n°415

Transcrição

n°415
Kunsträume
DAS MAGAZIN DER MDW
U N I V E R S I TÄT F Ü R M U S I K U N D
DARSTELLENDE KUNST WIEN
Die
Swarowsky
Idee
The
“Swarowsky
Idea”
KUNSTRÄUME – DAS MAGAZIN DER MDW
E R S C H E I N U N G S O R T: 1 0 3 0 W I E N , V E R L A G S P O S TA M T 1 0 3 0 W I E N
P. B . B . G Z 0 4 Z 0 3 5 5 5 1 M
20
n°4
15
MAGAZINE OF THE MDW
UNIVERSITY OF MUSIC AND
PERFORMING ARTS VIENNA
11
Standorte
UNIVERSITY OF
MUSIC AND
PERFORMING
ARTS VIENNA
LOCATIONS
11.
10.
01.
02.
A l f r e d e i s e n s tA e d t, VJ d A y, t i m e s s q u A r e , n y, 14 . A u g u s t 1 9 4 5 © A l f r e d e i s e n s tA e d t, 2 0 14 / l e i c A c A m e r A A g , c o u r t e s y o f s k r e i n P h o t o c o l l e c t i o n
U N I V E R S I TÄT F Ü R
MUSIK UND
DARSTELLENDE
KUNST WIEN
03. + 04.
08.
07.
05.+06.
09.
Anton-von-Webern-Platz 1
02. Lothringerstraße 18
03. Metternichgasse 8
04. Metternichgasse 12
05. Penzinger Straße 7
06. Penzinger Straße 9
07. Rennweg 8
08. Rienößlgasse 12
Schönbrunner Schlossstraße
10. Seilerstätte 26
11. Singerstraße 26A
01.
09.
Augen
AuF!
100 JAhre
leicA FotogrAFie
04.12.2015—21.02.2016
Führung durch die Ausstellung
Für mdw club mitglieder
10. dezember 2015, 17 h
Anmeldung unter [email protected]
www.mdw.Ac.At/mdwclub
Westlicht. schAuPlAtz für fotogrAfie
WestbAhnstrAsse 40, 1070 Wien, +43 (0)1 522 66 36–60
[email protected], WWW.Westlicht.com
Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich, auch im Namen
des neuen Rektorates, bei der Lektüre dieser
Kunsträume. Am 9. November wurden unsere
neuen Vizerektorinnen, Vizerektoren und ich
inauguriert. Einen Bericht zu diesem großen
Fest finden Sie auf den Seiten 6 bis 11.
Schon die ersten Wochen im Amt waren
begleitet von vielfältigen Erfolgsmeldungen
unserer Studierenden, AbsolventInnen und
Lehrenden − ein für das neue Rektorat wundervoller Start!
Das Special dieser Kunsträume widmet
sich dem Thema DirigentInnenausbildung
an der mdw, eine Erfolgsstory seit vielen Jahrzehnten. Bereits im 19. Jahrhundert waren
mit Gustav Mahler und Franz Schreker zwei
Ikonen dieses Fachs aus unserer Schule hervorgegangen, nach Ende des II. Weltkrieges
sorgten insbesondere die Schüler des legendären Professors Hans Swarowsky für Furore,
und mdw-Absolvent Kirill Petrenko hat es
in kürzester Zeit an die Spitze der wenigen
ausgewählten Dirigenten-Stars unserer Zeit
geschafft. Mit den beiden Professoren Mark
Stringer und Johannes Wildner findet das
Fach seine hoffnungsvolle Fortsetzung.
Entdecken Sie in dieser Ausgabe spannende
Facetten der Musik- und Kunstausbildung an
unserem Haus und tauchen Sie in die vielfältigen Kunsträume der mdw ein.
Einen vergnüglichen Lesegenuss wünscht
Ladies and Gentlemen,
On behalf of the entire new rectorate team, I bid you a
warm welcome to this issue of Kunsträume. On 9 November,
our new vice rectors and I were inaugurated, and you will
find a report on this major celebration on pages 6 to 11.
My initial weeks in office were accompanied by news of
success on the part our students, alumni, and instructors
in diverse areas—a wonderful start to the new rectorate’s
term of office!
The “Special” section of this Kunsträume issue, on the
other hand, is devoted to an mdw success story that already
covers decades upon decades, namely: the training of
conductors. As early as the 19th century, two icons of this
field—Gustav Mahler and Franz Schreker—graduated from
our school, while during the period following World War
Two it was particularly the students of the legendary mdw
professor Hans Swarowsky who made waves. Today, mdw
alumnus Kirill Petrenko has ascended to the apex of our
era’s small, select group of conducting stars in an amazingly
brief span of time. And in Professors Mark Stringer and
Johannes Wildner, the conducting programme looks forward
to a future full of hope.
So please enjoy discovering this issue’s multifarious insights
on musical and artistic training at the mdw, immersing
yourself in its diverse “Kunsträume”
—realms of art—as you do so.
Sincerely yours,
Ulrike Sych, Rector
Ulrike Sych, Rektorin
1
Content
01 Editorial
EDITORIAL
05 Kolumne
Barbara Kaufmann: Vom Takt angeben
COLUMN
Barbara Kaufmann: On Dictating the Rhythm
06 Report
Inauguration von Rektorin Ulrike Sych
REPORT
The Inauguration of Rector Ulrike Sych
12 Newcomer
DRAMA
44 Stefanie Reinsperger im Porträt
A PORTRAIT OF STEFANIE REINSPERGER
48 Glaube, Liebe, Hoff nung
FAITH, HOPE AND CHARITY
FILM
52 Alles wird gut
Patrick Vollrath im Porträt
EVERYTHING WILL BE OKAY
A portrait of Patrick Vollrath
NEWCOMER
RESEARCH
SPECIAL
14 Die Swarowsky-Idee
THE “SWAROWSKY IDEA”
16 Die Wahrung der Gestalt
KEEPING SHAPE
22 Zwischen Demut und Dominanz
Johannes Wildner im Interview
BETWEEN HUMILITY AND DOMINANCE
Interview with Johannes Wildner
28 Forschungsprojekt Hans Swarowsky
56 Ein Grund zu feiern
Michaela Hahn im Interview
A CAUSE TO CELEBRATE
Interview with Michaela Hahn
60 Gender goes Musik * Theater * Film
GENDER GOES MUSIC * THEATRE * FILM
62 Rethinking Belcanto
RETHINKING BEL CANTO
64 Transfer und Transformation
TRANSFER AND TRANSFORMATION
RESEARCH PROJECT: HANS SWAROWSKY
MUSIC
34 Clara Maria Bauer im Porträt
A PORTRAIT OF CLARA MARIA BAUER
36 Fließende Grenzen
Pier Damiano Peretti im Interview
BLURRED DISTINCTIONS
Interview with Pier Damiano Peretti
40 Von Wassernixen und anderen Geistern
ON WATER NYMPHS AND OTHER SPIRITS
66 mdw club
Alumni im Fokus: Kirill Petrenko
Alumni in Focus: Kirill Petrenko
Europa ist überall.
Österreich
Welt
Bestellung unter:
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T. 0810 0810 99, F. 0810 0810 90
E. [email protected]
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KIRCHE
ST. URSULA
26
Seilerstätte
© mollom
© mollom
Die mehrhöfige barocke Klosteranlage der Ursulinen, deren Klostergebäude und Kirche zum großen Teil vom österreichischen Baumeister Anton
Erhard Martinelli erbaut wurden, entstand von
1666 bis 1745. Die Ursulinen-Schwestern, die bereits im Jahr ihres Eintreffens eine Schule eröffneten, führten diese in den historischen Räumlichkeiten bis zum Jahr 1960. In den Jahren 1963 bis
1968 wurde das Kloster in der Seilerstätte für die
Bedürfnisse der damaligen Akademie für Musik
und darstellende Kunst adaptiert und umgebaut.
Das Haus blickt somit auf 350 Jahre Unterrichtstätigkeit zurück.
Die mit einer zweimanualigen Orgel von Gregor
Hradetzky aus dem Jahr 1968 ausgestattete Kirche bietet 90 Personen Platz. Die barocke Kirche,
die den regelmäßigen Aufführungen des Instituts
für Orgel, Orgelforschung und Kirchenmusik der
mdw Raum bietet, verfügt über eine reiche einheitliche Stuckausstattung aus dem späten 17. Jahrhundert sowie klassizistische Hoch- und Wandaltäre und die Heilig-Grab-Kapelle mit einer bemerkenswerten Grablegungsgruppe. Die Kirche
ist zum Besuch von Klassenabenden und öffentlichen Diplomprüfungen sowie zu den musikalisch
gestalteten Gottesdiensten öffentlich zugänglich.
© mollom
The multi-courtyard baroque convent and
church of the Order of St. Ursula, much of
which was built by the Austrian architect Anton
Erhard Martinelli, took shape between 1666 and
1745. The Ursulines opened a school the year
they moved in, and they ran it here until 1960.
Thereafter, from 1963 to 1968, these spaces on
Seilerstätte were adapted and altered to suit
the needs of the then-Academy of Music and
Performing Arts. This location can thus look back
on 350 years of teaching history.
The church, equipped with a two-manual organ
built in 1968 by Gregor Hradetzky, can seat
90 people. This baroque space, which plays
host to regular performances by students of
the Department of Organ, Organ Research and
Church Music, exhibits rich, unified stucco
decorations from the late 17th century along
with a classicist high altar and bye-altars plus
the Heilig-Grab-Kapelle [Chapel of the Holy
Sepulchre] with its remarkable entombment
scene. The church is publically accessible for
recitals and public diploma examinations as well
as for services with music provided by
the department.
Kolumne
Vom Takt angeben
W
enn man über jemanden
sagt, dass er „den Takt angibt“, meint man damit
oft, er hat das Sagen. Es ist
gleichbedeutend damit, die
Führung zu übernehmen,
die Kontrolle über eine
Situation zu haben, eine Vormachtstellung einzunehmen.
Der Dirigent eines Orchesters tut all diese Dinge. Er leitet das Ensemble, er bestimmt die Interpretation eines
Musikstückes. Er steht stark exponiert und gut erkennbar
für das Publikum an der Spitze des Orchesters. Nicht umsonst nennt man ihn auch den Meister, il Maestro.
Doch der Dirigent bewegt während seiner Arbeit weit
mehr als nur den Taktstock. Um zu unterstreichen, was
er von den Musikern möchte, um sie gemeinsam in eine
Richtung zu leiten, benützt er Hände und Arme, setzt
seine Augen und seine Mimik ein. Er legt seinen Finger
an die Lippen, um zu veranschaulichen, dass das Musikstück an einer Stelle leiser werden soll. Je nach Typus ist
er theatralisch, leidenschaftlich, dramatisch, reißt die
Arme hoch, springt auf und nieder, um die Musiker mitzureißen. Oder er ist nüchtern, konzentriert, akribisch
in seinem Arbeitsstil. In jedem Fall ist Dirigieren eine
Ganzkörpererfahrung, ein Mitleben mit jeder Note, jedem Takt, jedem Ton.
Selbst bei großen Orchestern steht der Dirigent unweigerlich im Mittelpunkt. Ob Exzentriker oder sensibler
Pultstar mit natürlicher Autorität, nachdem der Mann
mit dem Taktstock die Musiker durch die Vorstellung
führt, sind automatisch alle Augen auf ihn gerichtet.
Selbst jene von Unternehmensberatern, Coaches und
Managern, denen in eigenen Kursen immer häufiger
die Grundlagen des Dirigierens beigebracht werden.
Das Schwingen des Taktstockes als Übung für Leadership in Großkonzernen.
In den vergangenen Jahren nehmen endlich immer mehr
Frauen am Dirigentenpult Platz. Auch wenn sie noch
immer eine Ausnahme in vielen Opernhäusern repräsentieren, scheint das old boys network an vielen Stellen
durchbrochen zu werden, die gläserne Decke, durch
die Frauen vom Taktstock getrennt werden, bekommt
Sprünge. Frauen, die den Ton angeben, sind auch auf
den Kunstuniversitäten keine seltene Spezies mehr. Das
gibt Hoffnung, denn die Zeiten sind mehr als reif für
la Maestra, die Meisterin.
ON DICTATING THE RHYTHM
When it’s said about someone that they “dictate the rhythm”,
or for that matter “set the tone”, what’s often meant is that
they’re in charge. It’s synonymous with taking the lead, having
control over a situation, being in a position of authority.
An orchestral conductor does all of these things. He leads
the ensemble and determines how a musical work will be
interpreted. And he takes up an exposed position at the head of
the orchestra, in clear view of the audience. It’s not for nothing
that conductors are often called Maestro, that is: “master”.
As he works, a conductor will move far more than just the
baton. In order to underline what he wants from musicians and
lead them all in a certain direction, he’ll also use his hands and
arms, his eyes and facial expressions. He’ll hold a finger up
to his lips when the music should grow softer. And depending
on his personality, he might be theatrical, passionate, or
dramatic, even throwing up his arms or jumping up and down
in order to sweep the musicians along. Or he’ll exhibit a sober,
concentrated, and fastidious working style. Whatever the case,
conducting is a total body experience of every note,
measure, and sound.
Even in large orchestras, it’s undeniably the conductor who
stands at the centre of attention. And regardless of whether
he’s an eccentric or a sensitive podium star with natural
authority: after the man with the baton has led the musicians
through the performance, all eyes are trained on him. Including
those of business consultants, coaches, and managers, more
and more of whom are now taking special courses to learn
conducting basics—swinging a baton as an exercise for
leadership in large corporations.
In recent years, we’ve finally seen more and more women
taking their places on the conductor’s rostrum. And even if
woman conductors do still represent the exception at many
opera houses, the operatic “good old boys’ network” and the
glass ceiling separating women from the baton would indeed
seem to have been penetrated in several places. These days,
at arts universities, women who set the tone have long since
ceased to be a rare species. Which lets ups hope that the time
is also more than ripe for la Maestra.
Kolumnistin
Barbara Kaufmann,
mdw-Absolventin (Filmakademie), Filmemacherin
und freie Journalistin, liebt
Programmkinos, Oper und
Off-Theater
Columnist, mdw graduate
(Filmakademie Wien),
filmmaker, and freelance
journalist; loves art-house
cinemas, opera and
fringe theatre
5
Report
Inauguration von
Rektorin Ulrike Sych
AM 9. NOVEMBER FAND IM JOSEPH HAYDN-SAAL DER MDW – UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE
KUNST WIEN DIE INAUGURATION VON REKTORIN ULRIKE SYCH UND IHREM TEAM – DEN VIZEREKTORINNEN CHRISTIAN MEYER, BARBARA GISLER-HAASE, GERDA MÜLLER UND JOHANN BERGMANN STATT.
„Ich möchte eine Universität, in der das
Aneignen von Wissen
und Fertigkeiten
nicht additiv lose
aneinandergereiht
wird, sondern inhaltliche Zusammenhänge
effizient hergestellt
und Synergien entwickelt werden.“
REKTORIN ULRIKE SYCH
“I want to have a University
where the acquisition of knowledge and skills is not simply
sequenced in an additive fashion,
with relationships and synergies
between various types of content
instead being efficiently set up
and developed.”
„ICH HABE VOR, DIE UNIVERSITÄT INTERNATIONAL IN
G R O SSE M AU SMASS Z U
REPRÄSENTIEREN UND MICH
UM INTERESSANTE KÜNSTLERISCHE, WISSENSCHAFTLICHE UND PÄDAGOGISCHE
KOOPERATIONEN WELTWEIT
ZU BEMÜHEN.“
REKTORIN ULRIKE SYCH
© Stephan Polzer
WERTSCHÄTZUNG DER MDW
Mit der tongewaltigen Danubiafanfare von Leonhard
Paul wurde der Festakt eröffnet. Das neue Rektorat, RektorInnen von 14 in- und ausländischen Universitäten
ebenso wie die Mitglieder des Universitätsrates und des
Senats, die Altrektoren Gottfried Scholz und Erwin Ortner sowie VertreterInnen der Universität und der Studierenden zogen feierlich in den Saal ein. Begrüßt wurden
die Gäste von der Vorsitzenden des Universitätsrates
Haide Tenner, die das zahlreiche Erscheinen der Gäste
als „Wertschätzung gegenüber der mdw“ würdigte.
Die Grußworte seitens der Universitätenkonferenz (Uniko) verfasste der Rektor der Universität für angewandte
Kunst Wien und Vizepräsident der Uniko Gerald Bast
6
mit treffenden Worten: „Kunst und Wissenschaft sind
nicht, wie manchmal behauptet wird, wirklichkeitsfern
oder realitätsfremd, sondern sie sind viel näher an dem,
was unsere Welt zusammenhält, viel wichtiger als manches, was heute als systemrelevant bezeichnet wird. Systemrelevant für die menschliche Gesellschaft war und ist
nicht zuletzt die Kunst. Sie bleibt jedoch oft unerkannt,
weil wir die Zeit zum bewussten Hinhören und Hinsehen, die Kraft zum Vor- und Nachdenken und auch die
Kraft zum Widerspruch nicht aufwenden können oder
wollen.“ Bast sieht die Kunst als Verbindung von innen
und außen, von Künstlerin und Künstler mit der umgebenden Gesellschaft. Sich selbst und die Umgebung beobachten lernen, kritisch am eigenen Inneren und an den
eigenen Fähigkeiten zu arbeiten und auf das Äußere einzuwirken, erachtet Bast als die Aufgabe der Universitäten.
R E P O R T
„Mich hat das Max Reinhardt
Seminar wirklich gut auf
den Beruf vorbereitet und ich
glaube, genau das ist auch die
Aufgabe dieses Instituts.
Das ist keine Agentur, das ist
eine Ausbildungsstätte.“
S T E FA N I E R E I N S P E R G E R
“The Max Reinhardt Seminar prepared me
exceptionally well for my career, and to my mind,
precisely that is the mission of this department.
It’s not an agency—it’s a place of training.”
OTTO BRUSATTI (Ö1) MIT REKTORIN ULRIKE SYCH
UND KOMPONIST ALEXANDER KUKELKA, PRÄSIDENT
ÖSTERREICHISCHER KOMPONISTENBUND. © Stephan Polzer
01.
02.
01. JOHANNES MEISSL, SENATS-
VORSITZENDER UND LEITER
DES JOSEPH HAYDN INSTITUTS
FÜR KAMMERMUSIK UND
SPEZIALENSEMBLES, FÜHRTE
DURCH DIE FEIERLICHKEITEN.
03.
MENSCHWERDUNG AN DER MDW
mdw-Absolventin Stefanie Reinsperger, frisch gekürte
Nestroy-Preisträgerin und Schauspielerin des Jahres/
Theater heute, erzählte anschließend von ihrer Ausbildungszeit am Max Reinhardt Seminar und ihren StudienkollegInnen. „Ich war und bin nach wie vor sehr
dankbar und glücklich, mit diesen 13 Menschen ( JahrgangskollegInnen, Anm. der Red.) meine ‚vier Jahre
Menschwerdung‘ erlebt zu haben.“ Aus Stanislawskis
„Ethik und Disziplin“ nahm sie im Rahmen ihrer Ausbildung das Staunen mit, „wie sehr wir alle, als SpielerIn
für einen gesamten Abend, für unser Theater, an dem wir
spielen, für unsere PartnerInnen, für die AutorInnen, für
uns selbst und unsere Figuren Verantwortung tragen.
NOTWENDIGKEIT
ZEITGENÖSSISCHEN KUNSTSCHAFFENS
Komponist Heinz Karl Gruber, selbst Absolvent des
Hauses, sprach in seiner Festrede über die Notwendigkeit zeitgenössischen Kunstschaffens sowie über die
Bedeutung der Zusammenarbeit von KomponistInnen
und Ausführenden: „Wenn man sich die Plakate an den
02. STEFANIE REINSPERGER,
ABSOLVENTIN DES INSTITUTS
FÜR SCHAUSPIEL UND SCHAUSPIELREGIE, ERZÄHLTE VON IHREN POSITIVEN ERFAHRUNGEN
WÄHREND IHRER STUDIENZEIT
AM MAX REINHARDT SEMINAR.
03. KOMPONIST HEINZ KARL
GRUBER, SELBST ABSOLVENT
DES HAUSES, SPRACH IN
SEINER FESTREDE ÜBER DIE
NOTWENDIGKEIT ZEITGENÖSSISCHEN KUNSTSCHAFFENS.
© Stephan Polzer
Konzerthäusern draußen in der Welt ansieht, die die jeweils 5. der Thielemans oder die 9. der Mutis ankündigen, sollten wir uns doch wieder einmal ins Bewusstsein
rufen, dass all die Suppen, von denen die Damen und
Herren Stargeiger, Startenöre, Starpianisten, Starcellisten und Dirigenten, Intendanten und Festivalleiter leben,
von Komponisten und Komponistinnen im Lauf der
letzten Jahrhunderte gekocht wurden. Und dass es die
heute lebenden KomponistInnen sind, die garantieren,
dass der Betrieb eines Tages nicht stehen bleibt und das
Futter nicht versiegt.“ Genau dieses Bewusstsein auch als
Zukunftsprojekt muss laut Gruber schon in den Aus
7
R E P O R T
01.
„Die Universität
für Musik und
darstellende Kunst
Wien war und ist
ein Leuchtturm
für die Bedeutung
der Kunst in der
Welt. Und solche
Leuchttürme haben wir wahrlich
notwendig!“
02.
03.
04.
05.
G E R A L D B A S T,
VIZEPRÄSIDENT DER
U N I V E R S I TÄT E N K O N F E R E N Z
“The University of Music and
Performing Arts Vienna has
been and continues to be a
beacon for the significance of
art in our world. And we
absolutely do have a need
for such beacons!”
06.
01. SOPRANISTIN IVA MARTINCEVIC
INTERPRETIERTE DAS RODAKS TÜCK S EH NEN , DA S R EKTO R IN
ULRIKE SYCH GEWIDMET IST.
02. DIE BEITRÄGE DER STUDIEREN-
DEN DES MAX REINHARDT SEMINARS – EINE LESUNG DREIER
GEDICHTE VON ALFRED BRENDEL –
SORGTEN FÜR GROSSE UNTERHALTUNG IM JOSEPH HAYDN-SAAL.
03. DAS STREICHQUARTETT
QUATUOR AKILONE SORGTE IN
DER AULA DER MDW FÜR EIN
STIMMUNGSVOLLES EINTREFFEN
DER GÄSTE. DAZU PRÄSENTIEREN
STUDIERENDE DER FILMAKADEMIE
WIEN IHR „BEST OF 2014“.
04. DAS ERSTE MUSIKALISCHE
INTER MEZZO, DIE A R IE „NOBLES
SEIGNEURS SALUT“ AUS LES
HUGUENOTS, WURDE VON DERPREISGEKRÖNTEN MEZZOSOPRANISTIN MIRIAM ALBANO,
STUDENTIN VON CLAUDIA
VISCA, PRÄSENTIERT.
8
05. DER AUSZUG DER FESTGÄSTE ERFOLGTE NACH EINEM
BESCHWINGTEN AUFTRITT DES
AUS DER MDW HERVORGEGANGENEN BLÄSERENSEMBLES
„FEDERSPIEL“ UND MIT DER
SOUTH RAMPERT STREET
PARADE VON BOB HAGGART.
06. „AN DER MDW WIRD
GROSSER WERT AUF DEN
DIREKTEN KONTAKT ZWISCHEN
LEHRENDEN UND STUDIERENDEN GELEGT. DER PERSÖNLICHE AUSTAUSCH, GEMEINSAME
GESPRÄCHE UND DISKUSSIONEN
BEREICHERN SOWOHL DEN
KÜNSTLERISCHEN ALS AUCH
DEN WISSENSCHAFTLICHEN
UNTERRICHT.“ REKTORIN
ULRIKE SYCH
© Stephan Polzer
R E P O R T
bildungsstätten geschärft und entwickelt werden. „Das
neue Rektorat weckt in mir die sehr, sehr große Hoffnung, dass Visionen und Luftschlösser auch in Wien
realisiert werden könnten, und damit hätte die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien weltweit
die Nase vorne!“
EMOTION UND PRÄZISION
Passend zu den Worten HK Grubers interpretierte die
Sopranistin Iva Martincevic das zeitgenössische Werk
Sehnen, das Dominik Rodak für Rektorin Ulrike Sych
komponiert hat. „Das Stück ist auf die Persönlichkeit
Ulrike Sychs zugeschnitten, da diese meines Erachtens
eine Mischung aus Emotion und Präzision darstellt“, erklärt der Komponist. „Das Werk ist eine Art Porträt von
Ulrike Sych: Extreme, Emotionalität, Durchbrechung,
Inanspruchnahme eines breiten Spielraumes, aber auch
Stabilität und Kontrolle.“
EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT
Nach dem Höhepunkt der Feierlichkeiten – der Übergabe der Amtskette an Rektorin Ulrike Sych – betonte
diese in ihrer Festrede, dass sich die Anforderungskriterien für eine künstlerische Laufbahn weltweit in den
letzten Jahren rapide verändert haben: „Künstlerische
Fertigkeiten, hohe Begabung und technische Perfektion
sind schon lange nicht mehr genug. Dazu gepaart haben
sich Selbstmanagement, Marketing, Networking, Performance, Creating New Audiences, Musikvermittlung
und digitales Wissen. Ein wissenschaftliches Grundverständnis sowie die künstlerische und wissenschaftliche
Forschung sind in der Ausbildung von Künstlerinnen
und Künstlern nicht mehr wegzudenken. Dies erfordert
ständiges Evaluieren, Hinterfragen und Adaptieren von
Curricula.“ Dazu sieht es die Rektorin als ihre große
Verantwortung, darauf zu achten, die Wiener Tradition
zu bewahren und diese innovativ so zu erweitern, dass
die Studierenden bestausgebildet, selbstsicher und dem
internationalen Wettbewerb gewachsen sind, und ihnen
darüber hinaus eine erfolgreiche Zukunft als Künstlerinnen und Künstler ermöglicht wird.
DAS GIOCOSO QUARTETT PRÄSENTIERTE DEN ERSTEN SATZ DES
SCHUMANN-KLAVIERQUINTETTS ES-DUR, OP.44. © Stephan Polzer
THE INAUGURATION OF RECTOR
ULRIKE SYCH AT THE MDW
On 9 November, the Joseph Haydn-Saal of the mdw
– University of Music and Performing Arts Vienna
played host to the inauguration of Rector Ulrike Sych
and her team, comprised of Vice Rectors Christian
Meyer, Barbara Gisler-Haase, Gerda Müller, and
Johann Bergmann.
Esteem for the mdw
This festive inauguration ceremony opened to the powerful
strains of the Danubiafanfare by Leonhard Paul. The new
rectorate team plus the rectors of 14 Austrian and foreign
universities, as well as members of the University Board and
Senate, former rectors Gottfried Scholz and Erwin Ortner,
and university and student representatives made their formal
entrance. They were greeted by University Board Chairwoman
Haide Tenner, who acknowledged the large turnout of guests
as “a show of esteem for the mdw”.
Art as a Connection between
the Inner and the Outer
The words of greeting on behalf of Universities Austria
(Uniko) by its vice president, University of Applied Arts
Vienna Rector Gerald Bast, were fitting indeed: “Art and
research are not, as is occasionally claimed, detached or
estranged from reality, but rather far closer to what holds our
world together and far more important than some of what is
typically labelled ‘systematically relevant’. Art has been and
continues to be systematically relevant to human society, and
not unimportantly so. But art frequently goes unrecognised
because we lack the desire and the ability to invest the time
necessary to consciously listen and look, to think ahead and
reflect on that which lies behind, as well as to muster up
the strength necessary to contradict.” Bast views art as the
union of the inner and the outer, of the artist with the society
surrounding him or her. To learn to observe oneself and one’s
environment, to work critically on one’s own inner being and
skills, and to have an effect on that which lies outside are what
Bast considers the mission of universities.
Becoming Complete at the mdw
Next, mdw graduate Stefanie Reinsperger, freshly crowned
Nestroy Award winner and Actress of the Year (Theater heute),
spoke about her training at the Max Reinhardt Seminar and
her fellow students. “I was and still remain extremely grateful
and happy to have experienced my ‘four years of becoming
a complete person’ with these 13 individuals from her
graduating class.” Based on Stanislavsky’s “ethics
„mdw des 21. Jahrhunderts bedeutet
für mich im Spannungsfeld Kunst,
Wissenschaft und
Pädagogik auch,
wissenschaftlichkünstlerische Studien zu kreieren und
zu designen, dadurch neue Impulse
und Profilbildung
auch im Sinne der
Artistic Research
zu setzen und uns
bestmöglich im
internationalen
Wissenschaftsfeld
zu positionieren.“
REKTORIN ULRIKE SYCH
“To me, and viewed from the
confluence of art, research,
and education, shaping the
mdw of the 21st century
includes creating and designing courses of study that
combine art and research, thus
giving rise to new impulses
and facets of our institution’s
profile in terms of artistic
research and in turn laying
the best possible foundation
upon which to position it inthe
research field internationally.”
Die Zitate wurden von
der Redaktion gegendert.
9
R E P O R T
A Look into the Future
Following the ceremony’s climax—at which Rector Ulrike
Sych formally accepted the rector’s chain of office—Sych
emphasised in her own address how, all over the world,
recent years have seen the prerequisites for an artistic
career go through rapid change: “Artistic skills, a great deal
of talent, and technical perfection have long since ceased
to be enough. These now need to be combined with selfmanagement, marketing, networking, performing, creating new
audiences, music appreciation efforts, and digital knowledge.
Furthermore, conveying a fundamental scholarly understanding
as well as aspects of artistic and academic research have
now become essential components of artists’ training. All this
makes it necessary for curricula to be constantly evaluated,
questioned, and adapted.” Finally, the new rector views it as a
central responsibility of hers to ensure that Viennese tradition
is upheld and expanded upon in an innovative way such that
students will receive the best possible training and be able to
hold their own in international competition, thus being afforded
the opportunity to enjoy successful futures as artists.
01.
02.
01. ZAHLREICHE EHRENGÄSTE,
DARUNTER DIPLOMATISCHE,
KIRCHLICHE UND POLITISCHE
VERTRETERINNEN, WIE NATIONALRATSABGEORDNETE
BRIGITTE JANK, VERTRETERINNEN DES WISSENSCHAFTSMINISTERIUMSSOWIE REKTORINNEN UND VIZEREKTORINNEN
VON 14 IN- UND AUSLÄNDISCHEN UNIVERSITÄTEN UND
VERTRETERINNEN SÄMTLICHER
KUNSTUNIVERSITÄTEN ÖSTERREICHS, ERSCHIENEN ZUR
FEIERLICHEN INAUGURATION
DES NEUEN REKTORATES.
02. LEHRENDER NICHOLAS
OFCZAREK APPLAUDIERTE DER
GELUNGENEN DARBIETUNG
DER STUDIERENDEN DES MAX
REINHARDT SEMINARS.
© Stephan Polzer
and discipline”, Reinsperger took with her from her training
the awe at “just how much all of us, as thespians, bear
responsibility for an entire evening, for the theatre where we’re
performing, for our partners, for the authors, for ourselves,
and for our characters.”
The Essentiality of
Contemporary Artistic Output
Composer Heinz Karl Gruber, himself an mdw alumnus,
spoke in his address about the essentiality of contemporary
artistic output and the significance of collaboration between
composers and performers. “When we go out in the world
and see the posters in front of concert halls, all announcing
Tielemann’s 5th or Muti’s 9th, we really do need to remind
ourselves of how all the soups on which these star violinists,
star tenors, star pianists, star cellists and conductors,
artistic directors and festival heads feed were cooked up
by composers over the past few centuries. And of how it is
today’s living composers who guarantee that this business
won’t someday come to a standstill, with its feed exhausted.”
Precisely this awareness and the project for the future that
it entails, said Gruber, need to be brought into focus and
developed at institutions of music education. “The new
rectorate has me very, very hopeful that visions and castles in
the sky can be realised in Vienna, as well, with the University of
Music and Performing Arts Vienna coming to lead the world!”
Emotion and Precision
Very much in keeping with HK Gruber’s words, soprano Iva
Martincevic then performed the contemporary work Sehnen
[Longing], composed by Dominik Rodak for Rector Ulrike
Sych. “This piece is modelled on Ulrike Sych’s personality,
which I conceive of as a mixture of emotion and precision,”
explained the composer. “So this work is a kind of portrait—
with extreme emotionality, breakthroughs, and the need for a
great deal of latitude in which to unfold, but also characterised
by stability and control.”
10
„Die mdw ist beispielgebend dafür, dass
Menschen verschiedenster Nationen
und Kulturen in Frieden und wertschätzender Kommunikation miteinander
wirken. Künstlerinnen und Künstler,
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
übernehmen immer mehr die Rolle der
Friedensbotschafterinnen und Friedensbotschafter. Meine Aufgabe als Rektorin
ist es, Bewusstseinsprozesse für Themen
wie Antidiskriminierung, Gender and
Diversity in Gang zu setzen und weiter
zu verfolgen, strukturelle Maßnahmen
zu entwickeln und umzusetzen.“
REKTORIN ULRIKE SYCH
“The mdw is a prime example of how people from the most diverse
countries and cultures can work together in peaceful manner
and communicate in an atmosphere of mutual esteem. Artists and
researchers are increasingly assuming the role of ambassadors for
peace. And my mission as rector is to initiate and provide continuing support to consciousness-raising processes related to themes
such as anti-discrimination, gender, and diversity, as well
as to develop and implement structural measures.”
R E P O R T
„Der Austausch zwischen
KomponistInnen und
Ausführenden muss auf
Augenhöhe und mit Respekt
stattfinden – sie müssen
sich ‚begegnen lernen‘.“
HEINZ KARL GRUBER
“The exchange between composers and
performers has to take place on an equal
footing and with respect—the two sides need
to ‘learn how to encounter each other’.”
© Stephan Polzer
11
N E W C O M E R
Neue
ProfessorInnen
an der mdw
MIRJAM SCHRÖDER
CHRISTOPH KHITTL
HARFE
MUSIKPÄDAGOGIK
M
TEXT:
SUSANNE
GRADL
irjam Schröder ist mit Oktober 2015
neu berufene Professorin für Harfe am
Institut für Streich- und andere Saiteninstrumente (Podium / Konzert) an
der mdw. Ihren ersten Unterricht erhielt
sie bei Renie Yamahata in Stuttgart und studierte anschließend am Koninklijk Conservatorium Brussel bei Susanne
Mildonian. Anschließend setzte sie ihr Studium an der
Hochschule für Musik Detmold bei Catherine Michel und
Godelieve Schrama fort. Ihr Konzertdebüt gab sie bereits im
Alter von 15 Jahren mit Mozarts Doppelkonzert für Harfe
und Flöte. Seitdem konzertiert sie in ganz Europa als Solistin,
Kammermusikerin und in Ensembles für Neue Musik, wie
dem Ensemble musikFabrik Köln.
Ihre rege Konzerttätigkeit wird komplettiert durch zahlreiche Rundfunk- und CD-Einspielungen. Für ihr Harfenspiel wurde sie bei zahlreichen Wettbewerben ausgezeichnet, u.a. beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD
und dem Concorsi Arpista Ludovico Madrid. Mirjam
Schröders neueste Solo-CD bei Musicaphon erschien im
Oktober 2014 unter dem Titel Don Quijote träumt… und
enthält Werke für Solo-Harfe von u. a. von Fauré, Tournier,
Poenitz und Guridi.
Mirjam Schröder has been the newly appointed harp
professor at the mdw’s String Department (Performance) since
October 2015. She received her initial instruction from Renie
Yamahata in Stuttgart and went on to study with Susanne
Mildonian at the Royal Conservatory of Brussels. Thereafter, she
continued her studies at the Hochschule für Musik
Detmold with Catherine Michel and Godelieve Schrama. She gave
her concert debut at the early age of 15 with Mozart’s
Concerto for Flute, Harp and Orchestra. And since then, she has
given concerts all over Europe as a soloist, as a chamber musician, and with contemporary music formations including Cologne’s
Ensemble musikFabrik.
Frequent concerts are joined by numerous broadcast and CD
recordings. She has been recognised for her playing at numerous
competitions, including the ARD International Music Competition
and Concorsi Arpista Ludovico in Madrid. Mirjam Schröder’s
newest solo CD, released by Musicaphon in October 2014, is entitled Don Quijote träumt / Don Quijote dreams… and contains solo
works for harp by Fauré, Tournier, Poenitz, Guridi, and others.
12
C
hristoph Khittl ist mit November 2015
neu berufener Professor für Musikpädagogik am Institut für Musikpädagogik an
der mdw. Nach seinem Studium der Musikwissenschaft, Musikpädagogik, Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Wien folgten
sieben Jahre als Gymnasiallehrer sowie eine Tätigkeit als
Hochschulassistent am Mozarteum Salzburg. Von 1998
bis 2015 war Christoph Khittl Professor für „Musik und
ihre Didaktik“ an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, zwischen 2002 bis 2009 Prorektor der Hochschule und ab 2013 Leiter des Instituts für Kunst, Musik
und Medien. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Musikanthropologie, Musikphänomenologie,
der musikalischen Produktions- und Rezeptionsdidaktik, der Musiktheater- und Musikvermittlung sowie der
kulturellen Bildung. Dazu kommen kontinuierliche Publikations-, Herausgeber- und Lehrtätigkeiten sowie Erfahrungen in unterrichtlichen Kontexten in sämtlichen
Schultypen und Bildungseinrichtungen.
Christoph Khittl is the newly appointed
music education professor at the mdw’s
Department of Music Education as of
November 2015. Following studies in
musicology, music education, philosophy, psychology, and general pedagogy in Vienna, Khittl spent seven years
teaching at academic secondary schools
while also working as an assistant at the
Mozarteum in Salzburg. From 1998
to 2015, he held a professorship in
“music and its didactics” at the Heidelberg University of Education, where
he was also vice rector from 2002
to 2009 and assumed leadership of the
Institute of Art, Music, and Media beginning in
2013. The emphases of his work lie in music anthropology, the
didactics of music production and reception, music theatre,
music appreciation, and cultural education. These are joined
by constant publishing, editing, and teaching work as well as
by experiences in instructional contexts at all types of schools
and other educational institutions.
N E W C O M E R
FLORIAN BOESCH
F
CHRISTOPH PEHAM
C
HORN
hristoph Peham ist mit Oktober 2015 neu
berufener Professor für Horn am Leonard
Bernstein Institut für Blas- und Schlaginstrumente an der mdw. Er absolvierte sein
Horn Studium an der mdw – Universität
für Musik und darstellende Kunst Wien bei Roland Berger
mit Auszeichnung. Anschließend folgten Saisonverträge
beim Bühnenorchester der Wiener Staatsoper sowie Auftritte mit den Wiener Philharmonikern, den Wiener Symphonikern, dem Wiener Kammerorchester sowie dem
Concentus Musicus. Kammermusikkonzerte mit den Wiener Virtuosen sowie mit diversen Ensembleformationen
des Tonkünstlerorchesters im Rahmen des Internationalen
Musikfestivals Grafenegg. Zahlreiche Konzertreisen in die
europäischen Musikmetropolen sowie in die USA, Australien und Asien ergänzen seine musikalische Laufbahn.
2008 bis 2012 als Assistent der Hornklasse bei Thomas
Jöbstl an der mdw tätig, folgten 2012 bis 2015 Lehraufträge an der Konservatorium Wien Privatuniversität sowie der A. Bruckner Privatuniversität Linz. Seit 2007 ist
Christoph Peham 1. Hornist des Tonkünstlerorchesters
Niederösterreich.
In October 2015, Christoph Peham became the new horn professor at the mdw’s Leonard Bernstein Department of Wind and
Percussion Instruments. Peham graduated with honours from
his horn studies under Roland Berger at the mdw – University of
Music and Performing Arts Vienna. Thereafter, he held season
contracts with the Stage Orchestra of the Vienna State Opera
and also performed with the Vienna Philharmonic, the Vienna
Symphony, the Vienna Chamber Orchestra, and Concentus
Musicus Wien. Further more, he participated in chamber music
concerts with the Vienna Virtuosi as well as with various ensembles comprised of Lower Austrian Tonkünstler Orchestra members
at the Grafenegg Festival. Numerous concert tours to the great
musical cities of Europe as well as to the US,Australia, and
Asia round out his musical career.
From 2008 to 2012, Christoph Peham was an assistant for the
horn class of Thomas Jöbstl at the mdw, after which he held
teaching contracts at the Konservatorium Wien University as
well as the Anton Bruckner Private University in Linz from 2012
to 2015. Christoph Peham has been first hornist of the Lower
Austrian Tonkünstler Orchestra since 2007.
LIED UND ORATORIUM
lorian Boesch ist mit Oktober 2015 neu berufener Professor für Lied und Oratorium
am Institut für Gesang und Musiktheater an
der mdw. Seinen ersten Gesangsunterricht
erhielt er bei Ruthilde Boesch. Während des
Studiums an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien besuchte er die Klasse Lied und
Oratorium bei Robert Holl. Florian Boesch zählt zu den
großen Liedinterpreten mit Auftritten im Wiener Musikverein und dem Konzerthaus, der Carnegie Hall New
York, der London Wigmore Hall, der BBC uvm. und war
bei zahlreichen Festivals u. a. in England, Dänemark und
in den USA zu Gast. Jüngste Konzertprojekte umfassen
u. a. Die glückliche Hand von Arnold Schönberg unter
Simon Rattle in Berlin und Das Buch mit Sieben Siegeln
von Franz Schmidt unter Manfred Honeck im Wiener
Musikverein. Für die Saison 2014/15 war Boesch von
der Wigmore Hall als artist in residence eingeladen.
Florian Boesch arbeitet regelmäßig mit Nikolaus Harnoncourt, Simon Rattle, Franz Welser-Möst, Gustavo
Dudamel uvm. Für seine Einspielung von Liedern und
Balladen von Carl Loewe (hyperion) wurde ihm der
renommierte Musikpreis Edison Klassiek Award 2012
verliehen und Die schöne Müllerin (onyx classics) war für
den Grammy 2015 in der Kategorie Best Classical Vocal
Solo nominiert.
Since October 2015, Florian Boesch has been the newly appointed art song and oratorio professor at the mdw’s Department of Voice and Music Theatre. Ruthilde Boesch provided
him with his first vocal instruction, and during his subsequent
studies at the mdw – University of Music and Performing Arts
Vienna, he was himself a member of the art song and oratorio
class under Robert Holl. Florian Boesch numbers among
today’s great Lied recitalists and has appeared at Vienna’s
Musikverein and Konzerthaus, at Carnegie Hall in New York,
at Wigmore Hall in London, on the BBC, and in many other
prominent contexts, and has also been a guest of numerous
festivals in England, Denmark and the USA. His most recent
concert projects have included Arnold Schönberg’s Die glückliche Hand under Simon Rattle in Berlin and Franz Schmidt’s
Das Buch mit Sieben Siegeln under Manfred Honeck at the
Vienna Musikverein. Boesch spent the 2014/15 season as an
artist in residence at Wigmore Hall. He works together regularly
with Nikolaus Harnoncourt, Simon Rattle, Franz Welser-Möst,
Gustavo Dudamel, and many others. He received the renowned
Edison Klassiek Award 2012 for his recording of art songs and
ballads by Carl Loewe (Hyperion), and his interpretation of Die
Schöne Müllerin (ONYX Classics) received a 2015 Grammy
nomination in the Best Classical Vocal Solo category.
13
DIE
SWAROWSKY
IDEE
Hans Swarowsky legte einst mit seiner
„Dirigier-Schule“ den Grundstein zur
Ausbildung zahlreicher herausragender
Dirigentinnen und Dirigenten.
Claudio Abbado, Mariss Jansons und Zubin
Mehta sind nur drei berühmte Namen aus
einer lange Liste an SchülerInnen. Auch heute
hat seine Idee nicht an Bedeutung verloren und
ist nach wie vor maßgebend für kommende
Generationen junger KünstlerInnen.
THE “SWAROWSKY IDEA”
Hans Swarowsky’s seminal work as a teacher laid the cornerstone for the training of numerous men and
women who would go on to become outstanding conductors. Claudio Abbado, Mariss Jansons, and Zubin
Mehta are just three of the famous names from his long list of students. Today, his ideals continue to
represent a significant guidepost and a gold standard for new generations of young artists.
14 Die Swarowsky-Idee
The “Swarowsky Idea”
16 Die Wahrung der Gestalt
Keeping Shape
22 Zwischen Demut und Dominanz –
Johannes Wildner im Interview
Between Humility and Dominance –
Interview with Johannes Wildner
28 Forschungsprojekt Hans Swarowsky
Research Project: Hans Swarowsky
HANS SWAROWSKY BEIM CARINTHISCHEN SOMMER 1972
© Nachlass Hans Swaro wsky
Die Wahrung
der Gestalt
Hans Swarowsky war Dirigent, Pädagoge, Pianist, Übersetzer
und Autor – vor allem aber war er eine beeindruckende
Persönlichkeit. Ein Porträt zum 40. Todestag.
TEXT: MANFRED HUSS
16
S P E C I A L
R
ückblickend betrachtet, überrascht
es nicht, dass Hans Swarowsky auch
vierzig Jahre nach seinem Tode (10.
September 1975) immer noch ein
Begriff ist: Vielseitigkeit und universelles Wissen prägten seine Persönlichkeit, deren Charisma jeden
beeindruckte, selbst wenn man Opfer seines Wortwitzes wurde. Von seinen Tätigkeiten sollte – nach seinem
eigenem Selbstverständnis – der Dirigent an erster Stelle
stehen, als der er schnell Karriere machte, die ihn, 1924
beginnend an der Wiener Volksoper, bereits 1935 an die
Spitze der Berliner Staatsoper führte. Vom NS-Regime
boykottiert, fand er von 1937 bis 1940 Zuflucht an der
Zürcher Oper: damals reichte sein Repertoire bereits von
Gluck bis Strawinsky inklusive der großen Werke von
Mozart, Verdi, Wagner (u.a. Die Götterdämmerung) und
Richard Strauss. Insgesamt hatte er damals mehr als hundert Opern dirigiert und dutzende Premieren einstudiert
(u.a. Die Frau ohne Schatten, Salome).
DER ÜBERSETZER
Durch die politischen Verhältnisse wurde eine Unterbrechung seiner Karriere bis zum Kriegsende erzwungen. Allerdings entwickelte Swarowsky in der selbst gewählten „inneren Emigration“ (Swarowsky kehrte 1941
nolens volens nach Deutschland zurück) ein weiteres
Betätigungsfeld: als Übersetzer vor allem italienischer
Opernlibretti ins Deutsche, von denen rund dreißig bis
heute bei Ricordi und Bärenreiter verlegt sind. „Ich kenne keinen Nicht-Italiener, der besser Italienisch spricht
als Hans Swarowsky“, sagte Giuseppe Sinopoli, der Anfang der 1970er Jahre bei ihm studierte. Otto Edelmann
meinte über Falstaff, dass Swarowskys Übersetzung „fast
besser sangbar sei als das Original“. In Zürich verfasste
Swarowsky auch Teile des Librettos für Richard Strauss’
Capriccio: dort entdeckte er in einem Antiquariat die
Sonette des französischen Lyrikers Pierre de Ronsard,
übertrug sie für Strauss ins Deutsche – und so entstand
das werktragende Sonett aus Capriccio.
DIE FREUNDE
Seine Bekanntschaft, ja in vielen Fällen die Freundschaft,
mit bedeutenden Persönlichkeiten war für Swarowsky
auch eine wichtige Quelle seines so sehr auf Authentizität gerichteten Musikverständnisses: gemeinsam mit
Krauss und Böhm war er wohl der mit Richard Strauss
am besten vertraute Dirigent, aber bereits früher lernte
er Schönberg, Webern und Bartók kennen, auch Pfitzner,
dem er im Januar 1945 vielleicht sogar das Leben rettete. In der Zürcher Zeit begegnete er erstmals Hindemith
und Strawinsky, nach dem Krieg waren es vor allem
Einem, Britten und Bernstein, aber auch Otto Erich
Deutsch und H. C. Robbins Landon, mit dem bereits um
1950 ein intensiver Gedankenaustausch über historische
Aufführungspraxis einsetzte. Die zahlreichen Erkenntnisse der Neuen Mozart Ausgabe waren für Swarowsky
so wichtig, dass er einer ihrer ersten Subskribenten wurde, gleiches gilt für die erste kritische Ausgabe sämtlicher
Haydn-Sinfonien durch Landon.
DER PIANIST
Bereits in jungen Jahren war Swarowsky ein blendender
Pianist, ausgebildet bei Rosenthal, Sauer, Steuermann
und Busoni, nach dem Ersten Weltkrieg spielte auf Diaghilews Tourneen Klavier und begleitete u.a. Jan Kiepura
im Konzert. All das authentische Wissen und die aus
diesen Bekanntschaften resultierenden Eindrücke gab
Swarowsky stets an seine Studierenden weiter.
DER PÄDAGOGE
Damit kommen wir zu Swarowsky, dem Pädagogen:
niemals an Formalitäten wie Prüfungen, Benotungen,
Diplomen oder Anwesenheit, sondern lediglich an Talent und Können interessiert, unterrichte er von 1946
bis 1975 an der damaligen Musikakademie – heute mdw
– Universität für Musik und darstellende Kunst Wien –
und baute einen systematischen Dirigentenunterricht
auf. Parallel dazu leitete er seit den 1950er-Jahren fast jedes Jahr mehrwöchige Sommerkurse, u.a. in Bad Aussee,
Nizza, Ossiach, Wien, aber auch in den USA, Südamerika und während der Weltausstellung 1958 in Brüssel.
Swarowsky unterrichtete in der ganzen Welt und seine
Studierenden kamen aus der ganzen Welt zu ihm: während einer Diplomprüfung sagte er: „Jetzt kommt mein
bester Ägypter!“ – Frage aus der Prüfungskommission:
„Ja, wie viele Ägypter haben Sie denn, Herr Kollege?“
– Antwort: „No dieser Eine!“. In Wien verlegte er gelegentlich Vorlesungen ins „Kunsthistorische“, wohin er
die Studierenden mit der selbstironischen Begründung
führte: „von Kunstgeschichte verstehe ich mehr als von
Musik“. Aus der Bildenden Kunst leitete er für die Musik
ein neuartiges Stilbewusstsein ab, indem er die Elemente
formaler Gestaltung in der Musik mit jenen in der Malerei verglich. Diese und die analytische Betrachtung, ja
Aufgliederung ins kleinste Detail von Musikwerken, wie
er sie bei Schönberg und vor allem Webern kennengelernt hatte, bildeten die Basis für Swarowskys Methode
eines sachlich nur in der Musik begründeten und umfassenden Werkverständnisses.
„Hans Swarowsky
war niemals an
Formalitäten wie
Prüfungen, Benotungen, Diplomen
oder Anwesenheit,
sondern lediglich an
Talent und Können
interessiert.“
MANFRED HUSS
“Hans Swarowsky was
never interested in
formalities like exams,
marks, diplomas, or
attendance, only in talent
and ability.”
Über 600 Studierende kamen in diesen dreißig Jahren
nach Wien und zu den Swarowsky-Kursen. Zahlreiche
davon sind heute noch aktiv und vielfach in Chefpositionen tätig, viele der Namen sind so bekannt, dass sie
nicht eigens erwähnt werden müssen, und sie sind keinesfalls auf Abbado und Mehta zu beschränken: auch
Martha Argerich saß Notizen machend in den Vorle17
S P E C I A L
sungen (ohne Inskription), Domingo erlernte das Dirigieren privat und trotz des Eisernen Vorhangs gelang es
zuletzt jedes Jahr ein bis zwei sowjetische Studierende
nach Wien zu bringen, darunter Jansons und Kitaenko.
Unter den Professoren der Dirigierabteilung schätzte
Swarowsky vor allem: Franz Eibner (Schenker-Seminar), Josef Mertin (Alte Musik) und Erwin Ratz (Formanalyse und Herausgeber der Mahler-Gesamtausgabe),
mit Letzerem war er auch persönlich aus der Endzeit
des NS-Terrors verbunden.
WIRKEN IM KONZERT
Swarowsky überlebte die Verfolgung durch das NSRegime nur knapp und die Alliierten attestierten ihm
umgehend eine „weiße Weste“, sodass er zu den ersten
österreichischen Dirigenten zählte, die 1945 sofort wieder auftreten konnten. Die erzwungene Unterbrechung
und damit verbundene nachhaltige Beschädigung seiner
Karriere konnte Swarowsky jedoch – wie so viele andere – nie mehr ganz überwinden. Nach 1945 verlagerte
sich der Schwerpunkt seines Dirigierens von der Oper
ins Konzert und dies trotz vieler Gastdirigate an bedeutenden Opernhäusern oder seinem dauerhaften Engagement an der Wiener Staatsoper durch Karajan, wo er
auch das Studio für junge SängerInnen leitete, aus dem
u.a. Edita Gruberová hervorging. Swarowskys Wirken im
Konzert scheint im Rückblick indes eigentlich noch interessanter zu sein. Bereits in den frühen 50er-Jahren ging
er daran, Barockmusik zu dirigieren, darunter Schütz,
Telemann, Bach, Händel, Pergolesi. Höhepunkt dieser
Auseinandersetzung ist seine Schallplattenaufnahme
von Bachs Matthäuspassion, die er erstmals mit einem
klein besetzten Orchester und Chor sowie mit ersten Ansätzen einer „historisch“ informierten Aufführungspraxis
realisierte (das Orgelpositiv wurde z.B. eigens dafür von
Josef Mertin betreut). Insgesamt spielte Swarowsky rund
300 Werke für Schallplatte ein (u.a. Wagners Ring), wovon heute leider nur das Wenigste erhältlich ist – nicht
zuletzt auch deshalb, weil er selbst diesem Medium
skeptisch bis desinteressiert gegenüberstand und dessen
Tragweite offenbar nicht richtig einschätzte.
SEIN REPERTOIRE
Swarowskys Repertoire war von folgenden Säulen getragen: Wiener Klassik samt Brahms und Schubert (u.a. die
erste komplette Aufnahme einer Haydn- Opern: Orfeo
ed Euridice, 1951); die Klassiker des 20. Jahrhunderts:
kaum ein anderer Dirigent seiner Generation hatte so
viele Werke Schönbergs dirigiert (u.a. Moses und Aron)
oder so viele Uraufführungen (z.B. Strawinsky).
Seine besondere Zuwendung galt Mahler, durch den
Swarowsky mehrfach von Kindheit an geprägt wurde
(u.a. 1910 sein Erlebnis als Chorknabe bei der Urauffüh18
rung der VIII. Sinfonie): schon unmittelbar nach Kriegsende dirigierte er Das Lied von der Erde (vor Kriegsende
war es im Jänner 1945 die IX. von Beethoven, die er trotz
NS-Verbots in Krakau für polnisches Publikum zugänglich machte). In Wien 1957 leitete er nach rund 25 Jahren
(!) die erste Wiederaufführung von Mahlers III. Sinfonie,
die damals so gut wie unbekannt war, was toute Vienne
anlockte, Karajan und alle anderen Wiener Respektabilitäten waren in den Musikvereins-Logen zu sehen. Dieser
„Mahler-Renaissance“ fühlte sich Swarowsky bis zu seinem Tode verpflichtet, er dirigierte fast sämtliche Werke
Mahlers mehrfach mit den Wiener Symphonikern, zuletzt die Neunte im März 1975. Swarowskys allerletztes
Konzert fand im Juni 1975 im Teatro Colon in Buenos
Aires statt, danach leitete er in Wien, bereits von Krankheit gezeichnet, seinen letzten Dirigierkurs.
DER AUTOR
Hans Swarowsky war als leidenschaftlicher Fotograf in
der Zwischenkriegszeit auch Präsident des deutschen
Leica-Vereins und bis zuletzt Sammler einer immensen
Bibliothek von Erstausgaben, die weithin bekannt war.
Man könnte ihn durchaus auch als Schriftsteller sehen,
der sich brillant auszudrücken wusste, der tausende Briefe sowie eine große Zahl an Aufsätzen und Entwürfen
über die Musik und das Dirigieren hinterließ, aus denen
posthum das Buch Wahrung der Gestalt, sein künstlerisches Vermächtnis, von mir redigiert werden konnte
2016 wird dieses Werk in einer revidierten Ausgabe in
englischer Sprache erscheinen. In diesen Schriften begegnen wir einem stets kritischen, unangepassten, in
Grundsatzfragen der Musik sehr streitbaren und kompromisslosen, aber auch ebenso witzigen wie umfassend gebildeten Autor, dessen Polemik und Apodiktik
jener seines Lehrers Schönberg und seines Vorbilds Karl
Kraus um nichts nachstehen.
KEEPING SHAPE
Hans Swarowsky was a conductor, a teacher,
a pianist, a translator, and an author. Above all,
however, he was an impressive personality.
A portrait upon the 40th anniversary of his death.
In hindsight, it’s not surprising that Hans Swarowsky is still well
known even forty years after his death on 10 September 1975:
his personality was marked by versatility and comprehensive
knowledge, as well as by a charisma that impressed even
those who fell victim to his verbal wit. Despite his many
widespread activities, he defined himself first and foremost as
a conductor—as which he had indeed launched a meteoric
career that, following an initial phase at the Vienna Volksoper
in 1924, had taken him to the top post at the Berlin State
Opera by 1935. Being subsequently boycotted by the National
Socialist regime, he took refuge at the Zurich Opera from
1937 to 1940: at the time, his repertoire already ranged from
Gluck to Stravinsky, including the great works of Mozart,
Verdi, Wagner (Die Götterdämmerung), and Richard Strauss;
S P E C I A L
HANS SWAROWSKY MIT
SEINEN SCHÜLERN ZUBIN
MEHTA UND CLAUDIO ABBADO
(1. UND 3. VON RECHTS)
© Nachlass Hans Swaro wsky
altogether, Swarowsky had conducted over one hundred
operas by that time, as well as dozens of world premières
(including Die Frau ohne Schatten and Salome).
he put into German for Strauss, who would later use them for
the love sonnet that is central to the opera’s plot.
The Translator
Swarowsky’s acquaintances—in many cases, friendships—
with important personalities were also important sources from
which he drew his understanding of music, which was so
strongly oriented toward authenticity: along with Krauss and
Böhm, he was probably one of those conductors who were
most familiar with Richard Strauss, and he had previously
gotten to know Schönberg, Webern, and Bartók, as well as
Pfitzner (whose life he may have well rescued in January 1945);
his Zurich period saw his first encounters with Hindemith
and Stravinsky, and following the war it was above all Einem,
Britten, and Bernstein, as well as Otto Erich Deutsch and H.
C. Robbins Landon; an intense exchange of thoughts between
Swarowsky and Landon on historically informed performance
began as early as 1950. The numerous revelations of the
The political situation more or less interrupted his career until
the end of the war. However, Swarowsky’s self-imposed “inner
emigration” in the wake of his forced return to Germany in
1941 saw him develop a further area of activity: as a translator,
above all of Italian opera libretti into German. Around thirty
such libretti are still available from Ricordi and Bärenreiter. “I
know of no non-Italian who speaks better Italian than Hans
Swarowsky,” says Giuseppe Sinopoli, who studied with him in
the early 1970s; and Otto Edelmann has said that Swarowsky’s
translation of Falstaff “is almost easier to sing than the original.”
In Zürich, Swarowsky also authored parts of the libretto for
Richard Strauss’s Capriccio: it was there that he had discovered
the sonnets by the French lyric poet Pierre de Ronsard. These
Friends
19
S P E C I A L
„Über 600 Studierende kamen in
diesen dreißig Jahren nach Wien
und zu den Swarowsky-Kursen.“
MANFRED HUSS
“During Swarowsky’s 30 years or teaching, over 600
students came to Vienna to attend his courses.”
VON 1946 BIS 1975 WAR HANS SWAROWSKY
AN DER DAMALIGEN MUSIKAKADEMIE –
HEUTE MDW – UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND
DARSTELLENDE KUNST WIEN – TÄTIG.
HIER BEIM SOMMERKURS IN OSSIACH 1972.
© Nachlass Hans Swaro wsky
New Mozart Edition were so important to Swarowsky that he
became one of its first subscribers, and the same went for
Landon’s critical edition of all the Haydn symphonies.
The Pianist
Even at a young age, Swarowsky had already become
a brilliant pianist under the tutelage of Rosenthal, Sauer,
Steuermann, and Busoni, and he played piano on Diaghilev’s
post-World War I ballet tours as well as accompanied
performances of figures including Jan Kiepura. Swarowsky
consistently passed on to his students all oft he authentic
knowledge and impressions gleaned from
these acquaintances.
20
The Teacher
This brings us to Swarowsky the teacher: never interested
in formalities like exams, marks, diplomas, or attendance,
but rather in talent and ability, Swarowsky taught from 1945
to 1975 at the Academy of Music (today’s mdw – University
of Music and Performing Arts Vienna), where he built up a
systematic programme of training for conductors. Parallel
to this, the 1950s saw him begin holding summer courses
almost every year in locations including Bad Aussee, Nice,
Ossiach, and Vienna, as well as in the USA, in South America,
and—during the 1958 World’s Fair—in Brussels. Swarowsky
taught all over the world, and his students came from all over
the world to study with him. Once, during an diploma exam,
S P E C I A L
he said: “And now comes my best Egyptian!” – Question from
the exam commission: “Oh, how many Egyptians do you
have, Professor?” – Answer: “Just this one!” In Vienna, he
would occasionally move his lectures to the Kunsthistorisches
Museum, to which he would direct students with the self-ironic
justification: “I know more about art history than I do about
music.” He derived his new stylistic consciousness for music
from the comparison of music’s formal structural elements
with those in painting. Those observations—plus his analytical
view and his method of breaking down of musical works into
their smallest details, a way of thinking he’d learned from
Schönberg and, above all, from Webern—formed the basis
for Swarowsky’s method of an objective, comprehensive, and
solely music-based understanding of musical works.
During Swarowsky’s 30 years of teaching, over 600 students
came to Vienna to attend his courses; many of them are still
active today, often in leading positions, and more than a
few of these names are so well known that they need not be
mentioned specifically, and this group is by no means limited
to Abbado and Mehta: Martha Argerich, too, sat in the lectures
and took notes (without actually being enrolled), Placido
Domingo took private conducting lessons, and despite the
Iron Curtain, one or two “Soviet” students each year would
also succeed in getting to Vienna, including Mariss Jansons
and Dmitri Kitayenko. Among the professors in the conducting
department, Swarowsky particularly admired Franz Eibner
(Schenker Seminar), Josef Mertin (early music), and Erwin Ratz
(formal analysis and editor of the Gustav Mahler Complete
Edition); he had known Ratz, incidentally, since the final days
of Nazi terror.
Concert Activities
Swarowsky, who had himself only barely survived persecution
by the Nazis, was quickly declared innocent of wrongdoing
by the Allies, making him one of those Austrian conductors
who were allowed to appear in public immediately following
the war’s conclusion in 1945. But like so many others, he
never succeeded in overcoming the forced interruption and
associated long-term damage to his career. After 1945, his
conducting activities shifted from the opera house to the
concert hall despite numerous guest appearances at important
opera houses and Karajan’s procurement for him of a constant
engagement at the Vienna State Opera, where he also led the
studio for young singers from which figures including Edita
Gruberová were to emerge. In hindsight, though, Swarowsky’s
concert activities would appear even more interesting. As
early as the 1950s, he managed to conduct performances of
music by baroque composers including Schütz, Telemann,
Bach, Händel, and Pergolesi. The apex of these explorations
was the first-ever LP recording of Bach’s St. Matthew Passion,
which he became the first to perform with a small orchestra
and choir along with initial attempts at a historically informed
approach (Josef Mertin, for example, took charge of the
positive organ). Altogether, Swarowsky recorded around 300
works on LP (including Wagner’s Ring), but only very few of
these recordings are available today. This comes not least due
to the fact that Swarowsky’s own attitude towards recording
(the importance of which he evidently hadn’t accurately
ascertained) was sceptical or even downright disinterested.
Repertoire
Swarowsky’s repertoire rested on the following pillars:
Viennese classicism up to Brahms and Schubert (including the
first complete recording of a Haydn opera, Orfeo ed Euridice,
in 1951), and the classics of the 20th century—few other
conductors of his generation conducted as many works by
Schönberg (including Moses and Aron) or so many premières
(like of works by Stravinsky).
He paid special attention to Mahler, who had left several
lasting impressions on him beginning in his childhood (when
he participated as a choirboy at the première of Mahler’s
8th Symphony in 1910). Immediately following the war, he
conducted Das Lied von der Erde (and before the war had
ended, it was a January 1945 performance of Beethoven’s
Symphony No. 9 in Krakow to which Poles were admitted
despite a Nazi ban). In Vienna, 1957 saw him conduct the first
performance in 25 (!) years of Mahler’s Symphony No. 3, a
piece that was as good as unknown at the time, which drew
all of Vienna—Karajan and a who's-who of other prominent
figures were to be seen in the boxes at the Musikverein.
Swarowsky remained devoted to this “Mahler Renaissance”
right up to his death: he conducted almost all of Mahler’s
works several times with the Vienna Symphony, the last such
occasion being with his Ninth Symphony in March 1975.
Swarowsky’s very last concert, however, took place in June
1975 at Teatro Colon in Buenos Aires, at which time—already
marked by illness—he was also leading his last conducting
course in Vienna.
The Author
A passionate photographer, Hans Swarowsky was also
president of the German Leica Association during the interwar
period, and by the end of his life he had collected an immense
library of first editions that was known far and wide. One could
also most certainly view him as an author who was capable
of expressing himself brilliantly in writing, and he left behind
thousands of letters as well as a large body of essays and
notes on music and conducting, from which—following his
death—I was able to compile and edit the book Wahrung
der Gestalt (Keeping Shape – a revised English edition will
be released in 2016). In these writings, we encounter a
consistently critical and iconoclastic author who is highly
combative and uncompromising in fundamental questions
of music but equally humorous and broadly educated, an
author whose polemic and apodictic statements need fear no
comparison with those of his teacher Schönberg and his role
model Karl Kraus.
21
S P E C I A L
Zwischen
Demut und
Dominanz
Johannes Wildner ist seit einem Jahr Professor für Dirigieren an der mdw.
Kunsträume traf ihn zum Gespräch über die Grundsätze der
DirigentInnenausbildung und die Bedeutung von Hans Swarowsky.
INTERVIEW:
SUSANNE
GRADL
H
err Wildner, Uroš Lajovic ist einer der letzten direkten Schüler
von Hans Swarowsky. Denken
Sie, dass mit seiner Emeritierung das Ende der SwarowskyÄra eingeläutet wurde?
Ich denke nicht, denn das Christentum ist auch nicht zu Ende gegangen, als der letzte
der zwölf Apostel gestorben ist. Es handelt sich vielmehr
um einen Generationsprozess. Lajovic hat noch selbst
bei Swarowsky studiert, das habe ich leider nicht mehr
geschafft. Ich habe ihn daher nicht mehr persönlich erlebt, aber der Geist seiner musikalischen Vorstellung ist
durch meine Lehrer an mich weitergegangen. Weiters ist
durchaus nicht gesagt, dass die zeitliche Entfernung die
Reinheit des Geistes abnehmen lässt. Es ist eher so, dass
man den Geist von Generation zu Generation aufgrund
einer pädagogischen und künstlerischen Notwendigkeit
in eine neue Position bringt. In dieser Aufbereitung liegt
eine starke Verantwortung.
Es ist so wie Gustav Mahler sagte: „Tradition ist nicht die
Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Genauso sehe ich das auch. Der Geist von Swarowskys
Lehre geht also von Generation zu Generation weiter
und jede dieser Generationen hat, wenn sie sich diesem
Geist verpflichtet fühlt, die Aufgabe ihn zu adaptieren,
weiterzuleben und ihn wiederum an die nächste Generation weiterzugeben.
Kann sich die DirigentInnenausbildung dann
entwickeln, wenn der Geist stets derselbe bleibt?
Natürlich entwickelt sich etwas, denn jede pädagogische
22
Generation muss die Inhalte reaktiv auf die entsprechende Schülergeneration adjustieren. Würde sich nichts entwickeln, hätten wir das Dictum missachtet, dass wir die
Genialität und Autarkie des individuellen Geistes jedes
Einzelnen berücksichtigen müssen.
Dazu hat sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis enorm geändert. Ich denke, dass Lehrende lange Zeit extrem durch
politische Tabuisierungen belastet worden sind und sie
daher keine Lust hatten, intensive Gespräche mit ihren
Schülern zu führen. Denn man kann nicht über Tschaikowsky sprechen, ohne die Politik von Zar Alexander II.
zu behandeln – oder über Strawinsky ohne die russische
Revolution. Ich denke, dass man vermieden hat, eine allzu große Nähe aufzubauen. Ich freue mich heute umso
mehr, wenn wir gerade das geschafft haben und über
Dinge sprechen, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind – wir beschäftigen uns mit derselben Materie.
Im Grunde geht es um das Weitergeben und durch unsere eigene Individualität entwickelt sich der Geist laufend.
Was macht den Geist von Swarowsky aus?
Ich beschreibe die Grundlagen von Swarowsky gerne
mit einem Drei-Säulen-Modell. Die erste Säule ist die
rein mechanische Organisation, also die sogenannte
„Technik des Dirigierens“; die zweite die psychische
Disposition des Dirigenten zur musikalischen Substanz
und die dritte, die psychische Beziehung des Dirigenten
zur Umwelt, die das Notenmaterial zu einem klingenden
Ereignis macht. Von diesen drei Säulen kann man eine
hundertprozentig lehren – die Technik. Die zweite Säule kann man sehr stark befördern, man muss sie fordern
und lebenslang an ihr arbeiten. Die dritte Säule ist abhän-
„Ein Dirigent ist nicht nur
dafür verantwortlich, dass
die Trompeten nicht zu
laut sind. Sondern dafür,
in welcher Weise das musikalische Angebot mit der
gesellschaftlichen Situation
der Menschen interagiert.“
“A conductor is not responsible for making
sure the trumpets aren’t too loud. What he is
responsible for is how the music being offered
interacts with the societal situation of the people
being addressed.”
„DER AUSSPRUCH: ‚DIRIGIEREN MUSS MAN NICHT
LERNEN‘ IST GENAUSO FALSCH, WIE DER SPR UCH
‚DIRIGIEREN KANN MAN NICHT LERNEN‘.“
© Lukas Beck
S P E C I A L
gig von der Gesamtpersönlichkeit, die können wir analysieren, aber kaum verändern.
„Ich glaube, dass
jeder Mensch ein
eigenes Bewegungsrepertoire hat, mit
dem er beim Dirigieren auskommen
muss. Daher kann
man auch keinen
Dirigenten imitieren. Man kann
jemanden kopieren,
aber die Wirkung
tritt nicht ein.“
“I believe that every human
being has his own repertoire
of movements, on which he
has to draw when conducting.
That’s why it’s not possible to
imitate another conductor. You
may be able to copy someone,
but one can’t copy the
effect they have.”
UNTERRICHT IM
ORCHESTERDIRIGIEREN
© Ewald Grabenbauer
24
Das heißt, man wird als Dirigent geboren?
Ja, zum Teil. Ein Beispiel: Das erste Mal als Gustavo Dudamel in Erscheinung getreten ist, war in Bamberg, er
war damals 18 Jahre alt. Man hat trotzdem sofort gesehen, dass er eine enorme Führungskompetenz und Gestaltungskraft hat, denn er möchte, dass etwas so wird,
wie es seiner Vision entspricht. Mir wurde unlängst in
einer Diskussion vorgehalten, seine Meinung vehement
zu vertreten, sei elitär und dominant. Das ist aber genau
das, was einen Dirigenten ausmacht. Wenn ich nicht
elitär und dominant bin, habe ich nicht einmal im Vorraum eines Orchesters etwas verloren. Ich muss etwas
anbieten, das elitär ist, denn sonst braucht es keiner und
ich muss etwas anbieten, das dominant ist, denn sonst
existiert es nicht.
Gibt es noch einen zweiten großen Maestro,
der eine ähnliche Auswirkung auf die DirigentInnenausbildung hatte wie Swarowsky?
Franco Ferrara in Italien vielleicht. Er hat in ähnlicher
Weise schulbildend gewirkt wie Swarowsky. Seine Botschaft war ähnlich: in der Kunst hat nur das eine Berechtigung, das von ganzem Herzen und mit totaler Identifikation passiert. Indifferente Beliebigkeit hat keine
Existenzberechtigung. Als weiteren Titanen in der Geschichte der Dirigierpädagogik kann man den Finnen
Jorma Panula nennen, der seinerseits selbst ein Schüler
von Ferrara war. In Italien gab es auch den russischstämmigen Vladimir Delman, bei dem ich in Parma studiert
habe. Von ihm habe ich jene bedingungs- und kompromisslose Wahrhaftigkeit lernen dürfen, wie sie etwa in
den Romanen von Jakob Wassermann beschrieben
wird. Schulbildend gewirkt hat auf jeden Fall auch Hideo Saito, der japanische Dirigent und Musikpädagoge.
Gibt es große Dirigenten,
die Swarowsky beeinflusst haben?
Swarowsky war als Student und junger Künstler in einer
Atmosphäre, die von mehreren Titanen geprägt war. Er
hat bei Schönberg und Webern studiert und hat dann
engste Verbindungen zu Richard Strauss und Clemens
Krauss gehabt. Das sind Prägungen und Einflüsse, denen sich niemand entziehen kann. Ich denke, dass das
perfekte Erfassen der Dirigiertechnik durch Swarowsky
schon das Erbe von Clemens Krauss war. Eine Frage,
die ich für mich gerne klären würde, ist, ob es eine Beziehung oder sogar eine wechselseitige Beeinflussung
zwischen Hans Swarowsky und dem um drei Jahre älteren Oswald Kabasta gegeben hat. Kabasta war Nationalsozialist, hat sich nach dem Krieg erschossen und wir
schweigen ihn heute tot. Das ist verständlich, aber vom
Standpunkt der Entwicklung unserer musikalischen
Tradition her ein Fehler. Sein prominentester und wohl
auch bedeutendster Schüler, Herbert von Karajan, hat
zeitlebens seinen Unterricht gelobt.
Das heißt, es können viele Einflüsse auf
die Swarowsky-Schule eingewirkt haben?
Ja, aber ich wehre mich dagegen, es eine Schule zu nennen. Eine Schule hat für mich immer etwas Eigenbrötlerisches, etwas Abgeschlossenes, mit einem verdunkelten Horizont, über den man nicht hinausschauen darf.
Also eine Swarowsky-Idee?
Genau! Das war die Stärke von Swarowsky. Er hat erklärt, wie bestimmte Dinge funktionieren, war aber
gegenüber anderem nie blind oder verschlossen. Eine
Schule könnte man vielleicht die Methode von Saito
nennen. Wenn man in Japan Dirigieren studiert, gibt es
eine gewisse Zeit, in der man nur die Muskeln trainiert.
Das ist etwas, was wir bedenken müssen. Wir erzeugen
sehr viel Unsicherheit, wenn wir es unterlassen, den
Körper zu trainieren. Swarowsky hat formuliert, wie
man den Körper einsetzen muss, d. h. wie man zum Beispiel das Handgelenk richtig führen muss. Ich finde allerdings, dass die japanische Schule nach dem Erlernen
des technischen Rüstzeuges bisweilen die Universalität
zu kurz kommen lässt, sodass in der Umsetzung von
musikalischen Ideen die Gefahr von Uniformität und
Monotonie auftreten kann.
Das heißt, die Technik soll nur so weit gehen,
dass sie nicht das Eigene einschränkt?
Ja, genau. Die Technik muss zu großer Perfektion getrieben werden, aber sie muss sich immer amalgamierend
mit der Körpersprache verbinden, damit man sich selbst
treu bleibt.
Swarowskys große Stärke war zu erklären, wie weit wir
in der Perfektion der Technik gehen können, ohne einander zu imitieren. Das ist auch mein Credo: ich muss
dem Schüler ermöglichen mit seinen Händen zu sprechen, aber ich darf nicht sagen, dass die Stimmen von
allen gleich klingen müssen. Die Hervorbringung der
Kunst muss in jeder Phase mit hundertprozentiger
Identifikation kombiniert werden.
S P E C I A L
ASPEN MUSIC FESTIVAL AND SCHOOL
© Ryan Cutler
Bei der zweiten Säule von Swarowsky haben wir sehr
großen Handlungsbedarf. Die totale spiritualistische
Durchdringung der Materie. Vereinfacht gesagt: Man
muss alles wissen.
Haben Sie deswegen Musikwissenschaft studiert?
Ja, auch deswegen. Man kann nie genug wissen! Was
Swarowsky unbedingt gefordert hat, war die Beschäftigung mit der Materie bis hin zum Atom. Ich spreche z.B.
drei Stunden lang über die Dritte Beethoven, freue mich
dann aber sehr, wenn die KollegInnen selber weiterforschen. Ich bin der Ansicht, dass man beispielsweise
keinen einzigen Ton von Beethoven dirigieren kann,
ohne alle Stadien der französischen Revolution intus
zu haben.
Das heißt, wir müssen alles wissen.
Geht sich das in einem einzigen Leben aus?
Ein Leben ist nie genug. (lacht) Es geht auch gar nicht
so sehr um das Wissen an sich, sondern um den Prozess, um das Streben nach Wissen. Nur dieses Streben
schafft die notwendige Demut. Diesem Grundsatz von
Swarowsky müssen wir für immer verpflichtet bleiben.
Ein Dirigent oszilliert ständig zwischen der Bereitschaft,
sich selbst permanent in Frage zu stellen und der Selbstsicherheit, in jedem Moment der richtige Anwalt des
schöpferischen Genies des Komponisten zu sein. Nur
das eine ohne das andere zu haben, wäre falsch. Wir
müssen unsere Dominanz weiterentwickeln und die
Demut täglich neu und ohne Unterlass üben.
BETWEEN HUMILITY AND DOMINANCE
Johannes Wildner has embarked on his second
year as a conducting professor at the mdw.
Kunsträume met him for a conversation on the
fundaments of conductors’ training and the
significance of Hans Swarowsky.
Professor Wildner, Uroš Lajovic is one of the last
direct students of Hans Swarowsky. Does his
retirement spell the end of the Swarowsky era?
I don’t think so—after all, Christianity didn’t end with the death
of the twelfth apostle. It’s more of a generational process.
Lajovic was still able to study with Swarowsky himself; unfortunately, I no longer managed to do that. So I didn’t experience him personally, but my teachers passed on to me the
spirit of his musical ideas. Besides which, there’s no reason
why temporal distance would necessarily entail a reduction in
the purity of this spirit. It’s more the case that pedagogical and
artistic necessity causes the spirit to be brought into a new
position from generation to generation. The task of accomplishing this represents a weighty responsibility.
It’s just like Gustav Mahler said: “Tradition is not worshipping
the ashes, but passing on the flame.” And that’s my view, as
well. So the spirit of Swarowsky’s teachings get passed on
from generation to generation, and each such generation—insofar as they feel beholden to this spirit—has the job of adapting it, living with it, and in turn passing it on to the generation
that succeeds them.
TAKTANGEBENDE
ABSOLVENTINNEN DER MDW
MARIE JACQUOT
ABSOLVENTIN ORCHESTERDIRIGIEREN
„Die Musik berührt mich, wenn ich einen Sinn fühlen kann. Es ist
einfach, eine Reihenfolge von Noten zu spielen, es ist aber schwieriger, dieser Reihenfolge eine Bedeutung zu geben. Das ist der Grund,
warum ich als Musikerin immer versuche, meine Seele so viel wie
möglich einzubringen.“
In Paris geboren, begann Marie Jacquot bereits mit 14 Jahren zu
dirigieren. Sie nahm an zahlreichen Meisterklassen bei internationalen Größen wie Fabio Luisi, Simone Young, Zubin Mehta und
Bertrand de Billy teil. 2012 dirigierte sie als Gastdirigentin das Sofia
und Gdansk Philharmonic Orchestra. 2014 gab sie ihr Debüt mit
dem ORF Radio-Symphonieorchester im Wiener Musikverein. Zu
Beginn des Jahres 2015 assistierte sie Maestro Kirill Petrenko an der
Bayerischen Staatsoper.
Seit Oktober 2014 unterrichtet Marie Jacquot am Institut Franz Schubert an der mdw als Dirigentin des Sinfonisches Blasorchesters.
“Music touches me when I can sense a meaning. It’s easy to play a sequence
of notes, but lending this sequence meaning is more difficult. That’s why, as a
musician, I always try to involve my soul as much as possible.”
Paris-native Marie Jacquot began conducting at the young age of 14.
She has since taken part in numerous master classes with international
greats such as Fabio Luisi, Simone Young, Zubin Mehta, and Bertrand
de Billy. In 2012, she led the Philharmonic Orchestras of both Sofia and
Gdansk as a guest conductor. 2014 saw her debut with the ORF Radio
Symphony Orchestra at the Vienna Musikverein. And at the beginning
of 2015, she served as an assistant to Maestro Kirill Petrenko at the
Bavarian State Opera.
Since October 2014, Marie Jacquot has taught at the mdw’s Franz
Schubert Department as conductor of the Symphonic Wind Orchestra.
25
´
MARTA GARDOLINSKA
ABSOLVENTIN ORCHESTERDIRIGIEREN
„Ich glaube, dass die DirigentInnenausbildung eine sehr heikle und
komplexe Sache ist. Sie sollte zum größten Teil aus Persönlichkeitsentwicklung bestehen. Es gibt viele fantastische MusikerInnen, die
Partituren lesen und die Arme bewegen können. Ein Dirigent sollte
aber imstande sein, eine Gruppe von achtzig Menschen zu inspirieren
und in einen musikalischen Körper zu verwandeln – auch ohne Wörter und Gesten. Alles andere ist nur Organisation und Choreografie.“
1988 in Warschau geboren, beeindruckte Marta Gardolińska in
den vergangenen Jahren als inspirierte, energische und versierte
Dirigentin. Mit großer Leichtigkeit leitete sie diverse Instrumentalund Vokalensembles verschiedener Stilrichtungen, wie das ORF
Radio-Symphonieorchester. Als Dirigentin trat sie u.a. im Wiener
Konzerthaus, im Saal der Baltic Philharmonic Gdansk sowie im
Goldenen Saal des Wiener Musikvereins auf.
“I think that the training of conductors is an extremely delicate and complex
thing. The greatest emphasis should be on personality development. There
are loads of fantastic musicians out there who can read scores and wave
their arms. But a conductor has to be able to inspire a group of 80 people
and transform them into a musical organism—even without words or
gestures. Everything else is just organisation and choreography.”
´
Marta Gardolinska,
born in Warsaw in 1988, has impressed orchestras
and audiences in recent years as an inspired, energetic, and well-versed
conductor. With great ease and lightness, she has led various vocal and
instrumental ensembles—including the ORF Radio Symphony Orchestra—
in performances featuring diverse styles of music. She has appeared as a
conductor at venues including the Vienna Konzerthaus, the concert hall of
the Baltic Philharmonic Gdansk, and the Golden Hall of the
Vienna Musikverein.
© Annamaria Kowalsky
Can the training of conductors still continue
developing if the spirit remains the same?
Of course things develop, because every generation of
teachers has to adapt the content to the generation of
students they’re teaching. If all development were to stop,
we’d have ignored the dictum according to which we have
to take into account the genius and independence of each
individual spirit.
26
What’s more, the teacher-student relationship has changed
drastically. I think that teachers were long burdened to an
extreme extent by political taboos, for which reason they
weren’t all that disposed to having intense conversations with
their students. Because you can’t talk about Tchaikovsky
without talking about the policies of Tsar Alexander II—or
about Stravinsky without touching on the Russian Revolution.
I believe they tried to avoid the development of all too much
closeness. So I’m all the happier if we’ve managed just that
today, being able to discuss things even if our opinions differ—
we’re dealing with the same material, after all. Fundamentally,
it’s about passing things on, and our own individuality allows
the spirit in question to continue developing.
What is the essence of Swarowsky’s spirit?
I like to describe the fundamental things about Swarowsky
in terms of a model with three pillars. The first pillar consists
in purely mechanical organisation—in other words, the socalled technique of conducting; the second is the conductor’s
psychological disposition towards the musical substance; and
the third is the physical relationship of the conductor with his
or her environment, that relationship which turns the notes
written on the paper into an audible experience. Of these three
pillars, one—technique—is 100% learnable. The second pillar
is something that can be lent very strong support, and one has
to challenge it and continue working on it one’s whole life long.
The third pillar depends on one’s overall personality; it can be
analysed, but it’s hardly possible for us to change it.
So you’re saying that you have
to be born to be a conductor?
In part, yes. For instance: the first time Gustavo Dudamel
appeared on the scene was as an 18-year-old in Bamberg.
But despite his age, it was immediately recognised that he
had an enormous ability to lead and to shape things; he had
this desire for things to become like he’d envisioned them.
Recently, in a discussion, someone charged that it was elitist
and dominant to vehemently assert one's own opinion. But
that’s precisely what makes a conductor a conductor. If I’m not
elitist and dominant, then I have no business even setting foot
in the antechamber of an orchestra. I have to offer something that’s
elitist, because otherwise, nobody needs it; and I have to offer
something that’s dominant, because otherwise, it doesn’t exist.
Is there any other great maestro who’s had an impact on
conductor training similar to that of Swarowsky?
Franco Ferrara in Italy, perhaps. He established a school
similar to the way in which Swarowsky did. And his message
was similar: in art, the only things that deserve to exist are
those that are done with one’s whole heart and one’s total
identification. Indifferent randomness has no place. Another
titan in the history of training conductors would be Finland’s
Jorma Panula, who was himself a student of Ferrara’s. In Italy,
there was also the Russian-born Vladimir Delman, under whom
I studied in Parma. I had the privilege of learning from him
that kind of unconditional and uncompromising veracity that
one finds described in the novels of Jakob Wassermann. And
another one who founded his own school was definitely Hideo
Saito, the Japanese conductor and music educator.
Were there great conductors
who had influenced Swarowsky?
As a student and young artist, Swarowsky came of age in
an atmosphere that had been shaped by several titans. He
studied with Schönberg and Webern, after which he was
quite close to Richard Strauss and Clemens Krauss. Those
were formative influences that left nobody unaffected. And I
S P E C I A L
think that Swarowsky’s perfect understanding of conducting
technique was indeed the heritage of Clemens Krauss. A
question that I’d like to answer for myself is whether there
existed any relationship or even mutual influence between
Hans Swarowsky and Oswald Kabasta, who was three years
older. Kabasta was a national socialist, he shot himself
following the war, and we speak not a word of him today.
That’s understandable, but in terms of the development of our
musical tradition, it’s a mistake. Kabasta’s most prominent and
probably most important student, Herbert von Karajan, praised
his teaching for as long as he lived.
So there were a large number of possible
influences on the Swarowsky school?
Yes, but I'd object to its being called a school. To me, a
“school” always has something hermetic and closed to it, with
a darkened horizon beyond which one isn’t allowed to peer.
So it’s more the “Swarowsky idea”?
Exactly! That was Swarowsky’s virtue. He explained how
certain things work, but he was never blind or closed to
other things. What you might indeed be able to call a school
is Saito’s method. If you study conducting in Japan, you go
through a certain phase where you train only your muscles.
Which certainly is something that demands consideration.
Neglecting to train the body results in a lot of insecurity. And
Swarowsky did formulate how the body’s to be used, for
example how to correctly move the wrist. But I do feel that the
Japanese school, once the technical arsenal has been learned,
concentrates too little on universal aspects, which entails the
risk of uniformity and monotony in the way musical ideas are
put into practice.
study the material down to the smallest atom. So I can talk
for three hours about Beethoven’s Third, but I’m also quite
happy when my young colleagues continue researching it on
their own. Because I think that you can’t conduct a single note
of Beethoven without intimate knowledge of all stages of the
French Revolution, for example.
So we really do have to know everything. Is it at all possible
to achieve that within a single lifetime?
A single lifetime is never enough. (laughs) But it’s perhaps not so
much about the knowledge itself but rather about the process,
about striving for knowledge. Only this quest gives rise to the
necessary humility. This principle of Swarowsky is something
we must always uphold. A conductor is constantly oscillating
between the willingness to constantly question himself and
the self-assurance necessary to be a suitable advocate of the
composer's creative genius at any given moment. Having only
one without the other would be wrong. So we need to continue
developing our dominance while renewing our practice of
humility every day, without cease.
HANS SWAROWSKY
© Anton Swarowsky /
Nachlass Hans Swarowsky
So technique should only go as far as it
can without limiting individuality, correct?
Yes, that’s right. Technique has to be mastered to a high
degree of perfection, but it always has to be joined with body
language if one intends to remain true to oneself.
Swarowsky’s great strength was the fact that he explained how
far we can go in perfecting technique without imitating each
other. Which is my maxim, too: I have to make it possible for
students to speak with their hands, but I can’t say that all the
resulting voices have to sound the same. In each individual
phase, one needs to identify one hundred percent with one’s
own realisation of art.
In terms of Swarowsky’s second pillar, there’s a lot that we
have to do. It’s about total spiritual penetration of the material.
Or put more simply: you have to know everything.
Is that why you studied musicology?
Yes, that’s one of the reasons. You can never know enough!
What Swarowsky demanded unconditionally was that one
„Die Schule von Swarowsky hat darin bestanden,
dass er, bei strengster Beachtung der ‚Wahrung der
Gestalt‘, seinen Schülern den Weg gewiesen hat,
wie sie seine Lehre mit ihrem persönlichen und individuellen Bild der Kunst verbinden können.
“Swarowsky’s school was characterised by the fact that, although he insisted on
the strictest ‘preservation of form’, he also showed his students ways in which they
could connect his teachings with their personal and individual perspectives on art.”
S P E C I A L
HANS SWAROWSKY
© Nachlass Hans Swaro wsky
Forschungsprojekt Hans
Swarowsky
Reinhard Kapp vom Institut für Analyse, Theorie und Geschichte der
Musik leitete ein Forschungsprojekt zum Phänomen Swarowsky.
28
S P E C I A L
D
er Dirigent Hans Swarowsky kam
in Budapest als außerehelicher
Spross eines Wiener Paares zur
Welt: eines jüdischen Großindustriellen und einer Schauspielelevin. Er wuchs bei der Mutter
auf, hatte aber auch Zutritt zum
repräsentativen Stadtpalais des Vaters. Die Spannung
zwischen auseinanderdriftenden Schichten des Bürgertums, Aufsteigermentalität und punktuellen Kontakten
zur „großen Welt“ dürfte ihn geprägt haben. Nach einem
geregelten Bildungsgang bis zum Universitätsstudium
der Kunstgeschichte musste er sich schließlich auf eigene
Füße stellen und entschloss sich zur Laufbahn des Musikers. Er praktizierte als Pianist und Korrepetitor bei verschiedenen Gelegenheiten und nahm Theorieunterricht
bei Schönberg und Webern – im Umkreis der Wiener
Schule, in Theorie und Praxis, empfing er die wohl entscheidenden Lehren für sein musikalisches Leben.
PROPHET IM EIGENEN LAND
Bald ließ sich eine steile Kapellmeisterkarriere an mit
den Stationen Wiener Volksoper, Stuttgart, Gera, Hamburg, Berlin. Nachdem die Gerüchte über Swarowskys
nicht rein arische Abstammung nicht verstummen wollten und er vorübergehend unbeschäftigt blieb, gelang es
ihm, als Kapellmeister in Zürich zu arbeiten. Dort wurde
er wegen der restriktiven nationalen Politik gekündigt
und da die Emigration an der Beschaffung eines Visums
scheiterte, war er 1940 gezwungen, nach Nazideutschland zurückzukehren, wo er sich mit allerlei durch Richard Strauss und Clemens Krauss vermittelten Arbeiten durchschlug (und, wie es scheint, für die Engländer
spionierte). Nach dieser abenteuerlichen und lebensgefährlichen Episode wurde er noch vorübergehend Chef
der Wiener Symphoniker und Generalmusikdirektor in
Graz, konnte darüber hinaus aber keine seinem Rang
entsprechende Position mehr erringen.
Er war als internationaler Gastdirigent sehr gefragt, aber
trotz zahlreicher Auftritte in Oper und Konzert blieb
er in Wien der Prophet im eigenen Land. Umso durchschlagender waren seine Erfolge als Pädagoge.
SWAROWSKYS DIRIGIERSTIL
Die historische Stellung ergibt sich aus der Generationenkonstellation: Swarowsky teilt das gleiche Geburtsjahr mit den Dirigenten Barbirolli, Matačič, Ormandy,
Wilhelm (William) Steinberg, umgeben von den etwas
Älteren Busch, Kleiber, Scherchen, Krauss, Rosbaud, Mitropoulos, Desormière, Horenstein (geboren zwischen
1890 und 1899) und Jüngeren wie Kletzki, Konwitschny,
Krips, Goehr, Cluytens, Zillig, Karajan (1900 bis 1908).
Man findet bei ihnen allen einen Anteil, der sich mit den
Idealen der Neuen Sachlichkeit berührt (unter den Kom-
ponisten die Generation mit Eisler, Hindemith, Krenek,
Weill), aber es gab mehrfache Kontakte mit der Wiener
Schule und ihrer charakteristischen Verbindung des
Analytischen mit dem Expressiven. So erklären sich wohl
auch bestimmte Eigentümlichkeiten von Swarowskys
Dirigierstil: gegenüber dem Zerfasernden des vorausgegangenen Interpretationsideals eine gewisse Stabilisierung, manchmal bis zur Härte. Dabei ist Flexibilität nicht
unterdrückt, nur kontrolliert: Die Musik soll sich in die
ihr gemäße Bewegungsform einschwingen können.
Mit seinem Programm vollständigen Zurücktretens des
Interpreten hinter das Werk konnte Swarowsky nicht
zu einer der Kultfiguren des Musikbetriebs werden, er
prägte kein „Markenzeichen“ aus. Als erklärter Feind der
sogenannten individuellen Nuance und willkürlicher
Entstellung der Meisterwerke ging er stets von scharf
umrissenen Vorstellungen aus, die ihn oft genug mit den
Traditionen der Orchester in Konflikt geraten ließen. Im
Idealfall waren seine Aufführungen von dramatischem
Impetus ebenso wie Feinheit der Artikulation und
Durchsichtigkeit der musikalischen Faktur bestimmt;
Koloristik stand im Dienste der Verdeutlichung, war
kein Selbstzweck.
Swarowskys Stärken waren die Wiener Klassiker, italienische Oper, Wagner, Mahler (er gehörte zu den Pionieren
der Mahler-Renaissance nach dem Krieg) und Strauss,
aber auch (soweit das damals durchzusetzen war) die
Musik der Wiener Schule. Daneben nahm er Kontakt zur
Alte-Musik-Bewegung auf und versuchte deren Wissen
über Instrumentarium, Improvisation, Appoggiaturen,
Tempoproportionen für sich fruchtbar zu machen.
TEXT:
REINHARD
KAPP
Weitere Informationen zum
Forschungsprojekt unter:
www.mdw.ac.at/iatgm
WIRKEN ALS LEHRER
Sein Unterricht umfasste die ganze Breite von Werkanalyse und Stilkunde über technische Ratschläge bis zu
umfassender Orientierung über den kulturgeschichtlichen Hintergrund der in Rede stehenden Musik, deren
geistige Erfassung im Zentrum stand.
Auch hier galten natürlich die Grundsätze, die Swarowskys
eigene Praxis bestimmten: Interpreten sind als bloße
Ausführende prinzipiell den Komponisten nachgeordnet. Der Zugang zur Musik erfolgt primär analytisch
(formal wie inhaltlich, aber auch praktisch, etwa in der
Einteilung der Stücke nach Taktgruppen). Es geht nicht
um Vermeidung des Espressivo, sondern um Bindung an
die Erfordernisse des jeweiligen Werks. Anzustreben ist
bewusste Verfügung über Technik, Form und Ausdruck.
Als Person in seinen Äußerungen nicht immer verbindlich
(was ihm das Leben sicher nicht leichter gemacht hat),
erlaubte er sich auch im Unterricht maliziöse Bemerkungen und hat manch einen vor den Kopf gestoßen, aber die
als begabt Erkannten stets nach Kräften gefördert. Gegen
Frauen am Dirigentenpult sprach er sich gelegentlich
29
HANS SWAROWSKY MIT
RICHARD STRAUSS UND
WALTER FELSENSTEIN
( 2. V O N LIN KS ) B EI
SALOME IN ZÜRICH, 1940
© Nachlass Hans Swarowsk
S P E C I A L
RESEARCH PROJECT: HANS SWAROWSKY
Reinhard Kapp of the Department of Music
Analysis, Theory, and History recently headed a
research project on the Swarowsky phenomenon.
HANS SWAROWSKY MIT
MSTISLAW ROSTROPOWITSCH
IM MUSIKVEREIN, 1965
© Nachlass Hans Swaro wsky
(wiederum generationenbedingt) abfällig aus. Doch berichtet seine Schülerin Roswitha Heintze, nie in irgendeiner Weise herabgesetzt oder benachteiligt worden zu sein.
So hat Swarowsky buchstäblich Generationen von erfolgreichen Schülern (später vielfach in Ersten Stellungen) hervorgebracht. Aber so anerkannt sein Wirken als
Lehrer – als der bedeutende Dirigent, der er jedenfalls
auch war, wird er noch kaum angemessen wahrgenommen und bleibt zu entdecken und zu studieren (wobei
die, gelinde gesagt, unübersichtliche diskografische Situation eine gewisse Schwierigkeit darstellt).
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The conductor Hans Swarowsky was born in Budapest as the
illegitimate son of two Viennese: a wealthy Jewish industrialist
and an acting student. He was raised by his mother but also
had access to the representative city palace of his father. The
tension between the increasingly estranged bourgeois and
petit-bourgeois classes, social climbing-related ambitions, and
occasional contact with elite circles probably all left their mark
on him. Following his formal education, which he concluded
with a university degree in art history, he ultimately had to
stand on his own two feet—and decided to begin a musical
career. He therefore pursued various opportunities to hone his
skills as a pianist and accompanist while also taking theory
lessons with Schönberg and Webern, thus situating himself
theoretically and practically within the circles of the Second
Viennese School. What he learned there was doubtless to play
a decisive role in his future musical life.
A Prophet in his own Land
Swarowsky soon embarked upon a steeply ascendant
conducting career, going from the Vienna Volksoper to
Stuttgart and on to Gera, Hamburg, and Berlin. With the
rumours about his not purely Aryan ancestry refusing to go
away, Swarowsky eventually found himself temporarily out
of work and successfully applied for a conducting post in
Zurich. He was soon fired there due to restrictive national
policy, however, and since he was unable to emigrate from
Germany due to his inability to obtain a visa, he was forced
to return to there in 1940—where he managed to get by with
S P E C I A L
With his mission of withdrawing completely behind the work itself
as a performer, Swarowsky was unfit to become a cult figure
in the music business; he had no “trademark”. As a declared
enemy of so-called individual nuance and wilful distortion of
masterpieces, he always based his work on sharply defined
concepts that often enough came into conflict with the traditions
of the orchestras with which he worked. At their best, his
performances were characterised by a dramatic impetus plus
freedom of articulation and transparent musical structures; colour
was employed to make things clearer, not as an end in itself.
Swarowsky’s strengths were Viennese classicism, Italian opera,
Wagner, Mahler (he was a pioneer of the post-war Mahler
Renaissance) and Strauss, as well as (insofar as performances
could be arranged) the music of the Second Viennese School.
And alongside all this, he made contact with the early music
movement and attempted to make fruitful use of its knowledge
of instruments, improvisation, appoggiaturas, and tempo
proportions.
Impact as a Teacher
all manner of odd jobs procured for him by Richard Strauss
and Clemens Krauss (while also, it would seem, spying for the
British). Following this adventurous and dangerous episode,
Swarowsky served temporarily as conductor of the Vienna
Symphony and General Music Director in Graz, but was
thereafter unable to procure a position appropriate to his rank.
He was in high demand internationally as a guest conductor,
but in Vienna, despite numerous appearances at opera
houses and in concert, he was to remain a prophet in his own
land. His successes as a teacher, however, were all the more
spectacular for it.
Swarowsky’s Conducting Style
Swarowsky’s historical situation resulted from the generational
constellation in which he found himself: he shared his year of
ˇ ˇ Ormandy, and
birth with the conductors Barbirolli, Matacic,
Wilhelm (William) Steinberg, and slightly post-dated the older
Busch, Kleiber, Scherchen, Krauss, Rosbaud, Mitropoulos,
Desormière, and Horenstein (born between 1890 and 1899)
while predating the younger Kletzki, Konwitschny, Krips, Goehr,
Cluytens, Zillig, and Karajan (1900–1908). All of them were
influenced to some extent by the ideals of New Objectivity
(as seen among composers of Eisler, Hindemith, Krenek, and
Weill’s generation), but there were also multiple contacts with
the Second Viennese School and its characteristic linkage
of the analytical with the expressive. This probably also
explains certain peculiarities of Swarowsky’s conducting style:
compared to the fragmentation of the previous interpretive
ideal , there was a stabilisation of sorts, even to the point
of hardness—but with flexibility not being repressed, just
controlled. The idea was to allow the music to settle into the
form of motion to which it was best suited.
Swarowsky’s teaching encompassed the entire range of subject
matter from work analysis and musical styles to technical
recommendations and comprehensive orientation pertaining
to the cultural history relevant to the music in question, the
intellectual comprehension of which stood in the foreground.
Here too, of course, Swarowsky applied the precepts that
governed his own practice: as a matter of principle, interpreters
are subordinate to the composers as mere executors of their will.
Access to the music is achieved primarily via analysis (formally
and in terms of content, as well as practically, such as in the
division of the pieces into groups of measures). This is not to
avoid expressivity, but in order to harness it to the demands
of the work at hand. The overarching objective is to achieve a
conscious command of technique, form, and expressivity.
As a person who occasionally failed to express himself in an
engaging manner (a fact that certainly didn’t make his life any
easier), he also allowed himself malicious comments in class and
ended up alienating some of his students—but even so, he did all
he could to encourage those whose talents he recognised. And
in a way that was common among members of his generation,
he would occasionally also make derogatory comments about
women as conductors. On the other hand, though, his student
Roswitha Heintze has stated that he never put her down or
disadvantaged her in any way.
Swarowsky trained literally generations of successful students
(many of whom later assumed first-tier posts). But as
acknowledged as his work as a teacher is, he is hardly given
the appropriate attention as the important conductor that he
most certainly also was, and thus remains to be discovered and
studied (although the situation in terms of recordings—which is
confusing, to put it mildly—does represent a certain difficulty).
31
mu
sic
34 Clara Maria Bauer im Porträt
A portrait of Clara Maria Bauer
36 Fließende Grenzen –
Pier Damiano Peretti im Interview
Blurred Distinctions –
Interview with Pier Damiano Peretti
40 Von Wassernixen und anderen Geistern
On Water Nymphs and other Spirits
M U S I C
„ICH MÖCHTE MIT MEINEM
STUDIUM AUCH ANDEREN
FRAUEN MUT MACHEN,
DIESEN WEG ZU GEHEN.“
© music.camps
Clara
Maria
Bauer
DER WEG EINER JUNGEN DIRIGENTIN
IN EINEM MÄNNERDOMINIERTEN BERUF.
„In diesem Beruf kann ich
alle meine Fähigkeiten
zusammenführen: bestimmte
Vorstellungen zu vermitteln,
auch durch die Gestik, meine
Musikalität und meine
Flexibilität im Führungsstil.“
“In this profession, I can bring to bear all
of my abilities: conveying specific ideas
(in part via gestures), my musicality, and the
flexibility of my leadership style.”
S
eit 1. Oktober 2015 hat die mdw –
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien eine weibliche
Dirigierstudierende mehr, was an
sich schon eine Notiz wert wäre,
denn lediglich elf von insgesamt
51 Studierenden im Studium Dirigieren bzw. in den Studienzweigen Orchesterdirigieren,
Chordirigieren und Korrepetition sind Frauen.
TEXT:
CLEMENS
AIGNER
34
Doch auch der Weg, der Clara Maria Bauer an das Institut für Musikleitung der mdw geführt hat, ist ungewöhnlich. Die in eine musikalische Familie hineingeborene
Wienerin – die Mutter ist Musikpädagogin – beschloss
in der Folge des Wiener Töchtertags 2007: „Ich werde
Dirigentin!“
Der Wiener Töchtertag, eine Einrichtung der Stadt Wien,
2002 von der Frauenstadträtin Renate Brauner initiiert und
heute unter der Ägide von Sandra Frauenberger in diesem
Amt, engagierte im Jahr 2007 Fabio Luisi und die Wiener
Symphoniker. Damit wollte man jungen Frauen die Möglichkeit aufzuzeigen, dass ihnen auch in musikalischer Hinsicht der Weg zu einer leitenden Position offensteht. Und so
wurde für die Gymnasiastin die Gesprächsrunde mit dem
Maestro inklusive einem kurzen Dirigiereinsatz bei einem
der bekanntesten österreichischen Orchester zum Schlüsselerlebnis. Nach mehreren Chorleitungskursen in St. Martin
bei Graz und erster praktischer Erfahrung im Leiten eines
Schulensembles folgte das Studium des Lehramts Musikerziehung an der mdw, gleichzeitig ein Jahr Chordirigieren am
Mozarteum Salzburg, ehe Bauer die Studien Dirigieren bei
Mark Stringer und Musiktheorie an der mdw inskribierte.
M U S I C
Die beruflichen Möglichkeiten in Österreich schätzt
die junge Studentin sehr nüchtern ein. Mit Assistenzen,
viel Reisetätigkeit und der Belegung von Meisterkursen
zusätzlich zur universitären Ausbildung wird es ihrer
Einschätzung nach dennoch nicht einfach werden, eine
Dirigierstelle bei einem Orchester antreten zu können.
Trotz sporadischer Ablehnung von Frauen in diesem
männerdominierten Beruf nimmt Clara Maria Bauer
aber einen deutlichen Meinungsumschwung in der jüngeren Generation wahr, die viel offener und selbstverständlicher mit weiblichen Kolleginnen umgehe.
Für Bauer zählt bei DirigentInnen vor allem die Persönlichkeit und so sind ihre Vorbilder neben international
bekannten Dirigentinnen wie Nadia Boulanger und
Simone Young auch Cornelius Meister für seinen präzisen Schlag, Nikolaus Harnoncourt für seinen emotionalen Stil und Claudio Abbado für seinen freundlichen
Umgang mit Orchestern.
Besonders am Herzen liegt ihr die Bildung eines offenen
Konzertwesens, bei dem vor allem auch zeitgenössische
Musik und weniger bekannte Werke vergangener Zeiten
genügend Platz finden. Ein Ziel ihrer Arbeit liegt in der
Verbreitung der Werke von Frauen, die aufgrund ihres
Geschlechts kaum in der Musikgeschichtsschreibung
aufscheinen – unter ihnen Louise Farrenc, Ethel Smyth,
Lili Boulanger und Emilie Mayer.
CLARA MARIA BAUER
A Young Woman Conductor’s Way
into a Male-Dominated Profession
Since 1 October 2015, the mdw – University of Music and
Performing Arts Vienna has had an additional young woman
studying conducting, which is noteworthy all by itself since
only eleven of the altogether 51 students in the conducting
programme (with its specialisations of orchestral conducting,
choral conducting, and accompaniment) are women.
But the path that took Clara Bauer to the mdw’s Conducting
Department was likewise unusual. It was following Vienna
Daughters’ Day in 2007 that this Vienna native, born into a
family of musicians (her mother is a music teacher), decided:
“I’m going to be a conductor!”
That year, Vienna Daughters’ Day (Wiener Tochtertag)—an
event of the City of Vienna initiated in 2002 by Executive
City Councillor for Women’s Issues Renate Brauner and now
continuing under the aegis of current office-holder Sandra
Frauenberger—had brought on board Fabio Luisi and the
Vienna Symphony. In doing so, their aim was to make young
women more aware of how they had the option to assume
a leading role in music, as well. And the secondary school
student’s talk with the maestro, which included a brief
experience on the conductor’s rostrum before one of Austria’s
best-known orchestras, turned out to be a key experience.
„Mit dem Hinweis,
dass ich aufpassen solle, nicht
zu „weiblich“ zu
dirigieren, konnte
ich nie etwas anfangen. Es kommt
auf die individuelle
Persönlichkeit an.“
“I’ve never been able to make
anything of admonishments
to the effect that I should
be careful not to conduct in
a ‘feminine’ way. It’s really
all about one’s individual
personality.”
Following several choir direction courses in St. Martin near Graz
and initial practical experiences leading a school ensemble,
she studied Music Education (including teacher’s accreditation)
at the mdw and simultaneously enrolled in the choir direction
programme at the Mozarteum in Salzburg, before eventually
leaving the Mozarteum to pursue the mdw’s Conducting major
(under Mark Stringer) as well as Music Theory.
The young student has no illusions about the general career
opportunities in terms of work with orchestras. Even with
assistant conducting posts, lots of travel, and attending
masterclasses in addition to her university training, she expects
that it won’t be easy finding full-time employment as a conductor.
But despite the occasional rejection of women in this maledominated profession, Clara Bauer does perceive a clear shift of
opinion among members of the younger generation, who take a
far more open and matter-of-fact view of their woman colleagues.
For Bauer, what counts in conducting is above all one’s
personality, and her role models in this—alongside
internationally known woman conductors such as Nadia
Boulanger and Simone Young—also include Cornelius Meister
for his precise technique, Nikolaus Harnoncourt for his
emotional style, and Claudio Abbado for his friendly way of
interacting with orchestras.
Especially close to her heart is the project of building an open
concert life in which sufficient space is given above all to
contemporary music and to less-known works from bygone
eras. And yet another goal in her work is the dissemination of
music by woman composers who are hardly present in music
historiography simply due to their gender, composers like Louise
Farrenc, Ethel Smyth, Lili Boulanger, and Emilie Mayer.
EIN VORBILD FÜR CLARA MARIA BAUER:
CLAUDIO ABBADO, BEKANNT FÜR SEINE OFFENHEIT UND SEINEN KOLLEGIALEN FÜHRUNGSSTIL.
© Ali Schafler / First Look / picturedesk.com
35
M U S I C
Fließende
Grenzen
PIER DAMIANO PERETTI IST KOMPONIST, ORGANIST UND LEHRENDER AN
DER MDW. IN ANERKENNUNG SEINER BISHERIGEN LEISTUNGEN WURDE
ER VOM BUNDESKANZLERAMT AM 2. OKTOBER MIT DEM OUTSTANDING
ARTIST AWARD FÜR MUSIK (KOMPOSITION) 2015 AUSGEZEICHNET.
PIER DAMIANO PERETTI
© Weinwurm
36
H
err Peretti, welche Bedeutung
hat diese Auszeichnung für
Sie, mit der zuvor herausragende Komponisten wie Georg Friedrich Haas und Friedrich Cerha geehrt wurden?
Mit den von Ihnen genannten
Größen wage ich mich kaum zu vergleichen. Vielmehr
scheint mir diese Entscheidung die Existenzberechtigung jener Komponisten anzuerkennen, die ihren Weg
auch abseits der institutionalisierten Schauplätze der
Neuen Musik gehen: Allein, dass die Ausschreibung an
scheinbar „unzeitgemäße“ Gattungen wie Messe und
Oratorium gerichtet war, zeigt, dass dabei quer zu den
herkömmlichen Stil-Schubladen gedacht wurde. Zugleich teile ich die Auszeichnung mit der experimentellen Performerin Pia Palme, die sich in einer völlig anderen Ästhetik bewegt als meine es ist. Das finde ich ganz
im Sinne desn heutigen Pluralismus’.
Der Outstanding Artist Award steht für die
„Anerkennung bisheriger Leistungen und zur
unmittelbaren Förderung des weiteren künstlerischen Schaffens“ – inwiefern ist der Preis eine
Unterstützung für Sie?
Vor allem eine moralische – dafür sind Kulturinstitutionen auch da! Irgendwann, wenn man nicht zu den wenigen gehört, die davon leben (dürfen), und im eigentlichen Alltagsberuf als Lehrender und Musiker beide
Hände voll zu tun hat, stellt sich beim Komponieren die
Frage nach dem Sinn. Als Heranwachsender kommt man
zum schöpferischen Tun aus einer inneren Notwendigkeit heraus, nach und nach sollte es sich aber an die Welt
„da draußen“ richten… Heute lautet daher meine Devise: So lang meine Musik nicht nur für mich, sondern
auch für andere irgendeine Relevanz hat, lohnt es sich
weiter nachzuhaken. Solche Preise sind ein eindeutiges,
ja notwendiges Signal.
M U S I C
„So lang meine Musik nicht nur
für mich, sondern auch für andere
irgendeine Relevanz hat, lohnt
es sich weiter nachzuhaken.“
“As long as my music has some kind of
relevance not only for me, but also for others,
it’s worth it to keep on going.”
Ihr prämiertes Werk Mane nobiscum – Missa für die
Osterzeit wurde im Rahmen eines Rundfunkgottesdienstes in der St. Ursula Kirche uraufgeführt. Wo
sehen Sie den Unterschied im Komponieren von
weltlicher und geistlicher Musik?
Zunächst sollte man sich über den Begriff geistlich im
Klaren sein. In seiner Konferenz von Notre-Dame hat
Olivier Messiaen – nicht nur für sich – eine Trennlinie
zwischen „liturgischer“ und „religiöser“ Musik gezogen.
Die erste entsteht, heute noch, mit einer klar definierten
Funktion im Rahmen der kultischen Handlung: Dauer,
Textwahl, Besetzung, oft selbst die ästhetische Haltung
des Komponisten richten sich nach gegebenen Vorgaben; diese entsprechen wiederum den Hörerwartungen
einer Gemeinde, die Musik nur als Teil eines Gesamterlebnisses wahrnimmt. Hier gelten also andere Qualitätskriterien als bei einem Wien Modern-Konzert: Um mit
H. H. Eggebrecht zu sprechen, wird solche angewandte
Musik an den Zwecken gemessen, die sie erfüllen soll.
Als „religiös“ bezeichnet aber Messiaen eine zweckfreie,
autonome Musik, die sich der Transzendenz im weitesten Sinne öffnet – anders gesagt: Sich dem Weltlich-Materiellen zugunsten des Geistes entziehen will… Unter
den lebenden Komponisten, die sich gerne dem Spirituellen zuwenden, fallen mir die unterschiedlichsten ein,
etwa Arvo Pärt und Klaus Huber oder Wolfgang Rihm
und Sofia Gubaidulina: Die eine bezeichnet das Komponieren als „eine Art Gottesdienst“, der andere taucht immer wieder in liturgische Texte ein… Aber so gesehen,
sind nicht auch Bruckner-Symphonien oder Beethovens
Heiliger Dankgesang für Streichquartett geistliche Musik? Da sind Grenzen durchaus fließend.
INTERVIEW:
SUSANNE
GRADL
Sie sind Komponist, Lehrender und Konzertorganist. Vor welche Herausforderungen stellen
Sie diese unterschiedlichen Aufgaben?
Da ist zunächst gutes Zeitmanagement gefragt… Spaß
beiseite: Am Papier lesen sie sich wie voneinander klar
abgegrenzte Betätigungsfelder, sie sind es aber nicht.
Denn wenn ich unterrichte, zerlege ich wieder, was ich
zuvor als Interpret zusammengebaut habe. Und wenn
ich komponiere, lasse ich bei aller Abstraktion auch
mein instrumentales Know-how mitwirken, Ideen entstehen ja auch aus ihrer physischen Machbarkeit heraus.
Diese wird mir wiederum oft erst beim Unterrichten bewusst… Wir könnten das Spiel ad infinitum fortsetzen,
der Blick richtet sich in Wahrheit immer auf dieselbe
Sache, von verschiedenen Winkeln aus betrachtet. Aber
meine Art, Musik zu machen und zu „denken“, verdanke
ich zweifellos dem Organist-Sein.
37
M U S I C
„Auf selbst auferlegte ‚Marken’
habe ich bisher
immer verzichtet,
diese Buntheit ist
mir viel zu wichtig.“
“I’ve always done without
self-imposed ‘brands’
because this range of colour is
much too important to me.”
Was macht heute das Leben
eines Konzertorganisten aus?
Vordergründig gesehen, ist es sicher die Notwendigkeit,
sich blitzschnell auf die unterschiedlichsten Instrumente, Räume und Situationen einzustellen. Wenn ich meinen diesjährigen Terminkalender Revue passieren lasse:
Von den herrlichen norddeutschen Barockorgeln bis zu
hochtechnologisierten neuen Instrumenten in Israel,
vom Auditorio Nacional in Madrid bis zur 1558 entstandenen Orgel der Hofkirche Innsbruck – es ist ein bisschen von allem dabei… Diese Vielfalt an Instrumenten
und „Milieus“ hat zur Folge, dass Organisten – im Idealfall – einen universalistischen approach entwickeln, der
unter ausführenden Musikern recht ungewöhnlich ist.
Unser Repertoire-Blick spannt sich weit über den tradierten klassisch-romantischen Kern hinaus, reicht sogar
vom Spätmittelalter bis heute: Das ist einzigartig! In der
Ausbildung stehen daher alle diese Epochen gleichwertig nebeneinander und Konzertprogramme werden vom
jeweiligen Instrument nahezu „diktiert“. Sicher, auch in
der Orgelszene beobachtet man eine Tendenz zur Spezialisierung, meistens in Richtung Alter Musik… Aber
auf selbst auferlegte „Marken“ habe ich bisher immer
verzichtet, diese Buntheit ist mir viel zu wichtig. Ich bin
gerne Zeitreisender.
Sie stammen ursprünglich aus Vicenza,
Italien. Inwiefern hat der Umzug nach
Wien Ihr Leben verändert?
Der Umzug liegt schon sehr weit zurück, bald werde ich
die Hälfte meines Lebens nördlich der Alpen verbracht
haben. Und nach dem Studium in Wien habe ich ja sieben Jahre an der Musikhochschule Hannover gelehrt –
das hat den Italiener zusätzlich „verwässert“… Klar, ich
verdanke der Lebenserfahrung und Ausbildung im deutschen Sprachraum viel von dem, was heute mein künstlerisches Tun ausmacht; aber ohne italienische Wurzeln
wäre ich einfach nicht der, der ich bin.
BLURRED DISTINCTIONS
Pier Damiano Peretti is a composer, an organist,
and an instructor at the mdw. Peretti recently
received the Outstanding Artist Award for Music
(Composition) 2015 from the Austrian Federal
Chancellery in recognition of his achievements
to date.
Mr. Peretti, what significance does this award, previously
conferred on such prominent composers as Georg
Friedrich Haas and Friedrich Cerha, have for you?
I hardly dare compare myself with those two figures. But
I do think that giving it to me was a decision to recognise
how those composers who are making their way outside
of institutionalised contemporary music contexts also have
a right to exist. Even just the fact that the competition was
directed at supposedly “outdated” genres such as masses
and oratorios shows that they were thinking counter to the
stylistic cubbyholes that have become normal in recent times.
And what’s more, I share this award with the experimental
performer Pia Palme, who works in an aesthetic that’s entirely
different than my own. And I think that’s thoroughly in keeping
with the pluralism of our era.
The Outstanding Artist Award serves the
“recognition of prior achievements and direct support
of further artistic work”. To what extent does this
award actually provide you with support?
It’s above all moral support—after all, that’s what cultural
institutions are there for! At some point, if you’re not among
those very few who (are able to) live from composing, but
instead loaded down with work as a teacher and a musician,
you do wonder what sense it makes to compose. As a young
person, your creative activities arise from inner necessity, but
they really should gradually begin to address the world outside
… so today, my motto is this: as long as my music has some
kind of relevance not only for me, but also for others, it’s worth
it to keep on going. And awards like this one are a clear—and
indeed very necessary—signal.
Your award-winning work Mane nobiscum – Missa for the
Easter time was performed as part of a broadcast service
at St. Ursula. What difference do you perceive between the
composition of secular and of sacred music?
First, one needs to be clear on the term “sacred”. In his
Conférence de Notre-Dame, Olivier Messiaen drew a line—not
just for himself—between “liturgical” and “religious” music.
The first arises, today as well, from a clearly defined function
as part of the cultic act: duration, text selection, the forces
employed, and often even the aesthetic stance are governed
by predetermined parameters; these, in term, conform to
the listening expectations of a congregation that perceives
music as one element of an overall experience. So here, other
quality criteria apply than at a concert of [the contemporary
music festival] Wien Modern: by way of paraphrasing H.
H. Eggebrecht, you could say that such applied music is
evaluated according to the purposes that it’s intended to
serve. “Religious”, on the other hand, is the word Messiaen
uses to denote a purpose-free, autonomous piece of music
that is in the broadest sense open to transcendence—or put
differently: disassociates itself from the worldly and material in
favour of the spirit. I can think of a very diverse group of living
composers who are fond of addressing the spiritual, figures
like Arvo Pärt and Klaus Huber, or Wolfgang Rihm and Sofia
Gubaidulina. Some of them might refer to composing as “a
kind of worship service”, while others will repeatedly delve
deep into liturgical texts. But viewed this way, aren’t Bruckner
symphonies or Beethoven’s string quartet movement Sacred
Song of Thanks also spiritual music? The distinctions really
are quite blurry.
You’re a composer, a teacher, and a concert organist. What
challenges are involved in doing these different things?
First of all, you need decent time management ... but seriously:
38
PIER DAMIANO PERETTI
DAS PRÄMIERTE WERK MANE NOBISCUM – MISSA FÜR DIE OSTERZEIT WURDE IM RAHMEN EINES RUNDFUNKGOTTES-DIENSTES IN DER
MDW-EIGENEN KIRCHE ST. URSULA URAUFGEFÜHRT. © mollom
on paper, they’d seem to be clearly separate areas of activity,
but they aren’t. Because when I teach, I take apart what I had
been putting together just before as a composer; and when
I compose, as abstract a pursuit as that may be, I also allow
my instrumental know-how to play a role; after all, one source
of ideas is physical feasibility. And this, in turn, often comes
to mind when I teach … and on and on it goes. So it’s really
always the same thing that’s in view, just from different angles.
But my way of making music and “thinking” music is definitely
owed to the fact that I’m an organist.
What’s life like for a concert organist today?
On the surface, what stands out is the necessity of being able
to immediately adapt to the most diverse instruments, spaces,
and situations. When I scan this year’s calendar, there’s a bit
of everything there: from magnificent north German baroque
organs to new, high-tech instruments in Israel, and from the
Auditorio Nacional in Madrid to the Innsbruck’s Hofkirche,
with its organ that was built in 1588. And this diversity of
instruments and environments means that organists ideally
develop a kind of universalist approach that’s otherwise fairly
unusual among musicians. Our view of the repertoire ranges
far beyond the traditional classical-romantic core, really
from the late Middle Ages to the present, which is unique!
In our training, all of these eras stand alongside one another
equally, and concert programmes are more or less “dictated”
by the instruments to be played on. Sure, in the organ
scene, like elsewhere, one does observe a tendency towards
specialisation, mostly towards early music … but I’ve always
done without self-imposed “brands” because this range of
colour is far too important to me. I like travelling through time.
You’re originally from Vicenza, Italy. To what
extent has moving to Vienna changed your life?
It’s been quite a while since I moved here, and soon I’ll have
spent half my life north of the Alps. After studying in Vienna,
I spent seven years teaching at the University of Music in
Hannover—and that “watered down” the Italian in me even
more. So sure, lots of what I do artistically these days is thanks
to my life experience and training in the German-speaking
world, but without my Italian roots, I just wouldn’t be the
person I am.
Pier Damiano Peretti (geb. 1974) studierte zunächst Orgel und
Komposition am Conservatorio von Vicenza (I) und 1996 bis 2002
Orgelkonzertfach an der damaligen Hochschule für Musik und
darstellende Kunst Wien. 2002 bis 2009 war er Professor für Orgel
an der Hochschule für Musik und Theater Hannover, 2009 wurde
er als Nachfolger seines Lehrers Michael Radulescu an die mdw –
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien berufen. Der
mehrfache internationale Preisträger konzertierte in nahezu allen
Ländern Europas, in Fernost, Nordamerika und Israel. Dazu kommen Meisterklassen, Artikelpublikationen und weltweite Jurorentätigkeit. Sein kompositorisches Schaffen, vom Orgelsolostück bis zu
Kammer- und Vokalmusik für größere Besetzungen, ist meist von
spirituellen Inhalten geprägt. Ab 2015 werden ausgewählte Kompositionen beim Verlag Bärenreiter erscheinen.
Jurybegründung
"In Sprache, Instrumentation, Notation und insbesondere in der
Behandlung der menschlichen Stimme lotet Peretti mit Feingefühl für Aufführungspraxis den Raum zwischen älteren Techniken
und neuen, noch ungedachten Wegen aus ... Speziell mit dem von
ihm initiierten Studio für Neue Orgelmusik am Institut für Orgel,
Orgelforschung und Kirchenmusik der Universität für Musik und
darstellende Kunst Wien und mit seiner unermüdlichen Sorge um
zeitgenössische Musik, vor allem im Bereich Orgel (und Instrumente) leistet Peretti in Ergänzung zum eigenen kompositorischen
Schaffen einen wichtigen Beitrag für die österreichische Neue-Musik-Szene.” ( Jurybegründung, Auszug)
Pier Damiano Peretti (born in 1974) first studied organ and composition at
the Conservatori of Vicenza (I) and went on to study organ (performance)
at what was then the Academy of Music and Performing Arts Vienna
from 1996 to 2002. From 2002 to 2009, he was a professor of organ
at the Hannover University of Music, Drama and Media, and 2009 saw
him succeed his own former teacher Michael Radulescu at the mdw –
University of Music and Performing Arts Vienna. A winner of multiple
international prizes, Peretti has performed in nearly all countries in Europe,
as well as in the Far East, North America, and Israel; these activities are
joined by master classes, the publication of articles, and participation in
juries worldwide. His compositional output, from solo organ pieces to
chamber music and vocal works for large ensembles, is usually spiritual
in content; beginning this year, selected compositions by him will be
published by Bärenreiter.
Jury Opinion
“In language, instrumentation, notation, and especially in his treatment
of the human voice, Peretti—with a finely honed sense for performance
practice—explores the space between older techniques and new, yetunthought-of paths…. In particular with the Studio for New Organ Music
that he founded at the Department of Organ, Organ Research, and
Church Music at the University of Music and Performing Arts Vienna, and
particularly as pertains to the organ (and other instruments), Peretti goes
beyond mere compositional work to make an important contribution to the
Austrian contemporary music scene.” (jury opinion, excerpt)
M U S I C
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EleniKa
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EleniKa
Von
Wassernixen
und anderen
Geistern
AM DONNERSTAG, DEN 3. DEZEMBER UM 20.00 UHR, FINDET IM GLÄSERNEN SAAL DES WIENER
MUSIKVEREINS EIN KONZERT MIT KLAVIERWERKEN VON CHOPIN UND RAVEL STATT, DAS MUSIK UND
POESIE VERSCHMELZEN LÄSST.
TEXT:
JAN JIRACEK
VON ARNIM
40
I
m ersten Teil des Konzerts Von Wassernixen
und anderen Geistern werden drei Balladen
Chopins mit den 1822 erschienenen Balladen
und Romanzen des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz in Verbindung gebracht,
insbesondere mit der literarischen Ballade Die
Wassernixe von Switez. Im zweiten Teil des Konzerts kommen drei Sätze des
Gaspard de la nuit (etwa: Wächter der Nacht) zur Aufführung, die Ravel 1908 als drei Gedichte nach Aloysius
Bertrand komponiert hat. In der Partitur sind die entsprechenden Gedichte von Bertrand abgedruckt und
somit für die InterpretInnen eng mit dem Klavierwerk
verzahnt – doch in Aufführungen bleiben sie meist un-
gehört. Im Konzert am 3. Dezember werden alle Gedichte in deutscher Übersetzung sowie in ihrer Originalsprache rezitiert werden.
Chopin ist der erste Komponist, der instrumentale
Balladen geschrieben hat. Die literarische Gattung der
Ballade vereinigt laut Goethe „alle drei Grundarten
der Poesie“: das Epische, das Lyrische und das Dramatische. Dies ist auch in den Klavier-Balladen Chopins
zu finden: sie beginnen mit einer epischen Einleitung
und werden durch lyrische, liedhafte Elemente zu virtuosen, dramatischen Höhepunkten entwickelt, immer
wieder mit teils abrupten Stimmungsschwankungen.
So wandelt sich etwa in der Ballade op. 23 blitzschnell
M U S I C
der wehmütige, schlichte Charakter des Beginns zum
Zerstörerischen, Verzweifelten. „Eine seiner wildesten,
eigenthümlichsten Kompositionen“, schrieb Robert
Schumann über dieses Werk. ON WATER NYMPHS AND OTHER SPIRITS
On Thursday, 3 December 2015 at 8:00 pm, the
Vienna Musikverein’s Glass Hall will play host to
a concert of piano works by Chopin and Ravel in
which poetry and music unite to form a whole.
Frédéric Chopin – als Kind einer polnischen Mutter und
eines französischen Vaters in Polen geboren und teilweise in Deutschland erzogen – wird von Heinrich Heine als
„höchst merkwürdige Erscheinung“ porträtiert: „er hat
sich nämlich das Beste angeeignet, wodurch sich die drei
Völker auszeichnen: Polen gab ihm seinen chevaleresken
Sinn und seinen geschichtlichen Schmerz, Frankreich
gab ihm seine leichte Anmut, seine Grazie, Deutschland gab ihm romantischen Tiefsinn. Die Natur aber gab
ihm eine zierliche, schlanke, etwas schmächtige Gestalt,
das edelste Herz und das Genie ... Er ist alsdann weder
Pole noch Franzose noch Deutscher, er verrät einen weit
höheren Ursprung, man merkt alsdann, er stammt aus
dem Lande Mozarts, Raffaels, Goethes, sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie.“
In the first part of this concert, three ballades by Chopin will be
linked with the 1822 Ballads and Romances by Polish national
poet Adam Mickiewicz, particularly with the literary ballade The
Nymph of Lake Switez.
„Höre! Höre! Ich bin es, Ondine, die mit
diesen Wassertropfen die klingenden
Rauten deines von den trüben Strahlen des
Mondes beleuchteten Fensters streift…“
“Listen! Listen! It is I, Ondine, who with these drops of water brush
against the resonant glass panes of your window, Lit by the pale
rays of the moon…”
Die drei Sätze des Klavierwerks Gaspard de la nuit von
Maurice Ravel wurden als „zu Klang geronnene Alpträume“
bezeichnet – Ravel hat die obskuren und morbiden Gedanken der Gedichte (erschienen 1842 unter dem gleichnamigen Titel) von Aloysius Betrand (1807 bis 1841) geschätzt,
besonders wegen ihrer Eleganz und Raffinesse der Sprache.
In seinem Klavierwerk von 1908 überträgt er den Ausdrucksgehalt der Prosagedichte Bertrands in Klänge. Geht es im 1. Satz bei dicht aufeinander folgenden Arpeggien, die an perlende Regentropfen erinnern, noch
um den Besuch einer Wassernixe (Ondine), spürt man
in Le Gibet (Der Galgen) den Hauch des Todes – so
wird in nur 52 Takten 153 Mal der Ton B angeschlagen:
Dieser Ton symbolisiert die Glocke, die an den Mauern
der Stadt läutet, während die untergehende Sonne den
Leichnam des Gehängten rötet. Der letzte Satz, Scarbo,
handelt von einem boshaften Zwerg, der den Dichter im
Traum stört. Ravel wollte „eine Karikatur auf die Romantik“ schaffen. Das Werk gilt als eines der schwierigsten in der
Klavierliteratur.
The second part will feature the three movements of Gaspard
de la nuit (loosely translated: Treasurer of the Night), which
Ravel composed in 1908 as “three poems after Aloysius
Bertrand”. The corresponding poems by Bertrand, which are
included in the score, present themselves to pianists as being
closely linked with the musical work. In concert performances,
these poems typically go unheard. But at this concert, all three
poems will be recited in German translation as well as in their
original versions.
Chopin was the first composer to write instrumental ballads.
Goethe wrote that the literary genre of the ballad “unites all
three basic types of poetry”: the epic, the lyrical, and the
dramatic. This can also be said of the piano ballads by Chopin:
each begins with an epic introduction, which is followed by
lyrical, song-like elements that develop toward virtuosic,
dramatic climaxes, a process that includes repeated and
occasionally abrupt changes of mood. In Chopin’s Ballade
op. 23, for example, the simple and mournful character of the
beginning transforms lightning-fast into one that is destructive
and full of despair. “One of his wildest, most idiosyncratic
compositions”, wrote Robert Schumann of this work.
Frédéric Chopin—born in Poland to a Polish mother and a
French father and raised partly in Germany—was described by
Heinrich Heine as a “highly peculiar figure”: “He appropriated
the best things that respectively characterise these three
peoples: Poland gave him its sense of chivalry and historical
suffering, France gave him an airy charm and grace, and
Germany gave him romantic melancholy. Nature, however,
gave him a delicate, slender, somewhat frail figure, the most
noble of hearts and genius … He is then neither a Pole, nor
a Frenchman, nor German; he reveals a far loftier origin: one
soon realises that he comes from the land of Mozart, Raffael,
and Goethe—his true fatherland is the dream-realm of poetry.”
The three movements of the piano work Gaspard de la nuit
by Maurice Ravel have been called “nightmares curdled
into sound”; Ravel was taken with the obscure and morbid
thoughts contained in the corresponding poems (published
under the same title in 1842) by Aloysius Bertrand (1807–1841),
particularly on account of their elegance and refined language.
In his piano work of 1908, he transfers the expressive content
of these prose poems by Bertrand into sounds.
While the first movement, built upon a dense sequence of
arpeggios reminiscent of sparkling raindrops, is still about the
visit of a water nymph (Ondine), Le Gibet (The Gallows) already
has a whiff of death to it—with B-flat being struck 153 times
within a space of just 52 measures. This note symbolises the
bell tolling on the city walls as the setting sun casts its red
glow on the corpse of the hanged. The final movement, Scarbo,
is about an evil dwarf who disturbs the poet in his sleep.
Ravel intended to write “a caricature of romanticism”—and the
caricature he ended up creating is now viewed as one of the
most difficult works in the piano’s entire repertoire.
DONNERSTAG
3.12.
VON WASSERNIXEN
UND ANDEREN GEISTERN
20.00 UHR
GLÄSERNER SAAL,
MUSIKVEREIN WIEN
MUSIKVEREINSPLATZ 1
1010 WIEN
„Meine Ambition
ist es, mit Noten so
zu sprechen, wie es
der Poet mit Wörtern tut.“
MAURICE RAVEL
“My ambition is to say with
notes what a poet expresses
with words.”
41
dra
ma
44 Stefanie Reinsperger im Porträt
A portrait of Stefanie Reinsperger
48 Glaube, Liebe, Hoff nung
Faith, Hope and Charity
D R A M A
„Für
zwei, drei
Stunden
in einen
Menschen
hinein
schauen“
STEFANIE REINSPERGER
© www.lupispuma.com / Volksthea ter
44
D R A M A
DIE 1988 GEBORENE SCHAUSPIELERIN STEFANIE REINSPERGER WAR NACH IHRER AUSBILDUNG AM
MAX REINHARDT SEMINAR BEREITS BURGSCHAUSPIELERIN – NUN IST SIE ENSEMBLEMITGLIED AM
G
WIENER VOLKSTHEATER UNTER ANNA BADORA UND FRISCH GEKÜRTE SCHAUSPIELERIN DES JAHRES.
espielt hat Stefanie Reinsperger
schon immer. Das war schon
als Kind so, wie die 1988 in Baden bei Wien geborene Schauspielerin erzählt. Fernsehen
durften die beiden Reinsperger-Töchter (sie hat noch eine
Schwester) nur am Sonntag, ansonsten wurde gemeinsam gespielt. „Das war nicht aus irgendeiner Ideologie
heraus. Meine Eltern haben einfach gesagt: wir haben
einen Garten, wir haben Spielzeug, ihr habt einander
– macht was draus!“ Das Repertoire war schon damals
groß: mal kamen Märchen auf den Spielplan, die mit
Barbie-Puppen inszeniert wurden, oft waren es auch
die Geschichten, die am Vorabend vorgelesen worden
waren. Schon damals interessierte sie sich mehr für
Charaktere als für Verkleidung und Tand: „Die Prinzessin wollte ich nie spielen. Ich wollte immer ein armes
Mädchen sein – das fand ich viel spannender.“ In London, wo Stefanie Reinsperger mit ihrer Familie lebte,
ging sie bald in eine Kindertheatergruppe, nachdem
die Familie nach Wien zurückgekehrt war, spielte sie im
Theater der Jugend. Um sich schließlich die entscheidende Frage zu stellen: Wie wird man das eigentlich,
Schauspielerin? Das Vorsprechen an der Ernst-BuschSchule verlief enttäuschend, in der Endrunde schied
sie aus. „Das hat mich sehr ernüchtert, danach wollte
ich eigentlich nicht mehr.“ Es brauchte einen Schubser
von der Mutter, einen letzten Versuch, der sie schließlich doch zur Schauspielerin machen sollte: Sie sprach
am Konservatorium und am Max Reinhardt Seminar
an der mdw vor, wäre an beiden Schulen aufgenommen worden und entschied sich für das Max Reinhardt
Seminar. Bereut hat sie es nicht: „Das war für mich die
beste Schule, die mir hätte passieren können. Ich hatte
dort das Gefühl, erst einmal so angenommen zu wer-
den, wie ich bin. Mir wurde zwar durchaus bewusst gemacht, was da alles nicht ist – aber ohne etwas aus mir
herauszwingen zu wollen. Vielmehr wurde sehr liebevoll
versucht, diese Seiten hervorzukehren. Ich habe mich
dort sehr wohl und geborgen gefühlt.“
Seither hat Steffi Reinsperger eine beachtliche Karriere
hingelegt: Bevor sie zu Anna Badora ans Volkstheater
wechselte (eine „Bauchentscheidung“, wie sie sagt), war
sie Burgschauspielerin und spielte dort in so erfolgreichen Produktionen wie Die lächerliche Finsternis unter
der Regie von Dušan David Pařízek, die heuer auch als
beste deutschsprachige Aufführung für den Nestroy
nominiert ist. Und schließlich wurde sie im Sommer
2015 in der alljährlichen Theater heute-Kritikerumfrage
sowohl zur Schauspielerin als auch zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gekürt. Gefreut hat sie sich darüber sehr – trotzdem „geht es ja weiter. Ich probe wieder,
der Job hört ja jetzt nicht auf.“
Es geht ihr bei diesem Beruf auch um mehr, als nur um
den Ruhm. Für sie hat Theater immer auch mit Verantwortung zu tun: „Wir gehen auf die Bühne und tun oder
sagen Sachen in aller Öffentlichkeit, die sich die Leute
vielleicht selbst nicht zu tun oder zu sagen trauen, von denen sie vielleicht auch nicht genau wissen, wie sie sie formulieren können oder sollen. Dafür sind wir da. Das muss
auch so sein. Sonst würde ich mir die Frage stellen: Wieso
gehen wir da hinaus?“ Geht es ihr also um ein Weltverändern, ein Weltverbessern? „Ja, im besten Fall. Und ich
glaube total daran, dass Theater das kann. Für mich muss
es das, sonst kann ich diese Arbeit gar nicht machen.“
Zum einen Teil speist sich die Arbeit (und auch die Faszination) der Schauspielerin Stefanie Reinsperger wohl aus
diesem politischen Anspruch, diesem Ernst-Nehmen.
TEXT:
ANDREA HEINZ,
VOLKSTHEATER
Der Artikel ist in
einer früheren Version
bereits im Magazin
des Volkstheaters Wien
erschienen www.volks
theater.at/magazin
45
D R A M A
Die andere Hälfte ist die Lust am Spiel, die Freude am
Facettenreichtum des menschlichen Seins und Scheinen. Tatsächlich kann man ja überall dort, wo Menschen
zusammenleben, Rollen entdecken, die es zu spielen
gäbe. Stefanie Reinsperger etwa hat die Vienna Business
School besucht und erzählt: „Wenn ich BWL- oder Management-Präsentationen machen musste, dann habe
ich sie gespielt. Die ersten Jahre habe ich Ferialjobs in
Firmen oder Banken gemacht, das war dann auch eine
Rolle, die ich sechs Wochen lang gespielt habe.“ Wobei
es hier nicht darum geht, vorzugeben, jemand zu sein –
sondern vielmehr darum, bestimmte Verhaltens- oder
Sprechweisen im Reservoir der eigenen Persönlichkeit
zu entdecken und zu bergen. Es geht ihr aber nicht nur um das pure Entdecken – sondern auch um eine Freiheit, die es im „echten Leben“
wohl niemals geben wird. „Man darf hier alles sein,
was man ist. Man kann viel mehr sein als im Leben.“
Dort nämlich versucht jeder, die Rolle seines Gegenübers möglichst genau zu definieren: Ist das ein lustiger
Mensch? Ein jähzorniger? Menschen müssen das wohl
tun, um halbwegs reibungsfrei miteinander leben zu
können. Der einzelne landet so natürlich schnell in einer Schublade, in die er eigentlich gar nicht gehört. So
gesehen, versteht man, wieso Stefanie Reinsperger sagt,
sie sei auf der Bühne viel geschützter, freier. „Es ist ein
Spielplatz. Ich meine damit nicht, dass man Theater als
Selbsttherapie begreift, nach dem Motto: ‚Weil es mir
scheiße geht, muss ich auf der Bühne auch so sein.‘ Aber
man lässt auf der Bühne einfach Sachen raus, die sonst
vielleicht nirgends hin können. Wenn ich länger nicht
probe, werde ich wahnsinnig unausgeglichen. Mir fehlt
dann etwas: eine Art von Streitlust, eine Sehnsucht,
Hass, Liebe … – eben alles, was auf der Bühne Platz hat
und im Leben nicht. Oder nur in einer sehr gedrosselten
Version.“
Wenn man es herunterbrechen wollte, müsste man wohl
sagen: Stefanie Reinsperger interessiert sich für das
Mensch-Sein. Sie schwärmt von jenen SchauspielerInnen, die sich auf der Bühne wirklich ausliefern: „Ich finde
es am spannendsten, wenn ich für zwei, drei Stunden in
einen Menschen hineinschauen darf.“ Das ist es auch,
was ihr Spiel ausmacht: Sei es Henrik Ibsens und Elfriede Jelineks Nora, die sie spielt oder die Hilga in Fasching –
sie lässt einen in diese Menschen hinein schauen. Auf
dass man die Welt vielleicht ein wenig anders sieht, wenn
man das Theater danach verlässt. 46
“LOOKING INTO A PERSON
FOR TWO, THREE HOURS”
The actress Stefanie Reinsperger, born in 1988,
was already a member of the Burgtheater’s ensemble upon her graduation from the Max Reinhardt
Seminar—and now she’s an ensemble member at
the Vienna Volkstheater under Anna Badora, not to
mention the freshly crowned Actress of the Year.
Stefanie Reinsperger has always acted—even as a child, recalls
the actress, who was born in the town of Baden (just south of
Vienna) in 1988. She and her sister were only allowed to watch
TV on Sundays, and they spent the rest of their time playing
together. “That wasn’t owed to any particular child-raising
ideology. My parents just said, we’ve got a garden, we’ve got
toys, and you have each other, so make something out of it!”
Even back then, the repertoire was broad: sometimes they’d
act out fairly tales with Barbie dolls, and often, it was whatever
stories had been read to them the evening before. From the
very beginning, she was more interested in characters than
in costumes or props: “I never wanted to play the princess.
I always wanted to be some poor girl—that was more
interesting.” In London, where Reinsperger’s family lived for
a while, she soon joined a children’s theatre group. After their
return to Vienna, she performed at the youth venue Theater der
Jugend. And one day, she posed herself the crucial question:
How does one actually go about becoming an actress?
Her subsequent audition at the Ernst Busch Academy went
disappointingly; she was passed over in the final round. “That
was a sobering experience that left me with no real desire to
keep on trying.” She needed a push from her mother to make
a final attempt that, ultimately, did enable her to become an
actress: she auditioned at Konservatorium Wien University and
at the mdw’s Max Reinhardt Seminar, was accepted to both
institutions, and decided in favour of the latter. It’s a decision
she’s never regretted: “It was the best school that could have
happened to me. I had the feeling there that they first of all just
accepted me as I was. They absolutely did make me conscious
of what all wasn’t there yet—but without trying to force
anything. Instead, they worked very gently to bring out those
sides of me. I felt very good and safe there.”
Since then, Steffi Reinsperger has built an impressive career
for herself: before she joined Anna Badora at the Volkstheater
(a “gut decision”, she says), she was an ensemble member at
the Burgtheater and acted in such successful productions as
Die lächerliche Finsternis under the direction of Dušan David
Pa�ízek, which was nominated for a Nestroy Award this year
as the best German-language production. And finally, summer
2015 saw her named both Actress and Young Actress of the
Year in the annual critics’ survey of the publication Theater
heute. Despite being very happy about all this, “Life goes on.
I’m back to rehearsing; my work is anything but over.”
D R A M A
For her, this profession is about more than just fame. She
says that, always, theatre is also about responsibility: “We go
out onstage and do or say things in public that people might
not have the courage to do or say, or that they might not
even know how they could or should formulate. That’s what
we’re there for. And that’s how it has to be. Otherwise, I’d ask
myself why we’re going out there.” So is this about changing
or improving the world as well? “Yes, in the best case. And
I absolutely do believe that theatre can do that. For me, in
fact, it has to; otherwise, I can’t do this work at all.” And in
part, the work (and the fascination) of the actress Stefanie
Reinsperger is surely also derived from this political interest,
this seriousness.
each other without an unmanageable amount of friction. And
naturally, individuals end up landing in cubby-holes where they
don’t really belong. So viewed this way, one understands why
Stefanie Reinsperger says that she feels far more protected
and far freer onstage. “It’s a playground. By that I don’t mean
defining theatre as self-therapy, as in: ‘Because I feel like shit,
I’ve got to be that way onstage, too.’ But even so, you really
do unleash things onstage that wouldn’t otherwise have had
any place to go. If I haven’t rehearsed anything for a while, I
get quite jittery. Because I’m missing something: some kind
of argumentativeness, yearning, hate, love … everything that
there’s room for on a stage but not in life. Or only in very
subdued form.”
The other part is the joy to be had from acting and from the
multifaceted nature of human-being and human-seeming. After
all, one really can discover possible roles in every place where
people live together. For her part, Stefanie Reinsperger also
attended the Vienna Business School, and she remembers:
“When I had to do presentations on business administration
topics, I slipped into the appropriate roles. And the first few
years, I had summer jobs at private companies or banks—
those were likewise roles that I played for six weeks or
so.” Although the point here isn’t to pretend to actually be
someone; it’s more about discovering and eliciting certain
ways of behaving and speaking that are already present in the
reservoir of one’s own personality.
If you wanted to break it down to the essence, you’d probably
have to say: Stefanie Reinsperger is interested in what it
means to be human. She enthuses about those actors and
actresses who truly give themselves over to what’s going on
onstage: “I think it’s most exciting when I can look right into a
person for two, three hours.” And that’s also what makes her
performing what it is: be it Henrik Ibsen’s and Elfriede Jelinek’s
Nora, or Hilga in Fasching—she lets the audience peer
inside these people. So that one might view the world just a
bit differently upon leaving the theatre afterwards.
But it’s not just about discovery for her—it’s also about a
freedom that one will probably never have in “real life”. “Here,
you can be anything that you are. And that’s much more than
you can afford to be in real life.” Because there, everyone
tries to define the roles of their counterparts in the most exact
way possible: Is this a funny person? A hot-tempered one?
People probably have to do that in order to get along with
SZENENFOTO NORA³ VON HENRIK IBSEN /
ˇ
ELFRIEDE JELINEK, REGIE: DUŠAN DAVID PARÍZEK
© www.lupispuma.com/ Volksthea ter
47
D R A M A
Glaube,
Liebe,
Hoffnung
JE GRÖSSER ANDERSWO DAS ELEND IST, UM SO VIEL GRÖSSER MUSS
IN ASTORIA DIE SELIGKEIT SEIN. AUTOMATISCH. WEIL SONST GLEICHERT
SICH‘S NIE AUS AUF DER WELT. (ASTORIA VON JURA SOYFER, 1937)
DONNERSTAG
17.12.
ASTORIA (PREMIERE)
von Jura Soyfer
Musik von Jimmy Berg
Regie: Felix Hafner
19.30 UHR
NEUE STUDIOBÜHNE
PENZINGER STRASSE 7-9
1140 WIEN
WEITERE VORSTELLUNGEN:
18.12., 8. / 9.1.2016
D
as Max Reinhardt Seminar zeigt im
Studienjahr 2015/16 – neben den
fortlaufenden Kooperationen mit
den großen Theaterhäusern Wiens
– drei spannende Diplominszenierungen. Den Anfang machte bereits
im Oktober Die Heirat (1841) von
Nikolai Gogol in der Regie von Evgeny Titov. In der Hauptrolle war erstmals Mercy Dorcas Otieno auf der Neuen
Studiobühne des Max Reinhardt Seminars zu sehen.
TEXT:
SUSANNE
FERNANDES
SILVA
48
Am 17. Dezember erwartet Sie die Premiere von Astoria
(1937) von Jura Soyfer auf der Neuen Studiobühne des
Max Reinhardt Seminars. Felix Hafner wagt in seiner
Diplominszenierung die rare Unternehmung, die handschriftliche Originalnotation des vergessenen Exil-Komponisten Jimmy Berg musikalisch umzusetzen. In Soyfers Stück sind die Lieder der Armen und Obdachlosen
das Sprachrohr gegen ein ungerechtes und ausbeuterisches System. Das Werk handelt von der Behauptung des
Vagabunden Hupka, dass es ein Land gäbe – Astoria –
in dem niemand hungern oder auf der Straße schlafen
muss. Während die Reichen exzessive Partys feiern, klopfen die Armen an die Tore der astorischen Botschaft. Sie
alle wollen in dieses Land einreisen. Astoria ist zur Zeit
des Austrofaschismus und der Bedrohung durch den Nationalsozialismus entstanden. Felix Hafner wird in seiner
Inszenierung den Bezug zu aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnissen herausarbeiten.
Nach den Weihnachtsferien setzt das Max Reinhardt
Seminar am 27. Jänner 2016 die Serie der Diplominszenierungen mit David Stöhrs Bearbeitung von Ödön von
Horváths Glaube Liebe Hoffnung fort, ebenfalls auf der
Neuen Studiobühne. In Glaube Liebe Hoffnung (1932)
schildert Horváth den realen Fall einer Korsettvertreterin: die zunehmende soziale Isolation einer jungen,
tatkräftigen Frau, die an den Verhältnissen und an der
Gesellschaft scheitert. Horváths Totentanz beschreibt
den ewigen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft als einen Abgrund, der sich zwischen Leben und
Tod auftut und sich in den Begegnungen seiner Figuren
spiegelt. David Stöhr zu seiner Inszenierung: „Glaube
Liebe Hoffnung soll ein Tanz sein, der sich zwischen den
unermesslichen Tiefen des unbewussten Seelenlebens
und der unerklärlichen Leichtigkeit, Nachlässigkeit, Unbeholfenheit und Oberflächlichkeit, die Menschen in
ihren Begegnungen erleben, bewegt.“
D R A M A
FAITH, HOPE AND CHARITY
The greater the suffering elsewhere, the happier
things must be in Astoria. Automatically. Because
otherwise, there’d be no balance in the world.
(from Jura Soyfer’s Astoria, 1937)
In addition to the ongoing partnerships with the major theatres
in Vienna, the 2015/16 academic year at the Max Reinhardt
Seminar will feature three interesting diploma productions.
The beginning has already been made with Marriage (1841)
by Nikolai Gogol under the direction of Evgeny Titov, featuring
Mercy Dorcas Otieno in her debut at the Max Reinhardt
Seminar’s Neue Studiobühne.
17 December will mark the première of Astoria (1937) by
Jura Soyfer at the Neue Studiobühne. In this, his diploma
production, director Felix Hafner will dare to make a rare
attempt at realisation of the original handwritten musical
notation by the forgotten exiled composer Jimmy Berg. In
Soyfer’s play, the songs of the poor and homeless act as a
megaphone directed at an unjust and exploitative system. The
overall work revolves around the claim of the vagabond Hupka
that there exists a country—Astoria—where nobody has to
go hungry or sleep on the street. So while the rich celebrate
excessive parties, the poor pound on the doors of the Astorian
Embassy, all demanding admission to this legendary country.
Astoria was written during the Austro-fascist period, with the
threat of National Socialism looming up on the horizon. And in
his production, Felix Hafner will be drawing parallels to certain
aspects of the present-day socio-political situation.
Following Christmas break, the Max Reinhardt Seminar will
continue its series of diploma productions on 27 January
2016 with David Stöhr’s take on Glaube, Liebe, Hoffnung
(Faith, Love and Charity) by Ödön von Horváth, likewise
at the Neue Studiobühne. In this work from 1932, Horváth
relates the real-life case of a corset saleswoman: one sees a
young, go-getting individual’s increasing social isolation as
she is crushed by prevailing conditions and society at large.
Horváth’s dance of death describes the eternal battle between
the individual and society as a chasm that opens up between
life and death, a chasm that is reflected in the encounters
between his characters. David Stöhr on his production:
“Glaube Liebe Hoffnung should be a dance that moves
between the unfathomable depths of the soul’s unconscious
life and the inexplicable glibness, negligence, clumsiness, and
superficiality that human beings experience in their encounters
with one another.”
MITTWOCH
27.1.
GLAUBE LIEBE HOFFNUNG
(PREMIERE)
von Ödön von Horváth
Regie: David Stöhr
19.30 UHR
NEUE STUDIOBÜHNE
PENZINGER STRASSE 7-9
1140 WIEN
WEITERE VORSTELLUNGEN:
28., 29., 30.1.2016
NEUE STUDIOBÜHNE
© mollom
49
fil
m
52 Alles wird gut –
Patrick Vollrath im Porträt
Everything will be okay –
A p ortrait of Patrick Vollrath
F I L M
Alles
wird
gut
STUDENTENOSCAR-PREISTRÄGER
PATRICK VOLLRATH IM PORTRÄT.
FILMSTILL AUS ALLES WIRD GUT © Pa trick Vollrath
TEXT:
DORIS
PILLER
52
M
it seinem Film Alles wird gut
hat Patrick Vollrath Filmakademie-Geschichte geschrieben: Im September 2015
wurde ihm von der Academy of Motion Pictures Arts
and Sciences der Studentenoscar verliehen – der Höhepunkt eines erfolgreichen
Jahres für den 30-jährigen Deutschen, dessen Spielfilm
über einen Vater, der seine Tochter entführen will, eine
ganze Reihe wichtiger Preise einheimsen konnte. „Zu
Beginn war es fast ein wenig überfordernd“, beschreibt
Patrick Vollrath das Gefühl einen so preisgekrönten
Film gemacht zu haben, „doch es ist auch sehr motivierend und lässt einen an sich selbst glauben.“ Gemacht
habe er den Film jedoch nicht, um Preise zu gewinnen,
sondern weil ihn die Geschichte berührt habe, schildert er. „Ich wollte diese Geschichte gerne erzählen,
mit den Schauspielern arbeiten und etwas kreieren, was
Menschen emotional berühren kann.“
DER WEG ZUM REGISSEUR
Alles wird gut ist nicht der erste erfolgreiche Film von
Patrick Vollrath, der sein Studium an der Filmakademie
2015 abgeschlossen hat. Auch seine Kurzfilme Die Jacke (2014) und Ketchup Kid (2013) sind mit internationalen Preisen ausgezeichnet worden. Dabei ist der
Filmemacher erst über einen kurzen Umweg zur Regie
gekommen. Nach einer Ausbildung in München war er
zuerst als Cutter beim Film tätig. Ab 2008 studierte er an
der Filmakademie Wien bei Michael Haneke, um das zu
tun, was er eigentlich immer im Sinn gehabt hatte – Filme
zu machen. „Nachdem ich als Teenager Titanic im Kino
gesehen hatte, wollte ich Schauspieler werden. Doch alles entwickelte sich dann Richtung Regie. Von meinem
Gehalt aus dem Ferienjob habe ich mir meine erste Filmkamera gekauft, kleine Filme gedreht und dabei auch den
Schnitt entdeckt“, erzählt Patrick Vollrath. Heute vereint
er alle seine Fähigkeiten in seinem Filmen: Er führt Regie,
schreibt die Drehbücher, manchmal – wie im Falle von
Alles wird gut – schneidet er den Film auch selbst und er
liebt die Arbeit mit seinen SchauspielerInnen.
EHRLICHKEIT
Für die Zukunft wünscht sich Patrick Vollrath, weiter als
Regisseur arbeiten und von seiner Kunst leben zu können. Auch das Weiterentwickeln seiner eigenen filmischen Handschrift gehört zu seinen Zielen. Ein wichtiger
Teil dieser Handschrift ist es schon jetzt, dass er ehrliche
Filme machen will: Filme, in denen er Geschichten erzählt in einer Art, die glaubwürdig ist: „Es gibt gespielte
Gefühle und echte Gefühle, und ich möchte gerne die
echten Gefühle haben.“ Selbst wenn eine Fantasiefigur
wie ein Drache in einem Film vorkomme, solle das Gefühl, das die Menschen zu diesem Drachen entwickeln,
die Welt, die um ihn herum geschaffen werde, echt sein,
erklärt er. Diese Ehrlichkeit möchte er auch im nächsten
Projekt, seinem ersten Langfilm, umsetzen – vorausgesetzt, die Finanzierung klappt. „Hier kann es helfen, dass
Alles wird gut sehr erfolgreich war“, sagt er.
ZUR ZUKUNFT DES FILMS
Um die Zukunft des Films selbst macht sich der junge Regisseur keine Sorgen. „Selbst wenn die Medien,
die Filme beziehungsweise bewegte Bilder zeigen, sich
verändern, werden die Menschen wohl immer gerne
filmisch erzählte Geschichten sehen wollen“, so Patrick
Vollrath. Als Filmemacher müsse man auf die Veränderungen in der Medienlandschaft Rücksicht nehmen,
sich darüber Gedanken machen, welche Formate gezeigt
werden, was die ZuschauerInnen sehen wollen. „Doch
selbst wenn wir in Zukunft die Filme auf dem Handy, in
einer Brille oder Uhr sehen werden, das Bedürfnis der
Menschen nach Geschichten bleibt gleich.“
EVERYTHING WILL BE OKAY
A portrait of Student Academy Award
winner Patrick Vollrath
ALLES
WIRD GUT
With his film Alles wird gut (Everything Will Be Okay), Patrick
Vollrath made Filmakademie history. In September 2015, the
Academy of Motion Pictures Arts and Sciences awarded him
a Student Oscar. This represents the highlight of a year that’s
been successful indeed for the 30-year-old German, whose
feature film about a father who intends to kidnap his daughter
managed to claim a whole series of important awards. “At first,
it was almost too much to take,” says Vollrath on the feeling
of having a film he’s made heaped with so many honours,
“but it’s also very motivating and makes it easier to believe in
yourself.” He says that he made the movie not to win awards,
but because he found the story moving: “I just really wanted to
tell this story, to work with the actors and actresses to create
something that can touch people emotionally.”
Ein Wochenend-Vater
holt seine achtjährige
Tochter Lea ab. Es ist
eigentlich alles wie
immer. Doch nach und
nach beschleicht sie
das Gefühl, dass
diesmal irgendwas
nicht stimmt, und es
beginnt eine verhängnisvolle Reise.
Becoming a Director
Alles wird gut isn’t the first successful film by Patrick Vollrath,
who graduated from the Filmakademie in 2015. His short
films Die Jacke (The Jacket, 2014) and Ketchup Kid (2013)
also won international awards. All this notwithstanding, it was
only after a short detour that the filmmaker actually came to
filmmaking. Following a course of training in Munich, his first
jobs in film were as a editor. Then, in 2008, he began studying
at Filmakademie Wien in under Michael Haneke in order to
do what he’d really always wanted: make movies. “After
having seen Titanic at the cinema as a teenager, I wanted to
become an actor. But then, everything kind of shifted towards
directing. So I bought my first film camera with the money I’d
earned from a summer job, and it was by making little films
with it that I discovered editing,” Vollrath recalls. Today, his
films unite all of his abilities: he directs, writes the screenplays,
and sometimes—as was the case in Alles wird gut—even
edits the films himself; what’s more, he loves working with
actors and actresses.
REGIE / DREHBUCH /
SCHNITT / PRODUKTION
Patrick Vollrath
KAMERA
Sebastian Thaler
DARSTELLERiNNEN
Simon Schwarz,
Julia Pointner, Marion
Rottenhofer, Daniel
Keberle u.a.
Genuineness
In the future, Patrick Vollrath hopes to continue working as
a director and to be able to live from his art, with the further
development of his own cinematic handwriting being another
major goal. An important element of said handwriting thus far
has been the fact that he wants to make honest films: films
that allow him to tell a story so as to be credible. “There are
feelings that feel acted and feelings that feel genuine, and what
I want are the genuine-feeling ones.” So even if a film contains
a fantasy character like a dragon, he says, the feelings that
human beings develop for this dragon and the world that’s
created around it need to feel genuine. And this genuineness is
something he’d also like to build into his next project, his first
evening-filling work—if he can get it financed, that is.
“And here, the fact that Alles wird gut was so successful
might help,” he says.
On the Future of Film
The young director has few worries about film’s future. “Even
if the media that show motion pictures are changing, human
beings will probably always like seeing stories told in a filmic
format,” says Patrick Vollrath. He adds that, as a filmmaker,
one has to take into account changes in the media world and
think about what formats are receiving play, what viewers want
to see. “But even if we’ll someday be watching films on our
phones, in a pair of glasses, or on a wristwatch, people’s need
to be told stories will remain the same.”
53
54
res
ear
ch
56 Ein Grund zu feiern – Michaela Hahn im Interview
A Reason to celebrate – Interview with Michaela Hahn
60 Gender goes Musik * Theater * Film
Gender Goes Music * Theatre * Film
62 Rethinking Belcanto
Rethinking Belcanto
64 Transfer und Transformation
Transfer and Transformation
© Olschinsky
R E S E A R C H
Ein
Grund
zu feiern
ANLÄSSLICH DES 40. JUBILÄUMS WÜRDIGT MICHAELA HAHN, LEITERIN DES MUSIKSCHULMANAGEMENTS NIEDERÖSTERREICH UND LEHRGANGS-ABSOLVENTIN, DIE VIELSCHICHTIGEN TÄTIGKEITEN DES
F
INSTITUTS FÜR KULTURMANAGEMENT UND KULTURWISSENSCHAFT.
INTERVIEW:
SUSANNE
GRADL
56
rau Hahn, das Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft –
kurz IKM – feiert heuer sein 40-jähriges Bestehen. Was verbinden Sie
persönlich mit diesem Institut?
Das IKM hat mir persönlich den Weg
zu dem Arbeitsfeld eröffnet, in dem
ich nun seit mehr als 15 Jahren tätig sein darf. Schon dadurch habe ich zu diesem Institut eine ganz besondere
Verbindung. Ich habe fast meine gesamte berufliche
Ausbildung an der mdw erhalten – zunächst das frühere
B1 Studium, das ich teilweise während meiner Zeit im
Musikgymnasium Neustiftgasse absolviert habe, und
dann mein IGP2 Studium (Hauptfach Klavier). Im Hinblick auf meine musikalisch-künstlerische Ausbildung
hat das Studium kaum Wünsche offen gelassen. Mich
interessierten aber damals wie heute noch viele weitere
Themen, wie organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen, kulturpolitische Zusammenhänge und
auch der Kulturjournalismus hat mich viele Jahre gereizt.
Diese Themen habe ich dann im IKM behandelt gefunden und Anfang der 90-er Jahre den damaligen Lehrgang
besucht. Während dieser Zeit hat sich meine Affinität
zu Zahlen und Statistiken intensiviert und so durfte ich
kurz darauf als externe Beauftragte die Evaluierung des
niederösterreichischen Musikschulwesens für das Amt
der NÖ Landesregierung übernehmen. Diesem Bereich
bin ich dann auch bis heute treu geblieben.
Der Kontakt zum IKM ist aber nie abgerissen und hat
sich nicht nur aufgrund meiner Dissertation in den
letzten Jahren noch intensiviert. Ich halte es für sehr
wesentlich, dass das Institut Personen aus der Praxis zur
Forschung motiviert. Und da ich viel von Vorbildwirkungen halte, habe ich mich selbst auch dazu entschlossen, meine Arbeit über die Organisation Musikschule
zu verfassen.
In Kooperation mit dem IKM haben wir als Musikschulmanagement Niederösterreich vor zwei Jahren gemeinsam die Reihe „Beiträge zur Musikschulforschung“ ins
Leben gerufen, in der Arbeiten, die sich mit dem Thema
Musikschule als Organisation beschäftigen, publiziert
werden. Mir ist durchaus bewusst, dass die Musikschulforschung noch einen langen Weg vor sich hat, aber es
ist schön, dass mit den bestehenden und geplanten
Forschungsvorhaben wichtige Schritte gesetzt werden.
Wo sehen Sie die Herausforderungen für
junge KulturmanagerInnen heutzutage?
Kulturmanagement war und ist immer eine Herausforderung. Das liegt schon in der Sache selbst begründet. Als KulturmanagerIn wechselt man ständig
zwischen verschiedenen Welten und ist nur dann
erfolgreich, wenn man Verständnis für das jeweils
„andere“ wecken kann. Das bedeutet in erster Linie
viel Übersetzungsarbeit und als Voraussetzung dafür
sensibles Zuhören können. Und es bringt einen auch
R E S E A R C H
immer wieder an die eigenen Grenzen – das ist das
Spannende und Herausfordernde in der Tätigkeit.
Ich kann in erster Linie für das Musikschulwesen sprechen, den Bereich, in dem ich seit rund 25 Jahren tätig bin.
Auch hier gibt es einen großen Bedarf an Kulturmanagementkompetenz. Die gesellschaftlichen Entwicklungen
sind auch an der Musikschule spürbar. Als MusikschulpädagogIn muss man seinen eigenen Arbeitsplatz schaffen und erhalten – im Gegensatz zum Regelschulwesen.
Musikschulen müssen den persönlichen und gesellschaftlichen Wert ihrer künstlerischen Ausbildung stetig nachweisen und argumentieren, durchaus auch in Konkurrenz
zu unterschiedlichen Freizeitbeschäftigungen.
Neben musikalisch-künstlerischer und pädagogischer
Kompetenz brauchen wir daher vor allem auch Lehrende,
die in der Gestaltung der öffentlichen Konzerte Musikvermittlungskompetenzen einbringen, die in der Arbeit mit
Orchestern und Ensembles organisatorische und Führungskompetenzen beweisen und die durch ihre Persönlichkeit und ihre Kommunikation dazu beitragen, dass die
Arbeit der Musikschulen in der Öffentlichkeit den Stellenwert und auch die Wertschätzung erhält, die ihr zusteht.
Inwiefern geht das IKM auf diese Punkte ein?
Die größte Herausforderung für alle Universitätsinstitute
ist sicher die Bewährung ihrer Studierenden in der Praxis. Die Liste der Lehrenden am IKM zeugt von hoher
Qualität in Theorie und Praxis. Und wie bereits gesagt
motiviert das IKM, insbesondere Franz-Otto Hofecker,
auch immer wieder Personen, ihre Praxiserfahrungen in
Forschungsvorhaben zu erweitern und vertiefen. Durch
diese institutionalisierte Zusammenarbeit mit aktiven
KulturmanagerInnen und den damit verbundenen Möglichkeiten, Theorie und Praxis schon im Studium zu verbinden, ergeben sich für Studierende Einblicke und Erkenntnisse, die ihren weiteren Weg prägen können. Die
Liste der AbsolventInnen des IKM auf der Homepage
spricht hier eigentlich für sich!
Auch bei mir im Musikschulmanagement sind immer
wieder IKM AbsolventInnen tätig – derzeit sind es drei
Mitarbeiterinnen. Ich schätze die strukturierte Sichtweise auf unterschiedliche Kulturbereiche sehr, die auch am
IKM entwickelt wird. Die Erfahrung zeigt, dass in erster
Linie Menschen mit persönlichem Interesse am Kulturbereich – bei uns insbesondere am Musikschulwesen –
erfolgreich bei uns tätig sind. In meinem Team ist es mir
wichtig, unterschiedliche Hintergründe bzw. Werdegänge und damit vielfältige Sichtweisen zu integrieren.
Dadurch werden „blinde Flecken“ und auch die Gefahr
vieler guter Teams vermieden, nämlich sich selbst immer
wieder zu bestätigen und damit mittelfristig wichtige
Tendenzen und Entwicklungen von außen zu vernachlässigen. Ein buntes Team ist zwar in der Führung herausfordernder, aber jede dafür aufgewendete Anstrengung wert. So sind meine MitarbeiterInnen für mich
persönlich tagtäglich auch eine Quelle kreativer Ideen.
Seit diesem Jahr sind Sie selbst als Lehrende
am IKM tätig. Was unterrichten Sie und was
ist Ihre Motivation dahinter?
Ich unterrichte das Seminar Kulturbetriebslehre – Steuerung von Musikschulen. Es ist mir ein großes Anliegen,
mein Wissen und meine Erfahrungen im Musikschulwesen weiterzugeben, damit interessierte Studierende
mit einem Wissensvorsprung in die Berufspraxis starten
können. Der Kulturbetrieb Musikschule hat durchaus
eine Sonderstellung, nicht nur am IKM. Als Organisation, die sowohl Schule als auch Kulturbetrieb ist, sind die
Rahmenbedingungen nicht immer eindeutig geregelt
und so haben sich z.B. die Strukturen in den Bundesländern auch unterschiedlich entwickelt.
Meiner Meinung nach ist es immer wichtig, das System
dahinter zu verstehen. Das hängt auch mit meinem persönlichen Führungsverständnis zusammen. Ich möchte,
dass jede und jeder weiß, wo es hingehen soll und wie
die Rahmenbedingungen aussehen. Die Wege können
und sollen dann durchaus unterschiedlich und kreativ
sein – aber wenn ich die Strukturen dahinter nicht verstanden habe, dann ist ein Scheitern am Weg sehr viel
wahrscheinlicher. Das bedeutet aber nicht, dass man bestehende Strukturen nicht auch hinterfragen soll – und
ein Seminar ist eine wunderbare Möglichkeit, dies sehr
kritisch, aber auch konstruktiv zu tun. Wie im Beruf sehe
ich es also als wichtige Aufgabe, Wissen weiterzugeben
und damit auch Voraussetzungen zu schaffen, in denen
Menschen dann erfolgreich sein können.
Persönlich kann ich nach diesem ersten Semester sagen, dass mir die Arbeit mit den Studierenden sehr viel
Freude bereitet und ihre Fragestellungen und Ideen auch
mein Berufsleben bereichern.
Sie haben Ihre Karriere als Musikschullehrerin
begonnen. Was hat Sie zum Umstieg ins
Management bewogen?
Wie schon erwähnt, waren es in erster Linie meine vielfältigen Interessen. Aber auch persönliche Schlüssel-
© Olschinsky
„Kulturmanagement war und
ist immer eine
Herausforderung.
Das liegt schon in
der Sache selbst
begründet.“
“Cultural management is and
always has been a challenge.
It’s the nature of the beast.”
Haydn Festspiele
Eisenstadt
Burgtheater
Wien GmbH
Künstlerhaus
Wien
Naturhistorisches
Museum Wien
Philharmonie
Essen
ImpulStanz
Neue Oper
Wien
Gustav Mahler
Jugendorchester
Staatstheater
Darmstadt
Carinthischer
Sommer
NETZWERK
IKM
ABSOLVENTINNEN
Volkstheater
Wien
Essl Museum
Grazer Oper
Österreichische
Nationalbibliothek
Landestheater Linz
Kunsthaus Wien
Kunsthistorisches
Museum
Wien Museum
Volksoper
Klangforum
Wien
TAK – Theater
Liechtenstein
Wiener
Konzerthaus
Bregenzer
Festspiele
Vereinigte
Bühnen Bozen
Universal
Edition AG
DONNERSTAG
3.12.
40 JAHRE IKM
Workshops, Diskussionen,
Präsentationen
AB 9.30 UHR
IKM
ANTON-VON-WEBERN-PLATZ 1
1030 WIEN
Vereinigte
Bühnen Wien
Staatsoper Wien
erlebnisse, die mich herausgefordert haben. Ich habe an
einigen, sehr unterschiedlichen Musikschulen gearbeitet,
bevor ich ins Management gewechselt habe. Als ich die
Chance erhielt, die künftigen Strukturen und Rahmenbedingungen mitzugestalten, habe ich also nicht lange gezögert. Obgleich der Beruf Musikschullehrerin für mich
insbesondere aufgrund des großen Gestaltungsspielraums
sehr erfüllend war und ich anfangs die direkte Kommunikation mit meinen SchülerInnen sehr vermisst habe.
Den Schritt ins Management habe ich eigentlich nie bereut. Nach wie vor ist es für mich einer der spannendsten
Arbeitsplätze, die ich mir vorstellen kann. Vor allem auch,
weil kein Arbeitstag wie der andere ist und ich – neben
allen rechtlichen und administrativen Notwendigkeiten –
das Musikschulwesen auch inhaltlich mitgestalten kann.
Das Schönste für mich ist, wenn ich Dinge erleichtern oder
sogar ermöglichen kann. Denn das Musikschulwesen in
Niederösterreich ist deshalb so gut, weil wir hervorragende
Lehrende und LeiterInnen haben. Und die Rahmenbedingungen für deren wertvolle Tätigkeit erfolgreich weiter zu
entwickeln, dafür ist das Musikschulmanagement da.
Was sind Ihre zukünftigen Visionen für das
Musikschulmanagement Niederösterreich?
Das Musikschulwesen in Österreich befindet sich derzeit
in einer sehr spannenden Phase. Mein Ziel ist es, die Qualität und Quantität der musikalischen Ausbildung für Kinder und Jugendliche in Österreich zu erhalten, zu stärken
und weiterzuentwickeln. Ein zentraler Punkt ist für mich
dabei, das gemeinsame Musizieren nochmal auf eine breitere Basis zu stellen und als Hauptzielrichtung für die kommenden Jahre zu definieren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Musikschulausbildung Kindern und Jugendlichen unendlich viel ermöglicht. Sie fördert ihre Kreativität und ihre künstlerische
Ausdrucksmöglichkeiten ebenso wie ihre emotionalen
und sozialen Kompetenzen. Das sind Schlüsselqualifikationen, die Menschen ihr Leben lang benötigen und die nicht
nur zum Erfolg sondern letztlich auch zur Zufriedenheit
und zum Glück eines Menschen beitragen.
58
CAUSE TO CELEBRATE
In celebration of 40 years of the Department of Cultural
Management and Cultural Studies, Michaela Hahn,
head of the Lower Austrian music school system’s
management organisation Musikschulmanagement
Niederösterreich and a certificate course graduate,
pays tribute to the department’s widespread activities.
Mrs. Hahn, this year the Department of Cultural
Management and Cultural Studies—IKM for short—
is celebrating the 40th anniversary of its founding.
What connects you personally with the department?
The IKM opened up my way into the field where I’ve now had the
privilege of working for 15 years. So even just because of that,
I have a very special connection to the department. I received
almost all my professional training at the mdw—first the former B1
course of studies, part of which I completed while still at BORG
Neustiftgasse [a secondary school for musicians] and then the
second phase of my Music Education degree (IGP2 , piano). In
terms of my training as a musician and an artist, the programme
left hardly anything to be desired. But then as now, I’ve been
interested in lots of other topics, too, such as organisational and
legal parameters as well as cultural policy—and for many years,
I was also interested in cultural journalism. I came to realise that
the IKM dealt with all these themes, so I enrolled in the certificate
programme that was being offered during the 1990s. That period
saw my interest in numbers and statistics grow even stronger, and
I was shortly thereafter entrusted with performing an evaluation of
the Lower Austrian music school system for the Government of
Lower Austria as an external consultant. And that ended up being
the field of work to which I’ve remained loyal ever since.
But I’ve never lost contact with the IKM, and this contact has
actually grown more intense in recent years due to my dissertation
and other things. I think it’s very important that this department
motivates artistic practitioners to also do research. And since I
think a lot of role models and the effect they can have, I decided to
do my dissertation on music schools as organisations.
Then, two years ago, we at Musikschulmanagement
Niederösterreich initiated the book series Beiträge zur
Musikschulforschung [Writings on Music School Research] as a
cooperative project with the IKM in order to publish papers on the
topic of music schools as organisations. And while I absolutely
am conscious of the fact that research on music schools still has
a long way to go, it’s great that important steps are being taken in
the form of existing and planned projects.
Where do you see the challenges for
young cultural managers, these days?
Cultural management is and always has been a challenge. It’s the
nature of the beast. Cultural managers are required to constantly
switch between different worlds and can only be successful if they
succeed in eliciting understanding for the respective “other”. For
the most part, that means lots of work convincing people, which
requires one to be a sensitive listener. And it frequently takes you to
your own limits, which is what’s so exciting and challenging about it.
I can speak mainly for music schools, the area where I’ve worked
for around 25 years. Here, as elsewhere, there’s a great need for
cultural management competencies. And developments that we
see our society going through can be felt here just like anywhere
else. Music teachers have to create and maintain their own jobs—
as opposed to how it is for teachers at regular schools. And music
schools have to constantly justify the personal and societal value
of their artistic training, and in this context, they’re also forced to
compete with all sorts of leisure time offerings.
So apart from musical/artistic and teaching competencies, what
we need most of all are teachers who bring to bear their ability to
get music across to audiences in the preparation of the schools’
© Olschinsky
public concerts, who show organisational and leadership abilities
in their work with orchestras and other ensembles, and whose
personalities and communication skills contribute to music
schools’ being accorded by the public the status and esteem that
their work deserves.
To what extent does the IKM address these points?
The greatest challenge for any university department is certainly
enabling their students to succeed afterwards in their professional
lives. The list of instructors at the IKM speaks to its quality in both
theory and practice. And as I’ve said, the IKM—and I’ll single
out Franz-Otto Hofecker specifically, here—motivates people
again and again to expand and deepen their practical experience
as part of research projects. What’s more, its institutionalised
collaboration with active cultural managers and the resulting
opportunities to link theory and practice while still at the university
help students to arrive at insights and realisations that end up
positively influencing their future paths. In this regard, the list of
graduates on the IKM’s homepage really does speak for itself!
Where I work, at Musikschulmanagement, we often employ
IKM graduates—currently three of them. I think a lot of taking a
structured approach to looking at various areas of the cultural
field, an approach that the IKM is involved in developing.
Experience has shown that it’s above all people who are
personally interested in culture—and particularly in the music
school system—that work successfully in our organisation. And
it’s important to me, personally, to integrate different backgrounds
and/or educational and career histories, and thus diverse
perspectives, into my team. This helps to avoid blind spots as
well as another thing that affects a lot of otherwise good teams:
constant mutual affirmation, which over the medium term feeds a
tendency to neglect important trends and developments going on
outside. It’s true that a colourful team is more challenging to lead,
but it’s worth every bit of the additional effort that’s required. And
it also means that my employees are a daily source of creative
ideas for me personally.
This year you’ve begun teaching at the IKM yourself.
Can you say something about what you teach and
your motivation for doing so?
I teach the seminar Kulturbetriebslehre – Steuerung von
Musikschulen [Cultural Administration – Guiding Music Schools].
I have a keen desire to pass on the knowledge and experience
I’ve gained from working with music schools so that interested
students can get a head-start in terms of knowledge for their
professional careers. The music school as a cultural organisation
definitely occupies a special status, both at and outside the IKM.
Since music schools function both as schools and as cultural
institutions, the conditions under which they operate aren’t clearly
defined in all respects—and one of the effects this has had is that
Austria’s music school systems are organised differently from
state to state.
I think it’s always important to understand the system behind
something. This has to do with, among other things, my personal
understanding of leadership. I want everyone to know where
we’re going and within what framework we need to get there. The
routes can and absolutely should be different and creative—but
if the underlying structures haven’t been understood, then there’s
a far higher risk of failure somewhere along the way. This doesn’t
mean, however, that one shouldn’t question existing structures—
and a seminar represents a wonderful opportunity to do so both
very critically and constructively. So just like in professional life, I
view it as an important task to pass on knowledge and thus also
create the conditions within which people can be successful.
Personally, I can say after this first semester that I get a lot of
pleasure out of working with the students, and that their questions
and their ideas also enrich my professional life.
You started your career as a teacher in a music school.
What moved you to switch to management?
As I mentioned before, it was primarily the fact that I’m interested
in so many different things. And there were also some key
personal experiences that really challenged me. I’d worked
at several very different music schools before I went into
management. So when I was given the opportunity to participate
in shaping their future structures and underlying conditions, I
didn’t hesitate for long. I had found a lot of fulfilment in my work
as a music teacher, especially because of the freedom and
flexibility involved, and communicating with my students was
something that I missed a whole lot at first.
But even so, I’ve never regretted the step I took into management.
Then as now, my workplace is one of the most exciting ones I can
imagine. Especially since no one day is like the next, and because
I do actually get to help shape the music school system in terms
of content despite all the necessary legal and administrative
responsibilities. The nicest thing for me is when I can make things
easier or even possible to begin with. Because our outstanding
teachers are the reason why the music school system in Lower
Austria is so good. And further development of the conditions
they need in order to do their valuable work is what we at
Musikschulmanagement are there for.
DONNERSTAG
25.2.
BERUF KULTURMANAGER_IN
Podiumsdiskussion anlässlich
40-Jahre-IKM-Lehrgang
18.00 UHR
IKM
ANTON-VON-WEBERN-PLATZ 1
1030 WIEN
What are your visions for the future of
Musikschulmanagement Niederösterreich?
Austrian music schools are currently in a very exciting phase. My
goal is to preserve, reinforce, and further develop the quantity
and quality of musical training for children and youth in Austria. A
central point for me here is to once again put group music-making
on a broader footing, and I’m looking to define this as a main
thrust for the upcoming years.
I’m of the firm conviction that music school training for children
and teens opens up infinite possibilities. It encourages their
creativity and enhances their means of artistic expression while
also helping their emotional and social competencies to develop.
These are key qualifications that people need their whole life long,
ones that contribute not only to success but also to an individual’s
personal satisfaction and happiness.
59
R E S E A R C H
Gender
goes
Musik*
Theater*
Film
10 JAHRE GENDER
STUDIES AM IKM
TEXT:
ANDREA
ELLMEIER /
DORIS
INGRISCH
T
o be related nannte sich die anlässlich
von vierzig Jahre IKM und zehn Jahre Gender Studies am IKM im September 2015 stattgefundene Tagung,
die das Zusammenwirken von Kultur, Management und Gender in seiner Vielfalt und Unabdingbarkeit vor
Augen führte. Nicht das Trennende stand im Mittelpunkt
des Interesses, sondern das Gemeinsame, jenes, das die
Disziplinen, ein Innen und Außen verbindet.
GENDER-WISSEN
Für Genderfragen zu sensibilisieren, gelingt über mehr
Gender-Wissen. Für die Generierung und Vermittlung
von Gender-Wissen wurden und werden von der Gender
Studies Professorin, der Koordinationsstelle für Frauenförderung und Gender Studies und in Kooperation mit
und von KollegInnen der Plattform Gender_mdw unterschiedlichste Formate entwickelt:
60
01. Die jährliche Interdisziplinäre
Gender-Ringvorlesung, deren Themen Screenings, Gender Performances, Kultur der Gefühle, Ratio und Intuition, SpielRäume lauteten und als Sammelbände in der
Böhlau-Reihe mdw Gender Wissen erschienen. Band 6
über Körper/Denken. Wissen und Geschlecht in Musik
Theater Film wird am 3. Dezember 2015 präsentiert.
02. Die Veranstaltungsreihe mdw Gender Talks, in der
genderrelevante Abschlussarbeiten, jeweils ergänzt durch
künstlerische Darbietungen, vorgestellt werden – der
nächste Gender Talk über Königin Elizabeth I. in der
Film- und Fernsehgeschichte findet am 12. Jänner 2016
statt.
03. Die Podiumsdiskussionsreihe Gender Screening mdw,
in denen mdw-Studienfächer hinsichtlich ihrer Geschlechterverhältnisse gescreent (durchleuchtet) werden, bisher waren es die Fachrichtungen Komposition,
Dirigieren und Musikleitung, Orgel und Kirchenmusik,
Schauspielregie, Musikpädagogik und Popularmusik.
04. Die
Forcierung von kunstspartenübergreifender
interdisziplinärer Forschung in Richtung arts based research, wie in Kunst_Wissenschaft. Don’t Mind the Gap!
05. Wissenschaft
und Kunst im Dialog, eine internationale Tagungsreihe, in der Versuchsanordnungen zwischen Gender Studies und künstlerischem Forschen
gesetzt werden.
06. Das von KollegInnen der Plattform Gender_mdw
initiierte Gender-Projekt Holz-Blech-Schlag (www.mdw.
ac.at/ifs/projekte)
07. Raum für Fanny Hensel war schließlich das erste sehr
große künstlerisch-wissenschaftliche Gender-Jahresprojekt, das am 14. November 2015, dem 210. Geburtstag
R E S E A R C H
der Komponistin, mit einem Finalkonzert des Kompositionswettbewerbs Fanny Hensel abgeschlossen wurde.
(www.mdw.ac.at/fanny_hensel)
Die Gender-Studies-Professorin Doris Ingrisch erarbeitete ein PhD Programm Gender Studies, das einzigartig
an einer Kunstuniversität in Österreich ist. Im laufenden
Semester bietet sie gemeinsam mit einer Musikerin „Applied Gender Studies“ als neues Lehrveranstaltungsformat an, um praxisorientiert angehenden KünstlerInnen
das Wissen der Gender und Queer Studies für Lebensund Arbeitsformen verfügbar zu machen. Die Implementierung von mehr Gender Wissen in die Studienpläne der mdw ist der logische nächste Schritt auf dem Weg
zu einer geschlechtergerechteren Kunstuniversität.
Im Juni 2015 erging ein Call für die Einreichung von
Gender-Projekten an alle Mitglieder der Plattform Gender_mdw, acht Einreichungen bekamen eine Förderung
zugesprochen. Es handelt sich um eine breite Palette an
sehr unterschiedlichen Gender-Projekten – zwischen
Grete Trakl – Schwester: Möndin – eine kontrafaktische
Kompositionsgeschichte“ und der Integration der Frage
„Berufsbild Kulturmanagerin – Chancen und Risken in
eine AbsolventInnenstudie des Universitätslehrgangs
Aufbaustudium Kulturmanagement am IKM (mehr
Informationen unter www.mdw.ac.at/gender).
01. The annual Interdisciplinary Gender Lecture Series,
the themes of which have so far been screenings, gender
performances, the culture of feelings, ratio and intuition, and
spaces of latitude (SpielRäume), transcriptions from which were
published in the Böhlau series mdw Gender Wissen. Volume
6, entitled Körper/Denken. Wissen und Geschlecht in Musik
Theater Film [Body/Thought. Knowledge and Gender in Music
Theatre Film], was presented on 3 December 2015.
The event series mdw Gender Talks, in which gender-relevant
final papers were introduced in combination with corresponding
artistic presentations; the next Gender Talk, on the topic of
Queen Elizabeth I in the history of film and television, will take
place on 12 January 2016.
02.
Weitere
Informationen unter:
www.mdw.ac.at/gender,
www.mdw.ac.at/ikm
The panel discussion series Gender Screening mdw, in which
mdw degree programmes are screened with regard to their
gender ratios; so far, it has looked at Composition, Orchestral
and Choral Conducting, Organ and Church Music, Stage
Direction, Music Education, and Popular Music.
03.
Actively supporting interdisciplinary research across artistic
programmes in the sense of arts-based research, such as in
ARTs-based PHILOSOPHY. Don’t Mind the Gap!
04.
05. Art and Research in Dialogue, an international conference
series focussed on the establishment of experimental models
situated between gender studies and artistic research.
The gender project Holz-Blech-Schlag (www.mdw.ac.at/ifs/
projekte), initiated by colleagues from Plattform Gender_mdw
06.
A Room for Fanny Hensel, finally, was the first large-scale,
year-long artistic research / gender project, which concluded
on 14 November 2015—the composer’s 210th birthday—with
the final concert of the Fanny Hensel Composing Competition.
(www.mdw.ac.at/fanny_hensel)
07.
Durch diese kontinuierlich-engagierte Arbeit erhielten
Gender-Studies an der mdw – Universität für Musk und
darstellende Kunst Wien einen höheren Stellenwert und
wurden im Gefüge der Kunstuniversität mdw sichtbarer,
eine erfreuliche Entwicklung also, der im neuen Rektorat durch die Einrichtung eines Vizerekorates für Organisationsentwicklung, Gender & Diversity Rechnung
getragen wird.
GENDER GOES MUSIC * THEATRE * FILM
10 years of gender studies at the IKM
To be related is the title of the conference held in September
2015 to celebrate 40 years of the IKM and 10 years of gender
studies at the IKM. This event served to shed light on the
interaction of culture, of management, and of gender in its
diversity and its absolutely essential nature. Interest was
focussed not on that which separates, but on commonalities—
that which connects disciplines as well as the inner with
the outer.
Gender Knowledge
Sensitising people to gender issues is a matter of instilling
greater gender-related knowledge. For the generation and
conveyance of such knowledge, various formats have
been developed and are under development by gender
studies professors, by the Coordination Office for Women’s
Advancement and Gender Studies, and in cooperation with
and by colleagues from Plattform Gender_mdw:
Gender studies professor Doris Ingrisch has developed a PhD
programme, Gender Studies, that is unique in the context of
Austria’s arts universities. And the current semester will see her
join forces with a woman musician to launch the new course
format “Applied Gender Studies” in order to facilitate future
artists’ access to gender studies and queer studies-related
knowledge as it applies to forms of life and work. The integration
of more gender studies knowledge into the mdw’s curricula is
the logical next step on the way to a more gender-just
arts university.
In June 2015, a call was issued to all members of Plattform
Gender_mdw for the submission of gender projects, and eight
of the submitted proposals were awarded financial support. The
gender projects at issue cover a broad range—from Grete Trakl
– Sisters: Moon-ess – A Counterfactual History of Composition
to the inclusion of the topic Woman Cultural Manager as a
Professional Profile – Opportunities and Risks in a study of
graduates of the Cultural Management postgraduate programme
at the IKM (more information at www.mdw.ac.at/gender).
Through this continuous and dedicated work, gender studies at
the mdw – University of Music and Performing Arts Vienna has
been accorded a higher status and lent more visibility within
the university’s hierarchy, a very happy development that will
be done further justice by the institution of a Vice Rectorate for
Organisational Development, Gender & Diversity by the new
rectorate team.
61
R E S E A R C H
PETER A. LEUSSINK
© Daniel Nuderscher
Rethinking
Belcanto
EIN FORSCHUNGSPROJEKT ÜBER DEN
D
ZUSAMMENHANG VON BELCANTO UND DEMENZ.
TEXT:
SUSANNE
GRADL
62
as mit viel Prominenz besetzte
multimediale Kunstprojekt Song
Book – Klassisches Lied trifft auf
modernen Videoclip in Zusammenarbeit mit Michael Haneke,
Ildikó Raimondi, Herbert Lippert, der mdw – Universität für
Musik und darstellenden Kunst Wien, dem ORF sowie
der Konservatorium Wien Privatuniversität hat jetzt
ein spannendes Follow-up-Forschungsprojekt namens
„Song Book meets Research“ gefunden. Peter A. Leussink, der niederländische lyrische Tenor, akademische
Gesangspädagoge und Doktorand am Institut für Musiksoziologie an der mdw, untersucht im Rahmen seiner
Dissertation The Essence of Bel Canto die Gesangskunst
des Belcanto, mit dem Ziel, diese Praxis als eine Kunstform und Lebensform mit Relevanz für die heutige Gesellschaft zu beschreiben. Nach seinen erfolgreich absolvierten Studien Gesang, Lied & Oratorium und Oper
in den Niederlanden sowie an der mdw entwickelte er
mehrere Projekte mit Bezug zu Belcanto, wobei eines
seiner Projekte Zurück ins Leben – Auf den Flügeln des
Gesangs 2014 für den Sozialpreis des österreichischen
Sozialministeriums nominiert wurde.
R E S E A R C H
Peter A. Leussink ist als Purple Angel-Ambassador für
Österreich tätig, im Rahmen dessen er sich für die Belange von Demenz betroffenen Menschen weltweit einsetzt. Sein Hauptanliegen ist es, Demenz einen Platz in
der Mitte unserer Gesellschaft zu geben und dabei von
Demenz betroffenen Menschen trotz ihrer Einschränkungen ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Vor einigen Jahren hatte er bereits das weltweit einzigartiges Belcanto-Projekt Sinn-G’sang in Zusammenhang
mit Demenz initiiert. An einem Tageszentrum des Wiener Hilfswerks trainiert er Belcanto mit Menschen mit
Demenz, Alzheimer und anderen neurologischen Einschränkungen. Beobachtungen zeigen deutlich positive
Auswirkungen auf die psychophysischen und geistigen
Fähigkeiten. Peter A. Leussink ist davon überzeugt, dass
Belcanto nicht nur die Herzen der Menschen erreicht, es
verändert auch ihr Leben.
Für Leussink haben SängerInnen und MusikerInnen
eine soziale Verantwortung gegenüber dem Kulturkreis,
in dem sie leben und arbeiten. Belcanto scheint geradezu prädestiniert zu sein, den Bedürfnissen derer, die
nicht mehr für sich selbst sprechen können, in unserer
Gesellschaft „eine Stimme“ zu geben. Wenn es so etwas
wie eine übergeordnete Bedeutung für die Kunst des
Belcanto gibt, dann besteht dieser Sinn vielleicht in der
Fähigkeit, einen über die Selbstdarstellung professionellen Könnens hinausgehenden Sinn, der selbsttranszendierend auf eine gewissenhafte und wertvolle modernen
Gesellschaft abzielt, zu kommunizieren.
RETHINKING BEL CANTO
A research project on the relationship
between bel canto singing and dementia.
The multimedia art project Song Book – Classical Song Meets
Modern Video Clip, a collaborative production involving
prominent figures such as Michael Haneke, Ildikó Raimondi,
and Herbert Lippert, as well as the mdw – University of Music
and Performing Arts Vienna, the ORF, and Konservatorium
Wien University, is now to be followed by an exciting project
entitled Song Book Meets Research. Holland-native Peter A.
Leussink, a lyric tenor, academic vocal teacher, and doctoral
candidate at the mdw’s Department of Music Sociology,
is using his dissertation The Essence of Bel Canto as an
opportunity to examine the vocal art of bel canto with the
objective of describing the practice as an art form and a
form of life that is relevant to present-day society. Since his
graduation from programmes encompassing voice, lied &
oratorio, and opera in the Netherlands and at the mdw, he
has already developed several bel canto-related projects,
with one—Zurück ins Leben – Auf den Flügeln des Gesangs
[Back into Life – On the Wings of Song]—having been
nominated for the 2014 Social Prize of the Austrian Federal
Ministry of Social Affairs. Peter A. Leussink represents Austria as a Purple Angel
Ambassador, as part of which he supports the concerns of
people affected by dementia worldwide. His primary aim is
to accord dementia a place at the centre of society, thereby
enabling people with dementia to live in dignity despite
their limitations.
A few years back, Leussink initiated the dementia-related bel
canto project Sinn-G’sang, which is unique the world over: at
an adult day care centre of the charitable organisation Wiener
Hilfswerk, he teaches bel canto singing to people affected
by dementia, Alzheimer’s disease, and other neurological
impairments. Observations confirm clear positive effects on
his participants’ psycho-physical and mental abilities, and
Leussink is convinced that bel canto can not only reach
people’s hearts, but also change their lives.
Leussink generally feels that singers and other musicians
have a social responsibility to the respective cultures within
which they live and work. And bel canto, he says, would seem
predestined to “lend a voice” to the needs of those individuals
in our society who are no longer capable of speaking for
themselves. So if there exists something like an overarching
significance of the art of bel canto, then perhaps it consists
in the ability to communicate a meaning that goes beyond
portrayal of one’s own professional ability, transcending
itself to support the development of a modern society that is
conscientious and of value.
V.L.N.R.:
MARTIN TRAXL,
ADRIAN ERÖD, ANGELIKA
KIRCHSCHLAGER, HERBERT
LIPPERT, ILDIKÓ RAIMONDI,
MICHAEL HANEKE UND
PETER A. LEUSSINK
© ORF / Günther Pichlkostner
63
© Iby-Jolande Varga
R E S E A R C H
Transfer
und Transformation
IM 18. JAHRHUNDERT FÜHRTE DAS VIELFÄLTIGE KULTURLEBEN WIENS ZU
ZAHLREICHEN KULTURELLEN TRANSFERPROZESSEN, DIE WIEN ZU EINEM DER
BEDEUTENDSTEN MUSIKZENTREN EUROPAS ERHOBEN. EIN FORSCHUNGSPROJEKT ZU MUSIKBEZOGENEN TRANSFERPROZESSEN IM THERESIANISCHEN WIEN.
O
b dick mit Schimmel bewachsene Rechnungsbücher eines
Klosters oder mit Goldstaub
übersäte Opernpartituren des
Wiener Hoftheaters – Archivbesuche halten oft Überraschungen bereit. Die Untersuchung einer historischen Quelle oder die Suche nach
bisher unbekannten Dokumenten kann ebenso im Sand
verlaufen wie neue, unvorhergesehene Einblicke in die
Vergangenheit eröffnen – Einblicke, die vielleicht noch
keiner/m ForscherIn je zuvor gewährt wurden. Genau
das fasziniert die vier jungen WissenschaftlerInnen, die
seit Juli 2014 unter der Leitung von Martin Eybl im
Forschungsprojekt „Transferprozesse in der Musikkultur Wiens 1755 bis 1780“ arbeiten. Das vom FWF geförderte Projekt ist am Institut für Analyse, Theorie und
Geschichte der Musik angesiedelt und untersucht die musikbezogenen Transferprozesse im Theresianischen Wien.
Kunsträume traf das Projektteam bei seiner Arbeit in der
Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
64
KULTURTRANSFER
„Einendes Element unserer vier Projektteile ist das
Konzept des Kulturtransfers“, erklärt Projektleiter Martin Eybl. „Kulturtransfer – damit ist der Prozess der
Übernahme eines kulturellen Phänomens aus einer
Kultursphäre in eine andere gemeint, beispielsweise
die Verwendung einer Wiener Konzertsymphonie als
Tafelmusik im Stift Göttweig. Ein solcher Transfer, der
normalerweise zu Veränderungen am Kulturgut führt
und nachhaltige Spuren in der aufnehmenden Kultur
hinterlassen kann, wird nicht als Missbrauch oder Missverständnis des Originals angesehen, sondern wertfrei
als Anpassung an einen neuen Kontext.“ Das vielfältige
Kulturleben Wiens zwischen 1755 und 1780 ist gemeinsamer Ausgangspunkt der Teilprojekte und bietet Raum
für die Untersuchung ganz unterschiedlicher kultureller
Transfers, welche den rasanten Aufstieg Wiens zu einem
der bedeutendsten Musikzentren Europas in jenen Jahren begleiteten und zum Teil auch bedingten. Die künstlerischen Aktivitäten in diesem Zeitraum sind geprägt
durch die immer stärkere Beteiligung neuer Akteure aus
der Mittelschicht. Damit veränderte sich auch die soziale
Struktur des Publikums.
VIER THEMEN MIT VIELEN ANKNÜPFUNGSPUNKTEN
So geht es bei der Opéra comique in Wien um französische komische Opern, die vielfach in Wien aufgeführt
R E S E A R C H
wurden. „Auf welchen Wegen kamen die Werke hier her,
wer hatte ein Interesse daran und vor allem: was wurde
für das Wiener Publikum verändert? Das sind die Fragen, die mich interessieren“, so Projektmitarbeiterin Julia
Ackermann. Ihre Kollegin Sarah Schulmeister fährt fort:
„Bei mir geht es um die umgekehrte geografische Richtung: Ich beschäftige mich mit der Wiener Instrumentalmusik am Pariser Druckmarkt – eine Entwicklung mit
weitreichenden Folgen, denn über Paris wurde die Musik der Wiener Komponisten in ganz Europa bekannt.
Da spielen natürlich auch kommerzielle Aspekte eine
wichtige Rolle.“ „Stimmt!“, bemerkt Christiane Hornbachner. „In Wien war der rege Handel mit Musikalien
ja noch ein recht neues Phänomen. Auch der Klerus hat
hier mitgemischt und sich am neuen Angebot bedient.“
Ihr Thema sind die Klöster als Konsumenten am Wiener
Musikalienmarkt. „Aber nicht nur zwischen geografischen, auch zwischen sozialen Räumen kann man Transfers beschreiben“, wirft Marko Motnik ein. Er schreibt
Eine sozialhistorische Topographie des Oratoriums,
denn die Werke wurden in Wien ab der Jahrhundertmitte plötzlich nicht nur in den Kirchen, sondern auch
im Theater aufgeführt. „Das sind ja ganz unterschiedliche soziale Kontexte, in denen die Musik erklingt. Das
Aufkommen des öffentlichen Konzertwesens und eines
kulturfördernden Bürgertums war für diese Entwicklung
enorm wichtig“, erläutert Marko Motnik sein Thema.
WASSERZEICHEN
Und was steht heute auf dem Plan beim gemeinsamen
Arbeitstreffen in der ÖNB? „Gerade geht es um die Erfassung von Wasserzeichen und Kopisten in Wiener
Opernpartituren. Das ist ein weiterer Teilbereich unseres
Projekts, mit dem wir Grundlagenforschung betreiben“,
erklärt Projektleiter Martin Eybl. „Diese Arbeit wird in
Form einer Datenbank aufbereitet und in Zukunft WissenschaftlerInnen von großem praktischen Nutzen für
die Datierung von Musikalien sein.“
TRANSFER AND TRANSFORMATION
During the 18th century, Vienna’s multifaceted cultural life gave rise to numerous processes of cultural
transfer that were to make the city one of Europe’s
most important musical centres. A research project
on music-related processes of transfer in Empress
Maria Theresia’s Vienna.
Be they mouldy accounting books from a monastery or gold
dust-coated opera scores from the Vienna Court Theatre:
numerous surprises await those who visit archives. Scrutiny
of a historical source or the search for hitherto unknown
documents can lead to nothing, or can just as well open up
new, unexpected insights into the past that may have never
before revealed themselves to researchers. And precisely that
is what fascinates the four young scholars who, since July
2014, have been participating in Martin Eybl’s research project
Processes of Transfer in the Musical Culture of Vienna, 1755–
1780. This FWF-sponsored project is based at the Department
of Music Analysis, Theory and History and looks at musicrelated processes of cultural transfer in Vienna during the rule
of Maria Theresia. Kunsträume met with the project team as
they worked at the Austrian National Library’s Department of
Music.
Cultural Transfer
“The unifying element of our project’s fourfold focus is the
concept of cultural transfer,” explains project head Martin
Eybl. “What we mean here by cultural transfer is the process
by which a phenomenon from one cultural sphere is assumed
by another, like when a Viennese concert symphony was used
as music for a banquet at Göttweig Abbey. Such a transfer,
which normally changes the cultural product in question and
can also leave lasting traces in the culture that assumes it,
is not judged to be a misuse or a misunderstanding of the
original, but rather viewed neutrally as an adaptation to a new
context.” The multifaceted cultural life of Vienna between 1755
and 1780 is a common starting point for this project’s various
specific focuses and offers space within which to examine
the highly diverse cultural transfers that accompanied—and
in some cases made pivotal contributions to—Vienna’s rapid
development into one of Europe’s most important musical
centres during those years. The artistic activities of this
period are characterised by the ever-stronger participation of
new protagonists from the middle class, a fact that, in turn,
changed the social structure of the audience, as well.
Four Focuses with Numerous Points of Contact
Opéra comique in Vienna deals with the many French comic
operas that were performed in the city. “By what routes did
these works get here, who was interested in them, and above
all: how were they modified for the Viennese audience? These
are the questions that interest me,” says project participant
Julia Ackermann. Her colleague Sarah Schulmeister continues:
“My work here is about the geographical reverse: I’m looking at
Instrumental Music from Vienna on the Parisian Printed Music
Market—a phenomenon with huge consequences, since it was
via publishers in Paris that Viennese composers succeeded
in making their music known throughout Europe. Commercial
aspects played an important role here, of course.” “True,”
agrees Christiane Hornbachner: “In Vienna, the trade in printed
music was still a relatively new phenomenon. And clergymen
were among the customers who took advantage of these new
offerings.” Her topic is Abbeys as Consumers on the Viennese
Printed Music Market. “So it’s also possible to describe
transfers between social spaces, as well as geographic ones,”
points out Marko Motnik: he is working on A Social-Historical
Topography of the Oratorio, which starts from the fact that in
Vienna, from mid-century onwards, such works rather suddenly
began to be performed not only in churches, but also in
theatres. “We have two very different social contexts in which
the music was heard. And the rise of public concert life along
with a bourgeois class that supported cultural activities was
enormously important for this development,” explains Motnik.
Watermarks
There’s a specific purpose for today’s work session at the
National Library: “Right now, we’re compiling an index
of watermarks and copyists relevant to Viennese opera
scores. This is a further element of our project, and it’s a
manifestation of basic research,” explains project coordinator
Martin Eybl. “This research work will be presented as a
database that will be of great practical use to scholars
looking to date musical materials.”
65
mdw club
Alumni im Fokus
KIRILL PETRENKO
„Meine Heimat,
das klingt zwar
sehr pathetisch,
aber ich fühle mich
in der Musik zu
Hause. Eine geografische Heimat
für mich zu finden,
ist sehr schwierig.“
“My homeland – it sounds a bit
pathetic, but it’s really in music
that I feel at home. It would be
very difficult for me to make out
a geographic home.”
© Wilfried Hösl
MDW-ABSOLVENT KIRILL PETRENKO
IST DERZEIT GENERALMUSIKDIREKTOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER.
2018 TRITT ER DIE PROMINENTESTE
DIRIGENTENSTELLE DER WELT AN:
ER WIRD CHEFDIRIGENT DER BERLINER PHILHARMONIKER. KUNSTRÄUME
AUF SPURENSUCHE DES ÖFFENTLICHKEITSSCHEUEN AUSNAHMETALENTS.
TEXT: BARBARA STIEBER
66
D
er gebürtige Russe Kirill Petrenko ist nach vielen Stationen
seiner Bilderbuchkarriere im
Zentrum der Welt der klassischen Musik angekommen.
Aufgewachsen im russischen Omsk, nahe der
kasachischen Grenze, zog er als 18-Jähriger
mit seiner Familie (sein Vater war Geiger, seine
Mutter Musikwissenschaftlerin) nach Vorarlberg. Sein bereits in der Omsker Musikfachschule begonnenes Klavier-Studium setzte er
zunächst am Landeskonservatorium Vorarlberg in Feldkirch fort. Drei Jahre später begann
er bei Uroš Lajovic das Studium der Musikleitung an der mdw in Wien. Lajovic kannte
Petrenko bereits durch seine Arbeit mit dem
Kammerorchester Arpeggione, wo Petrenkos
Vater als Konzertmeister wirkte. „Petrenko war
damals noch sehr jung, zeigte aber großes Interesse für Musik und war oft bei den Proben
anwesend“, erinnert sich Lajovic. Bereits ein
Jahr vor Studienbeginn reiste Petrenko fast
jeden Monat nach Wien, um dem Unterricht
beizuwohnen. „Er wollte sich ein Bild verschaffen, wie der Unterricht aussieht und was von
ihm als Student erwartet wird“, so Lajovic weiter. Petrenkos Aufnahmeprüfung blieb nicht
nur ihm, sondern auch anderen Mitgliedern
der Aufnahmeprüfungskommission in bester
Erinnerung: er bekam in allen Punkten die allerbesten Noten bis zum Moment, als ihm ein
Stück zum Blattlesen vorgelegt wurde. Als er
die Noten sah, sagte er, das könne er nicht spielen. Großes Staunen bei der Kommission und
die unausweichliche Frage, warum er das denn
nicht spielen könne? Petrenko antwortete, dass
er das Stück kenne. Somit wäre es kein Prima
Vista Spiel gewesen. „Diese Ehrlichkeit und
Bescheidenheit zeichneten Kirill Petrenko im
ganzen Studium aus“, erzählt Roswitha Heintze, die Petrenko im Fach Klavier unterrichtete.
„Obwohl er sich viele Fächer hätte anrechnen
lassen können, beispielsweise Klavier, absolvierte er alle Disziplinen mit großem Ernst. Ich
M D W
„Wenn man vor ein Orchester
tritt, kommen so viele klangliche
Möglichkeiten auf einen
Dirigenten zu. Wer da keine
eigene klangliche Sichtweise
entwickelt hat, geht unter.“
“When you get up in front of an orchestra as a
conductor, you’re faced with so many sonic
possibilities. So anyone who’s neglected to
develop their own views on sound will just sink.”
glaube, für alle KollegInnen, die ihn unterrichten durften, war es eine große Ehre – für mich
darüber hinaus eine fast zu große Herausforderung“, so Roswitha Heintze weiter. Für Uroš
Lajovic war Petrenko „ohne Zweifel der beste
Studierende in allen Jahren meiner Tätigkeit als
Dirigierprofessor an der mdw“.
Sein Debüt als Operndirigent gab Petrenko bereits während seines Studiums 1995 mit Benjamin Brittens Let’s Make an Opera in Vorarlberg. Unter diesem Motto stand dann zunächst
auch sein Werdegang. Das erste Engagement
führte den heute 43-Jährigen als Kapellmeister
an die Wiener Volksoper, danach war er Generalmusikdirektor am Theater in Meiningen.
Sein Dirigat von Wagners Ring des Nibelungen
an vier Abenden in Folge brachte ihm internationale Aufmerksamkeit und war die beste
Vorbereitung für den Ring, den er 2013 bis
2015 (Inszenierung: Frank Castorf) bei den
Bayreuther Festspielen stemmen sollte. Es folgten fünf Jahre als Generalmusikdirektor an der
Komischen Oper Berlin und Debüts an den
großen Opernbühnen der Welt, bevor er 2013
als Generalmusikdirektor an die Bayerische
Staatsoper nach München berufen wurde. Parallel zu Petrenkos Opernkarriere entwickelte
sich aber auch sein Weg auf den internationalen Konzertpodien. Er dirigierte unter anderem
die Berliner Philharmoniker, das Cleveland
Orchestra, das Concertgebouworkest Amsterdam und das London Philharmonic Orchestra,
um nur einige zu nennen. Die Fachzeitschrift
Opernwelt kürte Petrenko mehrfach zum Dirigenten des Jahres, zuletzt 2015. An die mdw
kehrte Petrenko 2012 zurück, um das Webern
Symphonie Orchester (WSO) im Wiener Musikverein zu dirigieren. Für die mitwirkenden
Studierenden ein Erlebnis, das in Erinnerung
geblieben ist. „Durch seinen natürlichen Zu-
gang zum Orchesterdirigieren, ist es ihm gelungen, bis nach dem Konzert eine angenehme
Atmosphäre zu schaffen. Man konnte spüren,
dass ihm die Arbeit mit uns Freude bereitet
hat“, berichtet Fabio Kapeller, der als Pauker
mitwirkte. Elisabeth Stix, damals Flötistin im
WSO, erinnert sich an die intensive Probenzeit
und das große persönliche Engagement von
Petrenko. Und die damalige Konzertmeisterin
Katharina Schwamm war nicht nur von Petrenkos Gelassenheit beeindruckt: „Ich hatte
immer das Gefühl, einen Dirigenten vor mir zu
haben, dem es nicht um sich, sondern um die
Musik geht.“ Mit seinem nächsten Engagement
kehrt Petrenko, der seit einigen Jahren keine
Interviews mehr gibt, dem Musiktheater den
Rücken und geht zurück nach Berlin. Petrenko
hofft auf „viele Momente des künstlerischen
Glücks“ mit den Berliner Philharmonikern.
Die Kunsträume wünschen alles Gute.
Zitate aus: Kirill Petrenko im Gespräch mit Andreas
Bader (Klarinettist der Berliner Philharmoniker) für
die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker,
Dezember 2012
ALUMNI IN FOCUS
KIRILL PETRENKO
mdw graduate Kirill Petrenko is currently
General Music Director at the Bavarian State
Opera. And in 2018, he will be assuming the
world’s most prominent conductor’s post:
Chief Conductor of the Berlin Philharmonic.
Kunsträume retraces the story of this
exceptional, publicity-shy talent.
With several stops of his storybook career already
in his pocket, Russian native Kirill Petrenko has
now arrived at the epicentre of the classical music
world. Having been raised in the city of Omsk,
near the border with Kazakhstan, Petrenko moved
to Vorarlberg with his family (his father a violinist,
his mother a musicologist) at age 18. At first, he
continued his piano degree (begun at the music
college in Omsk) at the State Conservatory of
Vorarlberg. But three years later, he entered the
conducting programme under Uroš Lajovic at
the mdw in Vienna. Lajovic had already known
Petrenko through his work with the chamber
orchestra Arpeggione, where Petrenko’s father was
concertmaster. “Petrenko was still very young at
the time, but he showed great interest in music and
attended the rehearsals frequently,” remembers
Lajovic. And a year before he began studying,
Petrenko was already travelling to Vienna nearly
every month in order to audit classes. “He wanted
to get an impression of how the teaching was and
a feel for what would be expected of him as a
student,” continues Lajovic. Petrenko’s admissions
exam is remembered well by Lajovic and by all
the other members of the exam commission: he
got the highest-possible score in every category,
C L U B
up to the moment where he was given a piece to
sight-read. When he saw the music, he said he
couldn’t play it. The commission’s members were
quite surprised and asked the unavoidable question
of why he couldn’t. Petrenko’s answer was that he
already knew the piece, for which reason it wouldn’t
be sight-reading. “This honesty and modesty is
something that was to characterise Kirill Petrenko
throughout his studies,” says Roswitha Heintze,
Petrenko’s piano instructor. “And although he could
have had a lot of subjects credited, like piano, for
instance, he enrolled in everything and went at it
all with the utmost seriousness. I think that it was
a great honour for all of us who had the privilege of
teaching him—and for me, it was also a challenge
that was almost to big to handle,” continues
Heintze. For Uroš Lajovic, Petrenko was “without a
doubt the best student I’ve ever had in all my years
as a conducting professor at the mdw.”
Petrenko gave his debut as an operatic conductor
in 1995, while still a student, with Benjamin Britten’s
Let’s Make an Opera in Vorarlberg. It’s a title that
could also serve well as a motto for his early career.
The conductor, now 43 years old, was first hired
by the Vienna Volksoper, after which he served as
General Music Director at the theatre of Meiningen,
Germany. His conducting of Wagner’s Ring cycle
on four consecutive evenings attracted international
attention and was the best-possible preparation
for the Ring that he was to take on between 2013
and 2015 at the Bayreuth Festival (with stage
director Frank Castorf). There followed five years
as General Music Director at the Komische Oper
in Berlin and debuts on the world’s great operatic
stages, after which he was called to Munich in
2013 to become General Music Director at the
Bavarian State Opera. Parallel to his operatic
career, Petrenko also appeared on international
concert stages. He conducted formations including
the Berlin Philharmonic, the Cleveland Orchestra,
the Amsterdam Concertgebouw Orchestra, and
the London Philharmonic Orchestra, to name
just a few. The opera magazine Opernwelt has
repeatedly named Petrenko Conductor of the Year,
most recently in 2015. And at the mdw, Petrenko
returned in 2012 to conduct the Webern Symphony
Orchestra (WSO) at the Vienna Musikverein. For the
participating students, it was an experienced that
won’t soon be forgotten. “His natural approach to
orchestral conducting allowed him to create a very
pleasant atmosphere that held all the way through
the end of the concert. You could really feel that he
enjoyed working with us,” recalls Fabio Kapeller,
who played tympani. Elisabeth Stix, who played
flute in the WSO at the time, remembers the intense
rehearsals and Petrenko’s great personal dedication.
And the concertmistress, Katharina Schwamm, was
impressed by more than just his relaxed manner:
“I always had the feeling that I had a conductor in
front of me who was concerned not with himself,
but with the music.” With his next engagement,
Petrenko—who stopped giving interviews a few
years ago—will be departing from music theatre and
returning to Berlin. He hopes for “many moments
of artistic joy” with the Berlin Philharmonic. And
Kunsträume wishes him all the very best.
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mdw club
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der März / April Ausgabe:
Donnerstag, 7. Jänner 2016
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A l f r e d e i s e n s tA e d t, VJ d A y, t i m e s s q u A r e , n y, 14 . A u g u s t 1 9 4 5 © A l f r e d e i s e n s tA e d t, 2 0 14 / l e i c A c A m e r A A g , c o u r t e s y o f s k r e i n P h o t o c o l l e c t i o n
U N I V E R S I TÄT F Ü R
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Die
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Idee
The
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Idea”
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E R S C H E I N U N G S O R T: 1 0 3 0 W I E N , V E R L A G S P O S TA M T 1 0 3 0 W I E N
P. B . B . G Z 0 4 Z 0 3 5 5 5 1 M
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n°4
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MAGAZINE OF THE MDW
UNIVERSITY OF MUSIC AND
PERFORMING ARTS VIENNA

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