A. Überblick zur Bürgschaft

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A. Überblick zur Bürgschaft
Schuldrecht Besonderer
Teil II
- vertragliche Schuldverhältnisse Dr. Sebastian Mock, LL.M.(NYU)
Attorney-at-Law (New York)
dienstags, 10.15 – 11.45, ESA A
freitags, 10.15 – 11.45, Phil B
A. Überblick zur Bürgschaft
• zentrales Sicherungsmittel für Forderungen vor allem im Darlehensrecht –
Mittel zur Verhinderung von Vermögensverschiebungen
• Solvenz des Bürgen als Sicherheit für den Gläubiger
• Drei-Personen-Verhältnis (Bürge, Gläubiger, Hauptschuldner) - § 765 BGB
Hauptschuld
Gläubiger
Hauptschuldner
Bürgschaftsvertrag
Rückgriffsmöglichkeit
Bürge
B. Merkmale und Abgrenzung
• Akzessorisches Sicherungsmittel
o Abhängigkeit vom Bestand und Umfang der Hauptforderung
o Übergang der Bürgschaft bei Abtretung der Hauptforderung (§ 401 BGB)
• Subsidiarität des Einstehens des Bürgen
o primäre Befriedigungspflicht für den Hauptschuldner
o Einrede der Vorausklage für den Bürgen (§ 771 BGB)
• Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten
o Schuldbeitritt
- Übernahme einer eigenen Schuld und kein Einstehen für eine fremde Schuld
- Haftung als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB)
- für Verbraucher entsprechende Anwendung der §§ 491 ff. BGB
o Garantievertrag
- Übernahme einer eigenen Schuld unabhängig vom Bestand der Hauptschuld
- Erfordernis eines starken wirtschaftlichen Eigeninteresses
o Kreditauftrag (§ 778 BGB)
- Verpflichtung der Gewährung eines Kredits an einen Dritten
- Verdrängung des Auftragsrechts durch § 778 BGB – Haftung wie ein Bürge
o Patronatserklärung
- akzessorisches Sicherungsmittel eigener Art mit besondere Bedeutung in
Konzernverhältnissen (Patron-Protegé)
- Erklärung der Unterstützung bzw. des Einstehens für die Verbindlichkeiten eines anderen Konzernunternehmens – bilanzielle „Neutralität“
- „weiche“ (unverbindliche) und „harte“ (verbindliche) Partronatserklärungen
RF: Schadenersatzpflicht gegenüber dem Darlehensgeber
C. Bürgschaftsvertrag
•
Anwendung der allgemeinen Vertragsregeln
•
Irrtums über die Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners beim Bürgen - keine
Anfechtung nach §§ 119 II, 142 BGB Bürgschaft besteht gerade in der
Übernahme eines Risikos - daher auch keine Vertragsanpassung nach § 313 BGB
•
Formerfordernis des Bürgschaftsversprechens
o schriftliche Erteilung des Bürgschaftsversprechens (§§ 766, 126 BGB),
eigenhändige Unterzeichnung des Bürgen und Übergabe an den Gläubiger
(Erteilung)
o Schutz des Bürgen vor übereiltem Abschluss eines Bürgschaftsvertrags
o Angabe aller wesentlichen Umstände der Bürgschaft im Versprechen
o Sonderregeln für Kaufleute - § 350 HGB
o Heilungsmöglichkeit durch Erfüllung (§ 766 S. 3 BGB)
o Sonderproblem der Blankobürgschaft – Person des Gläubigers oder zu
sichernde Hauptschuld bleibt zunächst offen
- alte Rechtsprechung - Formnichtigkeit wegen Verletzung des
Schutzzwecks von § 766 BGB
- neue Rechtsprechung – Zulässigkeit bei Beachtung des Formerfordernisse des § 766 BGB bei der Ermächtigung zur Vervollständigung (vgl.
BGH v. 29.2.1996 – IX ZR 153/95, BGHZ 132, 119, 122 ff.)
Bsp. B möchte sich für das Darlehen des G verbürgen und erteilt daher
dem G eine Vollmacht, eine entsprechende Erklärung gegenüber der DBank abzugeben. G erstellt eine schriftliche Bürgschaftserklärung und
übergibt sie der D. Der G kann das Darlehen später nicht zurückzahlen.
Ansprüche der D gegen B?
C. Bürgschaftsvertrag
• Übernahme einer Bürgschaft meist aus persönlicher Verbundenheit Gefahr der Übernahme einer Bürgschaft aus moralischer Verpflichtung
trotz fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit
• Problematik der Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags bei
Ausnutzung eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Bürge und
Kreditgeber – Vorgaben des BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89,
BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36 ff.)
• Vermutung der Ausnutzung einer psychischen Zwangslage des Bürgen bei:
o
o
o
Bestehen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses (Kinder-Eltern,
Eheleute, Lebenspartner einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft)
erhebliche finanzielle Überforderung des Bürgen durch die übernommene
Verpflichtung – Bestehen eines groben Missverhältnisses
- pfändbares Vermögen oder Einkommen reicht nicht einmal für die Tilgung
der Zinsen aus
- Prognose über die zukünftige wirtschaftliche Situation
- Berücksichtigung möglicher Vermögenszuwächse wie Erbschaften – nur bei
Abhängigkeit vom Erbeintritt
Widerlegung der Vermutung bei eigenem wirtschaftlichen Interesse –
Erlangung von Miteigentum durch den Bürgen an der durch das Darlehen
finanzierten Sache – aber Bewohnung eines gemeinsamen Hauses nicht
ausreichend
Vgl. grundlegend BGH v. 14.11.2000 – XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37
C. Bürgschaftsvertrag
• Globalbürgschaften
o meist in AGB vorgesehen Haftung für alle gegenwärtigen und laufenden
Forderungen des Schuldners
o kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsverbot aufgrund klarer Festlegung der
Haftung des Bürgen
o Verstoß gegen § 307 II Nr. 1 BGB i.V.m. § 767 I 3 BGB
o Verstoß gegen § 305c I BGB
o aber nur Unwirksamkeit der weiteren Erstreckung – Wirksamkeit der Bürgschaft im übrigen
• Haustürgeschäfte
o Bürgschaft als entgeltliche Leistung? (EuGH v. 1.3.1998 – Rs. C-45/96, NJW
1998, 1295) – Entgeltlichkeit in Form der Gewährung des Darlehens an einen
Verbraucher
o weiter gehende nationale Umsetzung in § 312 BGB – Rechtsnatur der
Hauptverbindlich-keit irrelevant
• Verbraucherkredite keine Anwendung, da Bürge nicht Kreditnehmer
• Fernabsatzrecht kein formwirksame Erteilung einer Bürgschaftserklärung in
elektronischer Form (§ 766 S. 2 BGB)
• Sonstiges Erlöschen der Bürgschaftsschuld
o anteiliges Erlöschen bei Aufgabe eines anderen Sicherungsmittels (§ 776
BGB) – Gedanke des Haftungsverbunds
o Zeitablauf bei der Bürgschaft auf Zeit (§ 777 BGB)
o Erfüllung §§ 362 ff. BGB
o Aufrechnung (§ 387 ff. BGB)
D. Akzessorietät der Bürgschaft
• grundsätzliche Abhängigkeit von der Hauptschuld
• fehlendes Entstehen oder Erlöschen der Hauptschuld
• grundsätzlich auch zukünftige oder bedingte Hauptforderungen möglich (§
766 II BGB)
• Sonderproblem der „Ersetzung“ der Hauptschuld durch einen
bereicherungsrechtlichen Anspruch
Bsp. H schließt mit der D-Bank einen Darlehensvertrag ab, der
aber wegen eines zu hohen Zinssatzes sittenwidrig ist. Da die
B das Darlehen aber schon ausgezahlt hatte und der H
inzwischen insolvent ist, möchte sich die D an den Bürgen B
halten, der für das Darlehen gebürgt hatte.
• Verminderung der Hauptschuld Abhängigkeit der Verpflichtung des
Bürgen vom jeweiligen Bestand der Hauptverbindlichkeit (§ 767 I 1
BGB)
• Erhöhung der Hauptschuld
o Erhöhung kraft Gesetzes Erweiterung der Verpflichtung des Bürgen (§§
767 I 2, 767 II BGB) – Schutzmöglichkeit für den Bürgen durch Abschluss
einer Höchstbetragsbürgschaft
o Erhöhung durch Rechtsgeschäft keine Erweiterung (§ 767 I 3 BGB)
E. Einwendungen des Bürgen
• Verhältnis Bürge-Gläubiger
o Geltung der allgemeinen Einwendungen (Sittenwidrigkeit, Formmangel,
Geschäftsunfähigkeit, Willensmängel usw.)
o Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB)
- Abhängigkeit der eigenen Inanspruchnahme von einer erfolglosen
Zwangsvollstreckung durch den Gläubiger beim Hauptschuldner
- Möglichkeit des Ausschluss des Einrede (so genannte
selbstschuldnerische Bürgschaft [§ 773 I Nr. 1 BGB])
- weiter Ausnahmetatbestände in § 773 I Nr. 2-4 BGB und für Kaufleute
in §§ 349 I, 343 HGB
• Verhältnis Hauptschuldner-Bürge
o Geltendmachung der Einreden des Hauptschuldner nach § 768 I 1 BGB
(Verjährung, Stundung, Zurückbehaltungsrechte usw.)
o kein Entfallen bei Verzicht des Hauptschuldners auf die Einrede (§ 768
II BGB)
o Verweigerung bei Anfechtungsmöglichkeit für den Hauptschuldner (§ 770
BGB) – keine eigene Anfechtungsmöglichkeit entsprechende Anwendung
auf andere Gestaltungsrechte
o Verweigerung bei Aufrechnungsmöglichkeit des Hauptschuldners (§ 770 II
BGB)
o Sonderfall der Bürgschaft auf erstes Anfordern – kein
Leistungsverweigerungsrecht aber ggf. Rückzahlungsanspruch aus § 812 I 1
alt. 1 BGB – grundsätzlich nach § 307 II Nr. 2 BGB im Geschäftsverkehr
unzulässig
F. Prüfungsaufbau
1.Entstehung und Bestand der Bürgschaftsschuld
• Abschluss eines wirksamen Bürgschaftsvertrags
o
o
o
Abgrenzung zu verwandten Rechtsinstituten
Beachtung der Form (§§ 766, 125 BGB)
keine Nichtigkeit (§ 138 BGB)
• Erlöschen der Bürgschaftsschuld?
o
o
o
Widerruf (§ 355 BGB)
Erfüllung (§ 362 BGB)
Aufrechnung (§ 389 BGB)
2.Entstehung und Bestand der Hauptforderung (§ 767 BGB)
„reguläre“ Prüfungsreihenfolge für Ansprüche
3.Durchsetzbarkeit der Bürgschaftsschuld
• Gegenrechte im Verhältnis Bürge-Gläubiger
o
o
Rechte aus dem Bürgschaftsvertrag
Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) soweit nicht ausgeschlossen
• Gegenrechte im Verhältnis Schuldner-Gläubiger
o
o
Geltendmachung der Einreden des Hauptschuldners gegen die
Hauptforderung (§ 768 BGB)
Geltendmachung der Einreden nach § 770 BGB
G. Rückgriff des Bürgen
• Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis Bürge-Hauptschuldner
o Bestehens eines Schuldverhältnisses zwischen Bürge und
Hauptschuldner (z.Bsp. gewerbliche Übernahme von Bürgschaften)
o Auftragsverhältnis §§ 662, 670 BGB
o entgeltliche Geschäftsbesorgung §§ 675 I, 670 BGB
o Geschäftsführung ohne Auftrag §§ 683, 670 BGB
Anspruch aus § 670 BGB Problem der Erforderlichkeit der
Aufwendungen
• Gesetzlicher Forderungsübergang (§ 774 BGB)
o Übergang der Forderung des Gläubigers auf den Bürgen bei
Zahlung des Bürgen (cessio legis)
o Übergang der akzessorischen Sicherungsrechte (Hypotheken,
Schiffshypotheken und Pfandrechte)
o kein Übergang der nicht-akzessorischen Rechte (Grundschuld,
Sicherungseigentum, Vorbehaltseigentum) nach § 774 BGB – aber
Bestehen eines schuldrechtlichen Anspruchs gegen den Gläubiger
auf Übertragung dieser Sicherheiten (§§ 774, 412, 401 BGB
analog)
Geltendmachung von Einwendungen und Einreden des
Hauptschuldners aus der Hauptforderung gegenüber dem
Bürgen beim gesetzlichen Forderungsübergang
H. Sonderformen der Bürgschaft
• Mitbürgschaft
o Verbürgung mehrer Personen für eine Verbindlichkeit ohne
notwendigerweise gemeinsame Begründung der Bürgschaft (§ 769 BGB)
o Haftung als Gesamtschuldner (§§ 774 II, 426 BGB)
o Verpflichtung als Gesamtschuldner zu gleichen Teilen – (praktische)
Notwendigkeit einer anderweitigen Vereinbarung
Bsp. A, B und C wollen sich zu für eine Verbindlichkeit des
D gegenüber dem E in Höhe von 100.000 € verbürgen. A und B
verbürgen sich jeweils bis zu 50.000 € und C zu 20.000 €.
• Nachbürgschaft
o Sicherung der Bürgschaftsverpflichtung des Bürgen („Bürgschaft für den
Bürgen“)
o Leistungspflicht des Nachbürgen bei fehlender Leistung des Hauptbürgen
o Übergang der Hauptforderung und der Bürgschaftsforderung bei Leistung
auf die Hauptschuld (§ 774 BGB analog) sowie Rückgriff aus dem
jeweiligen Schuldverhältnis
• Rückbürgschaft
o Einstandspflicht des Rückbürgen für den Regressanspruch des Hauptbürgen
gegenüber den Hauptschuldner
o Rückgriffsmöglichkeit der Rückbürgen beim Hauptschuldner aus dem
jeweiligen Schuldverhältnis oder aus § 774 BGB analog