Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren!

Transcrição

Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren!
im Namen des Philosophieforum Kelkheim e.V. begrüße ich Sie herzlich zur
Fortsetzung unserer Sonntagsreihe.
Nach den Sommerferien zugleich unter einem neuen Motto:
„Gesellschaft ohne Vertrauen“.
In den vorangegangenen Veranstaltungen haben wir das Menschenbild betrachtet.
Und eigentlich kreisen die meisten modernen Philosophiethemen um unser Bild
vom Menschen. Seine Sprache, sein Erkennen und Wissen, sein Gehirn, sein
Bewusstsein, sein Geist, aber natürlich auch um die Frage: Was sollen wir tun? Als Mensch.
Mit dieser Frage möchte ich überleiten zu unserem neuen Zyklus: Zum Bild, das
wir heute von unserer Gesellschaft haben. Denn, moralische Entscheidungen muss
zwar im Regelfall jeder Einzelne für sich treffen. - Wir haben zuletzt, im Rahmen
unseres Sommerfests, in Gedanken ja gerade mit diesem Thema: Moral, Ethik,
Gerechtigkeit, experimentiert. - Aber die Konsequenzen vieler unserer
individuellen Entscheidungen berühren auch andere Menschen:
Unseren Gegenüber, unseren Nächsten. Den Freund, den Ehepartner, Kollegen,
die Mannschaft, den Verein, das Unternehmen. Die Gemeinde, eine Region oder
den Staat. Nur wenige hingegen berühren möglicherweise Kontinente oder die
Menschheit im Ganzen.
Bleiben wir deshalb bei unseren Betrachtungen zunächst einmal auf der Ebene der
Gesellschaft. Unserer Gesellschaft vielleicht, zu der wir uns dazugehörig fühlen.
Sie erinnern sich, dass ich für das nächste Jahr Themen zum Weltbild angekündigt
habe. Dort werden wir dann, (soweit Sie keine Einwände dagegen äußern sollten,)
uns über die nächsten Veranstaltungen Stück für Stück hin orientieren.
Nun. Seit die rasante Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik den
Wirkungsradius unseres Tuns immer weiter vergrößert hat, sind ganz neue
Bereiche ethischer Verantwortung in den Blick gekommen: Die natürliche
Umwelt ist bedroht. Und derselbe Fortschritt, wie auch das sprunghafte
2
Wachstum der Bevölkerung, haben längst eine riesige Kluft zwischen Reich und
Arm aufgerissen. Einen kleinen Spalt neuerdings auch zwischen Alt und Jung.
Beide Risse bergen Unheil und schreien nach Abhilfe. Doch noch immer deutet
meines Erachtens das Stichwort: „Mensch und Natur“ auf das zentrale Problem
dieser Krise.
Was meine ich damit?
Über das Wesen der Technik, die sich für viele als das mächtigste Werkzeug des
Menschen erwiesen hat - und möglicherweise als das verderblichste, haben relativ
wenige Philosophen intensiv nachgedacht: Spengler, Dessauer, Gehlen oder
Heidegger. Was vielleicht gar nicht so verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass
allein der Mensch – abgesehen von wenigen Ansätzen bei einigen Tierarten –
Maschinen entwickelt hat.
Was möglicherweise damit zusammenhängt, dass er als ein Wesen mit Mängeln
ins Leben getreten ist. Diese Mängel hat er, wie einige meinen, mit der Technik
überkompensiert.
Ich meine, dass die technische Entwicklung im Verhältnis zur gesamten Länge der
Menschheitsgeschichte in vielerlei Hinsicht überbewertet wird. Sie ging nur zu
rasch vonstatten. So rasch, dass viele Menschen Schwierigkeiten hatten und heute
noch haben, ihr zu folgen. Aber genau auf diesem Weg scheinen wir Fortschritte
gemacht zu haben. Unser Verhältnis zur Natur hat sich seit Bacon zweifellos
verbessert.
Und, der Einsicht, dass Tiere schutzwürdig sind oder dass Menschen Pflichten
ihnen gegenüber haben könnten, stand über lange Zeit auch die Lehre von
Descartes im Weg.
Nach ihr sollten bekanntermaßen nur zwei Substanzen auf der Welt existieren:
Materie, die Raum einnimmt, und Bewusstsein, das nur der Mensch besitzen
sollte. So galten die Tiere quasi selbst als Maschinen, als seelenlose Automaten.
3
Dass heute in den Industrieländern ein Meinungsumschwung eingesetzt hat, ist zu
einem großen Teil dem wenig bekannten Jeremy Bentham zu verdanken.
Vielleicht kennen Sie seinen häufig zitierten Satz:
„Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte
erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden
konnten.“
Die Angst des Menschen vor der Natur, sein Misstrauen gegenüber Pflanzen und
Tieren, wuchs – so könnte man meinen - mit zunehmender Arbeitsteilung. Und
mit der damit einhergehenden wachsenden Entfremdung. Die ihm vertrauten
Gartenpflanzen und Haustiere blieben jedenfalls bis heute weitgehend unbehelligt
von dieser Entwicklung. Wenn wir von dem Thema Züchtung hier einmal
absehen. Wir werden ja auf Haustiere noch zurückkommen.
Bentham wies jedenfalls darauf hin, dass Menschenrechte jedermann zustehen
sollten und dass es sich bei den Tieren um empfindende Wesen handelt. Einerlei,
ob den Menschen Sprachfähigkeit und Verstand auszeichnen würden. Die Frage
sei nicht: Können Tiere verständig denken oder sprechen? Sondern: Können sie
leiden?
In Deutschland hat übrigens Schopenhauer gerade asiatische Religionen dafür
gepriesen, dass sie Tiere in ihre Lehren einbeziehen. Dem Juden- und Christentum
warf er vor, dass sie ihre Vorschriften auf den Menschen beschränken und die
gesamte Tierwelt rechtlos lassen würden.
Heute, allerdings seit wenigen Jahren erst, kann das strikte Prinzip als überholt
gelten, das da lautete:
„Wer meinem Hund absichtlich einen Tritt versetzt, verletzt nicht den Hund,
sondern mich als seinen Eigentümer“.
Bevor wir uns aber nun gleich den Konsequenzen zuwenden, die sich ergeben,
wenn man Tiere in die Ethik einbezieht, lassen Sie uns kurz noch einen Blick auf
die Frage werfen, die hinter all den vordergründigen Diskussionen um Technik,
4
Technikvergleiche und Statusfragen zum Tier steckt. (Wie ich meine eine ganz
einfache, aber umso wichtigere Frage:)
„Was unterscheidet den Menschen vom Tier?“ Haben Tiere eine Seele? Vielleicht
wenigstens eine solche die sterblich sein könnte? Oder haben Tiere nur eine
Psyche, wenn sie doch ähnlich empfinden können wie wir Menschen? - Wenn sie,
im Extremfall, ihrem toten Herrchen oder Frauchen in den Tod folgen, weil sie bis
zuletzt die Nahrungsaufnahme vor lauter Kummer verweigern?
Die Folgerungen, die sich aus den Antworten für das praktische Leben von uns
Menschen ergeben könnten, sobald man Tiere in den Bereich der Moral
einbezieht, (und am Ende vielleicht noch die Pflanzen,) die Folgerungen könnten
radikal sein. Doch erlaubt uns bereits die Gefahr, die uns dabei droht, dass wir
unsere Antworten auf die Frage nach der Tierseele typischer Weise mit einem
Seitenblick auf diese praktischen Folgen geben?
Zu allen Zeiten hat die große Mehrheit der Menschen ihre Grundsätze, Maßstäbe,
Vorschriften für sittliches Verhalten in erster Linie von ihrer angestammten
Religion erwartet. Und vermutlich ist dies wegen zunehmender Unkenntnis der
eigenen Religion heute nicht anders. Denn die Ethiken der verschiedenen
Religionen sind sich gar nicht so unähnlich.
Im Jahre 1933 fanden sich immerhin alle Weltreligionen in einem Parlament
zusammen und formulierten gemeinsam ein Dokument. Eines mit verschiedenen
Kernsätzen wie:
„Keine neue Weltordnung ohne ein Weltethos“ oder auch weiteren Kernsätzen,
wie solchen zur Würde des Menschen.
Als unverrückbare Norm für alle Lebensbereiche wurde dann die Goldene Regel
aufgestellt, die sich bekanntermaßen in zahlreichen religiösen und ethischen
Traditionen finden lässt: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch
keinem andern zu.“
Nun. Dieser Regel folgen vier Gebote auf die ich hinaus möchte: beginnend mit
der Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem
Leben.
5
Womit eben nicht nur die menschliche Person geschützt werden soll, sondern
auch das Leben der Tiere und Pflanzen, die mit uns diesen Planeten teilen.
Es folgen die bekannteren Forderungen nach Solidarität und gerechter
Wirtschaftsordnung, nach Toleranz und Wahrhaftigkeit oder nach der
Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wegen letzterem haben damals die
afghanischen Taliban nicht unterschrieben. Die aber mit am Tisch saßen. Und am
Schluss des Dokuments findet sich schließlich ein Hinweis darauf, dass es viele
weitere umstrittene ethische Einzelfragen gibt: Von der Bio- und Sozialethik über
die Medien- und Wissenschaftsethik bis zur Wirtschafts- und Staatsethik. Trotz
allem ein erstaunliches, wenn auch leider weithin unbekanntes Dokument.
Aber nehmen wir einmal an, dieses Weltethos würde von allen Anhängern der
beteiligten Religionen, zumindest aber von einer großen Mehrzahl angenommen
sein, verinnerlicht und im praktischen Leben befolgt. Dann wäre viel erreicht.
Sicher.
Aber wären auch die Gefahren behoben, die am Ende die Menschheit bedrohen?
Die ökologische Krise? Die Bevölkerungsexplosion? Die Risse von denen ich
sprach? Wohl kaum.
Weshalb wir weiterhin gefordert bleiben, gegen die Gefahren anzukämpfen. Ganz
besonders wir Philosophen. Natürlich: In der Rolle des Philosophen nicht zur
praktischen Bewältigung der Krise. Das wäre Aufgabe unserer Politiker. Wohl
aber als Wegweiser.
In den folgenden Veranstaltungen möchte ich versuchen, dazu - gemeinsam mit
den Referenten und Moderatoren - über wichtige Schulen und Denkansätze in der
Philosophie eine Übersicht zu geben.
Die Ansätze dazu sind vielfältig. Und wir werden schon deshalb nicht darum
herumkommen, uns viele Gedanken zum Gesellschaftsbild selbst zu erarbeiten.
So manchem Vor-Denker ging es mehr um allgemeinste, theoretische
Grundfragen. Um eine letztgültige, jeden Menschen verpflichtende Ethik zum
6
Beispiel. Anderen Philosophen ging es mehr um praktische Fragen des
Zusammenlebens in Staat oder Gesellschaft. Und wieder anderen speziell um das
Grundproblem Mensch und Natur.
Am Ende werden wir hoffentlich - in der Hinwendung zur praktischen Ethik - an
die Ideen zu Mensch und Natur, die wir heute diskutieren wollen, anknüpfen
können. Denn der Menschheit, wie eben auch den Philosophen, ist spät bewusst
geworden, dass die ungebremste Vermehrung des Menschen und die
Vervielfältigung seiner Wirkungsmöglichkeiten durch Wissenschaft und Technik,
die Natur als Ganzes, ihre Schöpfung, gefährden könnten. Und so möchte ich
fragen:
Hat der Mensch eine Verantwortung für Tier und Pflanze? Für die Biosphäre, die
Natur gar? Für die Bewohnbarkeit der Erde durch seine Nachkommen? Reicht, so
meine ich damit, seine Verantwortung über die Gegenwart hinaus? Schließt sie
das Leben künftiger Generationen ein?
Ich bin sicher, dass alle Anwesenden all diese Fragen mit ja beantworten werden.
Weshalb ich nun eine weitere, äußerst provokante, vielleicht bittere Frage
anschließen möchte:
Meinen Sie, dass unsere Kinder oder die noch ungeborenen Generationen, (wenn
sie dies vermögen würden, quasi ein Gedankenexperiment), ob also potentielle
Generationen nach uns, uns Menschen heute in dieser Hinsicht vertrauen dürfen?
Ich meine, ob sie darauf Vertrauen dürfen, dass wir nach dieser, unserer eigenen
Einsicht, dass wir für ihre Zukunft verantwortlich sind, auch wirklich handeln?
Oder wenigstens eines Tages handeln werden?
Ich möchte einmal dahingestellt sein lassen, ob sie uns trauen können. Ich meine,
dass sie uns tatsächlich trauen. Zumindest unsere lebenden Kinder. Und das nicht
etwa, weil sie keine andere Wahl hätten. Kinder vertrauen ihren Eltern bis zu
einem gewissen Punkt. Bis wir es nutzen, ihr Vertrauen - für uns - und sie es
merken. Dann verlieren wir ihr Vertrauen.
7
Nun, warum tun wir das? Ist uns ihr Vertrauen nichts wert? Ist unser Klima, ich
meine das soziale Klima, bereits so erkaltet, dass wir bei diesem Gedanken nicht
einmal mehr erröten? Wir leben in einer Welt des Natur-Vertrauens, aber einer
Gesellschaft des Misstrauens.
Ist also unsere Vernunft zu wenig entwickelt? Oder unser Mut, das zu tun, was
nach unserer eigenen Meinung richtig wäre? Oder ist etwa unsere Begierde nach
Konsum und Lebetag zu stark, als das wir, jeder für sich seine Mitte finden
könnte? Misstrauen wir uns quasi schon selbst? Haben wir uns am Ende bereits
allesamt selbst längst aufgegeben?
Was dem Menschen im heutigen Misstrauensklima meines Erachtens wirklich zu
schaffen macht, ist der Hunger nach ergiebigen und nicht nur schlau genutzten
Beziehungen. Unser Eingeständnis grundlegender Bedürftigkeit könnte uns
deshalb möglicherweise vor der eigenen Überheblichkeit schützen. Mit der wir
uns wiederum selbst schützen vor den Anfeindungen unseres eigenen Gewissens.
Vielleicht sind wir ja in der Lage, genau an dieser Stelle aus unserer Beziehung zu
unseren Haustieren zu lernen. Aus der Art, wie sie ihre Bedürfnisse befriedigen.
Vielleicht auch etwas über das Management der natürlichen Begierde. Über
Abhängigkeit, Verantwortung, Vertrauen und Misstrauen.
Lassen Sie uns also unsere Perspektive einmal wechseln, und tauchen wir für
einen Moment mit unserem heutigen Referenten in die Welt der Tiere ein. In die
Gedankenwelt des Hundes, die uns Heiko Elzenheimer, Der Hundeflüsterer aus
Bad Soden, jetzt versuchen wird aufzuschließen. Herr Elzenheimer besitzt in Bad
Soden eine Hundeschule. Und er ist von Babybeinen an quasi mit Hunden
aufgewachsen.
Bitte Herr Elzenheimer!
Und Ihnen: Vielen Dank für Ihre Geduld!

Documentos relacionados