Berliner Rechtschreibkonferenz unter Mitwirkung erfahrener Schulmänner vereinbart. Sie setzten die umgekehrte Regel durch: im Zweifel schreibe man klein. Dies erlaubt auch die Anpassung an gewandelten Sprachgebrauch und hat hundert Jahre gut funktioniert. Natürlich müssen die Schriftnormen unserer Sprache auch weiterhin vermittelt werden. Aber sie sind jetzt nicht mehr zu messen an ihrer leichten Erlernbarkeit, sondern ausschließlich an ihrer Eignung für die eindeutige und differenzierte schriftliche Kommunikation. Darauf ist unsere Rechtschreibung ausgerichtet: in der Großschreibung der Substantive und in der Kleinschreibung aller anderen Wörter und Wendungen, in der syntaktischen Orientierung des Kommas und natürlich auch in der Silbentrennung. Deshalb trennt Das zweite Kriterium ist die Tradition: Jede Sprache hat ihre eigene Rechtschreibung, die mit der Geschichte der Sprache gewachsen ist. Auch die deutsche. Sie ist ein Stück ihrer Identität. Dazu gehören gerade die Substantivgroßschreibung, der ausgefeilte Gebrauch des Kommas und auch die etwas schwierigen Regeln der Laut-Buchstaben-Beziehung. Es ist ein Glück, daß hier keinerlei Reformen nötig sind, nur eine ordentliche Erklärung der Regeln. Weil unsere Rechtschreibung auf die Leser zugeschnitten ist, geht Seite 1 Vom Reformer zum Kritiker der Rechtschreibreform: Horst Haider Munske Bild: Verlag C. H. Beck Munske.qxp 24.08.2005 16:43 sie auch die Schulminister nichts an. Sie sind für den Unterricht zuständig, nicht für die Sprache. Darum haben die Ministerpräsidenten das Recht und die Pflicht, unsere Sprache vor falschem Zugriff und vor einer Verballhornung der Schreibregeln zu schützen. Zwei von ihnen, Edmund Stoiber und Jürgen Rüttgers, haben es erfolgreich getan. Sie gewinnen Vertrauen zurück, was jene durch Mißbrauch verspielt haben. Horst Haider Munske wurde 1935 in Görlitz geboren. 1962 wurde er in Marburg zum Dr. phil. promoviert, mit Rigorosum in den Fächern Germanistik, Nordistik, Keltologie. 1975 übernahm er den Lehrstuhl für Germanische und Deutsche Sprachwissenschaft und Mundartkunde an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; im Jahr 2004 emeritiert. Seit 1984 war Munske Wissenschaftlicher Rat des Instituts für deutsche Sprache (IdS) in Mannheim. Der Kommission für Rechtschreibfragen des IdS und dem Internationalen Arbeitskreis für Orthographie gehörte er von 1986 bis 1996 an. Aus der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung trat Munske im September 1997 unter Protest aus. Ausgewählte Schriften Horst Haider Munske (hrsgg. mit Hans-Werner Eroms), Die Rechtschreibreform: Pro und Kontra, Erich-Schmidt-Verlag, Berlin 1997, 264 Seiten, 16,80 Euro. Horst Haider Munske, Die angebliche Rechtschreibreform, Leibniz-Verlag, St. Goar 2005, 163 Seiten, 9,80 Euro. Horst Haider Munske, Lob der Rechtschreibung. Warum wir schreiben, wie wir schreiben, C. H. Beck, München 2005, 144 Seiten, brosch., 9,90 Euro. Die Bücher können Sie über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT bestellen. Einen Bestellschein finden Sie auf Seite 8! Anzeige III. Angemessenheit und Tradition Es ist eine Ironie der Geschichte, daß mit jedem Jahr des Grabenkriegs um die Rechtschreibreform diese selbst immer überflüssiger geworden ist. Seit den 90er Jahren hat sich mit Rechnern, Mobiltelefonen und Internet eine Revolution sprachlicher Kommunikation vollzogen, durchaus vergleichbar mit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks. Unterwegs mit dem Mobiltelefon, daheim am Bildschirm – der Schüler von heute braucht sich nicht mehr um die Rechtschreibung zu sorgen wie seine Eltern und Großeltern. Aus dieser Zeit aber stammen die Reforminitiativen und die Reformprogramme, die uns heute plagen. Es ist die Steinzeit 194 Seiten. Paperback Euro 9,90 [D] (bsr 1667) Sagt man „ein Paar neue Schuhe“ oder „ein neues Paar Schuhe“? Heißt es „jemand hat gewinkt“ oder „jemand hat gewunken“? Wann setzt man einen Apostroph, wie dekliniert man Abkürzungen, wann verwendet man den Genitiv, wann den Dativ? Hier geht es um die Zweifelsfälle, denen man im Schreiballtag häufig begegnet. Sie werden pragmatisch, verständlich und ohne allzuviel Fachjargon erklärt. 142 Seiten. Paperback Euro 9,90 [D] (bsr 1671) Horst Haider Munske erläutert in diesem Buch Schritt für Schritt, wie die deutsche Rechtschreibung im Verlauf von Jahrhunderten entstanden ist. Er stellt ihre Grundstrukturen dar und erklärt ihre Eigenheiten. Das Buch ist ein kleiner, kompakter Reiseführer durch die deutsche Sprache und ihre Orthographie. C.H.BECK Sprachpolitik Seite 4 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Ickler und Denk müssen sich entschuldigen! Von Hermann Zabel S eit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden mehr als einhundert Reformforderungen erhoben und entsprechende Reformvorschläge ausgearbeitet. Sie alle scheiterten aufgrund verschiedener Umstände. Die Gegner der Reform schreckten vor keinem Mittel zurück. So wurden zum Beispiel die Mitglieder des Internationalen Arbeitskreises beschuldigt, Vorstellungen zur Reform der deutschen Rechtschreibung aufzugreifen und weiterzuführen, die von den Nationalsozialisten erarbeitet worden waren. Nichts ist falscher als eine derartig diskriminierende Behauptung! Der Weilheimer Studiendirektor Friedrich Denk, der im Zusammenhang der Frankfurter Buchmesse 1996 gemeinsam mit anderen eine groß angelegte Kampagne gegen die reformierte Schreibung ins Leben gerufen hatte, beklagte öffentlich, daß die Reformer die zwei Buchstaben, die in der Geschichte Deutschlands so viel Unrecht und Leid verursacht hätten, besonders hervorgehoben hätten. Gemeint waren die Buchstaben: SS! Kommentar überflüssig. Das neue Teekesselspiel „Ein Teekessel ist ein Wort mit zwei (oder sogar drei) Bedeutungen“, heißt es im „Großen Buch der Spiele. 1000 Spiele für jung und alt“. Bei diesem Spiel einigen sich ein oder zwei Spieler darauf, welches Teekesselwort sie „durchspielen“, also von den übrigen Mitspielern erraten lassen wollen. Seit 1996 gibt es ein neues Teekesselspiel. Sie kennen das neue Spiel noch nicht? Dann wird es Zeit, daß Sie es kennenlernen: Was ist das: Es ist überflüssig, konfus, zum Teil falsch, absurd, verwirrend, schädlich, häßlich, ein Unsinn. – Es hat einschneidende, negative, katastrophale Folgen, wird allen auf- Ein Rechtschreibreformer antwortet den Kritikern gezwungen, ist eine Zwangsmaßnahme. – Man vergreift sich, eliminiert, benachteiligt die sozial Schwachen. Man fühlt sich betrogen oder vergewaltigt, wird gequält. Wovon ist die Rede? Was wird hier angeprangert? Nein, die Rede ist nicht von „ethnischen Säuberungen“, von Aids, vom sexuellen Vergehen an Kindern, von sozialem Elend, vom Hunger in der Welt. Nein, von all dem anderen Elend ist nicht die Rede. Die Rede ist vielmehr von der Rechtschreibreform, gegen die unter anderem mit den oben zitierten Passagen in einem Flugblatt Stimmung gemacht wurde. Auf dem Niveau dieses Flugblattes haben seitdem Pressemitteilungen, Leserbriefe und Berichte über die angeblich gescheiterte Reform bei vielen Bürgern und Bürgerinnen den Eindruck entstehen lassen, als sei die beschlossene Reform ein Horrorgebilde. Welche Schuld trifft George Orwell? Wer das Flugblatt aus der Feder von Studiendirektor Friedrich Denk zum ersten Mal zur Kenntnis nimmt, fragt sich, welche Gründe den Autor veranlaßt haben könnten, die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung als Horrorgebilde zu beschreiben. Ein Spiegel-Bericht enthält die Antwort: „George Orwell ist an allem schuld. Als der 20jährige Sohn des Weilheimer Deutschlehrers Friedrich Denk Ende September aus dem Urlaub kam, hatte er den Roman ‚1984’ gelesen. Der Maschinenbau-Student öffnete dem Vater die Augen. ‚Du mußt etwas unternehmen.’ So begann eine Attacke auf die Rechtschreibreform... Um den ‚Terror durch Orthographie’ (Denk) noch aufzuhalten, setzte er eine Protestresolution mit zehn Argumenten auf und verschickte 50 Briefe“. Denk bleibt rationalen Argumenten verschlossen Der Maschinenbau-Student öffnete dem Deutschlehrer nicht nur die Augen, sondern schickte den Vater auch in die Irre. In Orwells Roman wird eine Kunstsprache gewaltsam eingeführt, und zwar dadurch, daß Bestandteile der bisher geltenden natürlichen Sprache eliminiert, ausgeschieden oder umgedeutet werden. Es ist schon bemerkenswert, daß der Deutschlehrer Friedrich Denk, der Germanistik studiert hat und sich Philologe nennt, das neue Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung aus der Perspektive der Orwellschen Neusprache deuten 15. Juni: Der Bundestagsausschuß für Kultur behandelt einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion (15/4261) sowie einen Gruppenantrag (15/4249) zur RSR. Die Union fordert „Klarheit für eine einheitliche Rechtschreibung“ und von Kultusministern und Ländern, so schnell wie möglich eine verbindliche Rechtschreibung festzulegen. Die Gruppe um HansJoachim Otto (FDP), Vera Lengsfeld (CDU) und Josef Philip Winkler (Grüne) will erreichen, daß die RSR zurückgenommen wird. Die Ausschußmehrheit lehnt aber Änderungsvorschläge zur RSR ab. An der Sitzung nimmt auch der Vorsitzende des RDR, Hans Zehetmair, teil. 23. Juni: Ein Vorstoß der Ministerpräsidenten der CDU-geführten Bundesländer, entgegen dem Beschluß 1. Juli: Der RDR schließt in Mannheim die Beratungen über die Regelung der Getrennt- und Zusammenschreibung ab. Der Ratsvorsitzende Zehetmair sagt, der Sprachgebrauch stehe nun wieder im Vordergrund. Nach der vom Rat vorgeschlagenen Reform der Reform sollen wie in der bewährten Schreibweise mehr Wörter zusammengeschrieben werden, zum Beispiel eislaufen, fertigmachen, heiligsprechen und (neu:) leidtun. 8. Juli: Die absehbaren Nachbesserungen an der RSR haben Folgen. Der Rechtschreib-Duden von 2004 wird nun für 15 Euro (statt 20 Euro) verramscht. 16. Juli: Bayern und NordrheinWestfalen widersetzen sich dem Beschluß der KMK, Teile der RSR ab 1. August verbindlich in Kraft treten zu lassen. Beide Länder wollen die Arbeitsergebnisse des RDR abwarten. 28. Juli: Die Allensbacher Meinungsforscher ermitteln wenig Zu- Es ist verständlich, daß die Reformkritiker durch pointierte und zugespitzte Darstellungen die Öffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam machen wollen. Sie greifen daher auch auf Mittel der Polemik und Ironie zurück. Doch überschreitet der Reformgegner Theodor Ickler das Maß des Zumutbaren und Erlaubten. In seiner Schrift „Die Rechtschreibreform auf dem Prüfstand“ verunglimpft er die Reformer fortlaufend. Dieser Reformgeg- Die Frage „Wann werden sich die Reformkritiker Denk und Ickler für ihre sprachlichen Entgleisungen endlich mal entschuldigen?“ ist einfach zu beantworten mit der Gegenfrage: „Wann werden sich die Rechtschreibreformer endlich einmal für das Rechtschreibchaos entschuldigen, das sie angerichtet haben?“ Und wenn Zabel meint, daß „Gegner und Befürworter der Reform sich endlich auf einen Kompromiß einigen müssen“, dann sage ich: Löffelt ihr die Suppe aus, die ihr der deutschen Sprache sowie den Schülern eingebrockt habt, die ihr mit eurer „Neuregelung“ der Literatur und dem Lesen entfremdet! Wir nehmen die Kultusminister und die Verfassungsrichter beim Wort und schreiben weiter in der klassischen Rechtschreibung, die allemal besser ist als eine notdürftig reparierte Schlechtschreibreform! Friedrich Denk zu können glaubt. Denk hat das Regelwerk nie mit der Absicht, es zu verstehen, gelesen und anscheinend bis heute auch nicht vollständig. Er beweist mit seiner Polemik zugleich, daß er den Text von Orwell nicht verstanden hat! Der absurde Denkansatz erklärt zugleich die Tatsache, daß Denk rationalen Gegenargumenten gegenüber verschlossen bleibt. Er scheut sich nicht, längst widerlegte Argumente gebetsmühlenartig zu wiederholen, zum Beispiel, daß die Die Rechtschreibreform 2005 (Juni, Juli, August)* der KMK die gesamte RSR erst in einem Jahr verbindlich einzuführen, scheitert in der Ministerpräsidentenkonferenz am Widerstand der SPDMinisterpräsidenten. Ickler verwechselt Kritik mit Beschimpfung Keine Entschuldigung! Teilweises Inkrafttreten in Teilen des Sprachraums 9. Juni: Das Niedersächsische Verwaltungsgericht weist eine Klage gegen die RSR (6 A 6717/04) ab. Das Gericht verweist in seiner Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Eine Schülerin hatte eine Anordnung des Kultusministeriums an ihre Schule beantragt, daß die bewährte Rechtschreibung weiterhin nicht als Fehler zu markieren und zu werten sei. Die Klägerin will nun vor das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ziehen. gesamte Literatur neu gedruckt werden müsse. stimmung für die RSR. Die Zahl der Befürworter ist jetzt mit acht Prozent so klein wie nie zuvor. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob das Lager der Reformgegner allmählich kleiner werde. 1997 sprachen sich 70 Prozent dagegen aus, 2004 nur noch 49 Prozent. Jetzt ist die Zahl der Gegner jedoch wieder zu einer großen Mehrheit von 61 Prozent angewachsen. 1. August: 14 von 16 Bundesländern schaffen an ihren Schulen die bewährte Rechtschreibung zum Teil ab. Die Hörfunkagentur von dpa, Rufa, verbreitet eine Stellungnahme von DSW-Schriftleiter Thomas Paulwitz, die von zahlreichen Sendern ausgestrahlt wird. Am 4. August erscheint eine weitere Stellungnahme in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Vorschau: 28. Oktober und 25. November: Der RDR trifft sich in Mannheim. *Aus Platzgründen wird das Wort „Rechtschreibreform“ als RSR abgekürzt, „Kultusministerkonferenz“ als KMK, „Rat für deutsche Rechtschreibung“ als RDR. Die Zeittafel seit dem 1. Januar 2004 ist in DSW 16 bis 20 jeweils auf Seite 4 wiedergegeben. ner verwechselt Auseinandersetzung und Kritik mit Beschimpfung. Die Reformer machen angeblich „wissenschaftlichen Unsinn“ (Seite 8), produzieren „Dummitäten“ und „linkische Umschreibungen“ (Seite 20), arbeiten mit „Taschenspielertricks“ (Seite 43); ihre „reaktionäre Reform“ (Seite 30) verrät einen „unreifen Schülerstandpunkt“ (Seite 34). In dem Buch „Die Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich“ fragt Ickler: „Wer hatte die neuen Regeln überhaupt ausgeheckt?“ Eine Presseerklärung des Instituts für deutsche Sprache (IdS) in Mannheim ist „von beispielloser Arroganz“ (Seite 23). Ein Mitarbeiter des IdS sei „in letzter Zeit durch unqualifizierte Äußerungen zur Reform auffällig geworden“ (Seite 121). In einer Zwischenbilanz behauptet Ickler: „Statt dessen enthält das Regelwerk allerlei Firlefanz in Randbereichen, vor allem durch die mehr oder weniger lächerlichen Volksetymologien, die das Steckenpferd eines einzelnen Reformers waren, nun aber einer Sprachgemeinschaft von neunzig Millionen aufgenötigt werden“ (Seite 127). Ickler wirft den Reformern „irreführende Machenschaften“ (Seite 166) vor. Weitere Beschimpfungen lauten: „kulturfeindliche Vernichtung von spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten“ und „irreführendes Etikett einer liberalen Deregulierung“ (Seite 181). Kein „menschenverachtendes Massenexperiment“ Das Bemühen, die Reformer in die Nähe der NS-Politik zu rücken und sie dadurch zu disqualifizieren, dokumentiert sich auch in dem an den Vorsitzenden der neuen Rechtschreib-Kommission schriftlich vorgetragenen Ziel Icklers, „das menschenverachtende Massenexperiment“ Rechtschreibreform endlich zu stoppen. Eine solche Formulierung soll in manipulativer Absicht ganz bestimmte Assoziationen wecken und geht über das Maß üblicher Polemik und sogar über das Maß üblicher Beschimpfungen weit hinaus. Es ist ungeheuerlich, alle an der Rechtschreibreform Beteiligten (einschließlich der Kultusminister, die immerhin den Auftrag erteilten) als solche zu bezeichnen, die ein „menschenverachtendes Massenexperiment“ veranlaßt oder sich an ihm beteiligt haben. Das führte dazu, daß einige Reformer eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Ickler ablehnen. Alle Leser und Hörer von Augst bis Zehetmair waren über diese Formulierung schockiert. Im Rahmen der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 2. Juni 1997 in Bonn machte der Erlanger Hochschullehrer noch den Versuch einer Entschuldigung, indem er sinngemäß erklärte, die Formulierung sei wohl etwas zu hart ausgefallen. Inzwischen hat der Autor diesbezügliche Skrupel längst überwunden: „Die Rechtschreibreform ist ein menschenverachtendes Massenexperiment. Ich sehe in dieser Behauptung ... keineswegs eine mißglückte Formulierung, für die ich mich entschuldigen müßte ... Nicht ich will bestimmte Assoziationen wecken, sondern Augst wollte und will das, was man schon daran sehen kann, daß die Nazis, auf die ich angeblich anspiele (mir war das ganz neu!), nicht für menschenverachtende Massenexperimente bekannt sind. Welche sollten das denn sein?“ (Brief vom 18. Juli 1997) Man fragt sich, worüber man sich als Leser dieser Erklärung mehr wundern soll – über die gespielte Naivität oder die offensichtlich fehlenden Geschichtskenntnisse des Erlanger Hochschullehrers. Wann werden sich die Reformkritiker Denk und Ickler für ihre sprachlichen Entgleisungen endlich einmal entschuldigen? Hermann Zabel wurde 1935 in Hagen geboren. Er ist emeritierter Professor der deutschen Sprache und ihrer Didaktik an der Universität Dortmund. Zabel begleitete wissenschaftlich den Gesamtschulversuch Nordrhein-Westfalens. Seit 1974 setzte er sich für die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung ein. Von 1980 bis 1996 war er für die Gesellschaft für deutsche Sprache Mitglied der Kommission für Rechtschreibfragen am Institut für deutsche Sprache in Mannheim; außerdem Mitglied des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie. Neben seiner Hochschultätigkeit hat sich Hermann Zabel in der Region Hagen jahrelang ehrenamtlich für die Erforschung und Erhaltung des jüdischen Erbes eingesetzt. Dafür erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Ausgewählte Schriften Hermann Zabel (Hrg.), Keine Wüteriche am Werk. Berichte und Dokumente zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, Reiner-Padligur-Verlag, Hagen 1996, 448 Seiten, Tb., 19,90 Euro. Hermann Zabel, Widerworte – „Lieber Herr Grass, Ihre Aufregung ist unbegründet“. Antworten an Gegner und Kritiker der Rechtschreibreform, Shaker-Verlag, Aachen 1997, 184 Seiten, 12,45 Euro. Alexander Siegner (Hrg.), Rechtschreibreform auf dem Prüfstand. Beiträge von Reiner Kunze, Stephanus Peil und Theodor Ickler, LeibnizVerlag, St. Goar 1997, 56 Seiten, kart., 2,00 Euro. Theodor Ickler, Die Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich, Leibniz-Verlag, St. Goar 1997, 200 Seiten, kart., 9,90 Euro. Theodor Ickler, Rechtschreibreform in der Sackgasse. Neue Dokumente und Kommentare, Leibniz-Verlag, St. Goar 2004, 276 Seiten, kart., 18,00 Euro. Die Bücher können Sie über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT bestellen. Einen Bestellschein finden Sie auf Seite 8! Leserdienst Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Seite 5 Für Sie Für gutes Deutsch im Einsatz die Einheit von Sprache und Musik“ / Streit um Jelinek (Leserstimmen) / Dagmar Schmauks: Blutarme Philosophie? 18 20. Dezember 2004 Liebe Leser! Lieferbare Ausgaben Unsere Sprachzeitung ist unabhängig. Hinter uns steht kein großer Verlag und keine dicke Brieftasche. Wir erhalten auch keine Förderung aus öffentlichen Mitteln. Die Zeitung lebt von freiwilliger Mitarbeit. Vor allem Sie, liebe Leser, bilden das Rückgrat dieser Zeitung: mit Ihren Einsendungen, Beiträgen, Bestellungen und nicht zuletzt mit Ihren Spenden. Nur mit Ihrer Hilfe können wir weitermachen. Bitte schicken Sie uns Anschriften möglicher neuer Leser. Nur gemeinsam können wir unser Ziel erreichen, die DEUTSCHE SPRACHWELT zu erhalten und zu gestalten. 21 Herbst 2005 Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende. Überweisungen innerhalb des Euroraums kosten keine Gebühren mehr! Verein für Sprachpflege e.V. Bundesrepublik Deutschland Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Bankleitzahl 763 500 00 Kontonummer 400 1957 BIC: BYLADEM1ERH IBAN: DE63763500000004001957 Republik Österreich Volksbank Salzburg Bankleitzahl 45010 Kontonummer 000 150 623 20 Sommer 2005 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Fünf Jahre Sprachpflege mit der DEUTSCHEN SPRACHWELT / Joachim Gerd Ulrich, Verena Eberhard, Andreas Krewerth: Jugendliche mögen keine verenglischten Berufsbezeichnungen / Die DEUTSCHE SPRACHWELT auf der Leipziger Buchmesse 2005 / Andreas Ehmer: Zur Geschichte und Bedeutung der deutschen Sprachgesellschaften / Oskar Lafontaine: Korruption des Denkens / Alexander Glück: Deutsches Wörterbuch von Hermann Paul / Reiner Kunze: Verheertes Terrain / Peter Lehmann: Die Hinterfrage – ein Fragment / Richard G. Kerschhofer: Unsere lieben Linge / Hans Binder: Schillers Tod – ein Kriminalfall (1) / Fritz-Jürgen Schaarschuh: Das üble F-Wort / Franz Firla: Ein Ständchen für die DSW / Wilhelm Deinert: Brückenbauers Lust 19 Frühling 2005 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Die Sprache ist uns ein Spiegel: Zum 200. Todestag Friedrich Schillers / Rüdiger Safranski: Wille als Weg zur Freiheit: Vor 200 Jahren starb Friedrich Schiller / Hans-Manfred Niedetzky: Corporate Dummschwätzer / Dieter J. Baumgart: Sprachgebeutelte Weiblichkeit / Franz Firla: Vom Lernen lernen zum Wissen wissen (Glosse) / Thomas Paulwitz: DSW-Fastenaktion: 40 Tage quasselfrei / Frank Fojtik: „Über Unter anderem: Thomas Paulwitz: Deutsch macht erfolgreich / Wolfgang Haße: Ärzte gegen Anglisierung / Rominte van Thiel: Erfahrungen und Ansichten einer Korrektorin (2) / Manfred Riebe: Rettet die deutsche Sprache / Diethold Tietz: Achtung, Phrasenalarm / HansManfred Niedetzky: Michel schlägt zurück / Franz Firla: Nobell geht die Welt zugrunde (Glosse) / Wolfgang Hildebrandt: Sprachnotstand in der Schule / Richard G. Kerschhofer: „Ein Preis gegen Österreich“ / HansManfred Niedetzky: Wir feiern besinnliche Weihnachten / Dagmar Schmauks: Wir leben in einer Schweinewelt 17 20. September 2004 Unter anderem: Thomas Paulwitz: Endet der „Missstand“? / Christian Wulff: Die Rechtschreibreform muß vom Tisch! / Rominte van Thiel: Erfahrungen und Ansichten einer Korrektorin (1) / Fragen an Schulbuchverlegerin Karin Pfeiffer-Stolz / Frank Fojtik: Richard Wagners Meistersinger als Warnung vor dem Sprachverfall? / Franz Firla: Dichtung und Wahrheit (Glosse) / Raphael Mankau: Schönfärbereien und Verharmlosungen im Umweltschutz / Werner Kügel: Über Fraktur und Kurrentschrift / Thomas Paulwitz: Sprechen Sie Österreichisch? / Hans-Manfred Niedetzky: X-mas, nein danke / Thomas Paulwitz: Die Sprache der Fernsehsprecher bei der Fußball-Europameisterschaft Lieferbar sind auch noch die Ausgaben 1 bis 16 – bis auf Ausgabe 5, die Sie sich jedoch als PDF aus dem Netz herunterladen können. Die Inhaltsverzeichnisse sämtlicher Ausgaben finden Sie unter www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/ papier/index.shtml. Sprachwelt-Mitarbeiter Werner E. Oemke Ohne freiwillige Mitarbeit kann die DEUTSCHE SPRACHWELT nicht überleben. Wir stellen Ihnen in lockerer Folge unsere fleißigen Helfer im Hintergrund vor. bestellungen und Probeexemplare der DEUTSCHEN SPRACHWELT ordentlich verschickt werden. Dabei handelt es sich um eine der wenigen Tätigkeiten bei der DSW, für die nicht unbedingt ein Rechner erforderr war Spieler, Trainer, Schieds- lich ist. Werner E. Oemkes große Errichter und Verbandsfunktionär fahrung ist eine Bereicherung für die im Handball. Auch im Fußball, Bo- DSW. Gewissenhaft und zuverlässig xen oder in der Leichtathletik, sowie erfüllt er den Nachversand als einer, in vielen anderen der immer mitdenkt. Sportarten, übte er Selbst als er sich vor Ehrenämter aus. Dawenigen Wochen neben hat er schon den Arm gebroimmer eine Neigung chen hatte, stand er zum Einsatz für die schon bald wieder Kultur; nicht zuletzt für die DEUTSCHE für die deutsche SPRACHWELT im Sprache, zum BeiEinsatz. Bei RedakSpielt selbst mit Gips noch Handspiel im Verein Deut- ball und ist für die DSW im Einsatz: tionsschluß erreichsche Sprache oder im Werner E. Oemke (links) te uns die Nachricht, Bild: Werner E. Oemke Verein für deutsche daß sich Oemke nun Rechtschreibung und Sprachpfle- auch noch den Oberschenkel gebroge. Insgesamt 133 Ehrenämter zählt chen hat. Über Genesungswünsche Werner E. Oemke auf. Nun ist dem freut sich der fleißige Sprachweltgelernten Industriekaufmann ein wei- Mitarbeiter bestimmt. Schreiben Sie teres wichtiges Amt zugefallen: Seit entweder an die DSW oder direkt an knapp einem halben Jahr sorgt der Herrn Werner E. Oemke, Postplatz 5, gebürtige Ostpreuße dafür, daß Nach- D-88633 Heiligenberg. (pau) E Die zehn sprachpolitischen Forderungen 1. Deutsch muß im öffentlichen Raum die vorrangige Sprache sein. 2. Die Unterrichtssprache in Schulen und Hochschulen ist Deutsch. Deutsch muß nationale Wissenschaftssprache sein. 3. Die deutsche Rechtschreibung muß einheitlich geregelt sein. 4. Deutsch muß in der Europäischen Union Arbeits- und Veröffentlichungssprache sein. 5. Die deutschen Mundarten und die deutsche Schrift sind besonders zu schützen. 6. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist Voraussetzung für Einbürgerung und langfristigen Aufenthalt. 7. Bildung und Familie müssen gefördert werden, um die deutsche Sprache zu stärken. 8. Die deutsche Sprache muß auch im Ausland gefördert werden. 9. Die deutsche Sprache ist vor politischem Mißbrauch zu schützen. 10. Ein neuer Deutscher Sprachrat betreut die Erfüllung dieser Forderungen. Mehr auf unserer Netzseite www.deutsche-sprachwelt.de/forderungen.shtml Bitte deutlich schreiben! Unterstützen Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT. Sie haben drei Möglichkeiten: 1. Die Spende 2. Die Bestellung 3. Die Empfehlung Bitte nutzen Sie den beigelegten Zahlschein für Ihre Spende. Mit einer Einzugsermächtigung ersparen Sie sich den Gang zur Bank. Über die Einrichtung von Daueraufträgen freuen wir uns sehr. Grundsätzlich geben wir die Zeitungen kostenlos ab, doch bitten wir um eine Spende zur Deckung unserer Kosten auf das Konto des Vereins für Sprachpflege e. V. Bitte senden Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT auch an: n Einzugsermächtigung Zur Erhaltung der DEUTSCHEN SPRACHWELT möchte ich den Verein für Sprachpflege e. V. regelmäßig unterstützen. Darum ermächtige ich diesen Verein, einmalig - vierteljährlich - halbjährlich - jährlich [Nichtzutreffendes bitte durchstreichen] einen Betrag von EURO von meinem Konto abzubuchen. Diese Einzugsermächtigung kann ich jederzeit widerrufen. n regelmäßiger Bezug Bitte senden Sie mir regelmäßig die DEUTSCHE SPRACHWELT. Ich verpflichte mich zu nichts. Wenn mir die Zeitung gefällt, werde ich sie mit einer Spende unterstützen. Ich kann sie jederzeit abbestellen. n Mehrfachbezug Ich besitze eine Arztpraxis oder habe eine andere Gelegenheit, die DSW auszulegen. Bitte schicken Sie mir von jeder neuen Ausgabe Stück n Nachbestellung Bitte liefern Sie mir von den bereits erschienenen Ausgaben Bank Bankleitzahl Kontonummer Datum und Unterschrift Meine Anschrift Stück der Ausgabe(n) 1 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 2 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 3 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 4 Name, Vorname Stück der Ausgabe(n) Straße, Postleitzahl und Ort Bitte liefern Sie mir kostenlos Stück der Sonderausgabe zur Leipziger Buchmesse 2003. Schicken Sie den ausgefüllten Bestellschein bitte an: DEUTSCHE SPRACHWELT, Postfach 1449, D-91004 Erlangen 5 Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort 6 Name, Vorname Geburtsdatum Straße Postleitzahl und Ort Name, Vorname Straße, Postleitzahl und Ort Sprachgeschichte Seite 6 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Kann man Rechtschreibung reformieren? Die Hochsprache als kulturelles Verständigungsmittel Von Robert Mildenberger R echtschreibung ist die Gewährleistung einer überepochalen Kommunikation. Ein Kulturverband wird durch einen gemeinsamen, über die persönliche Lebensgrenze der Kulturträger räumlich und zeitlich hinausgehenden verbindlichen geistigen Besitz konstituiert. Bildung bedeutet die Fähigkeit, an diesem geistigen Besitz selbständig und unmittelbar teilzuhaben. Dieser geistige Besitz besteht vorrangig in Schriftwerken. In ihnen ist Dichtung und Philosophie, für eine Kultur bestimmender als Musik und Malerei, niedergelegt. Damit diese Schriftwerke dauerhaft verständlich bleiben, muß ihre Sprache vor dem natürlichen Sprachwandel geschützt werden, der schon nach etwa drei Generationen die überepochale Verständigung beeinträchtigt. Eine vor Sprachwandel geschützte Sprache ist eine klassische oder eine Hochsprache. Klassische Sprachen unseres Kulturkreises im ausgezeichneten Sinn des Wortes sind Latein, Griechisch und Hebräisch. Hochsprachen entstanden in den Nationalkulturen des Mittelalters und der Neuzeit. Sie wurden von Gelehrten normiert. Kanon einheitsstiftender Texte Die Gelehrten älterer Hochsprachen wie zum Beispiel Französisch und Italienisch gingen genauso vor wie die Gelehrten, die im antiken Alexandria die Schreibung des Griechischen oder im mittelalterlichen Tiberias die Schreibung des Hebräischen festlegten: Ihnen lag ein Kanon von für ihren Kulturkreis einheitsstiftenden Texten vor, und sie beschrieben ihre grammatischen, semantischen und orthographischen Gesetze. Dies geschah mit einer doppelten Absicht: erstens zur Gewährleistung künftiger Verständlichkeit und unbeeinträchtigter Weitergabe dieser Schriften Abschied von der Hochsprache? (rezeptiver Zweck), zweitens zur Befähigung der Kulturteilnehmer zur Erstellung neuen, zur Beständigkeit befähigten geistigen Besitzes in demselben Kulturverband (produktiver Zweck). Ein Beispiel für die faktische Kraft des Normativen: Schon im 14. Jahrhundert erkannte man in Italien, daß mit den toskanischen Dichtern Dante, Petrarca und Boccaccio eine nicht zu überbietende intellektuelle und sprachliche Leistung von normativer Qualität vorlag. Wie kein Musiker an Bach vorbeikommt, waren für alle späteren Literaten der Apenninenhalbinsel gründliche Kenntnisse der genannten Dichter unumgänglich. Noch lange vor der Gründung des italienischen Nationalstaats 1861 dichteten Klassiker wie Ariost und Goldoni in toskanischer Hochsprache, die erst seit der Staatsgründung die Nationalsprache Italienisch ist. Das etymologische Prinzip Ein Aspekt des Hochsprachschutzes ist die Einhaltung des etymologischen Prinzips. Schon die alexandrinischen Gelehrten im 3. Jahrhundert v. Chr. legten eine Schreibung der griechischen Hochsprache fest, die von der aktuellen Aussprache abwich. Die damals aktuelle Aussprache unterschied zum Beispiel nicht mehr, wie wir aus Papyrusbeschriftungen nicht hochsprachlich Gebildeter wissen, zwischen den klassisch-griechischen Lauten [e:], [ei] und [i]. Die Gelehrten hielten es jedoch für richtig, daß die Hochsprache so geschrieben würde, wie die Klassiker sie zu Lebzeiten ausgesprochen hatten. Dasselbe fand in Rom nach der Normierung des Lateinischen durch Aelius Stilo Praeconinus, den Lateinlehrer Ciceros, statt. Schon pompejanische Inschriften beweisen, daß man Latein vier Generationen später Daß man überhaupt nach der Einlösung der Forderung des großen Leibniz (in: „Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache“ und „Ermahnung an die Deutschen, ihren Verstand und ihre Sprache besser zu üben“) durch Konrad Duden die Rechtschreibung in Frage stellt – die Rechtschreibreform ist nach Durchbrechung des hochsprachlichen Unveränderkeitsgrundsatzes beliebig oft wiederholbar geworden –, heißt, daß wir auch die Hochsprachlichkeit und somit ein wichtiges kulturelles Integrationsmoment gefährden. Nach dem Wörterbuch zu schreiben ist für die heutigen Schüler zum Glücksspiel geworden. Was heute als richtig gilt, kann morgen schon wieder als falsch gewertet werden. Bild: obs/Wissen-Media-Verlag Verlag Bertelsmann anders aussprach. In der Normierung des Französischen ging man im 17. Jahrhundert so weit, daß man dem damals doit („Finger“) geschriebenen Wort nach dem „i“ ein „g“ einfügte, damit es an seinen lateinischen Ursprung (digitus) erinnerte Verkehrssprache und Hochsprache Die Begründung des etymolgischen Prinzips ist einfach: Bevor durch eine besondere politische und kulturelle Leistung eine Sprache zur Hochsprache erhoben wird, folgt ihre Schreibung einem phonetischen Prinzip. Bevor zum Beispiel Attisch im 3. Jahrhundert v. Chr. zur griechischen Hochsprache wurde, beschrifteten attische Töpfer ihre Vasen mit Schriftzeichen, die exakt dem jeweiligen muttersprachlichen Laut entsprachen. Erst die Fixierung einer Sprache als Hochsprache, die gegen Anzeigen INFORMATIK FÜR MENSCHEN Gibt es einen Weg, die MUTTERSPRACHEN in Deutschland, Europa und der Welt noch vor der ökonomischen, kulturellen, wissenschaftlichen Vorherrschaft des Global-Englischen und damit vor ihrem beschleunigten Aussterben zu bewahren? Es gibt ihn: eine verblüffende technische Neuerung von verantwortungsvollen Erfindern. Es wird höchste Zeit! Sympathisanten und Förderer gesucht von der GESELLSCHAFT FÜR MATHEMATISCHE INTELLIGENZ Tel.: 0351-836 5590, Epost: [email protected] www.mathematische-intelligenz.de Es ist noch nicht zu spät für eine vernünftige Reform! Die Kultusminister scheinen nicht zu wissen, wie fehlerhaft auch das an der Reform ist, was sie als „unstrittig“ bezeichnen. Lesen Sie die Broschüre Rechtschreibreform – so nicht! Ein „offener Brief“ an die Kultusminister, der seit drei Jahren ohne Antwort blieb. Zu bestellen für EUR 9,50 frei Haus bei der Arbeitsgemeinschaft für deutsche Sprache eV, Fruchtallee 108, 20259 Hamburg, Telefon/Fax 040/49 222 316. Siegtraut Tesdorff Literaturpreis 1961 von Uruguay und „Member Who is Who“ Texte voller Flöhe, Bd. I und II 160 bzw. 240 Seiten, gebunden, je Euro 10,Frieling Verlag, Berlin (über jede Buchhandlung erhältlich) den Sprachwandel immun sein soll, erzeugt den Unterschied zwischen Schreibung und Aussprache. Eine Hochsprache für orthographisch reformbedürftig zu halten, zeugt von der Verkennung der Funktion der Hochsprache: Sie ist, anders als die gesprochene Sprache, kein natürliches (transregionales), sondern ein kulturelles (transepochales) Verständigungsmittel. Die relative Ähnlichkeit von wandelbarer Verkehrsprache und unwandelbarer Hochsprache begünstigt in der ersten Zeit nach der Festlegung der Hochsprache diese Verkennung, besonders bei einer relativ jungen Hochsprache wie dem Deutschen. Gefahr des Identitätsverlustes In anderen Ländern ist die Divergenz zwischen Volks- und Hochsprache verringert, weil im Zug nationaler Einigungsbewegungen die neuen Bürger die Hochsprache als Fremdsprache lernen mußten. So sprach man südlich der Loire bis zum Ende des Mittelalters keinen französischen Dialekt, sondern eine andere romanische Sprache, die eng mit dem Katalanischen verwandt war (Okzitanisch). Die sehr erfolgreiche Sprachpolitik westeuropäischer Länder hat dazu geführt, daß sich noch heute die Sprecher an der Norm orientieren, nicht die Norm an den Sprechern. Weder im antiken Alexandria noch im modernen Paris – auch nicht in dem der Revolutionäre! – wäre der Gedanke aufgekommen, eine einmal stattgefundene Sprachnormierung – und Rechtschreibnormierung ist ein unentbehrlicher Teil davon – rückgängig zu machen, weil dies der Ausdruck eines kulturellen Identitätsverlustes wäre. Wo in der deutschen Geschichte eine Schwäche des politischen Kulturschutzes bemerkbar wurde, etwa nach dem Ende der Karolingerzeit oder im kriegsreichen 17. Jahrhundert, wichen die Gebildeten auf fremde Hochsprachen aus, etwa aufs Lateinische (auch in weltlichen Textes des frühen Hochmittelalters) oder aufs Französische (17. Jahrhundert). In dem Augenblick, in dem wir uns von unserer Hochsprache verabschieden, beginnen Kant und Des Knaben Wunderhorn zu verstummen. Noch Anfang der neunziger Jahre hatte ich einen koreanischen Kommilitonen, der nur wegen Kant Deutsch gelernt hatte. Wir gestehen durch die Rechtschreibreform ein, daß wir uns von unserem nationalen geistigen Erbe losgekoppelt haben. Sprachpolitik ist notwendig Es gibt für diese Krise nur zwei Lösungen: Entweder verleihen Sprachund Schulpolitik der deutschen Hochsprache und ihren Texten die alte Geltung, oder der aktive Kulturteilnehmer verabschiedet sich in Kulturkreise, die als solche noch erkennbar sind. In jedem isländischen Haushalt steht eine Gesamtausgabe der Edda. In einem lothringischen Dorf traf ich 2003 eine Pensionswirtin, die Molièreverse aufsagen konnte. Von der Politik darf man nicht zuviel erwarten, seitdem Heide Simonis sich autokratisch über die Ablehnung der Rechtschreibreform durch ihre damaligen Landeskinder hinwegsetzte. Ferner untergräbt unser typisches nationales Minderwertigkeitsgefühl das Vermögen, in der Muttersprache einen Wert zu sehen. Vorläufig müssen sich die an ihrem kulturellen Überleben interessierten Deutschen darauf einrichten, zu Gefangenen im eigenen Haus zu werden. Tröstlich ist jedoch, daß wir schon mehrere kulturelle Eiszeiten überlebt haben: Nach einer über hundertjährigen Unterbrechung standardsprachlicher Literatur entstand in der Stauferzeit auf der Basis des Alemannischen wieder eine deutsche Literatursprache; nach der schrecklichen Alternative zwischen Barbarei und Franzosentum erwachte im 17. Jahrhundert wieder Interesse an der deutschen Sprache in Form von Sprach- und Dichtungsgesellschaften. Es ist zu hoffen, daß das Schillerjahr neue Impulse gibt, denn man hängt in dem Maß an der Hochsprache, wie man an den in ihr geäußerten Einsichten hängt. Robert Mildenberger (Jahrgang 1964) ist Studienrat an einem Mainzer Gymnasium. Er unterrichtet die Fächer Griechisch, Latein und Philosophie. Sprachpolitik Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Seite 7 „Es geht um die Demokratisierung der Behördensprache!“ Von der Schwierigkeit der Verwaltung, die richtigen Wörter zu finden Fragen an Hermann Zabel und Christoph Mordziol W er füllt schon gerne amtliche Formulare aus? Die Scheu vor dem Umgang mit den Behörden hat nicht zuletzt damit zu tun, daß diese häufig eine Sprache verwenden, die dem Bürger fremd ist und verstaubtleblos erscheint. Die DEUTSCHE SPRACHWELT sprach mit Germanistik-Professor Hermann Zabel und mit Christoph Mordziol, dem Begründer der Netz-Datenbank www. woerterfinden.de. Die Fragen stellte Thomas Paulwitz. Herr Professor Zabel, Sie leiten den Arbeitskreis „Behördensprache“. Dann können Sie mir sicher sagen, was eine Grunddienstbarkeitsbewilligungserklärung und ein Brandüberschlagsweg ist? CDU-Generalsekretär Volker Kauder meint, „daß die Behördensprache nicht auf dem Musenhügel Parnaß erfunden wurde, sondern auf dem Berg Sinai. Ihr erster Zweck ist nicht Schönheit, sondern die Notwendigkeit, komplexe Sachverhalte in eine verbindliche sprachliche Form zu fassen.“ Stellen Schönheit und Genauigkeit wirklich einen Gegensatz dar? Zabel: Nein! Ist eine schwerverständliche Behördensprache nicht auch ein Zeichen dafür, daß die Verwaltung den Bürger weniger als Kunden, sondern eher als Bittsteller ansieht? Zabel: Diese Frage trifft genau in das Zentrum der Problematik! Zugespitzt gesagt: Es geht um eine vom Grundgesetz her gebotene „Demokratisierung der Behördensprache“. Mitglieder von Behörden besitzen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die Rat, Auskunft und Hilfe erwarten, in jedem Fall einen Informationsvorsprung und damit auch eine Machtposition. Bewußt oder unbewußt eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, die fragenden und um Hilfe nachsuchenden Bürger wie im Untertanenstaat als Bittsteller zu Hermann Zabel ist emeritierter Professor der deutschen Sprache und ihrer Didaktik an der Universität Dortmund und leitet den Arbeitskreis „Behördensprache“ im Verein Deutsche Sprache. Außerdem ist er Vorsitzender des Zweiges Dortmund der Gesellschaft für deutsche Sprache. Hermann Zabel: Nein, leider nicht! Ich müßte Lexika und Wörterbücher zu Rate ziehen, um die Bedeutung der Komposita zu ermitteln. Allerdings bin ich nicht sicher, ob die Wörter in Wörterbüchern und Lexika überhaupt verzeichnet sind. Ich vermute, daß es sich bei den Monsterwörtern um Erfindungen sprachmächtiger Bürokraten handelt. Laut „Gemeinsamer Geschäftsordnung der Bundesministerien“, Paragraph 42, Absatz 5, müssen Gesetzentwürfe „sprachlich richtig und möglichst für jedermann verständlich“ sein und sind „grundsätzlich dem Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Deutschen Bundestag zur Prüfung auf ihre sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit zuzuleiten“. Es gibt Empfehlungen des Bundesjustizministeriums aus dem Jahr 1999 für das Formulieren von Rechtsvorschriften. Ein Arbeitshandbuch des Bundesverwaltungsamtes soll „Bürgernahe Verwaltungssprache“ fördern. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Zabel: Die sprachliche Wirklichkeit im Bereich der Behördensprache läßt sich nicht allgemein beschreiben. Es gibt erfreuliche und förderungswürdige Ansätze in der öffentlichen Verwaltung, Verstehens- und Verständigungsprobleme abzubauen. In manchen Behörden besteht ein Widerspruch zwischen dem Ziel, Barrieren abzubauen, und der Realität. Es gibt aber auch Verwaltungen, in denen mit Bezug auf die sprachliche Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern das notwendige Maß an sprachlicher Sensibilität noch entwickelt werden muß. Pilotprojekt für besseres Amtsdeutsch „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, 1. in einem Bundesministerium ein Pilotprojekt für ein besser verständliches Amtsdeutsch durchzuführen; 2. Initiativen zur Anwendung von verständlichem Deutsch in allen Bundesbehörden zu ergreifen und dafür zu sorgen, daß die Regeln hierfür umgesetzt werden; 3. einen für alle Beschäftigten der Bundesministerien und Bundesbehörden geltenden Selbstverpflichtungskatalog zu erarbeiten, damit beim Verfassen von Gesetzestexten, Verordnungen und Behördenschreiben eine möglichst leicht verständliche und nachvollziehbare Sprache verwendet wird. Berlin, den 9. November 2004“ Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Drucksache 15/4154 behandeln. In einem demokratischen Gemeinwesen hingegen hat der Bürger gegenüber der Verwaltung ein Recht auf verständliche Beratung und Auskunft. Daher darf er von einer Behörde nicht als Bittsteller, der um einen Gnadenerweis bettelt, eingestuft werden. – Ein besonderes Kapitel stellt die „sprachliche Behandlung“ von Bürgerinnen und Bürgern nicht-deutscher Muttersprache dar. Darauf einzugehen würde aber den Rahmen dieses Interviews sprengen. Was können Gesetzgeber und Behörden tun, um verständlicher zu werden, ohne Ungenauigkeiten zu schaffen? Zabel: Der Gesetzgeber kann den Prozeß der Demokratisierung der Behördensprache durch entsprechende Empfehlungen fördern. Wichtiger aber dürfte es sein, daß Behörden und Verwaltungen mit Bezug auf den sprachlichen Umgang mit ihren „Kunden“ in regelmäßigen Abständen Fortbildungsveranstaltungen anbieten und durchführen. Bekanntlich gibt es in diesem Feld erfahrene und erfolgreiche Trainerinnen und Trainer. Wie beurteilen Sie den von Gerhard H. Junker herausgegebenen „Anglizismen-Index“? Kann dieser in einer Netz- und einer Buchfassung vorliegende Index dazu beitragen, die Behördensprache verständlicher zu machen? Zabel: Der Index kann, bezogen auf die inflationär angewachsene Zahl von Anglizismen, gute Dienste leisten, zumal die Netzversion den Schreiberinnen und Schreibern, die sich eines Rechners bedienen, sehr entgegenkommt. Für die Vermeidung überflüssiger Anglizismen sind auch die Bücher von Thomas Paulwitz / Stefan Micko („Engleutsch? Nein danke!“) und Reiner Pogarell / Markus Schröder („Wörterbuch überflüssiger Anglizismen“) zu empfehlen. Allerdings decken die Anglizismen nur eine Sektion des Gesamtfeldes „Behördensprache“ ab. Was kann der einzelne tun, um sich gegen die Zumutung von Behördenkauderwelsch zu wehren? Zabel: Der Bürger kann sich gegen die Unverständlichkeit der Behördensprache zur Wehr setzen, indem er auf seinem Recht besteht, verständlich informiert zu werden. Er kann dieses Recht in jedem konkreten Fall mündlich oder schriftlich fordern. Er kann aber auch, zum Beispiel in Leserbriefen, die Öffentlichkeit auf bestimmte Formen der Behördensprache aufmerksam machen und ein bürgerfreundliches Sprechen und Schreiben anmahnen. Hilfe für besseres Deutsch Herr Mordziol, Sie haben schlechter Behördensprache den Kampf angesagt und eine Suchmaschine für gutes Deutsch entwickelt (www. woerterfinden.de). Wie sind Sie auf diesen Einfall gekommen? der DEUTSCHEN SPRACHWELT verbreitet wird. Neben Entsprechungen für Anglizismen werden auch Christoph Mordziol: Schlechte Be- Vorschläge für Fremdwörter aus hördensprache ist leider weit verbrei- anderen Sprachen und für schwer tet; ob als Kanzlei- oder verständliches AmtsSeifenblasendeutsch. Christoph Mordziol hat in deutsch eingearbeiDerlei Unverständlichem Zusammenarbeit mit dem tet. und Schleierhaftem sind Initiativkreis „Gute sprachwir auch über die Wer- liche Praxis“ im Umwelt- Welches sind die bung oder die Medien bundesamt die Datenbank Ziele von www. ausgesetzt. Deshalb geht www.woerterfinden.de er- woerterfinden.de? es mir grundsätzlich um stellt. Für den Inhalt und die An wen richtet sich Klarheit in der Sprache. Datenauswahl ist Mordziol das NachschlageAls ich Schüler war, allein verantwortlich. Dem werk? wurde mein Telegramm- Initiativkreis gehört auch stil bemängelt. Ich än- Hermann H. Dieter an, Vor- Mordziol: Der Netzderte mich und war irstandort www. standsmitglied im Verein gendwann stolz darauf, wörterfinden.de, der Bandwurmsätze bilden Deutsche Sprache. auch über www. zu können. Später aber, woerterfinden.de als Handwerkslehrling im Umgang zu erreichen ist, soll helfen, fremde mit Studenten und Studierten, stör- Texte besser zu verstehen und eigete mich eine Sprache, die durch ihre ne Texte in einem klaren Deutsch zu Abgehobenheit zu glänzen versucht: verfassen. Dem dient zum einen die „Der sozioökonomische Grund- Datenbank; sie soll vor allem all dewiderspruch impliziert ubiquitäre nen eine Hilfe sein, die in der Eile des Insuffizienzen evidenter Eminenz, Berufsalltages keine Zeit für langes respektive cerebraler Intumeszenz“. Stöbern haben. Zum anderen werden weiterführende Informationen angeboten, vor allem über Verweise auf andere Netzstandorte. Herzstück des Netzstandortes ist die Datenbank. Sie enthält derzeit Erklärungen zu rund 2.200 Abkürzungen, davon etwa 1.800 zu Umweltthemen und Vorschläge zum Ersetzen von rund „Gesetzentwürfe müssen sprach2.800 Wörtern aus dem Englischlich richtig und möglichst für jedeutschen (Denglisch, Engleutsch). dermann verständlich gefaßt sein. Gesetzentwürfe sollen die GleichHerr Professor Zabel und Herr Mordstellung von Frauen und Männern ziol, vielen Dank für das Gespräch. sprachlich zum Ausdruck bringen. Gesetzentwürfe sind grundsätzlich dem Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache beim Ausgewählte Schriften Deutschen Bundestag zur Prüfung auf ihre sprachliche Richtigkeit und Gerhard H. Junker, Der Anglizismenindex, IFB-Verlag, Paderborn Verständlichkeit zuzuleiten.“ 2005, 254 Seiten, 22,00 Euro. § 42 (5) der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien Gesetze für jedermann verständlich Im Studium stieß ich mich an der zunehmenden, zwanghaften Anglisierung, und vor etwa zehn Jahren verfaßte ich mit einem Freund den Text für ein kleines Buch, in dem wir verschiedene Unzulänglichkeiten im Umgang mit der Sprache aufs Korn nahmen. Heute arbeite ich in einer Behörde und überarbeite immer wieder Texte, die veröffentlicht werden sollen: Studien, Broschüren and anderes. Dabei stoße ich immer wieder auf eine unklare Sprache. Hinweise, wie wir es besser machen können, gibt es viele. Sie sind aber auf zahlreiche Bücher, Listen und so weiter verteilt. Das erschwert das Suchen sehr. Wie ist die Datenbank entstanden und welche Pläne gibt es für die Zukunft? Mordziol: Der größte Teil der Daten stammt aus der Anglizismenliste des Vereins Deutsche Sprache. Als weitere Quelle dient das Wörterbuch „Engleutsch? Nein danke!“, das von Thomas Paulwitz / Stefan Micko, Engleutsch? Nein danke! Wie sag ich’s auf deutsch? Ein Volks-Wörterbuch, Erlangen/Wien 2000, 132 Seiten (Langfassung), 72 Seiten (Kurzfassung, nur 3,00 Euro!). Die Langfassung ist vergriffen. Weiterhin lieferbar ist jedoch die Kurzfassung! Die Bücher können Sie über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT bestellen. Einen Bestellschein finden Sie auf Seite 8! Anzeigen Silvia mag Fraktur Professione¬e Frakturxri#en für PC und MAC gibt e+ bei Delbanço Frakturxri#en 26189 Ahlhorn Poyfac 1110 Fernruf 0 44 35–13 13 Fernbild 0 44 35–36 23 E-Poy:delbanco.frakturschriften @t-online.de WeltneΩ: www.fraktur.com … und Sie? Fordern Sie unser 74seitige+ Scri#muyerhe# koyenfrei an! Besprechungen Seite 8 Von Heide Ullrich D Keine Schonzeit für Sprachböcke em Vorsitzenden einer Kreisjägerschaft geht die Verhunzung der deutschen Sprache durch das immer mehr um sich greifende Denglisch auf die Nerven. Als auch in Fachzeitschriften und Schreiben des Landesjagdverbandes immer öfter von Wildlife-Management, Hasenmonitoring, Crossover-Strategien und so weiter die Rede ist, platzt dem Vorsitzenden der Kragen. Am Landesjagdverband vorbei beschließt der Vorstand der besagten Kreisjägerschaft, einen Obmann zum Schutz der Jägersprache zu bestellen. Der bläst zur sehr erfolgreichen Jagd auf „Sprach-Böcke“, also auf Sprachverschandelungen verschiedener Art, und treibt damit nicht nur die Diskussion über Sprachpflege heftig an, sondern sorgt auch dafür, daß überflüssige Anglizismen verbannt und Verstöße dagegen mit zehn Mark je Sprachbock in die Vereinskasse geahndet werden. Empört reagieren Verbandsfunktionäre und Präsident. Sie lehnen den Antrag des Vorsitzenden der Kreisjägerschaft ab, auch auf Landes- und Bundesebene eine Stelle für Sprachpflege einzurichten. Die Wahlfreiheit in der Sprache müsse erhalten bleiben, Dirigismus sei tabu, heißt es von höchster Stelle. Doch als ein Jahr darauf der Präsident des Landesjagdverbandes auf einer Hegeschau seine Rede mit „Was für eine herrliche Location ...“ beginnt, wird er ausgebuht und mit „Bock! Bock! Bock!“-Rufen überschüttet. Der Kreisvorsitzende erklärt dem verdutzten Präsidenten, daß es auch für ihn keine Schonzeit für Sprachböcke gäbe. Und mit Genugtuung berichtet auf derselben Veranstaltung der Obmann für Sprachpflege der Kreisjägerschaft, daß so viele Sprach-Böcke geschossen wurden, daß am Jahresende stolze 1 000 Mark an den Verein zur Wahrung der deutschen Sprache gespendet werden konnten. Wieder einmal ist es Wolfram tin gelungen, eine Erzählung Anglizismen, Sprachverfall Spracherhaltung in einem Marüber und nicht Vaterlos und auf der Suche omane, die der deutschen im Krieg gefallen. Damit wird der R Nachkriegsbefindlichkeit an- Romanheld zum Schicksalsgenossen gemessen gerecht werden, erschei- von Millionen Deutschen der vaternen heutzutage nur noch selten und sind häufig mit einer verkrampften Handlung ausgestattet. Wir erinnern uns an Martin Walsers Roman „Verteidigung der Kindheit“, in dem der Anti-Held Alfred Dorn, vom ÖdipusKomplex besessen, krampfhaft die Vergangenheit zu bewahren sucht, weil die Zukunft für jeden Menschen letztlich doch nur den Tod verheißt. Anspruchsvoller und wirklichkeitsnäher ist hingegen Peter Fischers jetzt erschienener Erstlings-Roman „Der Schein“, dessen Hauptfigur Michael Sahlok keine durchgeknallte Type wie Dorn ist, sondern ein Kind seiner Zeit. Vielleicht war die Geschichte den größeren Verlagshäusern nicht „abgefahren“ genug, so daß sie in einem kleineren Verlag erscheinen mußte? Ein großer Verlag hätte mit dem „Schein“ sicher keinen Fehlgriff gemacht. Zwar geht es sowohl in Walsers wie auch in Fischers Roman um Vaterlosigkeit. Während jedoch Alfred Dorns Vater sich von der Familie getrennt hat, ist Michael Sahloks Vater losen Generation, und damit erhält der Roman seine Bedeutung für die deutsche Zeitgeschichte. Während Walsers Dorn zum bloßen Sammler und Festhalter von Geschichte wird, studiert Fischers Sahlok dieses Fach, um den Dingen auf den Grund zu gehen, den „Schein“ zu durchschauen. Das bringt ihn in Konflikt mit dem SED-Regime, das ihn nach mißlungener Republikflucht einsperrt. Das Palindrom Sahlok-Kohlhaas ist also nicht zufällig gewählt. Nicht nur an dieser Stelle scheint auch die Lebensgeschichte Fischers durch, der selbst aus politischen Gründen verhaftet und später von der Bundesrepublik freigekauft wurde. „Der Schein“ ist der erste Teil einer Trilogie. Der zweite Teil „Der Fall“, der das Schicksal Michael Sahloks vom Freikauf 1975 bis zum Mauerfall von 1989 verfolgt, ist noch nicht erschienen. Wir sind gespannt. (pau) Peter Fischer, Der Schein. Roman, Ludwigsfelder Verlagshaus, Ludwigsfelde 2004, 179 Seiten, 22,00 Euro. sprachbezogenen Sammelband zu veröffentlichen. Martin erzählt seine Geschichte „Keine Schonzeit für (Sprach-)Böcke“ auf bissige und amüsante Art zugleich. Trotz des ironischen Untertons bleibt seine Sorge um die Sprache immer klar erkennbar. Damit hält er die AnglizismenDiskussion wach, rüttelt heftig am Zeitgeist und macht dabei auch vor seinen Jagdgenossen und den Funktionären nicht halt. Ein Schuß Selbstironie fehlt in Martins Geschichte ebenfalls nicht. Glücklicherweise, muß man sagen, denn nicht nur in seiner, sondern auch in den anderen humorvollurigen Erzählungen der insgesamt acht Jagdautoren tummeln sich die Sprachböcke. Bei Formulierungen wie „einen Obmann für Sprachpflege eingerichtet“ oder „nicht freizeitfreudige Camper beherbergte dieser Bus, sondern eine Dame nebst Gewerbe“, hätte dem Sammelband ein aufmerksameres Lektorat gutgetan. Wenn es allerdings um Endlossätze mit vielen Einschüben geht oder um Wortungetüme wie Rotwildabschußrichtlinien, blaubeerkuchenblauer Leichnam, Abwurfstangenstreich oder gar Prüfungsabschlußbockhirschkeiler, schießen die Jagdautoren ohne Frage selbst den Bock ab. Wolfram Martin, Keine Schonzeit für (Sprach-)Böcke, in: Günter Huth (Hg.) Saudusel und Silvesterhase. Ungewöhnliche Geschichten bekannter Jagdautoren, LeopoldStocker-Verlag, Graz-Stuttgart 2005, 190 Seiten, 18,00 Euro. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 D Vortasten zur Sprachkritik ie Fehler von heute sind die Regeln von morgen.“ – „Leave your language alone.“ („Laßt eure Sprache in Ruhe.“) – „Die Aufgabe der Sprachwissenschaft ist nicht die Bewertung, sondern die Beschreibung ihres Gegenstandes.“ Dies sind seit den 1960er Jahren übliche Antworten von Sprachwissenschaftlern auf sprachkritische Fragen. Seit einigen Jahren aber haben Teile der Linguistik allmählich damit begonnen, ihre Vorbehalte gegenüber der Sprachkritik abzubauen. Sprachwissenschaftler denken darüber nach, wie sprachkritische Äußerungen in die Sprachwissenschaft eingebunden werden können. Es ist das Anliegen einer neuen sprachwissenschaftlichen Zeitschrift, dieser Diskussion ein Forum zu schaffen und für angewandte, linguistisch begründete Sprachkritik Raum zu bieten, die zu Sprachfragen von öffentlichem Interesse Stellung bezieht. Diese Zeitschrift heißt „Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur“. Aptum ist ein Begriff aus der antiken Rhetorik. Er bezeichnet die Angemessenheit sprachlicher Ausdrucksmittel in einer Rede, mit denen ein bestimmtes Verständigungsziel erreicht werden sollte. Der Titel ist Programm: Bemühungen um Sprachkultur und Sprachkritik, die sprachwissenschaftlich begründet sind, wollen sich nicht nach Kriterien wie „Schönheit“ oder „Richtigkeit“ von Sprache richten, sondern nach der Angemessenheit der sprachlichen Mittel für handfeste Ziele der Verständigung. Viele Sprachfreunde erblicken jedoch darin keinen Gegensatz. Haupt-Sache Liebe D ies flotte Buch erzählt vom Glück, / Aber auch vom Pech beim Lieben; / Wahr, authentisch – Stück für Stück – / Kein Wort davon ist übertrieben“. Eine treffendere Zusammenfassung als die erste Strophe des NachwortGedichts für Günter B. Merkels neuestes Werk „Haupt-Sache Liebe“ kann es nicht geben. Wieder einmal ist dem genialen Verseschmied Merkel ein kleines Meisterwerk gelungen. Diesmal macht er sich auf alles einen Reim, das mit Liebe und Erotischem zu tun hat. Fester Bestandteil sind auch diesmal die ehrfurchtslosen Gegengedichte, zum Beispiel zu Goethe, der dichtete: „Knaben liebt ich wohl auch, / doch lieber sind mir die Mädchen. / Hab’ ich als Mädchen sie satt, / dient sie als Knabe mir noch.“ Darauf Merkel: „Obgleich sie keine Brüste haben / Und unten anders strukturiert / Sind, liebte Goethe auch die Knaben; / Er hat wohl alles ausprobiert.“ Zwanzig kecke Zeichnungen runden das Werk ab. Plumpe Sprüche oder Fäkalausdrücke sucht man darin allerdings vergeblich. (pau) Günter B. Merkel, Haupt-Sache Liebe, SWP-Buchverlag, Wilhelmsfeld 2005, 216 Seiten, gebunden, Euro 15,20. www.merkel-gedichte.de Bitte deutlich schreiben! Anzeige Bestellschein für den Buchdienst DSW 21/05 Alle in dieser Ausgabe vorgestellten Bücher können Sie, sofern nicht anders angegeben, über unseren Buchdienst bestellen. Wir liefern Ihnen auch gerne jeden anderen im Buchhandel erhältlichen Titel. Mit Ihrer Bestellung unterstützen Sie die DEUTSCHE SPRACHWELT! Ich bestelle folgende Titel zur Lieferung durch Ihren Buchdienst: Anzahl Autor/Titel Preis (Euro) Aptum wendet sich an drei Zielgruppen: an Sprachwissenschaftler, an die sprachinteressierte Öffentlichkeit und an nicht-wissenschaftliche Berufsgruppen wie Lehrer, Journalisten oder Lektoren. Die Zeitschrift wird von den Sprachwissenschaftlern Jürgen Schiewe (Greifswald) und Martin Wengeler (Düsseldorf) herausgegeben, die mit ihren Büchern „Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart“ und „Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland“ in den vergangenen Jahren wichtige Beiträge zur Diskussion um Sprachkritik und Sprachkultur vorgelegt haben. Die neue Zeitschrift soll dreimal jährlich im Hempen-Verlag in einem Umfang von jeweils 96 Seiten erscheinen und im Bezug für den vollständigen Jahrgang 54,00 Euro kosten. Das erste Heft ist im Juni dieses Jahres erschienen. Im ersten programmatischen Aufsatz entwickelt Nina Janich (Darmstadt) einen neuen Begriff von Sprachkultur und leitet daraus eine handlungsorientierte Sprachkultur-Theorie ab. Horst Schwinn (Mannheim) belegt: „Sprachkritik ist begründbar!“ Georg Stötzel (Düsseldorf) stellt sein „Projekt eines Wörterbuchs der ‚Vergangenheitsbewältigung‘“ vor. Praktische Sprachkritik schließlich übt Ina Karg (Göttingen) in ihrem Aufsatz „Die Sprache, die PISA spricht“. Sie zeigt darin, daß die Aufgabentexte der PISA-Untersuchung aufgrund mangelhafter Übersetzungen nicht selten mißverständlich formuliert waren, so daß deren Verstehen erschwert war. Kargs Übersetzungskritik gewinnt eine allgemeine sprachkritische Größe aufgrund des Befundes, daß mit sprachlich unzureichenden Testinstrumenten ausgerechnet Sprachfähigkeiten angeblich „objektiv“ gemessen wurden. (idw/dsw) Kontakt: Prof. Dr. Jürgen Schiewe, Universität Greifswald, Institut für Deutsche Philologie, Rubenowstraße 3, D-17487 Greifswald, [email protected] Priv.-Doz. Dr. Martin Wengeler, Universität Düsseldorf, Germanistische Sprachwissenschaft, Universitätsstraße 1, D-40225 Düsseldorf, [email protected] "àCHERVON*OHANNES$ORNSEIFF 4RACTATUSABSOLUTUS 3ELBSTAUFKLËUNGDES$ENKENS !USDER%RFAHRUNGDASICHALLESVONIHM'EDACHTEIMMERWIEDERZERDENKEN LIEHATDER6ERFASSEREINEN3TANDPUNKTGEWONNENu)STETWASZUSAGENn !NSICHISTNICHTSZUSAGENhVONDEMAUSDIESEZUNËCHSTANSTÚIGE%RFAHRUNG VERSTËNDLICHISTUNDALLESBISHERIGE$ENKENnZUNËCHSTNURDASEIGENE$ENKEN DES6ERFASSERSDANNABERAUCHDASALLER!NDERENnALSNAIVERSCHEINT$IESER 3TANDPUNKTISTZUGLEICHEINENEUEUNDVIELLEICHTLETZTE3TUFEEINESHISTORI SCHEN7EGESDERMITDERFRàHGRIECHISCHEN0HILOSOPHIE6ORSOKRATIKBEGINNT 3ELBSTAUFKLËRUNGDES$ENKENS 7ËHRENDDER+ERNDES4RACTATUSSOZUSAGENUNGEGENSTËNDLICHISTWERDENIN DENWEITEREN6ERZWEIGUNGENALLEKLASSISCHEN'EGENSTËNDEDES$ENKENSn2AUM %XISTENZ "EGRIFF 7ELT $ING SUBJEKTIVOBJEKTIV )CH -ORAL UA n IN DER GEHÚRIGEN/RDNUNGENTWICKELTUNDDARGESTELLT ,EINEN3EITEN%URO)3".6ERLAG&RIELING0ARTNER"ERLIN 2ECHTUND2ACHE $ER2ECHTSANSPRUCHAUF7IEDERVERLETZUNG Versandkosten für Deutschland und Österreich bei Bestellungen unter 100,– Euro: 2,30 Euro, sonst versandkostenfrei. Andere Länder: nur gegen Vorauskasse (z.B. Scheck); Versandkosten: zehn Prozent vom Auftragswert, mindestens 2,30 Euro! Auf Ihre Bestellung haben Sie gem. Fernabsatzgesetz ein gesetzliches Widerrufsrecht von 14 Tagen. Wenn Sie von diesem Widerrufsrecht Gebrauch machen, müssen Sie bei einem Bestellwert bis 40,– Euro die Kosten der Rücksendung selbst tragen, es sei denn, die gelieferte Ware entspricht nicht der bestellten. Name, Vorname Straße (kein Postfach!) Land, PLZ, Ort Ort, Datum, Unterschrift Einsenden an: DEUTSCHE SPRACHWELT • Postfach 1449 • D-91004 Erlangen Ferndruck (Fax) 0049-(0)9131-480662 • [email protected] .ACHDEMERDIE&UNDAMENTEuGEFàHLTESZUFàHLENDES2ECHThUNDuGERECHTER BERECHTIGTER!NSPRUCHhGELEGTHATGEHTDER6ERFASSERDENLETZTEREN3CHRITTFàR 3CHRITTDURCHVOM2ECHTSANSPRUCHAUFDENGLEICHEN!NTEILBISZUM2ECHTS ANSPRUCHAUF7IEDERVERLETZUNG(IERERÚRTERTUNDWIDERLEGTERZUNËCHSTDEN !USGLEICH DURCH GLEICHE 7IEDERVERLETZUNG DANN DIE %INWËNDE GEGEN DIE 7IEDERVERLETZUNG àBERHAUPT uUNVERNàNFTIGh uUNMORALISCHh )M !NHANG GEHTESUMKONKRETERE4HEMENWIE3TRAFUNMàNDIGKEIT3ELBSTJUSTIZ2ESOZIA LISIERUNGUND4ODESSTRAFE u$ER'RUNDGEDANKEDIESER3CHRIFTISTDA2ECHTUND2ACHEZUSAMMENHËNGEN UNDDADIESNICHTGEGENDAS2ECHTSONDERNFàRDIE2ACHESPRICHTh ,EINEN3EITEN%URO)3".6ERLAG&RIELING0ARTNER"ERLIN !USZàGEUNTER WWWJOHANNESDORNSEIFFDE Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Literarisches Wortes Seite 9 Verteidigung eines unschuldigen Wortes Von Hans Hermann Meyer Z u der Fülle von Lesestoff, die der 60. Jahrestag des Kriegsendes hervorbrachte, hat Klaus Harpprecht am 4. Mai in der ZEIT unter der Überschrift „Gab es Nazis überhaupt jemals? 1945 oder die Entdeckung der deutschen Leere“ einen ganzseitigen Artikel beigesteuert. Sieben lange Absätze widmet er allein dem Hitlergruß und dessen plötzlichem vollständigen Verschwinden zum Zeitpunkt der Kapitulation. Über die Entstehungsgeschichte des Grußes weiß er folgendes zu sagen: Es bleibt ein Rätsel, wie es zuging, dass sich ein so genanntes Kulturvolk samt seinen „gebildeten Schichten“ über Nacht ein Ritual zu Eigen gemacht hatte, das jedem vernünftigen Bürger fremd, ja lächerlich erscheinen musste. Wohl trifft es zu, dass die Dichter sich seit Shakespeares Zeiten („All hail, Macbeth! Hail to thee…“) gelegentlich des germanischen Zurufs entsannen, doch erst im nationalen Rausch der Befreiungskriege wurde die entlegene Formel patriotisch aufgeladen. „Heil fester Stein vom festen Steine! / Heil stolzer, freier deutscher Mann,“ sang Ernst Moritz Arndt, und Richard Wagner ließ das „Heil“ in mächtigen Chören erschallen. [ZEIT-Rechtschreibung beibehalten, die Schriftleitung] Daß dasjenige, was Harpprecht als Rätsel ansieht, natürlich keines ist (der Druck, den eine totalitäre Diktatur auf den Alltag der Menschen auszuüben vermag, wird von ihm offensichtlich bei weitem unterschätzt), möge hier außer Betracht bleiben. Interessanter ist die Frage, warum das Ritual des Hitlergrußes ihm als – auch für die Bürger von damals – „fremd, ja lächerlich“ erscheint. Harpprechts sich anschließende Sätze belegen, daß nach seiner Meinung die Fremdheit und Lächerlichkeit nicht so sehr der Grußgebärde, dem Ausstrecken des rechten Armes nach vorn, als vielmehr der Grußformel („Heil Hitler!“), insbesondere dem Wort „Heil“, anhaftete, und zwar deswegen, weil es sich bei diesem Wort um die künstliche Neubelebung (die Dichter „entsannen“ sich) längst abgestorbenen Sprachguts („die entlegene Formel“) gehandelt habe. Solche Wiederaufnahmen, meist in neuen Zusammenhängen, hat es seit dem Sturm und Drang in Hülle und Fülle bei uns gegeben, und viele haben sich als lebenskräftig erwiesen. Man darf vermuten, daß Harpprecht sie alle ablehnt und, um sich nicht lächerlich zu machen, zum Beispiel peinlichst vermeidet, das schon im Mittelhochdeutschen gebräuchliche Wort „Ampel“ zu verwenden, wenn er von hindernisreichen Autofahrten durch eine Stadt erzählen muß. Das Wort „Ampel“ war nämlich 1854, wie damals das Grimmsche Wörterbuch feststellte, „durch lampe verdrängt“ und wurde uns erst im 20. Jahrhundert wiedergegeben. Harpprecht wird also darauf bestehen, mit seinem Auto nicht vor einer „Ampel“, sondern vor einer „Lampe“ gelegentlich halten zu müssen. Aber die Frage ist, ob es sich bei dem „Heil“ der Jahre 1933 bis 1945 überhaupt um die Wiedereinführung eines außer Gebrauch gekommenen Wortes handelt. Wenn Harpprecht den Zuruf „germanisch“ nennt, so kann er damit auf eines von zwei Dingen anspielen. Die eine Möglichkeit: Er meint die mehrmals belegte Verwendung des gotischen Adjektivs „hails“ und seiner Entsprechungen im Altenglischen, Althochdeutschen und Altnordischen als Wunsch- und Grußformel mit der Bedeutung „Mögest du unversehrt sein!“ Dieser Heilgruß ist in der Tat im hohen Mittelalter ausgestorben. In der Hitlerzeit wurde behauptet, der Nationalsozialismus habe ihn in Gestalt des „deutschen Grußes“ zu neuem Leben erweckt. Das ist aber falsch, denn das auf „Heil“ folgende „Hitler“, das nur als Dativ aufgefaßt werden kann (zu denken ist an „Heil unserm Führer Adolf Hitler!“) beweist, daß wir im „Heil“ des Hitlergrußes nicht das Adjektiv „heil“, sondern das gleichlautende Substantiv „Heil“ vor uns haben. Sollte Harpprecht also an das „germanische“ Adjektiv gedacht haben, so wäre er noch nachträglich selbst einem Propagandakunstgriff der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen. Die von ihm angeführten jüngeren Beispiele zeigen nun freilich, daß er wohl doch eher die zweite Möglichkeit im Auge hatte, nämlich die Grußformel mit dem Substantiv „Heil“, deren erste Anfänge ebenfalls schon in sehr früher Zeit liegen. Wenn das der Fall ist, so kann Harpprecht mit der Bezeichnung „germanisch“ nur auf die – allerdings eher als Segensformeln denn als Zurufe zu bezeichnenden – Heilswünsche in den eddischen religiösen Lehrgedichten des 10. Jahrhunderts (Grimnirlied, Vaftbrudnirlied) oder etwa in Lokis Zankreden anspielen. Und deren soll sich Shakespeare, als er 700 Jahre später seinen Macbeth schrieb, wieder entsonnen haben? Bleiben wir doch lieber im Bereich des Deutschen! Hier hat das Substantiv „Heil“ zunächst einmal die Bedeutung „Wohl(ergehen)“. Und da man seinen Freunden von jeher gern gönnt, daß es ihnen gut geht, kommt das Substantiv „Heil“ seit vielen Jahrhunderten besonders häufig in der Verbindung mit „wünschen“ vor, so schon bei Hartmann von Aue (12. Jahrhundert) und Wirnt von Grafenberg (15. Jahrhundert). Von hier bis zur Grußformel ist es nur ein winziger Schritt, denn bei Lichte besehen sind fast alle unsere heutigen Grußformeln Wunschgrüße: Man wünscht dem anderen einen guten Morgen, einen guten Tag, einen guten Abend, eine gute Nacht, daß Gott ihn grüße oder behüte, ein Wiedersehen mit ihm usw. In der Tat: Die Grenze zwischen dem ungeheuchelten Aussprechen des wirklich gefühlten Wunsches und dem zur Formel erstarrten Gruß, bei dem sich der Gedanke an das Gewünschte verflüchtigt hat, läßt sich gar nicht scharf ziehen. Es dürfte angemessen sein, dort, wo wir uns unsicher sind, einfach von einem Zuruf zu sprechen. Und der Zuruf „Heil sei dir!“, „Heil dir!“ oder einfach „Heil!“ läßt sich nun seit dem 12. Jahrhundert (Pfaffe Lambrecht) vielmals nachweisen. Gellert verwendet ihn ebenso wie Klopstock, Schiller, Goethe. Auch in einen patriotischen Zusammenhang hat ihn nicht erst Ernst Moritz Arndt gerückt, wie Harpprecht behauptet, sondern spätestens bereits Georg Rudolf Weckerlin (1584 bis 1653). Vom 12. bis ins 19. Jahrhundert hat es also im Gegensatz zu Harpprechts Meinung keinerlei nennenswerte Unterbrechung im Gebrauch des mit dem Substantiv „Heil“ gebildeten Wunschzurufs gegeben. Harpprecht wäre das klar geworden, wenn er im Grimmschen Wörterbuch, Band IV, II, unter „HEIL“ nachgeschlagen hätte. Doch halt: Dies versäumt zu haben, ist ihm wohl gar nicht vorzuwerfen. Sein Shakespeare- wie auch sein Arndtzitat machen es nämlich im höchsten Grade wahrscheinlich, daß er beide eben jenem Bande, wo sie sich unter dem angegebenen Stichwort in Spalte 818 abgedruckt finden, entnommen hat. Das ist ja auch durchaus in Ordnung. Nicht in Ordnung aber ist es, das, was an derselben Stelle sonst noch über die (Vor-)Geschichte des Heilgrußes zu erfahren ist, mit der Absicht einer Verfälschung zu unterdrücken. Der Band des Grimmschen Wörterbuchs, welcher das Stichwort „HEIL“ enthält, erschien schon 1877. Wie ist die Geschichte des Heilgrußes danach verlaufen? Wenigstens jetzt so, daß dieser 1933 „jedem vernünftigen Bürger fremd, ja lächerlich erscheinen mußte“? Zu einer eigentlichen Grußformel ist das „Heil“ zuerst dadurch geronnen, daß ihm ein bestimmtes weiteres Wort vorangestellt wurde. Beides zusammen ergab dann den Spezialgruß unter Gliedern einer bestimmten Menschenklasse, zum Beispiel den Angehörigen eines bestimmten Berufes. Die erste derartige Formel kam bereits im 18. Jahrhundert zustande: „Weidmannsheil“, als „der gangbare grusz unter jägern“ belegt seit 1746. In Analogie zu ihm entstand später das „Petri Heil“ der Angler. Die Turner entschieden sich für „Gut Heil“, das Friedrich Ludwig Jahn, vielleicht angeregt durch die Stelle „he rêp: gût heil, eddel vogel!“ im Reineke Fuchs, für einen alten deutschen Gruß. Es wurde auch in Liedern verbreitet, in Vereinsnamen aufgenommen und stand dem Turnerwahlspruch „Frisch – fromm – fröhlich – frei!“ an Beliebtheit kaum nach. So sang Gustav Zwetsche im Februar 1848: „Heil dann euch und euren Söhnen! / Segen über dieser Stund“! / gut Heil! deutscher Turnerbund, / Gottes Segen wird dich krönen!“ Wie verbreitet der „Gut Heil!“-Gruß um 1900 war, läßt sich vorzüglich an der Häufigkeit ablesen, mit der diese Formel damals auf das Turnen verherrlichenden illustrierten Postkarten erschien. Die Rolle des „Gut Heil“ der Turner in der Vorgeschichte des Hitlergrußes läßt sich daher angesichts der hohen Bedeutung der Turnerei für weiteste Kreise kaum überschätzen. Das ihm nachgebildete „All Heil!“ der Radsportler ist demgegenüber zu vernachlässigen. Jenseits der Reichsgrenzen wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts „Heil!“ – ohne jeden Zusatz – zum allgemein bevorzugten Gruß unter den Mitgliedern der Selbsthilfe-Organisationen des Deutschtums in der vielsprachigen Donaumonarchie: „Südmark“, „Bund der Deutschen in Böhmen“, „Bund der KarpathenDeutschen“ und wie sie alle hießen. Dies hätte wohl kaum eine größere Wirkung gehabt, wenn nicht im Jahre 1900 der eben im Entstehen begriffene „Wandervogel“ in Berlin-Steglitz den Heilgruß von ihnen übernommen hätte. Damit war dieser Gruß bei der Keimzelle der deutschen Jugendbewegung angekommen, jener Bewegung, auf die sich nach einem Wort Werner Kloses aus dem Jahre 1983 – im Guten wie im Bösen – so vieles zurückbeziehen läßt. Und es war klar, daß er mit deren starkem Anwachsen im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts überall bekannt werden mußte. Kein Zweifel, daß es die Jugendbewegung war, von der die Nationalsozialisten das „Heil“ für ihren „deutschen Gruß“ entlehnten, ebenso wie übri- gens die Kommunisten für ihr „Heil Moskau!“ Nach allem ist nicht einzusehen, warum den Deutschen des Jahres 1933 eine mit dem Wort „Heil“ gebildete Grußformel von vornherein fremd oder lächerlich hätte vorkommen sollen. „Um so schlimmer!“ wird vielleicht Harpprecht hierauf einwenden – und „um so besser!“ denken –, falls er, wie das in Mode gekommen ist, die gesamte deutsche Geschichte bis 1933 als eine einzige Vorbereitung auf Auschwitz begreift. Aber das Schlimme am so genannten deutschen Gruß war nicht das „Heil“, sondern das „Hitler“! Weil es die Vergötzung des Diktators bedeutete! Lassen wir uns nicht irre machen: Die Wörter sind an den Massenverbrechen der Nationalsozialisten unschuldig. Das gilt auch für das herrliche Wunschwort „Heil“. In Norddeutschland kann man es noch am Türsturz so manchen alten Bauernhauses lesen: als weiblichen Vornamen. Leider hatten die Leute schon etwa hundert Jahre vor 1933 damit aufgehört, ihren Töchtern diesen Namen zu geben, sonst hätten die Nationalsozialisten aus Furcht vor Mißverständnissen wohl nicht gewagt, das „Heil Hitler!“ einzuführen. Eltern sollten heute wieder überlegen, ob sie nicht einem ihrer Kinder, wenn es ein Mädchen ist, den Namen Heil geben wollen. Es gibt kaum eine eindringlichere Art, sich von der Nazibarbarei zu distanzieren. Stellen Sie sich vor, Herr Harpprecht, eine Enkelin von Ihnen hörte auf den Namen Heil Harpprecht! Wäre das nicht wunderschön? Anzeige Günter B. Merkel Haupt-Sache Liebe Aus der Buch-Reihe: auf die DichtKunst der vergangenen 200 Jahre Kost-Proben Seiten-Sprung Der Seiten-Sprung – ein Sprung zur Seite – Erst sucht man Liebe, dann das Weite. SehKraft Erheblich blind macht das LiebesGlück, Doch die SehKraft kehrt alsbald zurück. Wunsch-Denken Viele Männer wünschen sich, de facto, eine Hure; Natürlich nur de facto und keineswegs de jure. BegleitErscheinung Der Mann gilt, nach der Frauen Meinung, Seit jeher als BegleitErscheinung. Standhaft Es ist zwar schwerlich zu verstehn, Aber auch ein liegender Mann – Und darauf kommt es schließlich an – Kann seinen Mann noch sehr gut stehn. VerSäumnis Wer niemals LiebesBriefe schreibt Und auch solche nie empfängt; Wer lebenslänglich einsam bleibt Und sich niemals dazwischen drängt; Wer nie verliebt sein Herz verliert Und nie von Seiten-Sprüngen träumt; Wer nie den Haut-Arzt konsultiert, Der hat fürwahr sehr viel versäumt! Wer nie im siebten Himmel schwebt Und wem das Küssen widerstrebt; Wer niemals beim Orgasmus bebt... Der Ärmste hat nur halb gelebt! Haupt-Sache Liebe Gebunden, 216 Seiten, illustriert, Eur 15,20 ISBN 3-923062-05-2, erhältlich beim SWP-Buch-Verlag 69259 Wilhelmsfeld, Tel. 06220-1307, Fax 06220-1401 www. merkel-gedichte.de Werkstatt Seite 10 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Die Telekom steht auf der Leitung Verständlichkeit ist kein Ziel des Unternehmens Von Thomas Paulwitz I n DSW 20 stand die Deutsche Telekom in der SprachsünderEcke. Anlaß waren die neuen Tarifbezeichnungen, zum Beispiel Call Plus, Call Time oder XXL Freetime. Leider hat sie es trotz zahlreicher Hilfestellungen und Protestschreiben unserer Leser nicht geschafft, aus dieser Ecke herauszukommen. Unsere Leser riefen den Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke und den Leiter der Unternehmenskommunikation, Stephan Althoff, auf, sich an der Sprache der Kunden zu orientieren. Die Antworten des Unternehmens bezeugen eindrucksvoll die grundsätzliche Bereitschaft zum Nichthandeln. SprachsünderE Horst Steppuhn legte der Telekom ein Flugblatt bei mit dem Titel: „Die Amerikani- cke sierung der Sprache und Kultur in Deutschland: Der massive Gebrauch englischer Wörter in unserer Landessprache verursacht immer mehr Verärgerung!“ Steppuhn schrieb: „Hoffentlich gibt es bei Ihnen noch so viel sprachliche Kenntnis und Erfindungskraft, daß Sie in unserem Land zu normalen oder auch phantasievollen deutschen Begriffen und Titeln zurückkehren können! Bitte setzen Sie sich dafür ein, daß die Mitarbeiter in Ihrem Einflußbereich nicht auch die Amerikanisierung unserer Muttersprache fördern!“ Klaus Lohse verdeutlichte der Telekom: „Ihre Kunden sind Deutsche und wollen nicht akzeptieren, daß unsere Sprache weiterhin durch eine Überfrach- tung von Anglizismen zerstört wird. Ich halte es zudem für unhöflich, Ihren Kunden gegenüber, die größtenteils die englische Sprache nicht kennen, unverständliche Wörter zu verwenden.“ Ulrich Haberer gestand der Telekom, daß die Sprachsünder-Ecke seinen Puls aus Ärger deutlich beschleunigt habe und mutmaßte: „Sicher werden Sie sich mit den Zwängen der Wirtschaftsglobalisierung herausreden oder weil es ‚in‘ sei, eben ‚weltoffen‘, imitschfördernd möglichst viele Angloamerikanismen zu verwenden, auch wenn es kaum einer des zahlenden Fußvolkes der Telekom-Kunden versteht.“ Haberer macht den „nicht ganz ernst gemeinten“ Vorschlag: „Wandern An dieser Stelle stellen wir Sprachsünder vor, die besonders unangenehm aufgefallen sind, und rufen unsere Leser zum Protest auf Deutsche Bahn bannt Deutsch Verstehen Sie Bahnhof? Die „Deutsche Bahn“ (DB) der Vorsitzende des Sprachrettungsklubs Bautzen, zeigt sich in der Öffentlichkeit seit einiger Zeit nur ist empört: „Das ist doch Blödsinn. Wenn die Bahn noch verschämt als „Die Bahn“. Das Wort „deutsch“ ein Piktogramm für Fahrradständer nicht übersetentspricht offenbar nicht dem Sinnen der Bahnbosse. zen will, soll sie doch einfach ein Fahrrad darauf Genauso verklemmt ist der Umgang mit der deutabbilden.“ Schließlich müsse ein kundenfreundlischen Sprache, seit die ches Unternehmen seine DB zum Teil entstaatlicht Kunden in ihrer Sprache worden ist. Die in immer ansprechen. Die Sprachkürzeren Abständen einschlamperei mit dem tretenden Preissteigerun„B+R“-Schild ist leider gen werden offenkundig kein Einzelfall, sondern nicht dafür genutzt, die nur die Spitze des EisVerständigung mit den bergs. Immer noch heißt Bahnreisenden zu verdie Auskunft „Service bessern. Im Gegenteil: Point“, der Warteraum Die Bahn will erklärter„DB-Lounge“, der Fahrmaßen nicht die Sprache kartenschalter „Counder Kunden sprechen, ter“. Eine Aktion in Bersondern dem Kunden lin erhielt den Namen etwas beibringen. Das Mit Volldampf am Kunden vorbei (von links): Norbert „Call a Bike“. Das sind geht zumindest aus der Hansen (stellvertretender Vorsitzender des Aufsichts- keine Ausrutscher, sonAntwort eines Bahn- rats), Werner Müller (Vorsitzender des Aufsichtsrats) und dern ist ein Programm. Pressesprechers an die Hartmut Mehdorn (Vorstandsvorsitzender der Deutschen Vor kurzem nämlich gab Bild: obs/DB AG Sächsische Zeitung her- Bahn AG). sich das Unternehmen vor. Die wollte wissen, was es mit den unverständeinen Zusatz, natürlich auf englisch: „Mobility Netlichen „B+R“-Schildern an den Bahnhöfen auf sich works Logistics“. (pau) habe. Des Rätsels Lösung: „B+R“ steht für „Bike and Erinnern Sie die Deutsche Bahn daran, daß sie Ride“ und soll auf einen Fahrradparkplatz am Bahneine deutsche Bahn ist, die ihrem Namen wieder hof hinweisen. Mit der Abkürzung wolle man Platz gerecht werden muß. Beschweren Sie sich schriftsparen, so der Bahnsprecher. Auf Verständlichkeit lich bei einer der folgenden Anschriften und laswurde hingegen kein Wert gelegt: „Die Leute, die sen Sie uns bitte ein Doppel zukommen: das Schild nicht verstehen, sehen die Fahrradständer Herrn Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der daneben sowieso. Deswegen stellen sie ihr Fahrrad Deutschen Bahn AG, oder Dr. Werner Müller, Vordoch nicht woanders hin. Und mit der Zeit gewöhnen sitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn AG, sie sich an unsere Beschilderung.“ Diethold Tietz, Potsdamer Platz 2, D-10785 Berlin Bitte deutlich schreiben! Bestellschein für Kleinanzeigen DSW 21/05 Bitte veröffentlichen Sie in der nächsten Ausgabe der DEUTSCHEN SPRACHWELT folgende Kleinanzeige: nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn Der Preis je Zeile beträgt für private Kleinanzeigen 2,09 Euro und für gewerbliche Kleinanzeigen 4,18 Euro einschließlich Mehrwertsteuer. Bei Chiffre-Anzeigen beträgt die Chiffre-Gebühr 6,96 Euro. Ich zahle n auf Rechnung n mit Bankeinzug. Meine Bankverbindung: Konto-Nummer Bankleitzahl Bank Name, Vorname Straße (kein Postfach) Land PLZ, Ort Ort, Datum, Unterschrift Einsenden an: DEUTSCHE SPRACHWELT • Postfach 1449 • D-91004 Erlangen Ferndruck (Fax) 0049-(0)9131-480662 • [email protected] Sie doch in Gottes eigenes Land aus! Dort könnten Sie in der geliebten Primitivsprache tagtäglich baden.“ Burkhard Schoch warnt die Telekom: „Nicht, daß noch jemand auf die klebrige Idee kommt und die noch wirkenden Telefonistinnen im Kall Zentrum womöglich als Callgirls bezeichnen möchte. Zuzutrauen wäre es diesen vorauseilenden Deutschlingen in ihrer Denglischbeflissenheit. Man fragt sich: Wer soll denn mit solchen Mätzchen beeindruckt werden?“ Schoch stellt klar: „Sollte ich jemals mit einem derartigen Kauderwelschschrieb beglückt werden, dann wird dieser umgehend an den Absender zurückgeschickt, mit dem Vermerk ‚Kann nit verstaan, mir bitteschön, könnse noch deutsch schreiben.‘ Zu Recht kann ein Kunde von Ihnen erwarten, in einwandfreiem Deutsch in Schrift und Sprache bedient zu werden. Mit Sicherheit werden dadurch Fehler und Mißverständnisse vermieden.“ Was haben die Protestschreiben bewirkt? Zuerst die gute Nachricht: Die Deutsche Telekom antwortete vielen unserer Leser. Das heißt, der Tadel ist angekommen und wurde zur Kenntnis genommen. Nun die schlechte Nachricht: Zwar war zu erwarten, daß die Telekom ihren sprachfeindlichen Kurs nicht umgehend ändert; aber daß sie es nicht einmal für nötig hielt, die Verständlichkeit für die Kunden als wichtiges Ziel zu betonen, ist ein Armutszeugnis. Statt dessen argumentierte die Telekom allein vom Gesichtspunkt der Vermarktung aus: „Oberstes Ziel bei der Positionierung neuer Produkte am Markt ist eine erfolgreiche Vermarktung ... Häufig gelingt die Vermarktung besser mit Begriffen aus dem englischsprachigen Raum ... Durch von uns initiierte Marktforschungen wird immer wieder belegt, daß die Mehrheit der im Test befragten Personen häufig die englischen Varianten und Verkaufsslogans für attraktiver halten [hält].“ Mit anderen Worten: Die Telekom glaubt, daß sich ihre Dienstleistungen besser verkaufen, wenn man nicht so genau weiß, was hinter ihnen steht. Abhängige, also nicht aussagekräftige Befragungen („von uns initiiert“) liefern Ergebnisse, die bereits vorher feststehen. Doch der Knaller der Telekomiker kommt zum Schluß. Als Begründung für den Hang zur (d)englischen Monokultur muß auch noch die kulturelle Vielfalt herhalten. Man belehrte die DSW-Leser: „Darüber hinaus ist Deutschland heute ein multikulturelles Land. Wir möchten möglichst viele der hier lebenden und arbeitenden Menschen, egal welcher Nationalität, mit unseren Angeboten erreichen“. Also, liebe Türken, ihr müßt nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch lernen, wenn ihr hierzulande zurechtkommen wollt! So will es jedenfalls die Telekom. Daß eine nicht unbeträchtliche Zahl „der hier lebenden und arbeitenden Menschen“ Deutsch spricht, ist den Telekommunikationsstrategen offensichtlich entgangen. Kein Anschluß unter dieser Nummer. Sie können also weiterprotestieren, um das Nachdenken anzuschieben. Schreiben Sie dazu an: Herrn Kai-Uwe Ricke, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG, Friedrich-Ebert-Allee 140, 53113 Bonn So wird’s richtig Ein Ratgeber von Dr. Holger Holzschuher Überflüssige Vorvorsilben Beispiel: vorprogrammieren, auseinanderdividieren, aufoktroyieren Kommentar: Warum nicht auch zusammensynthetisieren, aufanalysieren oder vorpräventiv? Woher kommt diese Tendenz der verdoppelnden Wiederholung des lateinischen oder griechischen Präfixes? Etwa von einem Impuls zur Eindeutschung, der Vermeidung von Fremdwörtern? Wohl kaum. Richtig: programmieren, dividieren, oktroyieren Tödlicher Tod Beispiel: Er starb an den Folgen eines Krebsleidens. Kommentar: Aha, er starb also an den Folgen einer tödlichen Krankheit. Nun wollen wir einmal sortieren. Die Folge einer tödlichen Krankheit ist doch eigentlich der Tod, oder? Sonst wäre sie ja nicht tödlich. Das heißt, er starb am Tod. Was könnten sonst noch Folgen von schweren und langwierigen Krankheiten sein, an denen man stirbt? Interessanterweise werden diese ja nie genannt! Also, natürlich stirbt man durch diese Krankheiten selbst und nicht an irgendwelchen nebulösen Folgen dieser Krankheiten. Was anderes ist es aber, wenn es um die Folgen eines Unfalls geht. Dessen Folgen sind natürlich ein zerschmetterter Körper, Blutverlust und ähnliches, woran man dann stirbt. Richtig: Er starb an Krebs. Oder aber: Er starb an den Folgen eines Unfalls. Laut oder gemäß? Beispiel: Unser Zuckerrübensirup Silbertran ist laut Gesetz ohne Konservierungsstoffe. Kommentar: Wie? Die Tatsache, daß der Sirup ohne Konservierungsstoffe ist, hat der Gesetzgeber ins Gesetz geschrieben? Alle Achtung! Richtig: Unser Zuckerrübensirup Silbertran ist gemäß Gesetz (oder: dem Gesetz entsprechend) ohne Konservierungsstoffe. Anzeige H-Wort Dr. Holger Holzschuher Lektorat – Korrektorat Birkenbusch 13 D-31606 Warmsen Tel./Fax 05767 / 94 38 60 www.lektorat-h-wort.de [email protected] Mitglied im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e. V. Kleinanzeige Wenn Goethe kocht Theaterspiel mit Liedern. Witziges Einpersonenstück überallhin buchbar! Autor-Ruf & Fax 0 30 / 2 94 74 19 Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 Schillerjahr 2005 Seite 11 Schillers Tod – ein Kriminalfall Von Hans Binder Teil 2 „Man“ schickte Schillers Frau anscheinend gleich nach seinem Tode weg und erfüllte nicht ihren und des nachmaligen Bürgermeisters Schwabe und anderer Freunde Wunsch nach einer würdigen Beerdigung und Grabstätte. Der für die Organisation der Beerdigung ausersehene (von wem?) Oberkonsistorialrat Günther wies Schwabe schließlich ab mit dem Hinweis: „Es ist alles so angeordnet … Die Träger schon bezahlt.“ Und also wurde Schiller nach Mitternacht zwischen null und ein Uhr (in der „Geisterstunde“, wie nur bei Delinquenten üblich) am 12. Mai, ohne Voransage, ohne Geläut, ohne die bei beliebten Abendbeerdigungen übliche Lampen- und Fackelbeleuchtung, ohne Begleitung durch Angehörige und Freunde, von bezahlten Handwerkern getragen – andere Angebote abgeschlagen – in der Massengruft für verarmte Adlige und Beamte, dem „Kassengewölbe“, beigesetzt, deren Angehörige für eine andere Beerdigung das Geld nicht aufbrachten. Die Beerdigung Schillers entsprach keineswegs dem Brauch der Zeit, wie die Begräbnisordnung und Beispiele beweisen. Fünf weitere amtliche Beisetzungen Schillers folgten (1826, 1827, 1913, 1945, 1962), 1913/14 mit einem zweiten Schädel und Skelett. Auch all das war nicht der Brauch der Zeit. Der 1914 ergänzend in eigenem Sarg in der Fürstengruft bestattete Schädel erwies sich als Schädel eines etwa 20jährigen Mädchens, die hinzugefügten Knochen stammten von anderen Skeletten. Der Schillerschädel in der Bibliothek Bürgermeister Schwabe stieg im März 1826 heimlich in die Gruft, die geräumt werden sollte. Er hob alle aufzufindenden 23 Schädel und suchte Schillers Schädel aus. Es stand ihm eine Gips-Ganzkopfmaske zur Verfügung, die wohl am Tag nach Schillers Tod von Klauer angefertigt wurde. Zumindest der Gesichtsteil, ein Hinterkopfteil – von Schiller? – von viel zu kurz abgetrenntem Kopf und schwerem Nackenschaden wurde später angeflickt, wie an der Maske ersichtlich. Drei Weimarer Ärzte, die Schiller kannten, bestätigten, daß nur dieser Schädel als Schillerschä- del in Frage komme. Nun wurde wieder durch Beschluß von Großherzog und Goethe untersagt, eine eigene Schiller-Grabstätte mit Denkmal (auf Kosten Schwabes) anzulegen. Der Schädel mußte am 16. September 1826 an Goethe abgegeben werden und wurde tags darauf in einem Staatsakt, ohne Beisein Goethes, im Sockelkasten der Schillerbüste in der Großherzoglichen Bibliothek eingeschlossen. Goethe hatte den Schlüssel dazu. Schon wenige Tage danach erteilte Goethe dem Prosektor Schröter aus Jena den Auftrag, die übrigen Knochen von Schillers Skelett dazuzusuchen und sie ebenfalls zur Aufbewahrung in der Bibliothek zu bergen. Nach einigen Stunden hatte er die Hälfte eines Skeletts beisammen. Er mußte auf die längsten Bein- und Armknochen achten, denn niemand in Weimar soll höher gewachsen gewesen sein als Schiller (etwa 1,80 Meter). mann diesen von Schröter zurechtgemachten, also falschen Schädel mit dem manipulierten Gebiß. Dies alles muß in planender Voraussicht so geschehen sein. Nachgüsse wurden als Schillerschädel in alle Welt verbreitet. Goethe, im Besitz des Schlüssels für den Sockelkasten der Schillerbüste in der Bibliothek, Manipulation in Goethes Auftrag Nun übergab Goethe dem Prosektor Schröter aber auch noch einen Schädel zum Reinigen, wofür Schröter relativ lange, angeblich zwei Tage, brauchte. Wofür brauchte Goethe diesen von Schröter hergerichteten Schädel, wie sah dieser aus, und warum brauchte Schröter für sein Herrichten („Säubern“) zwei Tage? Die sicheren Antworten konnten erst 1959/61 buchstäblich aufgedeckt werden. Diesem Schädel, mit flacher Stirn – Schiller hatte eine hohe und steile – und acht fehlenden Zähnen, setzte Schröter sieben zurechtgefeilte Zähne ein und übergab ihn Goethe. Damit fehlte dem schon 1826 zusätzlich ins Spiel gebrachten Schädel nur noch ein Mahlzahn, so wie dem von Schwabe geborgenen Schillerschädel. Weil der Großherzog eine Gipsabformung von Schillers Schädel wünschte, übergab Goethe dem Former Kauff- Goethe hortete Schillers Schädel zu Hause Am 30. Dezember 1826 nämlich zeigte Goethe in seiner Wohnung (!) Wilhelm von Humboldt vertraulich und mit dem ausdrücklichen Hinweis, niemandem davon zu berichten, Schillers Schädel. Das ist der erste Beweis dafür, daß Goethe den Schillerschädel aus des Herzogs Bibliothek wieder an sich genommen hat. Humboldt berichtete noch am selben Tag seiner Frau. Er war wohl der einzige Gast, der den echten Schillerschädel sah. Der Schädel, den Goethe König Ludwig I. von Bayern bei seinem Weimarbesuch 1827 in der Bibliothek des Großherzogs zeigte, war mutmaßlich der falsche, was Ludwig aber nicht bemerken konnte. Ludwig I. zeigte sich entrüstet darüber, daß hier Schillers Schädel „wie Münzen oder ähnliche Raritäten“ behandelt würde. Daraufhin räumte der Großherzog einen Platz in seiner Fürstengruft für die sterblichen Überreste Schillers ein. Die Beisetzung dort fand, wieder mit einem Staatsakt und ohne Beisein des Geheimrats Goethe, am 16. Dezember 1827 statt. Bürgermeister Schwabe stellte sich argwöhnisch (!) vor Verschluß des Sarges dicht daneben und überzeugte sich, daß auch wirklich der Schädel, den er Goethe abgeliefert hatte, also Schillers Schädel, darin lag. Es ist anzunehmen, daß er sich nicht täuschte. Goethe verwaltete den Schlüssel für diesen Sarkophag. in dem der echte, von Schwabe gehobene Schädel Schillers und die dazu gesuchten Knochen verwahrt wurden, tauschte diesen echten Schillerschädel gegen den von Schröter hergerichteten und inzwischen von Kauffmann abgeformten Schädel wohl schon einige Tage nach der feierlichen Beisetzung (17. September 1826) aus. Für immer verschollen? Als der sogenannte Schillersarkophag 1959 wegen angeblicher Fäulnisschäden geöffnet wurde, kam ein Schädel zutage mit sieben eingesetzten, zugefeilten Zähnen und einer Zahnlücke, der mit dem Kauffmannschen Gipsabguß exakt überein- Goethe bei der Betrachtung von Schillers Schädel. Büste von Gustav Eberlein (1897). stimmte. Der Anthropologe Herbert Ullrich, der dem von den DDR-Behörden beauftragten russischen Anthropologen Michail Gerassimov als Dolmetscher beistand, veröffentlichte 1961 den Befund mit den eingesetzten und zurechtgefeilten Zähnen an dem angeblichen Schillerschädel. Ullrich, der die gesamten Umstände und Quellen nicht ausreichend kannte, schob den Verdacht auf Schwabe – vielleicht auch, weil er wußte, daß seine Publikation und er nur so eine Chance haben würde. Gerassimov selbst brachte außer Falschem wenig an den Tag. Er erklärte kurzerhand den gefundenen Schädel zum Schillerschädel und modellierte darüber eine Kopfplastik, die Schillers Kopf und Totenmasken nicht einmal entfernt ähnelt. Mit dieser Rekonstruktion lag Gerassimov nicht das erste Mal voll daneben, wie man auch in der führenden Berliner Gerichtsmedizin der Charité wußte. Der andere Schädel, der in dem 1914 in die Fürstengruft gestellten weiteren Sarg lag, wurde als weiblicher Schädel eines etwa 20jährigen Mädchens „verworfen“. Dank der Arbeiten von Gerassimov und Ullrich kam sicher an den Tag, daß auch der im ersten Schillersarkophag in der Fürstengruft liegende Schädel nicht Schillers Schädel sein kann – und der echte, von Schwabe gehobene Schädel wohl für immer verschollen ist. Schluß Oberstudiendirektor Hans Binder ist Schulleiter des Bodensee-Gymnasiums in Lindau. Anzeigen Rechner, Internetz, Windows, LINUX für Freunde unserer Muttersprache N Lernen Sie, am Netzverkehr, am Netzauftritt, z.B. von Sprachwelt und VDS sowie an den Diskussionsforen teilzuhaben N Lernen Sie, den Rechner zu bedienen – systematisches Wissen ohne verwirrendes „Computer-Kauderwelsch“ N Lernen Sie, einfache und auch schöne Texte zu erstellen N Lernen Sie, Ebriefe (emails) zu empfangen, zu verwalten und zu versenden N Lernen Sie, im Weltnetz (www) zu navigieren, Suchmaschinen zu bedienen, im Ebay-Markt zu stöbern N Das alles für 3 volle Tage in einer klassischen Kulturgegend, der Barockstadt Dresden mit herrlicher Umgebung N Wir Sprachbegeisterte sind unter uns, in einer schönen Villa und gemütlicher Seminar-Atmosphäre N Jeder bekommt für die Kursdauer einen persönlichen Mobilrechner gestellt N Flexible Konditionen für jeden Geldbeutel. Hilfe beim Anschaffen und Einrichten eines eigenen Systems Bitte melden Sie sich bei: Gesellschaft für Mathematische Intelligenz (GMI) Goethestraße 34, 01445 Radebeul b. Dresden Epost: [email protected], Telefon/Fax: (0351) 836 5590 7ELTWEITE6ERSTÛNDIGUNG DURCHDIEINTERNATIONALE3PRACHE )DO /HNE3ONDERBUCHSTABENDESHALBOHNE0ROBLEMEÓBERALLDRUCKUND SCHREIBBARWODASNORMALELATEINISCHE!LPHABETBENUTZTWIRD ,EICHTERZUERLERNENALSANDERE&REMDSPRACHENDAIN3CHRIFTUND 'RAMMATIKREGELMÛIGOHNE!USNAHMENIM7ORTSCHATZINTERNATIONAL ,ERNENUNDODERUNTERSTÓTZEN3IE)DO - nt 7EITERE)NFORMATIONENGEGEN#ENTIN ffe e ö e rs "RIEFMARKEN+URZKURSUS%URO los O-Ku äßig n te $EUTSCHE)DO'ESELLSCHAFTE6 Kos che IDregelmstatt! li en rlin $7ALDKAPPEL"URGHOFEN find in Be WWWIDOLINGUODE Bunte Seite Seite 12 Selig sind die Armen Von Erhard Glier D Wenn nun aber diese Privatsache zu einer öffentlichen, gar gesamtsprachgemeinschaftlichen Angelegenheit gemacht wird, und zwar mit dem für deutsche öffentliche Angelegenheiten kennzeichnenden ganzen Brimborium, einschließlich einer über allem thronenden „Fachjury“, wie sie ein beflissenes Feuilleton zu bezeichnen beliebte – dann ist Skepsis, ja Mißtrauen nicht nur angebracht, sondern geboten. Wenn ferner diese Fachjury für die Wahl Begründungen einfordert und sich dann anmaßt, diese in das Prokrustesbett ihres kollektiv erarbeiteten ästhetischen Maßstabs zu pressen und das Ergebnis davon der Sprachgemeinschaft als deren „schönstes Wort“ aufs Auge zu drücken – dann kann das nur an den Baum gehen. Eine solche Jury – mit dem großen Textemacher deutscher Zunge Herbert Grönemeyer und der Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach, einer Vertreterin der für ihr exzellentes Deutsch allgemein bewunderten Juristen (der übrigens das für die jetzige beklagenswerte Rolle des GoetheInstituts entlarvende Wort „Englisch muß, Deutsch kann“ zugeschrieben wird) – hat also „Habseligkeiten“ zum „schönsten Wort der deutschen Sprache“ ausgerufen und will, daß es nun Volkes Eigentum werde, weil ihr „die Begründung so gut gefallen hat“. Sind wir damit nicht wieder bei Tschechow, der ja auch für gut befand, was ihm gefiel? Ganz und gar nicht! Tschechow war sicher nicht so vermessen, sein eigenes Urteil in den Rang eines für alle geltenden Urteils zu erheben. Und im Sinne Tschechows wehre ich mich gegen dieses Zwangsurteil und seine Zumutung, „Habseligkeiten“ als schönstes deutsches Wort zu akzeptieren. Dafür habe ich mehrere Gründe. Der erste, ein objektiver Grund, ist die von der „Fachjury“ akzeptierte sowohl aussagenlogische als auch etymologische Fragwürdigkeit der von Frau Doris Kalka aus Tübingen stammenden Begründung: „Das Wort bezeichnet nicht den Besitz, nicht das Vermögen eines Menschen, wohl aber seine Besitztümer, und es tut dies mit einem freundlich-mitleidigen Unterton, der uns den Eigentümer dieser Dinge sympathisch und liebenswert erscheinen läßt... Lexikalisch gesehen verbindet das Wort Zum verordneten schönsten Wort „Habseligkeiten“ zwei Bereiche unseres Lebens, die entgegengesetzter nicht sein könnten: das höchst weltliche Haben, das heißt den irdischen Besitz, und das höchste und im irdischen Leben unerreichbare Ziel des menschlichen Glücksstrebens: die Seligkeit. Diese Spannung ist es, die uns dazu bringt, dem Besitzer der Habseligkeiten positive Gefühle entgegenzubringen, wie sie gemeinhin den Besitzern von Vermögen und Reichtümern oder Eigentümern von Krempel, Gerümpel und Altpapier versagt bleiben“. Die „Fachjury“ bezeichnete dieses unsägliche Wortgeklingel als „poetisch-philosophisch“ und belohnte die Einsenderin mit einer Reise nach Mauritius. Die sei ihr gegönnt... Aussagenlogisch insofern: Nicht nur, daß ich die Leute nicht mag, die mir kostbare Zeit stehlen, indem sie am Anfang ihres Sermons des langen und breiten auseinandersetzen, was er alles nicht bezweckt, ich mag auch Begriffsbestimmungen nicht, die mir erklären, was ein Ding nicht ist, während mich brennende Neugier treibt zu erfahren, was es denn nun eigentlich sei. Schon diese allen Definitionsübungen aus Schulzeiten hohnsprechenden Negativformulierungen hätten eine Fachjury (ohne „“) diese Begründung ablehnen lassen müssen, zumal in ihr außerdem völlig unverständlicherweise die Synonyme „Besitz“ und „Besitztümer“ einander entgegengesetzt werden. Etymologisch insofern, als die „Fachjury“ in der Fortsetzung der Begründung außer acht gelassen hat oder, schlimmer noch, noch nicht einmal gewußt zu haben scheint, daß sich „Habseligkeiten“ mitnichten aus „Haben“ und „Seligkeit“ zusammensetzt. Es ist vielmehr eine Modifikationsbildung – mittels der Suffixe „-ig-keit“ (wie bei „Sanftmut“ > „sanftmütig“ > „Sanftmütigkeit“) unter Umlautung – von dem ausgestorbenen Wort „Habsal“, das in die Reihe „Drangsal“, „Mühsal“, „Rinnsal“, „Scheu- WOHL LAUT Ein schönstes deutsches Wort Von Wilhelm Deinert E in Formular behauptete „Das schönste deutsche Wort lautet (so und so)“ und bot dem Einsender eine Leerzeile an, um seinen Günstling zum Mister oder zur Miss Germany 2004 zu erklären. Dann gängelte es den Teilnehmer zu einem geräumigen Blankofeld, indem es ihm vorsprach: „Dieses Wort ist für mich das schönste deutsche Wort, weil ...“ und drohte bei Abweichungen von dem Vordruck mit dem sofortigen unanfechtbaren Ausschluß von dem Verfahren. Kein Zweifel, es machte Spaß, ein paar Zungenschmeichler auf ihre Vorzüge des einen vor dem anderen abzuschmecken und sie mit feinschmeckerischen Begründungen gegeneinander auszuspielen. In ziemlich langer Reihe standen sie vor dem Laufsteg an und stießen einander mit Lust von der Siegerstaffel, auf die ich sie probeweise postierte. Am Ende hielten sie mich zum Narren, indem sie bald diese, bald jene Reize entblößten und mir vor der Nase wiegten. Ich rächte mich, indem ich doch eine der Schönheiten zur Königin der Nacht erwählte und anpries, um all die aufdringlichen anderen zu beschämen. Sollte ich sie zum schönsten deutschen Wort erklären? Es hieße, den DSW-Silbenrätsel vorgeblichen Sprachpflegern, die den Wettbewerb ausschrieben, ihre Urteilsvergröberung und Ermunterung zur Phrase nachzusehen. Um meine Erwählte nicht gleich wieder zu verstoßen, unterschrieb ich also mein Ausschlußverfahren folgendermaßen: Ein schönstes deutsches Wort lautet Wohllaut. Dieses Wort ist für mich ein schönstes deutsches Wort, weil... es den Wohllaut verkörpert, den es aussagt – ihn hörbar macht. Es beglaubigt durch seinen Klangleib, was es behauptet. Wer es behutsam ausspricht, den durchströmt die Musik der deutschen Sprache. Mehr noch: er erfährt Laut für Laut das Urerlebnis des Sprechens. Denn im „W“ ist die Betroffenheit, die sich auf die Lippe beißt, weil das Sprechen die Stille verletzt. Das gedehnte „oh“ spricht ihr Bedauern, aber auch ihr Erstaunen aus, das sich selber zuhört. Es wird mit dem doppelten „ll“ in ein Lallen vor Sprachlust gewendet, das mit dem strahlenden „a“ in ein Beinahe-Lachen ausbricht. Aber das folgende „u“ tönt es geheimnisvoll. Es würde ein mystisches Raunen, wenn nicht das schließende „t“ mit dem Schnalzen des Genießers ihm den knackigen Biß verliehe. w t ie Wahl eines „schönsten Wortes der deutschen Sprache“ kann für jeden Freund der deutschen Sprache immer nur eine Entscheidung seines ureigensten Geschmacks sein. Daher bedarf sie keiner Begründung – „Etwas gefällt mir, oder es gefällt mir nicht; über andere ästhetische Kriterien verfüge ich nicht“, meinte sogar so ein Wortmächtiger wie Anton Tschechow –, und insofern ist sie auch reine Privatsache. Deutsche Sprachwelt_Ausgabe 21_Herbst 2005 ... wer ist die Schönste? Buchobjekt von Claudia Moritz-Marten sal“, „Schicksal“, „Trübsal“ oder „Wirrsal“ gehörte – alles Wörter, die sehr negative Empfindungen auslösen (außer vielleicht „Labsal“, aber auch dem ist ja eine unangenehme Durststrecke vorausgegangen...). Mit der „Seligkeit“, die Einsenderin und Jury als „freundlich“, „sympathisch“ und „liebenswert“ empfanden, haben die „Habseligkeiten“ nicht das geringste zu tun! Die Gewinnerin des Wettbewerbs trifft hieran natürlich keine Schuld, sie hat lediglich eine klassische Volksetymologie geliefert – und die „Fachjury“ ist voll darauf abgefahren oder hereingefallen! Aber der für mich eigentliche, der wissenschaftliche Skandal ist der, daß die Germanisten (ich bin zum Glück Slawist) nicht einmütig aufgeschrien haben ob so viel etymologischer Ignoranz. Oder sollte ich bei meinen Wanderungen durchs Internet und das deutsche Feuilleton unter all den ahnungslosen Zustimmungen ahnungsvolle Ablehnungen übersehen haben? Der zweite, ein subjektiver Grund ist der, daß für mich als Kriegskind des Jahrgangs 1934 unsere „Habseligkeiten“ der schäbige Rest unserer „Besitztümer“ waren, die armselige Habe, die wir, von einem feindseligen Schicksal zu Ausgebombten, Flüchtlingen und Vertriebenen gemacht, in Trübsal mühselig durch die Wirrsal jener Zeit zu retten versuchten, und das oft auch noch vergebens... Dies das schönste deutsche Wort?! Für mich dreimal nicht! Ich würde „Erbarmen“ wählen oder „Liebreiz“. Vielleicht sollte ich dann, zur Begründung gezwungen, sogar ebenfalls volksetymologisch argumentieren und etwas von „erblich gnädigen Armen“ und von „reizender Liebe“ daherreden, „damit (mich) die Masse auch versteht“, wie es in Michail Sostschenkos „Kuh im Propeller“ so hübsch heißt, so daß also eine „Fachjury“ meinen Unfug gutheißen könnte! Dabei besteht, wie wir wissen, zwischen „Armen“ und „Erbarmen“ doch derselbe etymologische Zusammenhang wie zwischen „Hund“ und „hundert“. Man hätte lieber folgendes machen sollen: fragen, welches (nur eine!) Wort jeder Deutschliebhaber als sein schönstes empfindet, ohne mühselige Begründung. Ein technisch gut ausgestattetes germanistisches Institut hätte alles durch seine Rechner gejagt und geguckt, was dabei herauskommt. Danach hätte diese Aussage getroffen werden können: „Für die meisten Deutschen und Freunde des Deutschen gilt Xyz (zur Zeit!) als das schönste deutsche Wort. Auf den weiteren Rängen folgen ...“. Das hätte genügt, und man hätte sich allenfalls über die Rangfolge ereifern können, zumal dann, wenn „geil“ unter die ersten zehn schönsten Wörter geraten wäre. was manchem zwar nicht gefallen hätte, aber als objektives Auswertungsergebnis unanfechtbar gewesen wäre. Eine Jury hätte ruhig ihr subjektives Verdikt darüber fällen können, geändert hätte das nichts. Übrigens wird derselbe Unfug ja auch bei der Festlegung des „Wortes des Jahres“ und des „Unwortes des Jahres“ getrieben. Statt sich auf die Zählung dessen zu beschränken, was „Volkes Stimme“ vorgibt, drängen sich angemaßte Kompetenzler in das Verfahren und schreiben dem Volk vor, was es dank ihrer kollektiven Weisheit eines Sprachpolitbüros als Wörter und Unwörter – oder „Rechtschreibreformen“! – zu schlucken hat. Aber schließlich kann ich dem Ganzen doch dieses Gute abgewinnen: Ich freue mich für und mit Frau Doris Kalka, daß „Habseligkeiten“ ihr schönstes deutsches Wort sein kann, denn aus ihrer Begründung scheint ihre Zufriedenheit mit einem lange ununterbrochenen Frieden hervor, die fröhliche Freude daran, mit ihrer in dieser Zeit erworbenen Habe selig sein zu können. Es möge noch lange so bleiben! So gesehen, hat dieser Deutungswandel von „Habseligkeiten“ dann sogar schon wieder etwas Tröstliches, geradezu in die Zukunft Weisendes... Dies noch am Rande: „Deutungswandel“ weckt natürlich die Frage, wann den Deutschen in ihrer Sprachgeschichte das Verständnis für die Bedeutung von „-sal“ und „-seligkeit“ abhanden gekommen ist, so daß sie begannen, „Seligkeit“ in der Tat mit der „Seele“ in Verbindung zu bringen, und solche schönen Wörter wie „holdse(e)lig“, „glückse(e)lig“ und gar „gottse(e)lig“ schufen. In Schriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert habe ich sehr oft diese wechselnde Schreibweise, und natürlich „Seeligkeit“, gefunden – daher würde es mich interessieren, wie oft heute („noch heute“ oder „gerade heute“?) Deutschlehrer bei ihren Schülern das zweite „e“ „anstreichen“ müssen... Von Dagmar Schmauks ager – an – bank – bank – bar – baum – ben – brem – cho – de – de – der – der – dog – fall – fee – fen – ge – ge – ge – geist – geld – ger – gleit – gramm – hän – heu – kaf – kom – kopf – kun – lat – lauf – le – ma – ma – ma – men – mie – mo – ne – ne – nen – nie – nie – no – no – nuß – opa – port – pres – psy – pump – punkt – ra – rei – reich – ren – rü – sa – sa – sche – schein – schirm – schleu – schnup – schwer – se – se – sen – spin – sprung – tan – tar – te – te – teen – ten – tisch – trans – tro – ur – ur – werk – woll – zeit – zi Lösungen: 1. Transport – 2. dogmatisch – 3. Opale – 4. Notenbank – 5. Pumpwerk – 6. geistreich – 7. Gleitzeit – 8. Salatschleuder – 9. Zitronenpresse – 10. Samenbank – 11. Teenager – 12. Anhängerbremse – 13. Schwerpunkt – 14. Geranie – 15. Kaffeetante – 16. Psychogramm – 17. Notar – 18. Genuß – 19. Kopfgeld – 20. Rübenmiete – 21. Fallschirm – 22. Baumwollspinnerei – 23. scheinbar – 24. Manieren – 25. Ursprung – 26. Laufmasche – 27. Heuschnupfen – 28. Genesender – 29. Kommode – 30. Urkunde 1. fischölige Körperertüchtigung – 2. Stellmöbel für einen Glaubenssatz – 3. schwäbisch-herablassende Anrede eines Großvaters – 4. Sitzgelegenheit für verschriftlichte Töne – 5. geliehene Firma – 6. Herrschaftsgebiet eines Gespenstes – 7. rutschige Abfolge von Augenblicken – 8. Katapult für eßbare Blattpflanzen – 9. säuerliches Druckerzeugnis – 10. Sitzmöbel eines nordskandinavischen Volksstamms – 11. jemand, der die Blätter eines anregenden Strauchs knabbert – 12. Gerät, das die Jünger einer Lehre verlangsamt – 13. gewichtiger ausdehnungsloser Gegenstand – 14. dauernde Ablehnung einer Stadt an der Elster – 15. weibliche Verwandte eines Heißgetränks – 16. kleine Gewichtseinheit für Seelen – 17. Flächenmaß in hilfsbedürftiger Lage – 18. fetthaltige Frucht eines Tons in C-Dur – 19. Finanzen eines hochgelegenen Körperteils – 20. Wohnungspreis einer Wurzelknolle – 21. gravitationsgeschädigter Regenschutz – 22. Wahnideen aus Pflanzenfasern – 23. Nachtlokal, in dem man nur mit Banknoten bezahlt – 24. heiter-enthemmter nordischer Geweihträger – 25. allererstes Springereignis – 26. schlaue Renntaktik – 27. Erkältungskrankheit von getrocknetem Gras – 28. jemand, der Erbinformationen verschickt – 29. Lockruf für ein festliches Gedicht – 30. Wissenschaft vom Auerochsen Prof. Dr. Dagmar Schmauks ist in der Arbeitsstelle für Semiotik an der Technischen Universität Berlin tätig. Semiotik ist die Wissenschaft von den Zeichen.