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jp_f_wie_faelschung (158,0 KiB)
Jürgen Palmer : F wie Fälschung (Fassung von 2000)
Meine Damen, meine Herren,
diese Veranstaltung ist gefährlich.
Die Kunstgeschichte ist eine Kriminalgeschichte.
Sie sind schon im Vorfeld gewarnt worden.
Für die Folgen meiner Ausführungen in Ihrem Gemüt, für Ihre Irritation, Ihre Enttäuschung kann ich keine
Verantwortung übernehmen.
Dies wird aller Voraussicht nach mein letzter Versuch sein, Licht in das Dunkel der Kunstrezeption zu
streuen. Zu nervenaufreibend ist die Recherche, zu unabsehbar die Folgen für mich selbst, als dass ich es wagen
wollte, noch tiefer in den Morast der herrschenden Verhältnisse einzudringen. Wer von Ihnen bei den ersten
beiden Veranstaltungen – im letzten bzw. vorletzten Jahr – zugegen war, wird nach diesem heutigen Vortrag,
der natürlich und mit Rücksicht auf das eventuell neue Publikum aus Wiederholungen besteht, aber auch einige
Modifikationen erfahren hat, ein nahezu vollständiges Bild der wahren Zusammenhänge der neueren Kunstgeschichtsschreibung besitzen.
Aber auch die erstmaligen Zuhörer unter ihnen werden verstehen, dass es nach diesem Vortrag um nichts
Geringeres gehen wird, als darum, sich eine völlig neue Sehweise auf die Kunst und Ihre Zusammenhänge zu
bilden.
Sie selbst, verehrte Gäste, werden sich Maß und Ziel neu erschaffen müssen.
Das Motto heute lautet:
Die Kunstwelt war niemals mehr als getarnte Bauernfängerei.
Ich möchte Ihnen zunächst eine Zeitungsnotiz des »Amsterdam Dagblad« vom 24. 7. 1994 vorlesen:
».... der Wissenschaftler ist vergangene Woche tot in seinem kleinen Ferienhaus, unweit Amsterdam,
aufgefunden worden. Wie ein Sprecher der Polizei mitteilte, deute alles auf ein Verbrechen hin. Allerdings seien
keinerlei Spuren gefunden worden, die auf ein gewaltsames Eindringen in das Haus schließen lassen würden. In
dem Haus hätten sich laut der Aussage der Familie keine Wertsachen befunden. (u.s.w.) .....«
Um wen geht es hier? Der Name des Wissenschaftlers, der wie auch immer zu Tode gekommen ist, wird
nicht erwähnt. Meine Recherchen haben ergeben, dass es sich um Paul de Vrees handelt. Und dieser Paul de
Vrees spielt in einem bestimmten, die Kunst betreffenden Zusammenhang eine eminent wichtige Rolle.
Vielleicht haben Sie schon einmal vom RRP gehört. Das ist die Abkürzung für »Rembrandt Research
Project.« Das RRP ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die sich bemühen, das Werk von Rembrandt
Harmenz van Rijn auf die sogenannte Händscheidung hin zu untersuchen, d.h. es sollen die »Werkstattbilder«
getrennt werden von den »Werken eigener Hand«.
Die Werkliste des Rembrandt weist ja schon seit langem einen gewissen Schwund auf. Nachdem sie zuerst durch die Forschungen verschiedener Historiker und Kunstkenner angewachsen war auf die erkleckliche Zahl
von 744 Gemälden, sank sie bis im Jahre 1969 auf 420 als gesichert geltende Arbeiten des Meisters. Der Schwund
ging daraufhin voran und das prominenteste Bildopfer dürfte »Der Mann mit dem Goldhelm« gewesen sein. Einst
das Vorzeigebild Rembrandts schlechthin – zahlreich sind die Lobeshymnen, die das Rembrandt’sche Malgenie
gerade an diesem Bild ausmachen – wurde es nach langwierigern Untersuchungen schließlich als Nicht-Rembrandt geoutet. Das Bild, dem sein zentraler Platz an einer großen Wand ganz für sich allein in der Gemäldegalerie
Berlin Dahlem für alle Zeit gesichert schien wurde, verlor diesen Platz mit Pauken und Trompeten. Die Kunstwelt
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war schockiert. Eine Ausstellung dokumentierte 1986 die gesamte Geschichte und das Schicksal des Werkes und
machte vor allem eines klar: Ein Berg war gestürzt, und alle jene, die den Künstler Rembrandt genau durch dieses
Monument charakterisiert geglaubt hatten, mussten sich beschämt verstecken. In der Zeit dieser Ausstellung
war der als gesichert geltende Bestand der Rembrandtgemälde auf ca. 300 angekommen. Nicht einmal mehr die
Hälfte im Vergleich zu den Hochzeiten. Tendenz fallend.
Und was hat das mit Paul de Vress zu tun.
Paul de Vrees ist bis 1993 maßgeblicher Mitarbeiter des Rembrandt Research Projekt. Im November 1993
wird er aber ausgeschlossen. Der Grund: Paul de Vrees ist übers Ziel hinausgeschossen und wäre womöglich in
der Lage gewesen, seinen Kollegen und Mitarbeitern die weitere Arbeitsgrundlage zu entziehen. Er äußert die
schlimmste aller Behauptungen: dass es nämlich so gut wie keinen Rembrandt von eigener Hand gibt. Rembrandt
habe zwar ein große Zahl von Zeichnungen und Konzepten angefertigt, zur Ausführung der Gemälde jedoch eine
Reihe von begabten Malern um sich geschart und die ästhetische Linie aller durch sie ausgeführten Arbeiten überwacht. Der Verlust des Ranges Rembrandts gegen Ende seines Lebens ginge folgerichtig einher mit Streitigkeiten
innerhalb dieses Malerkollektiv – der Neid der Unbekannten auf den Erfolg des Bekannten sei unvermeidlich gewesen. Keiner seiner Mitarbeiter habe jedoch nach dem Tod des Meisters künstlerische Eigenständigkeit erlangt,
weshalb das Werk des Rembrandt durch Jahrhunderte hindurch als gefestigt und authentisch erschienen sei.
Dass über den Tod von Paul de Vrees in der Folge nur noch spärlich berichtet wurde – schon der erste
Artikel war merkwürdig bruchstückhaft – nimmt nicht Wunder. Es deutet alles darauf hin, dass Paul de Vrees im
Auftrag oder zumindest mit Billigung höchster Stellen der Regierung liquidiert wurde.
Er hatte sich entschlossen, nach dem Ausschluss aus dem Rembrandt Research Project seine Forschungen international zu veröffentlichen. Nichts von seinen Schriften ist aber jemals in der Fachpresse oder gar in der
breiteren Öffentlichkeit aufgetaucht.
Jemand, der mit womöglich schlüssigen Beweisen das ohnehin angeschlagene Rembrandtbild vollständig
zum Einsturz zu bringen gewusst hätte, wurde zum Schweigen gebracht, weil mächtige Interessen auf dem Spiel
standen.
Auch der Rembrandt, vor dem wir uns hier versammelt haben, ist kein Rembrandt. Der Platz, dem man
ihm zubilligt, ist ein Randplatz – ein wenig verschämt und zur Seite gedrückt. Als echter Rembrandt würde ihm
eine andere Position zukommen. Aber vielleicht gibt es ja tatsächlich keine echten Rembrandts. Dann werden in
den nächsten Jahren wohl noch einige Platzverschiebungen in den Museen der Welt stattfinden... oder noch einige Morde geschehen... oder – das wäre der beste Zug, um aus der Misere zu entkommen – man akzeptiert die
Funktion Rembrandts als künstlerischer Leiter und geistiger Vater aller falschen Rembrandts, womit alle falschen
Rembrandt mit einem Schlage wieder echte Rembrandts wären und Rembrandt Harmenz van Rijn der geniale
Vorläufer von Marc Kostabi oder Jeff Koons.
In diesem Museum finden sich als älteste Zeugnisse die Werke des Mittelalters. Zu jener Zeit stand der
Inhalt des Bildwerkes im Mittelpunkt... individuelle schöpferische Potenz war kein Verhandlungsgegenstand...
somit war die Frage nach der Unterscheidung von Original und Kopie unwichtig. Maler waren keine Künstler im
späteren Sinne, sie waren Handwerker und hatten sich an Konventionen, Vorgaben und übergebene Bildideen zu
halten. Diese Traditionen bestimmten die Arbeiten über Jahrhunderte hinweg.
Mit der allmählichen Lösung des Malers, oder Bildermachers, von den Fesseln und Beherbergungen
dieser Überlieferungen, mit der zunehmenden schöpferischen (nicht nur handwerklichen) Individuierung wird
der Begriff der Originalität wichtiger und mündet in die Vorstellung des einmaligen, originären Künstlers und des
ebenso einmaligen und originären Originals. Es ist aber erst das 19. Jahrhundert, das diese Fragestellung leistet.
Es wächst das Interesse an Fragen des geistigen Eigentums. Begriffe wie »Original«, »Kopie«, oder später
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eben auch »Fälschung« werden relevant. Aber erst des 20. Jahrhundert katalysiert die in den vorangegangenen
Perioden vorbereitete Problematik und bringt sie in aller Kraft und Lächerlichkeit zum Vorschein.
Dabei arbeiten der freie Markt, die freie Wissenschaft und der freie Journalismus Hand in Hand.
Dazu schreibt der Philosoph, Schriftsteller und Medientheoretiker Ben Tolsky:
»Das 20. Jahrhundert ist der ideale Nährboden für alle Arten von Fälschungen. Mit der Kultivierung des
Individuellen, mit der Ermöglichung des Nimbus, der ›herausragende Persönlichkeiten‹ oder ›hervorragende Dinge‹ umgibt – mit diesem Glorienschein, dessen Streiflicht zumindest sich die beeindruckte Anhängerschaft versichern will, um sich selbst durch seinen Abglanz zu beleuchten... mit der grenzenlosen Aufwertung des Scheins
also, fordert diese Zeit ihre Genossen zum lärmenden Wettbewerb.
Weil nicht die stille Begegnung mit Persönlichkeiten oder Dingen von Wert ist, sondern ihr lauter Bericht
davon, weil das nach außen gekehrte Emblem des Besitzens Anerkennung und Beifall findet, und das eingravierte
Zeichen, jener der Seele aufgeprägte Stempel einer intimen Begegnung, sich der Veröffentlichung verweigert
und damit wertlos scheint – deshalb ist der Markt zur Herstellung wie Verhandlung von Schein und Fälschung ins
Grenzenlose angewachsen.
(...)
Dass diese Tage eine Armee von Schmierfinken ernähren, denen erlaubt ist, die eigene Niedertracht und
Kleinmütigkeit, die Spießigkeit und Kurzsichtigkeit ihrer frustrierten Existenz auf einen kulturellen Gegenstand zu
werfen, und dass der Misston ihrer Bewertung davon in der sogenannten Öffentlichkeit Widerhall findet... das ist
mithin das untrüglichste Indiz für die mittlerweile allgemein goutierte Falschheit. Nahezu jede veröffentlichte Reflexion eines Ereignisses erweist sich bei klarer Betrachtung als eine Fälschung, ich behaupte gar: alle Chronisten
waren von jeher Fälscher... aber die geschmacklosesten Fälschungen sind heute dort zu finden, wo jene Interpretatoren und Wertungsrichter, deren Kommentare zu Gegenständen der Kunst keinerlei eigene kreative Qualität
aufweisen, und die nichts sind, als Spiegelungen der eigenen, durch Morbidität und Frustration verzerrten Fratze,
mit ihren Veröffentlichungen die Welt verunreinigen.«
Und Orson Welles sagt in seinem Film »F for Fake«: ... »Wieviele Fälschungen werden heute sogar in der
Küche begangen!!«
Niemand kann heute mehr die Problematik des Originalbegriffs leugnen. Die Hilflosigkeit im Umgang mit
dieser Problematik treibt allerdings die seltsamsten Blüten.
Nun aber wieder zur Fälschung speziell von Kunst.
Mit dem steigenden Wert jener Individualkunst ist natürlich der Anreiz zur Fälschung mitgewachsen. An
dieser Werte-Installation und der Forcierung ihrer »negativen« Folgen sind die Händler und Besitzer von Kunst
(und ähnlichen Werten) ebenso beteiligt wie die Künstler selbst.
Da ist zum einen die grenzenlose Naivität der Künstler, die, aus dem Wunsch nach möglichst großer
Publizität, zu kühnen, aus heutiger Sicht verhängnisvollen Definitionen des Originalbegriffs führten. So definierte
beispielsweise der Bildhauer Auguste Rodin das Original folgendermaßen (Zitat aus einem Gespräch mit Ambroise Vollard) »Ein Werk von mir ist echt, wenn ich die Erlaubnis gegeben habe, es abzugießen; es ist falsch, wenn
man es ohne meine Einwilligung tut.« Und Claude Monet, der wichtigste Maler des Impressionismus hegte einen
Traum – er wünschte sich eine Maschine, die in der Lage sein sollte, seine Bilder ›originalgetreu‹, das heißt, dem
von Hand gemalten Bild in Farbe und Oberfl ächenstruktur völlig identisch, herzustellen, damit eine größere Verbreitung seiner Kunst möglich würde.
Heute werden Güsse oder Grafikdrucke von Nachfahren des Künstlers oder von Sachwaltern des künstlerischen Erbes ›autorisiert‹!
Dazu noch einmal ein Zitat, ein Abdruck in einem Rodin Ausstellungskatalog der »Galerie Orangerie, Pa3
lais Auersperg Wien« von 1980.
»Von Rodins Plastiken gibt es Versionen in Bronze, Marmor und Gips, Reduktionen auf kleinere Formate
und Vergrößerungen zu monumentalen Denkmälern. Es gab Unikate aus Marmor, die von Gehilfen Rodins hergestellt wurden und Auflagen von tausenden Exemplaren, für die Rodin dem Gießer die Lizenz erteilte.
Das MUSEE RODIN kontrolliert nun die Auflage von Rodin Werken sehr genau. Die Bronzen wurden auf
12 Exemplare limitiert, das Exemplar Nr. 0 verbleibt dem Museum als Archiv Exemplar.
Da man die Schönheit der Rodin-Plastik aber nicht nur erschauen, sondern begreifen muss, wurden von
einigen Plastiken Repliken hergestellt.
Das Musee Rodin lässt von den Originalformen, in der gleichen Gießerei in der auch die Bronzen hergestellt wurden, eine unlimitierte Edition in kaltgegossener Bronze herstellen, die wie die Originale aussehen, aber
unnumeriert sind.
Eine Reihe amerikanischer Museen ließ mit Genehmigung von SPADEM und dem Musee Rodin Replikate
in Steinguss herstellen, die nach den in ihrem Besitz befindlichen Marmor- oder Bronzeexemplaren abgeformt
wurden. Auch diese Exemplare sind unlimitiert und entsprechen in Größe und Farbe den Originalen.
Von einer Reihe von Zeichnungen und Aquarellen Rodins wurden Faksimiles hergestellt, die sorgfältig im
Lichtdruck nach den Originalen reproduziert wurden. Sie geben die feine Zeichnung und die kräftige Farbigkeit
der schönsten Blätter des großen Künstlers perfekt, zum Teil handkoloriert, wieder.
Anlässlich der Ausstellung RODIN wurden die lieferbaren Repliken und Faksimiles in einem kleinen Katalog zusammengefasst.
Wir senden Ihnen diese Liste schöner, preiswerter Rodin-Plastiken gerne.
DAS MUSEUM
A 1011 Wien P.O. Box 933«
Auch Monets Traum ist Realität geworden. Durch avancierte Scanverfahren ist es möglich, nicht nur die
Farbgebung, sondern auch die plastische Oberfl ächentextur eines Bildes exakt zu erfassen, und einen Roboter mit
der Nachbildung dieser in binäre Datencodes geschriebenen Oberfl äche zu betrauen. Die perfekte Reproduktion
ist möglich. Die Monets sind per Bestellung zu haben.
Soviel vorerst zu Rodin, seinen Kollegen und zu ihrer Naivität.
Der Rodin, den dieses Museum birgt, ist übrigens – mit diesen Kenntnissen betrachtet – durchaus der Frage auszuliefern, ob er ein Original im Sinne der Rodin’schen Definition ist, oder ein Original im Sinne der Nachlassverwalter. Ist er ein originales Original oder eine originale Replik? Oder die Replik einer Replik? Zur Zeit steht er auf
einem über alle Maßen erhöhten Sockel innerhalb der Pissarro/Impressionismus-Ausstellung. Aus ästhetischen
Gründen? Oder einfach deshalb, damit man den Gießerstempel nicht so genau unter die Lupe nehmen kann?
Nun ein Wort zur immer stärker werdenden Bindung der Idee und des Werkes an die Künstler-Person.
Von einem Künstler, der sich als Antikünstler ausgab, von Marcel Duchamp, der so entscheidende Fallstricke in
der Kunstgeschichte gespannt hat, die dann doch allesamt vom Kunstmarkt elegant übersprungen wurden, wurde
diese Problematik 1963 so kommentiert:
»Hütet euch vor den Künstlern! Künstler sind wilde Tiere.... Alle Künstler seit Courbet sind wilde Tiere
gewesen. Alle Künstler sollten in Anstalten für übertriebene Egos sein. Courbet war der erste, welcher sagte:
›Nehmt meine Kunst oder lasst sie. Ich bin frei.‹ Das war 1860. Seither hat jeder Künstler gemeint, er müsse freier
sein als der vorhergehende. Die Pointillisten meinten, sie hätten freier zu sein als die Impressionisten, und die
Kubisten noch freier, und die Futuristen und die Dadaisten, und so weiter und so fort. Freier und freier und freier
– sie nennen es Freiheit. Trunkenbolde werden ins Gefängnis gesteckt. Warum sollte es den Egos der Künstler
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gestattet werden, die Atmosphäre zu überfluten und zu verpesten? Riecht ihr nicht mal den Gestank davon in der
Luft?«
Nun, Duchamps Traum von der Internierung der Wilden-Tiere-Künstler ist realisiert. Und wo sind die
Gefängnisse für die Künstler?
Hier. Wir stehen mitten drin.
Die Lust der Künstler nach Freiheit gipfelt in dem Ehrgeiz, in ein Museum eingesperrt zu werden. Das
Publikum defiliert durch die Abteilungen des Museumssortiments, wie durch die Abteilungen der Naturkundemuseen oder der zoologischen Gärten. Die wilden Tiere vegetieren hinter Gittern und Panzerglasscheiben.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Zoodirektoren und Museumsdirektoren gemeinsam haben?
Beide können es sich im Wettbewerb der »bedeutenden Häuser« und im Kampf um das große Publikum
nicht leisten, nach der genauen Herkunft eines zum Kauf angebotenen seltenen Objektes zu fragen – sei es Wildtier einer seltenen Gattung, sei es Öl auf Leinwand eines seltenen Künstlers.
Marcel Duchamp war es auch, der den Originalbegriff eines August Rodin auf den Punkt brachte: Indem
er ein im Sanitärfachhandel erworbenes Pissoir signierte und als originale Plastik bezeichete.
Einer, der sich über die Frage, was für einen Rang der Platz an einer Museumswand für ein Bild bedeutet,
auf ganz ungehörige Art ausgelassen hat, war Elmyr de Hory.
Elmyr de Hory, der größte Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts, nahm sich am 11. Dezember 1976 das Leben, um einer drohenden Gefängnisstrafe zu entgehen.
Er selbst war entlarvt. Er war gescheitert. Sein Leben war ohne Aussicht.
Aber die Museen der Welt beherbergen seine Gemälde und die Verantwortlichen zittern vor dem Tag, da
wieder einmal eines ihrer ›Highlights‹ enttarnt wird. Die Chance dafür ist nicht allerdings nicht allzu groß, denn die
Werke von de Hory sind zu gut – sie sind mehr als einmal sogar besser, als die Originale. Wohlgemerkt, de Hory
hat keine Bilder kopiert, so dass man, wie zum Beispiel in »Alte Meister« von Thomas Bernhard, sich mit der Frage
herumquälen müsste, ob nun der Tizian im eigenen Schlafzimmer oder der genau gleiche Tizian im Museum der
»echte« Tizian sei, sondern er hat das Werk großer Künstler ergänzt, dem Werk neue Werke hinzugefügt, und
diese Werke nun waren oft so gut gemalt, dass man sie ohne Umschweife zu Hauptwerken der entsprechenden
Künstler zählen wollte... und bis heute zählt.
Einige Beispiele:
Der große Cezanne im Metropolitan stammt von de Hory, die Sammlung in Chicago beinhaltet mindestens 5 Gemälde von de Hory, es sind 5 Meisterwerke der klassischen Moderne. Die Sammlung in London wäre
ebenfalls um mindestens 5 Hauptwerke ärmer, würde man die de Horys entfernen. Die kleinen Tintorettos in
Tokyo, in Brasilien und in Budapest stammen allesamt von de Hory, die Goyas in Cincinatti sind von ihm und eine
eine große Zahl von El Grecos in allen möglichen amerikanischen Museen ebenfalls. Der Manet in Detroit ist von
de Hory und der Monet wahrscheinlich auch.
Und dann Matisse... Die öffentlichen und privaten Sammlungen sind voll von falschen Matisse – und
die besten stammen von Elmyr de Hory. Das kleine blaue Interieur, das Sie bis vor Kurzem noch in diesem Haus
bewundern konnten... wo ist es mit einem Mal abgeblieben? Ausgeliehen? In Restauro? Oh, es gibt viele gute
Erklärungen. Die wahrscheinlichste werden Sie nicht erfahren. Seit ich behauptet habe, dass auch dieser Matisse
kein »echter« Matisse sei, sind sie kritischen Stimmen, die nach einer neuen Expertise gerufen haben, nicht verstummt. Und das Bild wird – da wette ich drauf – mit einer neuen Expertise ausgestattet bald wieder von einer
dieser Wände schauen. Fragt sich nur, wer die Expertise erstellt hat.
Die anderen Leib- und Magenkünstler de Horys waren Modigliani, van Dongen und Picasso. Und auch sie
bereichern die Sammlungen der Welt.
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Ein bei uns weit bekannterer, aber was die Malerei betrifft auch ungleich schlechterer Fälscher, Konrad
Kujau, bewies einen gewissen Humor , indem er den Umstand der merkwürdigen Werkvergrößerung in den Satz
fasste: »Matisse hat 2000 Bilder gemalt, von denen sich 4000 in den USA befinden.«
Und nun zu Picasso. Sein Leben und Werk ist geradezu durchtränkt von Fälschungen.
Picasso sagte zwar selbst: »Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lässt«, als ein Sammler
ihm aber eine Zeichnung brachte, die Picasso als Fälschung entlarvte, wollte er von dieser Art Lüge nichts wissen
und wurde sauer. Auch ein kleines Bild, das derselbe Sammler ihm wenige Wochen später zeigte, war laut Picasso
eine Fälschung. Als auch eine dritte Arbeit eine Fälschung sein sollte, sagte der Sammler: »Aber Pablo, ich habe
selbst gesehen, wie du dieses Bild gemalt hast!« Darauf Picasso: »Ich kann ebensogut wie jeder andere falsche
Picassos malen!«
Die Kunstwissenschaft weiß mittlerweile, dass Picasso gelegentlich gut gemachte Fälschungen signiert
hat. Und die mittlerweile zu einem Teil in dieses Haus untergeschlüpfte Sammlung Steegmann zeigt einen »echten« Picasso (Titel: Das Atelier des Künstlers), der so schlecht ist, dass man annehmen muss, Picasso habe einen
schlechten Fälscher kopiert, damit wenigstens die Kopie der Fälschung wieder echt sei.
Fälschungen betreffen aber nicht nur das Werk Picassos, sondern gleichermaßen sein Leben. Wieviel ist
nicht zurechtgebogen worden, um die Picasso´schen Facetten Kommunismus und Luxus, Sozial-Engagement und
Machismo, intelligente Vitalität und kraftmeierischen Leichtsinn auf einen biographischen Plan zu bringen?
Die vielleicht folgenreichste Fälschung um Picasso stammt ebenfalls weder von einem Maler-Epigonen
noch von ihm selbst, sondern von einem Vertreter der schreibenen Zunft. 1956 stirbt in Florenz Giovanni Papini.
Er ist der Sohn eines leidenschaftlichen Garibaldi-Verehrers und genießt in Italien den Ruf eines Teufels – vollends
seit der Veröffentlichung seines Essays ›Il diavolo‹, in dem er behauptet, Gott habe Satan vergeben. 1951 veröffentlicht er ›Das schwarze Buch‹ – eine Reihe fingierter Interviews. Darin auch ein Interview mit Picasso, in welchem
dieser zugibt, er habe seine Werke gemalt, um sich über seine Zeitgenossen lustig zu machen. Obwohl dieses
Interview längst als Fälschung entlarvt und seitdem immer und immer wieder als solche benannt worden ist, hat
sich sein Inhalt besser gehalten, als manche Wahrheit.
Diese Fälschung war in Kreisen der Polemiker gegen die Moderne Kunst begehrt und wurde begierig
aufgenommen und weiterverbreitet.
Ephraim Kishon beispielsweise, der keine Gelegenheit auslässt, über die moderne Kunst seinen Spott
auszuschütten, ignoriert den Hinweis auf die Falschheit des Dokumentes öffentlich ebenso beharrlich, wie mancher Kleinbürger im Privaten.
Lassen wir jetzt einmal Elmyr de Hory selbst zu Wort kommen:
Laut seiner Aussage hat niemals – ich wiederhole, niemals – ein Museum den Ankauf eines von ihm oder
von seinen Strohmännern angebotenen Gemäldes abgelehnt. Seine Worte:
»So ein Gemälde braucht man nur in ein berühmtes Museum zu geben, und dann muss man es lang genug hängen lassen und dann ist es eines Tages echt.«
Und an anderer Stelle variiert er: »Wenn man sie in ein Museum hängt oder in eine berühmte Gemäldesammlung und wenn man sie da lange genug lässt, dann werden sie allmählich echt.«
Vincent van Gogh war keiner der Künstler, dessen Œvre von de Hory entscheidend erweitert wurde. Bedenkt man jedoch die Preise, welche die Bilder des ehemals geringgeschätzten erzielen können, drängt sich die
Frage nach eventuellen Fälschungen geradezu auf. Deshalb an dieser Stelle ein Interview des »Spiegels« mit dem
Van-Gogh-Forscher Matthias Arnold zum Streit um die Echtheit von Bildern, die der Holländer gemalt haben soll.
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( Kultur extra / 28. 6. 1997 ). Überschrift: „Der tote Vincent malt ...“
Ich werde dieses Interview nahezu vollständig verlesen, damit Sie etwas von der Terminologie und der
Uneinigkeit jener erfahren, die als Experten mit derlei Fragen befasst sind.
SPIEGEL: Van Gogh ist im Gerede. Für eine seiner Zeichnungen sind bei einer Londoner Auktion soeben
8,8 Millionen Pfund bezahlt worden, aber gleichzeitig erregt die Rechnung Aufsehen, 100 oder mehr bislang van
Gogh zugeschriebene Werke seien wohl gefälscht. Sind Sie überrascht?
Arnold: Nein, Fälschungen sind in der Tat ein ernstes Problem der Van-Gogh-Forschung. Die offiziellen
Werkverzeichnisse müssen unbedingt gereinigt werden. Ich sehe allerdings einen Abschreibungsboom, der meiner Meinung nach ähnlich wie bei Rembrandt über das Ziel hinausschießt.
SPIEGEL: Ist das Problem neu aufgetaucht?
Arnold: Keineswegs. Schon um 1930 wurden Van-Gogh-Fälschungen sogar in einem sensationellen Berliner Strafprozess verhandelt. Die Machwerke, die der Angeklagte Otto Wacker auf den Markt gebracht hatte, waren auch zahlreich im ersten Van-Gogh-Œuvrekatalog von Jacob Baart de la Faille verzeichnet. Alfred Kerr reimte
aus diesem Anlass: „Das Leben lacht. Die Sonne strahlt. Der tote Vincent malt und malt.“
SPIEGEL: Hat das damals angefangen?
Arnold: Das glaubte man lange, weil die Preise nach dem Ersten Weltkrieg stark angestiegen waren. Heute kennt man aber auch Fälschungen aus den Jahren unmittelbar nach dem Freitod des Malers 1890. Sie müssen
aus dem engen Umkreis Vincent van Goghs und seines 1891 gestorbenen Bruders Theo stammen.
SPIEGEL: Sind die Täter überführt?
Arnold: Nicht mit letzter Sicherheit. Besonders verdächtig sind aber der Maler Emile Schuffenecker und
sein Bruder Amédée, ein Kunsthändler. Dass Amédée Schuffenecker Van-Gogh-Kopien als Originale verkauft
hat, ist heute allgemeiner Forschungsstand. Es macht schon misstrauisch, wenn ein bestimmtes Bild durch seine
Hände gegangen ist. Nur hat er eben auch viele eindeutig echte Van-Gogh-Werke in Besitz gehabt.
SPIEGEL: Ist denn der tote Vincent noch immer so fleißig?
Arnold: Neue Fälschungen kommen vor, aber die meisten Werke, die heute Problemfälle bilden, sind seit
Jahrzehnten bekannt, viele schon seit der Jahrhundertwende.
SPIEGEL: Was prädestiniert gerade van Gogh zum Fälschungsopfer?
Arnold: Einmal natürlich seine ständig angestiegene Popularität, die sich unmittelbar auf die Marktpreise
auswirkte, so dass Ende der zwanziger Jahre Gemälde bereits um 100 000 Mark kosteten. Die spontane Malweise
van Goghs war aber auch viel leichter nachzuahmen als eine altmeisterliche Technik mit mehreren Farbschichten.
Und er hat selber Verwirrung gestiftet, indem er oft Repliken der eigenen Bilder malte.
SPIEGEL: Aber mittlerweile hätten die Kenner doch Zeit genug gehabt, sich über falsch und echt zu einigen?
Arnold: Es ist ein absurdes Theater, dass es keine systematische Zusammenarbeit gibt. Immer mal wieder
erscheint ein anderes Van-Gogh-Werkverzeichnis, so wie Ende vorigen Jahres die Neubearbeitung des Buches
von Jan Hulsker, der nun 45 Arbeiten in Frage stellt, die er 1980 noch anerkannt hat. Aber Hulsker saß schließlich
auch schon in dem Komitee, das die 1970 erschienene, wiederum durch viele Fälschungen belastete letzte Ausgabe des Katalogs von de la Faille betreute. Nach welchen Kriterien dieses Komitee entschieden hat, ist völlig undurchsichtig, Argumente für oder gegen einzelne Werke werden nicht dargelegt. Nun steht offenbar als nächster
ein Œuvrekatalog der Spezialisten Roland Dorn und Walter Feilchenfeldt bevor.
(...)
SPIEGEL: Sprechen wir von Beispielen. Das spektakulärste in der aktuellen Debatte ist das „Sonnenblumen“-Bild, das vor zehn Jahren zum damaligen Weltrekordpreis von 24,75 Millionen Pfund nach Japan versteigert
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worden ist. Hulsker akzeptiert es auch weiter, aber andere Autoren melden Zweifel an. Können Sie diese Bedenken nachvollziehen?
Arnold: Das kann ich, und nicht erst seit gestern. Tatsächlich fällt dieses Gemälde als einziges aus einer
Gruppe von fünf ähnlichen, die van Gogh 1888 bis 1889 in Arles gemalt hat, heraus, nämlich durch sein abweichendes, übrigens angestücktes Format, durch eine andere Art von Leinwand und auch durch geringere künstlerische
Qualität, zum Beispiel den unruhigeren Duktus der Pinselstriche. Das sind starke Verdachtsmomente, allerdings
noch keine Beweise.
SPIEGEL: Wieso nicht?
Arnold: Van Gogh könnte die Leinwand auch von seinem Kollegen Gauguin übernommen haben, der
ihn tatsächlich um ein Sonnenblumen-Bild bat. Und die gewisse Fahrigkeit der Ausführung ist vielleicht auf den
schlechten Gesundheitszustand des Malers zurückzuführen. Dazu gibt es Parallelen.
SPIEGEL: Hulsker, der die japanischen „Sonnenblumen“ anerkennt, setzt statt dessen Fragezeichen hinter
so berühmte Werke wie die sogenannte Arlésienne im Metropolitan Museum in New York und das Porträt des
Arztes Paul Gachet im Pariser Musée d‘Orsay. Was sagen Sie dazu?
Arnold: Ich widerspreche entschieden. Beide Gemälde sind Zweitfassungen des jeweiligen Motivs, aber
sie sind die künstlerisch stärkeren, farbig und kompositorisch stimmigeren Lösungen. Nur dass die New Yorker
„Arlésienne“ einmal den Brüdern Schuffenecker gehört hat, macht sie noch nicht zur Fälschung. Und das Pariser
Gachet-Bildnis, von dem van Gogh auch in seinen Briefen spricht ...
SPIEGEL: ... eine Variante jenes Gemäldes, das 1990 mit 82,5 Millionen Dollar den bis heute gültigen Weltrekord der Kunstauktionsgeschichte markiert hat ...
Arnold: ... stammt aus dem Nachlass des Porträtierten. Der war zwar ein Hobbymaler, aber einen van
Gogh dieser Qualität konnte er bestimmt nicht fälschen.
SPIEGEL: Museen werden es mit Bedauern sehen, wenn Werke ihrer Sammlung abgewertet werden.
Aber Privatleuten, die umstrittene Bilder veräußern möchten, schlagen die Zweifel unter Umständen direkt aufs
Portemonnaie. Im Dezember ist bei einer Pariser Auktion ein „Garten in Auvers“ unverkauft geblieben - vielleicht,
weil die Zuschreibung an van Gogh von verschiedenen Kennern in Frage gestellt wurde. Auch Hulsker tut das jetzt.
Was meinen Sie?
Arnold: Weil ich das Original nicht kenne, muss ich vorsichtig sein. Ich neige aber dazu, das Bild für authentisch zu halten. Die ungewöhnliche Komposition spricht ja gerade nicht für einen Fälscher, der vielmehr Grund
gehabt hätte, einen typischen van Gogh vorzutäuschen. Und die mit Punkten übersäten Flächen des Bildes zeigen
einen Malstil, in dem sich van Gogh gelegentlich versucht und auf den er auch wieder zurückgegriffen hat.
SPIEGEL: Überzeugt Sie Hulskers Argument, van Gogh hätte in seinen zehn letzten Lebenswochen in
Auvers gar nicht die 70 Bilder malen können, die ihm für diese Periode zugeschrieben werden?
Arnold: Nein, das zeigt Unverständnis für die künstlerische Praxis van Goghs. Seine Briefe bezeugen, dass
er durchaus imstande war, ein oder auch zwei Bilder an einem Tag zu malen, zumal, wenn es kleinere Formate
waren wie häufig in Auvers. Und er hat sich dort noch besessener als früher in seine Malerei gestürzt.
SPIEGEL: Falls einige oder gar alle jetzt angezweifelten Bilder van Gogh abzusprechen sind - müssen wir
unsere Vorstellungen von seinem Werk revidieren?
Arnold: Kaum. Bedeutende und populäre Werke sind ja nur in den besprochenen Ausnahmefällen betroffen, und da halte ich die positiven Argumente für stärker. Hingegen sind die überzeugenden Fälschungsbeispiele
wie vermeintliche Selbstporträts in Oslo und in Hartford, Connecticut, von der Fachliteratur zumeist schon seit
den achtziger Jahren dargelegt worden. Die Auflistung des giornale dell‘arte ist legitim, aber für Spezialisten bietet
sie keine Sensation.
DER SPIEGEL 27/1997
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Zwei Fragen drängen sich mir an dieser Stelle auf:
Die erste: Wo bleibt die Überprüfung des van Gogh’schen Lebens und Schaffens. Man darf doch nicht
vergessen, dass gerade seine Biografie, sein Leiden, seine Einsamkeit, sein Ringen, seine Verzweiflung, seine
Erfolgslosigkeit einen wichtigen Anteil an seinem posthumen Wert als Künstlerperson hat. Was aber, wenn auch
diese Biografie gefälscht oder zumindest manipuliert ist? Als man erkannt hat, dass ein geschundener Einzelkämpfer in der postmortalen Phase besser zu vermarkten ist, schreckte man auch auf diesem Gebiet vor keiner
Kosmetik zurück.
Die viel entscheidendere zweite Frage lautet:
Warum wird in der Forschung kein Augenmerk gerichtet wird auf einige merkwürdige Zusammenhänge
Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts, die zwar versprengt aufgezeichnet, aber nicht veröffentlicht
sind. Ich kann mir das nur mit Blindheit, Ignoranz oder aber mit intriganten Verabredungen erklären.
Ich muss ein wenig ausholen:
Die letzten Meister der ›traditionell‹ ausgerichteten Malerei, die aus verschiedenen Gründen und mit
unterschiedlichem Erfolg, ein hohes technisch-handwerkliches Vermögen zur Schau stellen, sterben alle in den
Jahren 1904 / 1905. Jean-Leon Gérôme am 10. Januar 1904, fast 80jährig, – 57 Jahre lang hat er im Salon ausgestellt
und er war einer der hartnäckigsten Streiter gegen die »verfluchten Possenreißer«, die man Impressionisten nannte. Am 25. August des selben Jahres stirbt Henri Fantin-Latour, der berühmte ›Rosenmaler‹ und ein Jahr später,
am 26. August 1905 William Bouguereau, aus dessen strengem und traditionell ausgerichtetem Unterricht sich ein
gewisser Henri Matisse davongemacht hatte.
Dieser Henri Matisse fällt mit seiner Malerei im gleichen Jahr – 1905 – in einem Raum des 3. Herbstsalons
im Grand Palais auf. Der Raum, in dem neben Matisse Derain, Vlaminck, Marquet, Manguin, Valtat und Puy zu
sehen waren, wäre allerdings weit weniger beachtet worden, hätte nicht jener legendäre Ausruf von Louis Vauxelles, dem Kritiker des ›Gil Blas‹ den Skandal in die Öffentlichkeit gebracht: Er bezeichnete eine Skulptur von Albert
Marquet – ein relativ konventioneller Kindertorso – als »Donatello unter den Wilden«. Der Begriff der ›Fauves‹ war
kreiert und bald in aller Munde. Der Kritiker des ›Figaro‹, Camille Mauclair, bestätigte die skandalöse Komponente der Ausstellung und schrieb, dem Publikum werde »ein Topf Farbe ins Gesicht geworfen«.
Dass aber Louis Vauxelles, welcher in der Folge noch weitere Angriffe gegen die jungen Maler startete
und der in der Tat konservativ eingestellt war, hier lediglich die Judasrolle übernommen hatte, ist bis heute verschwiegen.
Vauxelles handelte nämlich im Einvernehmen mit einer verschwörten Gruppe – er wütete sozusagen im Auftrag. Er hatte sich an konspirativen Treffen beteiligt, die schon Anfang des Jahres 1905 begannen und
regelmäßig fortgesetzt wurden. Elie Faure, der später das Vorwort zum Katalog des Herbstsalons schreiben wird,
einige wichtige Kritiker, Händler und Galeristen setzen sich zusammen, um eine regelrechte Strategie auszuhecken, wie eine Reihe spektakulärer, aber leider völlig unorganisierter Maler, die dazuhin auch noch gegeneinander
polemisieren – zB. Matisse gegen Dufy – auf längere Sicht zu lancieren sei.
Drahtzieher dieser geheimen Gruppierung ist der dubiose Agent Jean-François Solange, der bei Auktionen immer wieder für anonyme Käufer bietet, der mehrere Galerien in Frankreich, Holland und Belgien berät und
dessen Fäden bis nach Deutschland reichen, wo er Kontakte zu Ernst Ludwig Kirchner unterhält und diesen für
ein gemeinsames Vorgehen aller neuen künstlerischen Kräfte zu begeistern versteht.
›Die Brücke‹ ist nicht zu denken, ohne die treibende Kraft dieses Jean-François Solange – ja sie ist höchstwahrscheinlich sogar seine Idee; es steht zu vermuten, dass in einem der Gespräche zwischen Solange und Kirchner irgendwann der Begriff »Brücke« auftauchte – und ( bis dahin war er wohl im Hinblick auf die Brückenfunktion
Solanges zwischen Frankreich und Deutschland gemeint gewesen ) nun erweitert wurde bis zur entscheidenden
Idee: aus ihm ein künstlerisches Programm in Deutschland zu machen. Damit hatte Solange zwei parallele Unter9
nehmen in der Hand: das schon gut organisierte und auf lange Sicht entworfene Unternehmen ›Fauves‹ und das
Unternehmen ›Brücke‹, das die Pariser Stellung der Kunst-Schalt-Zentrale Mitteleuropas garantieren sollte. Solange profiliert sich im Hintergrund als Wirtschaftsexperte und erwartet sich in den kommenden zwei Jahrzehnten
gewaltige Profite.
Das deutsch-französische Joint-Venture leidet zwar sehr unter dem ersten Weltkrieg, aber auch diese Zeit
übersteht Solange mit Gewinn. Er hat rechtzeitig Beziehungen zu amerikanischen Sammlern aufgebaut, diese von
der ›Gunst der Stunde‹ überzeugt und zu zahlreichen Einkäufen im gebeutelten und blutenden Europa bewegt.
Spätestens seit der ›Armory Show‹ von 1913 findet Europäische Moderne in Amerika Beachtung.
Solange hatte auch für dieses gigantische Ausstellungsprojekt in Amerika entscheidende Wege geebnet.
Fast alle Käufe des mittlerweile legendären Albert Barnes in Europa wurden durch Solange indirekt vermittelt.
Höhepunkt dieses Geschäftes – nach der Vermittlung zahlreicher Renoirs – ist 1923 der Deal mit Leopold Zborowski, dem Agenten von Chaim Soutine. Umfang: 100 Bilder des wilden Malers. Offizieller Vermittler bleibt
übrigens Paul Guillome, der französische Berater von Barnes, der damit gleich zweimal abkassiert: Neben dem
Beraterhonorar von Barnes, die Provision von Solange.
Jean-François Solange kam übrigens 1930 unter nicht geklärten Umständen bei einem Bootsunfall ums
Leben. Sein Vermögen ist nie aufgetaucht.
Es brechen finstere Zeiten an in Mitteleuropa. Finstere Zeiten für die Avantgarde.
Ein größenwahnsinniger Psychopath massakriert die Moderne. Man hätte ihn Künstler werden lassen
sollen – aber, wenn man auf Dali hört, ist er ja Künstler geworden, denn der nennt Hitler den »größten lebenden
Surrealisten«. Auch eine denkwürdige Art von Fälschung! In Italien übrigens marschiert die Moderne neben dem
Faschismus munter voran. Und in Frankreich interessiert man sich durchaus für die Umtriebe im Lande des Erzfeindes. Vertreter der französischen Kunstszene kommen zu Ausstellungseröffnungen nationalsozialistisch lancierter Hofkünstler, wie Arno Breker... darunter z.B. Jean Cocteau.
Auch aus diesem geschichtlichen Umstand entspringt eine Fälschung: Fragt man später in Frankreich
nach, ist jeder Franzose in der Resistance gewesen.
Die größte Fälschung dieser traurigen Tage jedoch: Die Auktion entarteter Kunst im Anschluss an die
große Schandausstellung 1937 im München.
Propagandaminister Goebbels beauftragt unter dem Decknamen »Hosler« eine geheime Kommission, die
die Versteigerung der aus den deutschen Museen entfernten Bilder organisiert und fingiert. Schon die Versteigerung an und für sich musste Hitler abgetrotzt werden, denn der sah schon im Verkauf der verhassten Kunst ein
Zugeständnis an den Wert derselben. Die Geheime Kunst-Kommission – Abkürzung GKK – organisiert Einkäufer
in Amerika und der Schweiz, die, mit nicht deklarierten Geldern bezahlt, die Aufgabe haben, die so gesicherten
Bilder außer Landes zu deponieren. Sie sollen eines Tages nach Deutschland zurückkehren ... Goebbels spekuliert
auf seine geheime Privatsammlung.
Dadurch dass hunderte von Bildern des deutschen Expressionismus nie wirklich verkauft worden sind,
sondern – so einige späte und zaghafte Interventionen gegenüber dem Ausland – lediglich zu ihrer Sicherheit
außer Landes gebracht wurden, stelle ihre Nichtrückgabe einen Fall von verkappter Beutekunst dar. Da aber die
Rolle der Agenten nie geklärt werden konnte und die neuen Besitzverhältnisse in Amerika und der Schweiz ebensowenig, bleibt der Fall bis auf unabsehbare Zeit unter dem Teppich.
Zwei andere Fälschung – sozusagen die Spätfolge dieser Zeit – wovon die eine breit publik und vieldiskutiert wurde, die andere eher eine verschämte Komponente hatte:
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Die eine: Hitlers Tagebücher.
Die andere: Emil Noldes Vergangenheit. Die Stiftung Seebüll, getrieben von dem ehrgeizigen und profitbewussten Leiter Martin Urban nimmt eine Vordatierung einiger Briefe Noldes vor, um der Öffentlichkeit zu
beweisen, dass Nolde – NSDAP-Mitglied von 1927 an – sich schon früher als angenommen skeptisch gegenüber
der Reichskunstkommission geäußert habe. Diese Fälschung wurde durch eine Spiegelrecherche aufgedeckt.
Gerade Nolde gehörte zu den von Goebbels favorisierten Künstlern, empfing von diesem Glückwunschtelegramme zum Geburtstag, und hielt sich selbst für einen guten »Nordischen Maler.« Sein kitschiger Pathos verrät
sich in seinen Kommentaren zur Malerei und passt vorzüglich zu den kitschigen Heroisierungen der Nazis. Nolde
war blind gegen die Schwierigkeiten, in welche seine Kollegen durch die Nationalsozialisten gerieten, und seine
Skepsis gegenüber dem Regime erwachte erst, als es an seine eigenen Felle ging. Zum Glück übertrifft seine Kunst
in den größten Teilen seine persönliche Größe.
Noch einmal zurück ins Jahr 1917 und zu dem schon erwähnten Marcel Duchamp und seinem Pissoir. Nach
der Ablehnung seiner ›Fontaine‹ genannten Skulptur durch die Jury des Salons der Unabhängigen in New York hat
Marcel Duchamp in der ersten Nummer der Zeitschrift ›The blind Man‹ (einer kleinen Avantgarde-Zeitschrift, die
Duchamp selbst mit Freunden gegründet hat) den folgenden Brief veröffentlicht:
»Augenscheinlich darf jeder Künstler, der sechs Dollar bezahlt hat, seine Werke ausstellen. Richard Mutt
sandte eine Fontäne ein. Ohne weitere Diskussion verschwand sein Werk und wurde niemals ausgestellt. Worauf
gründet nun die Ablehnung der Fontäne von Richard Mutt? 1. Die einen behaupten, der Beitrag sei unmoralisch
und vulgär. 2. Die anderen sagen, es sei ein Plagiat – ein einfacher Gegenstand des Sanitärbedarfs.
Doch Richard Mutts Fontäne ist nicht unmoralisch. Es ist ein Gegenstand, den man tagtäglich in den
Schaufenstern der Läden für Sanitärbedarf sehen kann.
Ob Mr. Mutt die Fontäne mit eigenen Händen hergestellt hat oder nicht, ist unwichtig. Er nahm einen
alltäglichen Gebrauchsgegenstand und stellte ihn so auf, dass seinen gewöhnliche Bedeutung unter dem neuen
Titel und dem neuen Blickwinkel verschwand – er hat eine neue Bedeutung für dieses Objekt geschaffen.
Was aber den Vorwurf ›Sanitärbedarf‹ betrifft, so ist dieser absurd; die einzigen Kunstwerke, die in Amerika hergestellt worden sind, sind seine Objekte des Sanitärbedarfs und seine Brücken.«
Richard Mutt – das war der Name, mit dem Marcel Duchamp das »Werk« signierte. Das ist der Name des
Sanitärwarenfabrikanten.
Indem Marcel Duchamp die zur Ausstellung eingereichte Arbeit nicht mit seinem Namen, sondern mit
jenem des Herstellers signiert hatte, waren mit einem Mal alle jene Werteordnungen, von denen eingangs die
Rede war, in Frage gestellt, ja sabotiert. Eine Art Fälschung entlarvte also die Fragwürdigkeit der individuellen
Künstlerschaft, der Einzigartigkeit des Originals und der Bedeutung der Handschrift.
Es ist allerdings kein Geheimnis, dass alle solche Eulenspiegeleien, wenn sie ihrerseits originell genug sind,
über kurz oder lang vom Kunstmarkt absorbiert werden. Die »Fontaine« existiert heute in mehreren Exemplaren,
angeblich alle vom echten Marcel mit dem falschen Namen Richard Mutt versehen. Also muss sich jedes Pissoire,
das den Tiltel »Fontaine« trägt und mit Richard Mutt signiert ist der Frage zu stellen, ob es denn »ein originales
Nichtoriginal« oder aber eine nachgemachte Version des Nichtoriginals sei.
Das »echte echte Original« ist im übrigen schon 1917 verschwunden. Die Ausstellungsverantwortlichen
selbst werden es wohl beseitigt und als gestohlen gemeldet haben, um sich nicht mit der Präsentation des Werkes innerhalb der erklärtermaßen zensurfreien Ausstellung zu blamieren. Es sind aber mindestens sieben weitere
echte Originale. Niemand ist allerdings auf die Idee verfallen, rechtzeitig alle noch verfügbaren Pissbecken jenes
Typs zu erwerben, um sie, mit der nachgemachten falschen Signatur Richard Mutts versehen, auf den Kunstmarkt
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zu bringen. Oder doch? Vielleicht liegen sie ja irgendwo auf Lager und sickern allmählich, Stück für Stück, vorbei
an den Limitierungsbemühungen und Zertifizierungen der Museen in den Kunstmarkt.
In den siebziger Jahren werden die Figuren von Duane Hanson bekannt. Er ist ein Vertreter der hypernaturalistischen Plastik. Als reine Erscheinungen sind diese Figuren so interessant oder so langweilig, wie ihre alltäglichen Vorbilder, nach denen sie abgeformt sind. Als Zeugnisse der Kunst werden sie interessant gerade durch ihre
Isolierung aus der alltäglichen Umgebung (also wie bei Duchamp) und durch den Kontext zu den Fragen von echt
und falsch, Original und Fälschung.
Fotografiert in einer stimmigen Umgebung würden die Kunstharzgebilde wieder zu vermeintlichem Fleisch
und Blut. So muss der Umkehrschluss lauten, dass wir von keinem Abbild, das uns vermittels einer technischen
Apparatur vor Augen geführt wird, sagen können, ob sein Objekt so existiert hat, wie uns das Abbild vorgibt.
In der Tat haben sich etliche seriöse Darstellungen, die in den letzten Jahren medial einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, schon wenig später als Fälschungen erwiesen. Diese Praxis der
Bilderfälschung und die Betrachtung der jeweils dahintersteckenden politischen Gründe lässt den Schluss auf eine
große Dunkelziffer zu.
Es sei nur eines jener bestimmt zahlreichen Beispiele erwähnt: Die Videoaufnahmen, die während der
Unruhen im Rumänien unter Ceausescu durch die von der Geheimpolizei verfolgte Opposition außer Landes geschmuggelt worden waren – grausame Bilder von Folteropfern – erwiesen sich später als inszeniert. Der Zweck
– die Empörung und Solidarität des Auslandes zu erreichen – heiligte die Mittel – die Fälschung.
Und – auch daran darf erinnert werden – es gibt Stimmen, die auch die Hinrichtung des Despotenpaares,
bzw. die Authentizität der Bilder davon, anzweifeln.
Heute ist es ein Bildhauer wie Jeff Koons, der mit der Verwertung beziehungsweise Aufwertung von
billigem Material – einem aufblasbaren Plastikhasen z.B. – durch Umformung in kunstgeschichtlich etablierte Materialien wie Bronze, Stahl oder Holz sein Spiel mit den Werten treibt... oder es sind die Akteure der sogenannten
Appropriation-Art, z.B. Elaine Sturtevant, die durch das Wieder-Malen oder Wieder-Plastizieren von Gemälden
oder Plastiken selbst zeitgenössischer Kollegen – es handelt sich nicht um Kopien bestimmter Werke, sondern um
Stilkopien, die in der Art etablierter, ja zu Ikonen gewordener Hauptwerke leicht variiert verfasst werden – die also
mit solchen »Fälschungen« – durch den eigenen Namen sofort deklariert – ironisch auf die Kunstgeschichte und
den Kunstmarkt reagieren... und, hast du nicht gesehen, gerade deshalb schon mitten drin sind.
Noch einmal zurück zu Elmyr de Hory und seinem Biographen. De Hory, angeschlagen und mittellos
– eine gescheiterte Existenz – war allzuleicht bereit, einem Biographen auf den Leim zu gehen, der gleichzeitig
eine Freundschaft zu ihm unterhalten konnte und an seiner Entlarvung mitarbeitete.
Clifford Irving, so sein Name, war seinerseits ein Fälscher. Er war schon durch eine zweifelhafte Biographie über Howard Hughes bekannt geworden. Hughes hatte aus seiner Weltabgeschiedenheit heraus anscheinend Irving Material zukommen lassen, sich dann aber davon distanziert.
Über de Hory schreibt Irving: »Er hat sein Leben zu einer Fiktion gemacht. Diese Fiktion zu zerstören,
hieße, das Schloss zum Einsturz zu bringen, das er sich erbaut hat – seine Illusion nämlich.
Wells hegte große Bewunderung für die raffinierte Kriminalität Elmyr de Horys. Für ihn war er wohl eine
Art Gentleman-Gangster. Ein Mann mit Intelligenz und guten Manieren. Und er war eine Figur, an der sich die
Poesie der Erfindung, der Witz der Verdrehung, die Orson Wells selbst eigen ist, bündelte. Nach dem Selbstmord
de Horys verfiel Wells in eine schwere Depression. »F for Fake / Nothing but the Truth« war der letzte Film von
Wells, der in die Lichtspielhäuser kam.
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Kurz vor Schluss noch eine prosaische Note. Sie können sich denken, dass die Bewunderung für raffinierte
Fälscher mancherorts besonders schlecht wegkommt; aus beruflichen Gründen sozusagen. Hier noch ein Text aus
einer Veröffentlichung der Colonia-Versicherung, beziehungsweise deren Tochter Nordstern, der wohl bekanntesten Kunstversicherung:
»Falsche Sympathie für Fälscher
Unter den Fälschern gibt es kleine und große Fische. Die kleinen verschwinden wegen ihres leichter vernehmbaren Geruchs schneller in der Versenkung, während es manchen großen Fischen, wie zum Beispiel Kujau
und Mrugalla, gelingt, noch nachdem sie gefangen wurden, sich in der Öffentlichkeit als schillernde Persönlichkeit
auszugeben.
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auch große Fische irgendwann zu stinken beginnen. Edgar
Mrugalla (»Von Rembrandt bis Picasso war ich alles. König der Kunstfälscher«) spielt sich durch Wanderausstellungen und nicht zuletzt durch seine oben genannte Autobiographie als Weltweiser auf, der mit hochgradigen Fälschungen tiefgründige Wahrheiten über seine im Trüben fischenden Abnehmer und die Betrügbaren ans Licht zog.
(Aber wie bei einem Fälscher kaum anders zu erwarten, sind seine bzw. die Ausführungen seines Ghostwriters
voller Falschdarstellungen.) Er und auch Konrad Kujau, Fälscher der »Hitler-Tagebücher« und Impressario seiner
»Galerie der Fälschungen«, wurden bei ihrer postkriminellen Karriere noch von den Medien unterstützt.
Fragwürdig auch die Bewunderung, die den alchemistischen Tricks entgegengebracht wird, mit denen
Frischgedrucktes oder -gemaltes auf alt getrimmt wird, mal mit Hilfe des Backofens, um das gewünschte Krakelee
in der Malschicht zu erzeugen, mal mit Hilfe des »Haribo-Suds« (Mrugalla), der dem Papier einen fingierten Altersglanz verleiht. Erstens steckt hinter diesen Erfindungen eine kindliche kriminelle Energie. Zweitens muss überlegt werden, ob man mit der Veröffentlichung dieser Tricks der Fälschungserkennung in größerem Maße dienen
kann, als man die Fälscher damit auffordert, diese Rezepte »nachzukochen« oder gar zu verfeinern.
Aus strafrechtlicher Sicht erfüllt der wissentliche Handel mit Fälschungen den Tatbestand des Betrugs.
Wurde das Falsifikat zudem mit einer fälschlichen Signatur versehen, liegt Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung vor. Ein Blick auf die vor Gericht verhängten Strafen für Fälscher zeigt allerdings überraschend milde Urteile, was vor allem bei den berühmt-berüchtigten Fälschern irritiert. Mrugalla erhielt zwei Jahre auf Bewährung
für Urheberrechtsverletzung in 35 Fällen, davon neunmal in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung, wobei
es zwar fünfmal nur beim Versuch blieb, was aber das glimpfliche Strafmaß nicht erklären kann.
Zu 4.500 DM Geldstrafe und zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilte man Wolfgang Lämmle (fälschte Barlach, Corinth, Dill, Felixmüller, Koester, Kollwitz, Laible, Liebermann, Rohlfs, Schmidt-Rottluff und
Schiele, womit nicht einmal die Hälfte genannt ist). Verurteilt wurde er wegen Urkundenfälschung in 118 Fällen,
bei 35 Fällen in Tateinheit mit Betrug und in 23 Fällen mit versuchtem Betrug. Über die Gründe für das geringe
Strafmaß – Mrugallas und Lämmles Abnehmer traf es übrigens wesentlich härter – kann man nur mutmaßen.
Den Anwälten scheint es wiederholt zu gelingen, eine Art von Immunität um ihre Mandanten aufzubauen und die
Richter davon zu überzeugen, der Mandant sei gewissermaßen eine schöpferische Persönlichkeit, die letztendlich
auch das Opfer einer noch nicht schuldbewussten Gesellschaft sei, in der Kunst oftmals brotlos bleibe.«
Wie wird es weitergehen?
Kehrt der »Mann mit dem Goldhelm« an seinen Ehrenplatz zurück?
Wird van Gogh als Maler wertlos, wenn herauskommt, dass viele seine guten Bilder gar nicht von ihm
sind? Werden die guten falschen van Goghs immer wertvoller, weil man vielleicht bald annehmen wird, dass es
einen unbekannten Bruder gegeben hat, der besser war?
Wird man es endlich wagen, die schlechten echten Picassos weniger zu bewundern, als die guten Falschen?
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Was passiert mit den Bildern hier in diesem Museum, wenn kein Stein der Kunstgeschichte mehr auf dem
anderen steht? Werden sie verschrottet oder werden sie zum ersten Mal frank und frei betrachtet?
Die Kunstgeschichte war niemals mehr als getarnte Bauernfängerei.
Meine Damen und Herren, wenn jemand unter Ihnen ist, der schon in den vorangegangen Jahren meinen
Ausführungen über die Fälschung beigewohnt hat, so wird er sich bestimmt erinnern, dass ich meinen Dialog mit
dem berühmten Schauspieler, Autor und Filmregisseur Orson Wells einen großen Platz eingeräumt hatte. Von ihm
habe ich schließlich auch den Titel entlehnt. F wie Fälschung – F for Fake – Nothing but the Truth, gedreht 1973/75,
das war der letzte in die Kinos gekommene Filme von Orson Wells.
Und aus diesem Film stammt auch mein Motto.
Die Kunstgeschichte war niemals mehr als getarnte Bauernfängerei.
Wells spricht es selbst. Er ist eine Art erzählender Magier. Und er erzählt die Geschichte von... ja von
wem: Von Elmyr de Hory.
Warum ich heute Orson Wells erst gegen Ende ins Bild bringe erklärt sich am besten, wenn ich Ihnen noch
zwei Briefe von Ihm vorlese:
Der erste stammt vom 4. Januar 1999:
»Sehr geehrter Mister Palmer, es freut mich und es ist mir eine persönliche Genugtuung, dass Sie im
Rahmen Ihrer Arbeit das Projekt ›fake‹ fortsetzen wollen. Ich habe durchaus nichts gegen eine Wiederholung
Ihres letztjährigen Vortrages, den ich im Übrigen mit Vergnügen gelesen habe, möchte Ihnen aber empfehlen,
bei einer Neuauflage die letzte Scheu fallenzulassen und der Wahrheit in ihrem vollen niederschmetternden und
reinigenden Ausmaß zur Geltung zu verhelfen. Für dieses, zugegebenermaßen nicht unbeträchtliche Wagnis will
ich Sie heute nicht nur meiner besten Wünsche und meines geistigen Beistands versichern, nein, ich erlaube mir,
sie mit neuem und bisher völlig unbekanntem Material zu konfrontieren. Ihr letztjähriger Vortrag versetzt mich in
die Gewissheit, dass dieses brisante Material bei Ihnen in guten Händen ist. Ich bitte Sie an dieser Stelle übrigens
– sollte es tatsächlich zu einem weiteren Vortrag kommen – Ihrem Publikum meine Anerkennung und Hochachtung zu übermitteln; ich sehe in diesen Menschen, die sich offenen Ohres und offenen Geistes der unbequemen
Brechung liebgewonnener Ansichten über die Kunst, die Künstler und ihre Umgebung stellen, die wahren, die
aufrechten Kunstinteressierten.
Inzwischen ist mir klar geworden, dass mit der weiteren Aufarbeitung des Themas ›Fälschung‹ das Terrain, um dessen Beleuchtung es ursprünglich ging – das Leben und Sterben Elmyr de Horys, die Intrigen der
Museumsleute und so weiter... Sie wissen was ich meine... – dass dieses Terrain in großem Maße erweitert und
gar verlassen werden wird.
Der Blick auf das zu Ende gehende Jahrtausend – ein Ende, dessen ich nicht mehr teilhaftig werden muss,
was mir die Ödnis großspuriger Bekenntnisse und schwachsinniger Umtriebe erspart – offenbart, dass das Dilemma der Kunstfälschung nichts ist, als das kleine und relativ appetitliche Spiegelbild einer viel umfassenderen
und kollektiv goutierten Lebensfälschung. Und wie mit der Aufzeigung jener Kunstfälschung unweigerlich das
viel größere Dilemma, die Machtgier und Eitelkeit der sogenannten Experten bloßgestellt wird, so wird mit der
Aufdeckung einer jeden Lebensfälschung in erster Linie auf die Gier und die Gewalttätigkeit derer gezielt werden,
unter deren Obhut jede solche Fälschung überhaupt erst gedeihen kann.
Nichts desto trotz verstehe ich Ihre Arbeit, Mister Palmer, da Sie sich ja explizit auf meinen Film ›fake‹ bezieht, als eine Ehrenrettung Elmyr de Horys, dessen Gedenken ich mit eben jenem Film wahrscheinlich nur einen
kleinen Dienst erwiesen habe. Ich rufe Ihnen zu: Führen Sie diese Arbeit fort. Verpassen Sie den Wichtigtuern
von Kunstexperten einen Denkzettel. Stopfen Sie den Fachleuten das gleichermaßen geschwätzige wie gefräßige
Maul.
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Erst wenn die Geschichte Elmyr de Horys wahrhaft bekannt sein wird und die Menschen sich an die auch
durch seinen Fall entblößten Schiefheiten dieses Jahrhunderts heranwagen werden...
dann erst soll der Name de Horys in die Ruhe des Vergessen-Seins einsinken.
Ich werde nicht unter Ihren Zuhörern sein, aber ich werde Ihnen zuhören.
In Verbundenheit
Ihr Orson Wells
PS. Ich habe durchaus nichts dagegen einzuwenden, dass Sie für Ihren Vortrag die Zeit des Karnevals
– Fasching sagt man wohl bei Ihnen – wählen. Nein, es ist ein klug zu nennender Schachzug. Sind nicht viele
Wahrheiten unter dem Schutz der Narrenkappe ausgesprochen worden?
Der zweite Brief, den ich aus der Korrespondenz herausgesucht habe, stammt vom sechsundzwanzigsten
Februar diesen Jahres:
Sehr geehrter Mister Palmer,
wir haben nun lange und viel über unser gemeinsames Thema, die Fälschung, besprochen und sind uns
dabei auch ein Stück nahe gekommen, soweit dies unter den gegebenen Umständen eben möglich ist. Ich fühle
mich deshalb Ihrer Person verbunden und spüre eine gewisse Mitverantwortung für Ihr Schicksal; auch wenn ich
Sie nicht angestiftet habe, sich in diese Materie einzuarbeiten und Ihre Gedanken öffentlich vorzutragen, so habe
ich Sie doch darin bestärkt und außerdem in die Lage versetzt, Kenntnisse über Zusammenhänge miteinzubeziehen, die Sie ohne meine »Materiallieferungen« nicht gehabt hätten. Ich war – Sie wissen das – bis vor Kurzem der
festen Meinung, dass sich ein Weiterkämpfen für die Wahrheit lohne, und dass es sich eines Tages auszahlen werde – in ideellem Sinne versteht sich. Ich muss gestehen, dass ich in dieser Überzeugung schwankend geworden
bin. Die Ereignisse der letzten Wochen und die verhängnisvollen Wolken, die sich über Ihnen zusammenbrauen,
und auf die ich aus sozusagen erhöhter Warte blicken muss, lassen es doch angeraten sein – so traurig es auch
sein mag.....
–––
Versetzen Sie sich nun in einen Film. Nach dem Schnitt ein langsamer Schwenk über eine im Nebel liegende Stadt. Die Kamera dringt ein... schemenhaft wird ein großes, steil aufstrebendes Bauwerk sichtbar. Dann
die Stimme aus dem Off:
Diese Kathedrale steht hier seit Jahrhunderten. Vielleicht ist sie das bedeutendste Werk des Menschen
in der ganzen westlichen Welt. Und sie trägt keine Signatur. Chartres. Eine Verherrlichung Gottes und der Würde
des Menschen. – Alles was bleibt, so scheinen die Künstler heute zu empfinden, ist der Mensch – nackt, arm,
erbärmlich.
Es ist nichts mehr zu verherrlichen. Unser Universum, so sagen die Wissenschaftler, ist entbehrlich.
Wer weiß.
Vielleicht wird gerade dieses Denkmal namenloser Größe es sein, dieser reiche Wald aus Stein, dieses
epische Gedicht, diese Heiterkeit, dieser hochaufgetürmte Choral, den wir, wenn unsere Städte Staub geworden
sind, erwählen können, unzerstört zu bleiben, um aufzuzeigen, wo wir gewesen sind, zu bezeugen, wozu wir fähig
waren, was wir vollbringen konnten.
Unsere Werke, in Stein, in Farbe, gedruckt, werden selten verschont; für ein paar Jahrzehnte oder ein oder
zwei Jahrtausende – alles muss schließlich vergehen, im Krieg oder durch den Verschleiß der Zeit – alles geht ein
in die Asche des Universums – die Triumphe und die Betrugsmanöver, die Schätze und die Fälschungen.
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Eine Tatsache des Lebens: Wir werden sterben.
›Seid reinen Herzens‹ rufen uns die toten Meister aus der lebendigen Vergangenheit zu. Unsere Lieder
werden alle verstummen. Aber was heißt das schon. Fahrt fort zu singen.
Vielleicht bedeutet ein Name wirklich nicht so viel.
Ich möchte mich von Ihnen verabschieden.
Ich bitte nicht um Verzeihung für die Störung des friedlichen Scheins.
(Und wenn jemand von Ihnen glauben mag, ich hätte gelogen, so täuscht er sich; ich habe bestenfalls die
Wahrheit erfunden – und meist musste ich sie nicht einmal erfinden... Dort wo sie am unglaublichsten klingt, ist
sie mitunter am reinsten. Das bestätigt wieder einmal die alte Vermutung, die beste Tarnung sei, die Wahrheit zu
sagen; denn die glaube ohnehin niemand.)
Ich wünsche Ihnen allen, den Echten und den Falschen, einen angenehmen guten Tag. / Abend.
–––
Zweites PS von Orson Welles:
»Ich habe Ihnen letztes Jahr zwei Zeichnungen geschickt, die ich damals vor dem Feuer retten konnte,
dem Feuer, mit dessen gefräßiger Kraft Elmyr gelegentlich so spielerisch und natürlich kokett zusammenarbeitete.
Was haben Sie damit getan? Haben Sie sie verkauft – es waren, soweit ich mich erinnere ein Matisse und ein kleiner Modigliani – was dürften sie wohl gebracht haben... 800, 900 Tausend...? Mehr? Ich bin nicht mehr ganz auf
dem Laufenden, was die Preise betrifft. Oder sind Sie ehrlich geblieben und haben der Verlockung widerstanden?
Auch heute habe ich wieder eine kleine Versuchung für Sie ausgegraben. Viel Spaß damit.«
(Die Zeichnungen werden vorsichtig aus einer Mappe geholt, mit würdevollen Gesten vorgezeigt... und
dann zerrissen)
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für´s Zuhören. Wenn sie meinen Worten Vertrauen entgegenbringen, sind Sie verloren... aber dadurch auch gerettet.
[Diese Vortrags-Performance wurde – in jeweils erweiterter Fassung – 1998, 1999 und 2000 in den Sammlungsräumen der Staatsgalerie Stuttgart aufgeführt.]
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