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Inhalt MATISSE und die Fauves Herausgegeben von Heinz Widauer und Claudine Grammont Mit Beiträgen von Cécile Debray, Jack Flam, Claudine Grammont Anita Hopmans, John Klein, Rémi Labrusse Fabienne Queyroux & Nathalie Muller und Heinz Widauer Wienand 8 Klaus Albrecht Schröder Vorwort und Dank 10 Heinz Widauer, Claudine Grammont Dank 14 Heinz Widauer Henri Matisse und die Fauves. Eine Einführung Katalogteil 28 »Matisse malt wie ein verrückter Impressionist« 36 Die Schüler von Gustave Moreau 48 Vom Neoimpressionismus zum Fauvismus 58 Collioure: Henri Matisse und André Derain 82 Die Chatou-Gruppe 98 Die London-Bilder von André Derain 110 Die Le-Havre-Gruppe 140 Hin zu den Mythen: Vom Klassizismus zum Primitivismus 176 »Am meisten kommt es mir auf den Ausdruck an« 206 Kees van Dongen 224 Georges Rouault 234 Essays 250 Rémi Labrusse »Fauvismus«: Der Begriff und die Sache 268 Jack Flam Explosivität, Primitivismus, Fragmentierung und die neue Einheit in der Malerei der Moderne 284 John Klein Die inneren Kreise fauvistischer Porträtkunst 294 Cécile Debray Vlaminck. Das Primitive seiner Kunst 302 Anita Hopmans Kees van Dongen, ein holländischer Fauve in der französischen Arena 314 Fabienne Queyroux & Nathalie Muller Fauvistische Druckgrafik im Cabinet d’estampes modernes Claudine Grammont Fauvismus und Neoklassizismus 318 Verzeichnis der ausgestellten Werke 325 Ausgewählte Literatur 2 Henri Matisse Stillleben mit Keramiken und Früchten 1901 32 3 Henri Matisse Straße in Arcueil 1903/04 33 Vom Neoimpressionismus zum Fauvismus Aquarelle, Kreideskizzen und Kohlezeichnungen lagen im Atelier in Paris herum, als Matisse im Herbst 1904 an dem Bild Der Golf von Saint-Tropez (Kat. 13) malte. Noch wenige Wochen zuvor war er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn an der Küste des Ortes entlangspaziert. Bei dieser Gelegenheit hatte er Amélie, Pierre und die Umgebung mit Conté-Kreiden und Aquarellfarben flüchtig festgehalten. Matisse und seine Familie waren den ganzen Sommer über zu Besuch bei Paul Signac in Saint-Tropez gewesen, der Matisse in seine herrschaftliche Residenz La Hune eingeladen hatte. Signac selbst hatte sich auf Empfehlung von Henri-Edmond Cross, einem der bedeutendsten Vertreter des Neoimpressionismus, der im nahe gelegenen Le Lavandou wohnte, in Südfrankreich angesiedelt. Bereits 1898 hatte Signac ein Manifest mit dem Titel D’Eugène Delacroix au néo-impressionnisme in La Revue blanche veröffentlicht und es Georges Seurat, seinem früh verstorbenen Künstlerfreund– dem »Erfinder« des Neoimpressionismus – gewidmet. Die programmatische Schrift legte die Grundprinzipien des Neoimpressionismus – Seurat hatte ihn auch Divisionismus genannt – fest und empfahl eine Malerei mit reinen Farben, die der Künstler in Form von Punkten oder kurzen Strichen nebeneinandersetzen sollte. Die Farbmischung fand erst im Auge des Betrachters statt. Das Manifest sah den Neoimpressionismus als einen vorläufigen Höhepunkt im Kanon koloristischer Malerei, die bei Delacroix ihren Anfang genommen hatte und bei Signac endete; auch Cézanne blieb darin nicht unerwähnt. Dieses Konzept lockte viele Künstler der Pariser Avantgarde nach Südfrankreich, um bei Signac aus erster Hand Erfahrungen zu sammeln. Auch Matisse war zunächst von der neoimpressionistischen Malweise begeistert und hocherfreut, nun dem Doyen des Neoimpressionismus über die Schulter blicken zu können. Ein Jahr zuvor hatte Louis Valtat, ein ehemaliger Schüler Moreaus aus Paris, den Sommer in Südfrankreich verbracht. Matisse kannte womöglich dessen Gemälde Die roten Felsen von Agay (Kat. 14), ein ob seiner roten Farbigkeit schon im Impressionismus beliebtes Motiv, das Valtat bei Saint-Raphaël gemalt hatte. Die Szene, die Matisse nun im Herbst 1904 im Begriff war, auf die Leinwand zu bannen, ist jener der beiden 48 dunkel gekleideten Frauen, die links unten in der roten Felsenlandschaft rasten, vergleichbar. Die gründliche Vorbereitung mittels Vorzeichnungen und die kleinteilige Pinselschrift wären wohl ganz im Sinn Signacs, mag Matisse gedacht haben, als er die letzten gelben Pinselstriche auf die blassblaue Meeresoberfläche des Gemäldes Der Golf von Saint-Tropez gesetzt hat. Die Sonne spiegelt sich fahl im Meer. Mit kurzen Strichen, neben- und teilweise übereinandergesetzt, hat er den Weg entlang der Felsküste in Zinnober getaucht. Die letzten Sonnenstrahlen verflüchtigen sich; das Rot der heraufziehenden Dämmerung greift um sich; die weit entfernten Berge und ihre Vegetation nehmen Blau- und Grüntöne an. Matisse hat nur reine Farben verwendet, um die Wirkung des Abendrots auf die Küstenlandschaft zu beschreiben. Mit dem Bild reagierte Matisse auf eine Auseinandersetzung, die er im Sommer mit Signac gehabt hatte: Matisse hatte ihm ein Gemälde – Die Terrasse, Saint-Tropez 1 – gezeigt, das er in La Hune gemalt hatte. Signac, wohl enttäuscht, dass es sich nicht um ein Bild im neoimpressionistischen Stil handelte, äußerte sich kritisch: zu lange Pinselstriche, zu große Farbflecken. Matisse war niedergeschlagen. Amélie – so die Anekdote – ging mit ihm entlang der Felsenküste spazieren, damit er sich beruhigte.2 Die Studien und Skizzen, die Matisse bei dieser Gelegenheit von seiner Familie und der Umgebung angefertigt hatte, darunter auch vom Stamm einer hohen Kiefer, flossen jetzt in das Bild, das vor ihm auf der Staffelei stand, ein. Zur Orientierung und um die Farbverteilung vorzubereiten, hat Matisse zuerst mit dem Kohlestift die Umrisse und die wichtigen Kompositionslinien locker auf der Leinwand vorgezeichnet: Der hohe nackte Baumstamm rechts im Bild und der Küstenstreifen, der sich von der Kiefer ausgehend in den Hintergrund zieht und dort auf den Horizont einer weit entfernten Bergkette trifft, teilen die Bildfläche auf. Der Golf von Saint-Tropez ist ein Schlüsselwerk: Die Figur der Amélie, die hoch aufragende Kiefer und der Blick über die Bucht kehren in Matisse’ Gemälde Luxe, calme et volupté (Luxus, Ruhe und Wollust; Abb. S. 237) wieder. Letzteres stellte Matisse im Frühjahr 1905 im Salon des Indépendants aus. Mit diesem Bild malte sich Matisse in den Olymp der Neoimpres- Villa »La Hune« von Paul Signac, Saint-Tropez Die Küstenstraße bei Estérel und Agay Blick auf Collioure sionisten. Konsequent und sorgfältig hat er es aufgebaut: Die Konturlinien der Figuren hat er in kleine Farbstriche gebrochen; selbst die zart vorskizzierten Berge im Hintergrund sind in kleine Einheiten zerlegt. Signac war begeistert und kaufte das Gemälde für sein Speisezimmer in La Hune, trotz der Zweifel, die Matisse mittlerweile äußerte: Die fragmentierte Farbe würde die Zeichnung und die Form zerstören, die doch ihre ganze Beredsamkeit von der Konturlinie bezogen. Dort wo die Farben aneinanderstießen, würde die Oberfläche des Bildes flimmern. Matisse suchte nach Verbesserungen. Im nächsten Sommer reisten er und seine Familie wieder in den Süden: dieses Mal nicht in das Mekka des Neoimpressionismus, sondern nach Collioure, einem entlegenen Fischerdorf am Fuß der östlichen Ausläufer der Pyrenäen. Im Mai kamen sie an, und in den darauffolgenden Wochen machte Matisse sich mit der Umgebung und ihren Motiven, mit ihrem Licht und ihren Farben vertraut. Er zeichnete und aquarellierte, malte aber kaum: zwei Farbskizzen, eine davon vom Fenster seines Atelierzimmers aus – einen Blick auf den Hafen von Abaill beziehungsweise Avall, wie er auf Katalanisch heißt (Kat. 15), dessen Farbpalette sich an jener der Divisionisten orientiert. Was auf den ersten Blick wie eine systematische Anordnung von Strichproben oder wie aus der Tube gedrückt aussieht, sind Annotationen reiner Farben, die bei genauerem Hinsehen eine mit Figuren belebte Hafenlandschaft mit Ufermole und bewegten Segelmasten ergeben. Diese Farbskizze war der Auftakt zu einem weiteren neoimpressionistischen Gemälde: Matisse hatte vor, die Panoramaansicht des Hafens von Abaill im Oktober 1905 im Pariser Herbstsalon zu präsentieren.3 Setzte man die Farbpunkte weiter auseinander und ließe man den Bildgrund durchscheinen, dann konnte das störende »Vibrato«, wie Matisse das Flimmern nannte, verhindert werden. Diese Bestrebungen leiteten Matisse bei seinem Gemälde. Ein spontaner und lebendiger malerischer Vortrag litt aber dennoch unter der aufwendigen Vorbereitung in Form von Vorzeichnung, Karton und Pause. Die Arbeit an dem Bild zog sich hin, es wurde bis zum Herbstsalon nicht fertig. Mittlerweile hatte Matisse zudem eine andere Richtung eingeschlagen. Im Herbst 1905 stand er künstlerisch an einem Scheideweg, wobei sich Unmittelbarkeit und Spontaneität, Unerwartetes und Überraschendes dem Divisionismus gegenüber durchsetzten. Matisse stellte im Salon d’Automne Bilder aus, bei denen der Pinsel nicht nur malend, sondern auch zeichnend zum Einsatz gekommen war: Auf dem Gemälde Frau am Wasser – Die Japanerin (Madame Matisse; Abb. S. 272) sind 49 54 André Derain Pool of London 1906/07 104 105 74 Georges Braque Küstenlandschaft, L‘Estaque 1906 130 75 Henri Manguin Le Vallon, La Villa Demière 1905 131 101 André Derain Stehender Frauenakt mit am Körper angelegten Armen ca. 1906 162 102 André Derain Akte (Acht tanzende und hockende Figuren) 1906 163 112 Henri Matisse Das Idol 1906 174 113 Henri Matisse Zwei »Negerinnen« 1907/08 175 123 Henri Matisse Sitzender Akt ca. 1906 188 124 Henri Matisse Liegender Frauenakt 1906 189 152 Kees van Dongen Die Zigeunerin (Die Neugierige) ca. 1910/11 222 153 Kees van Dongen Pariserin vom Montmartre ca. 1910 223 Georges Rouault Breit und gelangweilt sitzt eine Schaustellerin hinter einem Tresen (Kat. 158); sie mustert abschätzig die vorübergehenden Jahrmarktbesucher. Ab und zu schielt sie wohl auch auf eine Schar Pappfiguren, die hinter ihr aneinandergereiht stehen. Sie repräsentieren Typen aus dem kleinbürgerlichen Pariser Milieu und sind in der Alltagsmode ihrer Zeit gekleidet. Täglich müssen sie buchstäblich den Kopf hinhalten, um der Geschäftsfrau ein Einkommen zu sichern. Eine auffallende Kopfbedeckung gehörte daher zu ihrer »Dienstkleidung«: Zylinder und Melone für die Männer; Turban oder Hut mit Früchte-, Feder- oder Blumendekor für die Frauen. Am unteren Bildrand liegen in einer Lade Bälle, die man gegen Bezahlung werfen konnte. Traf man Kopf oder Hut, kippte die Pappfigur vermutlich nach hinten und streckte die Beine hoch. Passend dazu warb die Schaustellerin mit dem Namen einer Königin des Cancans: Die wahre Nini Patte-en-l’air zeigte ihre Reize jedoch nur betuchtem Publikum in einem der vielen Pariser Revuetheater. Die Pappfiguren dienten hingegen dem Vergnügen der einfachen Leute. Allerdings verloren hier nicht die Zuschauer den Kopf wegen der schönen Beine einer Tänzerin, sondern die Pappfiguren durch die gezielten Würfe des petit boulevard. Georges Rouault teilte sich in Gleichnissen mit. Er beobachtete die menschliche Seele, ihre Abgründe, aber auch ihre Verlorenheit und Einsamkeit. Rouaults Pinsel verlieh keiner Anklage, sondern der Empathie des Künstlers Ausdruck: Die Botschaft des Bildes Jeu de massacre (La Noce à Nini Patteen-l’air) ist heute aktueller denn je: Die Wurfbude steht für das Leben. Die Pappfiguren sind die kleinen Leute der Straße, Marionetten eines Profiteurs, der quasi mit Nichtstun sein Geld verdient. Das Ausnutzen menschlicher Aggression ist seine Geschäftsidee, das Aufeinanderhetzen der Leute seine Taktik. Doch die Schaustellerin könnte auch auf der anderen Seite stehen;1 mit ihrem Gesichtsausdruck und ihrer Kopfbedeckung ließe sie sich mühelos gegen eine der Figuren im Hintergrund austauschen. Jedenfalls evoziert die Darstellung die gemeine, sadistische Lust, die manche bei der Ächtung und öffentlichen Erniedrigung eines vermeintlichen Missetäters am Pranger empfinden. Die Gesichter der Figuren sind bis zur Karikatur verzerrt. Man glaubt sich selbst spiegelbildlich nicht vor, sondern hinter dem Tresen und fürchtet die Kugel, die geflogen kommt. 224 Rouault konnte, als er das Bild malte, noch nicht wissen, dass er eine Metapher gewählt hatte, die für ihn selbst Realität werden sollte: Man war entsetzt, als er das Werk 1905 im Salon d’Automne in Paris ausstellte. Dunkel und skizzenhaft in Mischtechnik auf Papier gemalte menschliche Abgründe, das wollte man nicht als Kunst akzeptieren. Rouault und sein Bild wurden zwar nicht beworfen, doch bediente man sich modernerer Methoden, ihn und sein Werk anzuprangern: Camille Mauclair, Chefredakteur der konservativen Wochenzeitung L’Illustration, setzte es am 4. November 1905 in einer doppelseitigen Beilage zusammen mit elf anderen Gemälden der Häme seiner Leserschaft aus (Abb. S. 19). Georges Rouault war gelernter Glasmaler. 1892 trat er in die Klasse von Gustave Moreau an der École des Beaux-Arts in Paris ein und lernte dort gemeinsam mit Henri Matisse, Henri Manguin und Albert Marquet.2 Rouault war Moreaus Lieblingsschüler; die beiden waren einander geistig, künstlerisch und freundschaftlich eng verbunden. Moreaus Tod 1898 stürzte Rouault in eine tiefe Depression. Mit Fernand Cormons Übernahme der Klasse Moreau verließ Rouault wie die künftigen Fauves Matisse, Manguin und Marquet die École des Beaux-Arts. Während Matisse und die anderen zu Eugène Carrière wechselten, zog er sich in das Benediktinerkloster SaintMartin de Ligugé zurück. Dort schloss er sich der Bewegung des Schriftstellers Joris-Karl Huysmans an. Huysmans hatte Künstler und Mönche um sich geschart und wollte mit ihnen eine Kunstschule – die Maison Notre-Dame – ins Leben rufen. Doch 1902/03 wurde von der französischen Nationalversammlung die Auflösung bestehender Ordensgemeinschaften und die Schließung kirchlicher Erziehungseinrichtungen beschlossen; Huysmans’ Traum von einer Künstlerkolonie war dahin. Rouault kehrte nach Paris zurück. Die klösterliche Abgeschiedenheit hatte ihn darin bestärkt, keine Konzessionen an Tradition und Zeitgeist zu machen. Er wollte nur mehr einer eigenen, vor allem religiösen Überzeugung folgen. In diesem Sinn machte er sich an die Erneuerung des religiösen Historienbildes. Nicht Gleichnisse aus der Bibel, sondern Wahrnehmungen, die unmittelbar aus dem Leben gegriffen waren, sollten die religiöse Aussage transportieren. Rouault beobachtete die Verdammten, Erniedrigten und vom Schicksal Benachteiligten in ihrem Lebensumfeld; schonungslos hielt er das Georges Rouault, 1903 Georges Rouault (2. von links) und Joris-Karl Huysmans (rechts) im Kloster Saint-Martin de Ligugé, 1901 Elend am Rande der Gesellschaft – der Ganoven, Gaukler und Dirnen – fest. Kritisch beobachtete er Gerichtsverhandlungen und den selbstgefälligen, teilnahmslosen Umgang von Richtern und Staatsanwälten mit den Angeklagten. Er selbst vermied jegliche Anklage, sondern porträtierte die herrschende Ordnung und die Machtverhältnisse. Auch in dem Ölbild Der Angeklagte (Kat. 159) von 1907 sind die Gesichter von Richtern und Beschuldigtem auswechselbar; der Angeklagte unterscheidet sich von den ihn umgebenden Rechtsgelehrten nur durch die schmucklose schwarze Bekleidung und den weißen Kragen. Im Jahr 1903 wurde Rouault Direktor des eben gegründeten Museums im ehemaligen Atelierhaus von Moreau in der Rue de La Rochefoucauld in Paris. In diesem Jahr begann er sich auch der Zirkus- und Jahrmarktthematik zuzuwenden. Der fahrende Zirkus war ihm eine lieb gewordene Erinnerung an seine Kindheit in Belleville, einem Stadtteil von Paris. Clowns und Akrobaten, die ein fröhlich-buntes Dasein vorgaukeln, waren dem Künstler ein bestens geeignetes Motiv, um seiner Skepsis gegenüber der Welt Ausdruck zu verleihen: Er lässt den Betrachter hinter die Kulissen blicken, wo Glamour und Magie, Täuschung und Suggestion keinen Platz mehr haben. Das Bild Kopf eines Clowns (Kat. 154) ist ein Selbstporträt: In ihm sah sich Rouault als einer, der seine Persönlichkeit entäußert, der sich dem Publikum preisgibt und sein ganzes Unvermögen vor ihm ausbreitet und dafür Spott und Hohn erwarten muss, will er seiner Rolle gerecht werden. Im Herbst 1903 zählte Rouault zu den Mitbegründern des Pariser Herbstsalons. 1905 war er unfreiwilliger »Mitläufer« des in Saal VII ausgelösten Kunstskandals: Obwohl er selbst nicht unmittelbar mit Matisse und den anderen ausstellte, genügte seine ehemalige Zugehörigkeit zur »Moreau-Bande«, um ihn mit den Fauves in Zusammenhang zu bringen. Als Fauve nahm Rouault somit eine Randposition ein: Seine Bilder hingen nicht in Saal VII, sondern in Saal XVI, zusammen mit Werken von Cézanne und den Nabis. In Louis Vauxcelles’ Artikel in der Zeitschrift Gil Blas wurde er deshalb auch nicht in einem Atemzug mit den anderen »wilden Tieren« genannt. Doch verband Rouault die freie, mitunter gestische und flotte Pinselführung mit seinen ehemaligen Kollegen. Sein nahezu umstürzlerischer Umgang mit der Bildtradition und seine völlige Abkehr von akademischen Normen und Konventionen machten ihn zusätzlich zu einem der ihren. Von der Klasse Gustave Moreaus war er es gewohnt, mit den Malmitteln frei und unkonventionell umzugehen. Rouault 225