PDF 5.1MB - Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990

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PDF 5.1MB - Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990
«Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990»
06.07.2012 – 28.10.2012
Unterlagen für Schulen
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
«Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990»
06.07.2012 – 28.10.2012
Unterlagen für Schulen
Bildung & Vermittlung | Landesmuseum Zürich
Liebe Lehrerinnen und Lehrer
Ein Stuhl, der zu zerfliessen droht, ein Regal in der Form eines chinesischen Schriftzeichens,
eine Brücke als Schreibtisch – Architekten, Designer und Künstler spielten in den 70er und
80ern mit Form und Funktion. Einige unter Ihnen werden sich noch persönlich an die Zeit
erinnern, in der die Postmoderne auf Ihr Leben und die Sie umgebende Kultur und Design einen
grossen Einfluss hatte. Für Ihre Schülerinnen und Schüler ist die Postmoderne bereits
Geschichte, eine historische Epoche, die sie nicht selber erlebt haben. Nichtsdestotrotz hoffen
wir, zusammen mit Professor Martin Roth, Direktor Victoria and Albert Museum London,
«… auch das Interesse der jüngeren Generation zu wecken. Die jungen Leute sollen
diese dramatische Periode in der Geschichte von Kunst und Design und ihren bis heute
andauernden Einfluss für sich entdecken.»
In Führungen und Workshops mit den Schülerinnen und Schülern gehen wir unter anderem den
Fragen nach, was wir unter Postmoderne verstehen und wie sich die Postmoderne auf ihr Leben
jetzt (noch) auswirkt. Ist die Postmoderne bereits zu Ende? Und jetzt? In welcher Epoche
befinden wir uns heute?
Wir freuen uns auf viele interessante Diskussionen. Weitere Informationen finden Sie unter
www.landesmuseum.ch/schulen.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch im Landesmuseum Zürich.
Prisca Senn, Leitung Bildung & Vermittlung
Rebecca Sanders, Lisa Trapp
Bildung & Vermittlung | Landesmuseum Zürich.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
Angebote für Schulen
Angebote für Schulklassen aus der Schweiz sind kostenlos.
Der Besuch der Ausstellung mit einer Schulklasse ist nur auf Anmeldung möglich.
Einführung für Lehrpersonen
Rundgang durch die Ausstellung mit Christina Sonderegger, Ausstellungskuratorin, Prisca Senn
und Rebecca Sanders, Bildung & Vermittlung. Präsentation der Angebote für Schulen und
didaktische Inputs. Anmeldung erwünscht: [email protected]
Mi 11.07. | Mi 29.08.2012 | 17.00–18.30
Führungen
«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | 1
Choco-Chair, ein Brückenschreibtisch, eine bonbonfarbene Teekanne, das Regal ‚Kung-Fu‘, der
Film ‚Der Lauf der Dinge‘. Wir betrachten erstaunliche Objekte von Fischli/Weiss bis Ai Weiwei
und erfahren, welche Trends in Musik und Kleidermode in den 70ern und 80ern angesagt waren.
Führung für alle Stufen | Dauer 1 Stunde
«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | 2
Was ist ‚die Moderne‘, was ist ‚die Postmoderne‘? Ausgehend von Beispielen aus Architektur,
Musik, Design, Kunst und Mode der Postmoderne stellt sich auch die Frage, was vorher war und
worauf die Postmoderne reagiert. Mit Blick auf die Gegenwart diskutieren wir, in welcher
Stilepoche wir uns heute befinden.
Führung für Sekundarstufe I und II | Dauer 1 Stunde
Workshop
«Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche»
Ausstellungsobjekte zu Architektur, Musik, Design, Kunst und Mode zeigen die zentralen
Gestaltungselemente der Postmoderne. Ganz nach den Mottos «Ornament ist kein Verbrechen»
und «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion» versuchen wir uns selber in der Gestaltung
eines postmodernen Objekts.
Workshop für alle Stufen | Dauer 2 Stunden | Materialbeitrag pro Klasse CHF 50.-
Unterlagen für Schulen
Unterlagen für Schulen zum Ausstellungsbesuch sowie zur Vor- und Nachbereitung stehen zum
Download bereit unter www.postmodernism.ch/schulen
Information & Anmeldung
Büro Bildung & Vermittlung | 044 218 65 04 | Mo-Fr 9.00-12.30 Uhr | [email protected]
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Inhalt
Zur Ausstellung .............................................................................................................................................. 5
Begleitpublikationen ..................................................................................................................................... 5
Unterrichtseinheiten für Schulklassen | Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung ................................ 6
«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | Für alle Stufen ............................................... 6
«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | Für Sekundarstufe I und II ......................................................... 7
Workshop «Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II .......................... 8
Ausstellungsplan ........................................................................................................................................... 9
Hintergrund.................................................................................................................................................. 10
Was ist Postmoderne? ............................................................................................................................. 10
«Postmodernism. Stil und Subversion 1970–1990» ................................................................................ 11
Mummenschanz und Postmodernism ..................................................................................................... 33
Postmoderne in der Schweiz – Auszüge aus der Begleitpublikation ....................................................... 34
schräg, solid, postmodern von Christina Sonderegger ............................................................................ 34
Der Geist der Postmoderne von Alois Martin Müller ................................................................................ 38
Timeline ....................................................................................................................................................... 44
Glossar ......................................................................................................................................................... 50
Postmoderne VIPs ........................................................................................................................................ 52
Medienverzeichnis | Literatur und Links ...................................................................................................... 55
Klassenmaterialien ...................................................................................................................................... 56
KM 1
Modern! .............................................................................................................................. 56
KM 2
Die 70er- und 80er-Jahre .................................................................................................... 57
KM 3
Die Postmoderne. Eine Checkliste ...................................................................................... 58
KM 4
Architektur .......................................................................................................................... 59
KM 5
Design ................................................................................................................................. 60
KM 6
Mode ................................................................................................................................... 61
KM 7
Grafik................................................................................................................................... 62
KM 8
Musik................................................................................................................................... 63
KM 9
Anything goes ...................................................................................................................... 64
KM 10
Filme & Videoclips ............................................................................................................... 65
KM 11
Postmodernes Gestaltungselemt 1│Ironie & Witz .............................................................. 66
KM 12
Postmodernes Gestaltungselemt 2│Zitieren ...................................................................... 67
KM 13
Postmodernes Gestaltungselemt 3│Ornament & Farbe ..................................................... 68
KM 14
Postmodernes Gestaltungselemt 4│Kitsch, High & Low .................................................... 69
KM 15
Postmodernes Gestaltungselemt 5│Form &Funktion ........................................................ 70
KM 16
Kunst und Kommerz ............................................................................................................ 71
KM 17
Choco-Chair & Co. ............................................................................................................... 72
KM 18
Quiz zur Postmoderne ......................................................................................................... 73
KM 18
Quiz (Lösungen) ................................................................................................................... 74
KM 19
Post-Postmoderne? ............................................................................................................ 75
KM 20
Moderne – Postmoderne – und jetzt? ................................................................................. 76
KM 21
Interview mit Zeitzeugen ..................................................................................................... 77
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Impressum
Unterlagen für Schulen zur Ausstellung «Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990» 06.07.2012 –
28.10.2012. | Rebecca Sanders, Prisca Senn, Lisa Trapp, Bildung & Vermittlung Landesmuseum Zürich.
Lektorat: Stefan Damiano, Matthias Senn
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Zur Ausstellung
Mit der einzigartigen Ausstellung «Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990» kommt
für einen Sommer das Victoria and Albert Museum London (V&A) ins Landesmuseum Zürich.
Erstmals wird die Epoche der Postmoderne in einer umfassenden Präsentation mit
internationalen Objekten aus den Bereichen Architektur, Kunst, Mode, Grafik, Musik und Design
der 1970er- und der 1980er-Jahre gewürdigt. Die Ausstellung widmet sich damit einem der am
heftigsten umstrittenen Phänomene der jüngsten Kunst- und Designgeschichte.
Das V&A hat aus der Show eine kompakte Touring Exhibition mit den wichtigsten
Schlüsselobjekten zusammengestellt. Präsentiert wird die rasante Entwicklung der
postmodernen Bewegung, ausgehend von einer provokanten Architekturströmung der frühen
1970er-Jahre bis hin zu ihrem Einfluss auf alle Bereiche der Populärkultur wie Film, Musik,
Grafik und Mode.
Das Landesmuseum Zürich ergänzt die Ausstellung mit den wichtigsten Schweizer Vertretern
der Postmoderne und bindet das Ganze in eine Timeline aus politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Ereignissen ein. Trix und Robert Haussmann sind mit ihrem Manierismo Critico, Susi
und Ueli Berger mit ihren ironischen Arbeiten vertreten. Die Tessiner Schule, Mario Botta und die
Analoge Architektur bilden die architektonische Auseinandersetzung in den 1980er-Jahren ab.
Schmuck von Bernhard Schobinger, Kleider von Christa de Carouge, Grafik-Design, sowie
Videokunst von Fischli/Weiss und Musik von Yello runden die Schweizer Beiträge ab. Bei den
Exponaten handelt es sich um Objekte aus der Sammlung des Schweizerischen
Nationalmuseums sowie um Leihgaben von Privaten und Museen.
Begleitpublikationen
Zur Ausstellung erscheint eine bebilderte Publikation zur Postmoderne in der
Schweiz. Neben Artikeln zum Zeitgeist sowie zu Architektur und Gestaltung
geben Interviews mit Musik- und Modeexperten Einblick in die lebendige
Schweizer Szene von 1970–1990.
«Postmodernism. Aus Schweizer Sicht». Auf Deutsch. 64 Seiten, ca.
40 Farbabbildungen. ISBN 978-3-905875-33-1. CHF 28.–
Der umfangreiche und grosszügig bebilderte Ausstellungskatalog des V&A
bietet eine stilistische Analyse der Postmoderne und in 38 Essays
namhafter internationaler Autoren werden die Hauptobjekte der
Ausstellung detailliert vorgestellt.
Glenn Adamson & Jane Pavitt (Hg.). «Postmodernism. Style and
Subversion 1970–1990». Auf Englisch. 320 Seiten, 250 Abbildungen.
Hardcover ISBN 978-1-85177-659-7. CHF 68.– Softcover ISBN 978-185177-662-7. CHF 44.–
Erhältlich im Museumsshop, im Buchhandel oder über [email protected]
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Unterrichtseinheiten für Schulklassen |
Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung
«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | Für alle Stufen
Vorbereitung im Unterricht
Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,
‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen
den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld
dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.
 KM 1 Modern!
 KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre
Besuch im Museum
Führung mit FachreferentIn | Dauer 1 Stunde
«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?»
Der Choco-Chair, ein Brückenschreibtisch, eine bonbonfarbene Teekanne, das Regal ‚Kung-Fu‘,
der Film ‚Der Lauf der Dinge‘: Wir betrachten erstaunliche Objekte von Fischli/Weiss bis Ai
Weiwei und erfahren, welche Trends in Musik und Kleidermode in den 70ern und 80ern angesagt
waren.
Freie Besichtigung


Mummenschanz Faces
KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung
Nachbereitung im Unterricht
Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft
werden. Das Kreieren eines postmodernen Objekts anhand der Checkliste (KM 3) (Fach
Bildnerisches Gestalten) oder das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und
ein Vergleich mit der heutigen Musikszene (Fach Musik) sind Möglichkeiten.
 KM 19 Und jetzt?
 KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?
 KM 21 Interview mit Zeitzeugen
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Unterrichtseinheiten für Schulklassen
Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung
«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | Für Sekundarstufe I und II
Vorbereitung im Unterricht
Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,
‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen
den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld
dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.
 KM 1 Modern!
 KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre
Besuch im Museum
Führung mit FachreferentIn | Dauer 1 Stunde
«Moderne, Postmoderne – und jetzt?»
Was ist ‚die Moderne‘, was ist ‚die Postmoderne‘? Ausgehend von Beispielen aus Architektur,
Musik, Design, Kunst und Mode der Postmoderne stellt sich auch die Frage, was vorher war und
worauf die Postmoderne reagiert. Mit Blick auf die Gegenwart diskutieren wir, in welcher
Stilepoche wir uns heute befinden.
Freie Besichtigung


Mummenschanz Faces
KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung
Nachbereitung im Unterricht
Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft
werden. Das Kreieren eines postmodernen Objekts anhand der Checkliste (KM 3) (Fach
Bildnerisches Gestalten) oder das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und
ein Vergleich mit der heutigen Musikszene (Fach Musik) sind Möglichkeiten.
 KM 19 Und jetzt?
 KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?
 KM 21 Interview mit Zeitzeugen
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Unterrichtseinheiten für Schulklassen
Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung
«Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II
Vorbereitung im Unterricht
Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,
‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen
den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld
dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur
Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.
 KM 1 Modern!
 KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre
Besuch im Museum
Workshop mit FachreferentIn | Dauer 2 Stunden
Workshop «Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II
Ausstellungsobjekte zu Architektur, Musik, Design, Kunst und Mode zeigen die zentralen
Gestaltungselemente der Postmoderne. Ganz nach den Mottos «Ornament ist kein Verbrechen»
und «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion» versuchen wir uns selber in der Gestaltung
eines postmodernen Objekts.
Freie Besichtigung


Mummenschanz Faces
KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung
Nachbereitung im Unterricht
Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft
werden. Das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und ein Vergleich mit der
heutigen Musikszene (Fach Musik) ist eine weitere Möglichkeit zur Vertiefung.
 KM 19 Und jetzt?
 KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?
 KM 21 Interview mit Zeitzeugen
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Ausstellungsplan
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Hintergrund
Was ist Postmoderne?
Die Postmoderne ist Reaktion und Gegenbewegung gegen die Orthodoxie der Moderne und
gegen deren zunehmend als totalitär empfundenen Purismus. Mit der Postmoderne begannen
Künstler und Gestalter Subkultur aufzuwerten. Eine neue Vielfalt von Form, Farbe, Material, Stil
und Stilisierung schafft sich ihren Platz. Vermeintlich unumstössliche Wahrheiten des
«Connaisseurs» werden mit Ideen von Eigenständigkeit, Sinn für Freiheit und Pluralität
konfrontiert und relativiert.
Von allen Strömungen in der Kunst- und Designgeschichte ist die Postmoderne die vielleicht
kontroverseste. Mit ihren unterschiedlichen Graden an Theatralik und Theorie sperrt sie sich
gegen eine Definition. Ihr Stil hatte viele Gesichter, war mal bunt und verfallen, dann wieder
skurril und verschwenderisch. Doch so vielgestaltig die Postmoderne auch war, so eindeutig war
ihr Leitgedanke: Sie forderte eine radikale Abkehr von den utopischen Visionen der Moderne, die
auf Klarheit und Einfachheit gesetzt hatten.
Wollten die Modernisten den Blick auf eine neue Welt werfen, so ähnelt die Postmoderne eher
einem zerbrochenen Spiegel, dessen Scherben die Welt reflektieren. Komplexität und
Widerspruch waren ihre Schlüsselprinzipien. Obwohl sie sich zunächst rebellisch gaben,
verstrickten sich ihre Vertreter im Laufe der zwei Jahrzehnte von 1970 bis 1990 in eben jene von
Geld und Macht beherrschten Zirkel, die sie ursprünglich hatten demontieren wollen.
Die Postmoderne brach mit herkömmlichen Vorstellungen von Stil. Sie sagte sich in Sachen
Design von allen Zwängen los und tat sich durch Gesten hervor, die zumeist witzig, manchmal
streitlustig und gelegentlich absurd waren. Vor allem aber sorgte die Postmoderne für ein völlig
neues Bewusstsein im Umgang mit Stil.
Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum
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«Postmodernism. Stil und Subversion 1970–1990»
Die «Postmodernism» lässt die Siebziger- und Achtzigerjahre wieder aufleben. In der
Postmoderne wenden sich die Architekten vom Funktionalismus der Moderne ab. Das von der
Moderne verpönte Ornament kehrt zurück, und es wird lustvoll aus vergangenen Stilen und
Epochen zitiert. Ein buntes Nebeneinander charakterisiert die Postmoderne, in welcher die
Subversion des Punks ebenso ihren Platz hat wie der Hedonismus der Yuppies (Young Urban
Professionals). Die vom Victoria and Albert Museum London konzipierte Schau zeigt anhand von
150 internationalen Objekten und Musikvideos die jüngste Bewegung der Kunst- und
Kulturgeschichte mit Aldo Rossi, Ai Weiwei, Vivienne Westwood, Andy Warhol, Talking Heads,
Ridley Scott oder Laurie Anderson. Das Landesmuseum Zürich ergänzt die Londoner Show mit
einer Timeline aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen sowie den wichtigsten
Schweizer Vertretern der Postmoderne wie Fischli/Weiss, Mario Botta, Trix und Robert
Haussmann, Pipilotti Rist, Yello und vielen mehr. Robert Haussmann, einer der Hauptvertreter
der Schweizer Postmoderne, entwarf exklusiv für das Landesmuseum ein Objekt, durch das man
die Ausstellung betritt.
Die Ausstellung gliedert sich in drei grob chronologisch geordnete Teile, in denen die
wesentlichen Aspekte der Postmoderne zum Ausdruck kommen. Der erste Teil konzentriert sich
weitgehend auf die Architektur. Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich der Hochblüte der
Postmoderne: Design, Musik, Grafik, Performance und Club-Kultur der 1980er-Jahre. Der letzte
Teil behandelt die Kultur der Kommerzialisierung. Die Postmoderne lässt die
unterschiedlichsten ästhetischen Kriterien zeitgleich gelten, bzw. sie verzichtet ganz auf
richtungsweisende Kennzeichen. Ein Kriterium überlebt aber, dasjenige des kommerziellen
Erfolges. Die Ausstellung endet in der Periode des wirtschaftlichen Booms und entlässt den
Besucher mit diesem Paradox der Postmoderne. Auch aber mit der Aufforderung, sich selbst die
heutige Relevanz der Postmoderne vor Augen zu führen – etwa beim Cloud-Computing oder
beim Sampling.
Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto).
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Teil 1
Last Rites & First Steps / Rituale des Übergangs
Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile, beginnend mit der Architektur, in der sich die
Postmoderne zuerst manifestiert. Die Postmoderne – und der Ausstellungsparcours – beginnt
mit dem Niedergang der Moderne, die der Architekturtheoretiker Charles Jencks mit der
Sprengung der modernistischen Siedlung Pruitt-Igoe (St. Louis) 1972 gleichsetzt. Brennende
und schmelzende Stühle unterstreichen als Auftakt der Ausstellung das Ende der Moderne.
Unzählige Kritiker haben den Tod der Moderne verkündet. Der Architekturtheoretiker Charles
Jencks datiert ihn auf den 15. März 1972, als um 15.32 Uhr die Pruitt-Igoe-Siedlung in St. Louis,
Missouri, in die Luft gesprengt wurde.
Die modernistische Siedlung nach Entwürfen des japanisch-amerikanischen Architekten Minori
Yamasaki war zu einem sozialen Brennpunkt geworden; die Kriminalitätsrate war hoch, die
Wohnanlagen waren verschandelt und unbewohnbar. Nur 16 Jahre nach ihrer Fertigstellung fiel
die Siedlung dem Abriss zum Opfer.
In seinem Buch The Language of Post-Modern Architecture (1977) schreibt Jencks, der Abriss
der Pruitt-Igoe-Siedlung habe dem Idealismus der Moderne ein Ende gesetzt: „Lassen Sie uns
also durch die Öde der modernen Architektur streifen und die archäologischen Stätten mit dem
Abstand des Unbeteiligten besuchen. Schliesslich darf man, da sie unwiderruflich tot ist, die
Leiche fleddern.“
Für sein Projekt des Lassù-Stuhls entwarf der radikale italienische Designer Alessandro Mendini
einen ‚idealen‘ und sehr einfachen Stuhl, eine pure Form, und setzte diesen Stuhl zuoberst auf
einen Treppenabsatz, wie einen Thron. Es war das Symbol des perfekten Objektes. Dann brachte
Mendini den Stuhl in einen Steinbruch und zündete ihn an. Diesen Prozess fotografierte er. Der
Zeitpunkt der Zerstörung kündigt einen neuen Moment im Design an: Wie ein Phönix wird ein
Gegenstand verbrannt, aus der Asche kann etwas Neues entstehen.
Zerstörung des Stuhls Monumentino da casa, 1974, Alessandro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Gas Pumps and Ziggurats / Zapfsäulen und Zikkurate
In den späten 1960er-Jahren war Italien eines der wichtigsten Länder, in denen kritische
künstlerische Praktiken der Postmoderne den Boden bereiteten. Desillusioniert von den
utopischen Verheissungen der Moderne suchten Designer wie Ettore Sottsass und Alessandro
Mendini nach Alternativen und stellten soziale Normen, die Imperative des Marktes und
herkömmliche Geschmacksvorstellungen in Frage.
Sie plädierten für packende, impulsive Begegnungen mit der Kultur der Antike ebenso wie mit
der Pop-Kultur. Präkolumbianische Monumente, Autobahn-Tankstellen, Plastik-Arbeitsplatten
im Café um die Ecke – all das inspirierte sie zu den eklektischen Experimenten mit Bildern und
Objekten, die sie als «Radical Design» bezeichneten.
Totem, 1967, Ettore Sottsass. © Schweizerisches Nationalmuseum
Learning from Las Vegas / Lernen von Las Vegas
‚Wer sich von der modernen Bewegung verabschieden will, hat die Wahl zwischen Versailles und
Las Vegas‘, schrieb 1967 der italienische Kritiker Bruno Zevi. Eine der Errungenschaften der
postmodernen Architektur ist das Neben- und Miteinander der «hohen» Klassik und der
«niederen» Popkultur. Nicht nur in dieser Hinsicht bekannte sich die Bewegung, wie der
Architekt Robert Venturi sagte, zum Prinzip des Sowohl-als-auch und nicht dem des Entwederoder.
Wegweisend sind die amerikanischen Architekten Robert Venturi und Denise Scott Brown, die
ihre Erkenntnisse bezüglich der Trivialkultur von Las Vegas im Buch Learning from Las Vegas
1972 publizierten. Für Venturi und seine Partnerin Denise Scott Brown waren die flirrenden
Strassen und nicht enden wollenden Reklametafeln in Las Vegas ebenso aufregend wie
lehrreich. In ihren Erinnerungen schrieb Scott Brown später: ‘Dazed by the desert sun and
dazzled by the signs, both loving and hating what we saw, we were both jolted clear out of our
aesthetic skins.’ („Wir waren von der Wüstensonne benommen und überwältigt von den
Reklametafeln, wir hassten und liebten, was wir sahen, und wurden beide in unseren
ästhetischen Grundfesten erschüttert.“)
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In den späten 1960er-Jahren lehrten beide an der Yale University und brachten ihre Studenten in
die Hauptstadt des Glücksspiels, Las Vegas. Die Stadt der Neonschilder und des verbreiteten
Konsumdenkens regte sie zu einer neuartigen Architektur an, die sich sehr vom rationalen, an
Stahl und Glas orientierten, geometrischen Stil der Moderne abhob. Die Casinos in Las Vegas
waren so gestaltet, dass man sie aus dem Auto heraus bei 50 km/h sehen sollte, und zeigten, so
Venturi, eine ‚unordentliche Lebendigkeit‘ statt einer ‚offensichtlichen Einheitlichkeit‘.
Zusammen mit ihren Studenten brachten sie eine Studie mit dem Titel Learning from Las Vegas
(1972) heraus, welche die Macht der Architektur als Kommunikationsmittel unterstrich. Sie
waren sich sehr wohl bewusst, dass Las Vegas (Highways gesäumt mit Einkaufszentren und
Tankstellen in ganz Amerika) einen überwältigen kann, aber sie beobachteten auch, dass die
Leute das anscheinend wollten. Ihre Frage lautete deshalb: ‘Is not Main Street almost all right?
Indeed, is the commercial strip of a Route 66 almost all right? What slight twist of context will
make them all right?’
Denise Scott Brown und Robert Venturi in der Wüste von Las Vegas, 1966. © Schweizerisches Nationalmuseum
Lernen vom Alltäglichen: Die Bauten von Robert Venturi und Denise Scott Brown sowie ihr Buch
Learning from Las Vegas werden auch in der Schweiz diskutiert und sinngemäss angepasst.
Zum Vorbild für eine Neuausrichtung der Architektur gelangen Siedlungen auf dem Land, die
anonymen Vorstädte oder die historische Stadt.
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Presence of the Past / Die Gegenwart der Vergangenheit
Diesen Titel trug die 1. Architekturbiennale in Venedig 1980, die sich ganz der Postmoderne
verschrieben hatte. Nur wer die Vergangenheit in sein Schaffen einbezieht und von ihr lernt,
kann in die Zukunft weisen, lautet das Credo der Biennale von 1980. Gezeigt werden in diesem
Teil der Ausstellung anhand der Zeichnungen der Architekten Rem Koolhaas, Trix und Robert
Haussmann und James Sterling, wie man sich in der Postmoderne mit der architektonischen
Vergangenheit auseinandergesetzt hatte.
In den 1960er- und 1970er-Jahren waren Experimente mit architektonischen Stilen der
Vergangenheit, die oft als „Historizismus“ bezeichnet wurden, weit verbreitet. Gegner
kritisierten diesen Trend als Rückzug, Pastiche oder blosse Ironie. Diese Kritik wird den
Verdiensten der Postmodernisten jedoch nicht gerecht, denn diese hatten weit mehr im Sinn, als
nur architektonische Witze auf Kosten der Geschichte zu machen. In den Anfangsjahren war
postmoderne Architektur kein Ausdruck blossen Humors oder Zynismus. Ganz im Gegenteil
konnte sie geradezu überschwänglich und optimistisch sein; dann wieder liess sie sich von
einem elegischen Gefühl für die Vergangenheit leiten, das die Moderne ausgeblendet hatte. Die
Postmoderne ersetzte eine monolithische Sprache durch eine Vielfalt an konkurrierenden Ideen
und Stilen und wurde so ihrem zentralen Anliegen durchaus gerecht.
Nun, da die Moderne attackiert worden war, stellte sich die naheliegende Frage, was an Stelle
der Moderne kommen sollte. Viele Architekten beantworteten die Frage nicht, indem sie in die
Zukunft, sondern auf die alltägliche Architektur der Gegenwart (wie Venturi und Scott Brown)
oder die der Vergangenheit blickten.
Säulenstumpf, 1978, Trix Haussmann und Robert Haussmann für Kollektion Röthlisberger. © Schweizerisches
Nationalmuseum
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Das war auch die Strategie von Charles Moore, dessen Piazza d’Italia ein Schlüsselstatement
der postmodernen Architektur ist: Ein öffentlicher Platz, eingefasst mit klassischen
Fragmenten, der eher aussieht wie eine Bühne denn ein Gebäude. Die Gestaltung war für eine
italienische Gemeinschaft in New Orleans entworfen worden, und das war auch der Grund für
den Bezug auf die römische Vergangenheit. Ein Brunnen auf dem Platz hat sogar die Form einer
Landkarte Italiens. Nachts war der Platz neonbeleuchtet wie ein Casino in Las Vegas. Die Piazza
d’Italia ist ein gutes Beispiel für den Humor, die Farben und die Ausgefallenheit, welche ein
postmodernes Design verkörpert.
Piazza d'Italia in New Orleans, 1976-79, Charles Moore & Urban Innovations Group (mit Perez Associates).
© Schweizerisches Nationalmuseum
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Bricolage
Dieser Teil der Ausstellung verdeutlicht, dass es keine allumfassende Strategie der
Postmoderne gibt. Vielmehr sind sie ein Zusammentreffen Gleichgesinnter mit
unterschiedlichen Ausdrucksformen. Was hingegen Architekten und Designer in der
Postmoderne verbindet, ist ein bestimmtes Verfahren: die Bricolage, das Ausschneiden und
Einfügen von Versatzstücken. Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss definiert den bricoleur als
jemanden, der mit „den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Dekonstruktionen“
auskommt. Postmoderne Bricolage ähnelt bisweilen den früheren modernistischen Collagen von
Künstlern wie Kurt Schwitters und Hannah Höch. Sie ist jedoch breiter angelegt und öffnet sich
der Vielfalt der Welt. Diese Bricolage-Technik veranschaulicht die postmoderne Ansicht, dass
die Welt vielfältig ist und die vorgefundenen Elemente nicht zwingend in ein einheitliches
Ganzes integrierbar sind. Zu sehen sind Objekte unter anderem von Frank O. Gehry sowie Ueli
und Susi Berger.
Stuhl Adhocist, 1968, Nathan Silver. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Apocalypse Then / Nach der Apokalypse
Während in der Moderne Objekte Utopie, Fortschrittsglaube und die Perfektion von Maschinen
verkörpern, scheinen gewisse postmoderne Entwürfe aus einer düsteren und imperfekten
Zukunft zu stammen. Die Mode der Japanerin Rei Kawakubo (Comme des Garçons), der
Schmuck von Bernhard Schobinger oder Ridley Scotts Film ‚Blade Runner’ zeugen von dieser
Haltung. Designer verwerteten und traktierten vorhandene Materialien und gaben so einer
Ästhetik urbaner Apokalypse Ausdruck.
Der ultimativ postmoderne Film ist Ridley Scotts ‚Blade Runner’ (1982), der in einem imaginären
Los Angeles von 2019 spielt. Das Setting ist eine Mischung aus asiatischen und westlichen
Stilen, die an die Strassenmärkte von Hong Kong, das Neon von Tokyo oder Las Vegas und die
Art Deco-Wolkenkratzer von Manhattan und Chicago erinnern. Die Mode ist zugleich angelehnt
an die 1940er und futuristisch. Der Set-Designer Syd Mead sagt dazu: ‘One of the principles
behind designing this film is that it should be both forty years in the future and forty years in the
past.’ Im Film jagt ein Detektiv (Harrison Ford) missratene Roboter mit übermenschlichen
Kräften. Einige dieser künstlichen Menschen wissen nicht, dass sie synthetisch sind, und sind
geschockt, als sie bemerken, dass ihre Erinnerungen und Persönlichkeiten eingepflanzt worden
sind. Der Film benützt das als eine allgemeine Metapher für die Postmoderne und deutet an,
dass wir alle ‘gemacht‘ sind durch die Werbung, die wir sehen, durch die Städte, in denen wir
leben, und die Fernsehsendungen, die wir konsumieren. Unsere eigenen Identitäten sind
künstlich geworden.
Film Blade Runner, 1982, Ridley Scott (Regisseur). © Schweizerisches Nationalmuseum
5-Minuten-Stuhl, 1970/2012, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Fischli/Weiss: Peter Fischli und David Weiss beginnen ihre künstlerische Zusammenarbeit Ende
der 1970er-Jahre. Triviale Alltagsgegenstände und Abfallprodukte spielen von Anfang an eine
zentrale Rolle in ihrer Kunst. Mit vergänglichen, aus einfachsten Mitteln gebauten Installationen
fangen sie die Magie des Augenblicks ein und erzielen mit simplen mechanisch-physikalischen
Vorgängen effektvolle Überraschungen.
Film Der Lauf der Dinge, 1987, Fischli/Weiss. © Schweizerisches Nationalmuseum
Einige postmoderne Exponenten liessen sich in der destruktiven Phase der Anti-Moderne der
1970er nicht von Geschichte inspirieren, sondern von der Idee des Punk: Auch zerstörte,
zerborstene und zerrissene Designs können ein Mode-Statement sein.
Ron Arads Designstudio One-Off in London war ein Aushängeschild des Designs der Post-PunkÄra. Arad fertigte Objekte aus zertrümmertem Metall oder „gefundenen“ Materialien wie einem
Baugerüst oder recycelten Autositzen. Für diese apokalyptische Stereoanlage goss er einen
Plattenteller, Lautsprecher und einen Verstärker in Stahlbeton und verwandelte so ein
Hightech-Produkt in ein Objekt für eine post-industrielle Welt.
Stereoanlage aus Beton, 1983, Ron Arad. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Rei Kawakubos schwarze Strickkleider mit ihren offenen Löchern und seltsamen Formen
wurden oft als ‚post-human fashion‘ bezeichnet. Sie richteten sich an sehr selbstbewusste
Kunden in Tokyo (oder Paris, New York und London), die sich vielleicht mit der befremdenden
und gewundenen Pose des Models im Bild von 1983 identifizieren konnten.
Ensemble von Comme Des Garçons, 1983, Rei Kawakubo. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Teil 2
New Wave
In den 1980ern erreicht die Epoche der Postmoderne im Design und in der Musik ihren
Höhepunkt. Anfang der 1980er-Jahre tritt die Postmoderne in ihre „heisse Phase“ ein. Was als
radikale Splitterbewegung begann, wird zum beherrschenden Look des «Jahrzehnts der
Designer». Grelle Farben, Theatralik, Hochglanz und Übertreibung sind Ausdruck eines alles
überstrahlenden Stils. Ob Hochglanz, Attrappe oder künstlich gealtert – hinter allem steckt der
Wunsch, rebellische Inhalte werbewirksam zu verpacken. Image ist alles, was zählt: Grace
Jones, Boy George, Neville Brody oder Alessandro Mendini, um nur einzelne der herausragenden
Protagonisten zu nennen.
Die wichtigsten Medien dieser neuen Phase der Postmoderne waren Magazine und Musik. Dank
Publikationen wie ‚Domus’ wanderten etwa die Arbeiten italienischer Designer – insbesondere
des Studio Alchimia und der Gruppe Memphis – um die Welt. Unterdessen verströmten
Musikvideos und innovative grafische Designs die Energie der Subkultur der Post-Punk-Ära.
Dies war der historische Augenblick des New Wave: Es waren die elektrisierenden Jahre, in
denen allein das Image zählte.
Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Studio Alchimia
Die 1978 in Mailand gegründete Gruppe Studio Alchimia ist die erste, die sich komplett der
Postmoderne verschrieben hat. In ihren Produkten werden die modernistischen
Gestaltungskriterien wie Funktion, Material und Schlichtheit am offensichtlichsten verworfen.
Alchimia – der Name ist Programm – geht auf die mittelalterlichen Praktiken zurück, mit denen
versucht wurde, aus etwas Wertlosem etwas Wertvolles zu realisieren. Mit Alessandro Guerriero
und Alessandro Mendini an der Spitze luden sie eine Vielzahl an Mailändern – darunter Ettore
Sottsass – ein, sich an ihren Aktivitäten zu beteiligen. Ziel der Gruppe war es, so Mendini später,
eine Position einzunehmen, die „in der Verschwendung, der Bedeutungslosigkeit von Disziplin,
Dimension und Konzept agiert.“ Unter Mendinis Leitung nahm Alchimia eine kritische Haltung
jenseits der etablierten kommerziellen Aktivitäten ein. Mit dem Erscheinen der eher
medienwirksamen Gruppe Memphis, die aus Studio Alchimia entsteht, änderte sich dies jedoch
grundlegend.
In den späten 70er-Jahren hatte sich Alessandro Mendini von den grossen Gesten (wie dem
Verbrennen eines Stuhls) entfernt und hatte begonnen, ausdrucksstärkere Designbereiche zu
erkunden. Das von ihm gegründete Designkollektiv Studio Alchimia produzierte fremde und
fesselnde Objekte, normalerweise indem bereits existierende Objekte verändert oder mehrere
unverbundene Ideen zu einem neuen, überraschenden Objekt kombiniert wurden. Der ProustSessel von 1978 ist ein gutes Beispiel dafür. Sein Name ist der Literatur entnommen (der
moderne französische Autor Marcel Proust), die Form einem barocken Sessel aus dem
18. Jahrhundert nachempfunden (aufgeblasen auf unwahrscheinliche Proportionen), und die
Dekoration geht auf ein pointillistisches Gemälde von Paul Signac zurück. Die Gestaltung der
Oberfläche wurde dadurch erreicht, dass man ein Dia mit dem Gemälde auf den Stuhl projizierte
und die Farbtupfer nachmalte.
Sessel Proust, 1978, Alessandro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum
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Memphis
Die Mitglieder von Memphis in der Boxring-Sitzgruppe Tawaraya von Masanori Umeda, 1981. Foto: Fabio Cirifino,
Courtesy Studio Azzurro © Schweizerisches Nationalmuseum
Die internationale Designergruppe Memphis macht unmittelbar nach ihrer Gründung 1981 in der
ganzen Designwelt Furore. Obwohl die Gruppe ihren Sitz in Mailand hatte, trafen in ihr
gleichgesinnte «enfants terribles» aus aller Welt aufeinander: Nathalie du Pasquier, Javier
Marescial, Peter Shire, Alessandro Mendini, Ettore Sottsass und weitere.
Dieser Eindruck bestätigte sich mit dem legendären Foto des harten Kerns der Gruppe, der sich
auf der Boxring-Sitzgruppe des japanischen Mitglieds Masanori Umeda tummelt. Der führende
Kopf der Gruppe war Ettore Sottsass, das älteste, berühmteste und charismatischste Mitglied
von Memphis. Er behauptete, das Design von Memphis könne nur bei sehr intensiven Menschen
bestehen.
Memphis war die einflussreichste Designergruppe der Postmoderne, einerseits weil sich so viele
Künstler daran beteiligten, andererseits, weil sie zu einem Medienphänomen wurde. Neben
Sottsass, der bereits 64 Jahre alt war, als die Gruppe gegründet wurde, waren nebst vielen
anderen italienischen Designern auch Vertreter der jüngeren Generation dabei, wie
beispielsweise die französische Designerin Martine Bedin. Ebenfalls mit von der Partie war der
Kalifornier Peter Shire mit seinem Sinn für Humor und Farben. Bedins ‚Super Lamp‘ ist ein gutes
Beispiel für den Witz und den Charakter des Memphis Design. Die Lampe ist vielfarbig und fährt
auf kleinen Rädchen (Bedin sagte, sie wollte eine Lampe kreieren, die sie mitnehmen könne wie
einen Hund).
Die Gruppe Memphis wurde dank Design-Zeitschriften auf der ganzen Welt bekannt, und ihr
Umgang mit Farben, Plastikmaterialien, Mustern und Kitschelementen wurde in der Folge oft
nachgeahmt.
Lampenprototyp Super, 1981, Martine Bedin. © Schweizerisches Nationalmuseum
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New International Style
Sessel Bel Air, 1981-82, Peter Shire. © Schweizerisches Nationalmuseum
Memphis wurde über Nacht als der Auftakt eines «neuen internationalen Stils» gefeiert, der
gegen den bürgerlichen Stil der Moderne rebellierte und ihn ablöste. In kürzester Zeit folgten
Designer in ganz Europa, Amerika und Japan dem italienischen Beispiel.
Memphis wurde zum Modell einer neuen unternehmerischen Praxis, welche die Schranken
zwischen handwerklicher und industrieller Fertigung überschritt und neue Werbeformate
nutzte. Der Einfluss aus Italien mischte sich mit anderen Strömungen wie etwa dem vom
Feminismus beeinflussten Pattern and Decoration Movement in den USA und
avantgardistischen Bestrebungen in kunsthandwerklichen Ateliers in Grossbritannien und den
USA. So entstand ein unverkennbarer Stil, der sich durch grelle Farben, lebhafte Muster und
ausdrucksstarke Formen auszeichnete.
Peter Shires Bel Air-Stühle wecken mit ihrer knalligen Farbpalette, der HaifischflossenRückenlehne und dem Wasserball-Fuss Erinnerungen an Strandszenen in Kalifornien.
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The Swiss Way / Schweizer Positionen
Die Erneuerung der Gestaltung durch die Postmoderne verlief in der Schweiz weniger schrill und
provokant als in anderen Ländern. Dennoch unterscheiden sich auch die postmodernen Möbel
schweizerischer Herkunft eindeutig von denjenigen vor 1970. Es sind markante Solitäre, die
keine Rücksicht auf Funktion, Schlichtheit, Materialechtheit oder Verhältnismässigkeit nehmen.
Diese Infragestellung der Moderne äussert sich in Massstabsveränderungen, Material-, Inhaltund Formentransfer sowie in Verfremdungen zugunsten illusionistischer, überraschender und
humorvoller Objekte.
Die Ostschweizerin Irene Staub alias Lady Shiva war Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva des
Milieus. Sie pflegte Freundschaften zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano
Castelli oder Franz Gertsch. Ihr Lebenswandel und ihr Stilbewusstsein – auf diesem Foto trägt
sie Kleider von Thema Selection – machten sie zur Femme fatale der Partyszene.
Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto). © Schweizerisches Nationalmuseum
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Strike a Pose / Postmoderne Posen
Tänzer und Choreografen, Artdirektoren, Performance-Künstler, Drag Queens, Bluffer,
Nachtschwärmer, Popstars und Partygänger verkörpern einige der bemerkenswertesten StilHaltungen der Postmoderne. Sie dekonstruieren Identitäten, deuten sie um oder persiflieren sie.
In vielerlei Hinsicht glichen postmoderne Performance-Strategien jenen, mit denen in anderen
Bereichen des Designs experimentiert wurde. Performance-Künstler dekonstruierten
Identitätsdiskurse und deuteten sie um. Ihre Sprache war die Persiflage, und neben die visuelle
Ebene traten nun weitere Dimensionen wie Musik, Bewegung und Text. Vor allem jedoch lenkten
postmoderne Darsteller die Aufmerksamkeit auf die Darbietung ihrer Arbeiten und schufen, um
mit Kate Linker zu sprechen, „flirrende gekünstelte Auftritte, deren künstliche Ursprünge sie
stolz in Szene setzten.“
Obwohl sich die Ideen der Postmoderne zuerst in der Architektur und im Design manifestierten,
wurden sie von der Öffentlichkeit mehrheitlich über die Popmusik und andere Bereiche der
Popkultur wahrgenommen. Schlüsselfiguren waren Prominente wie Grace Jones, Madonna,
Annie Lennox, Kraftwerk und Boy George, welche die Ideen der Postmoderne über die Welt der
Kunst und des Designs hinaus weitertrugen und für ein breiteres Publikum zugänglich machten
– unterstützt von einem peppigen Soundtrack.
Endlossofa DS-600 Organic, 1970, Gemeinschaftsentwurf Ueli Berger, Eleonora Peduzzi-Riva, Heinz Ulrich, Klaus Vogt
für de Sede, und: Liegemöbel Terrazza, 1973, Entwurf Ubald Klug für de Sede. © Schweizerisches Nationalmuseum
Auf einem Hologramm ist der Leadsänger der 1980er-Jahre-Band Culture
Club zu sehen, der kokett als getüpfelter Clown posiert. Doch egal, aus
welchem Blickwinkel man ihn ansieht – Boy George sieht durch den
Betrachter hindurch. Er erinnert so an die einprägsame Bemerkung des
Theoretikers Jean-Claude Lebensztejn, der den postmodernen Blick als
„ruhig und ausdruckslos“ charakterisierte. Der Ernüchterung haftet hier
ein ganz eigener Zauber an.
Hologramm von Boy George, 1987, Edwina Orr und David Trayner für Richmond Holographic Studios.
© Schweizerisches Nationalmuseum
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Style Wars / Krieg der Stile
Auch postmoderne Grafik und Fotografie machen Gebrauch von Bricolage, Fragmentierung und
Zitat. Künstler zitieren Bilder aus der Werbung, und Grafikdesigner kopieren Erzeugnisse der
bildenden Kunst. Über Magazine oder Plattencovers gelangen Bilder an ein junges,
stilbewusstes Publikum. Für diese Generation gibt es keinen Bruch zwischen Avantgarde und
Kommerz. Ganz im Gegenteil ist die vollständige Verschmelzung von Avantgarde und Kommerz
geradezu ein typisches Phänomen der Postmoderne. So erfährt auch die Schweizer Grafik,
bekannt als «Swiss Style», in diesen Jahren im Bereich der Alternativkultur eine bemerkenswert
radikale Wendung. Zu sehen sind im Ausstellungsbereich u.a. Werke von Helmut Newton, Cindy
Sherman und Peter Saville. Künstler wie Richard Prince zitieren in ihren Arbeiten Bilder aus der
Werbung; Grafikdesigner wie Peter Saville kopieren im Gegenzug «vorhandene» Bilder aus der
Kunst.
Auch die Grafik bediente sich postmoderner Gestaltungskriterien wie Zitate, Kombination von
verschiedenen, sich beissenden Elementen, Farben oder Ironie, um ihre Botschaft zu vermitteln.
Die Grafik sieht aus, wie wenn sie mit der Hilfe von Photoshop oder anderen digitalen
Designprogrammen hergestellt worden wäre, dabei ist sie tatsächlich von Hand gemacht, mit
Schere und Leim, und wurde dann fotografiert.
© Schweizerisches Nationalmuseum
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Teil 3
Money / Geld
Stuhl Consumer's Rest, 1990, Frank Schreiner (für Stiletto Studios). © Schweizerisches Nationalmuseum
Der letzte Ausstellungsteil stellt die kommerzielle Vermarktung der einst subversiven Ideen
vielschichtig dar. Als 1980 das «Jahrzehnt der Designer» beginnt, boomt die Weltwirtschaft.
Viele Vertreter der Postmoderne lassen sich begeistert auf eine Kultur ein, die auf Reichtum und
Status basiert.
Philip Johnsons Entwurf für das AT&T Gebäude in New York, das nicht nur ein Gebäude, sondern
zugleich ein Firmenlogo ist, machte unmissverständlich klar, wie eng postmoderne Architektur
mit Macht und Reichtum verknüpft war. Alessandro Mendini begrüsste das gewagte
architektonische Statement und bezeichnete Johnson als «den letzten Architekten in der Ära
der Meister, und die erste Ära ohne Meister». Das fatale Zusammentreffen von Geld und
Postmoderne trieb die Postmoderne letztlich jedoch in den Ruin. Die Bewegung brach unter dem
Gewicht ihres Erfolgs zusammen.
In Grossbritannien unter Margaret Thatcher standen sich die Anhänger des Thatcherismus und
die Befürworter des Sozialstaates gegenüber. Als Stadtteile wie die Docklands in London in
hochpreisige Immobilienkomplexe verwandelt wurden, gingen viele Künstler und Designer zum
politischen Protest über – mitsamt postmodernen Verfahren.
Während Andy Warhol und Jeff Koons sich scheinbar darüber freuten kraftvolle Bilder zu
kreieren, waren andere Künstler deutlich kritischer gegenüber der Konsumkultur der 1980er.
Das deutsche Designkollektiv Stiletto schuf den Consumer’s Rest-Stuhl als Satire auf das
Einkaufserlebnis. Er ist aus einem Einkaufswagen gemacht und lädt dazu ein, sich, bequem
darin sitzend, zwischen den Regalen eines Supermarkts herumschieben zu lassen.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Protect Me From What I Want / Beschütze mich vor meinen Begierden
Die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer mietete 1985 eine Reklametafel am Times Square, die
normalerweise nur für kommerzielle Zwecke genutzt wurde. Hier platzierte sie in Leuchtschrift
die sechs Wörter Protect Me From What I Want. Der Schriftzug, den Holzer als «universelle
Warnung an sich selbst und an andere» beschreibt, fasst die in den 1980er-Jahren von vielen
vertretene ambivalente Haltung gegenüber der Waren- und Konsumgesellschaft perfekt
zusammen. Die Reklametafel, die hier in Grossaufnahme zu sehen ist, trifft am Times Square
frontal auf die nahegelegenen postmodernen Luxusläden. Holzers Kunstwerk regt dazu an, das
eigene Verlangen nach Luxus, die Wünsche und Begierden sowie deren Ursachen und Wirkungen
– und den damit einhergehenden kommerziellen Trubel – kritisch zu überdenken.
Protect Me From What I Want aus der Serie Survival, 1985, Jenny Holzer. © Schweizerisches Nationalmuseum
Craft and Commodity / Handwerk und Ware
Handwerk ist traditionell mit Authentizität, räumlicher Tiefe und implizitem Wissen verbunden.
Man könnte daher meinen, dass Keramiker, Möbeltischler und Kunstschmiede nur einen kurzen
Blick auf die Postmoderne geworfen hätten, um sich dann schnurstracks von ihr abzuwenden.
Aber das Gegenteil war der Fall. Keramiker und andere Handwerker wurden zu einigen der
glühendsten Verfechter postmoderner Techniken. Sie nutzten ihre Fertigkeiten und kreierten
Werke von grosser Finesse, bei denen der reine Sachwert des Objekts von seiner ironischen
Selbstbespiegelung unterlaufen wurde. Die Reaktion des Marktes liess nicht lange auf sich
warten. Ihre Produkte erschlossen einen neuen Markt und erzielten Spitzenpreise, sodass
manche sich fragten, ob der Berufsstand nicht den Bezug zu seinem Ethos verloren habe.
Typische Erzeugnisse dieser Zeit sind die Entwürfe postmoderner Architekten wie Aldo Rossi
und Michael Graves für Alessi.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Signs Taken for Wonders / Die Ambivalenz der Zeichen
Die Thematik der Macht der Labels schliesst die Ausstellung ab und stellt die Frage in den
Raum: Wie weiter? Am Ende der 1980er-Jahre ist die Postmoderne längst nicht mehr die
radikale Idee und der Stil der Subkultur, die sie einst war. Für viele bricht eine Zeit an,
innezuhalten, einen kritischen Blick auf die postmoderne Kultur und die äusserliche
Aufmachung der Waren zu werfen. Insbesondere bildende Künstler machen sich Gedanken über
die Macht des Brandings und die Aufmachung von Waren zu deren Vermarktung. Die
Mechanismen des Marktes, Kaufen und Verkaufen, beschäftigen sie permanent. Künstler
kratzen an der Welt des schönen Scheins und versuchen so, die Macht der Waren gegen sich
selbst zu wenden. Alessandro Mendini kreiert einen Anzug, der nur aus Labels besteht, und Ai
Weiwei versieht eine 2000 Jahre alte chinesische Urne aus der Han Dynastie mit dem Coca-ColaLogo. Objekte wie diese gehören zu den Highlights der Ausstellung.
Der chinesische Bildhauer Ai Weiwei ist, wie viele heutige Künstler, ein Produkt der
Postmoderne. Besonders deutlich sichtbar wird das in einer Serie früher Arbeiten, bei denen er
antike chinesische Urnen mit einem dreisten Coca-Cola-Logo versieht. Zugleich Dekoration und
Verunstaltung, ist diese Geste eine frühe Kenntnisnahme des globalen Kapitalismus, der in
China Einzug hält. Gerade wegen des historischen Wertes der Urne wirkt die postomoderne
Technik der Collage von ungleichen Elementen so schockiernd.
Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Why can’t we be ourselves the way we were yesterday? / Warum können wir nicht die
sein, die wir gestern waren?
In den 1980er-Jahren übten die Reize und die Komplexität der Postmoderne einen ungeheuren
Einfluss aus. Aber leben wir denn noch in einer postmodernen Ära? Sicherlich hat die Bewegung
eine Reihe ungelöster intellektueller Fragen aufgeworfen. Das Musikvideo von New Order etwa,
das den Schlusspunkt dieser Ausstellung bildet, stellt eine wehmütige Frage, über die
nachzudenken sich noch immer lohnt: «Why can’t we be ourselves like we were yesterday?» Die
Postmoderne war geprägt von einem Gefühl des Verlusts und der Destruktivität, aber sie
bedeutete gleichzeitig auch eine radikale Ausweitung der Möglichkeiten.
Die Popband New Order bat 1986 Robert Longo, die Regie ihres Musikvideos ‚Bizarre Love
Triangle’ zu übernehmen. Longo war damals in New York einer der angesagtesten
zeitgenössischen Künstler, bekannt geworden mit seiner Serie ‚Men in the City’. Diese
lebensgrossen Figurenstudien basierten auf Fotos, auf denen Männer, mit Anzügen bekleidet, in
seltsamen, scheinbar schmerzhaften Zuckungen festgehalten sind: Tanzen sie? Oder sind sie
aus kurzer Distanz erschossen worden? Eindeutig lassen sich diese Fragen nicht beantworten,
und gerade darin lag natürlich der springende Punkt, die Absicht von Longos Werk. Wie bei so
vielen anderen postmodernen Künstlern war seine Botschaft zugleich mehrdeutig und
ekstatisch. Dieses Motiv des Unbestimmten adaptierte Longo dann auch im Musikvideo der
Popgruppe New Order in einem Schlüsselbild: Während die Zeilen ‘Every time I see you falling’
erklingen, sind angezogene Körper in einem endlosen freien Fall vor dem Hintergrund eines
blauen Himmels zu sehen. Diese Sequenz versinnbildlicht den Zustand des postmodernen
Subjekts, wie es im reibungsfreien Raum treibt.
Aus der Serie Men in the City (Ohne Titel), 1981, Robert Longo. © Schweizerisches Nationalmuseum
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Im Video von New Order findet die postmoderne Welt ihren vollständigen Ausdruck als
verwirrende und fesselnde Flut an Zeichen. Bilder zucken in rascher Folge über den Bildschirm, selbst die Technologie des Fernsehens ist zu sehen, Bilder von Magnetbändern und
weissem Rauschen. Wie immer bei postmodernem Design gibt es nicht die eine richtige Art und
Weise, darauf zu reagieren. Lies Theorie, geh einkaufen, style dich, sei subversiv. Or just get up
and dance.
Video Bizarre Love Triangle von New Order, 1986, Robert Longo (Regie). © Schweizerisches Nationalmuseum
Designeranzug von Alessandro Mendini (1931) mit Kean Etro (1964): Dieser Dreiteiler, entworfen
und getragen von Alessandro Mendini, ist nicht nur mit den Logos von multinationalen
Konzernen wie Ford und McDonald’s bedruckt, sondern trägt auch die Schriftzüge der Firmen,
für die Mendini arbeitete. Wenn Mendini ihn trug, gab er sich also als loyales Firmenmitglied zu
erkennen – ähnlich einem Formel-Eins-Wagen, der mit den Markennamen seiner Sponsoren
übersät ist.
Designeranzug, Alessandro Mendini mit Kean Etro, 2004. © Schweizerisches Nationalmuseum
In der heutigen Welt des Designs, in der alles erlaubt, ungewiss und hyper-kommerzialisiert ist,
sind die Auswirkungen der Postmoderne noch immer zu spüren. So gesehen sind wir heute alle
post-modern, ob wir das wollen oder nicht.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Mummenschanz und Postmodernism
Spielen mit der Fantasie: Besucherinnen und Besuchr kreieren mit dem Mummenschanz-Spiel
‚Faces’ ein postmodernes Gesicht aus geometrischen Einzelteilen. Die 1972 gegründete
Theatergruppe Mummenschanz steht für Poesie, Fantasie und Sinnlichkeit. Seit 40 Jahren
bringt Mummenschanz das Publikum mit seinen Kreationen weltweit zum Staunen und Lachen.
Zusammensetzen, Vergrössern, Isolieren und Verfremden sind die Gestaltungsmittel von
Mummenschanz und der Postmoderne.
Alle Bilder werden publiziert auf www.mummenschanz-faces.ch
Mummenschanz hat viele Gesichter – wie die Postmoderne auch.
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Postmoderne in der Schweiz – Auszüge aus der Begleitpublikation
schräg, solid, postmodern
von Christina Sonderegger
Als im Schweizerischen Nationalmuseum darüber diskutiert wurde, die Ausstellung
„Postmodernism: Style and Subversion 1970-1990“ des Londoner Victoria and Albert Museum
(V&A) in Zürich zu zeigen, lag es nahe, die international bestückte Show mit Schweizer Objekten
zu ergänzen. Die nachfolgenden Recherchen sollten zeigen, dass dies kein einfaches
Unterfangen sein würde, was einerseits in der Stigmatisierung des Begriffs und andererseits an
der Unschärfe der Postmoderne selbst lag. Je nachdem, ob man die Architektur, das Design, die
Grafik, die Musik oder die Mode fokussierte, waren die postmodernen Auseinandersetzungen
nicht nur unterschiedlich intensiv, sondern – je nach Gattung – auch sehr verschieden. Mit
dieser Feststellung befindet man sich bereits mitten in der kontroversen Diskussion darüber,
was die Postmoderne überhaupt gewesen sei. Jane Pavitt und Glenn Adamson, die Kuratoren
des V&A, vergleichen sie mit einem zerbrochenen Spiegel, in dessen Scherben sich die Welt
reflektiere. Ein sehr treffendes Bild, wie mir scheint, denn es beinhaltet nicht nur den Blick
zurück, sondern vor allem das, was diese Strömung ausgezeichnet hat, nämlich
Vielschichtigkeit und Facettenreichtum.
Die Entscheidung, die Schweizer Objekte in die Struktur der Londoner Ausstellung einzugliedern
und sie nicht in einem eigenen Teil zu separieren, bedeutete, mit denselben Fragestellungen zu
arbeiten wie die Kuratoren des V&A: Wie äusserte sich die Kritik an der Moderne, wie fand die
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit statt, welche waren die postmodernen
Gestaltungsstrategien und wie wurden sie umgesetzt? Aber auch Fragen nach einem Höhepunkt
der postmodernen Gestaltung und ihrem kommerziellen Erfolg standen im Fokus der Londoner
Kuratoren. Inwieweit das auch auf die Schweizer Gestaltung zutrifft und dies in der Ausstellung
dargestellt werden konnte, soll im Folgenden erläutert werden.
Festhalten oder Loslassen?
Postmodern zu sein, bedeutete in erster Linie, auf die Moderne zu reagieren. Es wurde lustvoll
vollzogen, was Jahrzehnte lang verpönt war, nämlich zu zitieren, zu collagieren, zu verkleiden
und zu dekorieren. Damit wurde die Doktrin der gestalterischen Moderne – die Kausalität von
Form und Funktion – in Frage gestellt. Obgleich es immer wieder Gegenbewegungen und
Tendenzen wider das „form follows function“ und die „gute Form“ gegeben hatte – man denke
an Heimatstil und Nierentisch –, so vermochte keine Strömung sich so viele Freiheiten zu
erobern wie die Postmoderne.
Ein wichtiger Anstoss in Richtung „Befreiung“ ging in der Schweiz vom Schweizerischen
Werkbund aus, jener Institution, die seit ihrem Bestehen die Hüterin über die gute und richtige
Gestaltung war. Der Werkbund lud 1967 Kunstschaffende sowie Gestalterinnen und Gestalter
ein, frei nach ihrem Gutdünken „Sitzmöglichkeiten“ zu kreieren, die dann an der Aktion „Chair
fun“ anlässlich der Jahrestagung des SWB versteigert wurden.1 Die experimentellen,
humorvollen Stühle standen jenseits der konformen Gestaltungsregeln. Ein Jahr später
proklamierte der Werkbund das Ende der „guten Form“, jener Auszeichnung, die er während
Jahrzehnten für wegweisende Gestaltung verliehen hatte. Die moralische Instanz Werkbund
fühlte sich in ihren Anliegen vom Publikum nicht mehr verstanden. „Funktionalismus“ und
1
SWB-Geschäftsbericht November 1967 bis Oktober 1968, S. 3-4.
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„Materialechtheit“ waren, so der Werkbund selbst, zu Ideologien erstarrt, die ihre Aktualität
verfehlten.2 Zwar hatte der Werkbund mit der „Chair fun“ für mehr Spass, Fantasie und lustvolle
Sinnlichkeit beim Gestalten geworben, doch der Flächenbrand blieb aus. Die wenigsten
Gestalter wollten sich vom Gebrauchsnutzen und der über Jahrzehnte verinnerlichten,
sachlichen Formensprache verabschieden. Claude Lichtenstein beschreibt das gestalterische
Klima in der Schweiz der 1970er-Jahre weder als offen, noch bereit für einen internationalen
Diskurs, dies im Unterschied zu den 1930er Jahren, als die Schweiz in der ersten Liga der
Moderne mitspielte.3 Auch an internationalen Ausstellungen zur Postmoderne waren die
Schweizer an einer Hand abzuzählen.4 Lediglich die Gestalter Trix und Robert Haussmann, Susi
und Ueli Berger sowie der Architekt Mario Botta fanden zu Beginn der Postmoderne
international Beachtung.
Erneuerung durch Rückblick
Innerhalb der Schweizer Postmoderne bildeten Trix und Robert Haussmann eine
Ausnahmeerscheinung, indem ihre Entwürfe auf der eigenen profunden Analyse historischer
Stile beruhten. Zu Beginn der 1970er-Jahre fingen sie an, Bauten des Manierismus auf ihre
Gestaltungsmerkmale hin zu untersuchen, vergleichbar mit dem, was der Amerikaner Robert
Venturi 1966 in Bezug auf die Architektur unternommen hatte.5 Das Ziel ihrer Forschung lag
darin, im mannigfaltigen Reichtum der Baukunst – vor allem im Manierismus – eine Entgegnung
auf die leer gewordenen Formen der Moderne, auf Funktionalismus und Purismus, zu finden. Die
Beschäftigung mit der Vergangenheit an sich war während der Postmoderne nichts
Aussergewöhnliches, im Gegenteil. Der Griff in die Geschichte mit den damit verbundenen
Zitaten und Collagen historischer Versatzstücke war eine verbreitete Gestaltungsstrategie. Das
Besondere der Haussmanns lag in ihrer Analyse und der ironischen Anwendung der
untersuchten Themen. Ihre reichhaltigen Forschungen mündeten in der Ausarbeitung eines
Katalogs von Entwurfsstrategien. Dieses persönliche Manifest postmoderner Gestaltung,
nannten sie „kritischer Manierismus“.6 Sehr verkürzt dargestellt, sind die vorgeschlagenen
Gestaltungsmittel die Materialverfremdung, die Illusion, der Bedeutungstransfer, die
Mehrdeutigkeit eines Objekts sowie der Einbezug von Zerstörung und Widerspruch in den
Entwurfsprozess. Die so gewonnenen Erkenntnisse wandten die Haussmanns fortan
gleichermassen auf Architektur, Möbel, Tafelzubehör und Textilien an. Das Spiel mit Täuschung,
Illusion und verschiedenen Bedeutungsebenen gelang ihnen perfekt. Die gekappte Säule ist in
Tat und Wahrheit ein Schubladenmöbel, der gemauerte Bogen ein Schreibtisch. Wer glaubt, das
geschlungene Tuch sei ein Textil, der irrt, ebenso wer ihre Textilien für Marmor oder Steinquader
hält. Ein Meisterwerk subversiver Mehrdeutigkeit ist ihr Barschrank „seven codes“, der nicht
weniger als sieben Bedeutungsebenen auf sich vereint. Staunen und Humor angesichts der
Selbsttäuschung sind wichtige Aspekte ihres Gestaltungsrepertoires. Für die Haussmanns ist
ihr spezifisches Verständnis von Postmoderne nicht bloss ein modisches Zwischenspiel,
sondern eine Überzeugung, die bis heute Gültigkeit hat, ohne dass sie zur Doktrin geworden
wäre.
2
Antonio Hernandez, Die „Gute Form am Ende ihrer Möglichkeiten“, in: Werk, 6/1968, S. 403-406.
Claude Lichtenstein, Das Ende des Fortschritts und die Wiederentdeckung der Geschichte, in: Arthur
Rüegg (Hrsg.), Schweizer Möbel und Interieurs im 20. Jahrhundert, Basel, Boston, Berlin 2002, S. 215-235.
4
Siehe dazu die Ausstellungskataloge Volker Albus (Hrsg.), Gefühlscollagen. Wohnen von Sinnen, Köln
1986 sowie Volker Fischer (Hrsg.), Design heute. Massstäbe: Formgebung zwischen Industrie und Kunst,
München 1988.
5
Deutsche Ausgabe: Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur, Braunschweig 1978.
6
Wiedergegeben in: Röthlisberger Kollektion (Hrsg.), Die Allgemeine Entwurfsanstalt mit Trix und Robert
Haussmann. Möbel für die Röthlisberger Kollektion, Sulgen und Zürich 2011, S. 18-20.
3
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Materialtransfer
War die Verwendung eines bestimmten Materials in der Moderne die logische Konsequenz aus
Funktion und Fertigung, so verwarf die Postmoderne diese einengende Kausalität kurzerhand.
Dadurch stieg nicht nur die Auswahl an „Rohstoffen“ geradezu sprunghaft an, sondern auch die
Rolle des Materials veränderte sich. Ein lustvoller und provokativer Umgang mit allem, was
ausserhalb des modernen Materialkodex’ gestanden hatte, ersetzte den rein funktionalen
Aspekt des Materials. Bei vielen Schweizern hingegen scheinen anstelle der
Experimentierfreude kritische Anspielungen mitzuschwingen, um mittels Material vertraute
Wahrnehmungen und Bedürfnisse infrage zu stellen. Stefan Zwicky kritisierte mit seinem Sessel
„Grand comfort sans comfort“ (1980) den Formalismus der Moderne, indem er Le Corbusiers
Sessel „grand comfort“ kurzerhand in Beton goss.7 Beton, ein Material, das nicht nur wesentlich
zum Siegeszug der architektonischen Moderne, sondern auch zu ihrem negativen Image
beigetragen hatte. Mehrheitlich positiv konnotiert ist hingegen Schokolade. Kaum ein Material
könnte schweizerischer und gleichzeitig ungeeigneter sein wie Schokolade, aus dem der ChocoChair (1967) von Robert Haussmann zu bestehen scheint. Die Stuhlbeine stehen in
dunkelbraunen Lachen und die Sitzfläche neigt sich bedrohlich auf die Seite.
Eine radikale Abkehr vom traditionellen Verständnis von Schmuck vollzieht Bernhard
Schobinger. Aus Glasscherben, Abfall und Bruchstücken aller Art schafft er Gebilde jenseits des
konventionellen Schmucks. Mit seinen gefährlich anmutenden, ästhetisierten Objekten stellt er
nicht nur den Akt des Sich-Schmückens in Frage, sondern er verweist darüber hinaus auf
Themen ausserhalb der Gestaltung.
Fragment und Bricolage
Die Technik der „Bricolage“ gehört zu den wichtigen „Strategien“ postmoderner Gestaltung. Mit
ihr wird das quasi unprofessionelle Zusammenbasteln heterogener Bestandteile und
unterschiedlicher Materialien bezeichnet. Eine Technik, die in der Moderne undenkbar gewesen
wäre. Selbermachen war Ausdruck des postmodernen Aufbruchs und Subversion gegenüber
dem Gestaltungsethos der Moderne. Auch technisch weniger Versierte konnten so ohne grosse
Kenntnis von Konstruktion und Materialeigenschaften ihre Ideen in die Tat umsetzen, was oft zu
Lasten des Gebrauchsnutzens ging.8 Die Schweizer hingegen konnten das Funktionsdiktat nie
ganz vergessen. Auch wenn sie sozusagen Unpassendes zusammenfügten, dann geschah dies
nicht aus blosser Lust, sondern das Resultat hatte zu funktionieren. Nicht selten war damit ein
Zusatznutzen verbunden. Hans Eichenberger fabrizierte aus einer freien künstlerischen Form
und einem Sockel einen Beistelltisch und Susi und Ueli Berger verwandelten einen simplen
Hocker durch ein angeschraubtes Brett in einen repräsentativen Hochlehner. Mit ihrem 5Minuten-Stuhl liefern sie die Anleitung, wie aus einer Rolle Drahtgitter in wenigen Minuten ein
Stuhl zu fabrizieren sei, und nehmen so das Do-it-yourself-Prinzip der Postmoderne beim Wort.
7
Diesen Vorgang beschrieb Alessandro Mendini als Re-Design, indem er Möbelklassiker durch
Verfremdungen ironisierte.
8
Ein äusserst beliebtes Material, das vor allem in Italien benutzt wurde, war das Laminat. Es war in allen
erdenklichen Farben zu haben und eignete sich vorzüglich für grelle, glänzende Oberflächen und wilde
Muster. Gleichzeitig konnten konstruktive Mängel mit der oberflächlichen Applikation geschickt kaschiert
werden.
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36
Vom Typus zum Solitär
So wie die Moderne es vorgesehen hatte, sollte das moderne Möbel nicht die individuelle
Handschrift seines Entwerfers tragen, sondern möglichst sachlich und anonym erscheinen.
Unterschiedliche Möbel verschiedener Entwerfer konnten so zu einem harmonischen Ganzen
kombiniert werden. „Typenmöbel“ hiess das Zauberwort der Moderne. Auf die kombinierbaren
Einzelmöbel folgten in den 1960er Jahren die Systemmöbel; entweder als Baukasten- oder
Konstruktionssystem, wie beispielsweise das 1964 entwickelte Möbelsystem USM Haller. Das
sollte sich mit Pop Art und Postmoderne ändern. Nicht mehr die Kombinierbarkeit des
funktionalistischen Möbels stand im Mittelpunkt, sondern individuelle Form und künstlerische
Aussage. Das postmoderne Möbel entwickelte sich aus dem Verbund des Interieurs heraus zum
Solitär: Statement statt Funktion.
Die Möbel und Gebrauchsgegenstände im Ausstellungsteil New Wave, die während der
Hochblüte der Postmoderne in den 1980er Jahren entstanden waren, entsprechen diesem
Prinzip. Die italienischen Designkollektive Studio Alchimia und Memphis waren die treibenden
Kräfte und weit verbreiteten Vorbilder. In der Schweiz sind keine eigentlichen
Gestaltungsgruppen auszumachen, sondern es blieb, wie eingangs schon erwähnt, bei
signifikanten Einzelerscheinungen. Die Möbel des Architekten Mario Botta veranschaulichen die
Tendenz zum Möbelobjekt exemplarisch. Allein schon Form und Dimension drücken aus, dass es
nicht um die simple Umsetzung einer Funktion ging, sondern um die Kreation eines Objekts. Wie
bei seinen Bauten geht Botta von stereometrischen Körpern aus, die er in einem logischen
Entwurfsprozess miteinander verbindet, um so zu einer neuen eigenständigen Formkreation zu
kommen. Der Objektcharakter des Sessels Obliqua (1986) steht dermassen im Vordergrund,
dass sich seine Funktion nicht sogleich erschliesst. Ein typischer Solitär ist auch das Regal
Kung Fu (1980) von Susi + Ueli Berger. Obwohl mit dem in der Ausstellung vertretenen Regal
„Carlton“ (1981) von Ettore Sottsass formal vergleichbar, kreierten die Bergers nicht eine freie
Form, sondern sie paraphrasierten ein chinesisches Schriftzeichen. Unter Kung Fu ist nicht nur
eine Kampfsportart zu verstehen, sondern der Begriff bedeutet ursprünglich so viel wie
Kunstfertigkeit, die man durch harte, geduldige Arbeit erwirbt. Bei Bergers besteht diese Kunst
in der gelungenen Überwindung der Moderne in Form eines humorvollen, mehrfachcodierten
Möbels.
Wider die Tradition
Während im Schweizer Produktdesign die Auseinandersetzung mit der Moderne nur punktuell
und selten radikal war, hat in der Grafik ein erstaunlicher Aufbruch stattgefunden. Die
Schweizer Grafik, bekannt und bewundert für ihre kompromisslose Sachlichkeit und Logik,
erlangte in der Nachkriegszeit als „Swiss Style“ Weltruhm. Die in der Ausstellung gezeigten
Plakate aus dem alternativ-kulturellen Umfeld der 1980er-Jahre haben nichts mehr mit diesem
normierten Regelwerk gemein. Hier wurde gemixt, geklebt, vergrössert und Xerox-kopiert, was
das Zeug hält. Machart und Bildsprache sind expressiver Ausdruck gegen Formalismus und
Nüchternheit, die der Spätmoderne im Allgemeinen anhafteten. Viele Auftraggeber und Grafiker
waren eng mit der Punk-, New Wave- und Jugendbewegung verbunden. Wie im Punk, wo jeder
schnell und unkompliziert ein Musiker sein konnte, entstanden viele der damaligen grafischen
Erzeugnisse wie Plattencovers, Kleinplakate oder Fanzines nach demselben unmittelbaren Doit-yourself-Prinzip. Mit Spontanität, Spass und Unverkrampftheit agierte man gegen die
etablierte Konsumgesellschaft.
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Kontinuität im Handwerk
Im Grossen und Ganzen reagierten die Schweizer Gestalter – von den besprochenen Ausnahmen
und dem Grafikdesign abgesehen – eher verhalten auf die Postmoderne. Die meisten, die sich
auf sie einliessen, taten dies als vorübergehende Reaktion auf die internationalen Vorbilder. Zu
stark waren die Maximen der Moderne verinnerlicht, zu sehr entsprach die sachlich rationale
Gestaltung dem Designverständnis der Schweiz.
Interessant ist, dass eine dieser modernen Maximen, nämlich die qualitativ hochstehende, auf
Langlebigkeit angelegte Herstellung, kennzeichnend für den Grossteil postmoderner Möbel der
Schweiz ist. Alfred Hablützel, Kenner der Szene, führt dies auf die handwerkliche
Grundausbildung der meisten Schweizer Gestalter zurück sowie auf die Hersteller, die die
qualitativ hochstehende Fertigung während der Postmoderne innovativ weiterentwickelt
haben.9 Was die Londoner Kuratoren in der Ausstellung als „fatal encounter“ von Geld und
Postmoderne ansehen, scheint für die Schweiz weniger unglücklich gewesen zu sein. Vielmehr
vermochte die Postmoderne dort als Katalysator zu wirken, wo sich gestalterisches Experiment
und fertigungstechnisches Know-how nicht ausschlossen, sondern sich gegenseitig beflügelten.
Die Schreinerei Röthlisberger hatte in den Entwürfen der Haussmanns und Bergers eine Nische
gefunden, ihr handwerkliches Können auf höchstem Niveau anzuwenden. Der
Ledermöbelproduzent de Sede liess sich 1970 mit dem Endlos-Sofa DS-600 Organic nicht auf
ein kurzlebiges Experminent ein, sondern produziert dieses unkonventionelle Möbel heute noch.
Wenn das viel zitierte „Sowohl-als-auch“ der Postmoderne bei den Schweizern zum Tragen
gekommen ist, dann gewiss dort, wo es um die Verbindung von modernen und postmodernen
Maximen ging.
Der Geist der Postmoderne
von Alois Martin Müller
Jede Stilbezeichnung hat einen Anfang und ein Ende; die Ausstellung gibt für „Postmodernism –
Style and Subversion“10 den Zeitraum von 1970 bis 1990 an. Allen Stilrichtungen jedoch geht,
bevor sie auf einen Begriff gebracht werden, eine Inkubationszeit voraus. Es beginnen irgendwo
Quellen zu sprudeln, daraus werden Bäche und Flüsse bis sich ein Strom und eine Strömung
bildet. Und wenn diese Strömung zudem zur Epochenbezeichnung mutiert, dann prägt sie den
Zeitgeist. Anhand von vier wirkungsmächtigen Quellentexten wird zunächst aufgezeigt, wes
Geistes Kind die Postmoderne gewesen ist, um dann über die Schweiz zu einer knappen Bilanz
zu gelangen.
Grenzüberschreitungen: Fiedler
Seinen berühmten Aufsatz „Cross the Border, Close the Gap“ platzierte der amerikanische
Literat, Essayist und Professor Leslie A. Fiedler in der Zeitschrift „Playboy“ gleichsam
grenzüberschreitend um die Playmate des Monats Dezember 1969 herum. Fiedler stellt fest,
dass es im Amerika der Nachkriegszeit in den Künsten eine starke Bewegung gibt, den Graben
zwischen High and Low, zwischen ernster Hoch- und niedriger Unterhaltungskultur zu
überschreiten und zu schliessen. Es soll Schluss sein mit dem Gejammer der Kulturreligion des
Modernismus; die neuen Kunstwerke beziehen ihre Stoffe aus der Volkskultur, aus Comics und
9
Gespräch mit Alfred Hablützel im Dezember 2011.
Postmodernism. Style and Subversion, 1970-1990. V&A Publishing, London 2011.
10
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Science-Fiction, aus Filmen und Fernsehserien, aus Mythen, Folk und Western, aus Pornografie,
Sentimentalität und Leidenschaft. Ab jetzt dringt die populäre Kunst in die „Zitadellen der
Hohen Kunst“ ein, und die „Vorstellung von einer Kunst für die ‚Gebildeten’ und einer Subkunst
für die ‚Ungebildeten’ bezeugt den letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheidung.“11
Künstler wie Publikum werden zu Doppelagenten beider Kulturen und sind heimisch in High and
Low-Welten. Der neue Zeitgeist ist „apokalyptisch, antirational, offen romantisch und
sentimental“, und die Literatur soll, prophetisch und universell, als fortdauernde Offenbarung
„die weltliche Masse in eine heilige Gemeinde verwandeln, mit sich selbst eins und
gleichermassen zu Hause in der Welt der Technologie und im Reich des Wunders.“12
Camp: Sontag
Die legendären „Anmerkungen zu ‚Camp’“ der amerikanischen Intellektuellen, Schriftstellerin
und Filmemacherin Susan Sontag wurden auf Deutsch 1968 unter dem Titel „Kunst und
Antikunst“ veröffentlicht. Es handelt sich um einen Essay, der in 58 Punkten das Phänomen
‚camp’ zu fassen versucht, durchsetzt mit zahllosen Beispielen aus allen Kunstbereichen. Camp
ist eine Art des Ästhetizismus und die Camp-Sensibilität kann alles Mögliche – Dinge, Kleider,
Möbel, Kunstwerke – in camp transformieren, denn der Camp-Blick „sieht alles in
Anführungsstrichen“;13 Susan Sontag zählt u.a. dazu: King Kong, französischen yé-yé-Rock,
Filme für Herren, ohne Wollust betrachtet, Flash Gordon-Comics, billige und schlechte B-Filme,
Kriminal-Serien, die Leere hinter dem vollkommenen Gesicht der Garbo, das Androgyne oder die
grandiosen Musical-Choreografien eines Busby Berkely. Und sie definiert: „38. Camp ist die
konsequent ästhetische Erfahrung der Welt. Es stellt den Sieg des ‚Stils’ über den ‚Inhalt’ dar,
des ‚Ästhetischen’ über das ‚Moralische’, der Ironie über die Tragödie.“14
Wie fast alles Heldenhafte, Tiefernste und Hochseriöse balanciert Camp am Rande des
Umkippens, dort, wo die Übergänge zwischen Kunst und Kitsch sich verflüssigen. Camp ist
Dandyismus im Zeitalter der Massenkultur und liebt das Dekorative und das Überbordende, die
Stilisierung und den Trick, das Theatralische, die Übertreibung sowie die Ernsthaftigkeit, die
ihren Zweck verfehlt. „Camp erklärt (...), dass es einen guten Geschmack des schlechten
Geschmacks gibt“, „als waghalsigen und geistreichen Hedonismus“, und „dass die
Erlebnisweise der hohen Kultur keinen Alleinanspruch auf Kultur hat“.15 Als Tätigkeit ist ‚to
camp’ eine Verführungsmethode mittels Manierismen, mit doppeldeutigen Gesten und
anspielungsreichen Botschaften für Eingeweihte und Feinschmecker – kurz: der CampGeschmack riecht sophisticated.
Vieldeutigkeit und Doppelcodierung: Venturi und Jencks
Das dritte, bahnbrechende Dokument gegen den Purismus und Absolutismus der klassischen
Moderne erscheint 1966 in den USA. Es ist gleichsam das Gründungsmanifest der
postmodernen Architektur. Verfasser ist der Architekt Robert Venturi. Er hatte zwei Jahre in
Rom studiert und gelangte dort zu den fundamentalen Einsichten, welche sein Buch
„Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ durchziehen. Es hebt an mit einem
11
Leslie A. Fiedler, Überquert die Grenze, schliesst den Graben!, in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus
der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 68.
12
Ebenda S. 58. resp. S. 73.
Notes on „Camp“. Erstveröffentlichung in der Partisan Review 1964. Deutsch: Anmerkungen zu ‚Camp’,
in: Susan Sontag, Kunst und Antikunst, Frankfurt/M., 2009, S. 327.
14
Ebenda S. 335.
15
Ebenda S. 340.
13
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Paukenschlag: "Für eine beziehungsreiche Architektur! - Ein behutsames Manifest".16 Venturi
reitet eine Attacke gegen die moderne Architektur des Internationalen Stils, welche – wie 1932
verkündet worden war – „weltweit verbreitet, einheitlich und umfassend, nicht fragmentarisch
und widersprüchlich“ zu sein hatte. Der Internationale Stil sollte wieder eine "gerichtete
Entwicklung" zulassen und eine "einheitliche Ordnung" stiften.17 Globalisierung avant la lettre,
und, wie man sieht, in den Auswirkungen verheerend.
Venturi hat genug von den Ordensregeln der Modernen und von Stil, der zur hohlen Form
geworden ist. Es geht nicht mehr um Transparenz und Klarheit, um Reduktion und
Funktionalismus, und nicht mehr um Ästhetik als Moralismus. Er zieht das Vermessene dem
Gemessenen, die Vielfalt der Einfalt, das Verzerrte dem Stocksteifen, die vermurkste
Lebendigkeit der langweiligen Ehrlichkeit vor. Kurz: Er plädiert gegen den Kult des Reinen und
für den Reichtum des Lebens und meint: "Die Architekten können es sich nicht länger mehr
leisten, durch die puritanisch-moralische Geste der orthodoxen modernen Architektur
eingeschüchtert zu werden."18
Venturi schreibt ein Manifest gegen den Stil, und letztlich – wie Susan Sontag – für
Manierismen.19 Bei fast sämtlichen architektonischen Beispielen, die er im Bildprogramm im
Buch abbildet und kommentiert, handelt es sich um Gebäude, die eigensinnige Manieren haben
und da und dort überraschende Ansichten zeigen: seltsame Asymmetrien oder
Unentschiedenheiten, Disharmonien oder Perspektivetäuschungen, Regelbrüche oder Elemente
mit Doppelfunktionen. Venturi hat ein Sensorium, wie er selbst sagt, für Widersprüche,
Mehrdeutigkeit, Konfusion, Vielschichtigkeit, Sinn-Verschiebungen, Überlagerungen,
Doppeldeutigkeiten und Paradoxa.
Sein zweites, bahnbrechendes Buch hat sich mit einem U(n)-Ort par excellence befasst, mit Las
Vegas. Zu dritt erfahren Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour im
Strassenkreuzer buchstäblich diese Unterhaltungsarchitekturen, welche traditionell zur Neuen
Welt gehören, erstellen eine Typologie, analysieren und dokumentieren minutiös und stellen
historische Vergleiche mit der Alten Welt an.20
Die postmodernere Architektur bringt dann rund zehn Jahre später Charles Jencks auf den
Punkt. Das Fundamentalkriterium heisst ‚Doppelkodierung’.21 Ein postmodernes Gebäude soll
zwei Bevölkerungsschichten ansprechen: die Fachleute und die sogenannte breite Bevölkerung.
Die verschiedenen Geschmackskulturen finden in den postmodernen Bauten ihren Ausdruck,
deshalb haftet ihnen etwas Zwitterhaftes an. Das Gebäude wird quasi zum Doppelagenten
Leslie A. Fiedlers, es bekommt etwas Camp-artiges und Doppeldeutiges von Susan Sontag, und
es wird beziehungsreich und vielfältig in der Formensprache und zeigt Manier im Sinne Venturis.
Es soll E und U, ‚high’ und ‚low’ zugleich sein, mindestens doppelkodiert und folglich zweifach
lesbar.
16
Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur, hg.v. Heinrich Klotz, Braunschweig
1978, S. 23f.
17
Henry-Russell Hitchcock, Philip Johnson, Der Internationale Stil, 1932, Braunschweig 1985, S. 23.
18
Wie Anm. 7.
19
Robert Venturi, Denise Scott Brown, Architecture as Signs and Systems. For a Mannerist Time,
Cambridge, Massachusetts, London 2004. Bei diesen Harvard-Vorlesungen wird explizit die Beziehung
zum Manierismus erläutert und mit Architekturbeispielen dargelegt. Das 1. Kapitel heisst auch: New
Mannerism rather than Old Expressionism.
20
Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Learning from Las Vegas. The Forgotten Symbolism
of Architectural Form, Cambridge, Massachusetts, London 1977.
21
Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Entstehung und Entwicklung einer
alternativen Tradition, Stuttgart 1978 (engl. Erstausgabe 1977). Auszugsweise in: Wolfgang Welsch
(Hrsg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, S. 85-98.
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40
Postmodernes Wissen: Lyotard
1979 begann die Weltkarriere des Buches „La condition postmoderne“.22 Geschrieben hatte es
der französische Philosoph Jean-François Lyotard im Auftrag des Universitätsrates der
Regierung von Québec als Bericht über die Zukunft des Wissens in höchstentwickelten
Gesellschaften, wobei er von amerikanischen Soziologen die Bezeichnung „postmodern“
übernommen hatte. Die drei „Grossen Erzählungen“ der Moderne – erstens die aufklärerische,
dass sich der Mensch von beherrschenden Mächten emanzipiert und sich als autonomes
Subjekt begreift; zweitens die idealistische, dass durch permanente Selbstkritik und -korrektur
die fortschrittliche Vernunft siegen wird; und drittens die historistische, dass der Geschichte ein
zielgerichteter Sinn innewohnt, der über blindes Schicksal triumphieren wird – stecken in einer
grossen Krise. Mit dieser Transformation der Meta-Erzählungen in blosse Fabeln verliert auch
das Wissen an Legitimierung, weil ihm damit der Boden einheitlicher Wahrheitsannahmen
entzogen ist. Lyotard entwirft gegen dieses Einheitsdenken und gegen die Obsession derartiger
Ganzheitsvorstellungen eine positive Philosophie der Pluralität. Er schätzt das Heterogene, das
Spezifische, die Mehrdimensionalität, er zeigt auf, dass die Reduktion aller Fragen und
Probleme auf die modernen ‚Wahrheitsdiskurse’ der Vielfalt Zwang antut. Im Verlust der
„Grossen Erzählungen“ sieht die Postmoderne einen Gewinn an Wissens- und
Erkenntnisformen, an transversaler Vernunft, und Lyotard plädiert für Widerstreit und in
einzelnen Fällen schlicht für Unvergleichbarkeit.
Auch im Bereich der Künste übt er Kritik an jeder Vereinheitlichung und moderner
Abwesenheitsmelancholie, statt sich dem die Vernunft übersteigenden Nicht-Darstellbaren zu
widmen: „Die Postmoderne wäre dasjenige, das im Modernen in der Darstellung selbst auf ein
Nicht-Darstellbares anspielt; das sich dem Trost der guten Formen verweigert (...). Wir haben die
Sehnsucht nach dem Ganzen, dem Einen (...) teuer bezahlt. (...) Die Antwort lautet: Krieg dem
Ganzen, zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir den Widerstreit (...).“23
Hellsichtig hat er auch vorausgesehen, dass das Wissen mit dem Verlust der „Grossen
Erzählungen“ unter Legitimationsdruck kommen wird und nun zunehmend an seiner
‚performance’ gemessen wird – im doppelten Sinne: zum einen muss das Wissen beginnen, sich
selbst zu ‚performen’, d.h. sich in der Öffentlichkeit aufzuführen und für sich zu werben, und
zum andern wird Wissen kommerziell an seiner Wertschöpfung und Effizienz gemessen, an
seinem Input/Output-Verhältnis. Das bedeutet nach Lyotard, dass mit der Zeit eine Gleichung
zwischen Effizienz, Wahrheit und Reichtum sich abzeichnen wird. Dieses Performanz-Denken
ist inzwischen in Kultur und Wissenschaft zur Routine geworden.
In der Schweiz: Frisch und Habermas
Neben der „internen“ Entwicklungsgeschichte hat die Postmoderne auch eine externe,
politische Aussenseite. Und die sieht nicht sehr gut aus. Konservative Regierungen waren an die
Macht gekommen, 1979 Margret Thatcher in England, 1981 Ronald Reagan in den USA, 1982
Helmut Kohl in der Bundesrepublik Deutschland, und François Mitterand regierte ab 1981 in
Frankreich wie ein sozialistischer Sonnenkönig. Die Postmoderne wurde zum Ausdruck der
konservativen Wende. In zwei Aufsätzen hat der deutsche Philosoph Jürgen Habermas,
gleichsam das Gewissen der Nation, den Postmodernismus den Neokonservativen zugeordnet
22
Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Graz 1986 (frz. Erstausgabe 1979).
Jean-François Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? , in: Wolfgang Welsch (Hrsg.),
Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 203.
23
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und die postmoderne Architektur als konservativ und antimodernistisch abgestempelt.24
Selbstverständlich hatte er auch Lyotard im Visier, der ironisch bemerkt, dass er von Habermas
wegen Neo-Konservatismus eine schlechte Zensur erhält. Es ist wahrlich als Leistung zu
bezeichnen, dass die beiden Philosophen kein einziges Mal miteinander debattiert haben; da
stand von deutscher Seite die Mauer für einmal am Rhein. Drüben war „Franzosentheorie“, im
Modus quasi-postmoderner Unübersetzbarkeit.
Die Debatten in der Schweiz folgten dem Muster Habermas’. Es gab kaum eine ernsthafte
Diskussion, und in den Feuilletons war man sich weitgehend einig: Die Postmoderne ist eine
neokonservative, reaktionäre Bewegung und ästhetisch handelt es sich um billigen
Neoklassizismus.25 Exemplarisch sei hier Max Frisch erwähnt. 1985 polemisiert er im TagesAnzeiger gegen den Bahnhof Stadelhofen von Santiago Calatrava und gegen die Postmoderne. Er
führt praktisch alle Negativ-Vokabeln der Postmoderne-Kritik ins Feld: Architektur als
Konditorei in Eisenbeton, Aufbruch ins Beliebige, Baugeschichte als Supermarkt, Dekoration,
Ausverkauf der Stile, Anti-Aufklärung, Liebling des Kapitals, Verschleierung, Fassaden als
Verkleidung und Faxen, Infantilismus, Micky Maus als Urahn der Postmoderne, Disneyland,
Geschwätz, reine Verzierung, Mode, Enthemmung.26 Seine Attacke zählt beinahe lückenlos auf,
welches Spektrum „Postmoderne“ als Schimpfwort damals auch abdeckte. Vergessen hat er
einzig das berühmte „Anything goes“.27
Frisch tut Calatrava selbstverständlich Unrecht, aber er hat auch Recht in dem, was die
Postmoderne zum Teil – in ihrer platt neohistoristischen Ausprägung – auch gewesen ist. Leider
wird jedoch mit solchen Ausfällen alles in einen Topf geworfen und asymmetrisch verglichen:
„gute“ Moderne gegen „schlechte“ Postmoderne, die übrigens mit ihren Säulchen und
Giebelchen, mit der ganzen vermurksten Architektursprache und dem spiessigen Protzertum
sehr schnell in die Agglomeration vertrieben wurde. Ausgeblendet wird dabei die massenhafte,
knapp genügende bis miese „Moderneproduktion“, die es auch gibt.
Die Postmoderne im Rückspiegel
Die Postmoderne ist, wie die Ausstellung auch zeigt, historisch geworden, und sie kann als
abgeschlossene Phase betrachtet werden. Sie stellte keinen Bruch mit der Moderne dar,
sondern war deren logische Weiterführung und Transformation. Zwei Entwicklungen liefen nach
dem Zweiten Weltkrieg parallel, die um 1970 ihre volle Wirkung entfalteten: erstens ein
unfassbares Wirtschaftswunder und zweitens das schleichende Verschwinden des
vielgescholtenen Bildungsbürgers, der sich elitär und unkritisch in der vergangenen, hohen
Kultur aufhielt. Eine neue Generation von Kreativen war am Werk, welche in zwei Kulturen
aufwuchsen: in der klassischen, „hohen“ Kultur und in der sogenannten Pop-Kultur. Die
24
Jürgen Habermas, Moderne und postmoderne Architektur; und: Die Moderne – ein unvollendetes
Projekt. Beide in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der PostmoderneDiskussion, Weinheim 1988, S. 110-120 resp. S. 177-192.
25
Daran hat Jencks auch seinen Anteil, weil er eine kurze Programmschrift herausgegeben hat, die nur
diese schwache und belanglose Seite der Postmoderne behandelt. Charles Jencks, Was ist Postmoderne?
Der neue Klassizismus in Kunst und Architektur, Stuttgart 1993.
26
Siehe unter www.tagesanzeiger.ch: Max Frisch, Die Architektur der Micky Maus.
27
Diese Formel in die Welt gesetzt hat der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph Paul Feyerabend, der
von 1980 bis 1994 auch an der ETH Zürich lehrte. Die deutsche Übersetzung von ‚anything goes’ lautet:
‚Mach’ was du willst’. Leidenschaftlich hat er für Vielfalt, für die radikale Freiheit der Bildung und des
Wissens und für eine anarchistische Wissenschaftstheorie gestritten, die Regeln bricht und Methoden
jederzeit modifiziert. Für die Künste ist die Regel ‚anything goes’ schon längt die einzige Regel. Siehe:
Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt/M. 1975; und: Die Vernichtung der Vielfalt. Ein
Bericht, Wien 2005.
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homogene, bürgerliche Moderne zerfiel genauso wie das homogene Individuum. Eine heterogene
Kultur der Vermischung, der Überlagerungen und der Vielfalt bildete sich heraus, eine Kultur des
Spiels mit Farben, Formen, Materialien, Klischees, Stilisierungen, mit Hoch und Niedrig sowie
mit historischen Versatzstücken. Was Fiedler, Sontag und Venturi postuliert hatten, wurde
Wirklichkeit. Die Postmoderne hat hervorgebracht, was Ihab Hassan zu den Merkmalen
postmoderner Kultur zählt: Auflösung des Kanons und Fragmentarisierung, Unbestimmtheiten
und Hybridisierung, Karnevalisierung und Eventbestimmtheit, aber auch Teilnahme und
Performanz.28
Das ist bis heute so geblieben, und geblieben sind auch zwei weitere Phänomene. Erstens das
„heterogene“ Publikum, welches sich in dieser Mischkultur erlebnisorientiert und situativ
bewegt und sich hier ästhetische Subjektivität und subjektive „Performance“ antrainiert; und
zweitens ein Kulturbetrieb, der „eventorientierter“ ist und sich im Positionieren von kulturellen
Ereignissen der Formen der Unterhaltungsbranche bedient. Zudem ist Perfomance auch in
diesem Feld längst zum Schlüsselbegriff der Kulturmanager avanciert.
Das Schicksal aller Produkte und Artefakte erleben auch die „postmodernen“: Entweder sie
veralten schlicht und einfach oder sie gehen als die einen Zeitabschnitt prägenden Klassiker in
die Geschichte ein.
Die Postmoderne hat auch als Katalysator für modernen Pluralismus gewirkt. Wenn Moderne
heisst, sich gegen Dogmatismen aller Art zu stellen und sich permanent selbst einer kritischen
Revision zu unterziehen, dann ist sich hier die Moderne mittels der Postmoderne einen Schritt
näher gekommen.
28
Ihab Hassan, Postmoderne heute, in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte
der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 47-56.
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Timeline
Auf der Timeline ist eine Auswahl von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen
aufgeführt, die kurz vor und während der Postmoderne stattgefunden haben.
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Timeline (nur Text)
Auf der Timeline ist eine Auswahl von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen
aufgeführt, die kurz vor und während der Postmoderne stattgefunden haben.
1968
Jugendunruhen. Die Auflehnung der Jugendlichen gegen die etablierte Gesellschaft
erreicht in den westeuropäischen Staaten und in den USA ihren Höhepunkt.
1969
Beznau I. Das erste Atomkraftwerk der Schweiz wird in Betrieb genommen.
1969
Apollo 11. Erste bemannte Mondlandung durch die US-amerikanische
Raumfahrtbehörde NASA.
1970
Ciba-Geigy. Fusion der Basler Chemiefirmen zum grössten Chemiekonzern der Schweiz.
1970
Schwarzenbach-Initiative. Das Stimmvolk lehnt die Initiative gegen eine
"Überfremdung" der Schweiz ab.
1971
Greenpeace. Gründung der internationalen Umweltorganisation.
1972
Frauenstimmrecht. Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz auf nationaler
Ebene.
1972
Grenzen des Wachstums. Der "Club of Rome" veröffentlicht seine kritische, weltweit
beachtete Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft.
1972
Geiseldrama. Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen an
den Olympischen Spielen in München.
1973
Ölkrise. Die massive Verteuerung des Erdöls hat gravierende wirtschaftliche
Auswirkungen. Die Schweiz führt autofreie Sonntage ein.
1974
Watergate-Skandal. Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon nach der
Aufdeckung von Amtsmissbräuchen.
1975
Microsoft. Gründung des Softwarekonzerns durch Bill Gates und Paul Allen.
1975
Ende des Vietnamkrieges. Einnahme von Saigon durch nordvietnamesische Truppen
und anschliessende Wiedervereinigung des Landes.
1976
Giftmüll-Skandal. Im italienischen Seveso verunreinigt giftiges Dioxin die Umwelt.
1976
Concorde. Erster kommerzieller Flug des französisch-englischen ÜberschallPassagierflugzeuges.
1976
Apple. Gründung der Computerfirma "Apple" durch Steve Jobs, Steve Wozniak und
Ronald Wayne in Kalifornien.
1977
Deutscher Herbst. Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin
Schleyer durch die Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF).
1978
Retortenbaby. Louise Brown, das erste im Reagenzglas gezeugtes Baby, kommt in
England zur Welt.
1978
Islamische Revolution. Sturz des Schahs von Persien und Beginn der islamischen
Revolution unter Ayatollah Khomeini im Iran.
1978
Friede von Camp David. Israelisch-ägyptisches Friedensabkommen, ausgehandelt vom
amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter.
1978
Brigate Rosse. Der italienische Ministerpräsident Aldo Moro wird von der
Terrororganisation Brigate Rosse entführt und ermordet.
1979
Walkman. Sony bringt das erste transportable Musikkassetten-Gerät auf den Markt.
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48
1979
Iron Lady. Margaret Thatcher wird als erste Frau Premierministerin Grossbritanniens.
Über ein Jahrzehnt prägt sie die britische Wirtschaft.
1980
Gotthard-Strassentunnel. Der mit 16.9 km drittlängste Strassentunnel der Welt wird
eröffnet.
1980
Opernhauskrawalle. Die Schweiz und vor allem die Stadt Zürich werden von
Jugendunruhen erschüttert.
1980
Ronald Reagan. Der ehemalige Schauspieler wird Präsident der USA.
1981
AIDS. Die Immunschwächekrankheit wird als Pandemie erkannt.
1981
François Mitterrand. Erster sozialistischer Staatspräsident Frankreichs.
1982
Helmut Kohl. Der CDU-Politiker wird Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.
1982
CD. Die erste Compact Disc von PolyGram/Philips kommt auf den Markt.
1983
Die Grünen. Gründung der Grünen Partei der Schweiz im Zuge der Umweltbewegung.
1984
Indira Gandhi. Ermordung der indischen Premierministerin.
1985
Ende des Kalten Krieges. Das Gipfeltreffen zwischen Michail Gorbatschow und Ronald
Reagan in Genf leitet das Ende des Kalten Krieges ein.
1985
Live Aid. Benefizkonzert zu Gunsten Afrikas aus Anlass der Hungerkatastrophe in
Äthiopien.
1985
Ozonloch. Forscher entdecken über der Antarktis ein Loch in der Ozonschicht.
1986
Nein zur UNO. Das Schweizer Stimmvolk lehnt den UNO-Beitritt ab.
1986
Katastrophe von Tschernobyl. Die Explosion im Kernkraftwerk von Tschernobyl in der
damaligen Sowjetunion zeigt die globalen Auswirkungen einer Reaktorkatastrophe.
1987
Black Monday. Der internationale Aktienmarkt bricht am 19. Oktober um 22% ein.
1989
Fall der Berliner Mauer. Die Öffnung der Mauer zwischen Ost-und Westberlin leitet die
Wiedervereinigung Deutschlands ein.
1989
Dalai Lama. Der geistige Führer der Tibeter erhält für seinen Einsatz für eine gewaltlose
Befreiung des Tibets den Friedensnobelpreis.
1989
Tian'anmen-Massaker. Gewaltsame Niederschlagung von Reformbewegungen auf dem
Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
1989
WWW. Am Forschungsinstitut CERN Genf entwickelt Tim Berners-Lee die Grundstruktur
des "World Wide Web".
1990
Antiapartheid. Die Freilassung des südafrikanischen Menschenrechtlers Nelson
Mandela leitet das Ende der Rassentrennung in Südafrika ein.
1990
Glasnost und Perestrojka. Michail Gorbatschow erhält für seine Reformen in der
Sowjetunion den Friedensnobelpreis.
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49
Glossar
Analoge Architektur, s. Postmoderne VIPs/Miroslav Sik
Architektur, Kritik an der
In den späten 1960er Jahren häuft sich die Kritik an der gebauten Umwelt. Die Sensibilisierung
für die Umweltzerstörung paart sich mit einem Unbehagen gegenüber jüngeren Werken aus dem
Hoch- und Tiefbau. Es entstehen Vorschläge für eine individualisierte und „humane“ Architektur
jenseits der als kalt und unmenschlich empfundenen Moderne. Am Beispiel von
Scheibenhochhäusern aus der frühen Nachkriegszeit in der Zürcher Agglomeration macht der
damalige Direktor der Hochschule für Gestaltung Zürich, Rudolf Schilling, Vorschläge, die
„gesichtslose“ Architektur durch Begrünung, Balkonvorbauten und der Vorblendung von
Werbetafeln wohnlicher und einladender zu gestalten.
Bricolage
Postmoderne Keramik – handgemacht und „readymade“. Es liegt in der Natur der Sache, dass
beim Ausschneiden und Zusammenführen von Versatzstücken bestehende Elemente von Hand
zusammengesetzt werden müssen. So erwies sich die Bricolage-Technik als ideales Verfahren
für handwerklich arbeitende Künstler, insbesondere jene, die den traditionell mit Ton, Metall
oder Holz verbundenen Werten ablehnend gegenüberstanden. Kalifornien bot ihnen den idealen
Nährboden für ihre Experimente.
Gute Form29, die
Funktionalität, einfache Form, hoher Gebrauchswert, lange Lebensdauer, ‚zeitlose‘ Gültigkeit
Ordnung, Verständlichkeit, gute Verarbeitung, Materialgerechtheit, perfekte Details,
Technologie, ergonomische Anpassung, Umweltverträglichkeit.
Gute Form, das Ende der
Der 1913 gegründete Schweizerische Werkbund SWB war bis in die 1960er-Jahre Hüter über die
gute und richtige Gestaltung in der Schweiz. Mit dem Label die gute Form zeichnete er von 19521968 alljährlich Gebrauchsgüter von vorbildlicher Gestaltung aus. 1967, ein Jahr vor dem Ende
der guten Form lud die SWB Ortsgruppe Bern Gestalter und Künstler ein, Stühle jenseits
konformer Gestaltungsnormen zu entwerfen. Unter ihnen waren bekannte Namen wie Meret
Oppenheim oder Daniel Spoerri. Die „Sitzmöglichkeiten“ wurden am 11.11.1967 an der Chair fun
im Rahmen der Jahresversammlung des SWB versteigert.
Hip Hop
Der von Jugendlichen aus Queens und der Bronx erfundene Hip-Hop war die einflussreichste
Musikrichtung der 1970er- und 1980er-Jahre. Seine zentrale Technik war das Sampling, das
dem postmodernen Architekturzitat und der „Appropriation Art“ (Aneignungskunst) nahekam.
Die beste Beschreibung des Hip-Hop lieferte Grandmaster Flash, der seine ausgedehnten
Kompositionen spontan aus bestehendem Soundmaterial an diesen Turntables
zusammenmixte: „Anders als alle anderen Musikgenres kennt der Hip-Hop keine Grenzen.“
Manierismo Critico, s. Postmoderne VIPs/Trix und Robert Haussmann
Mode, postmoderne
In einer Zeit selbstreferenzieller Bilder stammten die vielleicht manieriertesten Fotografien aus
der Modeindustrie. Fotografen versuchten, die glänzenden Oberflächen von Magazinen zu
unterlaufen, während sie dem traditionellen Modemix aus Sex, Stil und Fiktion ein neues
Gesicht gaben. Wie fliessend die Übergänge zwischen dieser Sprache des Kommerzes und der
bildenden Kunst der Zeit waren, zeigt ein Vergleich zwischen dem Modefotografen Helmut
Newton und dem Konzeptkünstler Duane Michals.
29
Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design, Köln 1995b. S. 131.
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50
Der postmoderne Look. Die in den 1970er Jahren gegründeten Schweizer Labels wie Thema
Selection, Jet Set, Christa de Carouge, Pink Flamingo und A propos liefen in den 1980er-Jahren
zu ihrer Höchstform auf. Die hedonistischen Tendenzen leisteten der Mode Vorschub, und das
„think big“ wurde in jeglicher Beziehung gelebt. Die SAFT (Swiss Alternative Fashion Team,
später Syndicate for Avantgarde Fashion Trends) prägte von 1977-1988 die Schweizer Mode und
hatte Ausstrahlung ins Ausland.
Moderne, Tod der
1974 nahm Alessandro Mendini einen von ihm entworfenen, auf Stufen montierten Stuhl,
brachte ihn zu einem verlassenen Steinbruch bei Genua, übergoss ihn mit Benzin und zündete
ihn an. In diesem Akt, so behauptete er, zeige sich der Übergang vom „Objekt zum Relikt, von
Materie zu Erinnerung“. Als Chefredaktor der italienischen Architekturzeitschrift Casabella
platzierte Mendini die „Beisetzung“ später auf dem Cover seines Magazins. Mendinis
nihilistische Geste warf implizit folgende Frage auf: Wenn der Idealismus der Moderne tot war,
welcher Phönix würde dann aus der Asche wiedererstehen? Tod der Moderne!
MTV
1981 startete MTV (Music Television). Musikvideos waren ein wichtiges Medium, über das
postmoderne Ideen in den Mainstream Eingang fanden. Prominente inszenierten sich vor
laufender Kamera für ihr Publikum. Die in der Ausstellung gezeigten Clips dokumentieren das
breite Spektrum an Musikstilen, die mit postmodernen Techniken experimentierten - vom HipHop über New Romantic bis zu Techno.
Redesign/ Alessandro Mendini (1931)
In den späten 1970er Jahren kreierte Mendini zahlreiche „Redesigns“, bestehender Objekte,
indem er Alltagsgegenstände mit neuem Dekor überzog. Die Strategie des Redesigns diente
dazu, den kommerziellen Zwang zum immer Neuen auszuhebeln. Ganz gleich, welcher
Stilrichtung ein Objekt angehörte – Mendini machte es postmodern und hatte keine
Hemmungen, sich dabei wahllos in der Kunst- und Designgeschichte zu bedienen.
Tessiner Schule, s. Postmoderne VIPs/Mario Botta
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51
Postmoderne VIPs
Ai Weiwei (1957)
Die postmoderne Auseinandersetzung mit Markennamen erfährt in dieser frühen Arbeit von Ai
Weiwei eine schockierende Wendung. Der Künstler bemalte eine 2000 Jahre alte Urne mit dem
Schriftzug von Coca-Cola (eine westliche Marke, die in China fast omnipräsent ist) und deutete
so das unbehagliche Aufeinanderprallen von alter Kultur und globalem Kapital an. Die Urne war
bereits vor der Aktion sehr kostbar und wurde paradoxerweise noch wertvoller, nachdem Ai
Weiwei sie verunstaltet und in zeitgenössische Kunst verwandelt hatte.
Mario Botta (1943) / Tessiner Schule
Mario Botta gilt als einer der wichtigsten Vertreter der in den 1970er-Jahren bekannt
gewordenen Tendenza (Tessiner Schule). Charakteristisch sind seine stereometrischen
Baukörper und die Übertragung historischer Baustile in eine zeitgenössische Formensprache.
Die kleine über ein Glasdach belichtete Bergkirche verweist mit ihrer gestreiften Fassade und
der stereometrischen Kubatur auf die Romanik und Renaissance Italiens. Die Neuinterpretation
historischer Formen gehört zu den herausragenden Leistungen der Postmoderne.
Michele De Lucchi (1951)
Für die Firma Girmi entwickelte Michele De Lucchi verschiedene spielzeugähnliche Prototypen.
Sie nehmen die heiteren, lebhaften Produktedesigns vorweg, die allgemeine Verbreitung fanden,
als sich die Postmoderne in den 1980er-Jahren auf breiter Front durchsetzte. In Produktion
gingen sie dennoch nie. „Alle mochten sie, nur die Ingenieure nicht“, bemerkte De Lucchi später
trocken.
Fischli/Weiss
Peter Fischli (geb. 1952) und David Weiss (1946-2012) beginnen ihre künstlerische
Zusammenarbeit Ende der 1970er-Jahre. Triviale Alltagsgegenstände und Abfallprodukte
spielen von Anfang an eine zentrale Rolle in ihrer Kunst. Mit vergänglichen, aus einfachsten
Mitteln gebauten Installationen (für ‚Der Lauf der Dinge‘) fangen sie die Magie des Augenblicks
ein und erzielen mit simplen mechanisch-physikalischen Vorgängen effektvolle
Überraschungen.
Michael Graves
Das Portland Building, das aussah, als seien vier Reklametafeln an den Ecken zusammen
geklebt worden, ist ein wichtiges Frühwerk von Michael Graves, dem prominentesten
Architekten der Postmoderne in Amerika. Obwohl der Bauherr eine Privatperson und kein
Unternehmen war, markiert das Gebäude einen Wendepunkt in Michael Graves’ Karriere.
Nachdem er in den 1970er-Jahren die meiste Zeit mit ungebauter „Papierarchitektur“ und
Aufträgen für Wohnbauten zugebracht hatte, schenkte ihm nun eine Klasse von Firmenkunden
Beachtung, die mit neuem Selbstbewusstsein auftrat.
Trix Haussmann (1933) und Robert Haussmann (1931) / Manierismo Critico
Der Innenarchitekt Robert Haussmann und seine Frau, die Architektin Trix Haussmann bilden
eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Postmoderne in der Schweiz. In den 1970er-Jahren
begannen sie, die reiche Formensprache des Manierismus zu untersuchen, um mit neuen,
sinnlichen Ausdrucksformen die leer gewordenen und stereotypen Formen der Spätmoderne zu
überwinden. Architektonische Zitate und Anspielungen sowie eine wiederentdeckte Ornamentik
zeichnen ihre Architektur und Möbel aus.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
52
Grace Jones
Grace Jones, die Verkörperung der New Yorker Underground-Szene, präsentierte sich
zusammen mit ihrem Partner, dem französischen Designer Jean-Paul Goude, als subversive
Berühmtheit. In einem Aufzug, der sie wie die Hohepriesterin der Postmoderne aussehen liess –
die kantige Taille diente dazu, ihre Schwangerschaft zu verbergen – machte sie sich das
farbenfrohe Vokabular des postmodernen Stils zu eigen – mit verheerenden Auswirkungen.
Karl Lagerfeld (1933)
Als Karl Lagerfeld 1982 Chanel, das berühmteste Pariser Modelabel, übernahm, entstaubte er
das Unternehmen von Grund auf. War es zuvor für seinen zurückhaltenden modernen Look
bekannt, so wurde das kleine Schwarze nun zum Auslaufmodell. Lagerfeld liess stattdessen das
goldene CC-Logo auf Taschen und Schnallen aufblitzen und führte enge Röcke, grelle Farben
und glänzende Oberflächen ein. Unter seiner Regie erhielt das Label ein durch und durch
postmodernes Gesicht.
Alessandro Mendini (1931), s. Glossar/Moderne, Redesign
Nathalie du Pasquier (1957)
Du Pasquier verkörperte die jugendliche Energie, die Memphis antrieb. Inspiration für ihre
Arbeiten bezog sie aus Reisen nach Afrika. Zusammen mit ihrem Mann George Sowden druckte
sie Muster von Hand, liess sie dann maschinell in einer Mailänder Fabrik laminieren und
produzierte so „einzigartige Objekte auf Grundlage eines industriellen Verfahrens.“ Ihr Projekt
Objects for the Electronic Age entwickelte sich aus der Überlegung, die Arbeitsteile von
elektronischen Geräten seien so klein, dass sie keinerlei Form diktierten. „Wenn es bei
mechanischen Konstruktionen um reine Funktionalität geht“, so Sowden, „dann wird es bei
elektronischen Konstruktionen um das Dekor gehen.“
Aldo Rossi (1931-1997)
Der Italiener Aldo Rossi gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Postmoderne und gehört zu
den richtungweisenden Architekten und Theoretikern des 20. Jahrhunderts. Bereits Ende der
1950er-Jahre fordert er eine kritische Revision der dogmatischen Prinzipien der Moderne. Als
Gastprofessor an der ETH Zürich führt er in den 1970er-Jahren ein einer strengen, rationalwissenschaftlichen Methode verpflichtetes Entwurfsstudium ein. Sein Postulat für die
Autonomie der Architektur, seine analytische Auseinandersetzung mit der historischen Stadt
sowie seine Hinwendung zur Typologie prägen eine ganze Architektengeneration.
Bernhard Schobinger (1946)
Der vom Punk beeinflusste Schweizer Schmuckkünstler Bernhard Schobinger begann seine
Karriere in den späten 1970er-Jahren mit brachial anmutenden Abfallprodukten. Doch wenn
auch seine Arbeiten aus dem urbanen Müll der damaligen Zeit stammen, so verweisen ihre
Namen auf traumatische Momente der Geschichte und stellen Bezüge etwa zwischen
Glasscherben und dem kriegszerstörten Berlin oder zwischen zertrümmerten Dachziegeln und
Hiroshima her.
Lady Shiva
Die Ostschweizerin Irene Staub alias Lady Shiva war Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva des
Milieus. Sie pflegte Freundschaften zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano
Castelli oder Franz Gertsch. Ihr Lebenswandel und ihr Stilbewusstsein machten sie zur Femme
fatale der Partyszene.
Schweizerisches Nationalmuseum. | Landesmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung
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Miroslav Sik (1953)
In Anlehnung an den Architekten Aldo Rossi entwickelte Mirsolav Sik an der ETH Zürich die
Theorie der Analogen Architektur. Ziel war es, die Wirklichkeit mittels einer neuen Poetik
darzustellen, indem das Vorgefundene nicht kopiert, sondern mit etwas Fremdem konfrontiert
und transformiert wurde. Dabei griff er vorwiegend auf anonyme Bauten vom Lande und aus der
Vorstadt zurück. Die sogenannten Analogen haben den Architekturdiskurs der damaligen Zeit
wesentlich beeinflusst.
Ettore Sottsass (1917–2007)
Der in den späten 1960er-Jahren einflussreichste Designer Italiens verbrachte einen Grossteil
seines Lebens auf Reisen. In den USA begeisterte er sich für die amerikanische Popkultur, in
Indien war er von religiösen Monumenten fasziniert. Diese Eindrücke verarbeitete Sottsass in
einer Reihe von Totems namens Menhir, Zikkurat, Stupas, Hydranten und Zapfsäulen. „Ich
möchte mir eine Zapfsäule machen, an der ich ein Leben lang Super in meine Adern pumpen und
sie dann anzünden kann“, erklärte er später.
Raumbehälter für Vergnügen. Mit seiner Begeisterung für Rituale und Popkultur entfernte sich
Ettore Sottsass zusehends von einer aussichtsreichen Karriere im kommerziellen Design. Ihm
schwebten Gebäude vor, die als „Super-Instrumente“ für Unterhaltungszwecke fungierten und
in denen man sich mit Drogen, Sex, Musik und Stars vergnügen konnte. Sottsass entwarf die
Requisiten eines unkonventionellen hedonistischen Lebensstils. Der italienische Designer liess
es sich nicht nehmen, mit diesen Ideen in den unterschiedlichsten Grössenordnungen zu
experimentieren. Seine Gebäude ähnelten Teekannen, seine Teekannen ähnelten antiken
Tempeln.
Swatch
Die Einführung der Swatch 1982/1983, mitten in der Krise der Uhrenindustrie, ist nicht das
Ergebnis einer grandiosen Marketing-Strategie. Vielmehr geht ihre Entwicklung auf
betriebswirtschaftliche Überlegungen zurück, die Herstellungskosten durch Reduktion der
Bestandteile zu senken. Im Laufe der Entwicklungsarbeit kristallisierte sich die Plastikuhr als
einzig gangbare Lösung heraus. Der vielfältige und schnell wechselnde Look, die Bezüge zu
Mode und Grafik sowie die auf ein junges Publikum ausgerichtete Werbung machten die Swatch
zu einem typischen Produkt der gestylten Achtzigerjahre.
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54
Medienverzeichnis | Literatur und Links
Ausstellungskataloge
Adamson, Glenn, Pavitt, Jane (Hg.). Postmodernism. Style and Subversion, 1970-1990. London
2011.
Katalog zur Ausstellung im Victoria & Albert Museum London.
Schweizerisches Nationalmuseum (Hg.). Postmodernism. Aus Schweizer Sicht. Zürich 2012.
Katalog zur Ausstellung im Landesmuseum Zürich.
Literatur
Berents, Catharina. Kleine Geschichte des Design((s?)). Von Gottfried Semper bis Philippe
Starck. München 2011.
exemplarisch aufgebaute Designgeschichte, versucht auch den theoretischen
Hintergrund mit einzubeziehen, ab S. 161ff.
Collins, Michael, Papadakis, Andreas. Post-Modern-Design. New York 1989.
Fayet, Roger (Hg.). 70s versus 80s. Stuttgart 2001.
Ausstellungskatalog Museum Bellerive Zürich.
Fischer, Volker. Ornamente & Versprechen. Postmoderne und Memphis im Rückblick.
Stuttgart/London 2005.
Ausstellungskatalog Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main.
Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design. Köln 1995.
Gute Übersicht und gute Zusammenfassung der Eigenschaften der verschiedenen Stile,
sodass sie unter einander vergleichbar werden.
Welsch, Wolfgang (Hg.). Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion.
Weinheim 1988.
Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion versammelt.
Welsch, Wolfgang. Ästhetisches Denken (Perspektiven für das Design der Zukunft), Stuttgart
1995.
Welsch war ein wichtiger philosophischer Begleiter der Postmoderne. Seine damaligen
„Perspektiven für das Design der Zukunft“ fassen die theoretischen Ansätze zusammen
und formulieren interessante Gedanken zum Thema, S. 201ff.
Link
http://www.vam.ac.uk/content/videos/p/postmodernism-at-the-v-and-a/
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55
Modern!
KM 1
Beschreibe, was für dich das Wort ‚modern‘ bedeutet.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Was gilt für dich als ‚modern’? Nenne Beispiele und begründe sie.
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___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nimm einen Gegenstand in die Klasse mit, der für dich modern ist, und einen Gegenstand, der
für dich nicht modern ist. Begründe deine Auswahl.
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56
Die 70er- und 80er-Jahre
KM 2
Die Ausstellung «Postmodernism» zeigt die Stilrichtung der 1970er- und1980er-Jahre in den
Bereichen Architektur, Mode, Design, Kunst und Musik. Welche bedeutenden politischen
Ereignisse haben zu der Zeit in der Schweiz und weltweit stattgefunden? Recherchiere in
Geschichtsbüchern und im Internet.
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Befrage eine Person in deinem persönlichen Umfeld, die diese Zeit erlebt hat. An welche
Ereignisse erinnert sie sich?
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In der Ausstellung zeigt ein Zeitstrahl (Timeline) politische, wirtschaftliche und soziale
Ereignisse aus der Schweiz und dem Ausland. Vergleiche die Timeline mit deinen Recherchen.
Was unterscheidet sich? Welche Ereignisse müssten bei der Timeline deiner Meinung nach
ergänzt werden?
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___________________________________________________________________________
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57
Die Postmoderne. Eine Checkliste
KM 3
Wann ist ein Objekt postmodern?
Die Gestaltungselemente der Postmoderne
__
frech, ironisch, witzig
__
provokativ
__
nostalgisch, verwendet Elemente aus früheren Stilrichtungen
__
Crossover der Stile: verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode
wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__
ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__
kitschig
__
Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche
sind voneinander unabhängig
__
neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High TechKeramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__
verfremdet (etwas wird in ungewohntem Zusammenhang verwendet)
Wähle in der Ausstellung ein Objekt aus. Welche Gestaltungselemente/Kriterien treffen auf dein
Objekt zu? Stelle das Objekt deiner Klasse vor und begründe, warum es postmodern ist.
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___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Beispiel
_x_
verfremdet: Regal ‚Kung-Fu‘ in Form eines chinesischen Schriftzeichens.
Die chinesische Schrift diente den Designern Ueli und Susi Berger als Inspiration, aber sie
verwendeten die Schriftzeichen in einem ganz anderen, neuen Zusammenhang.
Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum
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58
Architektur
KM 4
Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Architektur.
Wähle drei Objekte aus dem Bereich Architektur.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Prüfe mit der Checkliste (siehe unten), warum sie zur Postmoderne passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nenne wichtige Architektinnen und Architekten der Postmoderne.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Finde heraus, welche Ideen diese Architektinnen und Architekten beeinflusst und zu ihren
Werken inspiriert haben.
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___________________________________________________________________________
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Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente
__frech, ironisch, witzig
__provokativ
__nostalgisch, verwendet Elemente aus anderen/früheren Stilrichtungen
__Crossover der Stile. verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__kitschig
__Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind voneinander unabhängig
__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__verfremdet (etwas wird in ungewohntem Zusammenhang verwendet)
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Design
KM 5
Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch das Design.
Wähle drei Objekte aus dem Bereich Design.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nenne wichtige Designerinnen und Designer der Postmoderne.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Finde heraus, welche Ideen diese Designerinnen und Designer beeinflusst und zu ihren Werken
inspiriert haben.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________
Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente
__frech, ironisch, witzig
__provokativ
__nostalgisch, verwendet Elemente aus anderen/früheren Stilrichtungen
__Crossover der Stile. verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__kitschig
__Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind voneinander unabhängig
__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__verfremdet (etwas
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60
Mode
KM 6
Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Mode.
Wähle drei Objekte aus dem Bereich Mode.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nenne wichtige Modedesignerinnen und Modedesigner der Postmoderne.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Finde heraus, welche Ideen diese Modedesignerinnen und Modedesigner beeinflusst und zu
ihren Werken inspiriert haben.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente
__frech, ironisch, witzig
__provokativ
__nostalgisch, verwendet Elemente aus anderen/früheren Stilrichtungen
__Crossover der Stile. verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__kitschig
__Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind voneinander unabhängig
__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__verfremdet (etwas
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61
Grafik
KM 7
Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Grafik.
Wähle drei Objekte aus dem Bereich Grafik.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nenne wichtige Grafikerinnen und Grafiker der Postmoderne.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Finde heraus, welche Ideen diese Grafikerinnen und Grafiker beeinflusst und zu ihren Werken
inspiriert haben.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente
__frech, ironisch, witzig
__provokativ
__nostalgisch, verwendet Elemente aus anderen/früheren Stilrichtungen
__Crossover der Stile. verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__kitschig
__Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind voneinander unabhängig
__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__verfremdet (etwas
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62
Musik
KM 8
Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Musik.
Wähle drei Objekte aus dem Bereich Musik.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Nenne wichtige Musikerinnen und Musiker der Postmoderne.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Finde heraus, welche Ideen diese Musikerinnen und Musiker beeinflusst und zu ihren Werken
inspiriert haben.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente
__frech, ironisch, witzig
__provokativ
__nostalgisch, verwendet Elemente aus anderen/früheren Stilrichtungen
__Crossover der Stile. verwendet/zitiert andere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)
__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig
__kitschig
__Form und Funktion sind einander fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind voneinander unabhängig
__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen
__verfremdet (etwas
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63
Anything goes
KM 9
In der Moderne und in der Postmoderne haben sich Künstler und Künstlerinnen oft an Leitsätzen
oder Mottos orientiert. Was bedeuten die folgenden Zitate? Diskutiere mit einem Partner, einer
Partnerin ihre Bedeutung.
01 «Zurück zur Fassade.» (Robert Venturi)
02 «Ornament ist kein Verbrechen.» (Ettore Sottsass)
03 «Der Kitsch ist das trojanische Pferd der Volksmassen.» (Alessandro Mendini)
04 «Less is more.» (Mies van der Rohe)
05 «Mainstreet is almost all right.» (Robert Venturi)
06 «Not ‚less is more’ (Mies van der Rohe), but ‘less is a bore’.» (Robert Venturi)
07 «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion.» (Heinricht Klotz)
08 «Form, Funktion, Material und Oberflächen sind voneinander unabhängige Kategorien.»
(Barbara Radice)
09 «Geschichte ist keine Sünde, sondern Voraussetzung allen gestalterischen Handelns.» (Paolo
Portoghesi)
10 «Form follows function.» (Louis Sullivan)
11 «Ornament ist vergeudete Arbeitskraft.» (Adolf Loos)
1) Unter den Zitaten sind zwei, die nicht auf die Postmoderne zutreffen, sondern während der
Moderne als Leitsätze dienten. Finde sie und begründe, warum sie nicht zur Postmoderne
passen.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
2) Robert Venturi, Ettore Sottsass und Alessandro Mendini sind bedeutende postmoderne
Gestalter. Suche ihre Werke in der Ausstellung.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
3) Suche und benenne in der Ausstellung weitere Objekte, auf welche die obigen Zitate
zutreffen, und begründe deine Auswahl.
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Zitate aus: Fischer, Volker. Ornament & Versprechen. Postmoderne und Memphis im Rückblick. Stuttgart 2005.
Adolf Loos ist zitiert in: Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design, Köln 1995b, S. 56.
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64
Filme & Videoclips
KM 10
Betrachte die Videoclips und Filme in der Ausstellung. Was macht sie postmodern, die
Geschichte, die Filmtechnik, die Requisiten? Hast du die Filme oder Videoclips vorher schon
gekannt? Könnte man sie heute noch senden?
Wähle zwei Beispiele aus und notiere die postmodernen Kriterien dafür.
Postmoderne Kriterien für Film/Videoclip 1:
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Postmoderne Kriterien für Film /Videoclip 2:
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Diskutiere deine Filmauswahl und die postmodernen Kriterien mit deinen Kolleginnen und
Kollegen.
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Suche weitere postmoderne Videoclips im Internet. Wie findest du sie, auf welchen Seiten
suchst du und welche Suchbegriffe verwendest du?
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Postmodernes Gestaltungselement 1 | Ironie & Witz
KM 11
Choco-Chair, 1967, Robert Haussmann. © Schweizerisches Nationalmuseum
1) Lies den Text zu Ironie, Witz und Provokation als Gestaltungselemente der Postmoderne.
«Vielen Objekten der Postmoderne ist ein gewisser Humor eigen. Designer/Architekten wehrten
sich gegen den Leitsatz der Moderne «Form Follows Function». So wurde oftmals die Funktion
oder die Form eines Objektes in Frage gestellt. Sie arbeiteten mit untypischen Materialien oder
entwarfen funktionsfremde Formen. Das führte zu ironischen und witzigen Ergebnissen, wie
zum Beispiel zum Choco-Chair von Robert Haussmann. Der Stuhl sieht aus, als ob er
dahinschmelzen würde und deshalb in Schieflage geraten wäre. Als Sitzgelegenheit eignet er
sich kaum.»
2) Suche weitere Objekte, die auf dich ironisch, witzig und provokativ wirken. Begründe deine
Auswahl.
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Postmodernes Gestaltungselement 2 | Zitieren
KM 12
Sessel Proust, 1978, Alessandro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum
1) Lies den Text zum Zitieren als Gestaltungselement der Postmoderne.
«Eine Strategie der Gestalter der Postmoderne, vor allem der Architekten, war das Aufgreifen
von Stilelementen aus vergangenen Epochen der Kulturgeschichte. Sie sahen Geschichte als
Voraussetzung allen gestalterischen Handelns. Sie zitierten Säulen von antik-griechischen
Tempeln, mesopotamische Grabhügel und Möbel der Moderne und schufen daraus neue, eigene
Werke. Dabei ging es ihnen nicht darum, nur die alten Stile nachzuahmen, sondern sie in die
Gegenwart hereinzuholen. »
Der Proust-Sessel von 1978 ist ein gutes Beispiel dafür. Sein Name stammt aus der Literatur
(der moderne Autor Marcel Proust), die Form ist einem barocken Sessel aus dem
18. Jahrhundert nachempfunden (aufgeblasen auf unwahrscheinliche Proportionen) und die
Dekoration ist einem pointillistischen Gemälde von Paul Signac entnommen. Die Oberfläche
wurde erreicht, indem ein Dia mit dem Gemälde auf den Stuhl projiziiert und die Farbtupfer
nachgemalt wurden
2) Suche weitere Objekte, die Zitate verwenden, und begründe deine Auswahl (Tipp: Begib dich
in den Raum, der ein Kunstwerk des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zeigt).
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Postmodernes Gestaltungselement 3 | Ornament & Farbe
KM 13
Sessel Bel Air, 1981-82, Peter Shire. © Schweizerisches Nationalmuseum
1) Lies den Text zu Ornament und Farbe in der Gestaltung der Postmoderne.
«Die postmodernen Gestalter experimentierten absichtlich übertrieben mit Ornamenten und
Dekorationen, grell bunten Farben und funktionsfremden Formen. Dies ist als Reaktion auf die
Moderne zu sehen, in der einfache, schmucklose geometrische Formen vorgezogen wurden,
welche die industrielle Produktion vereinfachten und somit vergünstigten. Dekoration wurde als
störend und verschwenderisch empfunden. Die Designer und Architekten der Postmoderne
empfanden den Stil der Moderne als kalt und unmenschlich und arbeiteten stark mit Farben und
Dekoration.»
Peter Shires Bel Air-Stühle erinnern an das kalifornische Strandleben mit seiner knalligen
Farbpalette, der Haifischflossen-Rückenlehne und dem Wasserball-Fuss.
2) Suche weitere Objekte, die farbig oder dekoriert sind, und begründe deine Auswahl.
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Postmodernes Gestaltungselement 4 | Kitsch, High & Low
KM 14
Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum
1) Lies den Text zu den Gestaltungselementen Kitsch, High & Low und Mainstream in der
Postmoderne.
«In der Postmoderne wurde das Alltägliche und Banale aufgegriffen und wurde Kunst. Kunst
wiederum wurde verwendet im Design von Alltagsgegenständen. Comics, Werbung, Labels und
Konsumgüter wurden in der Pop-Art von Künstlern wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol
thematisiert, während das Design wiederum Elemente aus der Hohen Kunst verwendete. Die
postmodernen Gestalter wollten die hohe, elitäre Kunst nicht mehr trennen von der populären
Kunst der breiten Volksmasse.»
Der chinesische Bildhauer Ai Weiwei ist wie viele heutige Künstler ein Kind der Postmoderne. In
einer frühen Serie seiner Arbeit versieht er 2000 Jahre alte chinesische Urnen mit einem
dreisten Coca-Cola-Logo und vereint so antike Geschichte mit einem alltäglichen
Konsumschriftzug.
2) Suche weitere Objekte, die Alltägliches mit hoher Kunst verbinden, die Kunstgegenstände
zum Main Stream machen oder die Kitsch gebrauchen, und begründe deine Auswahl.
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Postmodernes Gestaltungselement 5 | Form & Funktion
KM 15
Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum
1) Lies den Text zu Form und Funktion in der Gestaltung der Postmoderne.
«Die Gestalter der Postmoderne wendeten sich ab vom modernen Leitsatz der «Guten Form»
und wehrten sich gegen das Motto «Form Follows Function». Stattdessen kreierten sie
Kunstwerke, deren Form und Funktion nicht zusammen passen, wie beispielsweise das Regal
Kung-Fu von Susi + Ueli Berger in Form eines chinesischen Schriftzeichens.»
2) Suche weitere Objekte, deren Form und Funktion nicht zusammenpassen, und begründe
deine Auswahl.
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Kunst und Kommerz
KM 16
In der Postmoderne ging es bald auch darum, die eigenen Produkte zu verkaufen und damit Geld
zu verdienen. Man spricht von einer Kommerzialisierung der Kunst. Einige Produkte sind bis
heute erfolgreiche Konsumprodukte geblieben, andere haben den Durchbruch nicht geschafft.
Unten findest du einen Text zu einer Produktelinie, die nicht erfolgreich war.
1) Lies den Text und betrachte anschliessend die Objekte in der Ausstellung.
«Für die Firma Girmi entwickelte Michele De Lucchi verschiedene spielzeugähnliche Prototypen.
Sie nehmen die heiteren, lebhaften Produktedesigns vorweg, die allgemeine Verbreitung fanden,
als sich die Postmoderne in den 1980er-Jahren auf breiter Front durchsetzte. In Produktion
gingen sie dennoch nie. „Alle mochten sie, nur die Ingenieure nicht“, bemerkte De Lucchi später
trocken.»
Prototypen für einen Toaster, 1979-80, Michele De Lucchi für Girmi. © Schweizerisches Nationalmuseum
2) Wähle Objekte in der Ausstellung, die als Produkte den kommerziellen Durchbruch geschafft
haben.
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Choco-Chair & Co.
KM 17
Stühle haben schon immer zur Gestaltung angeregt. Sie haben auch für die postmodernen
Designer eine besondere Rolle gespielt. In der Ausstellung sind verschiedene Sitzgelegenheiten
zu sehen.
1) In der Ausstellung findest du alle abgebildeten Stühle. Notiere die Jahreszahl der Stühle.
Ordne die Stühle nach Alter (zuerst das älteste Modell) und du erhältst das Lösungswort.
H
E
M
P
I
M
S
Lösung: Die Mailänder Designgruppe auf dem Bild mit der Boxring-Sitzgruppe heisst
☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐.
2) Welcher Stuhl der Ausstellung gefällt dir am besten? Begründe deine Wahl.
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3) Kreiere deinen eigenen, postmodernen Stuhl. Zeichne einen Entwurf dieses Stuhls.
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Quiz zur Postmoderne
1.
☐☐☐☐☐
KM 18
ist die berühmteste Schweizer Band der 80er-Jahre.
2. Wie heisst der chinesische Künstler, dessen Jahrtausende alte Urne mit
Coca Cola-Schriftzug in der Ausstellung zu sehen ist?
☐☐
☐☐☐☐☐☐
3. Das Design eines Films (mit Harrison Ford, Regie Ridley Scott), der von Robotern
handelt, orientiert sich zugleich an den 1940er-Jahren und der Zukunft. Wie heisst
der Film?
☐☐☐☐☐
RUNNER.
4. Das deutsche Designkollektiv
Consumer’s Rest-Stuhl.
☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ schuf den
5. Die Designergruppe, die sich in der Boxring-Sitzgruppe fotografieren liess, heisst
☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐.
☐☐☐☐☐☐☐☐
6. Die Designergruppe
(gegründet von Alessandro
Mendini) hat ihren Namen von einer mittelalterlichen Praktik, anhand derer versucht
wurde Gold herzustellen.
7. Das Architektenpaar Venturi und Denise Scott Brown liess sich von dieser
amerikanischen Stadt inspirieren:
☐☐☐
☐☐☐☐☐
8. Wie heisst die Uhrenmarke, die viele Uhren im Popdesign herausgebracht hat?
☐☐☐☐☐☐
Lösungswort
☐☐ ☐
Y
☐☐☐☐ ☐
Die Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva der Postmoderne auf dem Bild pflegte Freundschaften
zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano Castelli oder Franz Gertsch. Ihr
Lebenswandel und ihr Stilbewusstsein machten sie zur Femme fatale der Partyszene.
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73
Quiz-Lösungen
KM 18
1. YELLO ist die berühmteste Schweizer Band der 80er-Jahre.
2. Wie heisst der chinesische Künstler, dessen Jahrtausende alte Urne mit Coca
Cola-Schriftzug in der Ausstellung zu sehen ist?
AI WEIWEI.
3. Das Design eines Films (mit Harrison Ford, Regie Ridley Scott), der von Robotern
handelt, orientiert sich zugleich an den 1940er-Jahren und der Zukunft. Wie heisst
der Film? BLADE RUNNER.
4. Das deutsche Designkollektiv STILETTO schuf den Consumer’s Rest-Stuhl.
5. Die Designergruppe, die sich in der Boxring-Sitzgruppe fotografieren liess, heisst
MEMPHIS.
6. Die Designergruppe ALCHIMIA (gegründet von Alessandro Mendini) hat ihren Namen von
einer mittelalterlichen Praktik, anhand derer versucht wurde Gold herzustellen.
7. Das Architektenpaar Venturi und Denise Scott Brown liess sich von dieser
amerikanischen Stadt inspirieren: LAS VEGAS.
8. Wie heisst die Uhrenmarke, die viele Uhren im Popdesign herausgebracht hat?
SWATCH
Lösungswort: LADY SHIVA
Bild:Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto). © Schweizerisches Nationalmuseum
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Post-Postmoderne?
KM 19
Die Postmoderne gilt heute als abgeschlossene Epoche, die in den 1980er-Jahren zu Ende ging.
Wir befinden uns heute also in der ‚Post-Postmoderne‘, in der Zeit nach der Postmoderne (lat.
post: nach).
Beschreibe die Stilrichtung, in der wir uns heute befinden. Wie würdest du sie bezeichnen?
Stelle dir vor, du erzählst später deinen Kindern oder Enkelkindern aus der Zeit zwischen 19902012. Was bewegte die Menschen damals?
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Welche Gebäude (Architektur), Musik, Grafik, Mode und welches Design der heutigen Zeit haben
für dich eine Bedeutung? Welche Begriffe und Konzepte sind heute in Architektur, Design, Mode,
Musik, Grafik etc. wichtig?
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Befinden wir uns heute in der Post-Postmoderne oder kann man eher sogar von einer Rückkehr
zur Moderne sprechen? Führe ein Streitgespräch mit einem Partner, einer Partnerin. Notiere
deine Argumente vor der Diskussion in Stichworten.
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Wie bezeichnen Lexika und Nachschlagewerke die Zeit nach der Postmoderne und wie
beurteilen sie sie?
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Moderne – Postmoderne – und jetzt?
KM 20
Führe ein Streitgespräch mit einem Partner, einer Partnerin. Wählt aus den drei Positionen je
eine aus. Bevor ihr mit der Diskussion beginnt, überleg dir einige Argumente und schreibe sie in
Stichworten auf.
1 Moderne
«Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit, es bedeutet auch
vergeudetes Material, und beides bedeutet vergeudetes Kapital. Der moderne Mensch, der
Mensch mit den modernen Nerven, braucht das Ornament nicht, er verabscheut es.» (Adolf
Loos, Architekt).
2 Postmoderne
«Heute wird alles, was man produziert, verbraucht. Es wird dem Leben gewidmet, nicht der
Ewigkeit.» (Ettore Sottsass, Architekt und Designer)
3 und jetzt?
«Das karge Leben ist freudvoll.» (Herr aus Basel, der sich nur 1600 Watt pro Tag erlaubt und
deshalb auf Tram fahren, Fernsehen, Kühlschrank, Heizung und die tägliche Dusche verzichtet.)
«Simplicity is a virtue.» (‚Schlichtheit ist eine Tugend‘) (Steve Jobs, Gründer von Apple)
Notiere deine Argumente in Stichworten.
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Interview mit Zeitzeugen
KM 21
Menschen erzählen von früher. Führe ein Interview mit Zeitzeugen der Postmoderne. Wie haben
deine Eltern oder Grosseltern die Zeit der 1970er und 1980er erlebt? Woran erinnern sie sich
noch besonders? Was hat sie besonders bewegt? Haben sie damals Kleider getragen, die sie
heute nicht mehr tragen würden und warum? Welche Musik haben sie gehört, welche
Fernsehsendungen gesehen? Überlege dir weitere Fragen und notiere sie. Halte die Antworten
des Zeitzeugen, der Zeitzeugin stichwortartig fest.
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Frage deine Interviewpartner auch nach Bildern von damals. Vielleicht findest du in
Familienalben Fotos, die aus den 70er- und 80er-Jahren stammen. Betrachte die Bilder genau.
Beschreibe Design, Architektur, Mode und Frisuren der Abbildungen.
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Schreibe einen zusammenhängenden Text über die Erlebnisse deiner Interviewpartner und
-partnerinnen. Suche Bilder zur Illustration deines Textes. Die fertigen Texte kannst du Bildung
& Vermittlung, Landesmuseum Zürich schicken: [email protected]
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