PressetextMATISSE UND DIE FAUVES
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PressetextMATISSE UND DIE FAUVES
Inhalt der Pressemappe Ausstellungsdaten Pressetext Saaltexte Kunstvermittlungsprogramm Ausstellungsdaten Pressekonferenz 19. September 2013, 10 Uhr Eröffnung 19. September 2013, 18.30 Uhr Dauer 20. September 2013 – 12. Jänner 2014 Ausstellungsort Propter Homines Halle Kurator Heinz Widauer, Wien Claudine Grammont, Paris Werke 160 Matisse und die Fauves Katalog Hrsg. von Heinz Widauer und Claudine Grammont Der Katalog erscheint im Wienand Verlag in einer deutschen und englischen Ausgabe und ist im Shop der Albertina sowie unter www.albertina.at um 29 Euro (Deutsch) bzw. 32 Euro (Englisch) erhältlich. Kontakt Albertinaplatz 1, 1010 Wien T +43 (01) 534 83 – 0 [email protected] www.albertina.at Öffnungszeiten Täglich 10 - 18 Uhr, Mittwoch 10 - 21 Uhr Kuratorenführung Mittwoch, 2. Oktober 2013, 17 Uhr Vorträge 3. Oktober 2013, 18 Uhr: Serge Lemoine - Matisse et les fauves: révolution ou évolution? Vortrag in französischer Sprache 3. November 2013, 11 Uhr: Anita Hopmans - Van Dongen: A Dutch Fauve in the French Arena. Vortrag in englischer Sprache Öffentliche Führungen Mittwoch 18.30 Uhr/ Samstag, Sonntag, Feiertag: 15.30 Uhr 21. September/ 25. September/ 28. September 6. Oktober/ 12. Oktober/ 20. Oktober/ 26. Oktober/ 30. Oktober 1. November/ 3. November/ 6. November/ 9. November/ 17. November/ 20. November/ 23. November/ 30. November 4. Dezember/ 15. Dezember/ 18. Dezember/ 25. Dezember/ 26. Dezember 1. Jänner/ 6. Jänner/ 12. Jänner Tickets an der Kassa erhältlich (am Tag der Führung) EUR 4,- zzgl. Eintritt Begrenzte Teilnehmerzahl Frühstück mit Matisse jeweils Samstag und Sonntag ab 10 Uhr: Französisches Frühstück im Do&Co Restaurant mit anschließender Führung durch die Ausstellung um 28 Euro Presse Mag. Verena Dahlitz (Leitung) T +43 (01) 534 83 - 510 , M +43 (0)699.10981746, [email protected] Mag. Barbara Prikoszovits T +43 (01) 534 83 - 512 , M +43 (0)699.109 81743, [email protected] Sarah Wulbrandt T +43 (01) 534 83 - 511 , M +43 (0)699.121 78 720, [email protected] Presented by Partner der Albertina Sponsoren Medienpartner Matisse und die Fauves 20.9.2013 – 12.1.2014 Der Fauvismus ist die erste und zugleich kürzeste Avantgardebewegung des 20. Jahrhunderts. Er dauerte kaum drei Jahre an – von 1905 bis 1907/08. Der Begriff leitet sich von der Beschreibung seiner Werke in einer Kunstkritik über den legendären Pariser Herbstsalon 1905 ab. Henri Matisse, der innerhalb der Gruppe tonangebend war, und seine Freunde André Derain, Maurice de Vlaminck und Henri Manguin wurden dort als „Fauves“ – wilde Tiere bzw. Bestien – diffamiert. Tatsächlich haben Matisse und seine Freunde aber die Vorstellung von Kunst revolutioniert. Sie befreiten damals die Malerei vom Diktat der Nachahmung der Natur. Mit willkürlich gewählten und intensiv leuchtenden Farben, skizzenhaften Pinselstrichen und unmodellierten Farbflächen hielten die Maler ihre Motive fest. Wichtige Impulse empfingen sie von Van Gogh und seinem pastosen Pinselstrich, von Cézanne und dessen unvollendeten Leinwänden und von den wissenschaftlichen Farbtheorien Paul Signacs. Bestärkt wurden sie in ihrer neuen Ästhetik durch die Skulpturen Afrikas und Ozeaniens. Die Albertina gibt in sieben Stationen Einblick in diese beeindruckenden Jahre der beginnenden Avantgarde: Am Anfang der Ausstellung taucht der Besucher in die Vorgeschichte des Fauvismus, in die Jahre 1900–1905 ein, als Matisse, Marquet und Manguin einen Platz in der zeitgenössischen Avantgarde suchten. Es folgt eine Auswahl hochkarätiger Werke, die Matisse und Derain im Sommer 1905 im südfranzösischen Collioure malten und im darauffolgenden Oktober im Herbstsalon ausstellten. Höhepunkte dieses Abschnitts und der Ausstellung überhaupt sind das Offene Fenster von Henri Matisse, Ansichten von Collioure von Matisse und Derain und Porträts, die die beiden Künstler jeweils voneinander malten. Gleichzeitig gelangte Maurice de Vlaminck im Norden Frankreichs zu vergleichbaren Ergebnissen, wenn er in der Umgebung von Paris ursprüngliche und versteckte Landschaften malt. Mit Raoul Dufy, Emile-Othon Friesz und Georges Braque kommt in der Ausstellung auch eine jüngere Generation zu Wort, die aus Le Havre stammt und erst einige Monate nach dem legendären Herbstsalon von 1905 zu den Fauves stoßen wird. Darüber hinaus widmet die Ausstellung ein eigenes Kapitel den Zeichnungen und Aquarellen der Fauves: Anhand von 60 großformatigen Beispielen wird die herausragende Bedeutung der Papierarbeiten für den Fauvismus nachempfunden. Skizzenhaftigkeit, weißer Papiergrund, der in die Darstellung mit einbezogen wird, und heftiger Farbauftrag nehmen die Freiheiten in der Malerei auf der Leinwand vorweg. Schließlich behandelt ein weiteres Kapitel den Einfluss afrikanischer Skulpturen auf die Fauves. Matisse, Derain und Vlaminck waren die ersten Künstler, die neben Picasso außereuropäische Artefakte sammelten. Zukunftsweisend war die Begegnung mit afrikanischer Kunst, die Derain zum Beispiel anlässlich seines Aufenthaltes in London und eines Besuchs im British Museum erfuhr. Die Ausstellung vereinigt einige rare Beispiele afrikanischer Skulpturen aus den Nachlässen von Matisse, Vlaminck und Derain. In der englischen Hauptstadt entstand darüber hinaus die wichtigste Serie an Landschaftsbildern des Fauvismus. Die Albertina zeigt acht Hauptwerke Derains, die er als Antwort auf Monets impressionistische Deutung diffusen Lichts in London malte. Das vorletzte Kapitel wendet sich der für den Fauvismus so wichtigen Bronzeskulptur zu. Die Albertina zeigt einen wichtigen Querschnitt von Bronzen, die Matisse zwischen 1901 und 1909 schuf und mit denen er sich von der traditionellen Bildhauerei und vom impressionistischen Vorbild löste. Schließlich werden noch die beiden Einzelgänger des Fauvismus, Georges Rouault und Kees van Dongen, mit eindrucksvollen Bildern präsentiert. Beide Künstler haben mit individuellen Lösungen den Fauvismus auf sehr autonome Weise mitgeprägt. Die Ausstellung der Albertina ist mit 160 Werken von über 50 Leihgebern aus aller Welt die erste umfassende Schau in Österreich, die diese wichtige Avantgardebewegung umfassend würdigt. Sie wurde von Heinz Widauer, Wien und Claudine Grammont, Paris kuratiert; ein umfangreicher Katalog fasst zum ersten Mal in deutscher Sprache die wesentlichen Aspekte des Fauvismus zusammen. SAALTEXTE Matisse und die Fauves Was Matisse und seine Freunde 1905 im Pariser Herbstsalon zeigen ist die erste Avantgardekunst der Moderne. Der radikale Bruch mit dem Realismus stellt eine völlig neue Wendung in der Kunstgeschichte dar. Der Fauvismus greift zwar auf die Neuerungen des 19. Jahrhunderts zurück, geht aber entscheidend darüber hinaus. Die Impressionisten erkennen immer noch die seit Jahrhunderten gültige Idee von Kunst als Imitation der Wirklichkeit an. Henri Matisse, André Derain, Maurice de Vlaminck, Kees van Dongen, Albert Marquet, Henri Manguin und Othon Friesz emanzipieren ihre Malerei radikal vom Prinzip der Naturnachahmung. Sie verzichten auf Raumkonstruktion und anatomische Richtigkeit, auf Farbperspektive und Lokalkolorit. Dafür gewinnen sie eine noch nie da gewesene Farbsättigung und Leuchtkraft. Zeichnung, Farbe, Raum und Licht werden gleichwertig behandelt. Der Verzicht auf HellDunkel-Modellierung verstärkt die neue ästhetische Einheit der Farbräume. Den Spottnamen erhält die Bewegung der »Fauves« vom Kunstkritiker Louis Vauxcelles gleich bei ihrem ersten Auftritt im Pariser Herbstsalon. Auf den Leinwänden dieser »wilden Tiere« scheint die Anarchie ausgebrochen zu sein. Matisse ist das Sprachrohr der Gruppe und kraft seines Alters ihr Anführer. Von Van Gogh übernehmen die Künstler den pastosen Farbauftrag, von Gauguin die radikale Flächigkeit und willkürliche Farbgebung, von Cézanne die Freiheit, oft große Teile der Leinwand nicht zu bemalen. Die von den Impressionisten angeregte flüchtige Maltechnik erweckt den Eindruck des Unfertigen. Collioure, das kleine Fischerdorf in Südfrankreich, ist der Geburtsort des Fauvismus. Hier vollziehen Matisse und Derain im Sommer 1905 den Übergang vom Pointillismus zu jener neuen Malerei, die der Kunstskandal des Herbstes und die Geburtsstunde der Moderne werden sollte. Matisse setzt strahlende Kontraste von Rot-Grün und Blau-Orange teppichartig nebeneinander: So entsteht der vom Maler angestrebte intensive Farbraum reiner Harmonie. Bestärkt werden die Fauves in ihrer neuen Ästhetik auch durch die Skulpturen Afrikas. In diesen »primitiven« Meisterwerken begegnen sie einer überraschenden Subjektivität. Die Fauves verdanken den afrikanischen Kunstwerken, die sie seit 1906 selbst sammeln, die Lizenz zu willkürlichen Proportionen und zur Deformierung der Körper. Der Fauvismus dauerte kaum drei Jahre. Seine Wirkung ist jedoch nicht zu überschätzen. Erstmals in der Geschichte der Malerei steht die Farbe, die nun als individuelles Ausdrucksmittel gilt, im Mittelpunkt. Kunst muss nicht mehr das Sichtbare wiedergeben, sondern ist Spiegel der Befindlichkeit des Malers. Die Vorgeschichte des Fauvismus: Henri Matisse, Henri Manguin und Albert Marquet Zwischen 1900 und 1905 experimentieren Matisse, Manguin und Marquet mit Form und Farbe und widmen sich dabei besonders der Aktmalerei. Bei Matisse tritt der Akt schemenhaft aus dem düsteren Umraum hervor; bei Marquet hebt er sich deutlich vor einem Hintergrund locker und unregelmäßig gestreuter Pinselannotationen ab. Als Bildhauer bearbeitet Matisse den Gips mit dem Spachtelmesser und gibt seiner Skulptur Der Sklave eine zerklüftete, raue und flimmernde Oberfläche; der Körper ist gedrungen und – nachdem ihm Matisse die Arme mit den zu Fäusten geballten Händen abgeschlagen hat – zum Torso fragmentiert. An der Küste von Saint-Tropez systematisieren die Künstler ihre Farbgebung. Manguin malt mit kurzen Strichen und sorgfältig nebeneinander gesetzten hellen, zarten Farben subtile Gegenlichteffekte. Seine Frau Jeanne ist ihm Modell für eine im Sonnenlicht badende Nymphe und Metapher für individuelle Mythologien, die ihm Gelegenheit zu reichem, farbigem Ornament von intensiver Leuchtkraft geben. Sommer 1905: Matisse und Derain in Collioure 1905 ist das Geburtsjahr des Fauvismus. Geburtsort ist Collioure, das Fischerdorf an den nordöstlichen Ausläufern der Pyrenäen. Nachdem Matisse im Jahr zuvor das Gemälde Golf von Saint-Tropez noch im Sinn des Divisionismus aus kleinen Punkten und kurzen Strichen konstruiert hat, deren Farben sich erst im Auge des Betrachters mischen, setzt er nun die Farbpunkte weit auseinander und lässt den Bildgrund durchscheinen, um das irritierende pointillistische Flimmern zu verhindern. Matisse fängt an, mit dem Pinsel zu zeichnen. Er lässt die Leinwand mitsprechen, verstößt gegen die akademischen Regeln der Luft-, Linear- und Farbperspektive. Die Materialität der pastos aufgetragenen Farbe unterbindet zusätzlich die Raumillusion. Matisse emanzipiert die Kunst endgültig vom Prinzip der Naturnachahmung. André Derain, der Autodidakt aus Chatou, folgt seinem Freund nach Collioure. Für beide ist die pittoreske Topografie des Ortes zweitrangig. Es geht ihnen um eine harmonisch- dekorative Verteilung der Farben, deren Intensität die Aufmerksamkeit stärker auf sich zieht als die dargestellten Motive. Matisse liebt das Komplementärfarbenpaar Rot-Grün. Mit der strahlenden Leuchtkraft der Farben verleiht er seinen Empfindungen Ausdruck. In zwei kleinen Portraits, die Matisse und Derain im Sommer voneinander malen, zeigen sie, was sie verbindet, was sie trennt: Der stürmische Derain erscheint Matisse als Freibeuter, Matisse dem Jüngeren als väterliche Gestalt, die ruhig und unbeirrt ihren Weg geht. Maurice de Vlaminck Maurice de Vlaminck stammt wie André Derain aus Chatou, einem Vorort von Paris. Er ist Autodidakt, verdingt sich als Geiger in Nachtlokalen und ist stolz darauf, gegen jegliches Regelwerk der Malerei zu verstoßen. Die Vereinfachung der Komposition, die Verwendung reiner Farben und der sichtbare, energische Pinselstrich folgen dem Vorbild Van Goghs. Die malerischen Mittel stellt Vlaminck in den Dienst einer Schnelligkeit in der Ausführung, die er mit dem Motiv emotional verschmelzen lässt. Aus den drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau in Verbindung mit der Sekundärfarbe Grün baut er die wilden Wälder, Wiesen und Felder um die SeineSchleifen nordwestlich von Paris. Vlaminck malt im Norden Frankreichs mit derselben glühenden Palette, die Matisse und Derain an der Côte d’Azur und in Collioure entwickeln. Auch George Braque gerät in Le Havre und während seines Aufenthalts in Antwerpen für kurze Zeit in den Bann von Matisse. Während sich aber Derain, Braque, Dufy und andere Fauves schon nach drei Jahren von der intensiven Farbigkeit und den harmonischen Farbräumen verabschieden und Picasso folgen, bleibt Vlaminck zeitlebens „Fauve“. Fauvismus in der Normandie: Raoul Dufy und Albert Marquet Der aus Bordeaux stammende Marquet ist ein Fauve der ersten Stunde. Er freundet sich mit Raoul Dufy an, der wie Braque und Friesz aus Le Havre kommt und erst ab 1906 mit den Fauves gemeinsam ausstellt. Dufy und Marquet malen in den Erholungsorten der Normandie. Mit Signalfarben, die sie auf schrillen Werbeflächen sowie auf Fahnen und Flaggen vorfinden, tragen sie zur fauvistischen Ästhetik bei. Auf ihren Bildern einer Plakatwand in Trouville stechen helle, intensive Farben ins Auge; die Aufschriften auf den Plakaten sind nebensächlich. Große Flächen von strahlendem Hellblau und grellem Gelb kontrastieren mit den bunten Mustern der Affichen. Dufy hält mit skizzenhaften Pinselstrichen Segelwettkämpfe und mit zarten Farben schimmernde Strandszenen an der Küste von Sainte-Adresse fest. Schiffe und Boote kreuzen den Horizont; der Sand, das Meer und der Himmel schillern in lichthaltigem, transparentem Zartrosa, Grün, Türkis und Blau. André Derain: Die monumentalen Aquarelle Die monumentalen Aquarelle von André Derain zählen zu den Höhepunkten fauvistischer Kunst. Ihre radikale Flächigkeit, die dekorative Bildauffassung, das leuchtende Kolorit und die „kunstlose“ Malerei mit dem Aquarellpinsel machen aus diesen Werken autonome Bilder: Sie sind weder Studien noch vorbereitende Skizzen. In ihrem bewussten Primitivismus oszillieren sie zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Die thematische Spannbreite entfaltet sich zwischen dem fernen Paradies eines Goldenen Zeitalters und der urbanen Gegenwart verruchter Nachtlokale. Die intensiven Farbharmonien und die dekorative Flachheit der Aquarelle inspirieren Derain, auch Vasen und Teller in der ursprünglichen Form der Unterglasur-Malerei zu bemalen: Der Ausflug der autonomen Kunst in die angewandten Künste ist ein beispielloser Akt der Avantgarde, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg von Picasso, Chagall und Miró aufgegriffen werden wird. Henri Matisse: Matisse: Zeichnungen und Skulpturen Nach dem Sommer 1905 in Collioure beschäftigt sich Matisse in Zeichnungen und Skulpturen intensiv mit dem weiblichen Akt. Die Zeichnung bringt für ihn mehr als alles andere intime Gefühle und Bewusstseinszustände unmittelbar zum Ausdruck. Das klassische Thema der liegenden Venus unterwirft er in der Bronzeskulptur eines liegenden Aktes ebenso wie in den harten Holzschnitten der formalen Logik afrikanischer Skulpturen. Die scheinbare Regellosigkeit dieser Werke verdankt sich nicht einem Willen zur Zerstörung, sondern dem Wunsch nach einer grundlegenden Erneuerung des künstlerischen Ausdrucks. Der von Matisse bewunderte Cézanne stattet den Künstler mit einer Enzyklopädie an klassischen Posen und Haltungen aus. Der liegende Akt der Aurora mit seiner geradezu michelangesken Physis und dem dramatischen Ausdruck der harten, an Deformation heranreichenden Addition von Körperteilen ist eine der disharmonischsten Skulpturen von Matisse. Die anatomischen Verzerrungen und abrupten Richtungswechsel lassen Matisse´ Faszination für afrikanische Skulptur erkennen. Auch in der Raumlosigkeit der Zeichnungen, der fehlenden Verortung der Figuren, der Deformation des Körpers und der radikalen Flächigkeit bricht sich ein antinaturalistischer und antiklassischer Ausdruckswille Bahn. In diesen Meisterwerken verbindet Matisse seine Vorstellung vom großen Dekorativen und der arabesken Linienkunst mit einer Ästhetik des Hässlichen und Nicht-Idealen. Die Entdeckung der afrikanischen Skulptur Im Jahr 1906 entdecken Vlaminck und Derain die Exotik der afrikanischen Skulptur. Matisse lässt sich von ihrer Begeisterung anstecken. Durch ihn wird auch Picasso auf die »Negerplastik« aufmerksam. Nichts relativiert für Matisse und Derain die Maßstäbe dessen, wie Kunst zu sein hat, mehr als die Konfrontation mit afrikanischen Statuen und Masken. Ausdruck tritt an die Stelle von nach anatomischen Regeln gestalteten Proportionen. Die rhythmische Gliederung der Fang-Masken und Vili-Statuen – die vertikale Ausrichtung mit harten horizontalen Unterteilungen – zerstört die anatomische Integrität der Figuren. Sie ermutigen Derain, in seinen eigenen Skulpturen und Reliefs eine radikale Neuerfindung des menschlichen Körpers vorzunehmen. Auf dem Bett, das Derain für seinen Kunsthändler Ambroise Vollard schnitzt, entwickelt er Gauguins primitivistischen Reliefstil weiter. Tanzende Mänaden am Betthaupt evozieren das Goldene Zeitalter; die Schlange am Bettende verkörpert die Versuchung im Paradies. Wie Matisse ist Derain fasziniert von der Möglichkeit des unmittelbaren Arbeitens im Holz. In seinen Holzschnitten, Steinskulpturen und Reliefs schafft er ein Figurenideal, das sich unter dem Eindruck der afrikanischen Skulptur zwischen dekorativem Zusammenhalt, abrupten Übergängen, räumlichen Dislozierungen und willkürlichen Proportionen bewegt. 1906/07: André Derain malt London Im Auftrag des Pariser Kunsthändlers Ambroise Vollard malt Derain dreißig London-Bilder. Er tritt damit in Wettbewerb mit Claude Monet und dem Impressionismus. Doch Derain führt die meisten Bilder nicht en plein air – nicht vor dem Motiv –, sondern in seinem Pariser Atelier aus. Motivischer Ausgangspunkt sind ihm während seiner drei LondonAufenthalte angefertigte Skizzen, mit denen Derain nun frei und unabhängig von der Wirklichkeit mit Atmosphäre und Licht umgeht. Beeindruckt vom Neoimpressionismus und Van Gogh setzt er intensiv leuchtende Farben, schafft größtmögliche Kontraste und komponiert plakativ-flächig, indem er mit extremen Sturzperspektiven, die mehrere Fluchtpunkte haben, einen erweiterten Bildausschnitt wiedergibt. Er malt die aggressive Sachlichkeit der Großstadt, den schrillen Kommerz des damals größten Hafens der Welt, integriert Werbetypografien und zeigt den durch Brücken, Kräne oder Masten verstellten Blick auf das Hafenbecken. Henri Matisse: Matisse: Drei Hauptwerke Hauptwerke fauvistischer Skulptur Die von Matisse in Ton modellierten und in Bronze gegossenen sitzenden und stehenden Frauenakte sind dreidimensional, aber nicht rundansichtig. Sie sind von der Fläche her gedacht: wie ein Relief. Ermutigt vom Vorbild der afrikanischen Skulptur scheut Matisse auch vor extremen Verformungen nicht zurück. Er löst sich völlig von der Erwartung einer anatomisch richtigen Darstellung. In den stehenden und sich aufstützenden Frauenakten überwindet Matisse die Statuarik zugunsten der dekorativen Eigenmächtigkeit des linearen Umrisses. Die Arabeske des Umrisses, ihre kurvilineare Schönheit, bestimmt Ausdruck und Gehalt. Hohl- und Zwischenräume werden zu ästhetisch wirksamen Formgestalten aktiviert. Während die Skulptur von der Antike bis zu Rodin und Maillol den Körper in Massen denkt und das Problem zwischen Stand- und Spielbein, zwischen Lasten und Tragen, thematisiert, konzipiert Matisse seine Skulptur von der lyrischen Arabeske her, dem Linienschwung und der mit ihm einhergehenden rhythmischen Destabilisierung. Die Ausdünnung und der lineare Schwung der Serpentine erinnert an den Anspruch von Matisse, den Ton wie ein Maler zu modellieren und zu Malen wie ein Zeichner. Georges Rouault: Die düstere Seite des Fauvismus Georges Rouault trifft in seinen Bildern moralische Aussagen, ohne religiöse Historien zu bemühen. Gleichnishaft stellt er das Elend von Dirnen, Clowns, Ganoven und Gauklern und ihre oft verzweifelten Existenzen dar. Mit schwarzem, skizzenhaftem Pinsel hält der Künstler hässliche Körper und verzerrte Gesichter vor blau schimmerndem, aquarelliertem Hintergrund und bei düsterem Licht fest. Er erinnert daran, dass persönliches Glück und Unglück oder Recht und Unrecht oft eng nebeneinander liegen. Auf dem Ölbild Der Angeklagte sind die Gesichter von Richtern und Beschuldigtem auswechselbar. Eine Dirne bietet ihren Körper nicht nur provozierend und schamlos feil, sondern ist auch verwundbar und einsam. In Kopf eines Clowns sieht sich Rouault als einer, der sich dem Publikum preisgibt, sein ganzes Unvermögen vor ihm ausbreitet und dafür Spott und Hohn erwarten muss, will er seiner Rolle gerecht werden. Kees van Dongen: Der holländische Fauve Der aus Holland stammende Kees van Dongen trägt mit Zirkusszenen, großformatigen Aktbildern der Demimonde und melancholischen Frauenporträts zum Fauvismus bei. Begeistert besucht er Jahrmärkte und arbeitet mitunter als Komparse beim fahrenden Zirkus. Aus extremen Blickwinkeln und mit neoimpressionistischer Pinselführung hält er das moderne Leben fest. Er wird wegen der Darstellung des elektrischen Lichts und der bildnerischen Bewältigung von Geschwindigkeit gefeiert. Allerdings schenkt man ihm beim Herbstsalon 1905 kaum Beachtung. Erst eine Gruppenausstellung mit den »wilden Tieren« in der Galerie Berthe Weills am Montmartre macht ihn zu einem der Fauves. Exotische Tänzerinnen, die er in Revuetheatern bewundert, erobern ab 1907 seine Bildwelt. Seine Pinselführung ist heftig und grob, die Farbgebung intensiv, dekorativ und effektvoll, mit gewagten Kontrasten. Max Pechstein und die Brücke-Maler werden auf ihn aufmerksam und küren ihn 1909 zu ihrem Mitglied. Der Ausklang an der Côte d’Azur: Georges Braque, Othon Friesz, André Derain Im Winter 1906/07 zieht es Braque, Friesz und Derain nach Südfrankreich. Braque hat noch die lila, gelben und grünen Farben von seinen Exkursionen in den Dünen bei Antwerpen im Koffer, wo ihm im Sommer gemeinsam mit Friesz der Durchbruch zum Fauvismus gelungen ist. In der Umgebung von Marseille und in den Calanques, kleinen Buchten mit steilen Felsen zwischen L’Estaque und Cassis, begeben sich Braque und Friesz auf die Spuren Paul Cézannes. Braque verleiht seinen Kompositionen durch deutlich unterscheidbare Pläne und rahmende Motive Halt und nimmt die Farbigkeit etwas zurück. Friesz gibt den Bec d’Aigle, der sich mit seiner schnabelförmigen Spitze über den Calanques erhebt, mit arabeskenhaften, flammenförmigen Farbformen wieder. Derain hingegen behält die stark leuchtende Farbigkeit seiner London-Serie bei, verzichtet aber zunehmend auf extreme Perspektivwechsel und bindet seine Motive wie das Muster eines Wandteppichs an die Bildfläche. Matisse und die Wendung zum Dekorativen: 1906 bis 1908 Matisse sammelt mit Leidenschaft Stoffe und Tücher, die er wegen ihrer Farbenpracht und exotischen Ornamente schätzt. Das Dekorative fließt in seine Malerei ein und ist eng mit seiner Auffassung von Ausdruck verbunden. Ausdruck ist ihm nicht eine leidenschaftliche Regung oder heftige Bewegung, sondern erfasst die ganze Bildfläche. Die Art, wie sich die Farben zueinander verhalten, gibt über die Empfindungen des Malers Auskunft. Auf dem Bild Die Zigeunerin gehen Figur und Landschaft ansatzlos ineinander über und bilden ein dekoratives Farbgewebe. Der Körper ist gleichzeitig in Auf- und Untersicht gegeben. Die dekorative Bildordnung geht bei Matisse auch über die Ränder hinaus. In seinen TeppichStillleben sind die Teppiche an den Rändern angeschnitten, stoßen schräg in den Bildraum vor und werden gleichzeitig durch dominante Farben und bildparallele Gegenstände an die plane Bildfläche gebunden. Das Ende der Avantgarde – Der Anfang der Avantgarden 1907/08 endet nach nur drei Jahren der Befreiungsschlag des Fauvismus. Georges Braque, André Derain und Raoul Dufy suchen nach einer neuen Ordnung im Kubismus. Henri Manguin und Albert Marquet kehren zu einer spätimpressionistischen Tonmalerei zurück. Maurice de Vlaminck düstert seine gleißenden Farben ein. Kees van Dongen wird ein erfolgreicher Gesellschaftsmaler. Georges Rouault erneuert die religiöse Kunst. Henri Matisse bleibt ein Einzelgänger, der die Kunst der Harmonie bis an sein Lebensende verteidigen wird. Doch jede Ausdruckskunst, jeder Expressionismus, verdankt sich ab nun jenen Errungenschaften, die 1905 den Pariser Herbstsalon erschüttert haben. Kunstvermittlungsprogramm zur Ausstellung Malen wie die Wilden! Workshop für Kinder Vor über 100 Jahren schockierten die Bilder von Matisse und seinen Freunden. Die Maler verwendeten grelle, bunte Farben, grobe Pinselstriche und bildeten nicht die Wirklichkeit ab - das erfüllte nicht die Vorstellung der damaligen Betrachter. So kam es zum Namen für die Künstler: sie wurden "Fauves", also "Wilde" genannt. Im Workshop malst du ein Acrylbild nach den Prinzipien der Fauves. Entdecke die Kraft der Farben und probiere wilde Bildideen! Termine: Sonntag, 29. September 2013, 10.30 - 13.30 Uhr Samstag, 26. Oktober 2013, 14.00 - 17.00 Uhr Samstag, 16. November 2013, 14.00 - 17.00 Uhr Juniorführung für Kinder von 6 -12 Jahren Termine: Sonntag, 22. September 2013, 15.00 Uhr Sonntag, 13. Oktober 2013, 15.00 Uhr Sonntag, 27. Oktober 2013, 15.00 Uhr Sonntag, 24. November 2013, 15.00 Uhr Sonntag, 12. Jänner 2014, 14.00 Uhr Alberteena Guided – Führung für Jugendliche von 12 – 18 Jahren Termine: Samstag, 12. Oktober, 16.00 Uhr Samstag, 9. November, 16.00 Uhr Albertina Family: Matisse und die Fauves – Malen wie die Wilden Jeweils sonntags von 15.30 Uhr bis 18 Uhr 6. Oktober 2013/ 3. November 2013/ 1. Dezember 2013/ 5. Jänner 2014 Vor über 100 Jahren stellte der französische Maler Henri Matisse gemeinsam mit Künstlerkollegen seine Bilder der Öffentlichkeit vor. Das Publikum war schockiert von den knalligen, bunten Farben und den groben Pinselstrichen: so zu malen war doch keine Kunst! Matisse und seine Freunde wurden als "Wilde" (franz. "Fauves") beschimpft. Und wie wirken die Werke heute auf uns? Sie zaubern fröhliche Sommerlaune in unseren grauen Herbst/Winter! Tauch´ ein in die Gute-Laune-Farbenwelt der Fauves und mal im Atelier wie ein/e "Wilde/r".