jewitsch die Menschen an Ihren Stiefeln..." Stammten diese

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jewitsch die Menschen an Ihren Stiefeln..." Stammten diese
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lke Sackmann
Fedelhören 66
ist eine eher unscheinbare Adresse: Keine auf-
wendige Schaufensterdekoration, kein eteganter Verkaufsraum.
Wer Bremens einzige Maßschuhmacherin aufsucht, befindet sich
sogteich
in ihrer Werkstatt: Lederbatlen, Garnrotten, Näh-
und
Schteifmaschinen, Wände votler Leisten. Man füh[t sich an die
Werkstatt von Tolstois Schuster Awdejewitsch erinnert: ,,Durch
das Fenster konnte man sehen, wie die Leute vorübergingen.
ObgLeich nur die Füße zu sehen waren, erkannte Martin Awde-
jewitsch die Menschen an Ihren Stiefeln..." Stammten diese
Stiefel von Cäcilie Becker, so würde auch sie den Menschen
daran erkennen, denn jedes Paar Schuhe, das ihre Werkstatt
vertässt, ist ein Unikat:
Es
ist minutiös und sehr aufwendig nach
der Beschaffenheit bestimmter Füße gearbeitet und entspricht
Entwicktungsarbeit
in ihrer Schuhherste[[ung. Zum BeispieI
in
den Leisten: Die Prototypen, die sie als Rohlinge bezieht, hat
sie auf der Grundtage ihrer Erfahrungen mjt den Proportionen
heutiger Füße selbst entwickett.
Am Anfang einer Maßschuhanfertigung steht immer ein ausführtiches Gespräch: ,,Was führt den Kunden überhaupt zu mir?"
Die Antwort auf diese Frage fä[[t ganz unterschiedl"ich aus und
liefert meist schon ejne ganze Reihe von Anhaltspunkten für
die Konstruktion des richtigen Schuhs. VieLLeicht drücken die
Schuhe immer an den kteinen Zehen, oder sie sind immer zu
eng, weiI Ein[agen getragen werden müssen, vie[[eicht sind
die Füße unterschiedlich groß oder die Beine unterschiedtich
mögen. Nicht nur passen sotlen ihre Schuhe, auch ,,schön so[[en
[ang. ,,Füße sind hoch komptizierte Gebil.del", sagt die Schuhmacherin, ,,eine Gewölbekonstruktion!", und: ,,Sie tragen den
sie sein!" Das ist der Anspruch der Schuhmacherin, die an eine
in ihrer Straße ganz alte Tradition anknüpft. Seit 1991 betreibt
ganzen Menschenl" Füße können von sehr unterschiedticher
Gestatt sein: ,,Es gibt zum Beispiel Füße mit einem sehr langen
sie hier im Fedethören ihre Werkstatt, in der nicht nur Schuhe
repariert werden, sondern in der sie sich auch einen Traum
erfütlt hat: Hier ist sie frei - hier entwickelt sie ihre Ideen und
setzt sie auf höchstem handwerktichen Niveau um.
Rück- und einem kurzen Vorfuß; es gibt Füße, deren Fersen sehr
den Wünschen des Kunden, wie ausgefallen sie auch immer sein
schma[, deren Batten aber breit sind
-
es gibt ganz unterschied-
liche Fußproportionen und damit auch das Probtem, dass nicht
jeder Fuß jn einen genormten Schuh passt. Sehr viele Menschen
kaufen Schuhe eigenttich immer ats Kompromiss." Viele ihrer
Schuh
für Schuh. Dabei war es nicht einfach, sich dieses fast
vergessene Handwerk anzueignen. Zwar hatte sie eine Ausbildung
zur 0rthooädie-Schuhmacherin absolviert und danach auch ihre
Meisterprüfung zur Schuhmacherin abgetegt, doch beschränkte
Kunden wünschen sich daher einfach einmal ein Paar Schuhe,
dem sie nicht nur stehen, sondern auch gut gehen können,
und: Es sotl ihnen auch qefa[[en.
in
sich das dort erworbene Wissen vornehmlich auf den Innenschuh, auf Eintagen und auf Tei[e der Schuhherstellung. Das
So kam vor einiger Zeit ein Kunde mit ejnem exktusiven, aus
Herstellen ganzer Schuhe, vor attem aber unterschiedlicher, zum
hochglänzende Büffelleder-Schuhe. So sotlte auch sein neues
TeiI auch sehr ausgefallener Modetle, eignete sie sich learning by
natürlich gutl", sagt Cäcilie Becker,
die damit eine exakte Vorstellung davon hatte, was der Kunde
sich wünscht. Viete Wünsche kann sie erfütten. 0b Kalbs- oder
doing an. Der letzte Schuhmacher in der Straße war inzwischen
verstorben und auch andernorts war dieses alte Wissen kaum
mehr zu erwerben. Hin und wieder ergatterte sie ein altes Buch
oder atte Schnittmuster, zum größten TeiI aber steckt eigene
Paris stammenden Katatog und deutete auf ein Paar etegante,
Paar aussehen.,,Das
ist
Rindsteder, ob Känguru- oder Pferdeleder, ob Schtangenteder
oder Fischschuppenoptik. Die ständige Suche nach besten
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Lederquatitäten gehört für sie zum Geschäft. ,,Wenn ich etwas
besonders Gutes oder Interessantes bekommen kann, dann
kaufe ich es, auch ohne den entsprechenden Auftrag." 0b der
Schuh glänzen so[[ oder die 0berfläche changieren, ob das
Leder geprägt oder matt sein sott, ob schwarz oder braun oder
farbig - in ihren dicken Musterordnern hat sie a[[ die vielen
verschiedenen Mode[te versammelt, die sie bereits gefertigt hat.
0b tuftige Schuhe, die für eine Tropenreise taugen, ob Louis
XV-Absätze fürs Theater, ob Schuhe, mit denen man die Nacht
durchtanzen kann oder Gotf spieten kann. Für die Herren ist die
WahI des Modells atterdings meist recht einfach; sie bevorzugen
klassische Schnürhalbschuhe und Schnatlenschuhe
in
schwarz,
braun oder bordeaux. Die Damen dagegen lassen auch Stiefet
und Stiefeletten, Pumps, Sandaten und Clogs fertigen. ,,Wichtig
ist,
dass jemand weiß, was er
wi[[", sagt
CäciLie Becker, dann
kann sie den Schuh entweder nach einem Vorbil.d oder auch mit
eigenen ldeen zusammen mit dem Kunden entwicketn.
Dem gründtichen Vorgespräch fotgt die Inaugenscheinnahme der
'lrlatürtich
Füße.
kommen auch viele Kunden mit Fußprobtemen:
,,Um unsere Fußgesundheit ist es schlecht bestetlt!", sagt
die 50-jährige Rheintänderin, die nach Jahren in Berlin
1,983 zu ihrer 0rthopädieschuhmacher-Ausbildung nach Bremen
kam. Ihrer Erfahrung nach leiden viete Füße an fatschem Schuh-
fuß, bei dem der Fuß nach Innen abknickt. sind
häufige Probteme. Settener ist der PLattfuß, bei
dem das Fußgewölbe durchgetreten ist und oer
Fuß ohne Federung flach aufliegt. At[ diese Probleme, die große Schmerzen verursachen
können, kennt Cäcitie Becker aus ihrer [angjährigen Erfahrung genau. Auch das getragene
trägt zur Anatyse bei, bevor die
Schuhmacherin den Fuß einscannt und ein
genaues Maß nimmt. Dann muss der Kunde sich
auf ein Modell festtegen, denn jedes SchuhSchuhwerk
modetl erfordert einen anderen Leisten. Je nacn
Fuß wähtt Cäcilie Becker dann einen geeigneten
Rohting, zum Beispiel einen für eher schmate
Füße oder einen für fleischige Füße und formt
diesen Rohling mit Hitfe von Kork zu einem
Abbitd des Fußes. Auch ein Fußbett kann sie
in verschiedenen Materialschichten über diesen
RohLing bauen. Ist er fertig, so wird mit Hilfe
von Vakuumtechnik ein Kunststoffschuh erzeugt,
mit dessen Hilfe sich die Passform überprüfen
kleine, quer liegende Gewötbe im vorderen Fuß durchgetreten,
[ässt. Auf diese Weise wird sichergestetlt, dass
der Schuh, dessen eigentliche Herstetlung erst
jetzt beginnt, am Ende dieses meist ein bis zwei
Arbeitstage dauernden Prozesses auch wirklich
kejnen Anlass zur Beanstandung tiefert. Auch
einen sehr empfindtichen Fuß darf hier nichts
so dass sich oft Schwielen unter den Getenken der zweiten und
dritten Zehen bitden. ,,Spreizfüße sind das Ergebnis unphysioto-
mehr drücken. Die Erwartungen der Kunden, die
tausend Euro und mehr für einen Schuh ausgeben,
gischen Schuhwerks: Von hohen Absätzen und spitz zu[aufenden
sind hoch.
Schuhformen." Es sei zwar kein Problem, hin und wieder hohe
Schuhe zu tragen, wer aber immer Schuhe trägt, die das Gewicht
Für den Tragekomfort eines Schuhs
werk, Übergewicht und zu wenig Bewegung. Als häufigstes Fußprobtem begegnen Cäcitie Becker die Spreizfüße. Dabei ist das
durch ihre Höhe auf den Vorderfuß vertagern und in denen die
Zehen zusammengedrückt werden, der riskiere die Entwicklung
eines so genannten Hallux Vatgus, bei dem die Zehen sich schief
spielt zum Beispiel das Futterteder eine große Ro[[e. ,,Bei industrietl gefertigten Schuhen wird dafür fast immer
eine ganz geringwertige Qualität verwendet", sagt
nach Außen entwickeln. Absätze sollten
in der Regel nicht zu
hoch sein und den Bewegungsspietraum der Zehen nicht zu
stark einschränken. Auch andere,,Zehendeformationen", wie
Cäcitie Becket, ,,man sieht das Futter ja nicht."
Dabei ist es aber vor a[[em das Innenleben, wie
zum Beispiel auch die Potsterungen an den jeweits
beispietsweise seittich heraustretende Batten, oder der Knick-
erforderlichen Stetlen, die das Wohtfühlen in
el
tu
einem Schuh ausmachen. Ist nach der ModetlwahI und der Festlegung der Absatzhöhe auch die Ledersorte ausgesucht, so beginnt
die
Verarbeitung des zweidimensionaten Leders
zu
ejner
dreidimensionalen Form: ,.Das kann sehr schwierig sein!", sagt
.*
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erst dann, denn:,,Die vieten Stunden Arbeit, die in solchen Schuhen stecken - oft an die 40 Stunden - werden in Wahrheit nicht
bezahtt." Gerade auch die aufwendige Beratungsteistung [ässt
sich nicht vermarkten.
die Schuhmacherin.
Doch, wenn die wirtschafttiche Situation auch schwierig
Was so einfach aussieht, zum Beispiel hohe, nahttose Schäfte,
kann für die Handarbeiterin höchste Anforderungen bedeuten.
die vielen Schnittmuster, die sie im Laufe ihrer Berufsjahre
entwickelt hat, lagern in Kundenmappen. Viete kommen immer
wieder, haben hier ihre persöntichen Leisten und [assen danach
ALL
auch wejtere Schuhe fertigen. Eigenttich [ohnt sich das Geschäft
ist:
,,Es
ist die Neugier, die mjch antreibt", sagt sie [achend, ,,und die Lust
auf Neues". A propos: In diesem Monat nimmt sie ein Sortiment
,,Budapester" in ihr Angebot auf. Noch wird das Regal für die
lochverzierten Ktassiker aus Ungarn gefertigt, doch schon in Kürze
wird sie eine neue, modernere Form der traditionetl eher schweren
Budapester anbieten und individuell anpassen.