neuköllner wirtschaft - Fachgebiet Stadt
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NEUKÖLLNER WIRTSCHAFT ENDBERICHT NEUKÖLLNER WIRTSCHAFT ENDBERICHT NEUköllner Wirtschaft C B A ENDBERICHT Grundlagenwissen Gentrifizierung 10 I Eine Annäherung: Definiton – Dimensionen – Deutungsmuster 10 II Die Funktionale Dimension der Gentrifizierung 29 C Exkursion nach Kraków 38 PROJEKTLEITUNG Susanne David Pia Kaiser D Rückblende und Positionierung 40 PROJEKTTEILNEHMER*INNEN Aline Fraikin Robin Hüppe Nora König Moritz Müller-Markmann Miriam Schmid Philip Stephan Rolf Trott Johannes Tobias Habermann Nico Januszewski Julia Lieberwirth Phillip Nitsch Theresia Maria Schmidt Ella-Paulina Stöcker Sanjin Zamola E Der Reuterkiez – Grundlagen zum Quartier 44 I Gewerbe 44 II Sozioökonomisches Profil 52 III Das Image des Reuterkiezes und Neuköllns 60 REDAKTIONELLE BEARBEITUNG Nico Januszewski Johannes Tobias Habermann Nora König Phillip Nitsch F Kartierung der Wirtschaftseinheiten im Reuterkiez 74 G Befragung der zugezogenen Unternehmen im Reuterkiez 84 GESTALTUNG UND LAYOUT Sanjin Zamola Philip Stephan H Fazit 94 BILDRECHTE Die Rechte aller Abbildungen ohne Quellenangabe liegen bei der Redaktion. Alle Rechte vorbehalten. ©2013-2014 I Lessons Learned 96 Anhang 99 I NEUköllner Wirtschaft – Wirtschaftlicher Wandel als Begleiterscheinung von Gentrifizierung in Nordneukölln? Bachelor-Studienprojekt im Wintersemester 2013/14 und Sommersemester 2014 Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie Institut für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin E B F Einleitung6 G A H IMPRESSUM D INHALTSVERZEICHNIS VERWENDUNG VON GENDERSENSIBLER SPRACHE Dieser Endbericht ist ein Sammelwerk aus den Texten, die die Projekteilnehmerinnen und-teilnehmer innerhalb der o.g. zwei Semester geschrieben haben. Daher kann es zu unterschiedlicher Anwendung gendersensibler Sprache kommen. Wir bitten, dies zu entschuldigen und weisen daraufhin, dass wir in den Textinhalten jederzeit die unterschiedlichen Geschlechter berücksichtigen, auch wenn die Texte diesbezüglich eine Einheitlichke vermissen lassen. A Einleitung A »Es gibt heute kaum eine grössere deutsche Stadt, die nicht ihre Gentrifizierungsdebatte hat oder hatte.« Der Begriff Gentrifizierung ist seit einigen Jahren omnipräsent. Er findet sich in der Stadtforschung, den wohnungspolitischen Debatten in den Parlamenten, den Schlagzeilen der Feuilletons ebenso wie in den Flugblättern und Plakaten von Stadtteilinitiativen, im akademischen Seminar oder am Stammtisch. Es gibt heute kaum eine größere deutsche Stadt die nicht ihre Gentrifizierungsdebatte hat oder hatte. Dies alleine ist schon bemerkenswert für eine akademische Fachvokabel mit der vor 50 Jahren erstmals ein städtischer Umstrukturierungsprozess im Londoner Stadtteil Islington beschrieben wurde. Besonders überraschend ist jedoch, dass diese Modevokabel bis heute einer allgemein anerkannten Definition entbehrt. Verschiedene sozialwissenschaftlichen Aussagen darüber, was Gentrifizierung im Kern ausmacht, wodurch solche Prozesse ausgelöst werden und wie sie verlaufen, werden nicht nur nicht in gegenseitige Ergänzung gebracht, sondern widersprechen sich mitunter auch. Und was sich für die Forschung feststellen lässt, gilt für die öffentliche Debatte, die durch diese begriffliche Unschärfe erschwert wird, noch viel mehr. Dies bringt mit sich, dass sich fast jede eingenommene Position – von der, dass Gentrifizierung eine prägende Rahmenbedingung heutiger Städte ist, bis zum notorischen Leugnen einer sozialen Relevanz – diese mit guten Argumenten zu verteidigen weiß. Nicht zuletzt führt die inflationäre Verwendung des Begriffs auch zu einem gewissen Überdruss, zu einem Gefühl, es doch irgendwie nicht mehr hören zu können und zu wollen. Davon überzeugt, es trotz alledem mit einem der spannendsten, komplexesten und kontroversesten sozialen Phänomenen zu tun zu haben, hat sich das Studienprojekt NEUköllner Wirtschaft – Wirtschaftlicher Strukturwandel als Begleiterscheinung von Gentrifizierung in Nordneukölln? im Studienjahr 2013/14 der Thematik angenommen. Räumlicher Fokus ist mit dem Reuterquartier ein Gebiet, das sich seit einiger Zeit im Mittelpunkt einer empört geführten Debatte befindet. Der Schwerpunkt des Interesses liegt dabei auf der funktionalen Dimension von Gentrifizierung – den quantitativen und qualitativen Veränderungen im Geschäfts- und Dienstleistungsangebot. 7 Forschungsfrage Der Begriff „Gentrifizierung“ ist seit einigen Jahren omDieser Bericht dokumentiert den ersten, theoretischen zialforschung« erscheinen als eigenständige Textblöcke nipräsent. Es gibt heute kaum eine größere deutsche GRUNDLAGENWISSEN Teil der Forschungsarbeit des Projektes im Wintersein dem Zwischenbericht und weisen ihre eigeneGENTRIFIZIERUNG GliedeStadt, die nicht ihre Gentrifizierungsdebatte hat oder AGI: Gentrifizierung AGII: funktionale mester, bevor im Sommersemester die Feldphase Aussarung und Literaturverzeichnisse auf. hatte. sich Verschiedene sozialwissenschaftlichen Dimension anschließt. Grundverständnis von Gentrifizierung genEin darüber, was Gentrifizierung im Kern ausmacht, zu gewinnen ist dabei das Prozesse Ziel der Kapitel B I: »Gentrifiverschiebt sich das Forschungsinteresse vom wodurch solche ausgelöst werden und Danach wie Definition verlaufen, werden nicht nur Dimensionen, nicht in gegenseitige zierung –sie Eine Annäherung. Definitionen, Gegenstand selbst zu den Mitteln, die zu seiner ErforDefinition & Merkmale der Ergänzung gebracht, sondern MerkmaleDas gewonnene MeDeutungsmuster« und B II: »Die Akteurewidersprechen einer Gentrifi- sich mitschung zur Verfügung stehen. funktionalen auch. was sich die Forschung feststellen & Dimesionen zierung«.unter Neben der Und Diskussion vonfür gängigen Definitiothodenwissen bildet eine wichtige Grundlage für dieDimesionen lässt, gilt für die öffentliche Debatte, die durch diese Musterverlauf nen widmet sich das erstgenannte den verschiedenen selbstständige Forschungsarbeit zur Thematik. Weitepositive & negative begriffliche Unschärfe erschwert wird, noch viel mehr. Erklärungsansätze Dimensionen in denen sich Gentrifizierung artikuliert, re wichtige Zäsuren der Projektarbeit sind die FormuEffekte Nicht zuletzt führt die inflationäre Verwendung des Beder Frage, wasauch solchezuEntwicklungen auslöst, diskutiertzu einem lierung einer übergeordneten Fragestellung und eines griffs einem gewissen Überdruss, den kontroversen undhören widmet (→Kapitel AG D). Die Gefühl, esVerdrängungsbegriff irgendwie nicht mehr zu sich können. entsprechenden Forschungsdesigns AG III: Akteure der IV: Methoden der einigen prominenten Fallbeispielen. Das sich anschlieAusdifferenzierung derGentrifizierung Forschungsfrage in vier kleineMessbarmachung Davonbeleuchtet überzeugt,die esRolle trotz einiger alledemAkteure, mit einem ßende Kapitel ihreder spanre Themenkomplexe und die Aufteilung des Projekts in nendsten, komplexesten und und kontroversesten Positionen, Handlungsspielräume die Beziehungen sozialen vier entsprechend spezialisierte Arbeitsgruppen bildet Phänomenen zu tun zu haben, hat sich das StudienPositionen zwischen diesen Akteuren näher und nimmt sich zudem dann schon die Brücke zur empirischen Feldforschung Möglichkeiten und projekt im Studienjahr 2013/14 der Thematik ange& der Frage von Good Practices im Zusammenhang mit im Sommersemester. Zum Abschluss dieses BerichtsGrenzen soll der empririnommen. Räumlicher Fokus ist mit dem Reuterkiez Handlungsspielräume Gentrifizierung an. Zwei Gespräche mit Experten (→11 die Projektarbeit noch einmal prägnant resümiert werschen Betrachtung ein Gebiet, das sich seit einiger Zeit im Mittelpunkt eiGood Practices Andrej Holm) rundengeführten diese Themen ab.befindet. Sowohl die geden: Was waren die zentralen Erkenntnisse? Was war in ner empört Debatte nannten Kapitel, als auch die ExpertInnen widerspiegeln besonderem Maße kontrovers? Was kam thematisch zu Schwerpunkt des Interesses liegt dabei auf kurz der oder blieb ganz offen? Und ganz zuletzt gilt es nain ihren Der Positionen durchaus verschiedene Interpretafunktionalen Dimension von Gentrifizierung – den quantionsschemen und Forschungsansätze von Gentrifizietürlich einen kleinen Rückblick auf die Forschungsarbeit titativen und qualitativen Veränderungen im Geschäftsrung. im Sommer zu werfen. »Inwieweit unterliegt die Gewerbestrukur des Reuund Dienstleistungsangebot. Das Kapitel B III: »Die funktionale Dimension der Gentrifizierung« widmet sich im Anschluss jenen Veränderungen im lokalen Gewerbe, die als besonders sichtbarer Aspekt mal als Ausdruck, Motor oder Ergebnis des Gentrifizierungsprozess interpretiert werden. Nach einer Definition und Abgrenzung des Begriffs werden hier typische Branchen und Musterverläufe analysiert sowie Effekte positiver wie negativer Natur und typische Gewinner und Verlierer diskutiert. Ein schon zum Anfang des Semesters durchgeführter Kiezspaziergang (→29 Clemens Mücke) komplettiert die erste Annäherung an das Kernthema des Projekts. Zentrales Produkt dieser Projektphase ist die Aufstellung einer Definition von funktionaler Gentrifizierung (→ Kapitel C) als Grundlage der späteren Forschungsarbeit. Exkursion Die vier großen Themenkomplexe »Eine Annäherung: 2014 fand–die Exkursion nach »Die Krakau DefinitonIm– Mai Dimensionen Deutungsmuster«, Ak-statt. Die Gruppe wollte untersuchen, wie die Stadt mit Verändeteure einer Gentrifizierung«, »Die Funktionale Dimensirungs- und auch eventuellen Verdrängungsprozessen on der Gentrifizierung« und die »Methoden in der So- 8 in den letzten Jahren umgegangen ist und auch immer noch umgeht. Besonderes Augenmerk legten wir dabei auf die Viertel Kazimierz (ehem. jüdisches Viertel), Nowa Huta (Arbeiterstadt mit Stahlwerk) und Podgórze (ehem. jüdisches Ghetto/Industriegebiet). Projektverlauf Projektverlauf Befragung Relevanz der Standortfaktoren Relevanz der Standortfaktoren 2014 2014 Angenehme Kiezatmosphäre Oktober 2013 Gewerbemiete A Das Projekt WIRTSCHAFT Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten Theoretische Phase Nähe zu Kunden und Auftraggebern Gute ÖPNV Erreichbarkeit Angesagter Standort Relevanz der Standortfaktoren 2014 Ortsbegehnung mit Clemens Mücke (Wirtschaftsförderung Neukölln) Nähe zum Wohnort des Inhabers Angenehme Kiezatmosphäre Relevanz der Standortfaktoren 2014 Gutes Freizeit- und Kulturangebot Gewerbemiete Gutes Gastronomieangebot Angenehme Kiezatmosphäre Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten Theoretische Grundlagen Relevanz der Standortfaktoren 2014 Angenehme Kiezatmosphäre Ansprechende Architektur Gewerbemiete Nähe zu Kunden und Auftraggebern Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten Erarbeitung in Kleingruppen Gute Pkw Erreichbarkeit Gute ÖPNV Erreichbarkeit Gewerbemiete Nähe zu Kunden und Auftraggebern Tipp von Freunden und Bekannten Angesagter Standort Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten Nähe zu Kooperationspartnern Gute ÖPNV Erreichbarkeit Nähe zum Wohnort des Inhabers Nähe zu Kunden und Auftraggebern Gutes Förderangebot vor Ort Angesagter Standort Gutes Freizeit- und Kulturangebot Gute ÖPNV Erreichbarkeit Nähe zum Wohnort des Inhabers 0% Gutes Gastronomieangebot Angesagter Standort Gutes Freizeit- und Kulturangebot Ansprechende Architektur Nähe zum Wohnort des Inhabers Gutes Gastronomieangebot Gute Pkw Erreichbarkeit Gutes Freizeit- und Kulturangebot Ansprechende Architektur Tipp von Freunden und Bekannten Gutes Gastronomieangebot Gute Pkw Erreichbarkeit Nähe zu Kooperationspartnern Ansprechende Architektur Tipp von Freunden und Bekannten Gutes Förderangebot vor Ort Gute Pkw Erreichbarkeit Nähe zu Kooperationspartnern Input Andrej Holm (HU Berlin) Input Sigmar Gude (TOPOS) sehr wichtig 40% wichtig60% 20% sehr wichtig weniger wich wichtig unwichtig wenigerder wichtig Gewichtung der Relevanz 14 k.A. angegebe unwichtig ortfaktoren von ‚sehr wichtig‘ bis ‚unwichtig k.A. gender Anordnung Januar 2014 Forschungsfrage 0% Tipp von Freunden und Bekannten Erarbeitung im Plenum Gutes Förderangebot vor Ort Nähe zu Kooperationspartnern 0% Gutes Förderangebot vor Ort Zwischenbericht 0% 20% 40% 20% 40% 60% 80% 20% 60% 40% 80% 60% 80% 100% 100% terkiezes einem imagebedingten Wandel?« Exkursion Krakau »Welche Rolle spielt ‚Image‘ in der Standortentscheidung zuziehender Unternehmen im Reuterkiez?« AG I: sozioökono- AG II: misches Gewerbe Profil »In welchem Umfang hat sich die Gewerbestruktur im Reuterkiez in den letzten 10 Jahren verändert?« AG IV: AG III: StandortentImage scheidungen Theoretische Grundlagen Erarbeitung in Kleingruppen Vorbereitung der Erhebung Kartierung Erarbeitung in Kleingruppen Befragung Erarbeitung in Kleingruppen Auswertung Beantwortung der Forschungsfrage Juli 2014 KARTIERUNG BEFRAGUNG Schlagworte zur Einzigartigkeit des Reuterk gen der befragten UnternehmerInnen mit G der Häufigkeit durch die Schriftgröße Beantworung der Forschungsfrage »In welchem Umfang hat sich die Gewerbestruktur im Reuterkiez in den letzten 10 Jahren verändert?« Die Gewerbestruktur unterliegt einer immensen quantitativen Veränderung – die Zahl der Wirtschaftseinheiten hat sich »Welc Rolle s ‚Image‘ i Standortents zuziehende nehmen im terkiez Da es sich b zatmosphäre imageaffinen 9 faktor handelt, das Image ei B I »Eine Annäherung: Definition – Dimensionen – Deutungsmuster« BI »Im Stadtgebiet manifestieren sich die Auswirkungen der voranschreitenden Gentrifizierung oft auf unterschiedliche Weise...« Andrej Holm In der Projektsitzung vom 26.11.13 wurde das Projekt vom Soziologen Andrej Holm besucht. Nach einer kurzen gegenseitigen Vorstellung nahm der Soziologe unmittelbar Bezug auf seinen Werdegang, bei dem die ersten Sozialstrukturstudien im Prenzlauer Berg, an denen er in der Folge seine Dip- Abb. 1: Andrej Holm lomarbeit teilnahm, besonders relevant für die Projektarbeit schienen. Ebenso informativ war auch die Vorstellung eines seiner aktuelleren Projekte namens GentriMap bei dem er sich an der Visualisierung der Gentrifizierung in Berlin versuchte. Es handelte sich darin weiterhin um rein soziodemographische Analysen partieller Wohngebiete, die genauere Untersuchungen in diesen Gebieten ermöglichen sollte. Im Zusammenhang im dem Forschungsziel des Projektes empfahl Holm die Benutzung Google-StreetViews, da dort eingestellte Aufnahmen zu größten Teilen aus dem Jahr 03/04 stammten und das entsprechende Gewerbe auf diese Bildern noch zu sehen sei. Außerdem vertritt Andrej Holm die These, dass quartiersbezogene Gentrifizierung heute wissenschaftlich nicht mehr zu fassen sei, da sehr weitreichende Teile der Innenstadt betroffen seien und das Phänomen nicht mehr punktuell auszumachen sein soll. Stadtforscher untersuchten ferner die Gentrifizierung in Gebieten in denen sie zukünftig zu vermuten sei um erfolgreiche Forschungsergebnisse erreichen zu können. Auf die Frage, ob es fachübergreifenden Konsens zu akzeptierten Verdrängungsindikatoren gebe traf Holm die Aussage, der Begriff »Gentrification« sei in der Forschung zumeist ein negativ konnotierter Begriff (»dirty word«) und dass es bis auf die Verdrängung durch erzwungenen Umzug keinen übergreifenden Konsens gebe. Weiterhin entgegnete er auf die Frage nach der spät in Kraft getretenen Erhaltungssatzung im Prenzlauer Berg mit der Verweisung auf fehlende Gelder der Berliner Stadtplanungsämter und der Weigerung des Senats, diese mit mehr Kapital auszustatten. Im Folgenden wurde die Strategie Mietpreisbindung diskutiert, bei der die Allgemeinheit 11 Holm spricht von einem zirkulären Charakter der Berliner Gentrifizierung und dass man, sofern man von einer Definition der Gentrifizierung über Verdrängung ausgeht, bei dem Stadtteil Neukölln durchaus von ei- nem gentrifizierten Stadtgebiet sprechen könne. Ein besonderes Novum an den Umständen in Neukölln sei jedoch die internationale Herkunft der Gentrifier, der Kosmopolitismus Neuköllns und der Definition von außen. Ein gutes Beispiel für sogenanntes »good practice« ist seiner Ansicht nach Toronto- eine Stadt die mit stadtpolitischen Maßnahmen einer bevorstehenden Gentrifizierung gekonnt entgegen gewirkt hätte. Nach den vorgeschlagenen Exkursionszielen Vancouver und Wien gab Andrej Holm dem Plenum ein paar Fragen mit auf den Weg die es bei der Hinarbeitung zur Beantwortung der Fragestellung leiten sollte. Unter anderem: Wie wirkt sich die Veränderung der Sozialstruktur auf das Gewerbe aus? Gibt es einen ‚local benefit‘? Ist ein Geschäft anpassungsfähiger als andere, z.B. Kiosk oder Shishabar? Was gibt es für Anpassungsstrategien? Welche Rolle spielt das zugezogene Unternehmen in der Gentrifizierung: Folge, Voraussetzung oder Verstärker? Andrej Holm schloss seinen Besuch mit der Bitte, der Ergebnispräsentation beiwohnen zu dürfen. BI zu dem Ergebnis kommt, dass hierbei die Modernisierung von Wohneinheiten stark vernachlässig würde und bei einer Aufhebung ein enormer Sprung in hohe Mietpreissegmente entstehen könnte. Außerdem wären viele Investoren bei einer solchen Mietenbremse nicht mehr bereit, neu zu bauen und man könne es keinem Vermieter verbieten unterdurchschnittliche Mietpreise zu verlangen. Hier müsse der Staat bzw. die Stadt eingreifen um diese Finanzlücke zu schließen. Doch hierfür sei eine nötige Verzahnung der Instrumente nicht gegeben, wie beispielsweise Milieuschutz und Zweckentfremdungsgebot, denn diese würden nebeneinander wirken und nicht miteinander. In der Immobilienverwertungskoalition seine alle »kooperativ«, da würde die Stadt eher das Tempelhofer Feld neu bebauen anstatt sich mit den Problemen im Baubestand auseinanderzusetzen. Es gebe jedoch an die 70 Hausgemeinschaften berlinweit, die sich gegen die Aufwertungsmaßnahmen des Hauseigentümers zur Wehr setzten. BI INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung 14 2 Definition und historischer Rückblick 14 3 Dimensionen des Gentrifizierungsbegriffs und ihre 16 Manifestation im Stadtgebiet 4 5 12 Die Mechanismen des Gentrifizierung 17 4.1 Ökonomische Aufwertungsmechanismen 18 4.2 Kulturelle Aspekte in Gentrifizierungsprozessen 20 4.3 Stadtpolitik und Gentrifizierung 21 4.4 Schlussbemerkungen 22 Verdrängungsaspekte 22 5.1 Definition des Verdrängungsbegriffs 22 5.2 Verdrängungstypologien 23 6 Fazit 24 7 Quellen 25 13 Gentrifizierung ist in aller Munde. Obwohl sich kaum einer mit dem Begriff auseinandersetzt, hört man ihn tagtäglich als Synonym für jegliche Form von Veränderung in Großstadtvierteln. Doch was bedeutet Gentrifizierung eigentlich und welche Dimensionen umfasst der Begriff? Kann jede Gegend gentrifiziert werden? Gibt es typische Akteure? Gibt es typische Phasen? Welche Rollen spielen Pioniere und bedeuten eine neue Galerie und eine Bar mit scheinbar zusammengewürfelten Sperrmüllmöbeln, dass man sich die Miete in fünf Jahren nicht mehr leisten kann? Einen kleinen Überblick über das sehr komplexe, mehrdimensionale und vielschichtige Thema zu geben, ist Ziel dieser Ausarbeitung. Dabei wird zunächst auf die Ursprünge geblickt, versucht, eine Definition zu finden sowie über ökonomische und kulturelle Aufwertungsprozesse und über die Rolle der Stadtpolitik gesprochen. Dabei werden verschiedene Ebenen von Verdrängung beleuchtet und prominente Quartiere gezeigt, die in Berlin schon seit einigen Jahren als Musterbeispiele für Gentrifizierung dienen. 2 Definition und historischer Rückblick Gentrifizierung ist in unserer Zeit ein stets allgegenwärtiger Begriff. Erste Recherchen im Internet attestieren die aktuell entfachte Diskussion auf Blogs oder auf Seiten lokaler und nationaler Fernseh- und Radiosender. Neben einer ereignisorientierten Retrospektive enthält der folgende Definitionsbeitrag auch einen Ausblick über die Multiperspektivität und Kontroversität des zentralen Themenfeldes Gentrifizierung. Das soziale Phänomen trat zunächst in Nordamerika in Erscheinung, wo erste Arbeiten über Ursachen und Prozessablauf entstanden (z.B. Clay 1979) und erst ein knappes Jahrzehnt später in der einer ersten deutschen Studie von Dangschat und Friedrichs (1988). Zum Ende der 70er Jahre ist diese soziale Gegebenheit in den USA immer wieder in den Zusammenhang der Verdrängung der weißen Mittelschicht durch Afroamerikaner gebracht und untersucht worden. Parallel fand dazu 14 Zum ersten Mal im Rahmen einer Untersuchung der Veränderung des Londoner Stadtteils Islington von Ruth Glass verwendet, wird der Begriff Gentrification seit 1964 dazu verwendet, sozialräumliche Entwicklungsprozesse von Stadtquartieren bezeichnen zu können. Er bezieht sich auf das englische Wort »gentry«, was mit »niederer Adel« übersetzt wird (Breckner 2012: 27) jedoch in ungünstiger Beziehung zu den heutigen sogenannten Gentrifiern steht, da diese weder adlig noch rückwandernd – wie einst – in die Stadt zurückziehen. Dennoch handelt es sich bei beiden – dem niederen Adel und den heutigen Gentrifiern – um weitgehend homogene Bevölkerungsgruppen (Thomas 2008: 10). Allein das Phänomen Gentrifizierung hat inzwischen einen ansehnlichen Forschungszweig der Geografie und Stadtsoziologie entwickelt. Aktuelle Analysen am deutschen Wohnungsmarkt zeigen dessen räumliche und soziale Differenzierung. Ehemals industrielle Ost- und Westregionen verlieren an Einwohnern während das Bevölkerungswachstum und die Wohnraumnachfrage in urbanem Raum nach wie vor stark steigen. Dieser Anstieg spiegelt sich weiterhin in dem wachsenden Verdrängungsdruck auf ärmere Bevölkerungsgruppen und bietet somit eine hervorragende Grundlage für den Gentrifizierungsprozess (Breckner 2012: 29). Trotz seiner langen Geschichte mangelt es diesem höchst kontrovers diskutierten Begriff nun noch immer an einer eindeutigen einheitlichen und generalisierten Definition. Dem liegen nicht zuletzt die vielen vorangegangenen Forschungsansätze, sowie die unterschiedlichsten Standpunkte und ideologischen Sichtweisen dieses Begriffskomplexes zu Grunde. Zudem ist es von großer Wichtigkeit, dass heute kaum noch Wert auf eine solch verallgemeinernde Definition gelegt wird, da die Gentrifizierung zu viele Schichten und Eigenschaften besitzt. Nichtsdestotrotz existieren diverse Verlaufsmuster, bei denen nach einem Definitionsversuch vor allem ihre Impulse, Beweggründe und Ursachen geklärt werden sollten. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, sich zunächst eine möglichst schmal geschnittene, wenn auch aussagekräftige und angemessene Begriffsdefinition eines versierten Forschers herauszusuchen, voranzustellen und im Folgenden durch ergänzende Aspekte weiterer Wissenschaftler auszuweiten und zu präzisieren. Dies ist dem Versuch dienlich, sich einen Überblick über Merkmale und Dimensionen des gesamten Prozesses zu verschaffen. So kann man sagen, dass »Gentrifizierung alle ökonomischen Strategien der Inwertsetzung oder politischen Strategien der Aufwertung bezeichnet, (…) die für [ihren] Erfolg den Austausch der Bevölkerung voraussetzen« (Holm 2012) und somit die wesentlichen Prozessinhalte in einem Satz zumindest aufwerfen sowie die ökonomische und bauliche Aufwertung heruntergewirtschafteter Häuser und der durch Bevölkerungsaustausch ausgelöste soziale Charakterwandel einer Nachbarschaft. Breckner (2012: 27) erläutert diesen Austausch als eine Dominanz einkommensstarker Haushalte in attraktiven urbanen Lagen zu Lasten ökonomisch schwächerer Haushalte, entstehend durch Erneuerungsmaßnahmen und Eigentümerwechsel etwas genauer. So wird nicht nur der Aspekt des Austausches noch klarer durch den Begriff der sozialen sowie physischen Aufwertung dargelegt (Friedrichs 1998) sondern auch der lokale Schauspielort weiterhin präzisiert. Es handelt sich dabei um einen durch aufwändige Investition in alten Baubestand induzierten sozialen Wandel (Häussermann/Siebel) wobei hier das Augenmerk auf den Baubestand gelegt werden sollte, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht eindeutig definiert wurde und schon einen ersten Hinweis auf einen typischen Modellablauf einer Gentrifizierung bietet. Schließlich wird der Ansatz des neutralen Begriffs des Bevölkerungsaustausches noch spezifiziert, da die Verdrängung der alteingesessenen Bewohnerschaft im Zuge der Gentrifizierung unter anderem das Wesen solcher Prozesse ausmacht (nach Holm 2012) und beinhaltet somit eine klare Wertung. Manche Autoren, wie beispielsweise Loretta Lees, stellen die Behauptung auf, dass es bisher noch nie ohne stadtpolitischen Auslöser zu einem Gentrifizierungsprozess kam (Lees 1994a, b; Lees/Slater/Wyly 2008). Eben gerade diese beiden letzten Definitionsabschnitte geben Hinweis darauf, dass sich aus einem akademischen Analyseansatz zuweilen eine stadtpolitisch umstrittene Diskussion entwickelt hat. Vor allem die selektive Betonung auf die Negativität des Themas spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Grund dafür ist nach Dangschat und Blasius (1990) vor allem die Irreversibilität des Vorgangs. Eben auch dann, wenn durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen preiswerter Wohnraum entzogen oder, wie bereits angeführt, die alteingesessene Bewohnerschaft verdrängt wird. Busse (1990) formuliert jedoch auch mögliche positive Effekte der Gentrifizierung zusammenfassend, dass sich ein normaler Bevölkerungsaustausch mit neuer Durchmischung der Bevölkerung auf Chancen der Regenerierung eines Stadtquartiers auswirken kann. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus könnten sich beispielsweise Anreize privater Investitionen der Bewohner schaffen. Aktuell hat sich, was die Erklärungsansätze der Gentrifizierung angeht, der ökonomische Ansatz durchgesetzt. Er zeichnet sich durch die Erklärung mit Rendite-Differenzen aus: »Ein durch Erneuerungsmaßnahmen steigender Gebäudewert (»value-gap«) zieht hiernach später eine Erhöhung des Grundstückswertes nach sich (»rent-gap«).« (Breckner 2010: 28) Unklar ist jedoch, welche Akteure und gesellschaftlichen Strukturen auf diesen Wertfortschritt von Boden und Wohnraum miteinwirken. Diese Aspekte werden zunehmend am Einzelfall untersucht. Hierfür eignen sich vor allem nationale Längsschnittstudien unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren, stellen aber dennoch eine empirische Forschungslücke dar. 15 BI 1 Einleitung in Deutschland gewissermaßen eine Umwertung von Wohnorten statt bei der viele Familien ins Grüne zogen, da der Innenstadtbereiche als ungeeignete Lebensumwelt für Kinder galt. Die darauffolgende Suburbanisierung begleitete eine partielle Abwanderung, die ärmere und ältere Bevölkerungsgruppen zurückließ (Thomas 2008). Leerstehende Wohnungen bezogen vor allem Migranten, was die Sozialstruktur der Innenstadtbereiche stark veränderte, bis zu Anfang der 80er Jahre damit begonnen wurde, städtebauliche Defizite zu bereinigen und im Anschluss an diesen Innenstadtverfall mit Sanierungsmaßnahmen zu beginnen (Blasius 1993). Typisch für die Stadterneuerungsprogramme der späten 80er und 90er Jahre war neben der Modernisierung des Wohnbestands auch eine Aufwertung des wohnlichen Umfeldes. Abgezielt wurde auf gut verdienendes Bürgerklientel, was häufig dazu führte, dass die vorherige Bewohnerschaft weichen musste (Thomas 2008). 3 Dimension des Gentrifizierungsbegriffs und ihre Manifestation im Stadtgebiet Gentrifizierungsprozesse sind sehr komplexe Phänomene, weshalb es sich lohnt, diese Vorgänge aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren und sich dem Thema durch ein mehrdimensionale Herangehensweise zu nähern (Krajewski 2004). Im Stadtgebiet manifestieren sich die Auswirkungen der voranschreitenden Gentrifizierung oft auf unterschiedliche Weise, weshalb keine allgemein gültigen Indikatoren für das Anzeigen von Gentrifizierungsprozessen genannt werden können. Sie variieren zum Teil stark von Gebiet zu Gebiet und sind in unterschiedlichen Stadien der Gentrifizierung auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Christian Krajewski hat in seinen Untersuchungen zur Gentrifizierung vier zentrale Dimensionen der Gentrifizierung ausfindig gemacht, welche als Gerüst für die Folgenden Erklärungen dienen sollen. Die wohl eingängigste und auffälligste Dimension der Gentrifizierung im Stadtbild ist die bauliche Aufwertung. Sanierte Gebäude im Altbaubestand prägen das Bild eines vorangeschrittenen gentrifizierten Gebietes. Doch die Bausubstanz wird nicht nur in ihrer äußerlichen Beschaffenheit verbessert, auch die Wohnungen selbst werden saniert. (Krajewski 2004) Zur baulichen Dimension zählt man in der Diskussion auf internationaler Ebene auch die sogenannte Neubaugentrifizierung, bei der große Neubaugebiete auf innerstädtischen Brachflächen, bei denen vorerst keine Altmieter vertrieben werden und keine Altbausubstanz saniert wird, bebaut werden und es in Folge von Nachbarschaftseffekten zur allmählichen Mietenangleichung im Umfeld dieser Gebiete kommt. (Holm 2012) 16 Als zweite Dimension benennt Krajewski die der sozialen Aufwertung (Krajewski 2004). Der Begriff der Aufwertung ist in diesem Zusammenhang jedoch als respektlos einzustufen, da er verschiedene Bevölkerungsgruppen als mehr oder weniger wert klassifiziert. Aus diesem Grund ist die Bezeichnung als sozialer Wandel durchaus als die bessere anzusehen. Gekennzeichnet wird diese Dimension vor allem durch den Zuzug einer sogenannten statushöheren Bevölkerungsgruppe, welche gegenüber der Stammbevölkerung ein höheres durchschnittliches Haushaltsnettoeinkommen der sich in dieser Gruppe befindlichen Personen vorweisen kann und prozentual mehr Menschen in dieser Gruppe einen Hochschulabschluss aufweisen können. Dieser statushöheren Bevölkerungsgruppe gehören beispielsweise auch Studierende oder Yuppies an. (Krajewski 2004) Durch den Zuzug der im Vergleich zur angestammten Bevölkerung besser Verdienenden und höher Gebildeten setzen jedoch Effekte ein, welche zur Verdrängung anderer Bevölkerungsgruppen führen. Eine genauere Erklärung zu diesen Vorgängen wird im Kapitel 5 gegeben. Indikatoren für die Dimension des sozialen Wandels, und zugleich sicherlich ihre Manifestation, sind der Rückgang des Arbeiteranteils am Erwerbstätigenanteil, der Rückgang des Arbeitslosen- und Ausländeranteils, der Rückgang der Kinderanteils, was auf einen Wegzug von Familien schließen lässt, und den Anstieg der Single-Haushalte. (Krajewski 2006: 216 - 221) Diese Indikatoren sind jedoch nicht zwangsläufig dafür geeignet, Gentrifizierung in bestimmten Gebieten anzuzeigen, da sie nicht auf jedes Gebiet zutreffen, in denen zweifellos Gentrifizierungsprozesse auftreten. Beispielsweise war die Ausländerquote schon vor dem Einsetzen der Gentrifizierung im Prenzlauer Berg sehr gering, da dieser Bezirk vormals in Ost-Berlin und somit in der DDR lag, welche generell eine niedrige Ausländerquote hatte. (Krajewski 2006: 216) Als dritte große Dimension ist die funktionale Aufwertung zu nennen. Sinkende Leerstandsquoten und die Ansiedlung neuer Geschäfte und Dienstleistungen haben eine qualitative und quantitative Angebotsausweitung zur Folge, welche sich auch im Stadtbild bemerk- bar macht. (vgl. Krajewski 2004; auch Bundschuh 2010: 3) Als Beispiel kann die Zunahme an Szenekneipen, zumindest in der Anfangsphase, oder Anwaltsbüros genannt werden (vgl. Bundschuh 2010: 3). Zu den Veränderungen im Wohnumfeld und in der Infrastruktur gehört auch die Umwandlung von Wohn- in Geschäftsfunktionen und die zunehmende Tertiärisierung des betroffenen Gebietes (Bundschuh 2010: 3). Als Teil der funktionalen Aufwertung ist auch die kulturelle Umwertung als Dimension zu betrachten, welche das Ansiedeln neuer Läden durch die »Verdrängung von Raumnutzungen einkommensschwächerer Milieus (wie etwa Infrastruktur- Kultur- oder Freizeitangebote)« (Huber: 170) noch begünstigt. Bemerkbar wird dies im Wegzug von Klubs und Kulturschaffenden oder sonstigen Institutionen der Kreativszene, welcher nicht nur der steigenden Anzahl an Lärmklagen geschuldet ist, sondern auch dem nicht mehr Vorhandensein des gewünschten Publikums (Holm 2012). Als letzte, und nach Krajewski als Meta Dimension der Gentrifizierung bezeichnete, wird die Dimension der symbolischen Aufwertung genannt (Krajewski 2004) Im Zuge der vier zentralen Dimensionen profitiert das von Gentrifizierungsprozessen betroffene Gebiet auch von einer steigenden medialen Präsenz, im Zuge dessen mehr und deutlich positivere Artikel oder Berichte gedruckt und ausgestrahlt werden (Krajewski 2004). In Folge zunehmender touristischer Aktivität aufgrund der hohen Akzeptanz des Gebietes bei Besuchern und Bewohnern kommt es schnell zur Schaffung von neuen Sehenswürdigkeiten oder Landmarks (Krajewksi 2004), welche sich nach einiger Zeit dementsprechend auch in Reiseführern wiederfinden lassen Der Tagesspiegel 2010). 4 Die Mechanismen der Gentrifizierung Nach der Definition des Begriffs Gentrifizierung und der Betrachtungen ihrer Dimensionen – also wie sich diese sichtbar artikuliert – soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden wie solche Prozesse ausgelöst werden. Was macht Gentrifizierung im Kern eigentlich aus, welche Mechanismen wirken, welche Rahmenbedingungen und Akteure sind maßgeblich? Die Beantwortung dieser Frage ist mit den lange dominanten monokausalen Erklärungsansätze nicht oder nur defizitär zu leisten. Stadtentwicklung ist ein hoch komplexes Feld in dem die Standortpräferenzen von Unternehmen und Individuen, die Zugangsschwellen des Bodenmarkts und die Stadtplanung mit ihren zahlreichen Instrumenten in einem engen, jedoch raum-zeitlich variierenden, Wechselverhältnis stehen. (Häussermann/Siebel 2004: 118f) Diese Vielschichtigkeit gilt für Gentrifizierung im speziellen nicht minder, vermutlich sogar in besonderem Maße. Nach langjährigen, teilweise polarisiert geführten Debatten hat sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass die wichtigsten Fragen über Gentrifizierung nur in gegenseitiger Ergänzung der Ansätze zu beantworten sind (Krajewski 2006: 46; Breckner 2010: 28; Karow- Kluge/ Schmitt 2013: 181). Um das Phänomen der Gentrifizierung zu erhellen, gilt es somit die Wechselwirkungen von ökonomischen, kulturellen und politischen Ursachenkomplexen in den Blick zu nehmen (Holm 2012a: 663ff). Dies verlangt konkret auch lange populäre und zahlreich rezipierte Erklärungsansätze wie den Doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus von Jens Dangschat als untauglich zu benennen und zu verwerfen. In der Tradition der Chicago- School der Sozialökologie wird Gentrifizierung hier als quasi natürlicher Wanderungsprozess ökonomisch verschieden potenter Bevölkerungsgruppen verstanden (Häussermann/Siebel 2004: 119ff; Breckner 2010: 28). Weitgehend ignoriert werden dagegen der Einfluss kommunaler Planungsämter, privatwirtschaftlicher Investitionskalküle, struktureller Veränderungen in den Wohnungsmärkten sowie Aspekte eines kulturellen Wertewandels. Nicht zuletzt fehlt diesem Modell bis heute ein empirischer Nachweis. (Krajewski 2006: 49; Breckner 2010: 28) Im Folgenden sollen nun die verschiedenen Deutungsmuster welche Auslöser zu Gentrifizierung führen sowie etwaige Interdependenzen näher betrachtet werden. 17 BI Nach diese kurzen Annäherung kristallisieren sich bereits die zwei ausschlaggebenden Dimensionen der Gentrifizierung heraus: Die bauliche und die soziale Dimension deren Bedeutung und Inhalte zu späterem Zeitpunkt noch geklärt werden. mechanismen Bei der Erklärung von Gentrifizierungsprozessen kommt den ökonomischen Zusammenhängen und Mechanismen eine besonders große Bedeutung zu, denn Gentrifizierung muss im Kern »als eine immobilienwirtschaftliche Inwertsetzung angesehen werden« (Holm 2013: 11). Bevor wir uns aber der Mikroebene der konkreten, akteursspezifischen Investitionskalküle zuwenden, sollen auch die makroökonomischen Rahmenbedingungen der »Des- und Reinvestitionszyklen des Immobilienkapitals« (Krajewski 2004: 26) in den Blick genommen werden. Makroökonomische Rahmenbedingungen Die raumzeitliche Konzentration innerstädtischer Investitionen – als wesentlicher Voraussetzung für Gentrifizierung – wird makroökonomisch mit einem zyklischen Verlauf der Stadtentwicklung und der damit verbundenen immobilienwirtschaftlichen Investitionen erklärt. Diese Zyklen werden auf die spezifische Trägheit und das ökonomische Beharrungsvermögen der gebauten Struktur zurückgeführt. Investitionen in langlebige Güter werden als eine langfristige Option auf die Verwertung des Bodens und der auf ihm errichteten Gebäude angesehen. Daher werden bei neuerlichen Investitionen nicht nur die direkten Kosten, sondern auch die abgebrochene Restnutzungsdauer des Bestandes Berücksichtigung finden. Da eine solche Investition im Vergleich zu einer an einem unbebauten Ort - oft kostspieliger ist, ist neben genügend Kapital eine im Vergleich zur Stadterweiterung höhere Rentabilität Voraussetzung. Dies kann auch erklären, warum die Umstrukturierung innerstädtischer Quartiere oft in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation erfolgt. Die lange dominanten Tendenzen zur Suburbanisierung können als Kapitalentzug für die Innenstädte interpretiert werden. Der Trendumschwung zur Reurbanisierung markiert wiederum die Umkehrung der Kapitalströme in die Innenstädte. (Holm 2012a: 664) Neil Smith hat Gentrifizierung daher auch als »back to the city movement, by capital, not by people« (bei Holm 2012a: 664) verstanden. 18 Darüber hinaus gibt es einen makroökonomischen Ansatz, der das enge Korsett einer rein immobilienwirtschaftlichen Betrachtung hinter sich lässt. In diesem sind die verstärkten Investitionen in die Wohnungsmärkte Ausdruck eines finanzdominierten Akkumulationsregimes vor dem Hintergrund der zunehmenden Disparitäten zwischen der globalen Wertschöpfung und den um ein vielfaches höheren Umsätzen der Finanzmärkte. So wurden auf der einen Seite immer neue Ablagemöglichkeiten in Fonds, Versicherungen und Derivatehandel aufgelegt, ohne dass es auf der anderen Seite genug gewinnträchtige Produktionssphären gab, die diesen Handel tatsächlich hätten decken können. (Holm 2013: 22f) Ohne das Wert und Mehrwert in der allgemeinen Produktion erzeugt wird, können diese Sektoren jedoch nicht existieren. Die Unzulänglichkeit der Wertschöpfung durch Produktion wird vielmehr »unausweichlich ein böses Ende finden« (Harvey 2013: 95). Als Ausweg wurden, und werden dann oft Investitionen in den sogenannten zweiten Kapitalkreislauf, also in große Bauprojekte, Immobilienmärkte und Infrastrukturen, getätigt. (Holm 2013: 22) Tatsächlich ließ sich in Folge der Geldmarktkrise der letzten Jahre eine verstärkte Attraktivität des Immobilienmarktes für professionelle Investoren feststellen (Karow-Kluge/Schmitt 2013: 180ff.) Mikroökonomische Investitionskalküle In einer mikroökonomischen Perspektive wird Gentrifizierung zurückgeführt auf konkrete »Investitionskalküle […] innerhalb des Bodenmarkts« (Krajewski 2006: 46). Boden selbst ist unter kapitalistischen Bedingungen als eine Ware zu betrachten die bestimmten Verwertungslogiken unterliegt (Holm 2013: 22). Dieser wirft Zinserträge ab, die mitunter »exponentiell« steigerbar sind. Ausgangspunkt dafür sind Renditedifferenzen bei der Gebäude- und Grundstücksverwertung (Breckner 2010: 28). Diese Ertragslücken lassen sich durch Investitionen in die Bausubstanz bzw. durch einen Verkauf schließen (Richter 2012: 8f). Innerhalb des mikroökonomischen Ansatzes werden noch zwei variierende Modelle diskutiert. Die Rent-Gap-Theorie steht mit der Grundrente eines innerstädtischen Grundstücks in Zusammenhang. Wenn diese deutlich niedriger ist als die potenziell zu erzielende Grundrente, die durch eine Nutzungsände- Die Value- Gap-Theorie stellt dagegen die Kapitalrendite eines in Eigentumswohnungen umgewandelten Mietshauses im Gegensatz zu den jährlichen Einnahmen aus der Vermietung des Mietshauses in den Mittelpunkt. Maximale Rendite wird dabei nur beim Verkauf eines völlig entmieteten Gebäudes erzielt. So lassen sich auch trotz Gesetzen, die Mietsteigerungen begrenzen, durch den Wohnungsverkauf hohe Profite auf dem Immobilienmarkt erreichen. (Krajewski 2006: 46) Diese Verwertungsstrategie ist besonders in Gebieten, in denen die Miete im Vergleich zum Wohnungsmarkt gering ist, naheliegend (Richter 2012: 9). Letztlich ist in diesen mikroökonomischen Modellen immer die Diskrepanz zwischen aktueller und potenzieller Grundrente »der Auslöser […] eines neuen Verwertungszyklus« (Häussermann/Siebel 2004: 130). Der Erfolg solcher Inestitionsstrategien ist entweder an kollektive Einkommenszuwächse der Haushalte oder aber den Austausch der Bewohner gebunden (Holm 2012a: 665). Neue Eigentümer und veränderte Verwertungslogiken Viele Berliner Altbauquartiere boten optimale Ausgangsbedingungen für Gentrifizierungsprozesse Sie waren von zumeist inaktiven Einzeleigentümern geprägt, die die Instandsetzung ihrer Gebäude vernachlässigten um die Gewinnspanne der Mieteinnahmen zu erhöhen. Vielfach wären sie auch zu Modernisierungsinvestitionen nicht fähig gewesen. Mit der Aufwertungserwartung eines Gebietes werden steigende Bodenpreise und der Verkauf von Häusern jedoch wahrscheinlicher. (Holm 2013: 26f) Tatsächlich spielen neue Eigentümer eine große Rolle in Gentrifizierungsprozessen. Veränderte Eigentümerstrukturen ließen sich in den 1990er Jahren sowohl für die Spandauer und die Rosenthaler Vorstadt in Berlin Mitte (Krajewski 2006: 231f) als auch von 2005-2009 in Nordneukölln (Holm 2011:225f) feststellen. Käufer sind oft professionelle Immobilienunternehmen, denen es im Gegensatz zu den Altbesitzern nicht am Zugang zu Investitionsmitteln mangelt. Diesen geht es jedoch nicht nur um die Mobilisierung von Geld für Erneuerungsarbeiten, sondern auch um die Refinanzierung der Kaufpreise. Da für den Erwerb von Immobilien zumeist entsprechend zu tilgende und zu verzinsende Kredite aufgenommen werden, lösen steigende Bodenpreise in Aufwertungsgebieten einen enormen Verwertungsdruck aus. (Holm 2013: 26 f.) Die neuen Wohnungsmarktakteure sind in der Regel keine rentenorientierten Hausbesitzer mehr, sondern renditeorientierte Investoren. Grundstücksverwertung wird von diesen als Finanzanlage behandelt, die in einem möglichst kurzen Zeitraum für eine Investition ein bestimmtes Maß an Rendite abwerfen soll. (Holm 2013: 27). Städtische Aufwertungsprozesse werden in zunehmenden Maße von globalem, oft vollkommen branchenfremden, Kapital initiiert. Hat Smith (2002: 94) dies schon früh für die USA analysiert, so wird dies von Mayer (2012) heute auch für Deutschland bestätigt. Dabei muss insbesondere der »massenhafte und weit verbreitete Auftritt von Finanzinvestoren auf dem Wohnungsmarkt« als »ein Symbol gesellschaftlicher Globalisierung« (Breckner 2010: 30) als bedeutsam hervorgehoben werden. Auch das Deutsche Institut für Urbanistik (DifU) hat festgestellt, dass seit der Jahrtausendwende zunehmend internationale Finanzinvestoren auf dem deutschen Immobilienmarkt agieren, und stellt dies in einen engen Zusammenhang mit dem Problem Gentrifizierung (DifU 2011: 11). Die Befürchtung, dass die auf kurz- bis mittelfristige Renditeoptimierung ausgelegten Geschäftsmodelle von Investoren negative Auswirkungen auf die Wohnungsversorgung sozial schwächerer Bevölkerungsteile und auf die Sozialstruktur vieler Wohnquartiere haben, wird lauf DifU (o. J.) mittlerweile von deutschen Kommunen bestätigt. Karow Kluge/Schmitt (2013: 182) machen dagegen geltend das auch marktkonforme Handlungslogiken von Grundstückeigentümern ein breites Spektrum an Investitionsverhalten und Bewirtschaftungsstrategien zulassen. 19 BI 4.1 Ökonomische Aufwertungs- rung zu erreichen ist, kann die Lücke durch einen Reinvestitionsprozess geschlossen werden. (Krajewski 2006: 46) Nur wenn diese Ertragslücke groß genug ist, um eine Rendite zu erwirtschaften, rechnet sich die Investition. Sie hängt somit nicht nur von den zukünftig zu erwartenden Einnahmen, sondern auch von der aktuellen Ertragslage ab. (Holm 2013: 25) Eine Aufwertung kann somit besonders in solchen Vierteln entstehen, die bisher von Desinvestitionen geprägt gewesen sind (Richter 2012: 9). Das heißt letztlich, dass es keine Viertel gibt, die zu schlecht für Gentrifizierung sind, sondern dass diese sogar vorteilhaft sind (Holm 2013: 25). Gentrifizierungsprozessen Die vorhergehenden Ausführungen mögen jetzt die Frage aufwerfen wie sich denn die Läden und Infrastrukturen der Alternativszene oder Kreativmilieus in solche Prozesse integrieren. Solche Pioniernutzungen werden oft als »Ausdruck, Ergebnis oder Motor von Aufwertungsentwicklungen« (Holm 2013: 29) bewertet. Tatsächlich ist für Berlin die schrittweise räumliche Verlagerung von Pionierphasen im Zusammenhang mit Aufwertungstendenzen gut belegt (Holm 2011: 214ff). Aber wie kommt diese »Wechselwirkung zwischen der Produktion kultureller Symbole und der Produktion städtischen Raums« (Zukin 1998: 27) konkret zustande? Einerseits reicht bereits eine beginnende Imageveränderung eines Quartiers oder die Ansiedlung einer subkulturellen Szene aus um deutliche Steigerungen im Bereich der Neuvermietungsmieten auszulösen (Holm 2013: 16). Solche Extraeinnahmen, die mehr von der Einzigartigkeit, Authentizität oder Besonderheit eines Quartiers denn von tatsächlichen Ausstattungsmerkmalen einer Immobilie herrühren, werden als Monopolrenten bezeichnet (Harvey 2013: 165ff). Aus einer immobilienwirtschaftlichen Perspektive ist die symbolische Aufladung eines Gebietes und die Konstituierung eines besonderen Ortes daher eine besonders lukrative Strategie. (Holm 2011: 217) Andererseits bieten die genannten Kulturmilieus auch mehr lebensweltliche Bezugspunkte für zahlungskräftigere Mittelschichtsangehörige als traditionelle Arbeiteroder Migrantenmilieus. Sie können daher auch als »Türöffner« (Holm 2013: 36) für jene »postmaterialistischen Mittelschichten, die selber in ihrem Lebensstil nicht selten offen oder insgeheim einem ‚Künstlerideal‘ des Kreativen folgen« (Reckwitz 2009: 14), betrachtet werden. Die kulturell umgewerteten Quartier attraktivieren natürlich auch Investoren. Es kommt zu Eigentümerwechseln und Aufwertungsmaßnahmen. Sharon Zukin 20 hat diese oft beobachtete Gleichzeitigkeit von symbolisch-kultureller Umwertung und ökonomischer Inwertsetzung in Anlehnung an Pierre Bourdieus Konzept des kulturellen Kapitals als einen »Prozess der mehrfachen Kapitaltransformation« (Holm 2012a: 673) beschrieben. Dabei wird das individuelle inkorporierte kulturelle Kapital der Pioniere zuerst in ein ortsgebundenes kulturelles Kapital (die künstlerische Besonderheit eines Quartiers) transformiert. Aus dieser Attraktivität des Ortes werden über Zusatzeinnahmen bei Neuvermietungen, hochpreisige Vermietung in Folge von Modernisierungsmaßnahmen oder durch Verkauf – dies ist der Punkt an dem die sichtbare Gentrifizierung beginnt- dann tatsächliche immobilienwirtschaftliche Gewinne realisiert. Der letzte Transformationsschritt durch die Verwandlung des aufgewendeten ökonomischen Kapitals der neuen Bewohner zum Erwerb eines käuflich symbolischen Mehrwerts. (Holm 2012a: 672f; 2013: 31ff) In diesem Prozess findet die »Akkumulation sowohl des Finanzkapitals als auch der der visuellen Images [..] buchstäblich in ‚Kreisläufen kulturellen Kapitals‘ statt« (Zukin 1998: 32). Und umso besser die von einer Gruppe erzeugten Gemeingüter – als solche sind auch die Atmosphäre oder Attraktivität einer Stadt oder eines Stadtquartiers zu bewerten – wahrgenommen werden umso höher ist die Wahrscheinlichkeit das diese sich von privatwirtschaftlichen Gewinninteressen angeeignet werden (Harvey 2013: 146). Dieses Wissen hat etwa in den Neuköllner Alternativmilieus zu einer durchaus selbstkritischen Reflektion über die eigene Rolle in Gentrifizierungsprozessen geführt (Holm 2011: 226). Mögen die prominenten Berliner Beispiele für Gentrifizierung alle von einer Pionierphase eingeleitet worden sein (Holm 2011: 214ff), so darf dennoch nicht vergessen werden, das eine solche weder zwingend erforderlich, noch der Regelfall in Deutschland ist (Holm 2012b). Wer ein Verständnis für Gentrifizierung gewinnen möchte, wird neben den bereits skizzierten Mechanismen auch einige kulturelle Makrotrends berücksichtigen müssen. Hier ist insbesondere der Trendumschwung vom lange dominanten Modell des »Auszugs der Mittelschichten ins suburbane Eigenheim« (Häus- sermann/Siebel 2004: 73) zu einer wieder »zunehmenden Stadtaffinität verschiedener Nachfragergruppen auf dem Wohnungsmarkt« (Karow-Kluge/Schmitt 2013: 180) die oft auch als eine »Renaissance der Innenstädte« (Dangschat 2013: 172) beschrieben wird, hervorzuheben. Dieser Trend wird u.a. auf neue Haushaltsformen und die Entkopplung der Anzahl der Haushalte von der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung, die Überwindung traditioneller Kleinfamilienstrukturen und darin eingeschriebener Muster der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie die Notwendigkeit der Durchlässigkeit von Arbeits-, Wohn-, und Freizeitstrukturen vor dem Hintergrund der Tertiärisierung der Arbeitswelt, zurückgeführt (Holm 2012a: 667ff). Die neue Popularität der Innenstädte ist jedoch nicht ausschließlich soziodemografisch und alltagspraktisch motiviert. Die »innenstadtnahen Stadtviertel als ästhetisiert aufgearbeitete Wohnviertel für die postmaterialistischen Mittelschichten« müssen auch vor dem »Hintergrund eines Wechsels der ästhetischen Sensibilität vom funktionalistischen Modernismus zu einer postmodernistischen Alltagsästhetik« (Reckwitz 2009: 16) betrachtet werden. Ebenfalls von Relevanz ist die »Etablierung distinktionsorientierter Lebensstile« (Holm 2012a: 667) für die eine »Abgrenzung zu Angehörigen anderer Schichten« (Holm 2013: 33) bedeutsam ist. Eine renommierte Adresse, etwa in einem Auswertungsgebiet, kann als »Distinktionsressource« (Holm 2012a: 670) verstanden werden, die sowohl eine Nähe zu begehrten Dingen und Personen als auch eine Distanz zu unerwünschten Erscheinungen des sozialen Lebens erlaubt (Schroer 2012: 92ff). Zudem ist eine solche mit erheblichem sozialem Prestige verbunden. Pierre Bourdieu hat dies als Klub-Effekt beschrieben. All jene die als Bewohner Einlass in ein begehrtes Wohnviertel erhalten werden zusätzlich symbolisch überhöht weil sie am bereits akkumulierten Kapital partizipieren dürfen, ohne bisher zu ihm beigetragen zu haben. (Schroer 2012: 99) Es lässt sich also resümieren das Gentrifzierung auch dem Bedürfnis von Akademikern und Wohlhabenden nach einem räumlichen Zusammenschluss mit gleichgestellten oder gleichgesinnten im Sinne einer »selbstgewählte[n] Exklusion« (Karow-Kluge/Schmitt 2013: 182) entgegenkommt. 4.3 Stadtpolitik und Gentrifizierung Gentrifizierung, das haben die vorhergehenden Ausführungen gezeigt, ist also nicht etwa eine ungewollte Begleiterscheinung der heutigen Stadtentwicklung. Aufwertung in städtischen Quartieren ist vielfach gewollt und wird von der Stadtpolitik oft als notwendig angesehen. Denn Städte stehen heute bei »Strafe ihres Untergangs« (Schroer 2012: 238) in einer Konkurrenz um Investitionen, Arbeitsplätze, Unternehmen, Touristenströme und steuerzahlende Einwohner (Schroer 2012: 238; Löw 2012: 120; Holm 2013: 41; Zukin 1998: 28). Neben materiellen Vorteilen wie niedrige Löhne und Steuern oder einem innovativen Wirtschaftsklima sind dabei auch die »symbolischen Werte« (Zukin 1998: 29) und das »Ambiente der Stadt« (Mayer 1990: 197) von entscheidender Bedeutung. Die Attraktivität der Stadt als Lebensraum gilt als wichtige Rahmenbedingung für wirtschaftliches Wachstum und die Konkurrenzfähigkeit einer Stadt (Mayer 1990: 201). Gerade die sozialen Gruppen die als Adressat für attraktiv aufgewertete innerstädtische Wohnungsbestände gelten, gelten in vielen Städten in besonderem Maße als ökonomische Hoffnungsträger (Thomas 2008: 16). Daher haben die von diesen Schichten geprägten Vorstellungen vom guten Leben die »Macht über die Formierung des Städtischen erhalten« (Mayer 1990: 193). Die Herrichtung der Innenstädte für deren Wohn-, Arbeits-, und Konsumbedürfnisse finden sich stadtpolitisch dann oft als notwendige Form der »Revitalisierung« (Karow-Kluge/Schmitt 2013: 183) oder als »urban regeneration« (Smith 2002: 96) verklärt. Im internationalen Städtewettbewerb müssen Städte vor allem unterscheidbar sein und Besonderheiten ihr eigenen nennen die andere Städte nicht teilen. Diese »Differenzorientierung« (Reckwitz 2009: 18) richtet sich sowohl nach innen auf die Stadtbewohner als auch nach außen auf potentielle Zuzügler, Konsumenten, Touristen und Unternehmen. Dieser »Kampf um die Anhäufung von Distinktionsmerkmalen und kollektivem symbolischen Kapital in einer Welt mit starken Konkurrenzkampf« (Harvey 2013: 190) wird für die Städte auch weiterhin prägend sein. Über welche Instrumente die Stadt verfügt, um in einen Gentrifizierungsprozess einwirken zu können, werden im Themenblock der »Akteure in einer Gentrifizierung« näher betrachtet. 21 BI 4.2 Kulturelle Aspekte in Abschließend bleibt festzuhalten, dass die vorgestellten Deutungsansätze trotz ihrer großen Erklärungskraft doch theoretische Modelle bleiben. Welche gesellschaftlichen Strukturen, Mechanismen und Akteure mit welchen konkreten Mittel die Wertentwicklung von Boden und Wohnraum in bestimmten räumlichen Zusammenhängen beeinflussen, muss immer im lokalen Einzelfall untersucht werden. (Breckner 2010: 28) Ein zukünftiger Schwerpunkt der Gentifizierungsforschung müssen daher empirische Fallstudien sein, die weniger nach generalisierbaren Ursachen oder Prozessabläufen als nach speziellen Entwicklungspfaden und lokalen und nationalen Besonderheiten suchen (Krajewski 2006: 50). So liegen für zumindest einzelne Berliner Aufwertungsgebiete – das dies auch auf andere ebenfalls zutrifft ist nicht ausgeschlossen - keine systematisch auswertbaren Daten vor, die eine Einschätzung der wohnungswirtschaftlichen Strategien der neuen Marktakteure ermöglichen (Holm 2011: 222). Mit Sicherheit sagen lässt sich jedoch, dass Gentrifizierung ein hochkomplexes soziales Phänomen ist. Zur Entschlüsselung seiner Wechselwirkungen bedarf es einer Betrachtung politischer, wirtschaftlicher, kultureller aber auch demographischer Zusammenhänge. Zudem gilt es auch verschiedene räumliche Maßstabsebenen in den Blick zu nehmen und die »verschiedene[n] Dimensionen sozialer Wirklichkeit zueinander in Beziehung zu setzen« (Löw 2010: 138). Denn gesellschaftliche Verhältnisse sind im Zeitalter der Globalisierung sowohl Ausdruck großräumiger Verhältnisse als auch lokaler Spezifika (Smith 2002: 93). Gerade Phänomene sozialer Ungleichheit werden in den Städten erfahrbar, werden jedoch durch den Nationalstaat ideologisch vorstrukturiert und durch die Dominanz einer Weltökonomie signifikant beeinflusst (Löw 2010: 130). Gentrifizierung lässt sich somit nur als »set of common processes, linked in part at the global scale but also explained locally by policy intervention or non-intervention« (Krajewski 2006: 50) verstehen. Dies macht auch eine definitive Aussage zu den zentralen Akteuren schwierig. Denn Gentrifizierung ver- 22 bindet mitunter Akteure an den internationalen Finanzmärkten mit Projektentwicklern, lokalen Händlern, Immobilienunternehmen und - Maklern, lokalen und nationalen Regierungen aber auch subkulturellen Milieus und den Wohn-, Konsum-, und Distinktionsbedürfnissen bestimmter Bevölkerungsgruppen. 5 Verdrängungsaspekte Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, ob die Verdrängung, als Form des Austausches der Bevölkerung, wie beispielsweise nach Aussagen Peter Marcuses wirklich das Wesen der Gentrifizierung darstellt, und nicht nur etwa ein ungewollter Nebeneffekt ist (vgl. Holm 2012). Um dies zu beantworten, sind mehrere Arten und Formen von Verdrängungserscheinungen genauer zu untersuchen, um die verschiedenen Aspekte eindeutig unterscheiden zu können. Anschließend stellt sich die Frage, ob die Verwendung des Begriffs »Verdrängung« überhaupt noch im Zusammenhang mit Gentrifizierungsprozessen anwendbar ist (Krajewski 2006: 256). 5.1 Definition des Verdrängungsbegriffs Der Verdrängungsbegriff ist als mehrdimensionaler Begriff zu verstehen und wird aus unterschiedlichen Sichtweisen heraus auch verschieden definiert. George und Eunice Grier verstehen als Verdrängung, wenn ein Haushalt zum Verlassen seines Wohnsitzes durch verschiedene Umstände, welche seine Wohnung oder seine unmittelbare Umgebung beeinflussen, gezwungen wird (Marcuse 1985: 205). Diese Umstände sind für die Haushalte nicht kontrollieroder verhinderbar und treten auch auf, wenn der Haushalt zuvor alle auferlegten Bedingungen erfüllt hat. Wenn diese Bedingungen ein weiteres wohnen bleiben des Haushalts unmöglich, gefährlich oder unbezahlbar machen, handelt es sich um Verdrängung (Marcuse 1985: 205). Für Krajewski wird derjenige Personenkreis ökonomisch verdrängt, »der trotz Mietpreisbindung und Mietobergrenzen den Mietzins nach der Modernisierung nicht mehr zahlen kann« (Krajewski 2006: 255). Eine andere Definition stammt von Harmut Häußermann aus dem Jahr 2007, welcher meint, dass sich nur jene Bewohner als Verdrängte bezeichnen dürfen, »die mit der verhandlungsorientierten Organisation der Stadterneuerung nicht zurechtkommen, weil sie ihre Verhandlungschancen nicht wahrnehmen (können) und die bezirklichen Beratungsangebote nicht als Hilfe herbeiziehen (können)« (Häußermann 2007: 175). Alle diese unterschiedlichen Definitionen beziehen sich auf die verschiedenen Verdrängungsdimensionen, welche im folgenden Kapitel näher erläutert werden. 5.2 Verdrängungstypologien Um den Verdrängungsbegriff in seiner Mehrdimensionalität besser erklären zu können, bedarf es einer genaueren Differenzierung zwischen verschiedenen Formen der Verdrängung. Peter Marcuse, welcher Gentrifizierungsprozesse in New York untersuchte, unterscheidet zwischen vier verschiedenen Verdrängungstypen (Holm 2012). Die Verdrängungsform, welche gesellschaftlich wohl aktuell die höchste Wahrnehmung erfährt, ist laut Marcuse die ökonomische Verdrängung, bei welcher die Bewohner die hohen Kosten einer Mietsteigerung oder nach Modernisierungsmaßnahmen aufgrund seines nicht ausreichenden ökonomischen Kapitals nicht mehr bezahlen kann und aus diesem Grund seinen Wohnsitz verlassen muss (Holm 2012). Begünstigend für diese Art von Verdrängung sind auch die in Deutschland geltenden Sozialgesetze im Rahmen des Arbeitslosengeld 2. Da eine festgesetzte Mietobergrenze für Wohnungen von Hartz 4- Empfängern besteht, welche sich, abhängig von der Kommune, nach vergleichsweise günstigen Mieten orientiert, werden Mieter, bei welchen die Mietkosten oberhalb dieser Grenze liegen, teilweise zum Umzug gezwungen (Piekarz). Allein in Berlin stieg die Zahl der durch diese Art von Verdrängung betroffenen Personen von 428 im Jahr 2009 bis auf 1313 im Jahr 2011 (Schomaker 2012). Als zweites zu nennen sind physische Verdrängungsprozesse, bei welchen die Gründe für das Verlassen des Wohnsitzes zumeist Formen von indirekter physischer Gewaltanwendung der Haus- oder Wohnungseigentümer gegen die Mieter sind. Sichtbar wird diese Art der Verdrängung beispielsweise in Form von Dachstuhlbränden oder angesägten Gasleitungen, welche sich nicht nur im New York der 1960er Jahre, sondern Ende der 1990er Jahre auch hier zu Lande beobachten ließen. (Holm 2012) Als weiteren Verdrängungstyp benennt Marcuse die sogenannte exkludierende, also ausschließende Verdrängung. Eine Voraussetzung dieser Form ist, dass der Altmieter aus unabhängigen und individuellen Gründen seine Wohnung verlässt, ohne dass er im Sinne der weiter vorn im Text genannten Definitionen von Verdrängung zum Umzug gezwungen wurde. Nach dem Auszug des Altmieters durchfährt die Wohnung jedoch eine derartige Aufwertung, dass ein mit dem Altmieter vergleichbarer Haushalt, welcher sich durch die gleichen soziodemographischen Merkmale auszeichnet, nicht mehr in diese Wohnung einziehen kann. Daraus resultiert eine Reduzierung der Gesamtanzahl an Wohnungen für diese Art von Haushalten in betroffenen Gebieten. Verbreitet ist diese Form der Verdrängung vor allem in Wohnungsmärkten mit hoher Fluktuation. (Holm 2012) Die vierte Form der Verdrängung betrifft die kulturelle Perspektive. Diese kulturelle Verdrängung tritt auf, wenn verschiedene Gentrifizierungsprozesse beim Altmieter sogenannte Entfremdungseffekte nach sich ziehen, da er sich nicht mehr mit seinem Wohnort identifizieren kann. Beispiele für solche Effekte sind der Austausch der Nachbarschaft oder Veränderungen in den Ladennutzungen im Umkreis der Wohnung. Betroffen von dieser Verdrängung ist auch die Klubszene, welche sich einerseits durch eine Häufung von Beschwerden oder Strafanzeigen aus der direkten Nachbarschaft, und andererseits durch ein nicht mehr vorhandenes Publikum, oft dazu entscheidet, aus den Gebieten, in denen die Gentrifizierung schon fortgeschritten ist, wegzuziehen.(Holm 2012) 23 BI 4.4 Schlussbemerkungen Für Krajewski wird derjenige Personenkreis ökonomisch verdrängt, »der trotz Mietpreisbindung und Mietobergrenzen den Mietzins nach der Modernisierung nicht mehr zahlen kann« (Krajewski 2006: 255). Eine andere Definition stammt von Harmut Häußermann aus dem Jahr 2007, welcher meint, dass sich nur jene Bewohner als Verdrängte bezeichnen dürfen, »die mit der verhandlungsorientierten Organisation der Stadterneuerung nicht zurechtkommen, weil sie ihre Verhandlungschancen nicht wahrnehmen (können) und die bezirklichen Beratungsangebote nicht als Hilfe herbeiziehen (können)« (Häußermann 2007: 175). Alle diese unterschiedlichen Definitionen beziehen sich auf die verschiedenen Verdrängungsdimensionen, welche im folgenden Kapitel näher erläutert werden. 5.3 Fazit Obwohl die Verdrängung für viele Forscher das zentrale Element der Gentrifizierung ist, sind alle diese Verdrängungsdimension und ihre unterschiedlichen Ausmaße aufgrund der schwierigen Erhebung empirischen Materials nur sehr schwer nachweisbar (Simmel 2011: 98). Untersuchungen von J. Blasius zufolge sind die sogenannten Opfer der Verdrängung beispielsweise »keineswegs, wie bislang angenommen, überwiegend Arme, Alte, Ausländer und sonstige ökonomisch Benachteiligte« (Blasius 1994: 424). Krajewskis Untersuchungen in Berlin zeigen, dass eindeutig individuelle Gründe für den Wegzug dominieren (Krajewski 2006: 255). Das Koordinationsbüro zur Begleitung der Stadterneuerung in 24 Berlin gab sogar noch im Jahr 2000 an, dass 40% - 46% der Weggezogenen nach erfolgreicher Sanierung wieder in ihre alten Wohnungen zurückkehrten (Krajewski 2006: 255). Gentrifizierung ist also nicht umstandslos mit der Verdrängung unterer Einkommensgruppen durch den Zuzug von statushöheren und wohlhabenderen Schichten gleichzusetzen (Krajewski 2006: 256). Es ist demnach wichtig, besonders in der kontroversen Diskussion um freiwillige oder erzwungene Mobilität, sich eingehend mit dem Verdrängungsbegriff auseinander zu setzen und zu analysieren, mit welcher Form der Verdrängung man es im konkreten Fall zu tun hat, wenn man Lösungen für Probleme in diesem Zusammenhang finden möchte (Holm 2012). 6 Fazit zum Themenblock Gentrifizierung ist nach wie vor ein sehr kontrovers diskutierter Begriff, für den es aufgrund unterschiedlichster Standpunkte und ideologischer Sichtweisen derzeit nicht möglich ist, eine einheitliche Definition zu finden. Das soziale Phänomen Gentrifizierung hat ökonomische, kulturelle, politische und demografische Ursachen, denen die lange dominanten, monokausalen Erklärungsansätze nicht gerecht werden. Die im dritten Kapitel dargestellten Deutungsansätze bleiben theoretische Modelle, deren Mechanismen und Akteure von Fall zu Fall aufs Neue untersucht werden müssen. Ein zentrales Problem der Untersuchungen bleiben dabei fehlende empirische Belegungen, die zukünftig Schwerpunkt der Gentrifizierungsforschung sein müssen. Daher sind auch die Aspekte der Verdrängung, die für viele Forscher das zentrale Element darstellen, meist nur schwer mess- und nachweisbar, zumal auch Verdrängung auf verschiedene Arten und Weisen fortschreiten kann. 7 Quellen 7.1 Literaturverzeichnis Bayer, Susanne (08.06.2009): Freunde von früher (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-65640714. html, Abrufdatum 08:11.2013) BMGEV – Berliner Mietergemeinschaft (ohne Jahr): Wohnungsnot selbst gemacht. Wie die rot-rote Regierung den zunehmenden Wohnungsmangel und Mietsteigerungen herbeigeführt hat (http://www. bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/wohnungsnot-selbst-gemacht.html, Abrufdatum 22.11.2013) Berliner Morgenpost (2012): Hartz IV - Tausenden Berlinern droht Zwangsumzug (http://www.morgenpost. de/berlin-aktuell/article1913840/Hartz-IV-Tausenden- Berlinern-droht-Zwangsumzug.html, Abrufdatum 22.11.2013) Blasius, Jörg (1994): Verdrängungen in einem gentrifizierten Gebiet, in: Lebensstile in Städten Konzepte und Methoden, hrsg. von Dangschat, Jens; Blasius, Jörg, Opladen, S. 424 Breckner, Ingrid (2010): Gentrifizierung im 21. Jahrhundert. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 17/2010, S. 2732 Gebhardt, Dirk/Holm, Andrej (2011): Initiativen für ein Recht auf Stadt. In: Dies. (Hrsg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt. Theorie und Praxis städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg, S. 7-23 Harvey, David (2013): Rebellische Städte. 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Unrast Verlag, Münster 25 BI Zusätzlich, als indirekte Verdrängung, zu welcher auch die kulturelle Verdrängung gehört und zu der Holm auch die exkludierende Verdrängung zählt (Holm 2012), kann die Verdrängung aus dem Lebensstil bezeichnet werden. Ein aktuelles Beispiel aus Berlin zeigt, dass vor allen Dingen Großfamilien mit Migrationshintergrund die steigenden Mietbelastungsquoten pro Haushalt nicht mit Wegzug kompensieren, sondern mit der Verringerung ihres Wohnraums. Diese Kompensierung manifestiert sich meistens in der Aufnahme eines weiteren Familienangehörigen, worauf als Folge die Mietkosten aufgeteilt werden können. (Holm 2012) DifU – Deutsches Institut für Urbanistik (ohne Jahr): Finanzinvestoren im Wohnquartier – Akteure und Interessen, Effekte und Perspektiven (http://www. difu.de/veranstaltungen/2013-05-06/finanzinvestoren-im-wohnquartier-akteure-und-interessen.html, Abrufdatum 22.11.2013) Karow-Kluge, Daniela/Schmitt Gisela (2013): Veränderungsprozesse in städtischen Quartieren zwischen Aufwertung und Verdrängung – Wer ist beteiligt? In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung (Zeitschrift des vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V.) Heft 4/2013, S.180-184 Krajewski, Christian (2004): Gentrification in zentrumsnahen Stadtquartieren am Beispiel der Spandauer und Rosenthaler Vorstadt in Berlin-Mitte (http://www.stadtzukuenfte.de/Abstracts_17/Krajewski.pdf , Abrufdatum 24.11.2013) Krajewski, Christian (2006): Urbane Transformationsprozesse in zentrumsnahen Stadtquartieren. 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Vortrag am 12.10.2012 im Rahmen des DFG-Verbundprojektes »Neuordnungen des Städtischen im neoliberalen Zeitalter« an der Goethe-Universität Frankfurt (http://www.neuordnungen.info/page/7/, Abrufdatum 22.11.2013) Der Tagesspiegel (2010): In-Bezirk. Ein Neukölln-Reiseführer für Touristen (http://www.tagesspiegel.de/ berlin/stadtleben/in-bezirk-ein-neukoelln-reisefuehrerfuer-touristen/1915472.html, Abrufdatum 26.11.2013) Thomas, Dirk (2008): Akteure der Gentrification und ihre Ortsbindung: Eine empirische Untersuchung in einem ostdeutschen Sanierungsgebiet (Dissertation an der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften). Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg 27 B II »Die Funktionale Dimension der Gentrifizierung« B II »Heute steht das nördliche Neukölln für den Wandel zum Künstlerquartier und wird [...] zunehmend zu einem der vielen kulturellen Aushängeschilder Berlins.« Clemens Mücke Wirtschaftsentwicklung zwischen Biotronik und Boutiquen Im morgendlichen Markttreiben am Maybachufer, dort wo der Landwehrkanal die beiden Ortsteile Kreuzberg und Neu- Abb. 1: Clemens Mücke kölln trennt, treffen wir auf Clemens Mücke, Leiter der Wirtschaftsförderung Neuköllns. In seiner Funktion kümmert er sich um die Belange von wirtschaftlichen Akteuren – in einem Bezirk, mit welchem man vordergründig selten seine wirtschaftliche Leistung assoziiert. Lange waren stattdessen die hohen Arbeitslosenzahlen und Migrantenquoten das Etikett des »Problembezirks« Neuköllns. Heute steht das nördliche Neukölln für den Wandel zum Künstlerquartier und wird mit seinen Bars und Boutiquen zunehmend zu einem der vielen kulturellen Aushängeschilder Berlins. Inwiefern sich dieser Wandel auch in der wirtschaftlichen Struktur des Neuköllner Reuterkiezes wiederspiegelt, will Mücke auf einem kleinen Kiezspaziergang verdeutlichen. Als »Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf« ist der Neuköllner Reuterkiez im Jahre 2001 in das Förderprogramm »Soziale Stadt« aufgenommen worden. Aus dieser Zeit datiert auch das bis heute aktive Quartiersmanagement. Eine Koalition aus der Wirtschaftsförderung, der Zwischennutzungsagentur und dem Quartiersmanagement des Reuterkiezes waren infolgedessen daran interessiert, »urbane Pioniere« mit der lokalen Wirtschaft zu verknüpfen und so leerstehende Gewerberäume sinnvoll zu nutzen. Heute, nach mehr als einem Jahrzehnt erfolgreicher Zusammenarbeit, gebe es dementsprechend keine Leerstände mehr in den Ladenzeilen des Reuterkiezes. Der Reuterkiez, so Mücke, profitiere in diesem Zusammenhang auch stark von der Nähe zum schon länger aufgewerteten Kreuzberger SO36. Auffällig sei jedoch, dass sich die Angebotsstruktur nicht allein wegen der vergleichsweise günstigen Gewerbemieten in Neukölln verändere. Stattdessen sei in den letzten Jahren verstärkt eine Veränderung in der Nachfragestruktur festzustellen. Wie im Falle 29 Während die kleinteilige Unternehmensstruktur im nördlichen Teil Neuköllns wächst, wird der südliche Teil – auch aus historischen Strukturen heraus – von großen Industriekonzernen geprägt. Das Technologieunternehmen Biotronik und der Tabakprodukthersteller Philip Morris dominieren hier mit etwa 4000 Angestellten den Arbeitsmarkt. In dieser Diskrepanz, der Verfügbarkeit einer relativ hohen Anzahl von Arbeitsplätzen und der bis heute hohen Quote von Sozialhilfeempfängern im Bezirk, zeigt sich einer der grundlegenden Herausforderungen, der sich die Wirtschaftsförderung Neuköllns stellen muss: Wie kann die lokale Bevölkerung in die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirkes eingebunden werden? Mücke zufolge fehle häufig die geeignete Qualifikation, aber auch konventionelle »Arbeitstugenden« bei arbeitssuchenden Migranten um in den ortsansässigen Unternehmen eine Anstellung zu finden. Schwierig sei auch die Überführung von Hartz IV-Empfängern zu Mini-Jobs und Erstanstellungen. Schneiderinnen zum Beispiel könnten ihre Expertise in die wachsende Modebranche Neuköllns einbringen. Seitens des Jobcenters sei es jedoch einfacher den vollen Sozialhilfesatz auszuzahlen, als die kreative Tätigkeit mit der Hartz IV-Zahlung zu verrechnen. Inwiefern die Bewohner tatsächlich von den ökonomischen Veränderungen in ihrem Bezirk profitieren, muss also abgewartet werden. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass sich die Ladenzeilen des Reuterkiezes und das Image des »Problemviertels« grundlegend verändert haben. Die Veränderungen in ihrer ökonomischen und sozialen Dimension zu beschreiben, wird im weiteren Verlauf des Projektes noch Inhalt unserer Arbeit. B II des Café Jaques, dass direkt am Maybachufer liegt, bis vor einiger Zeit noch ein ruhiges Dasein pflegte und von Anwohnern geschätzt wurde. Heute könne man sich allein durch Tischreservierungen einen Platz sichern und selbst dies wäre in Phasen wie der Berlin Fashion Week eine Herausforderung. Ähnlich gemausert habe sich der berühmte »Türkenmarkt« des Maybachufers von der einfachen Nahversorgung zum touristischen Geheimtipp, angepriesen im Lonely Planet und somit strenggenommen auch kein Geheimtipp mehr. B II INHALTSVERZEICHNIS 1 Begriffserklärung der »funktionalen Dimension« von Gentrifizierung 32 2 Abgrenzung zu anderen Dimensionen von Gentrifizierung 33 2.1 Abgrenzung zur »retail gentrification« 33 2.2 Die Erfassung der funktionalen Dimension 34 von Gentrifizierung und ihre Bedeutung 3 Abgrenzung der Begriffe funktionale Dimension von 35 Gentrifizierung, wirtschaftlicher Wandel & funktionale Aufwertung 4 3.1 Definition wirtschaftlicher Wandel 35 3.2 Wirtschaftlicher Wandel im Bau- und Immobiliensektor 36 3.3 Wirtschaftlicher Wandel im Geschäfts- und Dienstleistungssektor 36 3.4 Definition funktionale Aufwertung 36 Quellen 37 31 1 Begriffserklärung der »funktionalen Dimension« von Gentrifizierung Der folgende Abschnitt führt in die funktionale Dimension von Gentrifizierung ein und grenzt diesen gegenüber dem Begriff »Wirtschaftlichen Wandel« ab. Es werden die typischen Branchen, die an diesem Prozess beteiligt sind, vorgestellt und Standortmuster erklärt. Der Prozess wird anhand des Beispiel der Spandauer Vorstadt in Berlin-Mitte erklärt. Die funktionale Dimension von Gentrifizierung ist in der Fachliteratur bis dato wenig behandelt. In der Folge ist die Quellenlage außergewöhnlich begrenzt. Um die funktionale Dimension von Gentrifizierung zu verstehen, bedarf es einer genauen Eingrenzung des begrifflichen Geltungsbereiches, da die funktionale Aufwertung nur eine der drei Dimensionen der Gentrifizierung ist (Krajewski 2006: 62). Merkmale bzw. Symptome einer funktionalen Aufwertung sind die Veränderungen in der Nutzungsstruktur des untersuchten Gebiets und die Etablierung neuer Nutzungen, die es bis dato im Untersuchungsgebiet nicht gegeben hat. So können bedingt durch einen Prozess der funktionalen Aufwertung kulturelle Einrichtungen entstehen, wo diese bisher nicht nötig, möglich oder sinnvoll erschienen. Typische Beispiele hierfür sind Galerien, Theater oder Bühnen, Klubs oder Veranstaltungsräume. Die selbstständige Ansiedlung hochwertiger Gastronomie ist ebenso ein Indiz für Gentrifizierung, wie die Verwirklichung von »Leuchtturm-Projekten« (Krajewski 2006: 62), also Projekten, die nicht nur ihren eigenen Zweck, sondern auch Signalwirkung auf andere Vorhaben über das spezifische Projekt hinaus besitzen. 32 Dimensionen von Gentrifizierung Als Dienstleistungen (Gabler Wirtschaftslexikon) wird die Produktion von immateriellen Gütern verstanden (Im Gegensatz zur Warenproduktion, die materielle Güter produziert). Typisches Merkmal von Dienstleistungen ist die Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch. Beispiele hierfür sind Friseurbesuche oder Taxifahrten. Als Einzelhandel wird der Absatz von Waren an den Letztverbraucher durch Einzelhandelsunternehmen verstanden (Gabler Wirtschaftslexikon). Qualitative und quantitative Änderungen haben Folgen, sowohl für die Bewohner eines Quartiers als auch für andere Gewerbetreibende. Wird eine Nutzungskonkurrenz in Gang gesetzt, in deren Folge die Gewerbemieten stark ansteigen, können bestimmte Nutzungen (Schuster, Bäcker...) verdrängt oder sogar ausgeschlossen werden (Bröcker 2011: 102). »Die Ausstattung eines Quartieres mit Einzelhandel und Dienstleistungsbetrieben ist unter mehreren Aspekten wichtig: Quartiersinterne Betriebe bieten wohnungsnahe Arbeits- und Ausbildungsplätze und sichern auch die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs in fußläufiger Entfernung. Sie sind somit nicht nur für Senioren oder körperlich eingeschränkte Menschen wichtig, sondern können auch als Ausdruck der Lebensqualität in einem Viertel gesehen werden.« (Rettberg 2011: 87) Neben der funktionalen Aufwertung sind noch zwei weitere Dimensionen als Teil des Begriffs Gentrifizierung zu verstehen. Zum einen die bauliche Aufwertung und zum anderen die soziale Aufwertung (Krajewski 2006: 62). Die bauliche Aufwertung umfasst neben der Sanierung und dem Neubau von Gebäuden auch die Nachverdichtung bestehender Baustrukturen. Inhärent ist die Instandsetzung bzw. Erneuerung sowohl von Gebäuden als auch von Wohnungen durch private Investoren und öffentliche Förderung (Krajewski 2006: 62). Veränderungen des Wohnumfeldes und der Infrastruktur, z.B. Straßenbau oder die verbesserte Einbindung in den ÖPNV sind ebenfalls Teil der Dimension der baulichen Aufwertung. Die Dimension der sozialen Aufwertung beinhaltet neben dem (sukzessiven) Austausch der Bewohner auch Veränderungen in der Sozialstruktur (Krajewski 2006: 62). Der Zuzug von sozialen Gruppen mit höherem Bildungsgrad und höherem Einkommen aus anderen Quartieren ist ebenso Bestandteil der sozialen Aufwertung, wie die Zunahme der Besucherzahlen von Städtetouristen (»Touristification«). Dass der Begriff »soziale Aufwertung« möglicherweise unangebracht ist, zeigt die häufige Umformulierung in den Begriff des »sozialen Wandels« (Rettberg 2011: 65). Eine erweiterte Dimension der Gentrifizierung ist die symbolische Aufwertung, die entweder als übergeordnete Dimension von Gentrifizierung zu sehen ist (Krajewski 2006: 62) oder als den anderen Dimensionen gleichwertig (Rettberg 2011: 65). Die symbolische Aufwertung wird durch verschiedene Akteure (Politik, Medien, Kultur, Besucher ...) geprägt und ist die Dimension der Image- oder Mythosbildung eines Ortes bzw. eines Gebiets. Die Abgrenzung der verschiedenen Dimensionen von Gentrifizierung ist aufgrund der wechselseitigen inhaltlichen Verflechtungen vieler Aspekte eher theoretische Natur. Tatsächlich gehen die einzelnen Dimensionen funktionaler Aufwertung Hand in Hand. Die Sanierung von Gebäuden (bauliche Aufwertung) kann beispielsweise den Austausch von Bewohnern (soziale Aufwertung/Wandel) mit sich bringen und neue Nutzungen (funktionale Aufwertung) beinhalten, die dann z.B. durch Medien aufgegriffen und verbreitet werden (symbolische Aufwertung), was wiederum weitere bauliche und soziale Veränderungen begünstigen und die Gentrifizierung beschleunigen kann. 2.1 Abgrenzung zur »retail gentrification« Im englischsprachigen Forschungsraum wird die funktionale Dimension von Gentrifizierung vor allem als »retail gentrification« diskutiert. Wichtig ist hier zu bemerken, dass der Begriff »retail«, zu Deutsch »Einzelhandel«, enger gefasst ist, als der der funktionalen Aufwertung. Ist von »retail gentrification« die Rede, ist vorrangig die Veränderung im Einzelhandelssektor gemeint und ob innerhalb dieses Sektors Gentrifizierung zu beobachten ist. Um diese Erscheinungen dokumentieren und analysieren zu können, ist eine Untersuchung der bestehenden Strukturen des von »retail gentrification« betroffenen Gebiets unabdingbar. Zudem werden beim Betrachten der jeweiligen Situation die individuellen Auswirkungen der Gentrifizierung sichtbar. Um »retail gentrification« zu untersuchen, muss davon ausgegangen werden, dass sich die Vorbedingungen von Untersuchungsraum zu Untersuchungsraum unterscheiden. So wird Gentrifizierung im Einzelhandel in Sydney anders ablaufen als in London, in Berlin-Neukölln oder in Barcelona, da die örtlichen Ausgangsvoraussetzungen strukturell unterschiedlich sind. Verlauf und Symptome der Gentrifizierung werden sich dagegen in den Untersuchungsgebieten gleichen, durchlaufen sie doch alle 33 B II 2 Abgrenzung zu anderen Ein Beispiel für die Auswirkungen von »retail gentrification« sind die Veränderungen in Ciutat Vella, einem Stadtteil in der Altstadt Barcelonas, der von Gentrifizierung betroffen ist (Pascal-Molinas/Ribera Fumaz 2009: 187-189). In Ciutat Vella wurden schließende Einzelhandelsgeschäfte zumeist durch Geschäfte ersetzt, deren Sortiment und Ausrichtung sich vor allem an Gentrifiern (Begriffserklärung siehe Ausarbeitung zum Thema »Akteure einer Gentrifizierung«) und Touristen orientiert. Steigende Gewerbemieten verhinderten die Neuansiedlung von Einzelhandel, der den Bedarf der Stammbevölkerung bedient. Diese Umstände führten zu einer Versorgungslücke vor allem bei älteren Menschen mit im Verhältnis niedrigeren Einkommen und eingeschränkter Mobilität. In der Folge hat die Stadt Barcelona eingegriffen und vakante Gebäude und Gelände aufgekauft, um sie gezielt so zu vermieten, dass auch der Bedarf der (alteingesessenen) Lokalbevölkerung bedient wird, auch wenn letztendlich eine Nutzungsmischung zu beobachten ist, der den Bedürfnissen von Gentrifiern und Touristen gleichermaßen gerecht wird. Ob diese Maßnahmen Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass »retail gentrification« Gentrifizierung allgemein beeinflussen und beschleunigen kann. 2.2 Die Erfassung der funktionalen Dimension von Gentrifizierung und ihre Bedeutung Um die funktionale Dimension von Gentrifizierung zu erfassen, bedarf es einer genauen und detaillierten Analyse der Strukturen im Untersuchungsgebiet, insbesondere der Einzelhandels- und Dienstleistungsstruktur. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der qualitativen und quantitativen Ausweitung des Angebots. Ist eine Ausweitung zu beobachten und wenn ja, in welchem Rahmen? Dabei empfiehlt sich die Berücksichtigung sowohl aktueller Daten als auch historischer Informationen, soweit dies möglich ist. Eine Bestandsanalyse und Beobachtung kann also durch historische Daten ergänzt werden, um ein detailliertes Bild der Entwicklung der funktionalen Dimension zu erhalten. Je detaillierter die Analyse ist, desto genauer können Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte gezogen werden. Beispiel für eine detaillierte und zielgerichtete Gebietsanalyse ist die Datenerhebung von Rettberg zum Stand der funktionalen Aufwertung im Reuterquartier in Berlin-Neukölln (2011: 86-100). Eine durchgeführt Nutzungskartierung gibt hier Aufschluss über den aktuellen Nutzungsstand und lässt Rückschlüsse auf eventuell einsetzende Gentrifizierung zu. 3 Abgrenzung der Begriffe funktionale »The disappearance of traditional retail shops oriented to the needs of the non-gentry-locals accelerates their expulsion from their homes and makes the area more attractive for new waves of investment and middle-class in-migration. At the same time, new gentry retails aids the process of attracting the newly arrived residents and tourists.« (Pascal-Molinas/Ribera Fumaz 2009: 189) Dimension von Gentrifizierung, wirtschaftlicher Wandel & funktionale Aufwertung Abb. 2: Ausschnitt der Nutzungskartierung durch Rettberg 34 Auf welche Fragen können Datenerhebungen zur funktionalen Aufwertung eine Antwort geben? Es kommt darauf an ob es eine quantitative und qualitative Ausweitung des Angebots im Einzelhandels- und Dienstleistungssektor überhaupt gibt und ob eine mögliche Veränderung zu Lasten der bestehenden Strukturen erfolgt. Sie gibt Aufschluss, welche Geschäfte und Dienstleistungen betroffen sind und wie groß das Ausmaß der Veränderung ist und ob diese Veränderung als Verdrängung gesehen werden kann. Deutlich wird auch eine bestehende oder drohende Auswirkung auf die Bewohner und die Bewohnerstruktur des untersuchten Gebiets. Die funktionale Dimension von Gentrifizierung ist, wie bereits in der Definition des ersten Kapitels beschrieben, nur ein Aspekt von Gentrifizierung, der die ökonomische Sichtweise des Phänomens, eines qualitativen Bevölkerungsaustausches in zentrumsnahen Wohngebieten durch »Umgestaltung des Wohnungsbestandes aufgrund von Modernisierung, Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen und Neubau von Eigentumswohnungen […]« (Blasius 1990: 11) betrachtet. Im folgenden Kapitel werden die kausalen Verbindungen und Wechselwirkungen der funktionalen Dimension, dem daraus entstehenden wirtschaftlichen Wandel und die Folge der funktionalen Aufwertung in den betroffenen Stadtteilen unter dem Gesichtspunkt der Gentrifizierung behandelt. 3.1 Definition wirtschaftlicher Wandel Der wirtschaftliche Wandel im Kontext der funktionalen Gentrifizierung beschreibt jene »retail gentrification«, die in Kapitel 2.1. beschrieben ist - ergänzt durch einen Umstrukturierungs- bzw. Aufwertungsprozess des Immobilienmarktes, die damit verbundenen erhöhten Bodenpreise, die Veränderung der gesamten Infrastruktur- außerdem die Verdrängung alteingesessener, einheimischer Geschäfts- und Dienstleistungsunternehmen und die daraus entstehende Sukzession von neuen, möglicherweise unkonventionellen Geschäften und Dienstleistungen in den vom Gentrifizierungsprozess betroffenen Quartieren (Falk 1994: 80 ff.). Durch weiche Standortfaktoren leiten in der ersten Phase des Invasions-Sukzessions-Zyklus »Pioniere«, junge Menschen zwischen 18-35 Jahre alt, die zudem meist gebildet sind – oft Studenten, die in sozial benachteiligte, baulich vernachlässigte, zentrumsnahen Stadtquartiere ziehen, den Anfang des Gentrifizierungsprozesses ein. Durch studentische Lebensstile werden zuvor unauffällige Quartiere zunehmend als besonderer, hipper und attraktiver Wohnstandort wahrgenommen. Verstärkt wird diese Wahrnehmung, der noch nicht der funktionalen Aufwertung unterliegenden Stadtquartiere, durch mediale Aufmerksamkeit, die ein eigenständiges kulturelles Objekt innerhalb der Stadt suggerieren. Die gefühlte Aufwertung dieser Quartiere, »wird als Transformationsmedium für die Verwandlung kulturellen Kapitals in einen ökonomischen Mehrwert verstanden« (Zukin 1998: 27 ff.). 35 B II einen Prozess, dessen Aufwertungscharakter miteinander vergleichbar ist und letztlich zum gleichen Endergebnis führt, i.e. eine der Gentrifizierung angepasste Struktur des Einzelhandels. Ausgehend von den Daten Rettbergs lässt sich die Datenerhebung zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen und so feststellen, welche weiteren Veränderung im Untersuchungsgebiet aufgetreten sind (Daten 2008 vs. 2013). Wichtig ist dabei das identische Vorgehen, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen. Hat die Datenerhebung einen soziostrukturellen Charakter, lassen sich die zeitlichen Ebenen in einer Untersuchung vereinigen, indem z.B. Personen befragt werden, die sich zu verschiedenen Zeitpunkten in einem Untersuchungsgebiet angesiedelt haben (Bewohner seit 1992 vs. 2002). Über eine detaillierte Analyse der Bewohnerstruktur können wertvolle Erkenntnisse, auch über die funktionale Aufwertung gewonnen werden. Bau- und Immobiliensektor In den folgenden Phasen des Invasions-Sukzessions-Zyklus wird das Wohngebiet der zumeist einkommensschwachen Pioniere und bürgerlichen Haushalte für sogenannte einkommensstarke »Gentrifier« besonders begehrens- und wohnenswert. Letztere wollen quasi dort wohnen, wo reges, junges Leben noch stattfindet in der Gesellschaft. »Steigende Bodenpreise und Mieten sind erste Anzeichen dafür, dass die Immobilienwirtschaft die Besonderheit des Ortes ökonomisch zu verwerten versucht […]« (Zukin 1998: 27 ff.). Die neu empfundene Attraktivität, nutzen nationale sowie internationale Großinvestoren und viele private Eigentümer dazu, das lukrative und gewinnmaximierende »Sanierungsgeschäft« immer weiter voranzutreiben, nicht zuletzt weil ihnen die hohe Nachfrage und das geringe Angebot, modernisierter Wohnungen und Appartements in die Hände spielt. »Ein durch Erneuerungsmaßnahmen steigender Gebäudewert (value-gap) zieht hiernach später eine Erhöhung des Grundstückswertes (rent-gap) nach sich.« (Breckner 2010: 28). Weitere Informationen zu der Rolle der Immobilienwirtschaft können Sie in der folgenden Ausarbeitung zum Thema »Akteure einer Gentrifizierung« unter Kapitel 2.5 nachlesen. 3.3 Wirtschaftlicher Wandel im Geschäfts- und Dienstleistungssektor »Die Veränderung innenstadtnaher Wohnviertel kann als Folge bzw. als kleinräumige Widerspiegelung globaler ökonomischer Prozesse angesehen werden« (Blasius 1990: 20). Die Gentrifier, die als einkommensstark und somit kaufkräftiger- zumindest im Vergleich zu den Pionieren gelten, haben dementsprechend mehr Geld übrig am Ende des Monats, um diese in den wirtschaftlichen Kreislauf wiedereinzuführen. Höheres Einkommen bedeutet mehr Lebensqualität; dies wird auch bei der 36 Auswahl von Lebensmittel und Genussmittel sichtbar. Exklusive, subjektiv unterschiedlich wahrgenommene Bio-Läden, die eine gesunde und unbelastete Versorgung sicherstellen, haben zur Folge, dass größere Discounter sich in diesen Quartieren zurückziehen und somit die Lebensgrundlage bzw. die infrastrukturelle Existenzgrundlage für geringverdienende Haushalte bedrohen. Einkommensschwache Haushalte, hätten einen Mehraufwand, um ihre Bedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen. Die Neuansiedlung von vielen neuen Branchen, exklusive Restaurants, Szene-Kneipen, Weinstuben, die Errichtung hipper Cafés und Bistros, Clubs und Bars sind ohne Verdrängung von alteingesessen, einheimischen und vor allem einfachen Geschäften und Dienstleistungsunternehmen nicht vorstellbar, da diese aufgrund vom Wegzug alter Kunden und von Nachfrageeinbrüchen, meist insolvent werden. (Krajewski 2006: 100) 3.4 Definition funktionale Aufwertung Die funktionale Aufwertung beschreibt den Anstieg der wirtschaftlichen Gesamtleistung eines von Gentrifizierung betroffenen Quartiers in Verknüpfung mit eine besser ausgebauten Infrastruktur für dieses Gebiet. Indikatoren für die funktionale Aufwertung sind daher der quantitative und qualitative Anstieg von Einzelhandelsund Dienstleistungseinrichtungen, die eine zentrale Dimension der Gentrifizierung als Transformationsfolge bzw. wirtschaftlichen Wandel darstellen. Dieser Wandel macht sich auch in der Infrastruktur bemerkbar, etwa wenn besser-effizientere und günstigere Verkehrsverbindungen zwischen den Versorgungs- und Nutzungsangeboten zur Verfügung stehen und somit das alltägliche Leben in der Stadt - ob nun kürzere Wege zum Einkaufen oder zum Arbeitsplatz, einfacher und bequemer gestalten. (Blasius 1990: 55) 4 Quellen 4.1 Literaturverzeichnis 4.2 Abbildungsverzeichnis Bröcker, Katrin (2011): Metropolen im Wandel. Gentrification in Berlin und Paris. Büchner-Verlag, Darmstadt. Abb. 1: Clemens Mücke; Quelle: http://www.berlin. de/ba-neukoelln/wirtschaftsfoerderung/wir-ueberuns/020810bp034.jpg Zugriff: 02.11.2014 Falk, Wilhelm (1994): Städtische Quartiere und Aufwertung. Wo ist Gentrification möglich?. Birkhäuser Verlag, Basel. Krajewski, Christian (2006): Berlin Stadt-Entwicklungen zwischen Kiez und Metropole seit der Wiedervereinigung. Arbeitsgemeinschaft Angewandte Geographie, Münster. Pascal-Molinas, Ramon/Ribera Fumaz, Nuria (2009): Retail gentrification in Ciutat Villa, Barcelona. In: Shaw, Kate (Hrsg.): Whose Urban Renaissance? An international comparison of urban regeneration strategies. Routledge, New York 2009, S. 180-191. Rettberg, Wiebke (2011): Revitalisierungsprozesse als Wegbereiter für Gentrifikation. Eine Untersuchung am Beispiel des Reuterquartiers in Berlin-Neukölln. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken. Blasius, Jörg / Dangschat, Jens(Hrsg.) (1990): Gentrification. Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel. Campus Verlag, Frankfurt/Main; New York. Zukin, Sharon (1998): Städte und die Ökonomie der Symbole. In: Kirchberg, Volker/ Göschel, Albrecht (Hrsg.): Kultur in der Stadt. Soziologische Analysen zur Kultur. Leskke + Budrich, Opladen. Abb. 2: Der Stand der Aufwertung im Reuterquartier; Quelle: Rettberg, Wiebke (2011): Revitalisierungsprozesse als Wegbereiter für Gentrifikation. Eine Untersuchung am Beispiel des Reuterquartiers in Berlin-Neukölln. S. 95 4.3 Onlinequellen Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Dienstleistungen, verfügbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/770/ dienstleistungen-v12.html (Abrufdatum 24.11.2013) Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Einzelhandel, verfügbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/56427/ einzelhandel-v4.html (Abrufdatum 24.11.2013) Breckner, Ingrid (2010): Gentrifizierung im 21. Jahrhundert, in: APuZ, H. 17, S. 27-32, verfügbar unter: http:// www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/32801/stadtentwicklung, Zugriff am 21.11.2013. 37 B II 3.2 Wirtschaftlicher Wandel im C Exkursion nach Kraków Reflexion über den Krakówer Stadtteil Podgórze In der ersten Maihälfte 2014 unternahm die Projektgruppe eine Studienexkursion nach Kraków. Ziel der Reise war es, den Umgang anderer Stadtpolitiken mit Themen, mit denen wir uns im Projekt beschäftigten, kennenzulernen. Dementsprechend standen die Thematiken Imagewandel von urbanen Räumen und die funktionale Dimension der Gentrifizierung im Blickpunkt unserer Ortstermine. Der Schwerpunkt lag daher auf der Erweiterung unseres stadtplanerischen Horizonts und weniger auf der Erarbeitung eigener Forschungsarbeiten. Der nachfolgende Textauszug soll die Eindrücke vermitteln, die wir beim Besuch des Krakówer Stadtteils Podgórze sammeln konnten: Eine Fußgängerbrücke verbindet die beiden Stadtteile Kazimierz und Podgórze miteinander. Steht man am nördlichen Weichselufer und blickt nach Podgórze, erkennt man herrschaftliche Wohnhauser aus dem 18. Jahrhundert sowie Architekturen aus dem heutigen, deren Erscheinung zwischen bemerkenswert und merkwürdig rangieren. Einfach gesprochen liegen in diesem Blick nicht viele Gründe um die Weichselseite zu wechseln. Hätte ich vorab über den Stadtteil recherchiert, wüsste ich, dass Podgórze als ehemaliges Ghetto unweigerlich mit der jüdischen Geschichte der Stadt verbunden ist und dass dieser bittere Beigeschmack lange Zeit die Wertschätzung gegenüber Podgórze gehemmt hat – lange Zeit galt es als das »forgotten quarter«, dessen Bevölkerung sich nach der Ermordung der Juden nicht mit dem Viertel identifizieren konnte und wollte. Und ich wüsste wohl, dass gerade die Fußgängerbrücke einer der Faktoren ist, der die wirtschaftliche Entwicklung über die Weichsel nach Podgorze gebracht hat. Eingerahmt zwischen dem Fluss und den Lasota-Hügeln präsentiert sich das ehemalige Ghetto heute als entdeckungswürdiges Stadtviertel, das einerseits den historischen Charme von Kazimierz in nichts nach steht, andererseits aber auch noch weiße Flecken auf der Stadtkarte aufweist, nach denen man in den touristischen Einzugsgebieten des Zentrums vergeblich sucht. Historische wertvoll sind vor allem der Rathausplatz samt der St. Joseph Kirche, die sich hinter der ersten Häuserreihe am Weichselufer auftut und als Aushängeschild Podgórzes dienen würde, wäre sie nicht von den architektonischen Auswüchsen der letzten Jahre verdeckt. Im Westen Podgórzes schließt sich ein Industriegebiet der vorletzten Jahrhundertwende, das in mehrerer Hinsicht erwähnenswert ist. Zum einen befindet sich hier die berühmte Fabrik von Oskar Schindler - Endstation der elektronischen Touristenmobile, die in Kazimierz die Straßen verstopfen. Zudem sind die brachen Fabrikanlagen brauchbare Räumlichkeit für die Kreativen Krakaus, die hier von günstigen Mieten und Lokalisationseffekten profitieren. Wer sich im sozialistischen Büromonstrum in der Tadeusza Romanowicza-Straße verliert, könnte sich der Atmosphäre her auch in einem Kreuzberger Gewerbehof vermuten. Und wer im Café Bal einen Cappuccino trinkt, könnte der Vorkriegsmelancholie von Kazimierz atmosphärisch nicht ferner sein. Es lohnt sich also die Weichsel nach Podgórze zu überqueren. Dieser Stadtteil hat sich der Entwicklung des Krakauer Zentrums angeschlossen, nutzt sein historisches Erbe als touristisches und gewerbliches Potenzial, entwickelt sich aber gleichzeitig zu einem urbanen, lebensweltlich orientierten Raum. Dabei zeigt Podgórze, dass es mehr als das Rudiment eines ehemaligen Ghettos ist und öffnet sich über die Fußgängerbrücke zum Zentrum ohne seinen eigenen Charme vollständig an den Tourismus zu verlieren. 39 C »Wer sich im sozialistischen Büromonstrum in der RomanowiczaStraSSe verliert, könnte sich atmosphärisch auch in einem KReuzberger Gewerbehof vermuten. « D Rückblende und Positionierung D »Inwieweit unterliegt die Gewerbestruktur des Reuterkiezes einem imagebedingtem Wandel?« Die erste Hälfte unserer Projektarbeit diente einem überblickshaften Einstieg in die Thematik der Gentrifizierung (Kapitel B 1.) und speziell ihrer funktionalen Dimension (Kapitel B 2.). Auch auf unserer Projektfahrt nach Kraków (Kapitel C) beschäftigten wir uns vorrangig mit Thematiken der wirtschaftlichen Stadtteilentwicklung. Gemäß des eigentlichen Projekttitels war es offensichtlich, dass sich unsere weitere Arbeit mit der funktionalen Dimension beschäftigen müsse und weniger mit der sozialwissenschaftlichen Frage der Verdrängung von Einwohnern. Natürlich war die Gentrifizierungsthematik von einem durchgehenden Diskurs im Plenum begleitet, der von den Expertenbesuchen weiter verstärkt wurde. Daher war eine gemeinsame neue Definition der funktionalen Dimension der Gentrifizierung vonnöten, die leicht verändert nach Krajewski 2002 heißt: »Die funktionale Dimension von Gentrifizierung umfasst Veränderungen des qualitativen und die Ausweitung des quantitativen Angebots im Dienstleistung- und Einzelhandelssektor. Merkmale bzw. Symptome sind die Veränderungen in der Nutzungsstruktur des untersuchten Gebiets und die Etablierung neuer Nutzungen, die es bis dato im Untersuchungsgebiet nicht gegeben hat.« Die funktionale Dimension ist daher ein eher nachgelagerter und verstärkender Effekt der Gentrifizierung, kann aber in Einzelfällen auch eine auslösende Funktion einnehmen, die durch eine besondere Nutzung bei großen Leuchtturmprojekten oder „Stätten des Massenkonsums« entstehen kann. Sie ist zudem die „sichtbarste« Dimension der Gentrifizierung und bietet sich auch dadurch für unsere Untersuchungen vor Ort an. Das große theoretische Konstrukt auf die lokale Ebene zu bringen war damit die nächste große Herausforderung für das Projekt. Inwiefern wir als Projekt mit der Komplexität der Gentrifizierungsthematik umgehen können, ließ grundlegende Kontroversen entstehen: Die Frage, ob eine funktionale Gentrifizierung im Reuterkiez stattfindet oder nicht, lässt sich – so waren wir uns einig – nicht im Rahmen eines Jahres beantworten. Vielmehr war es notwendig, die Thematik nochmals einzugrenzen, um die empirische Analyse der lokalen Begebenheiten im zweiten Semester beginnen zu können. 41 Bevor dies im Speziellen im Reuterkiez untersucht werden kann, bedarf es einer Aneignung von Grundlagenwissen zum Untersuchungsgebiet (Kapitel E 1. und E 2.) und dem Thema Image in der Stadtforschung (Kapitel E 3.2). Weiterhin muss sich mit dem expliziten Image von Neukölln und dem Reuterkiez beschäftigt werden (Kapitel E 3.). Es zeigt sich also, dass wir uns als Projekt dagegen entschieden haben, als weitere Stimme in den Gentrifizierungskanon einzusetzen, indem wir die Entwicklungen im Reuterkiez auf die Verdrängung von Geschäften und seinen Inhabern untersuchen. Vielmehr ist es unser Anliegen, die sozial- und wirtschaftswissenschaftlich nicht minder interessante Frage nach dem Zusammenhang von Imagewandel und wirtschaftlicher Stadtteilentwicklung zu beantworten und damit die wirtschaftliche Situation des Reuterkiezes verstehen und einordnen zu können. Selbstverständlich muss die untersuchte Thematik weiter eingegrenzt werden - die Formulierung einer Forschungsfrage war daher unumgänglich. Sie lautet: Inwieweit unterliegt die Gewerbestruktur des Reuterkiezes einem imagebedingtem Wandel? Zur Operationalisierung wurde die Frage zweigeteilt. Zum einen muss untersucht werden „in welchem Umfang sich die Gewerbestruktur im Reuterkiez in den letzten x Jahren verändert hat“ und zum anderen „welche Rolle ‘Image‘ in der Standortentscheidung zuziehender Unternehmen gespielt hat“. Dazu bedarf es der Kombination von sowohl quantitativen als auch qualitativen Forschungsmethoden. 42 Grundlage zur Beantwortung der ersten Teilfrage ist eine aktuelle Kartierung aller Wirtschaftseinheiten im Reuterkiez (Kapitel F). Als Vergleich konnte auf eine Erhebung der Wirtschaftseinheiten in Erdgeschosslagen aus dem Jahr 2004 zurückgegriffen werden (Kapitel F 2.), so dass sich der untersuchte Zeitraum auf die letzten zehn Jahre begrenzt. Daraus gilt es in der anschließenden Analyse (Kapitel F 3.) abzuleiten, welche quantitativen Veränderungen dahingehend stattgefunden und welche Branchen zunehmend im Kiez Einzug gehalten haben. Darauf basierend wird schließlich die zweite Teilfrage mittels einer Befragung der zugezogenen Unternehmen im Reuterkiez beantwortet (Kapitel G), was in Form von leitfadengestützten Interviews mit den verantwortlichen Gewerbetreibenden geschieht (Kapitel G II). Wir wollen somit die Standortfaktoren und Besonderheiten des Kiezes analysieren und die Rolle der Unternehmen als Akteure in der wirtschaftlichen Stadtteilentwicklung untersuchen (Kapitel G III). Die Ergebnisse aus der Analyse der beiden Teilfragen münden schließlich in der Beantwortung der übergeordneten Forschungsfrage (Kapitel H). Abschließend haben wir Erfahrungen, die wir im Verlauf des Projekts gesammelt haben und Herausforderungen, denen wir begegnet sind, formuliert (Kapitel I). D Besonders die beiden Themenbestandteile „Imagewandel“ und der „Wandel in der Gewerbestruktur“ bzw. die Fragen, was davon vor- oder nachgelagert ist und ob die Punkte selbstverstärkend oder autark voneinander agieren, erschienen uns weiterer Nachforschung wert. Welche Rolle „Image“ in der Standortentscheidung zuziehender Unternehmen im Reuterkiez spielt, ist daher ein weiterer Schwerpunkt unserer Projektarbeit. E I »Gewerbe« EI »Die Zwischennutzungsagentur vermittelte [...] 56 ungenutzte Gewerberäume zu teilweise kostenloser Miete und half damit bei der Entstehung von über 200 neuen Arbeitsplätzen« INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung und Definition 46 2 Historie 46 3 Beispiele für Akteure der Wirtschaftsförderung 48 3.1 Bundesebene 48 3.2 Städtische Ebene 48 3.3 Bezirksebene 48 3.3.1 Wirtschaftsförderung Neukölln 48 3.3.2 Zwischennutzungsagentur 49 3.4 Quartiersmanagement 49 3.5 Verbände 49 3.5.1 Akteur Kreative Netzwerke 49 3.5.2 Unternehmernetzwerkstammtisch Berlin 50 4 Fazit 50 5 Quellen 50 45 Der folgende Text geht auf die Geschichte und die Entwicklung des Gewerbestandortes Reuterkiez ein. Dabei wird im zweiten Kapitel auf den historischen Hintergrund von Gewerbeansiedlungen am Maybachufer und der Entwicklung des Markts am Standort eingegangen. Im dritten Kapitel wird die jüngste Entwicklung im Kiez durch verschiedene Akteure der Wirtschaftsförderung aufgezeigt. Somit können im Rahmen der Forschungsfrage Rückschlüsse über eventuelle Ursachen des Wandels der Gewerbestruktur im Reuterkiez gezogen werden. Ziel ist es, den Gewerbebegriff klar zu definieren und, neben den historischen Fakten, anhand von Beispielen einen Überblick über jüngere und aktuelle Maßnahmen im Rahmen der Wirtschaftsförderung im Reuterkiez zu geben. Aus diesem Grund und zum besseren Verständnis des Textes wird diesem im Folgenden die Definition von Gewerbe, welche sich in der Rechtsprechung durchgesetzt hat, voran gestellt: »Ein Gewerbe ist jede erlaubte selbständige zum Zwecke der Gewinnerzielung vorgenommene nach außen erkennbare Tätigkeit, die planmäßig und für eine gewisse Dauer ausgeübt wird und kein ‚freier Beruf‘ ist.« (EinbockGmbH 2013) 2 Historie Geschichte des Gewerbes im Reuterkiez Die Entwicklung des Reuterkiezes zu einem bewohnbaren Quartier machte durch den Ausbau des Landwehrkanals einen enormen Fortschritt. Der 1845 neu entstandene Transportweg nach Neukölln sowie der Kottbusser Damm als Verbindungsstraße nach Berlin ließen den Reuterkiez zu einem verkehrsgünstigen Standort werden, sodass sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts das erste Gewerbe dort niederließ und den Ursprung des heutigen Reuterquartiers bildete. Darunter fanden sich auch viele große Fabriken, die sich nach und nach zu einem kleinen Industrieviertel am Maybachufer und Kottbusser Damm verdichteten. Vor allem die Lagerplätze am Wasser boten für das verarbeitende Gewerbe einen großen Vorteil, da auf diesem Weg schnell 46 Die ersten großen baulichen Veränderungen im Reuterkiez traten erst wieder mit dem nationalsozialistischen Regime auf, da viele Gebäude politisch umgenutzt wurden. So wurde zum Beispiel im Komplex der Firma Pfaff die zentrale Dienststelle der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt eingerichtet. Nach dem 2. Weltkrieg war ein Großteil der Gebäude im Reuterquartier zerstört oder beschädigt, sodass sich die Beseitigung der Schäden und der Wiederaufbau bis in die 50er Jahre zogen. Danach wurde vermehrt die soziale Infrastruktur ausgebaut, welche bis zu diesem Zeitpunkt im gesamten Kiez stark vernachlässigt worden war. So entstanden bis 1960 neben neuen Wohnblöcken viele Kinder- und Jugendeinrichtungen. Die Gewerbehöfe erfuhren eine teilweise Umnutzung in Wohnungen, da den Besitzern oft die gewerbliche Nutzung nicht genehmigt wurde, sodass sich die meist kleinen Gewerbebetriebe das Gebäude mit Familien teilten (Bach/Hüge 2004). Heute handelt sich bei den im Reuterkiez ansässigen Gewerbebetrieben überwiegend um Klein- und Kleinstbetriebe, die im produzierenden, verarbeitenden und Dienstleistungssektor tätig sind. Die genaue prozentuale Verteilung dieser wird im Kapitel F II aufgegriffen und die daraus folgenden Konsequenzen für das Quartier entschlüsselt. Entwicklung des Marktes am Maybachufer und seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Rolle Der Markt am Maybachufer hat eine lange Tradition und trägt seit mehr als 130 Jahren zur wirtschaftlichen Entwicklung des Reuterkiezes bei. Seitdem der Markt 1881 aufgrund der guten Lage am Kanal gegründet wurde und zwischenzeitlich über 700 Stände beinhaltete, überstand er die beiden Weltkriege nahezu ohne Pause und entwickelte sich seit den 1970er Jahren aufgrund der hohen Anzahl an türkischstämmigen Verkäufern zum sogenannten „Türkenmarkt“. Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten erfolgte im Jahre 2006 eine Konzeptänderung, welche den Imagewechsel zur Folge hatte, wofür er heute bis über die Grenzen Berlins bekannt ist. Seitdem heißt der Markt offiziell „BIOriental“ und ist kein reiner Obst- und Gemüsemarkt mehr, sondern bietet den Besuchern auch ein vielfältiges kulinarisches Angebot und eine größere Auswahl an Bio-Produkten. (Mühlparzer 2013) Heute ist der Markt mit zirka 150 Ständen auf 7500m² der zweitgrößte Wochenmarkt Berlins und zieht pro Markttag mehr als 10.000 Besucher an. Die Zahl der türkisch- und arabischstämmigen Händler hat sich von ehemals 80-90% auf 60-70% reduziert. Er findet zweimal wöchentlich, jeweils dienstags und freitags, statt und ist als Touristenmagnet aus Reiseführern nicht mehr wegzudenken. (TAZ. Die Tageszeitung 2011) Seit dem Jahr 2012 gibt es zwei neue Märkte am Maybachufer: Den Stoffmarkt „Neuköllner Stoff“, welcher wöchentlich am Samstag stattfindet und auch als Leistungsschau kleinerer Betriebe wie auch Werkstätten aus Neukölln gilt, sowie den Flohmarkt „Nowkoelln Flowmarkt“, welcher zweiwöchentlich am Sonntag stattfindet und außer Gebrauchtwaren sowie antiken Gegenständen auch ein kulinarisches Angebot und Live-Musik zu bieten hat (Schiedlofsky o. J. und NOWKOELLN Flowmarkt 2014). Somit gibt es am Maybachufer im Wechsel entweder drei oder vier Markttage pro Woche, was schon vor der Eröffnung des Neuköllner Stoffmarkts zu Anwohnerprotesten aufgrund der Schmutz- und Lärmbelastung führte (Berliner Zeitung 2011). Der Markt spielt eine tragende Rolle in der Nahversorgungssituation des Reuterkiezes. Bei einer Kundenbefragung aus dem Jahre 2004 (d. h. bevor der Reuterkiez in den medialen Fokus der Gentrifizierung kam) wurde allerdings deutlich, dass zwei Drittel der Befragten nicht aus der näheren Umgebung kamen und nur selten den Markt aufsuchten – das genaue Gegenteil zu den Befragten des Marktes auf dem Hermannplatz, unter denen zwei Drittel aussagten, dass sie aus der unmittelbaren Umgebung seien (JoFoTec 2004). Der Bekanntheitsgrad und der Einzugsbereich dürfte sich seit der Befragung weiter vergrößert haben, besonders seit der Installierung der zwei neuen Märkte. Im selben Maße darf vermutet werden, dass die Bedeutung des Marktes für die Nahversorgung des täglichen Bedarfes abgenommen hat. Plakativ steht hierfür der Stadtentwicklungsplan Berlins für „Zentren“ aus dem Jahr 2011, der das Maybachufer als Ort des „Einkaufstourismus“, nicht aber als klassische Nahversorgungsinfrastruktur deklariert. 47 EI 1 Einleitung und Definition neues Baumaterial und andere benötigte Güter angeliefert werden konnte. Die Agglomeration von Holzbetrieben, gemeinsam auftretend mit schlechten Sicherheitsvorkehrungen in den Maschinenfabriken führte schließlich 1886 zu einem großen Brand, wodurch das Quartier fast vollständig zerstört wurde. Nach dem Wiederauf- und Ausbau beherbergte das Reuterquartier ein Drittel der Rixdorfer Industriebetriebe, während sich im Nordwesten vor allem ein Wohn- und Gewerbeviertel entwickelte. Vor der Jahrhundertwende stiegen die Einwohnerzahlen so stark an, dass die Bautätigkeit immens zunahm. „1901 waren die Hauptachsen des Straßenrasters [im Reuterquartier] bereits angelegt“ (Bach/ Hüge 2004). Durch den Wiesengraben bildete die Nansenstraße die östliche Grenze des Quartiers. Erst als die weiter steigenden Einwohnerzahlen eine Bebauung der Flächen nötig machten, wurde der Wiesengraben zum Schifffahrtskanal ausgebaut und die Wiesen um ihn herum trockengelegt. Das Maybachufer entwickelte sich von seiner früheren Funktion als Lagerstättenstraße hin zu einer beliebten Wohnstraße, an der nur noch einzelne Fabrikgebäude standen. Bis 1904 hatte sich das Reuterquartier mit seinen belebten Geschäftsstraßen Kottbusser Damm und Sonnenallee zu einem beliebten Wohnviertel gewandelt, das sich vor allem durch eine höhere Wohnqualität zu anderen Vierteln unterschied. Neben wenigen Einzimmerwohnungen für einfache Arbeiter fanden sich vor allem Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen, die Beamte und Angestellte anzogen. Auch die vielen kleinen Läden an den Hauptachsen erfreuten sich großer Beliebtheit und sorgten für eine angenehme Atmosphäre im Viertel. Im Nordwesten des Quartiers entstanden ab 1905 jedoch vermehrt bis zu fünfgeschossige Fabrikgebäude, zum Teil noch von Industriebetrieben genutzt, sodass die umliegenden Wohngebäude oft durch eine Verschlechterung der Licht- und Luftverhältnisse benachteiligt waren. „Auf den noch unbebauten Grundstücken des Quartiers […] entstanden die ersten Gewerbehöfe. Den weitaus größten Komplex dieser Art bildete der 1907-1910 erbaute Gewerbehof der Möbelfirma „Pfaff“ am Maybachufer 48-51.“ (Bach/Hüge 2004) Wirtschaftsförderung Im nun folgenden Teil des Textes wird der Fokus auf verschiedene Akteure der Wirtschaftsförderung im Reuterkiez gelegt, welche in jüngster Vergangenheit in der Gewerbestruktur des Kiezes hervorgerufen oder beeinflusst haben. Diese werden, soweit dies möglich ist, mit Beispielen ihrer Maßnahmen hinterlegt. Um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, wird in strukturschwachen Regionen, Städten, Quartieren oder Kiezen die Wirtschaftsförderung aktiv. Die Hauptaufgabe besteht dabei in der Unterstützung der regionalen Investitionstätigkeit, um Einkommen und Beschäftigung zu erhöhen (SenWTF 2014a). Aufgrund der Vielfalt der Maßnahmen, wie diesen Problemen begegnet werden kann, lässt sich die Wirtschaftsförderung in verschiedene Sparten unterteilen, welche unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. So gibt es Maßnahmen beziehungsweise Träger, welche im klassischen Sinne Investitionsvorhaben von Firmen fördern und Zuschüsse leisten (SenWTF 2014b). Des Weiteren können Infrastrukturmaßnahmen Ziel der Förderung sein (SenWTF 2014c). Und schließlich gibt es auch Träger, welche den Aufbau oder die Verbesserung von Kooperationsnetzwerken zwischen mehreren Unternehmen fördern (SenWTF 2014d). 3.2 Städtische Ebene Diese Aufteilung ist aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) des Landes Berlin übernommen und ist aufgrund deren allgemeiner Gültigkeit für Akteure bei Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung auch auf den Reuterkiez und die hier ansässigen Förderungsträger anwendbar. Auf Anfrage verwiesen sämtliche auf der Internetseite der Wirtschaftsförderung Neukölln (BA Neukölln 2014) angegebenen Instanzen auf andere Direktionen, weshalb anzunehmen ist, dass die Stadt Berlin als Akteur der Wirtschaftsförderung im Reuterkiez so gut wie nicht präsent ist. Insgesamt stellt sich die Förderungslandschaft auf der städtischen Ebene ziemlich unübersichtlich dar, da es sehr viele verschiedene Programme und Kooperationen mit unterschiedlichsten Zielen gibt. Als ein Beispiel der Wirtschaftsförderung im Reuterkiez seitens der Stadt Berlin ist jedoch das Projekt „Biosphäre“ zu nennen, welches den „Ein- bzw. Wiedereinstieg in das Erwerbsleben durch den Erwerb/Auffrischung fachlicher/überfachlicher Kompetenzen“ (BBWA 2014) als Ziel hatte und von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung im Rahmen des Programms „Wirtschaftsdienliche Maßnahmen“ (WDM) gefördert wurde (BBWA 2014). 3.1 Bundesebene 3.3 Bezirksebene Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) fördert im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“, beziehungsweise „Soziale Stadt – Investitionen im Quartier“, die „städtebauliche Aufwertung und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in benachteiligten Stadt- und Ortsteilen“ (BMUB 2014b). Im Reuterkiez wurden in den Jahren 2001 bis 2010 und 2012 mehrere Projekte mit Mitteln aus diesem Programm gefördert (BMUB 2014c). Neben 48 3.3.1 Wirtschaftsförderung Neukölln Zu den Aufgaben der Wirtschaftsförderung Neukölln gehören die Beratung von Existenzgründern, die Pflege des Unternehmensbestands, das Standortmarketing und das Behördenmanagement. So stehen sie Existenzgründern zur Seite, wenn es um die Suche nach Räumlichkeiten, um komplizierte Genehmigungsverfahren, die Vermittlung von Kontakten und Behördengänge geht. Sie selbst verfügt über keine direkten Fördermittel, hilft jedoch, aus einem Pool an Förderprogrammen anderer Träger den richtigen Förderpartner für das jeweilige Unternehmen zu finden. Des Weiteren unterstützt die Wirtschaftsförderung Neukölln Wirtschaftsverbände und Netzwerke und organisiert regelmäßig Unternehmensstammtische, Gesprächsrunden und Besuche mit dem Bezirksbürgermeister oder der Agentur für Arbeit für die kleinen und mittleren Betriebe im Bezirk. Außerdem versucht sie, durch Bekanntmachen von Standortvorteilen Neuköllns, die Ansiedlung in diesem Bezirk für Existenzgründer und Investoren attraktiver zu machen (BA Neukölln 2014b). 3.3.2 Zwischennutzungsagentur Ziel der seit März 2010 als coopolis ausgegliederten Zwischennutzungsagentur (coopolis 2014) war es, einerseits Leerstand zu bekämpfen und auf der anderen Seite Jungunternehmern und Freiberuflern passende Räumlichkeiten für ihre Geschäftsidee zu bieten. So vermittelte die Agentur in den Jahren 2005-2007 insgesamt 56 ungenutzte Gewerberäume mit zum Teil stark reduzierter oder sogar vorerst kostenloser Miete und half damit bei der Entstehung von über 200 neuen Arbeitsplätzen. (coopolis 2010) 3.4 Quartiersmanagement Das Quartiersmanagement (QM) Reuterplatz wurde im Auftrag des Senats für Stadtentwicklung und dem Bezirksamt Neukölln 2003 gegründet und wird aus dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ finanziert. Zu den Aufgaben gehört die Verbesserung der Lebensbedingungen gemeinsam mit den Menschen vor Ort durch kleinere Projekte und die Schaffung von selbsttragenden Maßnahmen und Strukturen (QM Reuterplatz 2014a). Das Quartiersmanagement fördert Unternehmen in der Regel nicht direkt, unterstützt jedoch Projekte und Maßnahmen, die die Attraktivität des Kiezes für Unternehmen und deren Kunden erhöhen – wie die Schaffung von kulturellen Netzwerken oder auch die Verschönerung des Straßenbildes. Eine Ausnahme bildete 2011 die direkte Förderung von „Rütli Wear e.V.“, das versucht, die Identität des Quartiers durch den Verkauf u.a. T-Shirts und Pullovern mit Aufdrucken von „Rütli“ oder bekannten Straßenmotiven des Kiezes zu steigern (QM Reuterplatz 2011). Auch hervorzuheben ist die Beauftragung der zuvor genannten Zwischennutzungsagentur mit der Vermittlung von leerstehenden Gewerbeflächen für temporäre Nutzungen sowie an Künstler und Existenzgründer (QM Reuterplatz 2005) Im Januar 2014 wurde von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Verstetigung des QMs Reuterplatz bis zum Ende des Jahres 2016 bekanntgegeben, das heißt, bis dahin soll ein schrittweiser Rückzug aus dem Gebiet erfolgen. Förderprogramme wie „Soziale Stadt“ seien grundsätzlich zeitlich begrenzt und so ergab im Mai 2013 eine durch das Deutsche Institut für Urbanistik durchgeführte Prüfung aller seit mehr als zehn Jahren existierender QMs in Berlin, dass vier von diesen aufgrund verbesserter Sozialdaten in den jeweiligen Gebieten verstetigt werden können. In dem Zeitraum bis 2016 seien alle aufgefordert, die bestehenden Netzwerke und Maßnahmen soweit zu stärken, dass sie sich auch über 2016 hinaus ohne Zutun des Quartiersmanagements Reuterplatz selbst tragen können (QM Reuterplatz 2014b). 3.5 Verbände 3.5.1 Akteur Kreative Netzwerke Kreative Netzwerke tragen einen nicht unerheblichen Anteil zur Wirtschaftsförderung in Nordneukölln bei. Das KNNK, das Kreativnetz Neukölln, beispielsweise versucht seit 2009 durch Maßnahmen wie der Förderung von Vernetzung und Professionalisierung oder das Schaffen einer gemeinsamen Außendarstellung, die hier ansässigen Künstler besser in Neukölln zu verankern, Aufmerksamkeit zu erregen und die Kooperationen zwischen den Künstlern zu steigern (BMUB 2014a). Desweiteren ist seit 2011 das NEMONA (Netzwerk Mode & Nähen Neukölln) aktiv, welches ebenfalls die Vernetzung von Designern und Produzenten in Berlin verbessern möchte, mit dem Ziel, den Absatz zu stärken, die lokale Produktion zu fördern und eine „qualitativ hochwertige Beschäftigung innerhalb der Textilbranche zu erreichen“ (NEMONA 2014). So wurde beispielsweise die 2. Auflage des 2008 erstmalig ins Leben gerufene Neukölln Fashion Weekend, an welchem die neuen Designer, Schneider und Künstler ihre Arbeit den Anwohnern und Besuchern präsentieren, im Jahr 2011 gezielt von NEMONA mitorganisiert und gefördert (Berliner Morgenpost 2011). 49 EI 3 Beispiele für Akteure der Projekten, welche sich stärker auf den sozialen Zusammenhalt der Bewohner im Quartier beziehen, wurde beispielsweise das Projekt „48 Stunden Neukölln“ als ein klassisches Beispiel für Wirtschaftsförderung über mehrere Jahre von diesem Programm finanziell unterstützt. 48 Stunden Neukölln soll in erster Linie die im Reuterkiez ansässigen Künstler und Einrichtungen vernetzen, aber auch dazu beitragen, die technische und personelle Infrastruktur unter Künstlern effektiver zu nutzen und ihr Schaffen bei Bewohnern und Besuchern bekannt zu machen (BMUB 2014d). Die Planung, Koordination und Organisation Kunst- und Kulturfestivals übernahm hierbei das Quartiersmanagement Reuterplatz (QM Reuterplatz 2014). stammtisch Berlin Der Berliner Arbeitswelt e.V. und das Netzwerk Berlin-Neukölln Punkt 20 e.V. gründete sich durch den Gedanken, dass der Zusammenhalt und das Verständnis der Unternehmer untereinander eine wichtige Basis für die regionale Wirtschaft ist. Aufgrund der stetig wachsenden Mitgliederzahlen wurde Anfang 2012 der „Förderverband regionaler Aufgaben & Ziele“ (VRAZ e.V.) gegründet, sodass Gewerbetreibende, Freiberufler, Handwerker, Existenzgründer, Jungunternehmer, Hauseigentümer, Vereine und Kunst- sowie Kulturschaffende eine neue bedarfsgerechte Unterstützung vor Ort erfahren können. Das „Ziel des Netzstamm-Unternehmernetzwerkes ist die Förderung von Kontakten, Kommunikation und Kooperation zwischen den Teilnehmern. Das Netzwerk richtet sich an [interessierte Akteure] zum Gedankenaustausch.“ (VRAZ e.V. 2012). Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, an den Stammtischen, die kostenfrei stattfinden, sich und sein Unternehmen vorzustellen und erhält gleichzeitig auch Berichte über neueingetragene Gewerbebetriebe in seinem Bezirk, sodass neue geschäftliche Verbindungen hergestellt werden können (vgl. VRAZ e.V. 2012). 4. Fazit Der Reuterkiez erlebte in seiner Vergangenheit ein starkes wirtschaftliches Wachstum, welches durch den Zweiten Weltkrieg stark gebremst wurde und fast zum Erliegen kam. Nach der Umnutzung vieler Gewerbehöfe in Wohnungen und dem im Kiez einhergehenden Wandel zu überwiegend Klein- und Kleinstbetrieben nahm die Attraktivität für Gewerbeansiedlungen im Reuterkiez ab und führte zu Leerstand, welcher erst abnahm, als das Viertel durch verschiedene Maßnahmen, wie das neue Marktkonzept des BIOriental-Marktes, wieder an Ansehen gewann. In diesem Zusammenhang kommt der Zwischennutzungsagentur besondere Bedeutung zu. Aber auch die Schaffung einer Reihe von Unternehmensnetzwerken, Förderprogrammen und Zusammenschlüssen der Gewerbetreibenden im Reuterkiez wirkte sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung des Quartiers aus, welche sich nun vor allem in der zunehmenden Präsenz des Gastronomie- und Kreativsektors bemerkbar macht. 50 Besonders der Kreativsektor scheint aus Sicht der Stadt und des Bezirkes auch dort willkommen zu sein, denn viele Förderungsprogramme sprechen nur diese oder ähnliche Formen von Gewerbe an. Wie jedoch mit den alt eingesessenen Betrieben oder anderen Interessenten für eine Ansiedlung im Quartier umgegangen wird, ist unklar und bedarf weiterer Forschung. Die Frage, inwieweit die Förderungsmöglichkeiten vor Ort eine ausschlaggebende Rolle bei der Wahl des Standorts Reuterquartier für die in jüngerer Zeit hinzugezogenen Unternehmen gespielt haben, wird im Rahmen der Auswertung der Befragungsergebnisse in Kapitel G diskutiert. 5. 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Dabei wird nach Möglichkeit und Datenlage auf den Zeitraum von 2004 bis 2014 Bezug genommen und die räumlichen Ebenen Berlin / Neukölln(-Nord) / Reuterkiez betrachtet, soweit diese Trichotomie möglich und sinnvoll ist, um das sozioökonomische Profil des Reuterkiezes im Kontext Stadt, Bezirk und Quartier analysieren zu können. Die Inhalte dieser Analyse sollen als Grundlage dienen, um die Ergebnisse unserer ausstehenden Gewerbekartierung (Kapitel F) inhaltlich einordnen und verstehen zu können. Dementsprechend gering wird auf sozioökonomische Veränderungen eingegangen, die sich mit Fragen der Gentrifizierung und Verdrängung von Einwohnern des Quartiers befassen, es werden dagegen vorrangig Themen bearbeitet, die mit dem wirtschaftlichen Wandel des Gebietes einhergehen. Entsprechend stärker werden hingehen jene sozioökonomische Daten beleuchtet, die mit der wirtschaftlichen Situation des Kiezes in Beziehung stehen. 2 Einwohnerentwicklung 2.1 Einwohnerzahlen Abb. 1: Einwohnerentwicklung im Reuterkiez, Nord-Neukölln und Berlin im Vergleich. Eigene Abbildung nach Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2014b) und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014) (s. Anmerkung zu dieser Quelle im Quellenverzeichnis) Ein Blick auf die Einwohnerentwicklung des Reuterkiezes zeigt deutliche Unterschiede zu Nord-Neukölln und Berlin auf. Während in Berlin von 2006 bis 2011 ein Wachstum der Bevölkerung von 2,8 % zu verzeichnen ist und auf der Bezirksebene Nord-Neukölln sogar von 54 2.3 Alterstruktur 6,1 %, liegt der Reuterkiez deutlich darunter. Von 2008 bis 2010 hat sich die Einwohnerzahl auf Quartiersebene sogar reduziert – ein Phänomen, das im Bezirk und im Land Berlin in dieser Hinsicht nicht zu verzeichnen ist. Das Wachstum von Nord-Neukölln liegt dagegen über dem Berliner Trend, was die Entwicklung im Reuterkiez umso bemerkenswerter macht. 2.2 Migrationsentwicklung Abb. 3: Demographische Verteilung im Reuterkiez und Berlin 2008. Abbildung aus: Amt für Statistik BerlinBrandenburg (2014a) Abb. 4: Demographische Verteilung im Reuterkiez und Berlin 2011. Abbildung aus: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2014a) Abb. 2: Entwicklung des Anteils von Einwohnern mit MHG in % zwischen 2008 und 2011 im Reuterkiez. Eigene Abbildung nach Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014) Der Reuterkiez weist einen hohen Ausländeranteil in der Bevölkerung auf, der aber geringer ist als der Anteil auf Bezirksebene. Darüber hinaus ist der Ausländeranteil im Reuterkiez in den letzten Jahren rückläufig, anders als der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund, der leicht gestiegen ist. Auffällig ist der steigende Wert von Bewohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit, der so weder in Berlin, noch in Neukölln zu verzeichnen ist. Zudem ist, obwohl im Trend nicht erkennbar, der Anteil der Ausländer aus EU-Mitgliedsländern gestiegen, obwohl der Ausländeranteil nominell gesunken ist (Quartiersmanagement 2011). Es kann also für den Reuterkiez eine für Berlin untypische Entwicklung konstatiert werden, die sogar in dem kurzen Untersuchungszeitraum von 2008 bis 2011 sichtbar ist, für den die Daten der LOR-Datenbank zu Verfügung stehen. Die demografische Verteilung im Reuterkiez unterscheidet sich eklatant von der Verteilung Berlins. 2011 weist das Reuterquartier einen überdurchschnittlichen Anteil an Menschen von 27 bis 45 Jahren auf. Die Quote der Menschen über 50 Jahren liegt dagegen durchweg unterhalb des Berliner Durchschnitts. Ebenso bemerkenswert ist der gegenüber Berlin leicht erhöhte Anteil an Kleinkindern bis 6 Jahren, der einem geringeren Anteil von Kindern und Jugendlichen gegenübersteht. Ein Vergleich mit den Daten aus 2008 zeigt auf, dass die Altersstruktur sich bis 2011 zugunsten der Menschen von 25 bis 35 Jahren verändert hat. Der Anteil der Menschen über 50 Jahren ist dagegen weiter gesunken und kann als Indikator einer Verdrängung interpretiert werden. Abschließend ist festzuhalten, dass der Reuterkiez eine für Berlin sehr ungewöhnliche Altersstruktur aufweist, mit besonders vielen Bewohnern mittleren Alters. 2.4 Bildungsstruktur Abb. 5: Verteilung der Ausbildungsarten in % im Reuterkiez. Eigene Abbildung nach Gude (2011) Die aus Gude (2011) erstellte Grafik zur Verteilung der Ausbildungsarten zeigt deutliche Unterschiede im Reuterkiez gegenüber den Untersuchungsräumen Schillerpromenade und Nord-Neukölln auf. Im Reuterkiez gibt es deutlich mehr Bewohner mit Hochschulabschluss, als in den Vergleichsräumen und gleichzeitig weniger Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung. 2.5 Arbeitslosenstruktur Abb. 6: Entwicklung der Arbeitslosenquote (zw. 15 u. 64 Jahre) in %. Eigene Abbildung nach Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014). Der Blick auf die Arbeitslosenzahlen zeigt für das Reuterquartier einen positiven Trend auf. Seit 2007 sinkt die Quote stetig (einzige Ausnahme: 2008 auf 2009). Dies ist eine Entwicklung, die dem Berliner Trend entspricht und auch im restlichen Neukölln zu beobachten ist. Zwar liegt die Arbeitslosenquote im Reuterkiez bis 2009 über dem Berliner Mittel, so ist sie jedoch deutlich niedriger als auf Bezirksebene. 55 E II 1 Einleitung Sonnenallee – Mietspanne bei Büro, Praxis und Dienstleistungen 2004 Auch bei den sogenannten »Aufstockern« zeichnet sich im Reuterkiez ein Trend ab, der als positiv zu bezeichnen und so weder in Berlin noch im restlichen Nord-Neukölln zu beobachten ist. Während die Zahlen von 2007 bis 2009 in den Vergleichsgebieten nahezu unverändert sind, hat der Wert im Reuterkiez deutlich abgenommen. Hier müssen also deutlich weniger Menschen Existenzsicherungsleistungen beziehen. Der Wert liegt allerdings deutlich über dem Berliner Schnitt aber ebenso deutlich unter dem Level von Nord-Neukölln. Abb. 8: Anteil der Arbeitnehmer nach Arbeitsplätzen in Wirtschaftszweigen in Berlin. Eigene Abbildung nach Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2013) 56 Auf der Ebene Berlins erkennen wir die typische Arbeitsplatzstruktur einer Wirtschaft mit Schwerpunkt auf den tertiären Sektor: Im Dienstleistungssektor finden sich etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze, Tendenz steigend, während der geringe Anteil der Arbeitsplätze im Produzierenden Gewerbe weiter zurückgeht. Im Bezirk Neukölln wird die im relativen Sinne wichtige Stellung des Produzierenden Gewerbes deutlich. Besonders südlich des Berliner Rings befinden sich große Industrieunternehmen wie Biotronik und Phillip Morris, allein das Gewerbegebiet Sonnenallee-Süd reicht nach Neukölln-Nord (Wirtschaftsförderung Neukölln 2011). Doch auch in Neukölln ist der Trend der Tertiärisierung deutlich. Prozentual verschoben sich etwa 20 % der Arbeitsplätze des Verarbeitenden Gewerbes in den Dienstleistungssektor; deutlich zeigen sich also auch die Effekte der Schließung von großen produzierenden Betrieben wie beispielsweise der Kindl-Brauerei im Jahre 2005. 8,50€/m² min. max. 2011 Abb. 9: Anteil der Arbeitnehmer nach Arbeitsplätzen in Wirtschaftszweigen im Bezirk Neukölln. Eigene Abbildung nach Bezirksamt von Neukölln (2004) und Wirtschaftsförderung Neukölln (2011) Abb. 12: Gewerbemieten. Eigene Abbildung nach IHK 2013 Abb. 10: Anteil der Betriebe in Wirtschaftszweigen im Reuterkiez in den Jahren 2004 und 2011. Eigene Abbildung nach Adler 2004 und Rettberg 2011 Auf der Ebene des Reuterkiezes manifestiert sich noch einmal der Trend, der in der Analyse der übergeordneten Ebenen (Berlin und Bezirk Neukölln) deutlich geworden ist. Diese Abbildungen beschreiben zwar nur den Anteil der Betriebe und nicht der Arbeitnehmer (die in Betrieben des produzierenden Sektors normalerweise höher ist als bei Dienstleistungsbetrieben), doch hat sich der Anteil der produzierenden Betriebe von 2004 bis 2011 noch einmal um die Hälfte verringert. Die Sonnenallee ist nach Junker und Kruse ein Nahversorgungszentrum im Zentrenkonzept des Bezirks und hat dementsprechend eine niedrigere Leerstandsquote. Es ist daher auch mit einem höheren Gewerbemietspiegel zu rechnen, als ein solcher der im Innenbereich des Kiezes erreicht wird. Allerdings lässt sich diese Vermutung nicht vollends bestätigen, da die sinkende Leerstandquote im Kiez (s.u.) auch einen steigenden Gewerbemietspiegel nach sich ziehen dürfte. 3.2 Leerstandquoten 3 Wirtschaft 3.1 Gewerbemieten Bei Gewerbemieten besteht im Gegensatz zu Wohnmieten eine größere Gestaltungsfreiheit zwischen den Vertragspartnern. Die Höhe der Miete ist in der Regel frei vereinbar (IHK 2013). Um nicht der Willkür des Eigentümers ausgesetzt zu sein, bietet die IHK Gewerbetreibenden einen Mietspiegel, der zum Vergleich herangezogen werden kann. Allerdings finden sich hier keine Vergleichsmieten für den Innenbereich des Kiezes, sondern allein für die angrenzenden Straßen – in diesem Falle der Sonnenallee. Abb. 13: Leerstandsquoten. Eigene Abbildung nach Rettberg 2011 und Junker und Kruse 2009 Die Verringerung der Leerstandsquoten im Reuterkiez ist eine der augenscheinlichsten Veränderungen im Gebiet. Rettberg konnte zwischen den Jahren 2004 und 2011 eine Reduktion leerstehender Gewerbeeinheiten von etwa 30 % auf 14 % belegen. Die Leerstandsquote im Kiez hat sich somit dem Niveau des Nahversorgungszentrums Sonnenallee (s.o.) angeglichen, was für den eigentlich nahversorgenden Charakter des Kiezinneren eine beachtliche Leistung ist und sich auch von der Quote des gesamten Bezirks deutlich abhebt. 57 E II Abb. 7: Entwicklung der Quote der nicht-arbeitslosen Empfänger zwischen Existenzsicherungsleistungen nach SGB II u. VII in %. Eigene Abbildung nach Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014) 6,50€/m² 5 Quellen 3.3 Kaufkraft der Bevölkerung 4 Fazit Wie lässt sich das sozioökonomische Bild des Reuterkiezes nun zusammenfassen? Die Analyse der Dokumente, Erhebungen, Statistiken und Amtsblätter hat uns gezeigt, dass der Anteil junger Erwachsener zwischen 25 und 35 Jahren zunimmt und die Einwohner zusehends höher gebildet sind, während die Arbeitslosigkeit sinkt. Unter ihnen sind anhaltend viele Einwohner mit Migrationshintergrund, doch steigt der Anteil derer, die aus dem EU-Ausland stammen, in den letzten Jahren stark an. Unabhängig von der Frage nach Gentrifizierungstendenzen ist also die Veränderung des sozialen Gefüges nicht von der Hand zu weisen. Abb. 14: Einzelhandelsrelevante Kaufkraft je Haushalt in €/Monat. Eigene Abbildung nach IHK 2013 Die Kaufkraft der Bewohner im Reuterkiez ist unter dem Durchschnitt Berlins, liegt weit hinter den Verhältnissen der Bewohner des Prenzlauer Bergs zurück und übersteigt nur knapp den Neuköllner Durchschnitt. Allerdings beeinflussen hier die hohen Kaufkraftzahlen des Neuköllner Südens die Analyse erheblich, da Britz, Rudow und Neukölln ein sozioökonomisch sehr heterogenes Bild ergeben. Der eklatante Kontrast zwischen dem Reuterkiez (PLZ 12047) und den angrenzenden Gebieten (bspw. Sonnenallee Nord, PLZ 12045) ist jedoch deutlich und unterstreicht nochmals die wirtschaftliche Leuchtturmwirkung des Reuterkiezes im Neuköllner Norden. Die Tertiärisierung der Arbeitsplatzverteilung schreitet derweil weiterhin voran, was sowohl die Anzahl der produzierenden Betriebe im Reuterkiez, wie auch die Verteilung der Arbeitsplätze im Bezirk zeigt. Das Untersuchungsgebiet hebt sich zum Teil stark von seiner Umgebung ab, wie die Untersuchung von Leerstandsquoten und Kaufkraftzahlen zeigt. Dem Kiez wird damit immer mehr eine herausragende Stellung im Neuköllner Norden zuteil und verdient in seiner (sozio)ökonomischen Entwicklung besondere Beachtung. Umso wichtiger wird damit die bevorstehende Kartierung zum Wandel in der Gewerbestruktur des Reuterkiezes. Sie wird zeigen, inwiefern sich eine Veränderung der lokalen Wirtschaft im Untersuchungsgebiet manifestiert hat und trägt somit zu einem zur gegenwärtigen Diskussion über die Entwicklungsrichtung des Kiezes bei. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2013): Die kleine Berlin-Statistik. Berlin Amt für Statistik Berlin Brandenburg (2014a): Regionaler Sozialbericht Berlin und Brandenburg 2013. Berlin Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2014b): Bevölkerungsstand. Unter: www.statistik-berlinbrandenburg. de/BasisZeitreiheGrafik/ZeitBevoelkerungsstand.asp?Ptyp=400&Sageb=12015&creg=BBB&anzwer=6 Bezirksamt Neukölln von Berlin - Abteilung Jugend und Gesundheit (Hrsg.)(2012): Neukölln – Daten zur sozialen Lage. Berlin Bezirksamt von Neukölln (2004): Wirtschaftsstrukturatlas Berlin-Neukölln. Berlin Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.)(2013): Gutachten Verstetigungsmoglichkeiten Berliner Quartiersmanagementverfahren. Berlin Kalandide/Novy (2011): Potenzialanalyse Neukölln. Berlin Quartiersmanagement Reuterplatz (2011): Bevölkerungsstruktur im »Lebensweltlich orientierten Planungsraum« (LOR) Nr. 08010301 Reuterkiez. Unter: http://www.reuterquartier.de/uploads/media/Sozialraumdaten_2011_LOR_08010301.pdf Rettberg, Wiebke (2011): Revitalisierungsprozesse als Wegbereiter für Gentrification?. Saarbrücken Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales (2013): Handlungsorientierter Sozialstrukturatlas Berlin 2013. Berlin Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014): Datenbank der »Lebensweltlich orientierten Räume«. Verfügbar unter: http://daten.berlin.de/kategorie/geographie-und-stadtplanung.de Statistisches Bundesamt (2008): Klassifikation der Wirtschaftszweige. Wiesbaden GSW Immobilien AG (Hrsg.)(2013): WohnmarktReport. Berlin Gude, Sigmar (2011): Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln. Berlin Häusermann/Hausmann (2011): Entwicklung der Quartiere in Neukolln im Vergleich zu anderen (Teil-)Bereichen der Stadt Berlin in den Jahren 2007 bis 2009. Berlin Helfen, Thomas (2005): Lokale Ökonomie in den Berliner Quartiersmanagementgebieten im Rahmen der Sozialen Stadt, Fortentwicklung und neue Ansätze. Berlin IHK Berlin (2013): Orientierungsrahmen für Einzelhandelsmieten 2013 (incl. Gastronomieflächen). Berlin Kalandide/Novy (2011): Potenzialanalyse Neukölln. Berlin 58 Junker und Kruse (2009): Einzelhandels- und Zentrenkonzept für den Bezirk Berlin-Neukölln. Dortmund Wirtschaftsförderung Neukölln (2011): Statistische Angaben. Verfügbar unter: www.berlin.de/baneukoelln/ wirtschaftsfoerderung/wirtschaftsstandort/statistik. html Anmerkung zu Quelle »Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (2014)«: Die »Lebensweltlich orientierten Räume« (LOR) – auf die in diesem Kapitel Bezug genommen werden – wurden 2006 gemeinsam zwischen den planenden Fachverwaltungen des Senats, den Bezirken und dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg auf der Grundlage der von der Jugendhilfe bereits definierten Sozialräume einheitlich abgestimmt. Die LOR sind am 01.08.2006 per Senatsbeschluss als neue räumliche Grundlage für Planung, Prognose und Beobachtung demografischer und sozialer Entwicklungen in Berlin festgelegt worden. Die diesbezügliche Datenbank ist im Internetauftritt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung einsehbar. 59 E II Adler (2004): Gewerbeerhebung Reuterkiez 2003. Berlin E III »Das Image des Reuterkiezes und Neuköllns« E III »Das Image eines vor wenigen Jahren noch so angesagten Bezirks wird aktuell von der Gentrifizierungsdebatte getrübt« INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung 62 2 Imagebegriff 62 2.1 Der Imagebegriff in der Stadtforschung 53 2.2 Räumliches Image 54 2.3 Image als Standortfaktor 64 3 Medienanalyse 64 3.1 Vorgehensweise 65 3.2 Räumliche Abgrenzung 66 3.3 Zeitstrahl 68 4 Fazit 71 5 Ausblick 71 6 Quellenverzeichnis 72 61 Bereits zu Beginn des ersten Semesters wurde deutlich, dass sich Gentrifizierung auf unterschiedliche Weise zeigt und es sich lohnt, das Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um den Prozess in seiner Komplexität zu erfassen. Um eine theoretische Grundlage zur Beantwortung unserer Forschungsfrage erstellen zu können, untersucht das Projekt zunächst, welche Rolle Image bei der Standortentscheidung von zuziehenden Unternehmen spielt. Dem geht eine theoretische Annäherung an den Begriff Image, sowohl im Allgemeinen, als auch in Bezug auf die Stadtforschung, voraus, bei welcher die Einflüsse, die auf die Entstehung eines Stadtimages einwirken, bestimmt werden. Ein Indikator, an dem sich die symbolische Reichweite der Gentrifizierung untersuchen lässt, ist laut Krajewski die steigende mediale Präsenz eines Ortes (s. Kapitel B1.). Dies zeigt sich in der steigenden Anzahl der deutlich positiveren Artikel oder Berichte, welche über den sich verändernden Ort gedruckt und ausgestrahlt werden (vgl. Krajewski 2004), weshalb für die Beantwortung der Forschungsfrage die mediale Berichterstattung über das Reuterquartier von besonderem Interesse ist. Im Gegensatz zur Veränderung der Wirtschaftsstruktur, welche das Projekt anhand einer Kartierung der Gewerbestruktur im Reuterkiez untersucht, ist die symbolische Dimension weniger greifbar. Es wird vermutet, dass mit der Veränderung der Gewerbestruktur eine symbolische Veränderung einhergeht. Um herauszufinden, inwieweit diese Veränderungen im Reuterkiez stattfinden, wird eine Medienanalyse durchgeführt, welche im zweiten Teil des Kapitels dargestellt ist. 2 Imagebegriff Der Begriff Image hat seine Wurzeln in der lateinischen Sprache. Als Ursprung des heute häufig verwendeten Imagebegriffs kann der Terminus »imago« in seiner Bedeutung als Ursprung angesehen werden. Eine mögli- 62 2.2 Räumliches Image che Definition beschreibt Image als »das einer Person, einer Sache oder einem Raum zugeordnete Vorstellungsbild, das sich aus der Summe aller Urteile und Vorurteile über das Objekt ergibt« (Leser 1989: 264). Allgemein lässt sich sagen, dass man unter Image das Bild oder die Wahrnehmung eines Unternehmens oder eines Produktes versteht. Außerdem können Personen, Organisationen, Städte und Ortschaften oder Standorte ein bestimmtes Image besitzen. Im Alltag wird dies häufig mit Begriffen wie Ansehen, Charakterbild, Ruf, Prestige, Leitbild oder Vorurteil in Verbindung gebracht. Es bezeichnet also das innere Gesamtbild, das sich eine Person von einem Meinungsgegenstand macht bzw. den unwillkürlich entstehenden Gesamteindruck (Höpner 2005: 16). »Das Individuum richtet seine Entscheidungen gegenüber einem Meinungsgegenstand nicht danach, wie er ist, sondern danach wie es glaubt, dass er wäre« (Spiegel 1961: 116). Images erleichtern dem Individuum die Wahrnehmung und Einschätzung von Objekten, wenn keine detaillierten persönlichen Erfahrungen vorliegen. Stattdessen werden diese anhand von zwei Aspekten bewertet: zum einen über kommunizierte vereinfachte Einschätzungen der konkreten Sache und zum anderen über abstrakte Maßstäbe, die sich in der Regel an oberflächlicher Wahrnehmung bestimmter Objekteigenschaften orientieren und schematisch zugeordnet werden. Das so entstandene Image schreibt dem betrachteten Gegenstand gewisse Qualitäten zu, die es nicht unbedingt erfüllt (Höpner 2005: 15). Images können Beurteilungen eines Objektes beinhalten und drücken seine Wertschätzung und Attraktivität, aber auch negative Assoziationen gegenüber einem Gegenstand aus. »Das Image eines Objektes kann [...] einem bestimmten Personenkreis, Milieu oder Lebensstil [zugeordnet werden]. Personen können sich über das Objekt und sein Image mit einer solchen Gruppe und den ihr zugeordneten Eigenschaften identifizieren« (Höpner 2005: 15). Wie entsteht ein Image? Images entstehen nicht von selbst. Sie werden bewusst oder unbewusst produziert. So ist die Schöpfung, Vermittlung, Akzeptanz sowie Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung eines Images ein komplexer gesellschaftlicher Prozess (Höpner 2005:16). In der Betriebswirtschaftslehre werden vier Arten von Image unterschieden. Das Produktgruppenimage beschreibt eine bestimmte Produktgattung einer Branche unter Einbeziehung aller Marken, beispielsweise Fußbälle, welche als sportlich, jung und unkonventionell beschrieben werden. Des weiteren gibt es das Markenimage, welches am Beispiel des Energie-Getränks »Red Bull« beschreiben kann, welches Lebendigkeit verspricht. Das qualitätsbewusste Image von BMW kann dem Unternehmensimage zugeschrieben werden und das Länder-, Regionen-und Städteimage kann am Beispiel von Paris gezeigt werden, welche als Stadt der Liebe gilt. 2.1 Der Imagebegriff in der Stadtforschung Ein Stadtimage setzt sich aus subjektiven Vorstellungsbildern von Individuen, unter anderem aber auch aus Vorurteilen, zusammen. Diese Bilder sind in den Köpfen der Menschen entstanden und drücken die gefilterte mentale Repräsentation der städtischen Wirklichkeit aus. Demzufolge muss dieses auch nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen. (Lamkemeyer 2005:20) »Unter Image werden die Meinungen und Einstellungen, die sich gegenüber einer Stadt, innerhalb dieser Stadt, wie auch von außen, durchgesetzt und entwickelt haben, verstanden. Es beruht auf objektiven und subjektiven, eventuell auch falschen und stark emotional gefärbten Vorstellungen, Ideen und Gefühlen, Erfahrungen sowie Kenntnissen und stabilisiert und stilisiert sich im Zeitverlauf« (Meissner 1995:21). Da Räume in ihrer Gesamtheit kaum wahrgenommen werden können, bewertet man diese, insbesondere wenn keine umfangreichen und detaillierten individuellen Erfahrungen vorliegen, über Images (Höpner 2005: 16). Einerseits werden Gebiete über kommunizierte imageartige Vorstellungen beurteilt und aus deren Perspektive betrachtet, andererseits erfolgt die individuelle Beurteilung eines Platzes in der Regel über eine oberflächliche und ausschnitthafte Betrachtung einiger Raumelemente und -eigenschaften. Deren assoziierte Images werden auf den Raum übertragen und bilden so ein Raumimage (Höpner 2005:17). Eine gefühlsmäßige Hierarchisierung der Orte in bevorzugte, als attraktiv empfundene Gebiete und abzulehnende, als uninteressant oder gar unangenehm empfundene Plätze werden vom räumlichen Image gefördert. So werden Nachbarschaften, Stadtteile, Ortschaften und Städte mit bestimmten Milieus und Lebensstilen verbunden. Dies kann das Gebiet für bestimmte Gruppen auf- oder abwerten. Ebenso können sich Menschen oder Unternehmen mit bestimmten Bereichen identifizieren oder können mit diesen identifiziert werden. Die Wertigkeit des räumlichen Images kann so auf sie übertragen werden. Im Prozess der Imageproduktion haben einige soziale Gruppen, wie zum Beispiel die Besitzer eines jungen, hippen Cafés oder einer angesagten Bar, eine größere Bedeutung. So sind diese beispielsweise aktiver in der Schöpfung und Weiterentwicklung eines Images, da sie deutlich öffentlich in Zusammenhang mit dem jeweilig betreffenden Raum in Erscheinung treten und ihn so durch ihr Handeln prägen. Bestimmte Einflussgrößen spielen bei der Imagebildung von Städten eine Rolle. Jedoch wird nicht jedes Stadtimage gleichermaßen aus allen Einflussgrößen geprägt. Abbildung 1 gibt dazu einen näheren Einblick. So kann ein Stadtimage zum einen durch bauliche Strukturen, wie beispielsweise große Plattenbausiedlungen, geprägt werden. Zum anderen trägt die Sozialstruktur in 63 E III 1 Einleitung & Pressestimmen Der Leitgedanke dabei ist Zeitstrahl herauszufinden, wie das Tagesspiegel 13.7.2007: „Berlin-Neukölln was soll'n das hier werden?“ 2010 Viertel„Berlin im Aufwind und Künstler Umgebung für Berliner“ adrette Mittzwanziger Marco Polo Spiegel Online 2004 29.11.2004 desStadtReuterkiez vor zehn Jahren (vorrangig in der Süddeutsche „Ein Kiez auf der Kippe“ ge einer Stadt bzw. in unseren Image Fall eines 1997 Zeitung Magazin Parallelgesellschaft Presse) dargestellt wurde, wie sich das Bild im Laufe der Heft 11 2009: von mehreren Faktoren beeinflusst. Besonders Ausländer Migranten Süddeutsche 19.5.2010: „Berlin Neukölln Gewalt – Kriminalität hatStudenten Zeug zur Zeitund verändert „Allein im Sog der Aus Berliner Luft Luft LuftGerichtsvollzieher ist das Image des Reuterkiezes dessenhat und wie es sich heute darstellt. Die Kulturmeile Gewalt“ wird frischer Wind Wind Wind“Sozialhilfedichte Höchste beste Asia-Suppen Absicht des Projekts ist es, anhand der Ergebnisse der Europas weit und breit im Laufe der Zeit in der medialen Berichterim Freudentaumel über die einem Gebiet zur Imagebildung bei. Das kann zum BeiAus diesem Umstand entbrannte vielerorts ein StädteMedienanalyse wahrnehmbar. Medien als eine Einflussgröße zu untersuchen, ob es einen konkreten Spiegel 43. Ausgabe 1997 Spiegel 43. Ausgabe 1997 Szenewerdung spiel die Geschlechterverteilung oder die Altersstruktur wettstreit, d.h. ein Wetteifern um das beste Image und Zeitpunkt an soziale dem Ressourcen, sich die Berichterstattung über mage spielen eine bedeutende Rolle. Diegab, Idee 2010 sein. Von großer Bedeutung bei der Imagebildung ist was in etablierten Städterankings turus.net Magazin den Reuterkiez hat und ob Entwicklung zu diesem ekts war mithilfe eines einer Medienanalyse zu gewandelt 2.4 Zeitstrahl auches, die Geschichte Stadtteils, beispielsweise seibesonders sichtbar wird. Diese wirdZeitzusätz13.2.2010: New York Times Spiegel 43. Ausgabe „Berlin Neukölln: Spaziergang 18.9.2009: 1997:der Mobilität ne Bedeutung im zweiten sowieauch diedargeeigene lich durch die zunehmende der Bevölkerung punkt eine Veränderung in Gewerbestruktur chen, wie das Image des Weltkrieg, Reuterkiezes im Problemkiez“ „Endstation Neukölln“ „A Berlin Hub's Arty Spinoff“ Brandbrief Wahrnehmung eines Individuums und dessen Vorurverstärkt, bei denen die Städte profitieren, die das breihighest rates of poverty, Alkoholisierte Männer angesagte Studentenkneipen und d. Dabei war dem Projekt wichtig, ein mög- ist. der Lehrer zu verzeichnen crime and unemployment in wenige Studenten Galerien aus der teile gegenüber einem Raum. Die Berichterstattung in teste und attraktivste Kulturund Freizeitangebot aufthe city sozialer Niedergang Armut lebendig Rütlischule 2008 eites Spektrum an Medientypen auszuwerten, Berlin verslumt Brennpunkt Ghettoisierung thriving, culturally rich area den Massenmedien kann die Wahrnehmung eines Orweisen. InMedienberichterstattung dieser Hinsicht kommt dem Image einer Stadt Staubsauger für Asoziale 2.5 Überblick der primed for art and multikulturelle Vielfalt hungernde Kinder night life möglichst guten beeinflussen. Gesamteindruck zusind erhalten. tes ebenfalls Zu erwähnen aber auch eine besondere Bedeutung blaugeschlagene Frauen zu, weil es die vielfältigen 2010 bunt Zeitstrahl & Pressestimmen Überblick über die Medienberichterstattung bestimmte Hauptverkehrsachsen und eine gute Anbindungdabei durch PKW den ÖPNV. gedanke istundherauszufinden, wie das „Berlin und Süddeutscheechte Armut 2006kompriInformationen, Eindrücke und Bildereiner Stadt Tagesspiegel Umgebung für Berliner“ Zeitung Magazin Positive 13.7.2007: E Polo Marco Heft 11 2009: n tw miert darstellt und deshalb eine Identifikation mit oder ic z k wird un lu „Berlin-Neukölln was Kie trennba nghat Zeug Süddeutsche 19.5.2010: „Berlin zur me imNeukölln – r mit Diesoll'n das hier werden?“ SpiegelStadt OnlineGe Abgrenzung zu der betreffenden vereinfacht. roble n n tr „Allein im Sog der 2004 Berliner Luft Luft Luft PAus if o izierun v Kulturmeile n 29.11.2004 e g d r th e ematis Gewalt“ Viertel im Aufwind frischer Wind Wind wImage beste Asia-Suppen ial Wind“ „Ein Kiez auf der Kippe“ seswird im rt iven kann medsich sowohl im negativen alsieauch positim n weit undKünstler breit gen Parallelgesellschaft Freudentaumel adrette Mittzwanziger u t positiven die Entwicklungsperspektiven einer Stadt Meld cauf Ausländer Migranten attedie h über aum n es Reuterkiez vor zehn Jahren (vorrangig det k in der e 1997 NK fin nung in d h ä n der n e Erw Laufe dargestellt wurde, wie sich das Bild im w 2.3 Image als Standortfaktor Medien,ur negativ Studenten bers n Gewalt Kriminalität Szenewerdung dann auswirken und beispielsweise eine Region ndert hat und wie es sich heute darstellt. Die oderüRegion Gerichtsvollzieher Sozialhilfedichte MonotonieHöchste festigen oder eine Großstadt, 2010 des Projekts ist es, anhand der Ergebnisse der als Symbol für 2010 Europas die durch ein vielfältiges Kreativimage mehrereturus.net Millio-Magazin 2012 2.4 Zeitstrahl nalyse zu untersuchen, ob es einen konkreten Spiegel 43. Ausgabe 1997 Spiegel 43. Ausgabe 1997 13.2.2010: New anlockt. York Times (Meier 2011: 49) Spiegel 43. Ausgabe nen Touristen jährlich „Berlin Neukölln: Spaziergang 2014 18.9.2009: 1997: kt gab, an „Endstation dem sich die Berichterstattung über im Problemkiez“ Neukölln“ „A Berlin Hub's Arty Spinoff“ 2008 Brandbrief highest rates of poverty, Alkoholisierte Männer angesagte und der Lehrer terkiez gewandelt hat und ob zu diesem Zeit- Einfach zugängliche Informationen zu jeder StadtStudentenkneipen und crime and unemployment ininternationale wenige Studenten Galerien aus der Zunehmend lebendig the city sozialer Niedergang Armut eine gute Vergleichbarkeit Städterankings positivemittels Berichte, Artikel Brennpunktmauch eineBerlin Veränderung in derRütlischule Gewerbestruktur 2008 Ghettoisierung verslumt thriving, culturally rich area werben für Kulturszene, 2006 Staubsauger für Asoziale Rütli-Brandbrief chen es heute damit mehr einen Vielfalt primed for artdenn and je notwendig, multikulturelle hungernde Kinder beginnende Gentrifizierungsichnen ist.blaugeschlagene life sorgt für mehr night 2004 Frauen bunt Standort ständig fortzuentwickeln und sein Image fortdebatte Aufmerksamkeit 2006 echte Armut Tagesspiegel während für Nord-NK attraktiv zu gestalten. Standortmarketing und 13.7.2007: „Berlin-Neukölln wasImagegenerierung wird aus diesem Grund in der heutiBachelorprojekt NEUköllner Wirtschaft soll'n das hier werden?“ Spiegel Online 2004 Tabelle 1: Standortfaktoren, Darstellung gen Zeit eine wichtige Bedeutung auf kommunaler und 29.11.2004Quelle: Eigene Studienjahr Positive Viertel im Aufwind 2013/2014 Entw 1997 „EinzKiez auf der Kippe“ Künstler regionaler Ebene Berlin beigemessen. g Technische Kie Parallelgesellschaft wird untren icklun Universität im nbadrette ar mit Mittzwanziger leme Migranten b G o e r n Ausländer n trifizieru imDa sichP viele Städte im infrastrukturellen Bereich ng FG Stadt- und Regionalökonomie e n vo kaum en themati Studenten werd en Gewalt d l Kriminalität siert wie ia d iv e it ng in mer weiter angleichen und Ausstattungsmerkmale s m Gerichtsvollzieher o n p Leitung: Susanne David, Pia Kaiser e g wenn tiv Sozialhilfedichte eldun attHöchste et MKrankenhäuser a g h Schulen, und guter Straßenausbau imc e s Europas ur n über Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit den 11. Heft 2009 mer ubiquitärer für die Stadt werden, geht daraus herSpiegel 43. Ausgabe 1997 Spiegel 43. Ausgabe 1997 21.1.2008 Einflussfaktoren auf das Stadtimage soll dieses nun inBZBZ21.1.2008 vor, dass sich jede Stadt unter dem Blick der Allgemein2010 2012 unserem Untersuchungsgebiet, dem Reuterkiez, erheit etwas zu eigen machen sollte, das sie von anderen forscht werden. Das Image einer Stadt, bzw. in unseren Städten unterscheidet. Das passiert oftmals2014 durch den 2008 Fall eines Stadtteils, wird von mehreren Faktoren beeinBedeutungszuwachs des Freizeitwertes einer Region, flusst. Besonders deutlich ist das Image des ReuterkieKommune oder Stadt, weswegen kulturelle Events, Zunehmend internationale positive Berichte, Artikel zes und dessen Wandel in der medialen BerichterstatGroßveranstaltungen und Messen, die einem Standort werben für Kulturszene, 2006 Rütli-Brandbrief beginnende Gentrifizierungssorgt für mehrCharakter tung wahrnehmbar. Medien als eine Einflussgröße auf einen einzigartigen verschaffen, verstärkt Aufmerksamkeit debatte das Image spielen eine bedeutende Rolle. Die Idee des subventioniert werden. Aus dieser Attraktivität ergeben für Nord-NK Projekts war es, mithilfe einer Medienanalyse zu untersich verbesserte Bedingungen bei der Gewinnung von Bachelorprojekt Wirtschaft suchen, wie das Image des Reuterkiezes dargestellt wird Kundschaft undNEUköllner der Rekrutierung von Personal. (Meier Studienjahr 2013/2014 und wurde. Dabei war es dem Projekt wichtig, ein mög2011: 47) Technische Universität Berlin lichst breites Spektrum an Medientypen auszuwerten, berblick der Medienberichterstattung ck über die Medienberichterstattung NEUköllner Wirtschaft Berliner Zeitung 28.8.2013 „SPD streiten um Image von Neukölln“: Bezirkspolitiker reden ihren Bezirk schlechter als er ist N-tv 11.11.2011: „Vom Schmuddel- zum Szenekiez - Berlin Neukölln ist hip geworden“ hip lässige Abgeranztheit ausgeprägte Kulturszene Heft 2009 stabile 11.Wohnquartiere hippe Jugend stabiles Negativbild in der Öffentlichkeit BZBZ21.1.2008 21.1.2008 2012 zitty 8.3.2011: „Neukölln leuchtet“ Simon-Dachierung Goldgräberstimmung in Neukölln Studenten das ist das neue Neukölln Kreative zunehmend besser Verdienende 2014 5.3.2012 zitty „Die Tür ist offen – zwei Künstler betreiben die Kneipe 'Freies Neukölln'“: Hype vom Reuterkiez Dornröschenschlaf endete 2006 junge Menschen Tagesspiegel 24.1.2014: „Armes, cooles Neukölln“ 3 Medienanalyse 64 lässige Abgeranztheit ausgeprägte Kulturszene BZ21.1.2008 21.1.2008 stabile BZWohnquartiere hippe Jugend stabiles Negativbild in der Öffentlichkeit 2012 zitty 8.3.2011: „Neukölln leuchtet“ 2014 Die Vorgehensweise der medienanal Simon-Dachierung Goldgräberstimmung in Neukölln Studenten 5.3.2012 zitty „Die Tür ist offen – zwei Künstler betreiben die Kneipe 'Freies Neukölln'“: Hype vom Reuterkiez Dornröschenschlaf endete 2006 Tagesspiegel Die Medienanalyse soll das Bild 24.1.2014:des Reu Kreative zunehmend besser junge Menschen „Armes, cooles Verdienende 2004 bis 2014 darstellen und Neukölln“ zeigen, wie medialen Repräsentation gewandelt hat. das ist das neue Neukölln Zunächst musste entschieden werden, gegangen wird. Nachdem die Gruppe sic ge Vorgehensweisen informiert hatte (Qu ter, Wolff 2003), wurde deutlich, dass ein Form der Medienanalyse angewandt we da nur ein knapper Zeitraum zur Verfügu eine allumfassende Analyse zu aufwen wäre. Die Absicht war es, das Ergebnis Zeitstrahls darzustellen. Um ein möglichst großes Spektrum der B tung abzudecken, wurden verschiede ausgewählt. Die Medienanalyse umfas tungen, zwei führende Berliner Stadtma nationale Zeitungen, Online-Artikel, Blog Reiseführer. FG Stadt- und Regionalökonomie Leitung: Susanne David, Pia Kaiser 11. Heft 2009 hip Um eine Vergleichbarkeit zur Erhebun bestruktur mit dem Datensatz von 2004 eigenen Erhebung herstellenzitty zu könne 20.3.2008 schlossen, den gleichen Zeitrahmen (2 zu wählen. ner haft Berliner Zeitung 28.8.2013 „SPD streiten um Image von Neukölln“: Bezirkspolitiker reden ihren Bezirk schlechter als er ist N-tv 11.11.2011: „Vom Schmuddel- zum Szenekiez - Berlin Neukölln ist hip geworden“ E III Analyse zitty 20.3.2008 Die Gruppe erstellte über zwei Woche kel-Pool von 36 Artikeln, die analysiert w Christina M. Heinen erwähnt 2013 65 in ihre „Tief in Neukölln“ zahlreiche Artikel über dem Pool hinzugefügt wurden. 3.1 Vorgehensweise Die Medienanalyse soll das Bild des Reuterkiezes in den Jahren 2004 bis 2014 darstellen und zeigen, wie dieses sich in der medialen Repräsentation gewandelt hat. Nachdem die Gruppe sich über gängige Vorgehensweisen informiert hatte (Quasthoff, Richter, Wolff 2003), wurde deutlich, dass eine vereinfachte Form der Medienanalyse angewandt werden musste, da nur ein knapper Zeitraum zur Verfügung stand und eine allumfassende Analyse zu aufwendig gewesen wäre. Die Absicht war es, das Ergebnis mittels eines Zeitstrahls darzustellen. Um eine Vergleichbarkeit zur Erhebung der Gewerbestruktur mit dem Datensatz von 2004 und unserer eigenen Erhebung herstellen zu können, wurde beschlossen, den gleichen Zeitrahmen (2004 bis 2014) zu wählen. Um ein möglichst großes Spektrum der Berichtserstattung abzudecken, wurden möglichst unterschiedliche Beiträge ausgewählt. Die Medienanalyse umfasste Tageszeitungen, zwei führende Berliner Stadtmagazine, internationale Zeitungen, Online-Artikel, Blogs sowie zwei Reiseführer. 66 Die Gruppe erstellte über zwei Wochen einen Artikel-Pool von 36 Artikeln, die analysiert werden sollten. Christina M. Heinen erwähnt 2013 in ihrer Dissertation »Tief in Neukölln« zahlreiche Artikel über Neukölln, die dem Pool hinzugefügt wurden. Nach der ersten Sichtung stellten sich einige Artikel als für die Gruppe irrelevant heraus, da ihr Fokus zu wenig auf dem Reuterkiez lag. Insgesamt verkleinerte sich der Pool dadurch auf 27 Artikel. Im Folgenden sind die Quellen genau aufgeführt: Print-Artikel: Der Spiegel, Zitty, BZ Tageszeitungen Online: Spiegel Online, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung, Taz Berliner Zeitung, BZ, Berliner Morgenpost Stadtmagazine Online: Tip, Zitty Online-Blogs/ Nachrichten: turus.net, n-tv.de Internationale Medien: The Guardian, Spiegel Online, timeout.com, New York Times Reiseführer: Lonley Planet, Berlin für Berliner 2008, Berlin für Berliner 2010 3.2 Räumliche Abgrenzung Der Begriff »Neukölln« wurde in den Artikeln räumlich unzureichend und teilweise unterschiedlich definiert. »Neukölln« existiert sowohl als Bezirksbezeichnung, als auch als Ortsteil innerhalb des Bezirks. Dies führte zu Unklarheiten über die Ortsangaben in den Artikeln. Weitere Bezeichnungen für das Untersuchungsgebiet sind »Nord-Neukölln«, »Kreuzkölln« oder »nahe der Kreuzberger Grenze«. Mithilfe einer Strichliste, in welcher aufgelistet wurde, inwieweit die Kiezbezeichnung in den Artikeln differenzierte, konnte herausgefunden werden, wie und mit welcher Häufigkeit die unterschiedlichen Ortsangaben in den Artikeln verwendet wurden. Mit 20 Nennungen war die Bezeichnung »Neukölln« an oberster Stelle, welche oft auf eine relativ undifferenzierte Darstellung in den Artikeln schließen ließ. Es folgte die Bezeichnung »Nord-Neukölln« mit 15 Nennungen, die auch auf den offiziellen Seiten der Stadt mit dem Reuterkiez gleichgesetzt wird: »Besonders in Nord-Neukölln, an der Grenze zu Kreuzberg zwischen Landwehrkanal und Sonnenallee, hat sich der Bezirk in den vergangenen drei Jahren gewandelt. Kreuzkölln nennen deshalb manche Berliner die Gegend, eine Art Hybrid-Kiez also.« (Berlin.de o.J.) Erst mit relativ großem Abstand folgt mit acht Erwähnungen der Begriff »Kreuzkölln« und dahinter, mit sieben Nennungen, »Reuterkiez« als die eigentliche Bezeichnung des Quartiers. In zwei Artikeln wurde der Ortsteil sogar nur als »Nahe zur Kreuzberger Grenze« bezeichnet. Nach der Sichtung wurden die Artikel in eine Tabelle eingetragen, die dazu diente, eine Übersicht über die verschiedenen Inhalte der Artikel zu geben um diese miteinander vergleichen zu können. Aus der Tabelle konnte die Gruppe entnehmen, ob die Berichterstattung eines Artikels eher positiv oder negativ war, welche Standorte im Reuterkiez erwähnt und wie die Bewohner vor Ort von den Autoren charakterisiert wurden. Diese Wertung ist jedoch nicht objektiv, da die Einordnung zuvor selbstständig und nach eigenen Kriterien von der Gruppe vorgenommen wurde. E III um einen möglichst guten Gesamteindruck zu erhalten. Der Leitgedanke ist, herauszufinden, wie das Image des Reuterkiezes vor zehn Jahren (vorrangig in der Presse) dargestellt wurde, wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat und wie es heute dargestellt wird. Die Absicht des Projekts ist es, anhand der Ergebnisse der Medienanalyse zu untersuchen, ob es einen konkreten Zeitpunkt gab, an dem sich die Berichterstattung über den Reuterkiez gewandelt hat und ob zu diesem Zeitpunkt auch eine Veränderung in der Gewerbestruktur zu verzeichnen ist. Um dies überprüfen zu können, müssen die Ergebnisse der Medienanalyse, der Gewerbekartierung und der Befragung zugezogener Unternehmen in Beziehung zueinander gestellt und ausgewertet werden. Abb. 16 Strichliste zu den verschiedenen Begriffen, Quelle: eigene Darstellung In einigen Artikeln wurde, nachdem »Neukölln« erwähnt wurde, noch etwas genauer auf die Lage bzw. den Namen des Quartiers eingegangen, wobei auch hier mit Abstand am meisten die Bezeichnungen »Nord-Neukölln« oder »Kreuzkölln« verwendet wurden. Die sieben Nennungen des Reuterkiezes folgten immer erst nachdem die Begriffe »Kreuzkölln« oder »Nord-Neukölln« erwähnt worden waren. 67 D 2010 2010 und und „Berlin „Berlin Süddeutsche Süddeutsche für Berliner“ für Berliner“ Umgebung Umgebung ZeitungZeitung MagazinMagazin Marco Polo Marco Polo Heft 11 Heft 2009:11 2009: Süddeutsche Süddeutsche 19.5.2010: 19.5.2010: „Berlin „Berlin NeuköllnNeukölln – – hat Zeug hat Zeug zur zur „Allein „Allein im Sog im derSog der Aus Berliner Aus Berliner Luft Luft LuftLuft Luft Luft Kulturmeile Kulturmeile Gewalt“Gewalt“ beste Asia-Suppen Wind Wind WindWind“ Wind Wind“ wird frischer wird frischer beste Asia-Suppen weit undweit breit und breit im Freudentaumel im Freudentaumel über dieüber die Szenewerdung Szenewerdung Abgeranztheit Abgeranztheit hip lässige hip lässige ausgeprägte ausgeprägte Kulturszene Kulturszene 2.4 2.4 Zeitstrahl Zeitstrahl Brandbrief Brandbrief Alkoholisierte Alkoholisierte Männer Männer der Lehrer der Lehrer wenige wenige Studenten Studenten aus der aus der sozialersozialer Niedergang Niedergang Rütlischule Rütlischule BerlinBerlin verslumt verslumt 20082008 Staubsauger Staubsauger für Asoziale für Asoziale hungernde hungernde KinderKinder echteechte ArmutArmut blaugeschlagene blaugeschlagene Frauen Frauen 19971997 2006 2006 Online Online 2004 2004 Spiegel Spiegel 29.11.2004 29.11.2004 „Ein Kiez „EinaufKiez derauf Kippe“ der Kippe“ Parallelgesellschaft Parallelgesellschaft Ausländer Migranten MigrantenAusländer Gewalt Gewalt Kriminalität Kriminalität New York NewTimes York Times 18.9.2009: 18.9.2009: „A Berlin „A Hub's Berlin Arty Hub'sSpinoff“ Arty Spinoff“ highest highest rates ofrates poverty, of poverty, crime and crime unemployment and unemployment in in the citythe city thriving,thriving, culturally culturally rich area rich area primed primed for art for andart and night life night life Der Zeitstrahl beginnt mit einem Artikel aus dem Spiegel-Magazin von 1997, in dem der Bezirk Neukölln sehr stark als Problembezirk dargestellt wird. Es ist die Rede von hungernden Kindern und alkoholisierten Männern, gar slumähnlichen Verhältnissen. In dem Artikel heißt es: »‘Neukölln is‘ nur noch een Staubsaujer für Asoziale aus der janzen Stadt‘, philosophiert eine Hauswartsfrau« (Wen-sierski, 2007: 60). Der Artikel aus dem Spiegel fällt zwar nicht in den Untersuchungszeitraum von 2004 bis 2014, die Arbeitsgruppe hatte sich dennoch dazu entschieden, ihn in die Analyse aufzu-nehmen, da er ein 68 20122012 zitty 8.3.2011: zitty 8.3.2011: angesagte angesagte Studentenkneipen Studentenkneipen und und „Neukölln „Neukölln leuchtet“ leuchtet“ GalerienGalerien lebendig lebendig ArmutArmut Ghettoisierung Ghettoisierung Brennpunkt Brennpunkt multikulturelle multikulturelle VielfaltVielfalt bunt bunt stabilesstabiles Negativbild Negativbild in in der Öffentlichkeit der Öffentlichkeit Simon-Dachierung Simon-Dachierung Goldgräberstimmung Goldgräberstimmung in in NeuköllnNeukölln Studenten Studenten das ist das das ist neue dasNeukölln neue Neukölln Kreative Kreative zunehmend zunehmend besser besser Verdienende Verdienende 20142014 5.3.20125.3.2012 zitty zitty ist Tür offen ist –offen – „Die Tür„Die zwei Künstler zwei Künstler betreiben betreiben die die 'Freies 'Freies Neukölln'“: Neukölln'“: Kneipe Kneipe Hype Hype vom Reuterkiez vom Reuterkiez Dornröschenschlaf Dornröschenschlaf endete 2006 endete Tagesspiegel 2006 Tagesspiegel 24.1.2014: 24.1.2014: junge junge Menschen Menschen„Armes,„Armes, cooles cooles Neukölln“ Neukölln“ Viertel Viertel im Aufwind im Aufwind KünstlerKünstler adretteadrette Mittzwanziger Mittzwanziger Studenten Studenten Spiegel 43. Spiegel Ausgabe 43. Ausgabe 1997 1997 3.3 Zeitstrahl Um bei der Betrachtung der Zeitstrahlgrafik die Stimmung in der Berichterstattung über Neukölln optisch auf den ersten Blick kenntlich zu machen, wurde eine Einteilung in positiv (blaue Sprechblasen), sowohl positiv als auch negativ (violette Sprechblasen) und negativ (rote Sprechblasen) vorgenommen. turus.net turus.net MagazinMagazin 13.2.2010: 13.2.2010: „Berlin „Berlin Neukölln: Neukölln: Spaziergang Spaziergang im Problemkiez“ im Problemkiez“ Tagesspiegel Tagesspiegel 13.7.2007: 13.7.2007: „Berlin-Neukölln „Berlin-Neukölln was was soll'n das soll'n hierdas werden?“ hier werden?“ Gerichtsvollzieher Gerichtsvollzieher HöchsteHöchste Sozialhilfedichte Sozialhilfedichte EuropasEuropas Spiegel 43. Spiegel Ausgabe 43. Ausgabe 1997 1997 stabile stabile Wohnquartiere Wohnquartiere hippe hippe Jugend Jugend 2010 2010 43. Ausgabe 43. Ausgabe Spiegel Spiegel 1997: 1997: „Endstation „Endstation Neukölln“ Neukölln“ BerlinerBerliner ZeitungZeitung 28.8.2013 28.8.2013 „SPD streiten „SPD streiten um Image um von Image von Neukölln“: Neukölln“: Bezirkspolitiker Bezirkspolitiker reden ihren reden ihren Bezirk schlechter Bezirk schlechter als er ist als er ist N-tv 11.11.2011: N-tv 11.11.2011: „Vom Schmuddel„Vom Schmuddelzum zum Szenekiez Szenekiez - Berlin- Berlin ist hip ist geworden“ hip geworden“ NeuköllnNeukölln sehr drastisches Bild über das Neukölln der 1990er Jahre zeichnet. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass durch die Reichweite des deutschlandweit erscheinenden Magazins der Ruf Neuköllns weit über die Grenzen Berlins getragen wurde. Im November 2004 erscheint auf Spiegel Online der Artikel »Ein Kiez auf der Kippe«, der ausschließlich negativ über Neukölln berichtet. Es werden der hohe Migrationsanteil der Bewohnerschaft, die hohe Dichte von Sozialhilfeempfängern und die große Menge an registrierten Gewalttaten im Gebiet erwähnt. Im Jahr 2006 verfasst die Schulleiterin der Rütli-Schule einen offenen Brief an den Senat, welcher deutschlandHeftAufmerksamkeit 11. 2009 Heft 2009 weit11.für sorgt. In dem offenen Brief werden von der Schulleiterin unter anderem die Tatsache, dass Gewalt und Kriminalität hier auf der Tagesord- nung stehen und die Unmöglichkeit, den Schülern den Unterrichtsstoff zu vermitteln, beklagt. Die Veröffentlichung des Briefes löste eine Debatte über die Gewalt an Schulen und die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus. (o.A. 2007) BZBZ21.1.2008 21.1.2008 BZBZ21.1.2008 21.1.2008 Bis zum Jahr 2007 werden überwiegend Artikel veröffentlicht, die sich auf die Probleme der Rütli-Schule beziehen. Im Sommer 2007 jedoch erscheint erstmals ein Bericht im Tagesspiegel, der nicht nur negativ über Neukölln berichtet. In ihm ist die Rede vom Neuköllner Norden als ein »Viertel im Aufwind«. Es wird außerdem auf die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur eingegangen, die plötzlich von Künstlern, Studenten und »adrette[n] Mittzwanziger[n]« geprägt sei. (Dietrich 2007) Im Jahr 2008 kann eine nominal deutlich zunehmende Berichterstattung über Neukölln festgestellt werden. Anfang des Jahres veröffentlicht die BZ die »Neukölln-Karte der Angst« (Berlin Verlag GmbH (Hrsg.) 2008: 10-11), welche die hohe Kriminalität in Neukölln verdeutlichen soll. Auf derselben Seite wird ein Artikel mit der Überschrift »Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer in Neukölln« abgedruckt, der Positives berichtet. Oft zitiert wird der zitty-Artikel »Neukölln rockt«, der im März 2008 erscheint. In ihm werden Schlagwörter wie »Hype« und »Gründergeist« genannt. Außerdem ist die Rede von Neukölln als neuem Trendbezirk (Boese 2008: 14-20). Das macht sich stark im Kurvenverlauf des Zeitstrahls bemerkbar. Im Jahr 2008 wird in dem Reiseführer »Berlin und Umgebung für Berliner« erstmals für Neukölln geworben (Berger 2008: 90). In den Jahren von 2009 bis 2011 gibt es einen deutlichen Aufschwung. Es wird überwiegend positiv über Neukölln berichtet. Mit dem New York Times Artikel »A Berlin Hub‘s Arty Spinoff« im September 2009 findet Neukölln sogar in der internationalen Presse Erwähnung (Wilder 2009). In ihm wird Neukölln als »culturally rich area« beschrieben. Außerdem veröffentlicht das Süddeutsche Zeitung Magazin den Artikel »Berlin Neukölln – aus Berliner Luft Luft Luft weht frischer Wind Wind Wind«, in dem die Veränderung besonders treffend zusammengefasst werden: »Nach desaströsen Schlagzeilen über die Rütli-Schule geht Berlin-Neukölln nun schon seit einigen Monaten in die Charmeoffensive: Passt man einmal fünf Mizitty 20.3.2008 zitty 20.3.2008 nuten nicht auf, hat schon wieder eine neue Bar oder ein Laden aufgemacht. Was im Stadtsoziologen-Sprech Gentrifizierung genannt wird, heißt für die 69 D 2 m Z g g te F d e w Z E III Zeitstrahl Zeitstrahl& Pressestimmen & Pressestimmen U b e s z U tu a tu n R D k C „T d 2.5 Überblick der Medienberichterstattung Auch 2011 und 2012 werden viele Berichte über Neukölln veröffentlicht. Allerdings geht hier der An-teil der positiven Artikel, die das Quartier als neuen Trendkiez darstellen, bereits ein wenig zurück. Es werden erstmals Schlagwörter, die mit Gentrifizierung in Verbindung gebracht werden, benutzt, beispielsweise »zunehmend besser Verdienende« (Klün 2011) oder »hords of hipsters« (Dyckhoff 2011). Der Reiseführer »lonely planet« aus 2011 bezeichnet Neukölln dagegen nach wie vor als den »aktuell angesagtesten Bezirk« (Schulte-Peevers 2011: 145). Im März 2012 berichtet die Zitty über die Eckkneipe »Freies Neukölln« und die Motive der beiden Inhaber, eine Kneipe im Reuterkiez zu eröffnen (Kringel 2012). Der Bericht erwähnt die besondere Rolle der Kneipe, denn mit der Eröffnung vom Freies Neukölln 2006 wurde das Ende des »Dornröschenschlaf[s] im Neuköllner Norden« eingeläutet. Das Kunst- und Kulturfestival 48h Neukölln wird alljährlich zum Anlass genommen, um die Verände-rungen in Neukölln zu thematisieren. Die überwiegend negative Berichterstattung über den sogenannten Problembezirk gehört der Vergangenheit an. Der »Bezirk mit dem schlechtesten Ruf« hat sich zu einem »hippe[n] Bezirk« etabliert, in dem sich heute die »vielen neuen Bewohner[n] und ihre[n] Bars und Galerien« aufhalten. (Strauss 2012) Die Multikulturalität in Neukölln wird kaum noch in Bezug auf die bekannten Probleme bei der Migrationspolitik, Armutsbekämpfung und Kriminalität erwähnt. Vielmehr wird beachtet, dass diese im Rahmen des Festivals kreativ genutzt wird, beispielsweise um ein Theaterstück zu inszenieren. Die positive Berichterstattung scheint sich im Jahr 2012 auf dem Höhepunkt zu befinden. 70 Schon 2013 beginnt sich die Atmosphäre zu trüben. Berichte über Gentrifizierung werden veröffentlicht. Vor allem die steigenden Mieten werden oft thematisiert. Auch der Vergleich mit den Entwicklungen in Prenzlauer Berg und Kreuzberg wird häufig herangezogen. Die Gentrifizierungser-scheinungen werden sehr kontrovers diskutiert. Einige sagen den Ausverkauf von Nordneukölln voraus, andere sind froh darüber, dass sich neben den Spielcasinos und Mobilfunkshops endlich alternative Einkaufs- und Freizeitangebote entwickeln (vgl. Frenzel 2013 und Schiedlofsky 2013). 2014 reißt die Debatte über die steigenden Mieten und die damit verbundene Verdrängung von gering verdienenden Teilen der angestammten Bevölkerung nicht ab. Fragen zu den zu erwartenden, negativen Auswirkungen der Aufwertung werden offen gestellt, wie beispielsweise im Januar 2014 in einem Artikel der Berliner Zeitung, der die Aufnahmen bei Google Street View von 2008 dazu benutzt, um die augenscheinliche Veränderung im Reuterkiez zu verdeutlichen: »Ob das ältere Ehepaar vor der Hausnummer 210 noch hier lebt? Oder mussten diese Menschen nach der letzten Mieterhöhung in die Gropiusstadt umziehen?« (Baumgärtel 2014). um et ka den d n i f NK g in hnun nn ä w r e E e n, w tiv Medi ur nega n dann 2010 Im Jahr 2004 ist der Ortsteil in der Medienberichterstattung wenig präsent. Die wenigen erscheinenden Artikel sind nahezu ausschließlich negativ und spiegeln vor allem die Gewalt und Probleme im Kiez wider. Diese Negativberichterstattung in den Schlagzeilen mündet 2006 mit dem Brandbrief der Lehrer der Rütli-Schule. Erst ab 2007 ist die steigende Aufmerksamkeit der Presse nicht mehr allein auf die Probleme vor Ort fokussiert. Die vereinzelt positiven und attraktivitätssteigernden Veränderungen im Kiez, die etwa 2007/2008 beginnen, gewinnen in den Medien die Überhand. 2012 2014 2008 2004 2006 Rütli-Brandbrief sorgt für mehr Aufmerksamkeit für Nord-NK Zunehmend internationale positive Berichte, Artikel werben für Kulturszene, beginnende Gentrifizierungsdebatte Abb. 17: Zeitstrahl der Medienanalyse mit Erläuterungen, Quelle: eigene Darstellung 4 Ausblick 3.4 Fazit Die Medienanalyse von 2004 bis 2014 hat ergeben, dass sich in Nord-Neukölln und im Reuterkiez zweifellos ein imagebedingter Wandel vollzogen hat. Der Inhalt der Berichte hat sich seit 2004 stark zum Positiven verändert und auch die generelle Präsenz des Kiezes in den Medien ist stärker geworden. Positive E wird un ntwicklung trennba r mit Gentrif izierun g themat isiert iez im K e m le Prob n von e werd en dial iv posit ngen me u Meld chattet s r übe E III Neuköllner vor allem: Endlich muss man nicht mehr nach Kreuzberg oder Mitte, wenn man abends auf ein Bier raus oder in Läden einkaufen möchte, die zwar teurer sind als Ein-Euro-Shops, dafür aber auch Aufregenderes anbieten als 1,5-Volt-Batterien im Zehnerpack« (Engelmeier 2009). Im Jahr 2010 wird Neukölln auch international immer beliebter und in den Medien als neuer Trendbezirk artikuliert. Parallel beginnt in der lokalen Presse eine Debatte über die ersten Gentrifizierungserscheinungen. Die sich immer weiterentwickelnde Kulturszene findet zunehmend Erwähnung und wird sowohl in den Tageszeitungen als auch in Reiseführern positiv angepriesen. Aktuell (2014) wird die positive Entwicklung des Kiezes untrennbar mit dem Thema der Gentrifizierung in Verbindung gesetzt, was das Image eines vor einigen Jahren noch so angesagten Bezirks ein wenig trübt. Wie bereits einleitend erwähnt wurde, stellt der »Image-Zeitstrahl« eine Grundlage für die weitere Arbeit an unserer Forschungsfrage dar. Zum einen können Ergebnisse der Analyse in den Fragebogen an die zugezogenen Unternehmen integriert werden (s. Kapitel G II), und zum anderen lassen sich Daten aus der Bestandserhebung des Gewerbes mit dem »Image-Zeitstrahl« vergleichen. So lässt sich untersuchen, ob es Parallelen zwischen dem Zuzug von Unternehmen und der Medienberichterstattung des Reuterkiezes gibt und welche Gewerbebetriebe, die medial Erwähnung fanden, immer noch im Kiez ansässig sind. Im nächsten Arbeitsschritt geht es nun um die Erstellung eines Fragebogens, welcher dann von Unternehmen beantwortet werden soll, die ab 2004 in das Reuterquartier gezogen sind. 71 Höpner, Tobias (2005): Standortfaktor Image. Imageproduktion zur Vermarktung städtebaulicher Vorhaben am Beispiel von ,,Media-Spree‘‘ in Berlin. Universitätsverlag der Technischen Universität Berlin, Berlin Krajewski, Christian (2004): Gentrification in zentrumsnahen Stadtquartieren am Beispiel der Spandauer und Rosenthaler Vorstadt in Berlin-Mitte (http://www. stadtzukuenfte.de/Abstracts_17/Krajewski.pdf , Abrufdatum 01.06.2014) Meier, Josiane (2011): Standortfaktoren im Wandel? - Erkenntnisse aus der Forschung zu Standortfaktoren und Standortwahl von Unternehmen, Difu-Impulse, Berlin Lamkemeyer, Thomas (2005): Stadtimage. Theorie und Praxis. Braun &Brunswick Verlag, Waltrop Spiegel, Bernt (1961): Die Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Umfeld »Endstation Neukölln« von Peter Wensierski, Der Spiegel, erschienen in Nr. 43/2007 »Neukölln rockt« von Daniel Boese, Zitty Magazin, erschienen in Nr. 6/2008 »Die Neukölln-Karte der Angst«, k. A., BZ, 21.01.2008 »Berlin: Neun verwahrloste Kinder aus Wohnung gerettet«, k. A. (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/berlin-neun-verwahrloste-kinder-aus-wohnung-gerettet-a-597105.html, vom 17.12.2008, letzter Zugriff am 10.04.2014) »Berlin-Neukölln: Ein Kiez auf der Kippe«, k. A., URL:http://www.spiegel.de/sptv/reportage/a-329191.html, vom 29.11.2004, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Berlin-Neukölln: »Was soll‘n das hier werden?«» von Fabian Dietrich, URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-neukoelln-was-solln-das-hier-werden/985526. html, vom 13.07.2007, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Ärger um Wohnungsbordelle in Neukölln« von Björn Trautwein, URL: http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-stadtleben-und-leute/arger-um-wohnungsbordelle-neukolln, vom 20.07.2009, letzter Zugriff am 10.04.2014 72 »A Berlin Hub‘s Arty Spinoff« von Charly Wilder, URL: http://www.nytimes.com/2009/09/20/travel/20surfacing. html?_r=0, vom 18.9.2009, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Berlin-Neukölln: Aus Berliner Luft, Luft, Luft wird frischer Wind, Wind, Wind: Endlich ist das Viertel die ersten drei Buchstaben seines Namens wert.« von Hannah Engelmeier, URL: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/ texte/anzeigen/28510, aus SZ Nr. 11/2009, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Berlin-Neukölln: Spaziergang im Problemkiez« von Marco Bertram, URL: http://www.turus.net/gesellschaft/5158-berlin-neukoelln-spaziergang-im-problemkiez.html, vom 13.02.2010, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Nord Neukölln: Spielplatz Avantgarde von Jacek Slaski«, URL: http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-stadtleben-und-leute/nord-neukolln-spielplatz-avantgarde, vom 03.03.2010, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Essen & Trinken: Neukölln leuchtet« von Franziska Klün, URL: http://www.zitty.de/neukolln-leuchtet.html, vom 08.03.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Touristen campen in Neukölln« von Antje Lang-Lendorff, URL: http://www.taz.de/!67459/, vom 15.03.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Bürger wehren sich gegen Verdrängung« von Peter Nowak, URL: http://www.taz.de/GENTRIFIZIERUNG-IN-NEUKOeLLN/!67468/, vom 15.03.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Vom Schmuddel- zum Szenekiez: Berlin-Neukölln ist hip geworden« von Johanna Uchtmann, URL: http://www.n-tv.de/reise/Berlin-Neukoelln-ist-hip-geworden-article4744346.html, vom 11.11.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Hintergrund: Die Tür ist offen – zwei Künstler betreiben die Kneipe »Freies Neukölln«» von Markus H. Kringel, URL: http://www.zitty.de/die-tur-ist-offen-zwei-kunstler-betreiben-die-kneipe-freies-neukolln.html, vom 05.03.2012, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Berlin-Neukölln: Aus Berliner Luft, Luft, Luft wird frischer Wind, Wind, Wind« von Hanna Engelmeier, URL: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/ anzeigen/28510, vom 01.11.2009, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Update Neukölln« von Susan Schiedlofsky, URL: http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-stadtleben-und-leute/update-neukolln, vom 10.07.2012, letzter Zugriff am 10.04.2014 »SPD streitet um Image von Neukölln« von Martin Kiesmann, URL: http://www.berliner-zeitung.de/ berlin/neukoelln-spd-streitet-um-image-von-neukoelln,10809148,24067598.html, vom 20.08.2013, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Armes, cooles Neukölln« von Susanne Vieth-Entus, URL:http://www.tagesspiegel.de/berlin/armes-cooles-neukoelln/9377020.html, vom 24.01.2014, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Image-Wandel: Neuköllner Schulen sind keine Sitzenbleiber mehr« von Lars Petersen, URL: http:// www.bz-berlin.de/bezirk/neukoelln/neukoellner-schulen-sind-keine-sitzenbleiber-mehr-article1793243.html, vom 23.01.2014, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Mit Google Street View durch Neukölln« von Tilman Baumgärtel, URL:http://www.berliner-zeitung.de/kultur/gentrifizierung-in-berlin-mit-google-street-view-durch-neukoelln-,10809150,25815396. html, vom 07.01.2014, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Berlin boomt – Neukölln ist so beliebt wie Prenzlauer Berg« von Florentine Anders, URL: http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article124983452/Berlin-boomtNeukoelln-ist-so-beliebt-wie-Prenzlauer-Berg.html, vom 18.02.2014, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Gentrifizierung in Berlin: Hip, hipper, Neukölln« von Veronica Frenzel, URL: http://www.tagesspiegel.de/ berlin/gentrifizierung-in-berlin-hip-hipper-neukoelln/9152496.html, vom 30.11.2013, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Neukölln: the best bits of Berlin‘s hippest ‚hood« von David Clack, URL: http://www.timeout.com/travel/features/1277/neukolln-the-best-bits-of-berlins-new-hipster-hood, ohne Datum, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Neukölln Nasties: Foreigners feel accused in Berlin Gentrification Row« von Moises Mendoza, URL: http:// www.spiegel.de/international/germany/neukoelln-nasties-foreigners-feel-accused-in-berlin-gentrification-row-a-750297.html, vom 11.03.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 »Let‘s move to Kreuzkölln, Berlin: it‘s the epicentre of cool« von Tom Dyckhoff, URL: http://www.theguardian. com/money/2011/mar/19/move-to-kreuzkolln-berlin, von 19.03.2011, letzter Zugriff am 10.04.2014 Schulte-Peevers, Andrea: Lonely Planet Reiseführer Berlin, 3. Auflage, Mairdumont: 2011. ohne Autor: Berlin für Berliner 2010: Mit Insider-Tipps. Events, Kultur, Ausgehen, Essen & Trinken, Shoppen, Wellness & Sport, Cityatlas, 7. Auflage, Mairdumont: 2009. Berger , Christine: Berlin und Umgebung für Berliner 2008, Mairdumont: 2007 Heinen , Christina M: »Tief in Neukölln«, transcript-Verlag: 05/2013 Medienanalyse und Visualisierung: Auswertung von Online-Pressetexten durch Text Mining: http://epub. uni-regensburg.de/6846/1/QuasthoffRichterWolffMedienanalyse.pdf letzter Zugriff am 24.06. 2014 73 E III 5 Quellenverzeichnis F Kartierung der Wirtschaftseinheiten im Reuterkiez F »Insgesamt kann festgestellt werden, dass nur jeder sechste Betrieb bereits 2004 vor Ort war.« INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung 76 2 Methodisches Vorgehen 76 3 Analyse 77 3.1 Hinzugezogene Betrienbe seit 2004 in Erdgeschosslage 77 3.2 Veränderungen in der Gewerbestruktur in Erdgeschosslage 78 3.3 Veränderungen bei der Leerstandsquote 79 3.4 Veränderungen in der räumlichen Verteilung von 80 Wirtschaftseinheiten der Gastronomie und Dienstleistungen 4 Beantwortung der Teilforschungsfrage 83 5 Quellverzeichnis 83 75 3 Analyse 3.1 Hinzugezogene Betriebe seit 2004 in Erdgeschosslage 1 Einleitung 2 Methodisches Vorgehen Bei der Forschungsarbeit handelt es sich um eine Kartierung der statistischen Einheiten mit Wirtschaftstätigkeit. Dies bedeutet, dass alle gewerblichen Einheiten im Reuterkiez kartiert worden sind – ungeachtet, ob jeweils eine Profitorientierung vorhanden oder nicht vorhanden ist. Dementsprechend wurden auch soziale und öffentliche Einrichtungen mit in die Kartierung aufgenommen. Die Kartierung wurde im April 2014 durchgeführt. Um wissenschaftlichen Standards zu entsprechen, orientiert sich das Projekt an den Empfehlungen des Statistischen Bundesamts zur »Klassifikation der Wirtschaftszweige« (Statistisches Bundesamt 2008). Das sehr umfangreiche Dokument wurde an unsere Gebietskulisse angepasst und dementsprechend vereinfacht (s. »Hinweise zum Erhebungsbogen« im Anhang). Um eine Anschaulichkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, 76 ist diese Aufschlüsselung wiederum zusammengefasst worden; sie orientiert sich allerdings auch in dieser gewählten Form an den Empfehlungen des Statistischen Bundesamts. Grundlage der Analyse ist der Abgleich unserer Daten mit der Gewerbekartierung, die Dr. Reinhard Adler im Jahr 2004 vorgenommen hat. Die Kartierung von Adler umfasst bedauerlicherweise nur Erdgeschosslagen, höhere Stockwerke oder Hinterhöfe wurden nicht kartiert. Im Projekt wurde beschlossen eine vollständige Kartierung aller Gewerbeeinheiten durchzuführen, um dann F Die vorliegende Kartierung soll zur Beantwortung der ersten Teilforschungsfrage dienen. Dementsprechend soll sie Daten erbringen, die erklären, »in welchem Umfang sich die Gewerbestruktur im Reuterkiez in den letzten zehn Jahren verändert hat« (s. Kapitel D). Diesbezüglich sind vier Analysefragen entstanden, die im Laufe dieses Abschnitts beantwortet werden. Aus der Analyse resultieren wiederum Thesen, die zum Ende des Abschnitts vorgestellt werden. Die Beantwortung der ersten Analysefrage bietet zudem die Grundlage für die Auswahl der befragten Unternehmen in Kapitel G. die Erdgeschosseinheiten von 2014 mit denen von 2004 zu vergleichen. In Abb. 1 ist der Zuzug der Wirtschaftseinheiten seit 2004 dargestellt. Bei dem Abgleich haben sich einige Unstimmigkeiten ergeben. Anscheinend hat Adler die Wirtschaftszweige »Erziehung und Unterricht«, »Gesundheit und Sozialwesen« und »Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen« nur unvollständig kartiert. Daher kann in der folgenden Analyse nur eine vage Aussage zur Entwicklung dieser Wirtschaftszweige getroffen werden. Auch zeigt sich, dass einige Klassifizierungen, die Adler 2004 vorgenommen hatte, unserer Ansicht nach nicht auf die jeweilige heute noch vorgefundene Wirtschaftseinheit anwendbar sind. In diesen Fällen haben sich die Bearbeitenden vorbehalten, die Kartierungsdatei von Adler den vorgefundenen Verhältnissen anzugleichen. Hauseinheiten mit Wirtschaftseinheit 2004 zusätzliche Hauseinheiten mit Wirtschaftseinheit 2014 Abb. 1: Zuzug von Wirtschaftseinheiten in Erdgeschosslage nach Hauseinheiten seit 2004. Quelle: Eigene Darstellung Im Reuterkiez wurden 2014 insgesamt 598 Betriebe in Erdgeschosslage kartiert. 490 dieser 2014 kartierten Betriebe waren nach der Kartierung von Adler 2004 noch nicht vor Ort – ein enormer Zuwachs also. Waren die Betriebe in Erdgeschosslage 2004 vor allem an den Hauptstraßen zu finden, wie der Sonnenallee und dem Kottbusser Damm, so zeigt ein Blick auf die Kartierung von 2014 eine gleichmäßigere Verteilung der Betriebe im Kiez. Auffällig ist dabei die fast vollständige gewerbliche Erdgeschossnutzung an mehreren Straßen, die im inneren Bereich des Kiezes verlaufen, wie der Hobrechtstraße, der Weserstraße oder der Lenaustraße. Auffällig ist auch eine geringer werdende Anzahl an Betrieben nord-östlich des Reuterplatzes, ein Umstand der so 2004 noch nicht zu beobachten war. Den größten Anteil an den zugezogenen Betrieben in Erdgeschosslage hat die Gastronomie. Rund ein Drittel der kartierten Betriebe sind diesem Zweig zuzuordnen. Nominal sind das 163 Einheiten, eine sehr hohe Anzahl, die nicht nur das Straßenbild sondern auch den Kiez und sein Image an sich prägt. Wie in Abbildung 2 erkennbar, 77 1% 5% 8% 1% 3% 1% 2% 5% 1% 2% 8% 12% 12% 3% 8% 8% 2% 11% 29% 2% 11% 29% Tab. 2: Gewerbestruktur in Erdgeschosslage in den Jahren 2004 und 2014 2% 2% 7% 10% 7% Abb. 2: Zuzug von Wirtschaftseinheiten in Erdgeschosslage nach Wirtschaftszweigen seit 2004 haben die Erbringung von sonstigen Dienstleistungen, Einzelhandel mit Verlagsprodukten, Sportausrüstung und Bekleidung sowie Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln einen Anteil von je ca. 10 % an den zugezogenen Betrieben in Erdgeschosslage. Nominal sind das 71, 59 und 64 Betriebe. Insgesamt kann festgestellt werden, dass nur jeder sechste Betrieb bereits 2004 vor Ort war. Auffällig ist, dass sich sowohl die Zahl der Betriebe als auch die Zahl der Gewerbeeinheiten (hier wurde der Leerstand ebenfalls erfasst) stark erhöht hat (326 Gewerbeeinheiten im Jahr 2004 auf 598 in 2014). Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass Adler in seiner Kartierung von 2004, wie bereits im methodischen Vorgehen erwähnt, einige Branchen nicht oder nur unvollständig aufgenommen hat. Einige Straßen im Südosten des Kiezes wurden von Adler nicht berücksichtigt bzw. kartiert (z.B. Jansa- und Tellstraße), sind aber von der Projektgruppe 2014 aufgenommen worden; ein Umstand, der beim Blick auf die Zahlen und Daten berücksichtigt werden will. 3.2 Veränderungen in der Gewerbestruktur in Erdgeschosslage in 2004 und 2014 Bei dem Vergleich der Gewerbestruktur in Erdgeschosslage der Jahre 2004 und 2014 zeigen sich einige Auffälligkeiten, die den Wandel der Gewerbestruktur des Reuterkiezes während des letzten Jahrzehnts verdeutlichen. Die Anzahl der Wirtschaftseinheiten in Erdgeschosslage hat sich verdoppelt. Bis auf die Wirtschaftszweige »Verarbeitendes Gewerbe« und »Baugewerbe« gibt es in allen Branchen einen teilweise deutlichen nominalen Zuwachs. Besonders hervorzuheben sind hierbei die »Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen« (Verachtfachung der Wirtschaftseinheiten), sowie die Wirtschaftszweige »Einzelhandel mit Nahrungs- und Genussmitteln«, »Gastgewerbe (Gastronomie)« und »Kunst, Unterhaltung und Erholung« (jeweils mehr als eine Verdoppelung der Wirtschaftseinheiten). Wie lassen sich diese Entwicklungen erklären? Der starke nominale Zuwachs von Wirt-schaftseinheiten 78 ist kongruent zu dem Rückgang der Leerstandsquote – bildhaft gesprochen ist also Leerstand »aufgefüllt« worden. Zudem konnte während der Kartierung festgestellt werden, dass augenscheinlich ehemalige Erdgeschosswohnungen in die Gewerbenutzung überführt worden sind. Zu guter Letzt dürfte auch die (im Vergleich zu Adler 2004) genauere Kartierung den nominalen Zuwachs erklären. Der Wirtschaftszweig »Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen« spiegelt mit seinem drastischen prozentualen Zuwachs auch den Bedeutungsanstieg dieser Branche für das Gebiet wider. Eine genauere Analyse des räumlichen Auftretens dieses Wirtschaftszweiges ist in Kapitel FIId zu finden. Bei dem Wirtschaftszweig »Einzelhandel (Nahrungsund Genussmittel)« ist eine eindeutige analytische Aussage schwierig zu treffen. Es handelt sich um eine sehr heterogene Branche, in der ein nominaler Zuwachs sowohl den Zuzug von Wein- und Delikatessenläden aber auch von Spätkäufen und Sonderpostenmärkten bedeuten kann. Die Gastronomie repräsentiert die nominal stärkste Veränderung des Gewerbes; er war je-doch auch im Jahr 2004 schon der am häufigsten vertretene Wirtschaftszweig im Kiez. Eine genauere Analyse des räumlichen Auftretens ist in Kapitel F 3.1 zu finden. Abschließend verdient der Wirtschaftszweig »Kunst, Unterhaltung und Erholung« genauere Betrachtung. Der prozentuale Anstieg ist zwar vergleichsweise stark, die nominale Veränderung jedoch – im Vergleich zur gesamten Veränderung des Gewerbes – marginal. Die Kartierung hat gezeigt, dass (wie auch 2004) etwa 90% dieses Wirtschaftszweigs durch Spielotheken ausgemacht wird. Der Reuterkiez ist daher als kein bedeutender Standort für Theater, Varietés oder ähnliche Orte der darstellenden Kunst zu bewerten. Die kiezprägende Kultur ist weiterhin durch ihren gastronomischen Charakter gekennzeichnet. 3.3 Veränderungen bei der Leerstandsquote Abb. 3: Veränderung der Leerstandsquote in Prozent seit 2002, Quelle: eigene Darstellung nach Quartiersmanagement für 2002 und 2011, eigene Erhebung für 2014 79 F 10% im Südosten des Kiezes mit fünf bzw. drei leerstehenden Gewerbeeinheiten. Vor allem in der kurzen Jansastraße mit ihren wenigen Erdgeschossgewerbeeinheiten ist der Leerstand noch besonders augenscheinlich und straßenbildprägend. Gastronomie Die Gastronomie hat den höchsten Anteil unter den zugezogenen Unternehmen (vgl. Kapitel F 3.1) und den höchsten nominalen Zuwachs im Reuterkiez (vgl. Kapitel F 3.2). punktsetzung in Bezug auf den »Charakter« der Gastronomie. Im Jahr 2004 dominierten noch Eckkneipen im inneren und Fastfood-Imbisse im äußeren Bereich des Kiezes den Wirtschaftszweig. Die neue räumliche Eine mögliche Erklärung für die geringe Leerstandquote im Reuterkiez könnte die hohe Nachfrage nach Gewerberaum vor Ort sein. Wäre dies zutreffend, kann der Kiez als beliebter Gewerbestandort bewertet werden. Die Standortfaktoren werden durch die Befragung der Unternehmen vor Ort genauer beleuchtet werden (vgl. Kapitel G). Somit kann festgestellt werden, dass die Leerstandproblematik im Reuterkiez heute nicht mehr existent ist. Im Jahr 2004 konzentrierte sich dieser Wirtschaftszweig vorrangig auf die Sonnenalle und den Kottbusser Damm; in dem inneren Bereich des Kiezes gab es eine relativ gleichmäßige Dichte mit leichten Schwerpunkten in der Hobrechtstraße. Deutlich ist die Konzentration auf Ecklagen der Blockrandbebauungen. Schwerpunktsetzung im Kiezinneren wird dagegen vorrangig von Cafés und Restaurants verkörpert; zusätzlich zeigt sich in der Weser- und Pannierstraße ein deutlicher Zuzug von Schankwirtschaften, die nicht mehr dem ursprünglichen Charakter von Eckkneipen entsprechen und damit vor allem jüngeres Publikum ansprechen. Im Vergleich zwischen den Jahren 2004 und 2014 ist die Dichte an der Sonnenallee und dem Kottbusser Damm in etwa gleich geblieben. Eine deutliche Zunahme gab es im inneren Bereich des Kiezes. Dabei sind die Pannier-, Hobrecht- und Weserstraße sowie der Nordtteil der Friedelstraße als Schwerpunkte hervorzuheben. Zusätzliche Verdichtungen befinden sich in den begrenzenden Straßen Maybachufer und Weichselstraße. Eine Konzentration auf Ecklagen wie noch 2004 ist nicht mehr zu erkennen. Da die Gastronomie im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen den öffentlichen Raum stark prägt, geht mit der Veränderung des »Charakters« der Gastronomie auch eine Veränderung des öffentlichen Raumes im Kiezinneren einher. Nicht umsonst wird der Reuterkiez in den Medien (vgl. Kapitel EIII) auch über sein gastronomisches Erscheinungsbild verkörpert. Es ist daher davon auszugehen, dass die Veränderungen, die in diesem Wirtschaftszweig aufgetreten sind und in diesem Kapitel beschrieben wurden, auch unmittelbare Auswirkungen auf das Image des Reuterkiezes haben. 3.4 Veränderungen in der räumlichen Verteilung von Wirtschaftseinheiten der Gastronomie und Dienstleistungen Die Clusterungen lassen sich einerseits durch die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln (U-Bahnhöfe Schönleinstraße und Hermannplatz) und zusätzlich in einigen Fällen durch die Nähe zum Maybachufer erklären. Es ist zu vermuten, dass die gastronomischen Betriebe von Konsumenten profitieren, die nicht aus dem Kiez stammen, sondern entweder gezielt diese Betriebe aufsuchen oder neben dem Besuch am Maybachufer dort konsumieren. Zusammengefasst hat sich die Konzentration der Gastronomie von der Sonnenallee bzw. dem Kottbusser Damm in den inneren Bereich des Kiezes verschoben. Neben dem nominalen Zuwachs und der räumlichen Veränderung zeigt die Kartierung auch eine neue Schwer- Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen Der Wirtschaftszweig »Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen« stellt mit einer Verachtfachung der Wirtschaftseinheiten die stärkste prozentuale Veränderung in der Gewerbestruktur des Reuterkiezes dar (vgl. Kapitel FIIa). Hierbei ist zu erwähnen, dass heute weitere 69 Einheiten dieser Branche in höheren Geschosslagen, Hinter- und Gewerbehöfen ansässig sind – bedeutende Agglomerationen lassen sich in Gewerbehöfen längs des Kottbusser Damms und der Hobrechtstraße feststellen. Gastgewerbe (Gastronomie) 2004 2014 Abb. 4: Veränderung der räumlichen Verteilung von Gastronomie in Erdgeschosslage zwischen 2004 und 2014 Quelle: Eigene Darstellung (Kartengrundlage aus FIS-Broker) 81 F Die Leerstandquote hat sich innerhalb von zwölf Jahren von 30% im Jahr 2002 auf nur noch 5% in 2014 reduziert. Auffällig ist die erneute Halbierung der Quote zwischen den Jahren 2011 und 2014, also innerhalb von nur drei Jahren. Bei der Kartierung der Projektgruppe 2014 wurden lediglich 24 Gewerbeeinheiten als leerstehend aufgenommen. Bei sieben Einheiten war eine genaue Aussage aufgrund von herunter gelassenen Rollläden nicht möglich. Beide Zahlen zusammen ergeben die Leerstandsquote von 5%. Werden die Einheiten mit heruntergelassenen Rollläden nicht eingerechnet, liegt die Leerstandquote bei nur noch 3,87% und damit weit unter dem Neuköllner Durchschnitt (vgl. Kapitel E I). Der Leerstand ist relativ gleichmäßig über den Kiez verteilt. Einzige Ausnahme sind hier die Jansa- und die Tellstraße Erbringung von freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen 2004 2014 Abb. 5: Veränderung der räumlichen Verteilung von Wirtschaftseinheiten mit freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen in Erdgeschosslage zwischen 2004 und 2014, Quelle: Eigene Darstellung (Kartengrundlage aus FIS-Broker) Im Jahr 2004 waren die fünf vorhandenen Wirtschaftseinheiten undefiniert über das Gebiet verteilt und dabei sowohl in den angrenzenden Straßen als auch im inneren Bereich des Kiezes vertreten. Auch 2014 zeigt sich eine relativ homogene Verteilung mit einer sehr leichten Clusterung im nordwestlichen Bereich (Sander- und Bürknerstraße, Westteil der Pflüger- sowie Nordtteil der Hobrecht- und Friedelstraße) und beschränkt sich damit weitestgehend auf den inneren Bereich des Kiezes. Eine genauere Betrachtung der Kartierungsdatei zeigt, dass in den Erdgeschosseinheiten dieses Wirtschaftszweigs vorrangig künstlerischen Arbeiten nachgegangen wird (Werkstätten, Galerien und Ateliers). Einige 82 haben eine untergeordnete Einzelhandelsfunktion. Die relativ undefinierte räumliche Verbreitung dieses Wirtschaftszweiges lässt sich nur unzureichend erklären. Eventuell besitzt dieser nur geringe Standortansprüche oder verfügt wegen geringer Finanzkraft über eine begrenzte Entscheidungsmöglichkeit zur Standortwahl. 5 Quellenverzeichnis Mit Bezug auf die untergeordnete Forschungsfrage »In welchem Umfang hat sich die Gewerbestruktur im Reuterkiez in den letzten zehn Jahren verändert?« lassen sich folgende Thesen aus der vorangegangenen Analyse ableiten: Adler (2004): Gewerbekartierung Reuterkiez. Berlin Rettberg (2011): Revitalisierungsprozesse als Wegbereiter für Gentrification?. Saarbrücken Statistisches Bundesamt (2008): Klassifikation der Wirtschaftszweige. Wiesbaden I. Die Gewerbestruktur unterliegt einer immensen quantitativen Veränderung – die Zahl der Wirtschaftseinheiten hat sich im Zeitraum 2004 bis 2014 von 326 auf 598 nahezu verdoppelt. II. Die Leerstandsproblematik des Reuterkiezes ist beseitigt – in den letzten zwölf Jah-ren ist die Leerstandsquote von 30% auf 4–5% und damit weit unter den Neuköllner Durchschnitt gesunken. III. Die ohnehin geringe Anzahl des Verarbeiten den Gewerbes und des Baugewerbes ist weiter geschrumpft. IV. Im inneren Bereich des Kiezes hat der Gastronomiesektor enorm an Bedeutung gewonnen – damit einher geht eine qualitative Veränderung des Angebots u.a. in Form von Cafés und Restaurants. V. Die Zahl von Wirtschaftseinheiten in freiberuflichen, technischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen hat sich verachtfacht – mit Schwerpunkten im inneren Bereich des Kiezes und den Gewerbehöfen des Kottbusser Damms. F 4 Beantwortung der Teilforschungsfrage Nichtsdestotrotz kann durch die Kartierungsbegehungen ausgesagt werden, dass diese Branche durch ihre augenscheinliche Präsenz in Erdgeschosslage auch die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes im Kiezinneren beeinflusst. Zusammen mit der Gastronomie ist dieser Wirtschaftszweig zu den prägenden Elementen des Kiezes zu zählen. 83 G Befragung der zugezogenen Unternehmen im Reuterkiez INHALTSVERZEICHNIS G »Der prozentual stärkste Zuzug der befragten Unternehmen fand im Jahr 2010 statt.« 1 Einleitung 86 2 Entstehung des Fragebogens 86 3 Methodisches Vorgehen 86 4 Auswertung der Fragen und Antworten 88 4.1 Eröffnungsdaten der zugezogenen Unternehmen 88 4.2 Bewertung der imageaffinen Standortfaktoren 88 4.3 Die Besonderheiten des Reuterkiezes 89 4.4 Auswirkung des Wandels auf die Unternehmen 90 4.5 Unternehmen als Teil des Wandels 91 5 Beantwortung der Teilforschungsfrage 92 85 1 Einleitung schrecken. Ein kurzer Fragebogen sollte außerdem ermöglichen, eine möglichst große Anzahl von Unternehmen zu befragen. Die Befragung der Betriebe wurde insofern anonym durchgeführt, als dass der Name des befragten Unternehmens nicht aufgenommen wurde. Einzig die Einordnung in den jeweiligen Wirtschaftszweig sollte für die spätere Auswertung berücksichtigt werden und wurde auf jedem Fragebogen notiert. 2 Entstehung des Fragebogens 3 Methodisches Vorgehen Nachdem einige ProjektteilnehmerInnen den ersten Entwurf des Fragebogens erarbeitet hatten, wurde dieser in einem Spätkauf-Geschäft getestet. Mithilfe dieser Erfahrung und der Diskussion im Plenum wurden verschiedene Änderungen am Fragebogen vorgenommen. Dabei diskutierte das Projekt, ob und ggf. wie die Formulierung von offenen Fragestellungen die Auswertung der Antworten erschweren würde. Außerdem wurde das Vorhandensein des Bezugs zur Forschungsfrage bei jeder Frage besprochen, damit der Fragebogen optimal genutzt wird und alle Ergebnisse für die Beantwortung der Forschungsfrage verwertet werden können. Außerdem sollte das Abändern von Begriffen wie Absatzmarkt und Subventionen dazu beitragen, dass Fragen und Antwortoptionen leichter verständlich und erklärbar sind. Nachdem die Erstellung des Fragebogens abgeschlossen war (s. Anhang), begannen die Vorbereitungen für die Befragung. Die Kartierungsgruppe hatte ermittelt, dass 490 Unternehmen zwischen 2004 und 2014 in den Reuterkiez zugezogen sind und die zugezogenen Unternehmen in Wirtschaftszweige eingeteilt. Eine weitere wichtige Erkenntnis in der Diskussion war, dass die Verwendung des Begriffs »Image« vermieden werden sollte, damit die zu befragenden Personen nicht davon beeinflusst werden. Die Befragungsgruppe bemühte sich, verschiedene Faktoren, die sich auf das Image beziehen, in die Antwortmöglichkeiten der ersten Frage einzuarbeiten, um sowohl relevante harte als auch weiche Standortfaktoren als Antwortoptionen anzubieten. Beispielsweise ergab sich aus der Kartierung, dass der Anteil des Wirtschaftszweigs Gastronomie 29% der zugezogenenen Unternehmen ausmacht. Im Vergleich dazu ist der Wirtschaftszweig Verarbeitendes Gewerbe mit 2% vertreten, so dass in diesem Bereich auch nur zwei Unternehmen befragt werden mussten, um diesen Zweig angemessen in seinem Verhältnis zu repräsentieren. Ziel war es, den Fragebogen möglichst kurz zu halten, um die zu Befragenden nicht aufgrund der Länge abzu- 86 Wie die Kartierungsgruppe bei der Aufschlüsselung der Wirtschaftszweige vorgegangen ist, kann im Kapitel F II nachgelesen werden. Damit jeder dieser Wirtschaftszweige genau so in der Befragung repräsentiert wird, wie er im Reuterkiez anteilig vertreten ist, wurde der jeweilige Anteil von 490 auf 101 Unternehmen skaliert, so dass im Anschluss feststand, wie viele Unternehmen eines Wirtschaftszweiges befragt werden mussten. Bei der Aufteilung der Straßenzüge orientierte sich die Befragungsgruppe an der vorherigen Einteilung des Gebiets durch die Kartierungsgruppe. Die Einteilung des Kiezes in vier Gebiete ergab sich daraus, dass die Befragungsgruppe aus acht Mitgliedern bestand, so dass die erste Befragungsrunde jeweils zu zweit durchgeführt werden konnte. Die Teilgebiete wurden durch Buchstaben gekennzeichnet. Dadurch wollte die Befragungsgruppe gewährleisten, dass jedes Gebiet unabhängig von der zuvor bearbeiteten Person in Nachhinein von einer anderen Person bearbeitet werden kann. Sobald eine erfolgreiche Befragung durchgeführt wurde, notierte die befragende Person den jeweiligen Buchstaben sowie eine fortlaufende Nummer auf dem Fragebogen. Dieses Buchstaben-Nummernsystem war vor allem gruppenintern relevant, um den Überblick über die Anzahl der durchgeführten Befragungen zu behalten und um bei Problemen oder Verzögerungen nachzuvollziehen, welche Gruppe bzw. Person verantwortlich ist. Für den reibungslosen Ablauf der Befragung sollte ein von den Gruppenmitgliedern entwickelter Leitfaden sorgen, der beschrieb, wie eine optimale Befragung abläuft, welche Ausstattung zur Befragung mitgenommen werden sollte (Fragebögen, Schreibunterlage, Übersichtstabelle, etc.) und welche Verfahrensweise empfohlen wird, falls kein geeigneter Ansprechpartner zur Verfügung steht. Außerdem wurde der Fragebogen auf Englisch übersetzt, weil damit gerechnet werden musste, dass einige Unternehmer nicht Deutsch sprechen würden. lange eine Befragung dauert. Ziel war außerdem, dass jede Gruppe fünf Befragungen durchführt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Einteilung der Straßenzüge und die Anteile der Wirtschaftszweige noch nicht fertiggestellt war, entschied sich die Befragungsgruppe aus Zeitgründen dennoch mit der Befragung zu beginnen. Es wurde davon ausgegangen, dass gastronomische Unternehmen einen großen Anteil der zugezogenen Unternehmen ausmachen werden, so dass der Schwerpunkt in der ersten Runde auf diese Betriebe gelegt wurde. Nach dem Austausch im Plenum wurde festgestellt, dass die Durchführung zeitaufwendiger war als zuvor angenommen, so dass entschieden wurde die zweite Befragungsrunde mit der gesamten Projektgruppe im Rahmen einer Projektsitzung durchzuführen. Hintergrund war, neben der Zeitersparnis, die Feststellung, dass viele Unternehmer mitteilten, dass vormittags ein günstigerer Zeitraum zur Befragung für sie wäre. Für die Durchführung der Befragung mit der gesamten Projektgruppe war es nötig, das Buchstaben-Nummernsystem auf acht Gebiete bzw. Gruppen zu erweitern. Außerdem wurde für jedes 2er-Team vorab festgelegt, in welchen Straßen des Kiezes wie viel Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftszweiges befragt werden sollen. Sämtliche Notizen dienten dazu, dass eine Person oder 2er-Gruppe die Befragung in einem Teilgebiet einer anderen übernehmen konnte und dadurch vorab informiert war, ob das Ansteuern eines Unternehmens erfolgversprechend war oder nicht. Es wurde für jede Straße eine Liste mit allen zugezogenen Unternehmen erstellt und diese der jeweiligen Gruppe ausgehändigt. Die Listen wurden mittels Notizen und Anmerkungen (z. B. »bereits befragt«, »günstiger Befragungszeitraum am Vormittag Tag X«) jedes Befragungsteams online aktualisiert. So konnte eine andere Gruppe die Straße in der nächsten Befragungsrunde übernehmen, ohne dass doppelte Befragungen oder mehrmaliges Anlaufen eines Unternehmens stattfanden. Die gesamte Befragung wurde zwischen dem 27.05.2014 und 23.06.2014 durchgeführt. Das Ziel der ersten Befragungsrunde war es, erste Erfahrungen über den Ablauf zu sammeln sowie ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Nach jeder Befragungsrunde wurde der Arbeitsstand online in einem Etherpad festgehalten. Dabei handelt es sich um eine Arbeitsplattform, in der gleichzeitig von verschiedenen Teilnehmern orts- und zeitunabhängig 87 G Ziel dieses Kapitels ist die Beantwortung der zweiten Teilforschungsfrage, d.h. die Untersuchung, welche Rolle »Image« in der Standortentscheidung zuziehender Unternehmen spielt (s. Kapitel D). Hierzu dient die Befragung der zugezogenen Unternehmen auf Basis der Ergebnisse der Kartierung aus dem Kapitel F. Nachfolgend werden die Forschungsergebnisse anhand der Analysefragen aus dem Fragebogen ermittelt, die schließlich in der Beantwortung der Teilforschungsfrage am Kapitelende münden. WIRTSCHAFT 4 Auswertung der Fragen und Antworten 4.1 Eröffnungsdaten der 18 16 14 13 13 12 10 6 6 6 4 4 16 14 13 13 12 10 10 10 8 Unser Ziel war es, mit Hilfe der ersten Frage zu erfahren, wie die Unternehmensinhaber eine Auswahl von 14 Standortfaktoren hinsichtlich ihrer Wichtigkeit bewerten (siehe Grafik 14 Standortfaktoren). Unter ihnen befanden sich fünf Faktoren, die wir als »imageaffin« Jahre betrachten. Aufbefragten dem Fragebogen hattenlässt diese keine Anhand der 92 Unternehmen sich seit 2007 ein Aufwärtstrend hinsichtlich Zuzugs in den besondere Kennzeichnung, so dassdes nicht ersichtlich Reuterkiez erkennen. DerFaktoren Höhepunkt dieser Entwickwurde, dass wir diesen bei der Auswertung lung war 2010. besondere Aufmerksamkeit schenken wollen. Hierbei handelte es sich um: 6 6 6 6 5 4 4 4 2 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Die Gründe dafür mögen vielfältig sein, bündeln sich Besonderheiten des Reuterkiezes aber in der Kiezatmosphäre, die ein Großteil der Befrag- 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Was haben die Unterneh Es wird deutlich, dass das Image eine zentrale Rolle bei der Standortentscheidung im Reuterkiez spielt. Die Ant-Was Positiv/Negativ 40% 15% Positiv Negativ k.A. worten zeigen, dass es aufgrund der Ausrichtung und 30% Struktur der Unternehmen eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen Zusammenspiel der Faktoren einnimmt. G Nähe zu Kunden und Auftraggebern Abb. 1: Jahre des Zuzugs der befragten Unternehmen, Quelle: Eigene Darstellung Neue öffentliche Wahrnehmung W Jeder der in den P Der Wandel letzten des Reuterkiezes hatte für den Großteil 10 Jahren der Unternehmen überwiegend positive Auswirkun- Ge zugezogen ist, sollte gen. Lediglich 15% der befragten Unternehmen gaStandortfaktoren 4.3 Die Besonderheiten des Reuterkiezes Scheinbar gibt genau dieses Umfeld den Geschäftstreisich Wandel im Die befragten Unternehmen charakterisieren die Beben an, dass der zum Wandel keine Auswirkungen auf ihrzu 4. Was haben die Unternehmen geantwortet? 1. gutes Freizeit- und Kulturangebot benden die Möglichkeit, sich frei zu entfalten. So versonderheiten des Reuterkiezes überwiegend mit atUnternehmen gehabt habe. Welche der folgenden Faktoren haben für Sie bei der s 2. gutes Gastronomieangebot »Was macht denReuterkiez Reuterkiez inzählen. Ihren Augen einwundert es auch nicht, dass auf Platz drei der Faktor mosphärischen Begriffen. Laut der befragten UnWahl des Standortes im Reuterquartier eine Rolle geR 3. ansprechende Architektur zigartig/besonders? Kreuzen Sie an, wie wichtig »Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumternehmen spielt? Bewerten Sie die Wichtigkeit der einzelnen Wirmachen sind Teil Multikulturalität, Kreativität und Wir sind der mehr Kunden/Umsatz 4. angenehmen Kiezatmosphäre diese Einzigartigkeit für lichkeiten« zu finden Was ist.den Eventuell benötigen viele UnJeder der in den Bekanntheit Reuterkiez Faktoren! 4. die Standortwahl Ihres haben dieeinzigartig Unternehmen geantwortet? des Wandels Prototyp derinternationale internationales Publikum ternehmer den Raum und die Freiheit, um ihre gewerbaberunten). nicht Gentrifizierung(siehe Grafik lichen Vorstellungen zu verwirklichen. Gentrifizierer. Gewerbemiete 2014 Darüber hinaus spielt lediglich ein weiterer der fünf definierten imageaffinen Standortfaktoren, nämlich »angesagter Standort«, bei der Standortentscheidung der Mehrheit der befragten Unternehmen eine bedeutende Rolle. Dieser Faktor wurde von 57% als (sehr) wichtig Die öffentliche Wahrnehmung angegeben und fällt auf Rang 6 von 14.des DieReuterkiezes anderen Fak- hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Hatte dieser Wandel toren im Ranking fallen höchstwahrscheinlich deshalb Hatte der Wandel Auswirkungen auf ihr ja, welche? auf Ihr Unternehmen? Wenn nach Auswirkungen hinten, weil Kiezatmosphäre als Oberbegriff funUnternehmen? Wenn ja, welche? giert und als ein ganzheitlicher Begriff verstanden wird, welcher die anderen mit abdeckt. 15% Was macht Reuterkiez in Ihren Augen ten als den (sehr) wichtig bezeichnete. Viele einzigartig/ Unternehmen besonders? Sie tolerante an, wie wichtig schätzenKreuzen das offene, und vondiese vielenEinzigNationaartigkeit für die Standortwahl Ihres Unternehmens war. litäten und Kulturen geprägte Umfeld des Reuterkiezes. Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten 2 0 der Wahl des Standorts im Reuterquartier eine Rolle gespielt? Bewerten Sie die Wichtigkeit der einzelnen Faktoren!« 16 angesagter Standortletzten 10 Jahren zugezogen sollte Relevanz der Standortfaktoren 2014 ist, 2014 Relevanz der Standortfaktoren sich zum Wandel im Angenehme Kiezatmosphäre Reuterkiez zählen. 5 4 Wann sind wie viele Unternehmen zugezogen? 18 5. 10 8 6 Zuzugsdatum »Welche der folgenden Faktoren haben für Sie bei Bis Juni Um einordnen zu können, wann die erfassten Unternehmen ab dem Jahr 2004 in den Reuterkiez gezogen sind, wurde auf dem Fragebogen das Eröffnungsdatum erfasst. Die Auswertung ist in der folgenden Grafik festgehalten: 10 Die Hälfte der Standortfaktoren wurden in 50% der Fälle als »(sehr) wichtig« erachtet. Der wichtigste Standortfaktor war dabei die Kiezatmosphäre und wurde von 78% als (sehr) wichtig angegeben. Somit liegt ein imageaffiner Standortfaktor in der Gunst der GewerbetreiDa esbenden sich bei Kiezatmosphäre umden einen imagedesder Reuterkiezes noch vor »klassischen« affinen Standortfaktor handelt, beeinflusst das Imagewie Nenngrößen der wirtschaftlichen Wertschöpfung, eindeutig die Standortentscheidung Großteils beispielsweise der Gewerbemiete eines oder der Nähe zu der befragten Unternehmen. Darüber hinaus spielte Kunden und Auftraggebern (s. auch Tabelle zur Einteilediglich ein weiterer der fünf definierten imageaffinen lung von Standortfaktoren unter E III). Dies zeigt, dass Standortfaktoren, nämlich „angesagter Standort“, bei das Image des Reuterkiezes in der Standortentscheider Standortentscheidung der Mehrheit der befragten dung neu eine zugezogener Unternehmen eine zentrale Unternehmen bedeutende Rolle [Rang 6 von 14Rolle spielte. mit 57% „(sehr) wichtig“-Nennungen]. Standortfaktoren für zuziehende 0 zugezogenen Unternehmen 16 Ergebnisse der Befragung 4.2 Bewertung der imageaffinen Anzahl der Unternehmen an einem Text bzw. Dokument gearbeitet werden kann. Mithilfe des Etherpads konnten alle Gruppenmitglieder ihre Ergebnisse an einem Ort festhalten. Darüber hinaus war leicht erkennbar, wie viele Unternehmen von welchem Wirtschaftszweig noch befragt werden mussten. Aus Gründen, die im Kapitel I näher beschrieben sind, ist es der Befragungsgruppe nicht gelungen, die Zielsetzung von 101 befragten Unternehmen zu erreichen. Insgesamt wurden 92 Unternehmen erfolgreich befragt. Gute ÖPNV Erreichbarkeit Angesagter Standort Relevanz der Standortfaktoren 2014 Nähe zum Wohnort des Inhabers Angenehme Kiezatmosphäre Relevanz der Standortfaktoren 2014 Gutes Freizeit- und Kulturangebot Wir haben den Wandel vom Anfang an mitbekommen, da wir einer der ersten Cafés hier im Kiez waren. Ansehr denwichtig Mieterhöhungen macht wichtig er sich für uns am meisten weniger wichtig bemerkbar. Gewerbemiete Zwischen 2004 und 2014 lässt sich insgesamt eine anGutes Gastronomieangebot unwichtig Angenehme Kiezatmosphäre Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten der Standortfaktoren 2014 steigende Tendenz in der AnzahlRelevanz des Zuzugs beobachk.A. Ansprechende Architektur Gewerbemiete Nähe zu Kunden und Auftraggebern Angenehme Kiezatmosphäre ten. Zu Beginn des Betrachtungszeitraums steigt die Gute Pkw Erreichbarkeit Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten Gute ÖPNV Erreichbarkeit Gewerbemiete Anzahl der zuziehenden Unternehmen nur schwach, Tipp von Freunden und Bekannten Nähe zu Kunden und Auftraggebern Angesagter Standort der Räumlichkeiten sehr wichtig Nähe zu Kooperationspartnern ÖPNV ErreichbarkeitIm findetMöglichkeiten aber imzur eigenen Jahr (Um)Gestaltung 2008 ihren erstenGute Höhepunkt. Nähe zum Wohnort des Inhabers wichtig Nähe zu Kunden und Auftraggebern Gutes Förderangebot vor Ort Angesagter Standort Jahr 2010 ist der Zuzug der befragten Unternehmen proFreizeit- und Kulturangebot Gutes weniger wichtig sehr wichtig Gute ÖPNV Erreichbarkeit Nähe zum Wohnort des Inhabers 0% 20% 40% 80%unwichtig 100% Jahr am höchsten. Nach 2010Angesagter geht die Anzahl der ZuzüGutes Gastronomieangebot wichtig60% Standort Gutes Freizeit- und Kulturangebot k.A. weniger wichtig sehr wichtig ge pro Jahr leicht zurück, liegt aber dennoch höher alsAnsprechende Architektur Nähe zum Wohnort des Inhabers Gutes Gastronomieangebot unwichtig wichtig Gute Pkw Erreichbarkeit 2008, dem Jahr des ersten Höhepunkts. Gutes Freizeitund Kulturangebot Das Jahr 2014 weniger wichtig k.A. Ansprechende Architektur Tipp von Freunden und Hälfte Bekannten Die (7 von 14) der Standortfaktoren wurde Abb. 2: Wichtigkeit der einzelnen Standortfaktoren für kann in der Analyse nichtGutes berücksichtig werden, weil die Gastronomieangebot unwichtig Gute Pkw Erreichbarkeit Nähe zu Kooperationspartnern von den befragten Unternehmen in 50% (oder mehr) k.A. Ansprechende Architektur die zugezogenen Unternehmen Befragung im Juni 2014 endete. Tipp von Freunden und Bekannten Gutes Förderangebot vor Ort der Fälle als „(sehr) wichtig“ erachtet. Der wichtigste Gute Pkw Erreichbarkeit Nähe zu Kooperationspartnern Standortfaktor die Kiezatmosphäre mit 78% 0% war 20% 40% 60% 80% 100%„(sehr) Tipp von Freunden und Bekannten Gutes Förderangebot vor Ort wichtig“-Nennungen vor den Gewerbemieten, UmgeNähe zu Kooperationspartnern 88 0% 20% 40% 60% 80% 100% staltungsmöglichkeiten der Räume und der Nähe zum Gutes Förderangebot vor Ort Absatzmarkt. 0% 20% 40% 60% 80% 100% Der Reuterkiez erinnert mich mit seinen kleinen Läden ein wenig an New York City. Jeder der in den letzten 10 Jahren zugezogen ist, sollte sich zum Wandel im Reuterkiez zählen. Unternehmens war!« höherer Anspruch der Kundschaft Wir sind Teil Wir sind der Prototyp der Gentrifizierung des Wandels aber nicht Gentrifizierer. Wir haben den Wande Anfang an mitbekomme wir einer der ersten C hier im Kiez waren. An steigende Mieten Mieterhöhungen macht Bewohner-/Stammfür uns am meiste kundenverdrängung bemerkbar. mehr Konkurrenz Wir haben den Wandel vom Anfang an mitbekommen, da wir einer der ersten Cafés hier im Kiez waren. An den Mieterhöhungen macht er sich für uns am Selbstverwirklichung, diemeisten bemerkbar. Besonders der Freiraum zur gute Lage und Multikulturalität hielten die Unternehmen in ihrer Standortwahl für „(sehr) wichtig“. Der Reuterkiez erinnert mich mit Die am seinen häufigsten genannten positiven Auswirkungen kleinen wenig waren Läden mehreinKunden und Umsatz sowie der Zuwachs an New York City. an internationalem Publikum. Als negative Auswirkungen wurden die steigenden Mieten am häufigsten erwähnt. Was haben die Unternehme Abb. 3: Wortwolke mit Nennungen der Besonderheiten (Größere Schriftgröße = mehr Nennungen) 89 Im Anschluss an die Nennung der Besonderheiten des Reuterkiezes wurden die Antworten danach gewichtet, wie ausschlaggebend diese für die Standortwahl des Unternehmers waren. Daten hierzu lagen von 81,3% der Unternehmen vor. Hier konnte wieder zwischen den Antwortmöglichkeiten »sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig, unwichtig bzw. keine Angabe« gewählt werden. Im nächsten Schritt der Auswertung erfolgte ein Ranking der Besonderheiten des Kiezes bezüglich der Häufigkeit der Nennungen. Dabei stehen Antworten, die unter den Oberbegriff »Multikulturalität« fallen, mit 24,7% an erster Stelle. Ebenso waren der »Kreative Szenebezirk« und die »Internationale Bekanntheit« häufig aufgeführte Charakterisierungen. Dies lässt sich wieder auf den atmosphärischen Fokus der Gewerbetreibenden zurückführen, als auch den Faktor der internationalen Vielfalt und der Ansiedlung von Künstlern und vielen jungen Menschen im Kiez. Ein weiterer Aspekt der Auswertung ist die Wichtigkeit der selbst genannten Kiezbesonderheiten. Am wichtigsten für die Standortwahl der Unternehmen waren der Freiraum zur Selbstverwirklichung und die gute Lage. Multikulturalität folgte an dritter Stelle. Es ist zu beachten, dass die ersten beiden wichtigsten Besonderheiten jedoch viel weniger aufgeführt wurden als andere, daher ist die Aussagekraft eingeschränkt. Insgesamt waren alle Kiezbesonderheiten bei den Unternehmen mit mindestens 70% wichtig bis sehr wichtig. Aus diesem Ergebnis lässt sich schließen, dass der Charakter des Kiezes 90 zum Zeitpunkt der Standortwahl eine wichtige Rolle für die Unternehmen gespielt hat. Abb. 4: Ranking der genannten Besonderheiten 4.4 Auswirkungen des Wandels auf die Unternehmen »Die öffentliche Wahrnehmung des Reuterkiezes hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Hatte dieser Wandel Auswirkungen auf ihr Unternehmen? Wenn ja, welche?« Diese Frage haben 78 der befragten Unternehmen beantwortet, 14 haben keine Angabe hierzu gemacht. 14 Unternehmen empfanden ausschließlich negative Auswirkungen auf ihr Unternehmen, 28 ausschließlich positive Auswirkungen. 37 Betriebe gaben an, sowohl positive als auch negative Auswirkungen feststellen zu können. 15% Positiv/Negativ 40% 15% Positiv Negativ k.A. 30% Abb. 5: Prozentsatz positiv und negativ empfundener Auswirkungen des Wandels Die meistgenannten positiven Auswirkungen waren eine Zunahme an Kunden/Umsatz mit 33 Nennungen sowie (mehr) internationales Publikum/Touristen mit 18 Nennungen. Als die häufigste negative Konsequenz des Wandels wurden die steigenden/teureren Mieten mit 22 Nennungen genannt. Die steigende Anzahl an Touristen wurde teilweise auch als negativ empfunden; dies gaben fünf Unternehmen an. Gleichauf mit fünf Nennungen wurde die vermehrte Konkurrenz zwischen den Unternehmen im Kiez beklagt. Sechs Nennungen hatte die Bewohner- und Stammkundenverdrängung. mehr Kunden/Umsatz int. Publikum höherer Anspruch der Kundschaft 4.5 Unternehmen als Teil des Wandels »Sehen Sie sich als Teil des oben genannten Wandels?« Sehen Sie sich als Teil des Wandels? Mithilfe der vierten Frage wollten die Studierenden herausfinden, ob die Unternehmer sich als Teil des Wandels sehen, der zuvor schon im Fragebogen angesprochen wurde. Dabei antworteten ca. 70% der Unternehmer Nein k.A. Ja mit »Ja«. »Ja« 0% 20 % 40 % »Nein« 60 % 80 % 100 % Abb 7: Empfindung als Teil des Wandels steigende Mieten Bewohner-/Stammkundenverdrängung Touritsten mehr Konkurrenz Abb 6: Am häufigsten genannte positive sowie negative Auswirkungen 57 der 92 befragten Personen, d. h. mehr als zwei Drittel, nutzten im Anschluss die Möglichkeit, ihre Antwort zu begründen. Die Differenz besteht aus Antworten wie »Ich weiß nicht«, »Es wurde viel darüber diskutiert« oder die Frage wurde falsch verstanden, sodass die Befragten zum Beispiel erneut Gründe für den Zuzug ins Quartier aufführten. Viele Unternehmer reagierten erstaunt auf die Frage und gaben an, dass man selbstverständlich Teil des Wandels sei, wenn man seinen Laden im Reuterkiez eröffne. Eine zentrale und häufig genannte Begründung für ein »Ja« im ersten Teil der Frage war, dass die Gewerbeeinheit erst im Zuge dieses Wandels entstanden sei. So bestätigt zum Beispiel ein Gewerbetreibender, dass es vor ein paar Jahren »keine Läden in der Straße« gegeben hätte. Andere geben an, dass sie ihren Laden vor 15 Jahren definitiv nicht im Reuterkiez eröffnet hätten. Ein ähnlicher, oft genannter Grund dafür, Teil des Wandels zu sein, war, dass das Gewerbe sich in der Lage sah, sich mit dem Wandel verändern zu müssen und sich an Neuerungen anpassen sollte, wie zum Beispiel andere Kundschaft mit anderem Bedarf. Viele Unternehmer sehen sich somit als Teil eines Wandels und wissen sehr wohl um ihre Rolle, die sie in diesem Prozess spielen. Die Antwort »Nein« dagegen wurde seltener begründet. Hier ist eine häufig genannte Begründung, dass der Laden noch nicht lange existiere oder er sich als Folge des Wandels verändere, nicht als Teil. 91 G Um die Antworten der zweiten Frage unseres Fragebogens in ihrer Bandbreite zu fassen, wurde eine Clusterung vorgenommen. Dabei wurde jede einzelne Antwort mit anderen ähnlichen Aussagen zusammengefasst, so dass zehn allgemeine Themenfelder entstanden. Auffällig bei den Ergebnissen der Clusterung ist, dass die Unternehmen fast ausschließlich atmosphärische Besonderheiten aufgeführt haben, sodass acht von zehn der von den Projektteilnehmern gewählten Oberbegriffe eine Charakterisierung der Kiezatmosphäre des Reuterquartiers ausdrücken. Dies führt zu dem Rückschluss, dass der Reuterkiez aufgrund dieser Kiezatmosphäre für die Unternehmen besonders und einzigartig ist und die baulichen sowie strukturellen Merkmale bei der Standortwahl als weniger wichtig eingestuft wurden. 5 Beantwortung der Teilforschungsfrage I. Anhand der 92 befragten Unternehmen lässt sich seit 2007 ein Aufwärtstrend hinsichtlich des Zuzugs in den Reuterkiez erkennen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war 2010. II. Die Hälfte (7 von 14) der Standortfaktoren wurde von den befragten Unternehmen in 50%(oder mehr) der Fälle als »(sehr) wichtig« erachtet. Der wichtigste Standortfaktor war die Kiezatmosphäre. Sie wurde von 78% als »(sehr) wichtig« angegeben, vor den Gewerbemieten, Umgestaltungsmöglichkeiten der Räume und der Nähe zum Absatzmarkt. III. IV. 92 Da es sich bei der Kiezatmosphäre um einen imageaffinen Standortfaktor handelt, beeinflusst das Image eindeutig die Standortentscheidung eines Großteils der befragten Unternehmen. Darüber hinaus spielte lediglich ein weiterer der fünf definierten imageaffinen Standortfaktoren, nämlich »angesagter Standort«, eine bedeutende Rolle. Dieser Faktor wurde von 57% der befragten Unternehmen als (sehr) wichtig angegeben und fällt auf Rang 6 von 14. Die befragten Unternehmen charakterisieren die Besonderheitendes Reuterkiezes überwiegend mit atmosphärischen Begriffen. Laut der befragten Unternehmen machen Multikulturalität, Kreativität und internationale Bekanntheit den Reuterkiez einzigartig. Besonders der Freiraum zur Selbstverwirklichung, die gute Lage und Multikulturalität hielten die Unternehmen in ihrer Standortwahl für »(sehr) wichtig«. V. Der Wandel des Reuterkiezes hatte für den Großteil der Unternehmen überwiegend positive Auswirkungen. Die am häufigsten genannten positiven Auswirkungen waren mehr Kunden und Umsatz sowie der Zuwachs an internationalem Publikum. Als negative Auswirkungen wurden die steigenden Mieten am Häufigsten erwähnt. VI. Über 70% der befragten Unternehmen sehen sich als Teil des Wandels im Reuterkiez. Anhand der Aussagen wurde deutlich, dass die unternehmenseigene Rolle hinsichtlich der aktiven/ passiven Teilnahme an diesem Prozess unterschiedlich wahrgenommen wird. unseres Fragebogens, der vor allem mitVII. Mittels hilfe der zweiten Frage bewusst auf das Image des Reuterkiezes abzielte, kann die Teilforschungsfrage, welche Rolle »Image« in der Standortentscheidung zuziehender Unternehmen gespielt hat, beantwortet werden. Die Unternehmen geben von sich aus hauptsächlich Besonderheiten zur Antwort, die die Atmosphäre des Reuterkiezes beschreiben. Unter Einbeziehung der Analyse der Standortfaktoren (Frage 1) ist somit deutlich die wichtige Rolle des Images zu erkennen, da die Kiezatmosphäre als der wichtigste Standortfaktor aller 92 befragten Unternehmen ermittelt wurde. G Die Auswertung der Befragungsergebnisse lässt folgende Erkenntnisse zu: H Fazit Die übergeordnete Forschungsfrage »Inwieweit unterliegt die Gewerbestruktur des Reuterkiezes einem imagebedingtem Wandel?« wurde am Ende des ersten Semesters definiert und war damit Richtlinie für alle folgenden Recherchen (Kapitel E) und der praktischen Forschungsarbeit im Reuterkiez (Kapitel F und G). Sowohl die gewählte Methodik, die Analyse der gesammelten Daten und die schlussendlichen Forschungsergebnisse mussten sich somit an unserer Forschungsfrage messen lassen. Zum Ende der Kapitel F und G wurden vorerst die Teilforschungsfragen beantwortet – ohne aber eine Bearbeitung der übergeordneten Forschungsfrage vorwegzunehmen, die schließlich in der letzten Projektsitzung vorgenommen werden konnte. H »Inwieweit unterliegt die Gewerbestruktur des Reuterkiezes einem imagebedingtem Wandel?« Basierend auf der empirischen Analyse kam die Projektgruppe zu dem Schluss, dass die Gewerbestruktur des Reuterkiezes einem imagebedingten Wandel unterliegt. So konnte die Kartierung sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Veränderung aufzeigen. Zudem verdeutlicht sowohl die Medienanalyse als auch die Befragung einen Imagewandel in den letzten zehn Jahren. Der Zusammenhang zwischen Image- und Gewerbewandel wird durch das Ergebnis der Befragung erklärt, bei der sich die Kiezatmosphäre als wichtigster Standortfaktor für die neu zugezogenen Unternehmenstreibenden heraustellte und damit wichtiger war als die abgefragten harten Standortfaktoren. Dass derweil vier von fünf imageaffinen Standortfaktoren keine große Rolle in der Standortentscheidung gespielt haben, ist dem geschuldet, dass diese auch als Teilemente des Begriffs »Kiezatmosphäre« interpretiert werden können. Die Unternehmen sehen sich sowohl als Treiber als auch als Profiteure des Wandels des Reuterkiezes. Weiterhin auffällig war der äußerst starke Zuwachs von Wirtschaftseinheiten mit freiberuflichen Dienstleistungen und der Gastronomie. Diese Wirtschaftszweige prägen aufgrund ihrer starken Präsenz im öffentlichen Raum auch das Image des Reuterkiezes. Dieser Umstand wird auch in den Medien widergespiegelt. Diesbezüglich steht die mediale Berichterstattung in einer engen, sich verstärkenden Wechselbeziehung mit dem Zuwachs der Gastronomie und der freiberuflichen Dienstleistungen. 95 I Lessons Learned In der letzten Projektsitzung wurden im Plenum die »EHE« (Erwartungen, Herausforderungen und Erkenntnisse) der gemeinsamen Projektarbeit erörtert, um so vor allem die angewandte Methodik Revue passieren zu lassen. Die Erwartungen der KartierungsteilnehmerInnen auf der einen und der BefragungsteilnehmerInnen auf der anderen Seite waren sehr differenziert: Von der Kartierungsgruppe wurden in einem Zeitraum von drei Wochen insgesamt 598 Wirtschaftseinheiten im Erdgeschoss kartiert. Die adäquate Aufschlüsselung der Wirtschaftszweige erleichterte die Arbeit immens. Nichtsdestotrotz zeigte sich, dass keine Aufschlüsselung der Wirtschaftszweige komplett sein kann, da in der Praxis häufig »Mischformen« von Wirtschaftseinheiten (bspw. Café inkl. Einzelhandel mit Bekleidung) vorkommen, bei denen schließlich die subjektive Einschätzung des Kartierenden darüber entscheidet, welche Nutzung den ausschlaggebenden Charakter der Wirtschaftseinheit darstellt. Herausforderungen entstanden zudem bei der genauen Zuteilung von Ecklagen, dem Erkennen von Leerstand und die Zuordnung von Wirtschaftseinheiten ohne Beschriftung bzw. Beschilderung. Weiterhin war die Erfassung von Hinterhöfen, höheren Geschossen und Gewerbehöfen oft nur mit großem zeitlichen Aufwand zu bewerkstelligen. Nichtsdestotrotz war die Kartierung effizient und effektiv. Deutlich zeigte sich jedoch, dass die spätere Analyse stark von der Qualität des vergleichenden Datensatz abhängt (in diesem Fall von Adler 2004) – Fehler und Ungereimtheiten lassen sich in diesem Zusammenhang nicht mehr ausgleichen. I »Durch das praxisorientierte zweite Semester war der Zuwachs an methodischeM Wissen groSS.« Während bei der Kartierung mehrheitlich auf die gründliche Vorbereitung vertraut wurde, erwartete man bei der Befragung größere Komplikationen wegen weitgehend fehlender Erfahrung mit der Methodik. Besonders die Komplexität der späteren Analyse war kaum abzusehen, da die Befragungsgruppe nur bedingt auf die Qualität der Antworten der Unternehmenstreibenden einwirken konnte, während die Kartierungsgruppe durch einen stichfesten Wirtschaftszweigkatalog spätere Unzulänglichkeiten (fast) ausschließen zu können glaubte. Dementsprechend groß waren auch die Herausforderungen für die Befragungsgruppe. Eventuell umstimmige Fragestellungen konnten nicht während des Befragungsprozesses geändert werden und es war häufig schwierig, die Gespräche so zu leiten, dass die Unternehmenstreibenden für den Fragebogen relevante Antworten 97 ANHANG – Fragebogen Eröffnungsdatum: N. d. B.: Datum: gaben. So sah man sich häufig mit gentrifizierungs- und anderen veränderungsübertrüssigen Unternehmensbetreibenden konfrontiert, die kaum auf die Fragen antworten wollten, oder aber man traf auf aufgeschlossene Geschäftsinhaber, bei denen es schwierig war, den Redefluss in für uns geeignete Antworten zu interpretieren. Der Fragebogen wurde daher in einigen Fällen situationsspezifisch angepasst, was die Befragenden auch später bei der Analyse vor große methodische Herausforderungen stellte. Die Organisation der Befragung war damit anspruchsvoller und der Ablauf zeitaufwendiger als vorweg angenommen. Die Befürchtung, dass unsere Fragestellung die Ergebnisse in eine bestimmte Richtung lenkte, hat sich nicht bestätigt, da die Unternehmen auch andere Antworten, wie zum Beispiel bauliche Identitätsträger, hätten aufführen können. Aus diesem Grund entnimmt das Projekt der statistischen Auswertung, dass sich das Image des Reuterkiezes aus Sicht der Unternehmen durch seine soziale Durchmischung und besondere Stimmung vor Ort zusammensetzt und damit mehrheitlich ein Grund in der Standortentscheidung war, sich dort niederzulassen. Leider konnte die Zielsetzung von 101 befragten Unternehmen nicht erreicht werden. Die benötigte Anzahl von Unternehmen bestimmter Wirtschaftszweige, die zur Vervollständigung des erforderlichen Prozentsatzes benötigt wurden, standen entweder aus Zeitgründen nicht zur Verfügung oder verweigerten die Aussage. Da nur noch wenige Unternehmen dieser Sektoren über waren, war nicht möglich einen Ersatz aufzutreiben. Die Lösung dieser Problematik hätte den zeitlichen Rahmen überschritten. 98 Auch die Befragungsgruppe war schlussendlich zufrieden mit der Qualität der Ergebnisse, auch wenn die aufgenommene Datenmenge in der kurzen Zeit nur mit großen Aufwand analysiert werden konnte. Die Interviews waren mehrheitlich spannend und aufschlussreich und es zeigte sich, dass der Fragebogen passend zu den Gegebenheiten im Untersuchungsgebiet gestaltet wurde. Die Projektarbeit und ihr Ergebnis wurden damit äußerst positiv beurteilt. Durch das praxisorientierte zweite Semester war der Zuwachs an methodischem Wissen groß. Auch aufgrund der sehr detailliert definierten Forschungsfrage konnten wir am Ende mit überschaubaren Aufwand ein umfassendes gemeinsames Forschungsprodukt entstehen lassen, das wissenschaftlichen Ansprüchen entspricht und ohne Bedenken (und sicherlich auch mit etwas Stolz) für Interessierte publiziert werden kann. Branche: FragebogenNr: Als Projektgruppe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin beschäftigen wir uns mit dem Wandel in der Neuköllner Wirtschaft, insbesondere im Reuterkiez. Der folgende Fragebogen dient zur Beantwortung unserer Forschungsfrage und ist die Basis für unsere weitere Forschungsarbeit. Ihre Antworten auf die folgenden Fragen dienen rein wissenschaftlichen Zwecken und werden vertraulich behandelt. 1. Welche der folgenden Faktoren haben für Sie bei der Wahl des Standorts im Reuterquartier eine Rolle gespielt? Bewerten Sie die Wichtigkeit der einzelnen Faktoren! ig hr • Preis der Immobilie/Miete • Möglichkeiten zur eigenen (Um)Gestaltung der Räumlichkeiten • Gute ÖPNV Erreichbarkeit • Gute PKW Erreichbarkeit • Nähe zum Wohnort des Inhabers • Nähe zu Kunden und Auftraggebern • Nähe zu Kooperationspartnern • Gutes Förderangebot vor Ort • Tipp von Freunden und Bekannten • Gutes Freizeit- und Kulturangebot • Gutes Gastronomieangebot • Ansprechende Architektur • Angenehme Kiezatmosphäre • Angesagter Standort • Sonstige se t ich er ig w w t ich w ig en tig ch wi tig un ch wi . k.A ANHANG – Fragebogen Was macht den Reuterkiez in Ihren Augen einzigartig/besonders? Kreuzen Sie an, wie wichtig diese Einzigartigkeit für die Standortwahl Ihres Unternehmens war! ig r eh t ich w t ich ig en w u tig ch i nw . k.A Bedarf Die öffentliche Wahrnehmung des Reuterkiezes hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Hatte dieser Wandel Auswirkungen auf ihr Unternehmen? Wenn ja, welche? Ende: 3. Lage Bemerkungen s er ig w tig ch wi Abkürzungen Lage: EG Erdgeschoss zur Straße HÖ Höheres Geschoss HH Hinterhof GH Gewerbehof 2. ANHANG – Kartierungsbogen Nein Nr. Name Datum: Im Namen des Projekts bedanken wir uns herzlich für Ihre Mithilfe! Name: Anmerkungen: (nur bei Einzelhandel einzutragen) Ja Straße Sehen Sie sich als Teil des oben genannten Wandels? ERHEBUNGSBOGEN 4. Symbole Bedarf: +++ kurzfristig ++ mittelfristig + langfristig Start: Negative Auswirkungen: H‐Nr. Zweig Positive Auswirkungen: