Kleider machen Leute

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Kleider machen Leute
Kleider machen Leute
Gruppe:Hannah,Barni,
Moritz,Hannah,Lukas
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Inhaltsverzeichnis
Seite
Standbild
Figurenbeschreibung
Textausschnitt in die heutige Sprache
3
1&2&3
3&4&5
übersetzten
Inneren Monolog
Kapitel Zusammenfassen
Autorenporträt
Collage
Bildergeschichte (haben wir nicht gemacht)
5&6
6&7
7&8&9
9
Brief
Darlegen das es eine Novelle ist
Spielszene, Drehbuch
Bildergeschichte
Textauszug aus einer anderen Perspektive
Gruppenmitglieder
9
10
11 & 12 & 13
13
14
13
3
Zusammenfassung Kapitel 1+2
1. Kapitel „Auf der Landstraße“ (S.5-6 Z.13)
2. Kapitel „Im Gasthaus „Zur Waage“ (S.6 Z.14-10 Z.11)
Der arbeitslose, schüchterne Schneidergeselle Wenzel Strapinski verlässt seine
Heimatstadt Seldwyla, um neue Arbeit zu finden. Obwohl Strapinski aussieht wie
ein vornehmer Herr, ist er sehr arm, denn er besitzt nur diese edle Kleidung. Er
achtet sehr auf sein Äußeres. Auf der Landstraße von Seldwyla nach Goldach
begegnet er einer herrschaftlichen Kutsche. Als es anfängt zu regnen, nimmt
der Kutscher ihn aus Mitleid mit nach Goldach.
Im Goldach angekommen hält die Kutsche vor dem Gasthaus „Zur Waage“. Dort
wird er auf Grund seiner Kleidung und der vornehmen Kutsche fälschlicherweise
für einen Grafen gehalten. Er wird freundlich vom Wirt begrüßt und
hereingebeten. Der Wirt bietet nach reichlicher Überlegung Wenzel die besten
und erlesensten Speisen an.
Personenbeschreibung
Die Hauptfigur in der Novelle „Kleider machen Leute“ ist ein armer
Schneidergeselle, dessen Name zunächst unbekannt ist(Später
wird im Buch bekannt, das sein Name Wenzel Strapinsky ist).
Er hat lange, gepflegt, schwarze Haare und einen ordentlichen gepflegten
Schnurrbart. Seine Gesichtszüge sind blass und regelmäßig (vgl. S.5, Z. 16-20).
Bekleidet ist er mit einem schwarzen Sonntagskleid, einem dunkelgrauen
Radmantel und einer polnischen Pelzmütze (vgl. S.5, Z. 16-20).
Durch den Bankrott seines Meister in Seldwyla im November „... wegen des
Falliments irgendeines Seltwyla Schneidermeister seinen Arbeitslohn mit der
Arbeit verloren und auswandern musste.“ (S.5, Z. 10-13), muss er sich eine neue
Arbeit suchen.
Der Schneidergeselle ist eher zurückgezogen und erledigt seine Arbeit
unauffällig und in sich gekehrt. Obwohl er so schüchtern ist, legt er viel Wert
auf sein Äußeres. Das Problem ist aber, dass seine noble Fassade sein armes
Dasein versteckt. Aus diesen Gründen findet er nur in größeren Städten Arbeit,
wo er nicht so auffällt. Zu dem muss er mitunter auch Hunger leiden, da ihm das
Betteln mit derart edler Kleidung ziemlich schwer fällt. (vgl. S. 6 Z. 4-10) Da er
nicht sehr redegewandt ist, kann er den Menschen seine komplizierte Lebenslage
nicht klarmachen. „(...) so erstarben ihm, da er über dies nicht sehr beredt war,
die Worte im Mund (...)“(S.6 Z. 10-12).
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Als der Schneidergeselle eigentlich hätte den Leuten erklären müssen, das alles
nur ein Missverständnis ist, lässt sich der Schneider gegen seinen Willen von den
Ereignissen überrumpeln (vgl. S. 7 Z.23-27).
Er erkennt die Situation erst, als es schon fast zu spät ist und auch dann ist er
immer noch nicht schnell genug um die Verwechslung aufzuklären.
„(...) und bemerkt seine neue Lage erst recht ,als er sich in den
wohnlichen Speisesaal versetzt sah und ihm sein ehrwürdiger Mantel
dienstfertig abgenommen wurde.“(S. 7 Z.23-27).
Je bewusster ihm die Situation wird, desto peinlicher ist sie dem Schneider. Er
bekommt Panik und versucht, einen Weg aus dem Gasthaus zu suchen, wobei er
sich jedoch verläuft. Im Gasthaus versteht man dies aber falsch und glaubt, er
müsse nur zur Toilette gehen.
Ein Diener weißt ihm daraufhin den Weg zur Toilette. (vgl. S.11 Z. 1-11).
Weil der Schneider aber so großen Hunger hat und ihm auf der Toilette kein
Ausweg in den Sinn gekommen ist, geht er mit schlechtem Gewissen zurück in
den Saal. „(...)sondern hantiert schüchtern und zimperlich mit der silbernen
Gabel daran herum .“(S.12 Z.11-12). Er will gewiss nicht bösartig oder
betrügerisch sein, doch wegen des Hungers, seiner Unentschlossenheit und
seiner Schüchternheit ist er in diese Verwechslung geraten .Verwirrung und
Traurigkeit strahlt er aus. „(...) wie schön und traurig er ist ! Gewiss ist er in ein
armes Fräulein verliebt, dass man ihm nicht lassen will!“(S.12 Z.20-22)
„Innere
Monolog zu der Novelle „Kleider machen Leute“
Der arme Schneider Wenzel Strapinski ist an einem kalten Novembertag, nach
Arbeit suchend auf dem Weg nach Goldach. Einer kleinen reichen Stadt in der
Nähe von Seldwyla.
„Was führe ich doch für ein armseliges Leben. Ohne Geld, hungrig und frierend,
auf dem Weg in eine völlig fremde Stadt. Womöglich muss ich am Ende noch
meine geliebte Kleidung verkaufen und das würde ich nicht übers Herz bringen
können, doch was ist, wenn einen der Hunger dazu treibt. Wahrscheinlich werde
ich erfrieren ohne, dass sich jemand meiner erbarmt. Was soll ich nur tun, wenn
ich in Goldach keine Arbeit finde. Ein Tagelöhner ohne Anstand werden? So
würde ich doch lieber verhungern, als mich zum Narren zu machen. Lieber
wünsche ich mir ein anmutiges Fräulein zu heiraten und einen ehrenvollen Beruf
ausführen zu können. Anstatt einsam und bettelnd von Stadt zu Stadt zu ziehen.
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Doch so ist es nicht und ich muss mich mit meinem Schicksal abfinden. Doch das
ist nicht immer leicht, vor allem nicht mit einem vor Hunger knurrenden Magen.
Aber Wenzel, sei nicht zögerlich und beißt dich durch diese absurde und
abscheuliche Lage durch. Es werden bessere Zeiten kommen! Der Frühling wird
kommen und du wirst wieder eine anständige Schneiderei finden. Wo dir deine
ehrenvolle Arbeit hoch angerechnet wird und nicht durch den Dreck gezogen
wird. Du kommst noch hoch hinaus. Ja, das werde ich, jawohl, so wahr ich Wenzel
Strapinski heiße.
Und mit diesen vielleicht naiven, jedoch positiven Gedanken machte er sich auf
den Weg nach Goldach.
Auf der Suche nach einer anständigen Arbeit.
Wer weiß, vielleicht findet er genau diese ja auch in Goldach,
einer kleinen reichen Stadt in der Nähe seiner Heimat Seldwyla.
Textauszug in die heutige Sprache übersetzten
Originalauszug (S. 5, Z. 10 – S. 6, Z. 7)
Denn er hatte wegen des Falliments irgendeines Seldwyler Schneidermeisters
seines Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er
hatte noch nichts gefrühstückt als eine Schneeflocke, die ihm in den Mund
geflogen, und er sah nicht weniger ab, wo das geringste Mittagsbrot herwachsen
sollte. Das Fechten fiel ihm äußert schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil
er über seinem schwarzem Sonntagskleid, welches sein einziges war, einen
dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Samt ausgeschlagen, der seinem
Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange
schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich
blasser aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute. Solcher Habitus war ihm zum
Bedürfnis geworden, ohne das er etwas Schlimmes oder Betrügerisches im
Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im
Stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert als dass er
sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte,
die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wusste. Er konnte deshalb nur in
größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er wanderte
und keine Ersparnisse mit sich führte; geriet er in die größte Not. Näherte er
sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und
Neugierde und erwarteten eher alles andere als dass er betteln würde; so
erstarben ihm, da er überdies nicht beredet war, die Worte im Munde, also dass
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er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt so schwarz wie des
letzteren Samtfutter.
Übersetzung in die heutige Sprache
(S.5, Z. 10- 6, Z. 7)
Da sein Chef die Insolvenz anmelden musste, wurde der Schneider entlassen und
musste sich auf den Weg machen um sich eine neue Arbeit zu suchen. Ihm
knurrte schon der Magen, denn er hatte noch nichts gefrühstückt, außerdem sah
es auch noch nicht danach aus, als ob er noch etwas zum Mittagessen bekommen
würde. Es gab noch eine Schwierigkeit, denn betteln zu gehen, war schon fast
unmöglich, weil er über seinem einzigen schwarzen Sonntagsanzug, einen
dunkelgrauen Radmantel trug, welcher mit schwarzem Samt ausgeschlagen war.
Diese derart feine Kleidung verlieh dem Schneider ein edles und romantisches
Aussehen, da auch seine langen schwarzen Haare und der Schnurrbart sehr
ordentlich gepflegt waren und da er blasse aber regelmäßige Gesichtszüge besaß.
Diese Eitelkeit war in seinen Alltag übergegangen, ohne dass er sich etwas
Schlimmes oder Betrügerisches dabei gedacht hätte. Viel lieber wollte er
einfach nur seinen eigenen Weg gehen und seine Arbeit ganz für sich und im
Stillen erledigen; denn lieber wäre er verhungert, als dass er sich von seiner
polnischen Pelzmütze getrennt hätte, auf die er ebenfalls sehr stolz war. Es ist
nur sehr umständlich, denn so konnte er nur in größeren Städten arbeiten, wo er
nicht so aus der Masse herausstach. Immer wenn er gerade wanderte, geriet er
in die größte Not, weil er meistens kein Geld dabei hatte. Wenn er wieder einmal
an einem Hause vorbeikam, waren die Leute dort sehr neugierig und verwundert
über ihn, und erwarteten nicht, dass er betteln würde. Aber weil er eine eher
stille Person war, konnte er den Leuten nicht erklären, warum er seinen edlen
Mantel trug und trotzdem Hunger litt.
Gottfried Keller
Name: Gottfried Keller
Geburtsort: Zürich (Schweiz)
Geburtstag: 19. Juli 1819
Todestag: 15. Juli 1890
Arbeit: Politiker, Dichter, Schriftsteller
Berühmte Werke: „Der grüne Heinrich“, „Die Leute von
Seldwyla“, „Romeo und Julia“, „Kleider machen Leute“,
„Regine“ und vieles mehr!
Vater: Rudolf Keller
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Mutter: unbekannt
Brüder/Schwester: Regula Keller
Gottfried Keller begann seine Karriere als Maler, dann schrieb er politische
Gedichte. Sein Leben schloss er als Schriftsteller ab, bekannt wurde er mit der
Literatur „Der grüne Heinrich“ und „Die Leute von Seldwyla“. Von 1861 bis 1876
war er Staatsschreiber der Republik Schweiz.
Lebensdaten
1819: Geburt im Haus „Zum goldenen Winkel“
1822: Geburt der Schwester Regula Keller
1824: Vater Rudolf Keller stirbt
1842: Fertigstellung des malerischen Hauptwerk „Heroische Landschaft“
1843-1848: Keller bringt viele Gedichte, Bücher und Artikel raus
1849: der Roman „Der grüne Heinrich“ erscheint
1853: Die Bände 1-3 des „Der grünen Heinrich“ werden ausgeliefert
1855: 4. Band vom „Der grünen Heinrich erscheint
1856: „Leute von Seldwyla“ erscheint
1861: Wahl zum Staatsschreiber
1864: Mutter stirbt
1864: Verleih der Ehrendoktorwürde der Universität
1873: Band 1-3 der Neuauflage „Leute von Seldwyla“ erscheint
1875: „Romeo und Julia auf dem Dorf“ erscheint
1876-1890: Freier Schriftsteller
Er schreibt viele Artikel für die „Deutsche Rundschau“
1890: Gottfried Keller stirbt
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Brief
Sehr geehrter Herr Gottfried Keller,
ich finde ihr Buch sehr gut gelungen.
Es sagt einem, dass man mit seiner Kleidung
viel mehr erreichen kann, als man eigentlich hat.
Es sagt aber auch, dass man diese Situation
nicht unbedingt annehmen sollte.
Wenn man die Situation doch annimmt,
sollte man es nicht mit Luxus und ähnlichem übertreiben.
Gruppenarbeit „Kleider machen Leute“
Belegen, dass es sich um eine Novelle handelt
Das Wort „Novelle“ kommt aus dem Lateinischen ( novus = neu) und dem
Italienischen ( novella = Neuigkeit).
Das Buch „Kleider machen Leute“ ist deshalb eine Novelle, weil es sich bei einer
Novelle um eine Erzählung kurzen bis mittleren Umfanges handelt, wie das hier
der Fall ist. Eine Novelle ist eine formal geschlossene Geschichte, das heißt, sie
hat eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss. Weiterhin ist sie
thematisch konzentriert, was bedeutet, dass sie gut nachvollziehbar ist und
keine Nebenhandlungen enthält. Eine Novelle erzählt von etwas, was sich so
zugetragen haben könnte und eher ungewöhnlich ist, als in der Realität.
Die Handlung einer Novelle spitzt sich meist bis zu einem Wendepunkt zu.
Der Wendepunkt im Buch passiert erst bei der Hochzeitsfeier, wo Wenzel als
Schneider entlarvt wird.
Diese Kriterien kann man alle dem Buch „Kleider machen Leute“, aus der
Erzählreihe „Die Leute von Seldwyla“, von Gottfried Keller zuordnen.
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Szene nachstellen
(1. und 2. Kapitel)
Der arme, arbeitslose Schneider Wenzel Strapinski ist auf dem Landweg von
Seldwyla nach Goldach. Er trägt vornehme Kleidung. Es ist die einzige, die er
besitzt..
Wenzel: (seufzend/spricht zu sich selbst) „Ach... Ich gehe schon den ganzen
Tag lang diese Straße entlang, die Füße tun mir schon so weh, ich habe Hunger
und jetzt fängt es auch noch zu regnen an.“ Doch auf einmal kommt eine edle
Kutsche vorbei.
Kutscher: „Seid gegrüßt Wanderer. Wohin des Weges?“
Wenzel: (niedergeschlagen) „Ich bin schon seit Tagen auf Wanderschaft nach
Goldach.“
Wenzel senkt die Augen und lässt den Kopf hängen.
Der Kutscher bekommt Mitleid.
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Kutscher: „Goldach liegt auf meinem Weg. Ich habe Platz in meiner Kutsche, da
mein edler Herr in Basel ist. Wenn ihr wollt, nehme ich sie mit.“
Wenzel: (kaum hörbar/bescheiden) „Danke.“
Der Schneider steigt in die Kutsche ein.
In Goldach angekommen wird Wenzel vom Wirt und von neugierigen,
schaulustigen Leuten in das Gasthaus „Zur Waage“ geführt.
Wirt: (verbeugend/geschäftig) „Grüßt euch edler Herr. Tretet sie doch ein.
Darf ich ihnen den Mantel abnehmen? Hier entlang der Herr! “
Er nimmt Wenzel den Mantel ab und führt ihn in den wohnlichen Speisesaal.
Wirt: (eifrig) „Der Herr wünscht zu speisen?
Gleich wird serviert. Es ist eben gekocht.“
Wenzel sagt kein Wort und setzt sich an den Tisch.
In der Zwischenzeit eilt der Wirt in die Küche und bespricht sich mit der
Köchin.
Wirt: (hektisch) „Wir haben einen reichen Gast bei uns! Los, Los! In drei
Teufels Namen! Und wir haben nichts anderes als Rindfleisch und Hammel.“
Köchin: „Dann nehmen wir eben die Rebhuhnpastete.“
Wirt: „Kommt nicht in Frage! Die ist für die Abendherren vorgesehen und
versprochen.“
Köchin: (zuckt mit den Schultern) „Ach was. Die kann man strecken und der Herr
wird schon nicht alles aufessen.“
Wirt: „Wohl denn! Da hat man ein Mal einen so edlen und vornehmen Herrn im
Haus und ist nicht vorbereitet. Aber keiner soll sagen können, der Wirt „Zur
Waage“ wäre ein schlechter und geiziger Mann, der einen vornehmen Gast nicht
zu bewirten wisse. Auf, auf…! Nur das Beste für den edlen Herrn!“
Bildergeschichte
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Aufgabenstellung/Wahl:
Einen Textauszug aus einer anderen Perspektive schreiben.
S.6-7 Aus der Sicht des Kutschers
Als der Kutscher den
feinen Herren (Wenzel
Strapinski) einlädt, ihn
ein Stück mitzunehmen
und der Schneider zusagt,
denkt der Kutscher
bewundernd über diesen
fremden Herren, der so
allein den weiten Weg auf
sich nimmt :“ was ist er
doch ein feiner Herr, so
zart und blass als wäre er ein Graf.“
Und ganz schüchtern hat er sich bedankt. Der kann kein schlechter Ausbeuter
sein. Sicherlich ist er auf der Suche nach einem ebenso feinem Fräulein, das ihm
ebenbürtig* ist. Und wo er da so zitternd und frierend vor mir stand, da musste
ich ihn einfach mitnehmen, so zerbrechlich und Mitleidserregend stand er ihn
Schnee. Und jetzt, wo er in der etwas wärmeren Kutsche sitzt, sieht er so
dankbar aus, das einem ganz warm ums Herz wird. Sicherlich wird er mir ein
kleines Trinkgeld als Dankeschön dalassen. Denn wie er so gekleidet ist, wirkt er
überaus vornehm. Einen schönen dunkelgrauen Radmantel hat er an, und ein
Sonntagskleid darunter, das er äußerst nett zu tragen weiß. Ja,ja, dies ist ein
feiner Herr, so wahr ich Kutscher dieses Wagens bin.
*ihn verdient hat
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Gruppenmitglieder
Das ist die Gruppenarbeit von: Barni, Moritz, Lukas, Hannah S., Hannah R.
Gruppe: Linda, Lisa, Natascha, Elif und Vanessa
Kapitel 3/4
Autorenporträt
-Gottfried Keller-
Gottfried Keller wird am 19. Juli 1819 in Zürich geboren.
Bereits 1824 stirbt sein Vater, der Drechslermeister Hans-Rudolf Keller. Von
1825-1831 besucht er die Armenschule, dann das Landknabeninstitut auf der
Stüssihofstatt, ab 1833 die kantonale Industrieschule, von der er im Juli 1834
wegen eines Streiches verwiesen wird. Er schließt sich einer kurzen Lehre bei
dem Lithographen und Vedutenmaler Peter Steiger an, dem ,,Habersaat“ des
Grünen Heinrich. Von November 1837 bis März 1838 erhält er bezahlten
Unterricht von dem Kunstmaler Rudolf Meyer. Im April 1840 reist er zur
weiteren künstlerischen Ausbildung nach München, doch dort wird er nicht
glücklich. Im November 1842 kehrt er deshalb ernüchtert nach Zürich zurück.
Bis 1848 lebt er bei seiner Mutter. Im Mai 1849 ist Keller in Heidelberg
Augenzeuge der Rückzugskämpfe der badischen Revolutionäre. Von 1861-1876
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ist er im Amt des Staatsschreibers der Republik Zürich. Im Mai 1866 verlobt
sich Gottfried Keller mit der Pianistin Luise Scheidegger, wenige Wochen
danach, nimmt sich diese das Leben.
Gottfried Keller stirbt am 15. Juli 1890.
Seine bekanntesten Werke sind der Roman ,,Der grüne Heinrich“ und der
Novellenzyklus ,,Die Leute von Seltwyla“. Keller gilt als Meister der
Novellendichtung und als einer der bedeutendsten Erzähler des bürgerlichen
Realismus.
Brief an den Autor
Lieber Gottfried Keller,
Wir schreiben Ihnen diesen Brief, da wir Ihnen unsere Meinung über das Buch ,,
Kleider machen Leute " mitteilen und Ihnen ein paar Fragen dazu stellen wollten.
Uns hat das Buch sehr gut gefallen, nur die Sprache war für uns nicht so leicht
zu verstehen. Das Buch hat viele Fassetten zu bieten. Es ist mal spannend aber
auch traurig und leidenschaftlich. Wir fanden die Stelle am besten wo Wenzel
seine Gefühle für Nettchen erkennt. Wie kamen sie überhaupt auf die Idee so
ein Buch zu schreiben? Über einen Antwortbrief würden wir uns sehr freuen.
Kapitelzusammenfassung
„Kleider machen Leute“ Kapitel 4 Seite 16-22
In dem Kapitel „Bekanntschaft mit den Herren“ aus der Novelle „Kleider machen
Leute“ geht es darum, dass der Schneider im Gasthof „Zur Waage“ die
wohlhabenden Herren der Stadt Goldach kennenlernt.
Nachdem der Schneider gegessen hat, treffen die Herren ein, um ihren Kaffee
zu trinken und das tägliche Spielchen zu machen. Sie laden Wenzel ein, um mit
ihm um eine Flasche Wein zu würfeln.
Nach einer Weile schlagen die Herren Strapinski vor, zum Haus des Amtsrates
zu fahren, um einen Wein zu kosten. Als sie nach einer kurzen Kutschfahrt dort
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ankommen, trinken sie den Wein und teilen sich in zwei Partien auf um zu spielen.
Der Schneider lehnt aus verschiedenen Gründen ab mitzuspielen und setzt sich
zwischen die Herren, um erst einmal zuzugucken. Als das nächste Spiel an der
Reihe ist, kann Wenzel Strapinski keinen Einsatz zahlen, weil er kein Geld
besitzt. Melcher Böhni setzt für den Schneider einen Taler. Nach kurzen
Startproblemen findet er sich in das Spiel hinein und gewinnt etwas Geld. Mit
dem Geld möchte Strapinski das Mittagsmahl bezahlen.
Figurenbeschreibung
Die Hauptfigur im Buch "Kleider machen Leute" ist ein arbeitsloser
Schneidergeselle, dessen Name zunächst unbekannt ist. Die Schneiderei, in der
er arbeitet, ging bankrott "Denn er hatte wegen des Falliments irgendeines...!,(S.
5 Z.10-13) und so verliert er mit seiner Arbeit auch seinen Lohn und wandert nun
nach Goldach um dort Arbeit zu finden.
Bekleidet ist er mit einem schwarzen Sonntagsanzug und einem grauen, mit
schwarzem Samt gefütterten Radmantel sowie einer polnischen Pelzmütze aus
seinem Heimatland. Er hat langes, gepflegtes, schwarzes Haar und einen
Schnurrbart (vgl. S.5 Z.20-24) "Außerdem verfügt er über blass[e], aber
regelmäßige Gesichtszüge" (S.5 Z.23-24) und "ein edles und romantisches
Aussehen" (S.5 Z.21-22).
Der gelernte Schneider ist ein schüchterner, zurückgezogener Mann, der gerne
im Stillen seine Arbeit erledigt anstatt aufzufallen. Er ist sehr eitel. Das
erkennt man daran, dass er sich gern gut kleidet. Dieses wird ihm jedoch zum
Verhängnis, da es nicht zu seinen eigentlichen Lebensumständen passt, weil er
sehr arm ist. Er versucht in großen Städten Arbeit zu finden, damit er nicht zu
sehr auffällt (vgl. S.6 Z.4-5). Zwischendurch nimmt er es auch in Kauf zu
hungern, da es ihm seine äußere Erscheinungex nicht möglich macht zu betteln
(vgl. S.6 Z. 7-10). Er würde lieber verhungern, anstatt seine Kleidung zu verlieren
(vgl.S.3 Z.28-29). Er ist schüchtern, fällt nicht gerne auf und ist schnell
verwirrt. Er verhält sich vornehm und freundlich
(vgl. s.20 z.18).
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Kapitelübersetzung
Während dieser umständlichen Zubereitungen befand sich der Schneider in der
peinlichsten Angst, da der Tisch mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde, und so
hieß sich der ausgehungerte Mann vor kurzem noch nach einiger Nahrung
gesehnt hatte, so ängstlich wünschte er jetzt der drohenden Mahlzeit zu
entfliehen. Endlich fasste er sich einen Mut, nahm seinen Mantel um, setzte die
Mütze auf und begab sich hinaus, um den Ausweg zu gewinnen. Da er aber in
seiner Verwirrung und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht gleich fand, so
glaubte der Kellner, den der Teufel beständig umhertrieb, jener suchte eine
gewisse Bequemlichkeit, rief:"Erlauben Sie gefälligst, mein Herr, ich werde
Ihnen den Weg weisen!", und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend
anders endigte als vor einer schön lackierten Türe, auf welcher eine zierliche
Inschrift angebracht war. Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch, sanft
wie ein Lämmlein, dort hinein und schloss ordentlich hinter sich zu. Dort lehnte
er sich bitterlich seufzend an die Wand und wünschte der goldenen Freiheit der
Landstraße wieder teilhaftig zu sein, welche ihm jetzt, so schlecht das Wetter
war, als das höchste Glück erschien. Doch verwickelte er sich jetzt in die erste
selbsttätige Lüge, weil er in dem verschlossen Raume ein wenig verweilte, und er
betrat hiemit den abschüssigen Weg des Bösen.
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Standbild
Während vor dem Schneider so vornehm gedeckt wurde, bekam er sehr große
Angst. Und obwohl Strapinski so hungrig war, wünschte er sich jetzt aus dem
Restaurant flüchten zu können. Da nahm er sich auch schon seine Sachen und
suchte den Ausgang. Doch er fand ihn nicht und wurde von einem Kellner zur
Toilette geführt. Also ging der Schneider auf die Toilette und schloss hinter
sich zu. Dort setzte er sich auf den Boden und wünschte sich wieder auf die
Landstraße zurück auch wenn das Wetter so schlecht war.
So begann seine erste Lüge und er betrat den Weg des Bösen...
Gruppe
Kapitel 5/6
Gruppe Tim, Levin, Jana Elisa, Karolina, Carina Kapitel:7/8
Die Spielszene
Wir haben uns die Szene ausgesucht, als Nettchen Wenzel wiederfindet. Levin
spielt Wenzel und Tim spielt Nettchen.
Als Nettchen Wenzel am Wegesrand liegen sieht steigt sie aus...
Nettchen: Ein Glück da vorne liegt er.
Nettchen: geht zu ihm rüber und beugt sich über ihn und erkennt, das er in
Lebensgefahr schwebt. Sie sprach ihn an...
Nettchen: Wenzel, Wenzel!
Er Antwortete nicht, aber sie hörte ihn schwach atmen.
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Sie rieb ihm Schnee ins Gesicht. Kurze Zeit später richtet er sich auf und
erkannte seine Retterin.
Wenzel: Verzeih mir!, Verzeih mir!
Nettchen: Komm mit fremder Mensch! Ich werde mit dir sprechen und dich
fortschaffen!
Sie winkte ihm, in den Schlitten zu steigen, als er in dem Schlitten war, fuhr sie
stumm los.
Eine Novelle
Als Gattung lässt sich eine Novelle nur schwer definieren. Der begriff „Novelle“
weist auf Neuheiten hin. Häufig wird auch der Bezug zur italienischen
Renaissance-Kirche Santa Maria Novella angeführt, der auf die Zeit der
Entstehung schließen lässt .Eine Novelle ist eine Erzählung von kürzerer bis
mittlerer Länge. Oft wird darin ein Konflikt zwischen Ordnung und Chaos
beschrieben, was zu einem Normenbruch und Einmaligkeit führt. Erzählt wird in
der Regel ein einziges Ereignis.Novellen sind in der Regel sehr klar strukturiert
und verfügen über eine geschlossene Form In vielen Novellen hat auch der Zufall
eine zentrale Bedeutung. Diese Fakten legen da das dass Buch „Kleider machen
Leute“ um eine Novelle handelt.
Figurenbeschreibung
--Der Schneider-In der Novelle Kleider machen Leute ist die Hauptfigur ein armer Schneider
dessen Name zunächst unbekannt bleibt.
Er ist wegen des Bankrotts seines Meisters auf der Straße. Er hat seinen
letzten Lohn nicht bekommen. Er geht von Seldwyla in die größere Stadt Goldach
um dort Arbeit zu finden.Er hat nur einen schwarzem Sonntagsanzug und einen
grauen mit schwarzem Samt gefütterten Radmantel sowie einer polnischen
Pelzmütze(vgl.S 5,Z. 18-20). Der Schneider hat lange schwarze Haare und einen
gepflegten Schnurrbart(vgl.S.5,Z.20-24). Er hat ein edles und romantisches
Aussehen(vgl.S.5,Z.21-22).
Der Schneider ist ein zurückhaltender Mensch,der seine Arbeit eher im Stillen
verrichtet(vgl.S.5,Z.28-29).
Trotz seiner schüchternen Art , kleidet er sich edel und vornehm, was ihm aber
beim betteln ein Verhängnis ist.
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,,Aber lieber wäre er verhungert als dass er sich von seinem Radmantel und
seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte“(S.5-6.Z29-1). Als er im Gasthof
ist , er anders reagieren sollen, doch aus Gehorsamkeit sagt er immer nur ja
statt Nein.(S.12.Z20-21).
Der Innere Monolog
7.10.11
- aus der Sicht von Nettchen Auf der Verlobungsfeier sah Nettchen sehr glücklich aus und war es auch:
Endlich sind wir verlobt, ich möchte ihm jetzt am liebsten sagen, wie sehr ich ihn
liebe, aber nur, wenn wir alleine sind. Am liebsten möchte ich jetzt auf einer
Wiese liegen, nur mit Wenzel und den Sonnenuntergang betrachten und dann
küsst er mich, das wäre so schön. Ich bin gerade der glücklichste Mensch der
Welt.
Da kam raus, dass Wenzel in Wirklichkeit gar kein Graf ist, sondern ein
armer Schneider. Alle waren sehr überrascht, natürlich auch Nettchen:
Wenzel ist ein Schneider?! Wieso hat er mir nichts gesagt, stattdessen lügt er
mich an und behauptet, er wäre ein Graf, ein Adeliger, ein feiner Herr! Was tue
ich denn jetzt? Er hat mich angelogen.Was passiert jetzt mit uns? Liebt er mich
etwa nicht? Wo ist er denn jetzt hin? Er ist weg! Vielleicht schämt er sich ja,
aber deswegen hätte er mich doch nicht anlügen und auch nicht wegrennen
müssen. Wieso hat er es mir nicht vorher gesagt, dann wäre das alles nicht
passiert. Was tue ich denn jetzt? Was sagen denn die anderen, vor allem mein
Vater, er wird bestimmt sagen, ich soll einen reichen adeligen Grafen heiraten,
aber doch keinen armen Schneider. Mein Vater wird es bestimmt nicht erlauben,
er will doch, dass ich einen Mann mit viel Geld und einem hohen Stand heirate
und ein Schneider, der hat doch kaum Geld. Wie soll er mich dann versorgen,
das würde bestimmt mein Vater sagen. Was wird denn jetzt mit mir und Wenzel
passieren? Ich liebe ihn doch und ich will ihn nicht verlieren, aber andererseits
hat er mich und alle anderen angelogen. Nein! Ich liebe ihn, egal was er ist, ich
muss ihn suchen, bevor es zu spät ist! Hoffentlich ist ihm nichts passiert, ich
muss ihn jetzt sofort suchen!
Nun begibt sich Nettchen auf die Suche nach ihrem Verlobten, Wenzel:
Wo ist er denn? Ich finde ihn nicht, aber muss ihn finden. Warte, ist er das da
im Schnee? Ja, er ist es! Und es geht ihm gut! Ich liebe ihn und es ist mir egal
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was die anderen sagen. Ich möchte ihn heiraten und mit ihm alt werden, in einem
großen Haus leben und Kinder von ihm haben. Alles andere ist mir egal.
Hauptsache ich bin für den Rest meines Lebens mit ihm zusammen, bis ich
sterbe. Er ist der perfekte Mann für mich, wenn irgendjemand etwas gegen
unsere Liebe hat, ist es mir egal. Ich liebe Wenzel mehr als alles andere auf der
Welt und da wird sich nichts ändern. Ich bin so glücklich, aber ich will nicht,
dass er mir noch etwas verschweigt, denn dann werde ich ihm nicht noch einmal
verzeihen, denn das kann ich nicht , aber ich bin mir sicher, dass es alles gut
wird und dass wir von vorne anfangen werden.
Einen Textauszug aus einer andern Perspektive
Aus der Perspektive von den jüngeren des Hauses Pütschli-Nievergelt, aus dem
7. Kapitel:
Der Graf Strapinski hatte in diesem Kapitel vor den Herren und Nettchen ein
polnisches Lied vorgesungen und dieses hatte er gerade beendet...
„Bravo!Bravo“,riefen die Herren der Sohn des Hauses Häberlin, Herr
Melcher Böhni und ich,mit den Händen klatschend und Nettchen sagte
gerührt:,,Ach,das Nationale ist immer so schön!“Jedoch eine
Übersetzung brauchten wir alle nicht.
Mit dem Überschreiten solcher Höhepunkte der Unterhaltung brachen wir
feinen Herren und Damen auf,den Graf Strapinski brachten wir eingepackt
und sorgfältig nach Goldach zurück,vorher hatte er versprechen müssen
nicht ohne Abschied
davonzureisen. Im Gasthof haben wir alle noch ein Glas Punsch genommen,
jedoch Srapinski war erschöpft und verlangte nach dem Bett.Der Wirt
brachte Strapinski in seine Schlafkammer und wir Herren und Nettchen
blieben noch sitzen und tranken in ruhe unseren Punsch. Schon seltsam der
Graf Strapinski, aber echt ein netter Bursche.
Einen Textauszug abschreiben und in die heutige Sprache übersetzen
An demselben Tage nun begab sich Strapinski auf einen stattlichen Ball,zu dem
er geladen war.In tiefes,einfaches schwarz gekleidet erschien er und
verkündete sogleich den ihn Begrüßenden,dass er genötigt sei zu verreisen.In
zehn Minuten war die Nachricht der ganzen Versammlung bekannt,und
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Nettchen ,deren Anblick Strapinski suchte,schien wie erstarrt ,seinen Blicken
auszuweichen ,bald rot,bald blass werdend.Dann tanzte sie mehrmals
hintereinander mit jungen Herren ,setzte sich zerstreut und schnell atmend und
schlug eine Einladung des Polen,der endlich herangetreten war,mit einer kurzen
Verbeugung aus,ohne ihn anzusehen.
Am selben Tag ging Strapinski auf einen stattlichen Ball ,zu dem er eingeladen
war.In einem Tiefschwarzen gekleideten Anzug erschien er auf dem Ball und
verkündete den Leuten gleich das er verreisen möchte.In zehn Minuten war die
Nachricht der ganzen Versammlung bekannt und Strapinski der Nettchen
suchte,sah das sie ihren Blicken ausweichte. Dann tanzte sie mehrmals
hintereinander mit jungen Herren.Sie setzte sich zerstreut und schnell atmend
hin und nahm die Einladung des Polen an ,der endlich zu ihr kam mit einer kurzen
Verbeugung,ohne ihn anzusehen.
Kapitalzusammenfassung
„Wenzels Flucht“
In dem Kapitel „Wenzels Flucht“ aus der Novelle „Kleider machen Leute“ von
Gottfried Keller geht es darum, dass Wenzels Geheimnis enthüllt wird.
Wenzel und Nettchen fahren in der Kutsche durch die
Straßen Goldachs. Sie kommen an einem Wald vorbei
aus dem Gesänge zu hören sind. Sie steigen aus, da
Nettchen ihnen gerne zuhören möchte. Die Leute singen
über Wenzels Situation und bald wird auch Nettchen klar,
dass es um Wenzel geht, es kommt raus er er kein Graf ist sondern ein
Schneider. Wenzel flüchtet vor Scham
und Nettchen folgt ihm, um ihn zu suchen.
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Standbild
22
Gruppe:
Kapitel 9/10
Einen Brief am den Autoren
Herr Keller,
Wir finden ihr Buch Kleider machen Leute gut/schlecht.Weil uns das Buch gut/
schlecht finden.Wir würden deshalb das Buch weiter empfehlen/nicht weiter
empfehlen, weil es sehr gut/schlecht ist.Wir würden noch/würden nicht mehr
Bücher von ihnen lesen.
Figurenbeschreibung von Nettchen
Die Figurenbeschreinung
Nettchen ist die zweite Hauptfigur im Novolle Kleider machen Leute, und die
Tochter vom Amtsrat(vgl. S.23 Z.18-19).
In Nettchens Kleidung sieht man den hohen Beruf ihres Vaters, denn sie ist:
„ äußerst prächtig, etwas stutzerhaft gekleidet und mit Schmuck reichlich
verziert“(S. 23 Z.20-22), trägt häufig einen Schleier(vgl.S.33 Z.1, S. 40 Z.6, S.
51 Z.9) und hat Locken(vgl. S.64 Z.14). Ihre Kleidung ist insgesamt schwer zu
beschreiben, da sie ihre Kleidung von Stelle zu Stelle wechselt.
Der Autor hebt mit folgender Aussage hervor, dass Nettchen allgemein einen
schönen Körper hat: „(...)die schlanke, stolze, schneeweiße Gestalt des Mädchens
(...)“(S.40 Z.23), und wird allgemein als schön beschrieben: „Als die einsame
schöne...“(S.54 Z.16).
Sie kann ein Pferd lenken, das wird nach der misslungenen Hochzeit(S.46-50)
gezeigt:“(…) ging sie festen Schrittes voran nach dem Hofe, wo der Schlitten
mit den ungeduldigen, wohlgefütterten Pferden bereitstand (…) nahm rasch
darin Platz, ergriff das Leitseil und die Peitsche (…) und fuhr auf die Landstraße
hin“(S.51 Z.22-29,S.52 Z.1).
Viele Verehrer hat Nettchen, darunter der Buchhalter Melchor Bhöni(vgl. S.28
Z.16, S.21 Z.7), der sehr erfreut ist als Strapinskis Grafendasein aufgedeckt
wird. Sie zeigt sich aber gegenüber Melchor unberührt, denn:“ Schon als
Schulkind behauptete sie fortwährend, nur einen Italiener oder einen Polen,
einen großen Pianisten oder einen Räuberhauptmann mit schönen Locken heiraten
zu wollen“(S.38 Z.10-13)
Das sie Wenzel wirklich liebt, sollte jedem beim lesen des Buches aufgefallen
sein, und auf Seite 64 Zeile 19-24 wird das endgültig klar. Sie überzeugt
Wenzel, den armen Schneider, nach Seldwyla zu gehen und die Zusammenkunft
öffentlich zu machen, wogegen viele Leute sind. Zum Schluss akzeptieren die
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Leute die Heirat und Wenzel wird erfolgreicher Geschäftsmann mit vielen
Kindern.
Kapitelzusammenfassung:
In den zwei letzten Kapiteln in der Novelle „Kleider machen Leute“ fliegt
Strapinzki auf und alle wissen das er ein Schneider ist, ging Strapinski fort.
Nach einer Weile findet Nettche ihn und sie beschlossen auf dem Bauernhof
einer bekannten zu reden. Bei der Aussprache erklärt Strapinski Nettchen
warum er die ganze Zeit gelogen hat und wie sein Leben in Wirklichkeit ist.
Nachdem Nettchen sich alles anhört, verzeiht sie ihm und sie beschlossen doch
zu heiraten und glücklich zu werden. Dann wurde eine richtige Verlobungsfeier
gefeiert.
Vorerst mussten sie jedoch noch ihren Freunden und der Familie diese
Nachricht überbringen.
Erst sind die meisten gegen diese Entscheidung und spotteten über sie, aber
Nettchen will Strapinski unbedingt heiraten, deswegen stimmten die meisten
dann doch noch zu. Nettchen bekam das Erbe ihrer verstorbenen Mutter und
Strapinzki machte große Geschäfte als Tuchherr. Nettcehn bekam viele Kinder
und Nachdem sie viel Jahre in Seldwylar verbracht hatten gingen sie zurück
nach Goldach, wo der Schneider inzwischen auch wieder von allen akzeptiert und
nett behandelt wird. Beide lebten glücklich bis an ihr Lebensende.


Innerer Monolog
Von Hasti und Judy
aus der Sicht von Strapinski
Nachdem Strapinski Nettchen sein wahre Identität
gebeichtet hat, macht er sich Gedanken:
Was denkt sie jetzt von mir? Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt noch sagen
soll. Mir fällt nichts mehr ein, mir fehlen einfach die Worte.
Liebt sie mich überhaupt noch? Was ist, wenn sie mich nur als Graf Strapinski
mag? Aber Graf Sprapinski gibt es nicht und es wird ihn auch nie mehr geben.
Und jetzt? Ohne sie kann ich mir kein Leben mehr vorstellen! Was soll ich jetzt
noch tun? So fühlt sich also Verzweiflung an, als ob ich irgendwo eingeschlossen
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wäre und es nirgends einen Ausweg gibt. Ich hätte mit ihr so ein schönes Leben
haben können. Wir hätten heiraten, Kinder und ein großes Haus haben können.
Das Leben mit meinem Nettchen wäre so ein schöner Traum. Aber was ist, wenn
sie mich jetzt hasst? All das würde dann nie geschehen und ich wäre wieder ganz
alleine auf dieser Welt. Hätte ich bloß nicht mit dieser Lüge angefangen, dann
wäre ich nie in so einer Situation! Wäre ich bloß ehrlich gewesen, das hat man
nun davon. Aber ich soll auch nicht ständig über die Fehler der Vergangenheit
nachdenken, nur in der Gegenwart kann man was ausrichten und Dinge verändern.
Ich hoffe, dass sie mir verzeihen kann und sie mich dann so liebt, wie ich sie
liebe - und wir ein glückliches Leben zusammen haben können.
Was ist eine Novelle?
Eine Novelle ist meist ein Drama muss aber kein Drama sein.
Jede Novelle ist meist eine Kurz Geschichte die einen wahren Kern einhält.
Die Novelle hat immer ein Haupt Drama oder einen Schwerpunkt worum es nur in
der Geschichte geht, in der Geschichte „Kleider machen Leute“ ist die Haupt
Geschichte das Wenzel sich als feiner Heer ausgibt und es dann am ende doch
aufliegt, darum geht es in der ganzen Novelle.
Bei einer Novelle wird am ende immer eine Lösung gefunden.
Kapitel 9-10: Nettchen und Strapinski auf dem Bauernhof
Aus der Sicht von Strapinski
Aus einer anderen Perspektive
Ich sitze seit dem Anfang der Fahrt neben Nettchen und habe seitdem
nichts gesagt. Als ein Peitschenhieb erklingt, bin ich aus meinem
Halbschlaf aufgewacht und sehe einen Bauernhof mit Lichtern hinter
kleinen Fenstern, wo gerade eine Frau herausguckt.
Als Nettchen ,, Ich bin's nur, wir sind's !“ ruft, kommt die Bäuerin raus
und begrüßt uns beide und ich wundere mich, woher sie mich kennt. Als
wir in die Stube eintreten und die Bäuerin den Kaffee macht, sagt
Nettchen zu ihr das sie uns alleine lassen soll. Als der Kaffee fertig ist,
sagt Nettchen zu mir, ich solle den Kaffee trinken. Also trinke ich ihn
eher aus Gehorsamkeit als von alleine. Nach dem Kaffeetrinken, reden wir
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über meine Vergangenheit, da Nettchen mich danach gefragt hat. Ich
erzähle ihr, dass meine Mutter mich vornehm gekleidet hat. Als ich vom
Militärdienst wiederkam, starb meine Mutter. Ich erzähle ihr von dem
Kutscher, der mich mitgenommen hat und der Verwechslung im Gasthof,
und schließlich, wie ich mich dem Grafendasein hingab. Nach dem langen
Gespräch fällt sie mir um den Hals, und sagt, dass sie mich liebt, und dass
sie mich nicht verlassen will.
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Kleider machen Leute von Gottfried Keller
An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der
Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla
entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in
Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte
wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihm ordentlich von diesem
Drehen und Reiben. Denn er hatte wegen des Fallimentes irgendeines Seldwyler
Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern
müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund
geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagbrot herwachsen sollte. Das
Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem
schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel
trug, mit schwarzem Sammet ausgeschlagen, der seinem Träger ein edles und romantisches
Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig
gepflegt waren und er sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.
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Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne daß er etwas Schlimmes oder
Betrügerisches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur
gewähren und im stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als daß er
sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er
ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wußte.
Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er
wanderte und keine Ersparnisse mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem
Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde und erwarteten eher
alles andere, als daß er betteln würde; so erstarben ihm, da er überdies nicht beredt war, die
Worte im Munde, also daß er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, so schwarz
wie des letzteren Sammetfutter.
Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhe hinaufging, stieß er auf einen neuen und
bequemen Reisewagen, welchen ein herrschaftlicher Kutscher in Basel abgeholt hatte und
seinem Herrn überbrachte, einem fremden Grafen, der irgendwo in der Ostschweiz auf einem
gemieteten oder angekauften alten Schlosse saß. Der Wagen war mit allerlei Vorrichtungen
zur Aufnahme des Gepäckes versehen und schien deswegen schwer bepackt zu sein, obgleich
alles leer war. Der Kutscher ging wegen des steilen Weges neben den Pferden, und als er,
oben angekommen, den Bock wieder bestieg, fragte er den Schneider, ob er sich nicht in den
leeren Wagen setzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen, und er hatte mit einem Blicke
gesehen, daß der Fußgänger sich matt und kümmerlich durch die Welt schlug.
Derselbe nahm das Anerbieten dankbar und bescheiden an, worauf der Wagen rasch mit ihm
von dannen rollte und in einer kleinen Stunde stattlich und donnernd durch den Torbogen von
Goldach fuhr. Vor dem ersten Gasthofe, ›Zur Waage‹ genannt, hielt das vornehme Fuhrwerk
plötzlich, und alsogleich zog der Hausknecht so heftig an der Glocke, daß der Draht beinahe
entzweiging. Da stürzten Wirt und Leute herunter und rissen den Schlag auf; Kinder und
Nachbarn umringten schon den prächtigen Wagen, neugierig, welch ein Kern sich aus so
unerhörter Schale enthüllen werde; und als der verdutzte Schneider endlich hervorsprang in
seinem Mantel, blaß und schön und schwermütig zur Erde blickend, schien er ihnen
wenigstens ein geheimnisvoller Prinz oder Grafensohn zu sein. Der Raum zwischen dem
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Reisewagen und der Pforte des Gasthauses war schmal und im übrigen der Weg durch die
Zuschauer ziemlich gesperrt. Mochte es nun der Mangel an Geistesgegenwart oder an Mut
sein, den Haufen zu durchbrechen und einfach seines Weges zu gehen - er tat dieses nicht,
sondern ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe hinangeleiten und bemerkte seine neue
seltsame Lage erst recht, als er sich in einen wohnlichen Speisesaal versetzt sah und ihm sein
ehrwürdiger Mantel dienstfertig abgenommen wurde.
»Der Herr wünscht zu speisen?« hieß es. »Gleich wird serviert werden, es ist eben gekocht!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, lief der Waagwirt in die Küche und rief: »In's drei Teufels
Namen! Nun haben wir nichts als Rindfleisch und die Hammelkeule! Die Rebhuhnpastete
darf ich nicht anschneiden, da sie für die Abendherren bestimmt und versprochen ist. So geht
es! Den einzigen Tag, wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, muß ein solcher Herr
kommen! Und der Kutscher hat ein Wappen auf den Knöpfen, und der Wagen ist wie der
eines Herzogs! Und der junge Mann mag kaum den Mund öffnen vor Vornehmheit!«
Doch die ruhige Köchin sagte. »Nun, was ist denn da zu lamentieren, Herr? Die Pastete tragen
Sie nur kühn auf, die wird er doch nicht aufessen! Die Abendherren bekommen sie dann
portionenweise; sechs Portionen wollen wir schon noch herauskriegen!«
»Sechs Portionen? Ihr vergeßt wohl, daß die Herren sich sattzuessen gewohnt sind!« meinte
der Wirt, allein die Köchin fuhr unerschüttert fort: »Das sollen sie auch! Man läßt noch
schnell ein halbes Dutzend Kotelettes holen, die brauchen wir sowieso für den Fremden, und
was er übrigläßt, schneide ich in kleine Stückchen und menge sie unter die Pastete, da lassen
Sie nur mich machen!«
Doch der wackere Wirt sagte ernsthaft: »Köchin, ich habe Euch schon einmal gesagt, daß
dergleichen in dieser Stadt und in diesem Hause nicht angeht! Wir leben hier solid und
ehrenfest und vermögen es!«
»Ei der Tausend, ja, ja!« rief die Köchin endlich etwas aufgeregt. »Wenn man sich denn nicht
zu helfen weiß, so opfere man die Sache! Hier sind zwei Schnepfen, die ich den Augenblick
vom Jäger gekauft habe, die kann man am Ende der Pastete zusetzen! Eine mit Schnepfen
gefälschte Rebhuhnpastete werden die Leckermäuler nicht beanstanden! Sodann sind auch die
Forellen da, die größte habe ich in das siedende Wasser geworfen, wie der merkwürdige
Wagen kam, und da kocht auch schon die Brühe im Pfännchen; so haben wir also einen Fisch,
das Rindfleisch, das Gemüse mit den Kotelettes, den Hammelbraten und die Pastete; geben
Sie nur den Schlüssel, daß man das Eingemachte und das Dessert herausnehmen kann! Und
den Schlüssel könnten Sie, Herr, mir mit Ehren und Zutrauen übergeben, damit man Ihnen
nicht allerorten nachspringen muß und oft in die größte Verlegenheit gerät!«
»Liebe Köchin, das braucht Ihr nicht übelzunehmen! Ich habe meiner seligen Frau am
Todbette versprechen müssen, die Schlüssel immer in Händen zu behalten; sonach geschieht
es grundsätzlich und nicht aus Mißtrauen. Hier sind die Gurken und hier die Kirschen, hier
die Birnen und hier die Aprikosen; aber das alte Konfekt darf man nicht mehr aufstellen;
geschwind soll die Liese zum Zuckerbeck laufen und frisches Backwerk holen, drei Teller,
und wenn er eine gute Torte hat, soll er sie auch gleich mitgeben!«
»Aber Herr! Sie können ja dem einzigen Gaste das nicht alles aufrechnen, das schlägt's beim
besten Willen nicht heraus!«
»Tut nichts, es ist um die Ehre! Das bringt mich nicht um; dafür soll ein großer Herr, wenn er
durch unsere Stadt reist, sagen können, er habe ein ordentliches Essen gefunden, obgleich er
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ganz unerwartet und im Winter gekommen sei! Es soll nicht heißen wie von den Wirten zu
Seldwyl, die alles Gute selber fressen und den Fremden die Knochen vorsetzen! Also frisch,
munter, sputet Euch allerseits!«
Während dieser umständlichen Zubereitungen befand sich der Schneider in der peinlichsten
Angst, da der Tisch mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde, und so heiß sich der
ausgehungerte Mann vor kurzem noch nach einiger Nahrung gesehnt hatte, so ängstlich
wünschte er jetzt, der drohenden Mahlzeit zu entfliehen. Endlich faßte er sich einen Mut,
nahm seinen Mantel um, setzte die Mütze auf und begab sich hinaus, um den Ausweg zu
gewinnen. Da er aber in seiner Verwirrung und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht
gleich fand, so glaubte der Kellner, den der Teufel beständig umhertrieb, jener suche eine
gewisse Bequemlichkeit, rief: »Erlauben Sie gefälligst, mein Herr, ich werde Ihnen den Weg
weisen!« und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend anders endigte als vor einer
schön lackierten Türe, auf welcher eine zierliche Inschrift angebracht war.
Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch, sanft wie ein Lämmlein, dort hinein und
schloß ordentlich hinter sich zu. Dort lehnte er sich bitterlich seufzend an die Wand und
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wünschte der goldenen Freiheit der Landstraße wieder teilhaftig zu sein, welche ihm jetzt, so
schlecht das Wetter war, als das höchste Glück erschien.
Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbsttätige Lüge, weil er in dem verschlossenen
Raume ein wenig verweilte, und er betrat hiermit den abschüssigen Weg des Bösen.
Unterdessen schrie der Wirt, der ihn gesehen hatte im Mantel dahin gehen: »Der Herr friert!
Heizet mehr ein im Saal! Wo ist die Liese, wo ist die Anne? Rasch einen Korb Holz in den
Ofen und einige Hände voll Späne, daß es brennt! Zum Teufel, sollen die Leute in der
›Waage‹ im Mantel zu Tisch sitzen?«
Und als der Schneider wieder aus dem langen Gange hervorgewandelt kam, melancholisch
wie der umgehende Ahnherr eines Stammschlosses, begleitete er ihn mit hundert
Komplimenten und Handreibungen wiederum in den verwünschten Saal hinein. Dort wurde er
ohne ferneres Verweilen an den Tisch gebeten, der Stuhl zurechtgerückt, und da der Duft der
kräftigen Suppe, dergleichen er lange nicht gerochen, ihn vollends seines Willens beraubte, so
ließ er sich in Gottes Namen nieder und tauchte sofort den schweren Löffel in die
braungoldene Brühe. In tiefem Schweigen erfrischte er seine matten Lebensgeister und wurde
mit achtungsvoller Stille und Ruhe bedient.
Als er den Teller geleert hatte und der Wirt sah, daß es ihm so wohl schmeckte, munterte er
ihn höflich auf, noch einen Löffel voll zu nehmen, das sei gut bei dem rauhen Wetter.
Nun wurde die Forelle aufgetragen, mit Grünem bekränzt, und der Wirt legte ein schönes
Stück vor. Doch der Schneider, von Sorgen gequält, wagte in seiner Blödigkeit nicht, das
blanke Messer zu brauchen, sondern hantierte schüchtern und zimperlich mit der silbernen
Gabel daran herum. Das bemerkte die Köchin, welche zur Türe hereinguckte, den großen
Herrn zu sehen, und sie sagte zu den Umstehenden: »Gelobt sei Jesus Christ! Der weiß noch
einen feinen Fisch zu essen, wie es sich gehört, der sägt nicht mit dem Messer in dem zarten
Wesen herum, wie wenn er ein Kalb schlachten wollte. Das ist ein Herr von großem Hause,
darauf wollt' ich schwören, wenn es nicht verboten wäre! Und wie schön und traurig er ist!
Gewiß ist er in ein armes Fräulein verliebt, das man ihm nicht lassen will! Ja, ja, die
vornehmen Leute haben auch ihre Leiden!«
Inzwischen sah der Wirt, daß der Gast nicht trank, und sagte ehrerbietig: »Der Herr mögen
den Tischwein nicht; befehlen Sie vielleicht ein Glas guten Bordeaux, den ich bestens
empfehlen kann?«
Da beging der Schneider den zweiten selbsttätigen Fehler, indem er aus Gehorsam ja statt
nein sagte, und alsobald verfügte sich der Waagwirt persönlich in den Keller, um eine
ausgesuchte Flasche zu holen; denn es lag ihm alles daran, daß man sagen könne, es sei etwas
Rechtes im Ort zu haben. Als der Gast von dem eingeschenkten Weine wiederum aus bösem
Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, lief der Wirt voll Freuden in die Küche, schnalzte
mit der Zunge und rief: »Hol' mich der Teufel, der versteht's, der schlürft meinen guten Wein
auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Goldwaage legt!«
»Gelobt sei Jesus Christ!« sagte die Köchin. »Ich hab's ja behauptet, daß er's versteht!«
So nahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf, und zwar sehr langsam, weil der arme Schneider
immer zimperlich und unentschlossen aß und trank und der Wirt, um ihm Zeit zu lassen, die
Speisen genugsam stehenließ. Trotzdem war es nicht der Rede wert, was der Gast bis jetzt zu
sich genommen; vielmehr begann der Hunger, der immerfort so gefährlich gereizt wurde, nun
den Schrecken zu überwinden, und als die Pastete von Rebhühnern erschien, schlug die
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Stimmung des Schneiders gleichzeitig um, und ein fester Gedanke begann sich in ihm zu
bilden. »Es ist jetzt einmal, wie es ist!« sagte er sich, von einem neuen Tröpflein Weines
erwärmt und aufgestachelt. »Nun wäre ich ein Tor, wenn ich die kommende Schande und
Verfolgung ertragen wollte, ohne mich dafür sattgegessen zu haben! Also vorgesehen, weil es
noch Zeit ist! Das Türmchen, das sie da aufgestellt haben, dürfte leichthin die letzte Speise
sein; daran will ich mich halten, komme, was da wolle! Was ich einmal im Leibe habe, kann
mir kein König wieder rauben!«
Gesagt, getan; mit dem Mute der Verzweiflung hieb er in die leckere Pastete, ohne an ein
Aufhören zu denken, so daß sie in weniger als fünf Minuten zur Hälfte geschwunden war und
die Sache für die Abendherren sehr bedenklich zu werden begann. Fleisch, Trüffeln,
Klößchen, Boden, Deckel, alles schlang er ohne Ansehen der Person hinunter, nur besorgt,
sein Ränzchen vollzupacken, ehe das Verhängnis hereinbräche; dazu trank er den Wein in
tüchtigen Zügen und steckte große Brotbissen in den Mund; kurz, es war eine so hastig
belebte Einfuhr, wie wenn bei aufsteigendem Gewitter das Heu von der nahen Wiese gleich
auf der Gabel in die Scheune geflüchtet wird. Abermals lief der Wirt in die Küche und rief:
»Köchin! Er ißt die Pastete auf, während er den Braten kaum berührt hat! Und den Bordeaux
trinkt er in halben Gläsern!«
»Wohl bekomm' es ihm«, sagte die Köchin, »lassen Sie ihn nur machen, der weiß, was
Rebhühner sind! Wär' er ein gemeiner Kerl, so hätte er sich an den Braten gehalten!«
»Ich sag's auch«, meinte der Wirt; »es sieht sich zwar nicht ganz elegant an, aber so hab' ich,
als ich zu meiner Ausbildung reiste, nur Generäle und Kapitelsherren essen sehen!«
Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde füttern lassen und selbst ein handfestes Essen
eingenommen in der Stube für das untere Volk, und da er Eile hatte, ließ er bald wieder
anspannen. Die Angehörigen des Gasthofes ›Zur Waage‹ konnten sich nun nicht länger
enthalten und fragten, eh es zu spät wurde, den herrschaftlichen Kutscher geradezu, wer sein
Herr da oben sei und wie er heiße. Der Kutscher, ein schalkhafter und durchtriebener Kerl,
versetzte: »Hat er es noch nicht selbst gesagt?«
»Nein« hieß es, und er erwiderte: »Das glaub' ich wohl, der spricht nicht viel in einem Tage;
nun, es ist der Graf Strapinski! Er wird aber heut und vielleicht einige Tage hierbleiben, denn
er hat mir befohlen, mit dem Wagen vorauszufahren.«
Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an dem Schneiderlein zu rächen, das, wie er
glaubte, statt ihm für seine Gefälligkeit ein Wort des Dankes und des Abschiedes zu sagen,
sich ohne Umsehen in das Haus begeben hatte und den Herrn spielte. Seine Eulenspiegelei
aufs äußerste treibend, bestieg er auch den Wagen, ohne nach der Zeche für sich und die
Pferde zu fragen, schwang die Peitsche und fuhr aus der Stadt, und alles ward so in der
Ordnung befunden und dem guten Schneider aufs Kerbholz gebracht.
Nun mußte es sich aber fügen, daß dieser, ein geborener Schlesier, wirklich Strapinski hieß,
Wenzel Strapinski; mochte es nun ein Zufall sein oder mochte der Schneider sein Wanderbuch
im Wagen hervorgezogen, es dort vergessen und der Kutscher es zu sich genommen haben.
Genug, als der Wirt freudestrahlend und händereibend vor ihn hintrat und fragte, ob der Herr
Graf Strapinski zum Nachtisch ein Glas alten Tokaier oder ein Glas Champagner nehme, und
ihm meldete, daß die Zimmer soeben zubereitet würden, da erblaßte der arme Strapinski,
verwirrte sich von neuem und erwiderte gar nichts.
»Höchst interessant!« brummte der Wirt für sich, indem er abermals in den Keller eilte und
aus besonderem Verschlage nicht nur ein Fläschchen Tokaier, sondern auch ein Krügelchen
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Bocksbeutel holte und eine Champagnerflasche schlechthin unter den Arm nahm. Bald sah
Strapinski einen kleinen Wald von Gläsern vor sich, aus welchem der Champagnerkelch wie
eine Pappel emporragte. Das glänzte, klingelte und duftete gar seltsam vor ihm, und was noch
seltsamer war, der arme, aber zierliche Mann griff nicht ungeschickt in das Wäldchen hinein
und goß, als er sah, daß der Wirt etwas Rotwein in seinen Champagner tat, einige Tropfen
Tokaier in den seinigen. Inzwischen waren der Stadtschreiber und der Notar gekommen, um
den Kaffee zu trinken und das tägliche Spielchen um denselben zu machen; bald kam auch
der ältere Sohn des Hauses Häberlin und Cie., der jüngere des Hauses Pütschli-Nievergelt, der
Buchhalter einer großen Spinnerei, Herr Melcher Böhni; allein statt ihre Partie zu spielen,
gingen sämtliche Herren in weitem Bogen hinter dem polnischen Grafen herum, die Hände in
den hintern Rocktaschen, mit den Augen blinzelnd und auf den Stockzähnen lächelnd. Denn
es waren diejenigen Mitglieder guter Häuser, welche ihr Leben lang zu Hause blieben, deren
Verwandte und Genossen aber in aller Welt saßen, weswegen sie selbst die Welt sattsam zu
kennen glaubten.
Also das sollte ein polnischer Graf sein? Den Wagen hatten sie freilich von ihrem Kontorstuhl
aus gesehen; auch wußte man nicht, ob der Wirt den Grafen oder dieser jenen bewirte; doch
hatte der Wirt bis jetzt noch keine dummen Streiche gemacht; er war vielmehr als ein
ziemlich schlauer Kopf bekannt, und so wurden denn die Kreise, welche die neugierigen
Herren um den Fremden zogen, immer kleiner, bis sie sich zuletzt vertraulich an den gleichen
Tisch setzten und sich auf gewandte Weise zu dem Gelage aus dem Stegreif einluden, indem
sie ohne weiteres um eine Flasche zu würfeln begannen.
Doch tranken sie nicht zuviel, da es noch früh war; dagegen galt es, einen Schluck trefflichen
Kaffee zu nehmen und dem Polacken, wie sie den Schneider bereits heimlich nannten, mit
gutem Rauchzeug aufzuwerten, damit er immer mehr röche, wo er eigentlich wäre.
»Darf ich dem Herrn Grafen eine ordentliche Zigarre anbieten? Ich habe sie von meinem
Bruder auf Kuba direkt bekommen!« sagte der eine.
»Die Herren Polen lieben auch eine gute Zigarette, hier ist echter Tabak aus Smyrna, mein
Kompagnon hat ihn gesendet«, rief der andere, indem er ein rotseidenes Beutelchen hinschob.
»Dieser aus Damaskus ist feiner, Herr Graf«, rief der dritte, »unser dortiger Prokurist selbst
hat ihn für mich besorgt!«
Der vierte streckte einen ungefügen Zigarrenbengel dar, indem er schrie: »Wenn Sie etwas
ganz Ausgezeichnetes wollen, so versuchen Sie diese Pflanzerzigarre aus Virginien,
selbstgezogen, selbstgemacht und durchaus nicht käuflich!«
Strapinski lächelte sauersüß, sagte nichts und war bald in feine Duftwolken gehüllt, welche
von der hervorbrechenden Sonne lieblich versilbert wurden. Der Himmel entwölkte sich in
weniger als einer Viertelstunde, der schönste Herbstnachmittag trat ein; es hieß, der Genuß
der günstigen Stunde sei sich zu gönnen, da das Jahr vielleicht nicht viele solcher Tage mehr
brächte; und es wurde beschlossen, auszufahren, den fröhlichen Amtsrat auf seinem Gute zu
besuchen, der erst vor wenigen Tagen gekeltert hatte, und seinen neuen Wein, den roten
Sauser, zu kosten. Pütschli-Nievergelt, Sohn, sandte nach seinem Jagdwagen, und bald
schlugen seine jungen Eisenschimmel das Pflaster vor der ›Waage‹. Der Wirt selbst ließ
ebenfalls anspannen, man lud den Grafen zuvorkommend ein, sich anzuschließen und die
Gegend etwas kennenzulernen.
Der Wein hatte seinen Witz erwärmt; er überdachte schnell, daß er bei dieser Gelegenheit am
besten sich unbemerkt entfernen und seine Wanderung fortsetzen könne; den Schaden sollten
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die törichten und zudringlichen Herren an sich selbst behalten. Er nahm daher die Einladung
mit einigen höflichen Worten an und bestieg mit dem jungen Pütschli den Jagdwagen.
Nun war es eine weitere Fügung, daß der Schneider, nachdem er auf seinem Dorfe schon als
junger Bursch dem Gutsherrn zuweilen Dienste geleistet, seine Militärzeit bei den Husaren
abgedient hatte und demnach genugsam mit Pferden umzugehen verstand. Wie daher sein
Gefährte höflich fragte, ob er vielleicht fahren möge, ergriff er sofort Zügel und Peitsche und
fuhr in schulgerechter Haltung, in raschem Trabe durch das Tor und auf der Landstraße dahin,
so daß die Herren einander ansahen und flüsterten: »Es ist richtig, es ist jedenfalls ein Herr!«
In einer halben Stunde war das Gut des Amtsrates erreicht. Strapinski fuhr in einem
prächtigen Halbbogen auf und ließ die feurigen Pferde aufs beste anprallen; man sprang von
den Wagen, der Amtsrat kam herbei und führte die Gesellschaft ins Haus, und alsbald war
auch der Tisch mit einem halben Dutzend Karaffen voll karneolfarbigen Sausers besetzt. Das
heiße, gärende Getränk wurde vorerst geprüft, belobt und sodann fröhlich in Angriff
genommen, während der Hausherr im Hause die Kunde herumtrug, es sei ein vornehmer Graf
da, ein Polacke, und eine feinere Bewirtung vorbereitete.
Mittlerweile teilte sich die Gesellschaft in zwei Partien, um das versäumte Spiel nachzuholen,
da in diesem Lande keine Männer zusammen sein konnten, ohne zu spielen, wahrscheinlich
aus angebotenem Tätigkeitstriebe. Strapinski, welcher die Teilnahme aus verschiedenen
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Gründen ablehnen mußte, wurde eingeladen zuzusehen, denn das schien ihnen immerhin der
Mühe wert, da sie so viel Klugheit und Geistesgegenwart bei den Karten zu entwickeln
pflegten. Er mußte sich zwischen beide Partien setzen, und sie legten es nun darauf an,
geistreich und gewandt zu spielen und den Gast zu gleicher Zeit zu unterhalten. So saß er
denn wie ein kränkelnder Fürst, vor welchem die Hofleute ein angenehmes Schauspiel
aufführen und den Lauf der Welt darstellen. Sie erklärten ihm die bedeutendsten Wendungen,
Handstreiche und Ereignisse, und wenn die eine Partei für einen Augenblick ihre
Aufmerksamkeit ausschließlich dem Spiele zuwenden mußte, so führte die andere dafür um
so angelegentlicher die Unterhaltung mit dem Schneider. Der beste Gegenstand dünkte sie
hierfür Pferde, Jagd und dergleichen; Strapinski wußte hier auch am besten Bescheid, denn er
brauchte nur die Redensarten hervorzuholen. welche er einst in der Nähe von Offizieren und
Gutsherren gehört und die ihm schon dazumal ausnehmend wohl gefallen hatten. Wenn er
diese Redensarten auch nur sparsam, mit einer gewissen Bescheidenheit und stets mit einem
schwermütigen Lächeln vorbrachte, so erreichte er damit nur eine größere Wirkung; wenn
zwei oder drei von den Herren aufstanden und etwa zur Seite traten, so sagten sie: »Es ist ein
vollkommener Junker!«
Nur Melcher Böhni, der Buchhalter, als ein geborener Zweifler, rieb sich vergnügt die Hände
und sagte zu sich selbst: »Ich sehe es kommen, daß es wieder einen Goldacher Putsch gibt, ja,
er ist gewissermaßen schon da! Es war aber auch Zeit, denn schon sind's zwei Jahre seit dem
letzten! Der Mann dort hat mir so wunderlich zerstochene Finger, vielleicht von Praga oder
Ostrolenka her! Nun, ich werde mich hüten, den Verlauf zu stören!« Die beiden Partien waren
nun zu Ende, auch das Sausergelüste der Herren gebüßt, und sie zogen nun vor, sich an den
alten Weinen des Amtsrats ein wenig abzukühlen, die jetzt gebracht wurden; doch war die
Abkühlung etwas leidenschaftlicher Natur, indem sofort, um nicht in schnöden Müßiggang zu
verfallen, ein allgemeines Hasardspiel vorgeschlagen wurde. Man mischte die Karten, jeder
warf einen Brabanter Taler hin, und als die Reihe an Strapinski war, konnte er nicht wohl
seinen Fingerhut auf den Tisch setzen. »Ich habe nicht ein solches Geldstück«, sagte er
errötend; aber schon hatte Melcher Böhni, der ihn beobachtet, für ihn eingesetzt, ohne daß
jemand darauf achtgab; denn alle waren viel zu behaglich, als daß sie auf den Argwohn
geraten wären, jemand in der Welt könne kein Geld haben. Im nächsten Augenblicke wurde
dem Schneider, der gewonnen hatte, der ganze Einsatz zugeschoben; verwirrt ließ er das Geld
liegen, und Böhni besorgte für ihn das zweite Spiel, welches ein anderer gewann, sowie das
dritte. Doch das vierte und fünfte gewann wiederum der Polacke, der allmählich aufwachte
und sich in die Sache fand. Indem er sich still und ruhig verhielt, spielte er mit
abwechselndem Glück; einmal kam er bis auf einen Taler herunter, den er setzen mußte,
gewann wieder, und zuletzt, als man das Spiel satt bekam, besaß er einige Louisdors, mehr,
als er jemals in seinem Leben besessen, welche er, als er sah, daß jedermann sein Geld
einsteckte, ebenfalls zu sich nahm, nicht ohne Furcht, daß alles ein Traum sei. Böhni, welcher
ihn fortwährend scharf betrachtete, war jetzt fast im klaren über ihn und dachte: den Teufel
fährt der in einem vierspännigen Wagen!
Weil er aber zugleich bemerkte, daß der rätselhafte Fremde keine Gier nach dem Gelde
gezeigt, sich überhaupt bescheiden und nüchtern verhalten hatte, so war er nicht übel gegen
ihn gesinnt, sondern beschloß, die Sache durchaus gehen zu lassen. Aber der Graf Strapinski,
als man sich vor dem Abendessen im Freien erging, nahm jetzo seine Gedanken zusammen
und hielt den rechten Zeitpunkt einer geräuschlosen Beurlaubung für gekommen. Er hatte ein
artiges Reisegeld und nahm sich vor, dem Wirt ›Zur Waage‹ von der nächsten Stadt aus sein
aufgedrungenes Mittagsmahl zu bezahlen. Also schlug er seinen Radmantel malerisch um,
drückte die Pelzmütze tiefer in die Augen und schritt unter einer Reihe von hohen Akazien in
der Abendsonne langsam auf und nieder, das schöne Gelände betrachtend oder vielmehr den
Weg erspähend, den er einschlagen wollte. Er nahm sich mit seiner bewölkten Stirne, seinem
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lieblichen, aber schwermütigen Mundbärtchen, seinen glänzenden schwarzen Locken, seinen
dunklen Augen, im Wehen seines faltigen Mantels vortrefflich aus; der Abendschein und das
Säuseln der Bäume über ihm erhöhten den Eindruck, so daß die Gesellschaft ihn von ferne
mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen betrachtete. Allmählich ging er immer etwas weiter
vom Hause hinweg, schritt durch ein Gebüsch, hinter welchem ein Feldweg vorüberging, und
als er sich vor den Blicken der Gesellschaft gedeckt sah, wollte er eben mit festen Schritten
ins Feld rücken, als um eine Ecke herum plötzlich der Amtsrat mit seiner Tochter Nettchen
ihm entgegentrat. Nettchen war ein hübsches Fräulein, äußerst prächtig, etwas stutzerhaft
gekleidet und mit Schmuck reichlich verziert.
»Wir suchen Sie, Herr Graf«, rief der Amtsrat, »damit ich Sie erstens hier meinem Kinde
vorstelle und zweitens, um Sie zu bitten, daß Sie uns die Ehre erweisen möchten, einen Bissen
Abendbrot mit uns zu nehmen; die anderen Herren sind bereits im Hause.«
Der Wanderer nahm schnell seine Mütze vom Kopfe und machte ehrfurchtsvolle, ja
furchtsame Verbeugungen, von Rot übergossen. Denn eine neue Wendung war eingetreten;
ein Fräulein beschritt den Schauplatz der Ereignisse. Doch schadete ihm seine Blödigkeit und
übergroße Ehrerbietung nichts bei der Dame; im Gegenteil, die Schüchternheit, Demut und
Ehrerbietung eines so vornehmen und interessanten jungen Edelmanns erschien ihr wahrhaft
rührend, ja hinreißend. Da sieht man, fuhr es ihr durch den Sinn, je nobler, desto bescheidener
und unverdorbener; merkt es euch, ihr Herren Wildfänge von Goldach, die ihr vor jungen
Mädchen kaum mehr den Hut berührt!
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Sie grüßte den Ritter daher auf das holdseligste, indem sie auch lieblich errötete, und sprach
sogleich hastig und schnell und vieles mit ihm, wie es die Art behaglicher Kleinstädterinnen
ist, die sich den Fremden zeigen wollen. Strapinski hingegen wandelte sich in kurzer Zeit um;
während er bisher nichts getan hatte, um im geringsten in die Rolle einzugehen, die man ihm
aufbürdete, begann er nun unwillkürlich etwas gesuchter zu sprechen und mischte allerhand
polnische Brocken in die Rede, kurz, das Schneiderblütchen fing in der Nähe des
Frauenzimmers an, seine Sprünge zu machen und seinen Reiter davonzutragen.
Am Tisch erhielt er den Ehrenplatz neben der Tochter des Hauses; denn die Mutter war
gestorben. Er wurde zwar bald wieder melancholisch, da er bedachte, nun müsse er mit den
andern wieder in die Stadt zurückkehren oder gewaltsam in die Nacht hinaus entrinnen, und
da er ferner überlegte, wie vergänglich das Glück sei, welches er jetzt genoß. Aber dennoch
empfand er dies Glück und sagte sich zum voraus: Ach, einmal wirst du doch in deinem
Leben etwas vorgestellt und neben einem solchen höheren Wesen gesessen haben.
Es war in der Tat keine Kleinigkeit, eine Hand neben sich glänzen zu sehen, die von drei oder
vier Armbändern klirrte, und bei einem flüchtigen Seitenblick jedesmal einen abenteuerlich
und reizend frisierten Kopf, ein holdes Erröten, einen vollen Augenaufschlag zu sehen. Denn
er mochte tun oder lassen, was er wollte, alles wurde als ungewöhnlich und nobel ausgelegt
und die Ungeschicklichkeit selbst als merkwürdige Unbefangenheit liebenswürdig befunden
von der jungen Dame, welche sonst stundenlang über gesellschaftliche Verstöße zu plaudern
wußte. Da man guter Dinge war, sangen ein paar Gäste Lieder, die in den dreißiger Jahren
Mode waren. Der Graf wurde gebeten, ein polnisches Lied zu singen. Der Wein überwand
seine Schüchternheit endlich, obschon nicht seine Sorgen; er hatte einst einige Wochen im
Polnischen gearbeitet und wußte einige polnische Worte, sogar ein Volksliedchen auswendig,
ohne ihres Inhalts bewußt zu sein, gleich einem Papagei. Also sang er mit edlem Wesen, mehr
zaghaft als laut und mit einer Stimme, welche wie von einem geheimen Kummer leise zitterte,
auf polnisch:
Hunderttausend Schweine pferchen
Von der Desna bis zur Weichsel,
Und Kathinka, dieses Saumensch,
Geht im Schmutz bis an die Knöchel!
Hunderttausend Ochsen brüllen
Auf Wolhyniens grünen Weiden,
Und Kathinka, ja Kathinka
Glaubt, ich sei in sie verliebt!
»Bravo! Bravo!« riefen alle Herren, mit den Händen klatschend, und Nettchen sagte gerührt:
»Ach, das Nationale ist immer so schön!« Glücklicherweise verlangte niemand die
Übersetzung dieses Gesanges.
Mit dem Überschreiten solchen Höhepunktes der Unterhaltung brach die Gesellschaft auf; der
Schneider wurde wieder eingepackt und sorgfältig nach Goldach zurückgebracht; vorher hatte
er versprechen müssen, nicht ohne Abschied davonzureisen. Im Gasthof ›Zur Waage‹ wurde
noch ein Glas Punsch genommen; jedoch Strapinski war erschöpft und verlangte nach dem
Bette. Der Wirt selbst führte ihn auf seine Zimmer, deren Stattlichkeit er kaum mehr
beachtete, obgleich er nur gewohnt war, in dürftigen Herbergskammern zu schlafen. Er stand
ohne alle und jede Habseligkeit mitten auf einem schönen Teppich, als der Wirt plötzlich den
Mangel an Gepäck entdeckte und sich vor die Stirne schlug. Dann lief er schnell hinaus,
schellte, rief Kellner und Hausknechte herbei, wortwechselte mit ihnen, kam wieder und
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beteuerte: »Es ist richtig, Herr Graf, man hat vergessen, Ihr Gepäck abzuladen! Auch das
Notwendigste fehlt!«
»Auch das kleine Paketchen, das im Wagen lag?« fragte Strapinski ängstlich, weil er an ein
handgroßes Bündelein dachte, welches er auf dem Sitze hatte liegenlassen, und das ein
Schnupftuch, eine Haarbürste, einen Kamm, ein Büchschen Pomade und einen Stengel
Bartwichse enthielt.
»Auch dieses fehlt, es ist gar nichts da«, sagte der gute Wirt erschrocken, weil er darunter
etwas sehr Wichtiges vermutete. »Man muß dem Kutscher sogleich einen Expressen
nachschicken«, rief er eifrig, »ich werde das besorgen!«
Doch der Herr Graf fiel ihm ebenso erschrocken in den Arm und sagte bewegt: »Lassen Sie,
es darf nicht sein! Man muß meine Spur verlieren für einige Zeit«, setzte er hinzu, selbst
betreten über diese Erfindung.
Der Wirt ging erstaunt zu den Punsch trinkenden Gästen, erzählte ihnen den Fall und schloß
mit dem Ausspruche, daß der Graf unzweifelhaft ein Opfer politischer oder der
Familienverfolgung sein müsse; denn um ebendiese Zeit wurden viele Polen und andere
Flüchtlinge wegen gewaltsamer Unternehmungen des Landes verwiesen; andere wurden von
fremden Agenten beobachtet und umgarnt.
Strapinski aber tat einen guten Schlaf, und als er spät erwachte, sah er zunächst den
prächtigen Sonntagsschlafrock des Waagwirtes über einen Stuhl gehängt, ferner ein Tischchen
mit allem möglichen Toilettenwerkzeug bedeckt. Sodann harrten eine Anzahl Dienstboten, um
Körbe und Koffer, angefüllt mit feiner Wäsche, mit Kleidern, mit Zigarren, mit Büchern, mit
Stiefeln, mit Schuhen, mit Sporen, mit Reitpeitschen, mit Pelzen, mit Mützen, mit Hüten, mit
Socken, mit Strümpfen, mit Pfeifen, mit Flöten und Geigen abzugeben von seiten der
gestrigen Freunde mit der angelegentlichen Bitte, sich dieser Bequemlichkeiten einstweilen
bedienen zu wollen. Da sie die Vormittagsstunden unabänderlich in ihren Geschäften
verbrachten, ließen sie ihre Besuche auf die Zeit nach Tisch ansagen.
Diese Leute waren nichts weniger als lächerlich oder einfältig, sondern umsichtige
Geschäftsmänner, mehr schlau als vernagelt; allein da ihre wohlbesorgte Stadt klein war und
es ihnen manchmal langweilig darin vorkam, waren sie stets begierig auf eine Abwechslung,
ein Ereignis, einen Vorgang, dem sie sich ohne Rückhalt hingaben. Der vierspännige Wagen,
das Aussteigen des Fremden, sein Mittagessen, die Aussage des Kutschers waren so einfache
und natürliche Dinge, daß die Goldacher, welche keinem müßigen Argwohn nachzuhängen
pflegten, ein Ereignis darauf aufbauten wie auf einen Felsen.
Als Strapinski das Warenlager sah, das sich vor ihm ausbreitete, war seine erste Bewegung,
daß er in seine Tasche griff, um zu erfahren, ob er träume oder wache. Wenn sein Fingerhut
dort noch in seiner Einsamkeit weilte, so träumte er. Aber nein, der Fingerhut wohnte traulich
zwischen dem gewonnenen Spielgelde und scheuerte sich freundschaftlich an den Talern; so
ergab sich auch sein Gebieter wiederum in das Ding und stieg von seinen Zimmern herunter
auf die Straße, um sich die Stadt zu besehen, in welcher es ihm so wohl erging. Unter der
Küchentüre stand die Köchin, welche ihm einen tiefen Knicks machte und ihm mit neuem
Wohlgefallen nachsah; auf dem Flur und an der Haustüre standen andere Hausgeister, alle mit
der Mütze in der Hand, und Strapinski schritt mit gutem Anstand und doch bescheiden hinaus,
seinen Mantel sittsam zusammennehmend. Das Schicksal machte ihn mit jeder Minute größer.
Mit ganz anderer Miene besah er sich die Stadt, als wenn er um Arbeit darin ausgegangen
wäre. Dieselbe bestand größtenteils aus schönen, festgebauten Häusern, welche alle mit
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steinernen oder gemalten Sinnbildern geziert und mit einem Namen versehen waren. In diesen
Benennungen war die Sitte der Jahrhunderte deutlich zu erkennen. Das Mittelalter spiegelte
sich ab in den ältesten Häusern oder in den Neubauten, welche an deren Stelle getreten, aber
den alten Namen behalten aus der Zeit der kriegerischen Schultheiße und der Märchen. Da
hieß es: zum Schwert, zum Eisenhut, zum Harnisch, zur Armbrust, zum blauen Schild, zum
Schweizerdegen, zum Ritter, zum Büchsenstein, zum Türken, zum Meerwunder, zum goldnen
Drachen, zur Linde, zum Pilgerstab, zur Wasserfrau, zum Paradiesvogel, zum Granatbaum,
zum Kämbel, zum Einhorn und dergleichen. Die Zeit der Aufklärung und der Philanthropie
war deutlich zu lesen in den moralischen Begriffen, welche in schönen Goldbuchstaben über
den Haustüren erglänzten, wie: zur Eintracht, zur Redlichkeit, zur alten Unabhängigkeit, zur
neuen Unabhängigkeit, zur Bürgertugend a, zur Bürgertugend b, zum Vertrauen, zur Liebe,
zur Hoffnung, zum Wiedersehen 1 und 2, zum Frohsinn, zur innern Rechtlichkeit, zur äußern
Rechtlichkeit, zum Landeswohl (ein reinliches Häuschen, in welchem hinter einem
Kanarienkäficht, ganz mit Kresse behängt, eine freundliche alte Frau saß mit einer weißen
Zipfelhaube und Garn haspelte), zur Verfassung (unten hauste ein Böttcher, welcher eifrig und
mit großem Geräusch kleine Eimer und Fäßchen mit Reifen einfaßte und unablässig klopfte);
ein Haus hieß schauerlich: zum Tod, ein verwaschenes Gerippe erstreckte sich von unten bis
oben zwischen den Fenstern; hier wohnte der Friedensrichter. Im Hause ›Zur Geduld‹ wohnte
der Schuldenschreiber, ein ausgehungertes Jammerbild, da in dieser Stadt keiner dem andern
etwas schuldig blieb.
Endlich verkündete sich an den neuesten Häusern die Poesie der Fabrikanten, Bankiere und
Spediteure und ihrer Nachahmer in den wohlklingenden Namen: Rosental, Morgental,
Sonnenberg, Veilchenburg, Jugendgarten, Freudenberg, Henriettental, zur Camelia,
Wilhelminenburg usw. Die an Frauennamen gehängten Täler und Burgen bedeuteten für den
Kundigen immer ein schönes Weibergut.
An jeder Straßenecke stand ein alter Turm mit reichem Uhrwerk, buntem Dach und zierlich
vergoldeter Windfahne. Diese Türme waren sorgfältig erhalten; denn die Goldacher erfreuten
sich der Vergangenheit und der Gegenwart und taten auch recht daran. Die ganze Herrlichkeit
war aber von der alten Ringmauer eingefaßt, welche, obwohl nichts mehr nütze, dennoch zum
Schmucke beibehalten wurde, da sie ganz mit dichtem altem Efeu überwachsen war und so
die kleine Stadt mit einem immergrünen Kranze umschloß.
Alles dieses machte einen wunderbaren Eindruck auf Strapinski; er glaubte, sich in einer
andern Welt zu befinden. Denn als er die Aufschriften der Häuser las, dergleichen er noch
nicht gesehen, war er der Meinung, sie bezogen sich auf die besonderen Geheimnisse und
Lebensweisen jedes Hauses, und es sähe hinter jeder Haustüre wirklich so aus, wie die
Überschrift angab, so daß er in eine Art moralisches Utopien hineingeraten wäre. So war er
geneigt zu glauben, die wunderliche Aufnahme, welche er gefunden, hänge hiermit im
Zusammenhang, so daß z. B. das Sinnbild der Waage, in welcher er wohnte, bedeute, daß dort
das ungleiche Schicksal abgewogen und ausgeglichen und zuweilen ein reisender Schneider
zum Grafen gemacht würde.
Er geriet auf seiner Wanderung auch vor das Tor, und wie er nun so über das freie Feld
hinblickte, meldete sich zum letzten Male der pflichtgemäße Gedanke, seinen Weg unverweilt
fortzusetzen. Die Sonne schien, die Straße war schön, fest, nicht zu trocken und auch nicht zu
naß, zum Wandern wie gemacht. Reisegeld hatte er nun auch, so daß er angenehm einkehren
konnte, wo er Lust dazu verspürte, und kein Hindernis war zu erspähen.
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Da stand er nun, gleich dem Jüngling am Scheidewege, auf einer wirklichen Kreuzstraße; aus
dem Lindenkranze, welcher die Stadt umgab, stiegen gastliche Rauchsäulen, die goldenen
Turmknöpfe funkelten lockend aus den Baumwipfeln; Glück, Genuß und Verschuldung, ein
geheimnisvolles Schicksal winkten dort, von der Feldseite her aber glänzte die freie Ferne;
Arbeit, Entbehrung, Armut, Dunkelheit harrten dort, aber auch ein gutes Gewissen und ein
ruhiger Wandel; dieses fühlend, wollte er denn auch entschlossen ins Feld abschwenken. Im
gleichen Augenblicke rollte ein rasches Fuhrwerk heran; es war das Fräulein von gestern,
welches mit wehendem blauem Schleier ganz allein in einem schmucken leichten Fuhrwerke
saß, ein schönes Pferd regierte und nach der Stadt fuhr. Sobald Strapinski nur an seine Mütze
griff und dieselbe demütig vor seine Brust nahm in seiner Überraschung, verbeugte sich das
Mädchen rasch errötend gegen ihn, aber überaus freundlich, und fuhr in großer Bewegung,
das Pferd zum Galopp antreibend, davon.
Strapinski aber machte unwillkürlich ganze Wendung und kehrte getrost nach der Stadt
zurück. Noch an demselben Tage galoppierte er auf dem besten Pferde der Stadt, an der Spitze
einer ganzen Reitergesellschaft, durch die Allee, welche um die grüne Ringmauer führte, und
die fallenden Blätter der Linden tanzten wie ein goldener Regen um sein verklärtes Haupt.
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Nun war der Geist in ihn gefahren. Mit jedem Tage wandelte er sich, gleich einem
Regenbogen, der zusehends bunter wird an der vorbrechenden Sonne. Er lernte in Stunden, in
Augenblicken, was andere nicht in Jahren, da es in ihm gesteckt hatte wie das Farbenwesen
im Regentropfen. Er beachtete wohl die Sitten seiner Gastfreunde und bildete sie während des
Beobachtens zu einem Neuen und Fremdartigen um; besonders suchte er abzulauschen, was
sie sich eigentlich unter ihm dächten und was für ein Bild sie sich von ihm gemacht. Dies Bild
arbeitete er weiter aus nach seinem eigenen Geschmacke, zur vergnüglichen Unterhaltung der
einen, welche gern etwas Neues sehen wollten, und zur Bewunderung der anderen, besonders
der Frauen, welche nach erbaulicher Anregung dürsteten. So ward er rasch zum Helden eines
artigen Romanes, an welchem er gemeinsam mit der Stadt und liebevoll arbeitete, dessen
Hauptbestandteil aber immer noch das Geheimnis war.
Bei alldem erlebte Strapinski, was er in seiner Dunkelheit früher nie gekannt, eine schlaflose
Nacht um die andere, und es ist mit Tadel hervorzuheben, daß es ebensoviel die Furcht vor
der Schande, als armer Schneider entdeckt zu werden und dazustehen, als das ehrliche
Gewissen war, was ihm den Schlaf raubte. Sein angebotenes Bedürfnis, etwas Zierliches und
Außergewöhnliches vorzustellen, wenn auch nur in der Wahl der Kleider, hatte ihn in diesen
Konflikt geführt und brachte jetzt auch jene Furcht hervor, und sein Gewissen war nur
insoweit mächtig, daß er beständig den Vorsatz nährte, bei guter Gelegenheit einen Grund zur
Abreise zu finden und dann durch Lotteriespiel und dergleichen die Mittel zu gewinnen, aus
geheimnisvoller Ferne alles zu vergüten, um was er die gastfreundlichen Goldacher gebracht
hatte. Er ließ sich auch schon aus allen Städten, wo es Lotterien oder Agenten derselben gab,
Lose kommen mit mehr oder weniger bescheidenem Einsatze, und die daraus entstehende
Korrespondenz, der Empfang der Briefe, wurde wiederum als ein Zeichen wichtiger
Beziehungen und Verhältnisse vermerkt.
Schon hatte er mehr als einmal ein paar Gulden gewonnen und dieselben sofort wieder zum
Erwerb neuer Lose verwendet, als er eines Tages von einem fremden Kollekteur, der sich aber
Bankier nannte, eine namhafte Summe empfing, welche hinreichte, jenen Rettungsgedanken
auszuführen. Er war bereits nicht mehr erstaunt über sein Glück, das sich von selbst zu
verstehen schien, fühlte sich aber doch erleichtert und besonders dem guten Waagwirt
gegenüber beruhigt, welchen er seines guten Essens wegen sehr wohl leiden mochte. Anstatt
aber kurz abzubinden, seine Schulden gradaus zu bezahlen und abzureisen, gedachte er, wie
er sich vorgenommen, eine kurze Geschäftsreise vorzugeben, dann aber von irgendeiner
großen Stadt aus zu melden, daß das unerbittliche Schicksal ihm verbiete, je wiederzukehren;
dabei wollte er seinen Verbindlichkeiten nachkommen, ein gutes Andenken hinterlassen und
seinem Schneiderberufe sich aufs neue und mit mehr Umsicht und Glück widmen oder auch
sonst einen anständigen Lebensweg erspähen. Am liebsten wäre er freilich auch als
Schneidermeister in Goldach geblieben und hätte jetzt die Mittel gehabt, sich da ein
bescheidenes Auskommen zu begründen; allein es war klar, daß er hier nur als Graf leben
konnte.
Wegen des sichtlichen Vorzuges und Wohlgefallens, dessen er sich bei jeder Gelegenheit von
seiten des schönen Nettchens zu erfreuen hatte, waren schon manche Redensarten im Umlauf,
und er hatte sogar bemerkt, daß das Fräulein hin und wieder die Gräfin genannt wurde. Wie
konnte er diesem Wesen nun eine solche Entwicklung bereiten? Wie konnte er das Schicksal,
das ihn gewaltsam so erhöht hatte, so frevelhaft Lügen strafen und sich selbst beschämen?
Er hatte von seinem Lotteriemann, genannt Bankier, einen Wechsel bekommen, welchen er
bei einem Goldacher Haus einkassierte; diese Verrichtung bestärkte abermals die günstigen
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Meinungen über seine Person und Verhältnisse, da die soliden Handelsleute nicht im
entferntesten an einen Lotterieverkehr dachten. An demselben Tage nun begab sich Strapinski
auf einen stattlichen Ball, zu dem er geladen war. In tiefes, einfaches Schwarz gekleidet
erschien er und verkündete sogleich den ihn Begrüßenden, daß er genötigt sei, zu verreisen.
In zehn Minuten war die Nachricht der ganzen Versammlung bekannt, und Nettchen, deren
Anblick Strapinski suchte, schien, wie erstarrt, seinen Blicken auszuweichen, bald rot, bald
blaß werdend. Dann tanzte sie mehrmals hintereinander mit jungen Herren, setzte sich
zerstreut und schnell atmend und schlug eine Einladung des Polen, der endlich herangetreten
war, mit einer kurzen Verbeugung aus, ohne ihn anzusehen.
Seltsam aufgeregt und bekümmert ging er hinweg, nahm seinen famosen Mantel um und
schritt mit wehenden Locken in einem Gartenwege auf und nieder. Es wurde ihm nun klar,
daß er eigentlich nur dieses Wesens halber so lange dageblieben sei, daß die unbestimmte
Hoffnung, doch wieder in ihre Nähe zu kommen, ihn unbewußt belebte, daß aber der ganze
Handel eben eine Unmöglichkeit darstelle von der verzweifeltsten Art.
Wie er so dahinschritt, hörte er rasche Tritte hinter sich, leichte, doch unruhig bewegte.
Nettchen ging an ihm vorüber und schien, nach einigen ausgerufenen Worten zu urteilen, nach
ihrem Wagen zu suchen, obgleich derselbe auf der andern Seite des Hauses stand und hier nur
Winterkohlköpfe und eingewickelte Rosenbäumchen den Schlaf der Gerechten verträumten.
Dann kam sie wieder zurück, und da er jetzt mit klopfendem Herzen ihr im Wege stand und
bittend die Hände nach ihr ausstreckte, fiel sie ihm ohne weiteres um den Hals und fing
jämmerlich an zu weinen. Er bedeckte ihre glühenden Wangen mit seinen fein duftenden
dunklen Locken, und sein Mantel umschlug die schlanke, stolze, schneeweiße Gestalt des
Mädchens wie mit schwarzen Adlerflügeln; es war ein wahrhaft schönes Bild, das seine
Berechtigung ganz allein in sich selbst zu tragen schien.
Strapinski aber verlor in diesem Abenteuer seinen Verstand und gewann das Glück, das öfter
den Unverständigen hold ist. Nettchen eröffnete ihrem Vater noch in selbiger Nacht beim
Nachhausefahren, daß kein anderer als der Graf der Ihrige sein werde; dieser erschien am
Morgen in aller Frühe, um bei dem Vater liebenswürdig schüchtern und melancholisch, wie
immer, um sie zu werben, und der Vater hielt folgende Rede:
»So hat sich denn das Schicksal und der Wille dieses törichten Mädchens erfüllt! Schon als
Schulkind behauptete sie fortwährend, nur einen Italiener oder einen Polen, einen großen
Pianisten oder einen Räuberhauptmann mit schönen Locken heiraten zu wollen, und nun
haben wir die Bescherung! Alle inländischen wohlmeinenden Anträge hat sie ausgeschlagen,
noch neulich mußte ich den gescheiten und tüchtigen Melchior Böhni heimschicken, der noch
große Geschäfte machen wird, und sie hat ihn noch schrecklich verhöhnt, weil er nur ein
rötliches Backenbärtchen trägt und aus einem silbernen Döschen schnupft! Nun, Gott sei
Dank, ist ein polnischer Graf da aus wildester Ferne! Nehmen Sie die Gans, Herr Graf, und
schicken Sie mir dieselbe wieder, wenn sie in Ihrer Polackei friert und einst unglücklich wird
und heult! Nun, was würde die selige Mutter für ein Entzücken genießen, wenn sie noch
erlebt hätte, daß das verzogene Kind eine Gräfin geworden ist!«
Nun gab es große Bewegung; in wenig Tagen sollte rasch die Verlobung gefeiert werden;
denn der Amtsrat behauptete, daß der künftige Schwiegersohn sich in seinen Geschäften und
vorhabenden Reisen nicht durch Heiratssachen dürfe aufhalten lassen, sondern diese durch die
Beförderung jener beschleunigen müsse.
Strapinski brachte zur Verlobung Brautgeschenke, welche ihn die Hälfte seines zeitlichen
Vermögens kosteten; die andere Hälfte verwandte er zu einem Feste, das er seiner Braut
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geben wollte. Es war eben Fastnachtszeit und bei hellem Himmel ein verspätetes glänzendes
Winterwetter. Die Landstraßen boten die prächtigste Schlittenbahn, wie sie nur selten entsteht
und sich hält, und Herr von Strapinski veranstaltete darum eine Schlittenfahrt und einen Ball
in dem für solche Feste beliebten stattlichen Gasthause, welches auf einer Hochebene mit der
schönsten Aussicht gelegen war, etwa zwei gute Stunden entfernt und genau in der Mitte
zwischen Goldach und Seldwyla.
Um diese Zeit geschah es, daß Herr Melchior Böhni in der letzteren Stadt Geschäfte zu
besorgen hatte und daher einige Tage vor dem Winterfest in einem leichten Schlitten
dahinfuhr, seine beste Zigarre rauchend; und es geschah ferner, daß die Seldwyler auf den
gleichen Tag wie die Goldacher auch eine Schlittenfahrt verabredeten, nach dem gleichen
Orte, und zwar eine kostümierte oder Maskenfahrt.
So fuhr denn der Goldacher Schlittenzug gegen die Mittagsstunde unter Schellenklang,
Posthorntönen und Peitschenknall durch die Straßen der Stadt, daß die Sinnbilder der alten
Häuser erstaunt herniedersahen, und zum Tore hinaus. Im ersten Schlitten saß Strapinski mit
seiner Braut, in einem polnischen Überrock von grünem Sammet, mit Schnüren besetzt und
schwer mit Pelz verbrämt und gefüttert. Nettchen war ganz in weißes Pelzwerk gehüllt; blaue
Schleier schützten ihr Gesicht gegen die frische Luft und gegen den Schneeglanz. Der
Amtsrat war durch irgendein plötzliches Ereignis verhindert worden mitzufahren; doch war es
sein Gespann und sein Schlitten, in welchem sie fuhren, ein vergoldetes Frauenbild als
Schlittenzierat vor sich, die Fortuna vorstellend; denn die Stadtwohnung des Amtsrates hieß
›Zur Fortuna‹.
Ihnen folgten fünfzehn bis sechzehn Gefährte mit je einem Herrn und einer Dame, alle
geputzt und lebensfroh, aber keines der Paare so schön und stattlich wie das Brautpaar. Die
Schlitten trugen wie die Meerschiffe ihre Galions, immer das Sinnbild des Hauses, dem jeder
angehörte, so daß das Volk rief: »Seht, da kommt die ›Tapferkeit‹! Wie schön ist die
›Tüchtigkeit‹! Die ›Verbesserlichkeit‹ scheint neu lackiert zu sein und die ›Sparsamkeit‹
frisch vergoldet! Ah, der ›Jakobsbrunnen‹ und der ›Teich Bethesda‹!« Im ›Teiche Bethesda‹,
welcher als bescheidener Einspänner den Zug schloß, kutschierte Melchior Böhni still und
vergnügt. Als Galion seines Fahrzeugs hatte er das Bild jenes jüdischen Männchens vor sich,
welches an besagtem Teich dreißig Jahre auf sein Heil gewartet. So segelte denn das
Geschwader im Sonnenscheine dahin und erschien bald auf der weithin schimmernden Höhe,
dem Ziele sich nahend. Da ertönte gleichzeitig von der entgegengesetzten Seite lustige Musik.
Aus einem duftig bereiften Walde heraus brach ein Wirrwarr von bunten Farben und Gestalten
und entwickelte sich zu einem Schlittenzug, welcher hoch am weißen Feldrande sich auf den
blauen Himmel zeichnete und ebenfalls nach der Mitte der Gegend hinglitt, von
abenteuerlichem Anblick. Es schienen meistens große bäuerliche Lastschlitten zu sein, je zwei
zusammengebunden, um absonderlichen Gebilden und Schaustellungen zur Unterlage zu
dienen. Auf dem vordersten Fuhrwerke ragte eine kolossale Figur empor, die Göttin Fortuna
vorstellend, welche in den Äther hinauszufliegen schien. Es war eine riesenhafte Strohpuppe
voll schimmernden Flittergoldes, deren Gazegewänder in der Luft flatterten. Auf dem zweiten
Gefährte aber fuhr ein ebenso riesenmäßiger Ziegenbock einher, schwarz und düster
abstechend und mit gesenkten Hörnern der Fortuna nachjagend. Hierauf folgte ein seltsames
Gerüste, welches sich als ein fünfzehn Schuh hohes Bügeleisen darstellte, dann eine gewaltig
schnappende Schere, welche mittels einer Schnur auf- und zugeklappt wurde und das
Himmelszelt für einen blauseidenen Westenstoff anzusehen schien. Andere solche landläufige
Anspielungen auf das Schneiderwesen folgten noch, und zu Füßen aller dieser Gebilde saß
auf den geräumigen, je von vier Pferden gezogenen Schlitten die Seldwyler Gesellschaft in
buntester Tracht, mit lautem Gelächter und Gesang.
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Als beide Züge gleichzeitig auf dem Platze vor dem Gasthause auffuhren, gab es demnach
einen geräuschvollen Auftritt und ein großes Gedränge von Menschen und Pferden. Die
Herrschaften von Goldach waren überrascht und erstaunt über die abenteuerliche Begegnung;
die Seldwyler dagegen stellten sich vorerst gemütlich und freundschaftlich bescheiden. Ihr
vorderster Schlitten mit der Fortuna trug die Inschrift: ›Leute machen Kleider‹, und so ergab
es sich denn, daß die ganze Gesellschaft lauter Schneidersleute von allen Nationen und aus
allen Zeitaltern darstellte. Es war gewissermaßen ein historisch-ethnographischer
Schneiderfestzug, welcher mit der umgekehrten und ergänzenden Inschrift abschloß: ›Kleider
machen Leute!‹ In dem letzten Schlitten mit dieser Überschrift saßen nämlich als das Werk
der vorausgefahrenen heidnischen und christlichen Nahtbeflissenen aller Art, ehrwürdige
Kaiser und Könige, Ratsherren und Stabsoffiziere, Prälaten und Stiftsdamen in höchster
Gravität.
Diese Schneiderwelt wußte sich gewandt aus dem Wirrwarr zu ordnen und ließ die Goldacher
Herren und Damen, das Brautpaar an deren Spitze, bescheiden ins Haus spazieren, um
nachher die unteren Räume desselben, welche für sie bestellt waren, zu besetzen, während
jene die breite Treppe empor nach dem großen Festsaale rauschten. Die Gesellschaft des
Herrn Grafen fand dies Benehmen schicklich, und ihre Überraschung verwandelte sich in
Heiterkeit und beifälliges Lächeln über die unverwüstliche Laune der Seldwyler; nur der Graf
selbst hegte gar dunkle Empfindungen, die ihm nicht behagten, obgleich er in der jetzigen
Voreingenommenheit seiner Seele keinen bestimmten Argwohn verspürte und nicht einmal
bemerkt hatte, woher die Leute gekommen waren. Melchior Böhni, der seinen ›Teich
Bethesda‹ sorglich beiseite gebracht hatte und sich aufmerksam in der Nähe Strapinskis
befand, nannte laut, daß dieser es hören konnte, eine ganz andere Ortschaft als den
Ursprungsort des Maskenzuges.
Bald saßen beide Gesellschaften, jegliche auf ihrem Stockwerke, an den gedeckten Tafeln und
gaben sich fröhlichen Gesprächen und Scherzreden hin in Erwartung weiterer Freuden.
Die kündigten sich denn auch für die Goldacher an, als sie paarweise in den Tanzsaal
hinüberschritten und dort die Musiker schon ihre Geigen stimmten. Wie nun aber alles im
Kreise stand und sich zum Reigen ordnen wollte, erschien eine Gesandtschaft der Seldwyler,
welche das freundnachbarliche Gesuch und Anerbieten vortrug, den Herren und Frauen von
Goldach einen Besuch abstatten zu dürfen und ihnen zum Ergötzen einen Schautanz
aufzuführen. Dieses Anerbieten konnte nicht wohl zurückgewiesen werden; auch versprach
man sich von den lustigen Seldwylern einen tüchtigen Spaß und setzte sich daher nach der
Anordnung der besagten Gesandtschaft in einem großen Halbring, in dessen Mitte Strapinski
und Nettchen glänzten gleich fürstlichen Sternen.
Nun traten allmählich jene besagten Schneidergruppen nacheinander ein. Jede führte in
zierlichem Gebärdenspiel den Satz ›Leute machen Kleider‹ und dessen Umkehrung durch,
indem sie erst mit Emsigkeit irgendein stattliches Kleidungsstück, einen Fürstenmantel,
Priestertalar und dergleichen anzufertigen schien und sodann eine dürftige Person damit
bekleidete, welche, urplötzlich umgewandelt, sich in höchstem Ansehen aufrichtete und nach
dem Takte der Musik feierlich einherging. Auch die Tierfabel wurde in diesem Sinne in Szene
gesetzt, da eine gewaltige Krähe erschien, die sich mit Pfauenfedern schmückte und quakend
umherhupfte, ein Wolf, der sich einen Schafspelz zurechtschneiderte, schließlich ein Esel, der
eine furchtbare Löwenhaut von Werg trug und sich heroisch damit drapierte wie mit einem
Karbonarimantel.
Alle, die so erschienen, traten nach vollbrachter Darstellung zurück und machten allmählich
so den Halbkreis der Goldacher zu einem weiten Ring von Zuschauern, dessen innerer Raum
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endlich leer ward. In diesem Augenblicke ging die Musik in eine wehmütige ernste Weise
über, und zugleich beschritt eine letzte Erscheinung den Kreis, dessen Augen sämtlich auf sie
gerichtet waren. Es war ein schlanker junger Mann in dunklem Mantel, dunkeln schönen
Haaren und mit einer polnischen Mütze; es war niemand anders als der Graf Strapinski, wie er
an jenem Novembertage auf der Straße gewandert und den verhängnisvollen Wagen bestiegen
hatte.
Die ganze Versammlung blickte lautlos gespannt auf die Gestalt, welche feierlich
schwermütig einige Gänge nach dem Takte der Musik umhertrat, dann in die Mitte des Ringes
sich begab, den Mantel auf den Boden breitete, sich schneidermäßig darauf niedersetzte und
anfing, ein Bündel auszupacken. Er zog einen beinahe fertigen Grafenrock hervor, ganz wie
ihn Strapinski in diesem Augenblicke trug, nähete mit großer Hast und Geschicklichkeit
Troddeln und Schnüre darauf und bügelte ihn schulgerecht aus, indem er das scheinbar heiße
Bügeleisen mit nassen Fingern prüfte. Dann richtete er sich langsam auf, zog seinen
fadenscheinigen Rock aus und das Prachtkleid an, nahm ein Spiegelchen, kämmte sich und
vollendete seinen Anzug, daß er endlich als das leibhaftige Ebenbild des Grafen dastand.
Unversehens ging die Musik in eine rasche mutige Weise über, der Mann wickelte seine
Siebensachen in den alten Mantel und warf das Pack weit über die Köpfe der Anwesenden
hinweg in die Tiefe des Saales, als wollte er sich ewig von seiner Vergangenheit trennen.
Hierauf beging er als stolzer Weltmann in stattlichen Tanzschritten den Kreis, hie und da sich
vor den Anwesenden huldreich verbeugend, bis er vor das Brautpaar gelangte. Plötzlich faßte
er den Polen, ungeheuer überrascht, fest ins Auge, stand als eine Säule vor ihm still, während
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gleichzeitig wie auf Verabredung die Musik aufhörte und eine fürchterliche Stille wie ein
stummer Blitz einfiel.
»Ei, ei, ei, ei«, rief er mit weithin vernehmlichen Stimme und reckte den Arm gegen den
Unglücklichen aus, »Sieh da den Bruder Schlesier, den Wasserpolacken! Der mir aus der
Arbeit gelaufen ist, weil er wegen einer kleinen Geschäftsschwankung glaubte, es sei zu Ende
mit mir. Nun, es freut mich, daß es Ihnen so lustig geht und Sie hier so fröhliche Fastnacht
halten! Stehen Sie in Arbeit zu Goldach?«
Zugleich gab er dem bleich und lächelnd dasitzenden Grafensohn die Hand, welche dieser
willenlos ergriff wie eine feurige Eisenstange, während der Doppelgänger rief: »Kommt,
Freunde, seht hier unsern sanften Schneidergesellen, der wie ein Raphael aussieht und unsern
Dienstmägden, auch der Pfarrerstochter so wohl gefiel, die freilich ein bißchen
übergeschnappt ist!«
Nun kamen die Seldwyler Leute alle herbei und drängten sich um Strapinski und seinen
ehemaligen Meister, indem sie ersterm treuherzig die Hand schüttelten, daß er auf seinem
Stuhle schwankte und zitterte. Gleichzeitig setzte die Musik wieder ein mit einem lebhaften
Marsch; die Seldwyler, sowie sie an dem Brautpaar vorüber waren, ordneten sich zum Abzuge
und marschierten unter Absingung eines wohl einstudierten diabolischen Lachchors aus dem
Saale, während die Goldacher, unter welchen Böhni die Erklärung des Mirakels blitzschnell
zu verbreiten gewußt hatte, durcheinanderliefen und sich mit den Seldwylern kreuzten, so daß
es einen großen Tumult gab.
Als dieser sich endlich legte, war auch der Saal beinahe leer; wenige Leute standen an den
Wänden und flüsterten verlegen untereinander; ein paar junge Damen hielten sich in einiger
Entfernung von Nettchen, unschlüssig, ob sie sich derselben nähern sollten oder nicht.
Das Paar aber saß unbeweglich auf seinen Stühlen gleich einem steinernen ägyptischen
Königspaar, ganz still und einsam; man glaubte, den unabsehbaren glühenden Wüstensand zu
fühlen.
Nettchen, weiß wie Marmor, wendete das Gesicht langsam nach ihrem Bräutigam und sah ihn
seltsam von der Seite an.
Da stand er langsam auf und ging mit schweren Schritten hinweg, die Augen auf den Boden
gerichtet, während große Tränen aus denselben fielen.
Er ging durch die Goldacher und Seldwyler, welche die Treppen bedeckten, hindurch wie ein
Toter, der sich gespenstisch von einem Jahrmarkt stiehlt, und sie ließen ihn seltsamerweise
auch wie einen solchen passieren, indem sie ihm still auswichen, ohne zu lachen oder harte
Worte nachzurufen. Er ging auch zwischen den zur Abfahrt gerüsteten Schlitten und Pferden
von Goldach hindurch, indessen die Seldwyler sich in ihrem Quartiere erst noch recht
belustigten, und er wandelte halb unbewußt, nur in der Meinung, nicht mehr nach Goldach
zurückzukommen, dieselbe Straße gegen Seldwyla hin, auf welcher er vor einigen Monaten
hergewandert war. Bald verschwand er in der Dunkelheit des Waldes, durch welchen sich die
Straße zog. Er war barhäuptig; denn seine Polenmütze war im Fenstersimse des Tanzsaales
liegengeblieben nebst den Handschuhen, und so schritt er denn, gesenkten Hauptes und die
frierenden Hände unter die gekreuzten Arme bergend, vorwärts, während seine Gedanken sich
allmählich sammelten und zu einigem Erkennen gelangten. Das erste deutliche Gefühl, dessen
er innewurde, war dasjenige einer ungeheuren Schande, gleichwie, wenn er ein wirklicher
Mann von Rang und Ansehen gewesen und nun infam geworden wäre durch Hereinbrechen
irgendeines verhängnisvollen Unglückes. Dann löste sich dieses Gefühl aber auf in eine Art
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Bewußtsein erlittenen Unrechtes; er hatte sich bis zu seinem glorreichen Einzug in die
verwünschte Stadt nie ein Vergehen zuschulden kommen lassen; soweit seine Gedanken in die
Kindheit zurückreichten, war ihm nicht erinnerlich, daß er je wegen einer Lüge oder einer
Täuschung gestraft oder gescholten worden wäre, und nun war er ein Betrüger geworden
dadurch, daß die Torheit der Welt ihn in einem unbewachten und sozusagen wehrlosen
Augenblicke überfallen und ihn zu ihrem Spielgesellen gemacht hatte. Er kam sich wie ein
Kind vor, welches ein anderes boshaftes Kind überredet hat, von einem Altare den Kelch zu
stehlen; er haßte und verachtete sich jetzt, aber er weinte auch über sich und seine
unglückliche Verirrung.
Wenn ein Fürst Land und Leute nimmt; wenn ein Priester die Lehre seiner Kirche ohne
Überzeugung verkündet, aber die Güter seiner Pfründe mit Würde verzehrt; wenn ein
dünkelvoller Lehrer die Ehren und Vorteile eines hohen Lehramtes innehat und genießt, ohne
von der Höhe seiner Wissenschaft den mindesten Begriff zu haben und derselben auch nur
den kleinsten Vorschub zu leisten; wenn ein Künstler ohne Tugend, mit leichtfertigem Tun
und leerer Gaukelei sich in Mode bringt und Brot und Ruhm der wahren Arbeit vorwegstiehlt,
oder wenn ein Schwindler, der einen großen Kaufmannsnamen geerbt oder erschlichen hat,
durch seine Torheiten und Gewissenlosigkeiten Tausende um ihre Ersparnisse und
Notpfennige bringt: so weinen alle diese nicht über sich, sondern erfreuen sich ihres
Wohlseins und bleiben nicht einen Abend ohne aufheiternde Gesellschaft und gute Freunde.
Unser Schneider aber weinte bitterlich über sich, das heißt, er fing solches plötzlich an, als
nun seine Gedanken an der schweren Kette, an der sie hingen, unversehens zu der verlassenen
Braut zurückkehrten und sich aus Scham vor der Unsichtbaren zur Erde krümmten. Das
Unglück und die Erniedrigung zeigten ihm mit einem hellen Strahle das verlorene Glück und
machten aus dem unklar verliebten Irrgänger einen verstoßenen Liebenden. Er streckte die
Arme gegen die kalt glänzenden Sterne empor und taumelte mehr, als er ging, auf seiner
Straße dahin, stand wieder still und schüttelte den Kopf, als plötzlich ein roter Schein den
Schnee um ihn her erreichte und zugleich Schellenklang und Gelächter ertönte. Es waren die
Seldwyler, welche mit Fackeln nach Hause fuhren. Schon näherten sich ihm die ersten Pferde
mit ihren Nasen; da raffte er sich auf, tat einen gewaltigen Sprung über den Straßenrand und
duckte sich unter die vordersten Stämme des Waldes. Der tolle Zug fuhr vorbei und verhallte
endlich in der dunklen Ferne, ohne daß der Flüchtling bemerkt worden war; dieser aber,
nachdem er eine gute Weile reglos gelauscht hatte, von der Kälte wie von den erst genossenen
feurigen Getränken und seiner gramvollen Dummheit übermannt, streckte unvermerkt seine
Glieder aus und schlief ein auf dem knisternden Schnee, während ein eiskalter Hauch von
Osten heranzuwehen begann.
Inzwischen erhob auch Nettchen sich von ihrem einsamen Sitze. Sie hatte dem abziehenden
Geliebten gewissermaßen aufmerksam nachgeschaut, saß länger als eine Stunde unbeweglich
da und stand dann auf, indem sie bitterlich zu weinen begann und ratlos nach der Türe ging.
Zwei Freundinnen gesellten sich nun zu ihr mit zweifelhaft tröstenden Worten; sie bat
dieselben, ihr Mantel, Tücher, Hut und dergleichen zu verschaffen, in welche Dinge sie sich
sodann stumm verhüllte, die Augen mit dem Schleier heftig trocknend. Da man aber, wenn
man weint, fast immer zugleich auch die Nase schneuzen muß, so sah sie sich doch genötigt,
das Taschentuch zu nehmen, und tat einen tüchtigen Schneuz, worauf sie stolz und zornig um
sich blickte. In dieses Blicken hinein geriet Melchior Böhni, der sich ihr freundlich, demütig
und lächelnd näherte und ihr die Notwendigkeit darstellte, nunmehr einen Führer und
Begleiter nach dem väterlichen Hause zurück zu haben. Den ›Teich Bethesda‹, sagte er, werde
er hier im Gasthause zurücklassen und dafür die ›Fortuna‹ mit der verehrten Unglücklichen
sicher nach Goldach hingeleiten.
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Ohne zu antworten, ging sie festen Schrittes voran nach dem Hofe, wo der Schlitten mit den
ungeduldigen, wohlgefütterten Pferden bereitstand, einer der letzten, welche dort waren. Sie
nahm rasch darin Platz, ergriff das Leitseil und die Peitsche, und während der achtlose Böhni,
mit glücklicher Geschäftigkeit sich gebärdend, dem Stallknechte, der die Pferde gehalten, das
Trinkgeld hervorsuchte, trieb sie unversehens die Pferde an und fuhr auf die Landstraße
hinaus in starken Sätzen, welche sich bald in einen anhaltenden munteren Galopp
verwandelten. Und zwar ging es nicht nach der Heimat, sondern auf der Seldwyler Straße hin.
Erst als das leichtbeschwingte Fahrzeug schon dem Blick entschwunden war, entdeckte Herr
Böhni das Ereignis und lief in der Richtung gegen Goldach mit Hoho! und Haltrufen, sprang
dann zurück und jagte mit seinem eigenen Schlitten der entflohenen oder nach seiner
Meinung durch die Pferde entführten Schönen nach, bis er am Tore der aufgeregten Stadt
anlangte, in welcher das Ärgernis bereits alle Zungen beschäftigte.
Warum Nettchen jenen Weg eingeschlagen, ob in der Verwirrung oder mit Vorsatz, ist nicht
sicher zu berichten. Zwei Umstände mögen hier ein leises Licht gewähren. Einmal lagen
sonderbarerweise die Pelzmütze und die Handschuhe Strapinskis, welche auf dem
Fenstersimse hinter dem Sitze des Paares gelegen hatten, nun im Schlitten der ›Fortuna‹
neben Nettchen; wann und wie sie diese Gegenstände ergriffen, hatte niemand beachtet, und
sie selbst wußte es nicht; es war wie im Schlafwandel geschehen. Sie wußte jetzt noch nicht,
daß Mütze und Handschuhe neben ihr lagen. Sodann sagte sie mehr als einmal laut vor sich
hin: »Ich muß noch zwei Worte mit ihm sprechen, nur zwei Worte!«
Diese beiden Tatsachen scheinen zu beweisen, daß nicht ganz der Zufall die feurigen Pferde
lenkte. Auch war es seltsam, als die ›Fortuna‹ in die Waldstraße gelangte, in welche jetzt der
helle Vollmond hineinschien, wie Nettchen den Lauf der Pferde mäßigte und die Zügel fester
anzog, so daß dieselben beinahe nur im Schritt einhertanzten, während die Lenkerin die
traurigen, aber dennoch scharfen Augen gespannt auf den Weg heftete, ohne links und rechts
den geringsten auffälligen Gegenstand außer acht zu lassen.
Und doch war gleichzeitig ihre Seele wie in tiefer, schwerer, unglücklicher Vergessenheit
befangen. Was sind Glück und Leben! Von was hängen sie ab? Was sind wir selbst, daß wir
wegen einer lächerlichen Fastnachtslüge glücklich oder unglücklich werden? Was haben wir
verschuldet, wenn wir durch eine fröhliche, gläubige Zuneigung Schmach und
Hoffnungslosigkeit einernten? Wer sendet uns solche einfältige Truggestalten, die zerstörend
in unser Schicksal eingreifen, während sie sich selbst daran auflösen wie schwache
Seifenblasen?
Solche mehr geträumte als gedachte Fragen umfingen die Seele Nettchens, als ihre Augen sich
plötzlich auf einen länglichen dunkeln Gegenstand richteten, welcher zur Seite der Straße sich
vom mondbeglänzten Schnee abhob. Es war der langhingestreckte Wenzel, dessen dunkles
Haar sich mit dem Schatten der Bäume vermischte, während sein schlanker Körper deutlich
im Lichte lag.
Nettchen hielt unwillkürlich die Pferde an, womit eine tiefe Stille über den Wald kam. Sie
starrte unverwandt nach dem dunklen Körper, bis derselbe sich ihrem hellsehenden Auge fast
unverkennbar darstellte und sie leise die Zügel festband, ausstieg, die Pferde einen
Augenblick beruhigend streichelte und sich hierauf der Erscheinung vorsichtig, lautlos
näherte.
Ja, er war es. Der dunkelgrüne Sammet seines Rockes nahm sich selbst auf dem nächtlichen
Schnee schön und edel aus; der schlanke Leib und die geschmeidigen Glieder, wohl geschnürt
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und bekleidet, alles sagte noch in der Erstarrung, am Rande des Unterganges, im
Verlorensein: Kleider machen Leute!
Als sich die einsame Schöne näher über ihn hinbeugte und ihn ganz sicher erkannte, sah sie
auch sogleich die Gefahr, in der sein Leben schwebte, und fürchtete, er möchte bereits
erfroren sein. Sie ergriff daher unbedenklich eine seiner Hände, die kalt und gefühllos schien.
Alles andere vergessend, rüttelte sie den Ärmsten und rief ihm seinen Taufnamen ins Ohr:
»Wenzel, Wenzel!« Umsonst, er rührte sich nicht, sondern atmete nur schwach und traurig.
Da fiel sie über ihn her, fuhr mit der Hand über sein Gesicht und gab ihm in der Beängstigung
Nasenstüber auf die erbleichte Nasenspitze. Dann nahm sie, hierdurch auf einen guten
Gedanken gebracht, Hände voll Schnee und rieb ihm die Nase und das Gesicht und auch die
Finger tüchtig, soviel sie vermochte und bis sich der glücklich Unglückliche erholte, erwachte
und langsam seine Gestalt in die Höhe richtete.
Er blickte um sich und sah die Retterin vor sich stehen. Sie hatte den Schleier
zurückgeschlagen; Wenzel erkannte jeden Zug in ihrem weißen Gesicht, das ihn ansah mit
großen Augen.
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Er stürzte vor ihr nieder, küßte den Saum ihres Mantels und rief: »Verzeih mir! Verzeih mir!«
»Komm, fremder Mensch!« sagte sie mit unterdrückter zitternder Stimme. »Ich werde mit dir
sprechen und dich fortschaffen!«
Sie winkte ihm, in den Schlitten zu steigen, was er folgsam tat; sie gab ihm Mütze und
Handschuhe ebenso unwillkürlich, wie sie dieselben mitgenommen hatte, ergriff Zügel und
Peitsche und fuhr vorwärts.
Jenseits des Waldes, unfern der Straße, lag ein Bauernhof, auf welchem eine Bäuerin hauste,
deren Mann unlängst gestorben. Nettchen war die Patin eines ihrer Kinder sowie der Vater
Amtsrat ihr Zinsherr. Noch neulich war die Frau bei ihnen gewesen, um der Tochter Glück zu
wünschen und allerlei Rat zu holen, konnte aber zu dieser Stunde noch nichts von dem
Wandel der Dinge wissen.
Nach diesem Hofe fuhr Nettchen jetzt, von der Straße ablenkend und mit einem kräftigen
Peitschenknallen vor dem Hause haltend. Es war noch Licht hinter den kleinen Fenstern; denn
die Bäuerin war wach und machte sich zu schaffen, während Kinder und Gesinde längst
schliefen. Sie öffnete das Fenster und guckte verwundert heraus. »Ich bin's nur, wir sind's!«
rief Nettchen. »Wir haben uns verirrt wegen der neuen obern Straße, die ich noch nie gefahren
bin; macht uns einen Kaffee, Frau Gevatterin, und laßt uns einen Augenblick hineinkommen,
ehe wir weiterfahren!«
Gar vergnügt eilte die Bäuerin her, da sie Nettchen sofort erkannte, und bezeigte sich entzückt
und eingeschüchtert zugleich, auch das große Tier, den fremden Grafen, zu sehen. In ihren
Augen waren Glück und Glanz dieser Welt in diesen zwei Personen über ihre Schwelle
getreten; unbestimmte Hoffnungen, einen kleinen Teil daran, irgendeinen bescheidenen
Nutzen für sich oder ihre Kinder zu gewinnen, belebten die gute Frau und gaben ihr alle
Behendigkeit, die jungen Herrschaftsleute zu bedienen. Schnell hatte sie ein Knechtchen
geweckt, die Pferde zu halten, und bald hatte sie auch einen heißen Kaffee bereitet, welchen
sie jetzt hereinbrachte, wo Wenzel und Nettchen in der halbdunklen Stube einander
gegenübersaßen, ein schwach flackerndes Lämpchen zwischen sich auf dem Tische.
Wenzel saß, den Kopf in die Hände gestützt, und wagte nicht aufzublicken. Nettchen lehnte
auf ihrem Stuhle zurück und hielt die Augen fest verschlossen, aber ebenso den bitteren
schönen Mund, woran man sah, daß sie keineswegs schlief.
Als die Gevattersfrau den Trank auf den Tisch gesetzt hatte, erhob sich Nettchen rasch und
flüsterte ihr zu: »Laßt uns jetzt eine Viertelstunde allein, legt Euch aufs Bett, liebe Frau! Wir
haben uns ein bißchen gezankt und müssen uns heute noch aussprechen, da hier gute
Gelegenheit ist!«
»Ich verstehe schon, Ihr macht's gut so!« sagte die Frau und ließ die zwei bald allein.
»Trinken Sie dies«, sagte Nettchen, die sich wieder gesetzt hatte, »es wird Ihnen gesund
sein!« Sie selbst berührte nichts. Wenzel Strapinski, der leise zitterte, richtete sich auf, nahm
eine Tasse und trank sie aus, mehr, weil sie es gesagt hatte, als um sich zu erfrischen. Er
blickte sie jetzt auch an, und als ihre Augen sich begegneten und Nettchen forschend die
seinigen betrachtete, schüttelte sie das Haupt und sagte dann: »Wer sind Sie? Was wollten Sie
mit mir?«
»Ich bin nicht ganz so, wie ich scheine!« erwiderte er traurig. »Ich bin ein armer Narr, aber
ich werde alles gutmachen und Ihnen Genugtuung geben und nicht lange mehr am Leben
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sein!« Solche Worte sagte er so überzeugt und ohne allen gemachten Ausdruck, daß Nettchens
Augen unmerklich aufblitzten. Dennoch wiederholte sie: »Ich wünsche zu wissen, wer Sie
eigentlich seien und woher Sie kommen und wohin Sie wollen.«
»Es ist alles so gekommen, wie ich Ihnen jetzt der Wahrheit gemäß erzählen will«, anwortete
er und sagte ihr, wer er sei und wie es ihm bei seinem Einzug in Goldach ergangen. Er
beteuerte besonders, wie er mehrmals habe fliehen wollen, schließlich aber durch ihr
Erscheinen selbst gehindert worden sei wie in einem verhexten Traume.
Nettchen wurde mehrmals von einem Anflug von Lachen heimgesucht; doch überwog der
Ernst ihrer Angelegenheit zu sehr, als daß es zum Ausbruch gekommen wäre. Sie fuhr
vielmehr fort zu fragen: »Und wohin gedachten Sie mit mir zu gehen und was zu beginnen?«
- »Ich weiß es kaum«, erwiderte er; »ich hoffte auf weitere merkwürdige oder glückliche
Dinge; auch gedachte ich zuweilen des Todes in der Art, daß ich mir denselben geben wolle,
nachdem ich ...«
Hier stockte Wenzel, und sein bleiches Gesicht wurde ganz rot.
»Nun, fahren Sie fort!« sagte Nettchen, ihrerseits bleich werdend, indessen ihr Herz
wunderlich klopfte.
Da flammten Wenzels Augen groß und süß auf, und er rief:
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»Ja, jetzt ist es mir klar und deutlich vor Augen, wie es gekommen wäre! Ich wäre mit dir in
die weite Welt gegangen, und nachdem ich einige kurze Tage des Glückes mit dir gelebt, hätte
ich dir den Betrug gestanden und mir gleichzeitig den Tod gegeben. Du wärest zu deinem
Vater zurückgekehrt, wo du wohl aufgehoben gewesen wärest und mich leicht vergessen
hättest. Niemand brauchte darum zu wissen; ich wäre spurlos verschollen. Anstatt an der
Sehnsucht nach einem würdigen Dasein, nach einem gütigen Herzen, nach Liebe lebenslang
zu kranken«, fuhr er wehmütig fort, »wäre ich einen Augenblick lang groß und glücklich
gewesen und hoch über allen, die weder glücklich noch unglücklich sind und doch nie sterben
wollen! O hätten Sie mich liegengelassen im kalten Schnee, ich wäre so ruhig eingeschlafen!«
Er war wieder still geworden und schaute düster sinnend vor sich hin.
Nach einer Weile sagte Nettchen, die ihn still betrachtet, nachdem das durch Wenzels Reden
angefachte Schlagen ihres Herzens sich etwas gelegt hatte:
»Haben Sie dergleichen oder ähnliche Streiche früher schon begangen und fremde Menschen
angelogen, die Ihnen nichts zuleide getan?«
»Das habe ich mich in dieser bitteren Nacht selbst schon gefragt und mich nicht erinnert, daß
ich je ein Lügner gewesen bin! Ein solches Abenteuer habe ich noch gar nie gemacht oder
erfahren! Ja, in jenen Tagen, als der Hang in mir entstanden, etwas Ordentliches zu sein oder
zu scheinen, in halber Kindheit noch, habe ich mich selbst überwunden und einem Glück
entsagt, das mir beschieden schien!«
»Was ist dies?« fragte Nettchen.
»Meine Mutter war, ehe sie sich verheiratet hatte, in Diensten einer benachbarten Gutsherrin
und mit derselben auf Reisen und in großen Städten gewesen. Davon hatte sie eine feinere Art
bekommen als die anderen Weiber unseres Dorfes und war wohl auch etwas eitel; denn sie
kleidete sich und mich, ihr einziges Kind, immer etwas zierlicher und gesuchter, als es bei uns
Sitte war. Der Vater, ein armer Schulmeister, starb aber früh, und so blieb uns bei größter
Armut keine Aussicht auf glückliche Erlebnisse, von welchen die Mutter gerne zu träumen
pflegte. Vielmehr mußte sie sich harter Arbeit hingeben, um uns zu ernähren, und damit das
Liebste, was sie hatte, etwas bessere Haltung und Kleidung, aufopfern. Unerwartet sagte nun
jene inzwischen verwitwete Gutsherrin, als ich etwa sechzehn Jahre alt war, sie gehe mit
ihrem Haushalt in die Residenz für immer; die Mutter solle mich mitgeben, es sei schade für
mich, in dem Dorfe ein Tagelöhner oder Bauernknecht zu werden, sie wolle mich etwas
Feines lernen lassen, zu was ich Lust habe, während ich in ihrem Hause leben und diese und
jene leichten Dienstleistungen tun könne. Das schien nun das Herrlichste zu sein, was sich für
uns ereignen mochte. Alles wurde demgemäß verabredet und zubereitet, als die Mutter
nachdenklich und traurig wurde und mich eines Tages plötzlich mit vielen Tränen bat, sie
nicht zu verlassen, sondern mit ihr arm zu bleiben; sie werde nicht alt werden, sagte sie, und
ich würde gewiß noch zu etwas Gutem gelangen, auch wenn sie tot sei. Die Gutsherrin, der
ich das betrübt hinterbrachte, kam her und machte meiner Mutter Vorstellungen; aber diese
wurde jetzt ganz aufgeregt und rief einmal um das andere, sie lasse sich ihr Kind nicht
rauben; wer es kenne ...«
Hier stockte Wenzel Strapinski abermals und wußte sich nicht recht fortzuhelfen. Nettchen
fragte: »Was sagte die Mutter, wer es kenne? Warum fahren Sie nicht fort?«
Wenzel errötete und antwortete: »Sie sagte etwas Seltsames, was ich nicht recht verstand und
was ich jedenfalls seither nicht verspürt habe; sie meinte, wer das Kind kenne, könne nicht
mehr von ihm lassen, und wollte wohl damit sagen, daß ich ein gutmütiger Junge gewesen sei
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oder etwas dergleichen. Kurz, sie war so aufgeregt, daß ich trotz alles Zuredens jener Dame
entsagte und bei der Mutter blieb, wofür sie mich doppelt liebhatte, tausendmal mich um
Verzeihung bittend, daß sie mir vor dem Glücke sei. Als ich aber nun auch etwas verdienen
lernen sollte, stellte es sich heraus, daß nicht viel anderes zu tun war, als daß ich zu unserm
Dorfschneider in die Lehre ging. Ich wollte nicht, aber die Mutter weinte so sehr, daß ich
mich ergab. Dies ist die Geschichte.«
Auf Nettchens Frage, warum er denn doch von der Mutter fort sei und wann, erwiderte
Wenzel: »Der Militärdienst rief mich weg. Ich wurde unter die Husaren gesteckt und war ein
ganz hübscher roter Husar, obwohl vielleicht der dümmste im Regiment, jedenfalls der
stillste. Nach einem Jahre konnte ich endlich für ein paar Wochen Urlaub erhalten und eilte
nach Hause, meine gute Mutter zu sehen; aber sie war eben gestorben. Da bin ich denn, als
meine Zeit vorbei war, einsam in die Welt gereist und endlich hier in mein Unglück geraten.«
Nettchen lächelte, als er dieses vor sich hinklagte und sie ihn dabei aufmerksam betrachtete.
Es war jetzt eine Zeitlang still in der Stube; auf einmal schien ihr ein Gedanke aufzutauchen.
»Da Sie«, sagte sie plötzlich, aber dennoch mit zögerndem spitzigen Wesen, »stets so
wertgeschätzt und liebenswürdig waren, so haben Sie ohne Zweifel auch jederzeit Ihre
gehörigen Liebschaften oder dergleichen gehabt und wohl schon mehr als ein armes
Frauenzimmer auf dem Gewissen - von mir nicht zu reden?«
»Ach Gott«, erwiderte Wenzel, ganz rot werdend, »eh' ich zu Ihnen kam, habe ich niemals
auch nur die Fingerspitzen eines Mädchens berührt, ausgenommen ...«
»Nun?« sagte Nettchen.
»Nun«, fuhr er fort, »das war eben jene Frau, die mich mitnehmen und bilden lassen wollte,
die hatte ein Kind, ein Mädchen von sieben oder acht Jahren, ein seltsames, heftiges Kind und
doch gut wie Zucker und schön wie ein Engel. Dem hatte ich vielfach den Diener und
Beschützer machen müssen, und es hatte sich an mich gewöhnt. Ich mußte es regelmäßig
nach dem entfernten Pfarrhof bringen, wo es bei dem alten Pfarrer Unterricht genoß, und es
von da wieder abholen. Auch sonst mußte ich öfter mit ihm ins Freie, wenn sonst niemand
gerade mitgehen konnte. Dieses Kind nun, als ich es zum letztenmal im Abendschein über das
Feld nach Hause führte, fing von der bevorstehenden Abreise zu reden an, erklärte mir, ich
müßte dennoch mitgehen, und fragte, ob ich es tun wolle. Ich sagte, daß es nicht sein könne.
Das Kind fuhr aber fort, gar beweglich und dringlich zu bitten, indem es mir am Arme hing
und mich am Gehen hinderte, wie Kinder zu tun pflegen, so daß ich mich bedachtlos wohl
etwas unwirsch frei machte. Da senkte das Mädchen sein Haupt und suchte beschämt und
traurig die Tränen zu unterdrücken, die jetzt hervorbrachen, und es vermochte kaum das
Schluchzen zu bemeistern. Betroffen wollte ich das Kind begütigen; allein nun wandte es sich
zornig ab und entließ mich in Ungnaden. Seitdem ist mir das schöne Kind immer im Sinne
geblieben, und mein Herz hat immer an ihm gehangen, obgleich ich nie wieder von ihm
gehört habe ...«
Plötzlich hielt der Sprecher, der in eine sanfte Erregung geraten war, wie erschreckt inne und
starrte erbleichend seine Gefährtin an.
»Nun«, sagte Nettchen ihrerseits mit seltsamem Tone, in gleicher Weise etwas blaß geworden,
»was sehen Sie mich so an?«
Wenzel aber streckte den Arm aus, zeigte mit dem Finger auf sie, wie wenn er einen Geist
sähe, und rief: »Dieses habe ich auch schon erblickt. Wenn jenes Kind zornig war, so hoben
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sich ganz so, wie jetzt bei Ihnen, die schönen Haare um Stirne und Schläfe ein wenig
aufwärts, daß man sie sich bewegen sah, und so war es auch zuletzt auf dem Felde in jenem
Abendglanze.«
In der Tat hatten sich die zunächst den Schläfen und über der Stirne liegenden Locken
Nettchens leise bewegt wie von einem ins Gesicht wehenden Lufthauche.
Die allzeit etwas kokette Mutter Natur hatte hier eines ihrer Geheimnisse angewendet, um den
schwierigen Handel zu Ende zu führen.
Nach kurzem Schweigen, indem ihre Brust sich zu heben begann, stand Nettchen auf, ging
um den Tisch herum dem Manne entgegen und fiel ihm um den Hals mit den Worten: »Ich
will dich nicht verlassen! Du bist mein, und ich will mit dir gehen trotz aller Welt!«
So feierte sie erst jetzt ihre rechte Verlobung aus tief entschlossener Seele, indem sie in süßer
Leidenschaft ein Schicksal auf sich nahm und Treue hielt.
Doch war sie keineswegs so blöde, dieses Schicksal nicht selbst ein wenig lenken zu wollen;
vielmehr faßte sie rasch und keck neue Entschlüsse. Denn sie sagte zu dem guten Wenzel, der
in dem abermaligen Glückswechsel verloren träumte:
»Nun wollen wir gerade nach Seldwyla gehen und den Dortigen, die uns zu zerstören
gedachten, zeigen, daß sie uns erst recht vereinigt und glücklich gemacht haben!«
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Dem wackern Wenzel wollte das nicht einleuchten. Er wünschte vielmehr, in unbekannte
Weiten zu ziehen und geheimnisvoll und romantisch dort zu leben in stillem Glücke, wie er
sagte.
Allein Nettchen rief: »Keine Romane mehr! Wie du bist, ein armer Wandersmann, will ich
mich zu dir bekennen und in meiner Heimat allen diesen Stolzen und Spöttern zum Trotze
dein Weib sein! Wir wollen nach Seldwyla gehen und dort durch Tätigkeit und Klugheit die
Menschen, die uns verhöhnt haben, von uns abhängig machen!«
Und wie gesagt, so getan! Nachdem die Bäuerin herbeigerufen und von Wenzel, der anfing,
seine neue Stellung einzunehmen, beschenkt worden war, fuhren sie ihres Weges weiter.
Wenzel führte jetzt die Zügel, Nettchen lehnte sich so zufrieden an ihn, als ob er eine
Kirchensäule wäre. Denn des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und Nettchen war just
vor drei Tagen volljährig geworden und konnte dem ihrigen folgen.
In Seldwyla hielten sie vor dem Gasthause ›Zum Regenbogen‹, wo noch eine Zahl jener
Schlittenfahrer beim Glase saß. Als das Paar im Wirtssaale erschien, lief wie ein Feuer die
Rede herum: »Ha, da haben wir eine Entführung! Wir haben eine köstliche Geschichte
eingeleitet!«
Doch ging Wenzel ohne Umsehen hindurch mit seiner Braut, und nachdem sie in ihren
Gemächern verschwunden war, begab er sich in den ›Wilden Mann‹, ein anderes gutes
Gasthaus, und schritt stolz durch die dort ebenfalls noch hausenden Seldwyler hindurch in ein
Zimmer, das er begehrte, und überließ sie ihren erstaunten Beratungen, über welchen sie sich
das grimmigste Kopfweh anzutrinken genötigt waren.
Auch in der Stadt Goldach lief um die gleiche Zeit schon das Wort ›Entführung!‹ herum. In
aller Frühe schon fuhr auch der ›Teich Bethesda‹ nach Seldwyla, von dem aufgeregten Böhni
und Nettchens betroffenem Vater bestiegen. Fast wären sie in ihrer Eile ohne Anhalt durch
Seldwyla gefahren, als sie noch rechtzeitig den Schlitten ›Fortuna‹ wohlbehalten vor dem
Gasthause stehen sahen und zu ihrem Troste vermuteten, daß wenigstens die schönen Pferde
auch nicht weit sein würden. Sie ließen daher ausspannen, als sich die Vermutung bestätigte
und sie die Ankunft und den Aufenthalt Nettchens vernahmen, und gingen gleichfalls in den
›Regenbogen‹ hinein.
Es dauerte jedoch eine kleine Weile, bis Nettchen den Vater bitten ließ, sie auf ihrem Zimmer
zu besuchen und dort allein mit ihr zu sprechen. Auch sagte man, sie habe bereits den besten
Rechtsanwalt der Stadt rufen lassen, welcher im Laufe des Vormittags erscheinen werde. Der
Amtsrat ging etwas schweren Herzens zu seiner Tochter hinauf, überlegend, auf welche Weise
er das desperate Kind am besten aus der Verirrung zurückführe, und war auf ein verzweifeltes
Gebaren gefaßt.
Allein mit Ruhe und sanfter Festigkeit trat ihm Nettchen entgegen. Sie dankte ihrem Vater mit
Rührung für alle ihr bewiesene Liebe und Güte und erklärte sodann in bestimmten Sätzen:
erstens, sie wolle nach dem Vorgefallenen nicht mehr in Goldach leben, wenigstens nicht die
nächsten Jahre; zweitens wünsche sie ihr bedeutendes mütterliches Erbe an sich zu nehmen,
welches der Vater ja schon lange für den Fall ihrer Verheiratung bereit gehalten; drittens wolle
sie den Wenzel Strapinski heiraten, woran vor allem nichts zu ändern sei; viertens wolle sie
mit ihm in Seldwyla wohnen und ihm da ein tüchtiges Geschäft gründen helfen, und fünftens
und letztens werde alles gut werden; denn sie habe sich überzeugt, daß er ein guter Mensch
sei und sie glücklich machen werde.
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Der Amtsrat begann seine Arbeit mit der Erinnerung, daß Nettchen ja wisse, wie sehr er schon
gewünscht habe, ihr Vermögen zur Begründung ihres wahren Glückes je eher je lieber in ihre
Hände legen zu können. Dann aber schilderte er mit aller Bekümmernis, die ihn seit der ersten
Kunde von der schrecklichen Katastrophe erfüllte, das Unmögliche des Verhältnisses, das sie
festhalten wolle, und schließlich zeigte er das große Mittel, durch welches sich der schwere
Konflikt allein würdig lösen lasse. Herr Melchior Böhni sei es, der bereit sei, durch
augenblickliches Einstehen mit seiner Person den ganzen Handel niederzuschlagen und mit
seinem unantastbaren Namen ihre Ehre vor der Welt zu schützen und aufrechtzuhalten.
Aber das Wort Ehre brachte nun doch die Tochter in größere Aufregung. Sie rief, gerade die
Ehre sei es, welche ihr gebiete, den Herrn Böhni nicht zu heiraten, weil sie ihn nicht leiden
könne, dagegen dem armen Fremden getreu zu bleiben, welchem sie ihr Wort gegeben habe
und den sie auch leiden könne!
Es gab nun ein fruchtloses Hin- und Widerreden, welches die standhafte Schöne endlich doch
zum Tränenvergießen brachte.
Fast gleichzeitig drangen Wenzel und Böhni herein, welche auf der Treppe
zusammengetroffen, und es drohte eine große Verwirrung zu entstehen, als auch der
Rechtsanwalt erschien, ein dem Amtsrate wohlbekannter Mann, und vorderhand zur
friedlichen Besonnenheit mahnte. Als er in wenigen vorläufigen Worten vernahm, worum es
sich handle, ordnete er an, daß vor allem Wenzel sich in den ›Wilden Mann‹ zurückziehe und
sich dort still halte, daß auch Herr Böhni sich nicht einmische und fortgehe, daß Nettchen
ihrerseits alle Formen des bürgerlichen guten Tones wahre bis zum Austrag der Sache und der
Vater auf jede Ausübung von Zwang verzichte, da die Freiheit der Tochter gesetzlich
unbezweifelt sei.
So gab es denn einen Waffenstillstand und eine allgemeine Trennung für einige Stunden.
In der Stadt, wo der Anwalt ein paar Worte verlauten ließ von einem großen Vermögen,
welches vielleicht nach Seldwyla käme durch diese Geschichte, entstand nun ein großer
Lärm. Die Stimmung der Seldwyler schlug plötzlich um zugunsten des Schneiders und seiner
Verlobten, und sie beschlossen, die Liebenden zu schützen mit Gut und Blut und in ihrer Stadt
Recht und Freiheit der Person zu wahren. Als daher das Gerücht ging, die Schöne von
Goldach solle mit Gewalt zurückgeführt werden, rotteten sie sich zusammen, stellten
bewaffnete Schutz- und Ehrenwachen vor den ›Regenbogen‹ und vor den ›wilden Mann‹ und
begingen überhaupt mit gewaltiger Lustbarkeit eines ihrer großen Abenteuer, als merkwürdige
Fortsetzung des gestrigen.
Der erschreckte und gereizte Amtsrat schickte seinen Böhni nach Goldach um Hilfe. Der fuhr
im Galopp hin, und am nächsten Tage fuhren eine Anzahl Männer mit einer ansehnlichen
Polizeimacht von dort herüber, um dem Amtsrat beizustehen, und es gewann den Anschein,
als ob Seldwyla ein neues Troja werden sollte. Die Parteien standen sich drohend gegenüber;
der Stadttambour drehte bereits an seiner Spannschraube und tat einzelne Schläge mit dem
rechten Schlegel. Da kamen höhere Amtspersonen, geistliche und weltliche Herren, auf den
Platz, und die Unterhandlungen, welche allseitig gepflogen wurden, ergaben endlich, da
Nettchen fest blieb und Wenzel sich nicht einschüchtern ließ, aufgemuntert durch die
Seldwyler, daß das Aufgebot ihrer Ehe nach Sammlung aller nötigen Schriften förmlich
stattfinden und daß gewärtig werden solle, ob und welche gesetzliche Einsprachen während
dieses Verfahrens dagegen erhoben würden und mit welchem Erfolge.
Solche Einsprachen konnten bei der Volljährigkeit Nettchens einzig noch erhoben werden
wegen der zweifelhaften Person des falschen Grafen Wenzel Strapinski.
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Allein der Rechtsanwalt, der seine und Nettchens Sache nun führte, ermittelte, daß den
fremden jungen Mann weder in seiner Heimat noch auf seinen bisherigen Fahrten auch nur
der Schatten eines bösen Leumunds getroffen habe und von überall her nur gute und
wohlwollende Zeugnisse für ihn einliefen.
Was die Ereignisse in Goldach betraf, so wies der Advokat nach, daß Wenzel sich eigentlich
gar nie selbst für einen Grafen ausgegeben, sondern daß ihm dieser Rang von andern
gewaltsam verliehen worden; daß er schriftlich auf allen vorhandenen Belegstücken mit
seinem wirklichen Namen Wenzel Strapinski ohne jede Zutat sich unterzeichnet hatte und
somit kein anderes Vergehen vorlag, als daß er eine törichte Gastfreundschaft genossen hatte,
die ihm nicht gewährt worden wäre, wenn er nicht in jenem Wagen angekommen wäre und
jener Kutscher nicht jenen schlechten Spaß gemacht hätte.
So endigte denn der Krieg mit einer Hochzeit, an welcher die Seldwyler mit ihren
sogenannten Katzenköpfen gewaltig schossen zum Verdrusse der Goldacher, welche den
Geschützdonner ganz gut hören konnten, da der Westwind wehte. Der Amtsrat gab Nettchen
ihr ganzes Gut heraus, und sie sagte, Wenzel müsse nun ein großer Marchand-Tailleur und
Tuchherr werden in Seldwyla; denn da hieß der Tuchhändler noch Tuchherr, der Eisenhändler
Eisenherr usw.
Das geschah denn auch, aber in ganz anderer Weise, als die Seldwyler geträumt hatten. Er war
bescheiden, sparsam und fleißig in seinem Geschäfte, welchem er einen großen Umfang zu
geben verstand. Er machte ihnen ihre veilchenfarbigen oder weiß und blau gewürfelten
Sammetwesten, ihre Ballfräcke mit goldenen Knöpfen, ihre rot ausgeschlagenen Mäntel, und
alles waren sie ihm schuldig, aber nie zu lange Zeit. Denn um neue, noch schönere Sachen zu
erhalten, welche er kommen oder anfertigen ließ, mußten sie ihm das Frühere bezahlen, so
daß sie untereinander klagten, er presse ihnen das Blut unter den Nägeln hervor.
Dabei wurde er rund und stattlich und sah beinah gar nicht mehr träumerisch aus; er wurde
von Jahr zu Jahr geschäftserfahrener und gewandter und wußte in Verbindung mit seinem
bald versöhnten Schwiegervater, dem Amtsrat, so gute Spekulationen zu machen, daß sich
sein Vermögen verdoppelte und er nach zehn oder zwölf Jahren mit ebenso vielen Kindern,
die inzwischen Nettchen, die Strapinska, geboren hatte, und mit letzterer nach Goldach
übersiedelte und daselbst ein angesehener Mann ward.
Aber in Seldwyla ließ er nicht einen Stüber zurück, sei es aus Undank oder aus Rache.
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