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automobiltechnik steuerantrieb
Ölresistenter Zahnriemen
Glaubensfrage
Nachdem im vergangenen Jahrzehnt zahlreiche Automobilhersteller ihre neu entwickelten Motoren
wieder mit Steuerketten als Nockenwellenantrieb versahen, schlagen die relevanten Zulieferer nun mit
der Entwicklung des ölresistenten Zahnriemens zurück. Erste Anwendungen sind bereits in Serie.
W
elcher Nockenwellenantrieb ist
besser: Steuerkette oder Zahnriemen? Der Streit ist so alt wie
der diesbezügliche Einsatz des Zahnriemens, also gut 50 Jahre. Die Erfahrungen
von Werkstattprofis, insbesondere innerhalb des letzten 15 Jahre, geben eine versöhnende Antwort: Unterdimensioniert
taugen beide Antriebe nichts. Das gilt natürlich ebenso für die Königswelle.
Die Geschichte des Zahnriemens im
Motorenbau ist ein Auf und Ab. Nach dem
ersten Einsatz bei Glas wandten sich auch
andere Automobilhersteller dem gummierten Gewebe zu, denn ein Zahnriemen
ist wesentlich leichter und leiser als eine
Steuerkette – und zudem kostengünstiger.
Das führte einerseits zu zahlreichen in
Großserie produzierten Zahnriemenmotoren, meist Benziner und Diesel in den
Bauformen R4 und V6, und andererseits
zu Exoten wie dem V8 im Porsche 928 oder
den V8 und V12 von Ferrari, Letzteres bis
in das Jahr 2010 im 612 Scaglietti.
Zahnriemenbreiten
Anwendung
Breite
Dieselmotor mit Pumpe-Düse-Einspritzung
30 mm
Dieselmotor mit Common-Rail-Einspritzung
25 mm
Ottomotor aktuell
19 mm
Ottomotor künftig
16 mm
Zahnriemen als Ersatz für Steuerketten
12 bis 14 mm
Quelle: Conti Tech Antriebssysteme
Ölpumpenantrieb
des 1,6-Liter-R4
Dieselmotors von
Volkswagen
Nockenwellenantrieb am
1.8-Liter-R4-Dieselmotor
(Lynx-TDCI) von Ford
Bilder: Dayco
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AUTO SERVICE PRAXIS 04/2012
www.autoservicepraxis.de
Systemvergleich Steuerketten/Zahnriemen
Eigenschaften
Hülsenkette
Zahnkette
Zahnriemen
trocken
Zahnriemen
in Öl
Dauerhaltbarkeit (Motorlebensdauer)
++ (Serie)
++ (Potenzial)
++ (Serie)
++ (Potenzial)
Geräuschverhalten
0
+
+
++
präzises Timing (geringe Dehnung)
0
0
+
+
geringe Reibleistung
0
0
+
++
Ausfall-Vorwarnung
+ (Geräusche)
+ (Geräusche)
- (Sensor?)
- (Sensor?)
geeignet für Dieselmotoren (Rußpartikel-Resistenz)
++
-
++
++
geeignet für Ottomotoren (Biokraftstoff-Resistenz)
++
++
++
0
axialer Bauraumbedarf (Breite)
+
+
0
0
Flexibilität des Layouts
0
0
+
+
Quelle: Conti Tech Antriebssysteme
In Verruf gerieten Zahnriemen, als bei den
Vierzylinder-Dieselmotoren mit PumpeDüse-Einspritzung des Volkswagen-­Konzerns verstärkt Risse auftraten. Die ursprüngliche Dimensionierung war dem
Peitscheneffekt, resultierend aus typischer
Drehungleichförmigkeit, enormer Drehmomentschwankung und größtmöglichem Abstand zwischen Kraftein- und
-ausleitung, nicht gewachsen. So verwundert es nicht, dass auch Volkswagen
zwischenzeitlich bei allen völlig neu entwickelten Motoren auf Ketten setzte.
Klar, dass Zahnriemenhersteller wie
Conti Tech oder Dayco dem nicht lang
tatenlos zusahen. Ergebnis der jüngsten
Entwicklungstätigkeiten ist ein Zahnriemen, den man so lange Zeit nicht für
realisierbar hielt, ein Zahnriemen mit
Ölresistenz. Die ersten Anwendungen des
„Belt in Oil“ (BiO)-Zahnriemens von Zulieferer Dayco gingen bereits bei Volkswagen und Ford in Serie. Konkret:
00 Ölpumpenantrieb im 1,6-Liter-R4Dieselmotor „TDI“ von Volkswagen
00 Ölpumpenantrieb im 1,0-Liter-R3Ottomotor „Ecoboost“ von Ford
00 Nockenwellenantrieb im 1,0-Liter-R3Ottomotor „Ecoboost“ von Ford
00 Nockenwellenantrieb im 1,8-Liter-R4Dieselmotor „TDCI“ von Ford
Beispiel Ölpumpenantrieb im TDI: Der
9,4 Millimeter breite Zahnriemen besitzt
keinen Spanner (zwei Räder, ein Riemen),
der Ölpegel reicht bis zur Hälfte des getriebenen Rads. Er ist temperaturbeständig
von minus 40 bis plus 150 Grad Celsius
und bewirkt laut Dayco eine ReibleistungsReduzierung von bis zu 50 Watt. Die Bestandteile des Zahnriemens sind:
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00 Gummimischung: spezieller faserver-
stärkter, hydrierter AcrylnitrilbutadienKautschuk (HNBR)
00 Zahngewebe: Polyamid mit PTFEAußenschale
00 Zugstrang: Glascord
00 Rückengewebe: Polyamid
„Die Hauptmotivationen für den Einsatz
des ölresistenten Zahnriemens sind Vereinfachung und Preis“, erklärt Hermann
Schulte, Leiter Entwicklung Kfz beim
Hannoveraner Riemenspezialisten Conti
Tech Antriebssysteme GmbH. Dort hatte
man nach eigener Aussage den ölresistenten Zahnriemen „Oilrunner“ 2007 quasi
serienreif, scheiterte aber an Bedenken der
Autoindustrie hinsichtlich einer möglichen
Glykol-Kontaminierung des Motoröls
über die Zylinderkopfdichtung. Glykol,
aber auch Ethanol-Kraftstoffe wie „Sunfuel“ verhalten sich Polymeren gegenüber
aggressiv, lösen sie auf. Deshalb verwendet
Conti Tech als Armierungsgewebe des
ölresistenten Zahnriemens Aramid statt
Polyamid. Aramid sei zwar deutlich teurer
als Polyamid und auch schwerer zu verar-
beiten, doch verhalte es sich inert (neutral)
gegenüber Chemikalien-Angriffen.
Egal ob als Ölpumpen- oder Nockenwellenantrieb eingesetzt: Der ölresistente
Zahnriemen sitzt nicht mehr, wie sein
nicht ölresistentes Pendant, im Außenbereich, sondern im Inneren des Motors, was
eine Auslegung auf Motorlebensdauer
erforderlich macht. Werkstattprofis sollten
also nicht auf mehr Arbeit hoffen.
Durch den ölresistenten Zahnriemen
verändert sich auch dessen Peripherie in
Form von Riemenspanner und Nockenwellenversteller. Am Exzenterbolzen des
Riemenspanners kommt statt der Tefloneine metallische Gleitlagerbuchse zum
Einsatz, um die im Öl nicht mehr vorhandene Grunddämpfung des Riementriebs
zu kompensieren. Nockenwellenversteller
verbilligen sich spürbar, weil ihre Abdichtung weniger Aufwand erfordert.
Zahnriemen in Steuerketten-Breite
„Für den ölresistenten Zahnriemen streben wir mittelfristig die Serienanwendung
bei einem europäischen Automobilhersteller an“, so Hermann Schulte. Auf die Frage
nach der weiteren diesbezüglichen Strategie von Conti Tech Antriebssysteme antwortet der Entwicklungs-Chef mehrdeutig: „Wenn wir noch mal richtig angreifen
wollen, müssen wir uns auf Zahnriemen
mit Steuerketten-Breite konzentrieren
(vgl. Tabelle auf Seite 14 oben; Anmerkung
der Redaktion). Die Automobilindustrie
ist nicht bereit, wegen eines alternativen
Nockenwellenantriebs ihre Motoren umzukonstruieren. Alle fünf Jahre gelingt es
uns, die Zahnriemenlebensdauer zu verdoppeln, was man natürlich auch zur
Breitenreduzierung bei gleich bleibender
Lebensdauer nutzen kann. Sprechen Sie
mich dazu in einigen Jahren noch mal an.“
Peter Diehl
Veranstaltungshinweis
Tagung zum Thema Zahnriemen
Am 18. und 19. September 2012 veranstaltet das Institut für Feinwerktechnik und
Elektronik-Design an der TU Dresden (IFTE) die 16. Tagung Zahnriemengetriebe.
Während dieser Tagung wird Hermann Schulte, Leiter Entwicklung Kfz der Conti Tech
Antriebssysteme GmbH, die Teilnehmer über Details des ölresistenten Zahnriemens
von Conti Tech informieren.
www.ifte.de/forschung/zahnriemen/tagung-akt.html
AUTO SERVICE PRAXIS 04/2012
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