Blick zurück: Guernica
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Blick zurück: Guernica
G u e r n i c a Vier Jahre Irak-Krieg. Kurz vor seinem Beginn waren wir noch auf die Straße gegangen, manche von uns mehrfach, und hatten gegen diesen Krieg demonstriert. Wir hatten Bilder im Kopf, darunter jenes, das zeigte, wie im Februar 2003 der damalige US-Außenminister Powell die Welt auf den Krieg einzustimmen versuchte. Im Sitzungssaal des Sicherheitsrats im UNO-Hauptgebäude in New York ließ er Satellitenaufnahmen zeigen, welche die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak des Saddam Hussein beweisen sollten. Wer sich an frühere Aufnahmen vom Ort der Veranstaltung erinnerte, bemerkte, dass für die Bildvorführung mit blauem Tuch ein Bild zugehängt worden war, dessen Anblick nicht gut zur amerikanischen Kriegstreiberei gepasst hätte. Das Bild in den enormen Ausmaßen von dreieinhalb auf fast acht Meter symbolisiert wie kaum ein anderes das Grauen und die Schrecken des Krieges: Pablo Picassos Guernica-Gemälde. Es entstand 1937 als eines der bekanntesten, vielleicht als das berühmteste Werk des Meisters. Im Juli des Vorjahres, Hochsommer 1936, hatten fünf spanische Generäle, darunter der spätere Diktator Francisco Franco, einen militärischen Aufstand gegen die legitime republikanische Regierung in Spanien ausgelöst. Sie war wenige Monate zuvor nach Jahren heftigster sozialer und politischer Unruhen gewählt worden und setzte sich aus vier Parteien der Linken zusammen, die sich zur Volksfront vereint hatten. Gegen diese Regierung putschte das Militär, gestützt auf nationalistische, autoritäre, konservativ-katholische Kräfte. Kämpfer für die Republik – Faschistenhilfe für Putschisten Gewerkschafter zählten zu den entschiedensten Verteidigern der Republik. Sie forderten Waffen und erhielten sie, nachdem die Regierung anfangs gezögert hatte, diesen nicht verfassungskonformen Weg zu gehen. Erbetene Hilfe von anderen europäischen Demokratien, darunter Großbritannien und Frankreich, erhielt die spanische Regierung nicht. Die Sowjetunion verhielt sich widersprüchlich. Sie bekannte sich zwar zur Nichteinmischung, lieferte jedoch Waffen und unterstützte die Bildung der Internationalen Brigaden zur Verteidigung der spanischen Republik. Die Gründung dieser Brigaden war fast zeitgleich mit Francos Putsch in Prag beschlossen worden. Etwa 35.000 ausländische Freiwillige schlossen sich dem bewaffneten Kampf für die spanische Republik an. Unter den Interbrigadisten waren ungefähr 5.000 Deutsche, vorwiegend nazi-verfolgte emigrierte Kommunisten und Sozialdemokraten, die genau wussten, was von einer nationalistischen Diktatur zu erwarten war. Auffallend war auch die relativ große Zahl von Intellektuellen, besonders von Schriftstellern, die für die Republik kämpften oder als Berichterstatter auf deren Seite über den Bürgerkrieg schrieben – Ernest Hemingway, George Orwell, André Malraux, Arthur Koestler, Alfred Kantorowicz… Den Aufständischen aber wurde von außen massivere Hilfe zuteil: Mussolini in Italien und Hitler in Deutschland unterstützten die putschenden Herren Generäle tatkräftig. Die Deutschen hatten Unterstützung schon frühzeitig zugesagt. Spanien wurde für die faschistischen Staaten zum ersten Schlachtfeld in Europa. Hermann Göring konnte als Probelauf zum Zweiten Weltkrieg ‚seine’ Luftwaffe testen lassen. ‚Legion Condor’ hieß der gut bezahlte deutsche Verband von Freiwilligen, die gegen die 1 spanische Republik eingesetzt wurden. Mit ihren und den italienischen Kampfflugzeugen trug die Legion wesentlich zum Sieg der Putschisten bei. Der weltweit erste Terrorangriff aus der Luft Guernica (eigentlich Guernica y Luno) ist eine kleine Stadt im spanischen Baskenland. Auf Baskisch wird der Name, scheinbar deutsch, Gernika geschrieben. Für die spanischen Basken ist Guernica ein verehrungswürdiger, auch als heilig bezeichneter Ort, ein Symbol der baskischen Identität. Hier tagte unter einer uralten Eiche bis ins späte 19. Jahrhundert hinein der Landtag der Provinz Viscaya. Im Bürgerkrieg galt der Ort als Frontstadt. Er liegt nur wenige Kilometer östlich von Bilbao und gehörte zum so genannten ‚eisernen Gürtel’ um die bedeutende Industrie- und Hafenstadt, die das Zentrum des republikanischen baskischen Widerstands gegen die Putschisten war. In Guernica ist montags Markttag; das war schon immer so und ist es bis heute. Der 26. April 1937 war ein Montag. Am Nachmittag jenes Tages vor 70 Jahren bombardierten Flugzeuge der deutschen Legion Condor, unterstützt von Italienern, das Städtchen. Die Kirchenglocken läuteten Sturm; aber für viele läuteten sie zu spät. Die Mannschaften der deutschen Kampfflugzeuge entluden Sprengbomben, dann Brandbomben. Später jagten und töteten maschinengewehrbewehrte Tiefflieger die Menschen, die aus Guernica in die Berge flohen. Noch leben wenige Davongekommene, die in die Gesichter der deutschen Jagdflieger gesehen haben und sich bis heute daran erinnern. Dreieinhalb Stunden dauerte die Bombardierung Guernicas. Dieser Angriff auf eine Ortschaft und ihre Bewohner war in der Geschichte der Kriege bis dahin ohne Beispiel. Zum ersten Mal wurde eine Stadt durch Bomben zerstört, wurden Menschen, die am Markttag ihren Geschäften nachgingen, wurden viele weitere schutzlose Menschen durch einen überraschenden Angriff aus der Luft getötet. Unmittelbar danach vollendeten Francos Bodentruppen das Werk der Vernichtung. Innerhalb dreier Tage starben mehr als 1.600 Einwohner Guernicas. Andere Quellen berichten von weit weniger Opfern. Die genauen Zahlen sind bis heute unklar. Aber jeder Kriegstote ist einer zuviel. Guernica, Pablo Picasso und Dora Maar Im gleichen Jahr 1937 fand in Paris die Weltausstellung statt. Dort lebte seit Langem Pablo Picasso, ein weltberühmter Künstler schon damals. Von der Regierung seines Heimatlandes Spanien hatte er 1936 den Auftrag erhalten, ein Bild für den spanischen Pavillon der Weltausstellung zu malen. Er plante ein großformatiges Motiv ‚Maler und Modell’. Aber nach der Zerstörung Guernicas verwarf er diese Idee und malte Guernica. Das Gemälde wurde nach der Weltausstellung in manchen Städten der Welt gezeigt. Aber nirgendwo, so wird berichtet, habe es die Wirkung entfaltet wie an dem Ort, für den es geschaffen worden war. Architekt des spanischen Pavillons für die Pariser Weltausstellung war José Sert, ein früherer Mitarbeiter von Le Corbusier. Pablo Picasso entwickelte die Komposition von Guernica in sehr enger Absprache mit Sert. Er nahm architektonische Elemente des Ausstellungsraums in sein Gemälde auf und berücksichtigte bei dessen Gestaltung auch, von welcher Seite und in welchem Abstand die Besucher den Raum betreten würden. Der Effekt war, dass der Raum und das Gemälde fast eine Einheit bildeten. Picasso malte Guernica zügig in weniger als einem Monat. Die Arbeit an dem Monumentalwerk ist so gut dokumentiert wie kein zweites Gemälde des Künstlers. Dora Maar, die Malerin und Fotografin, die wir von vielen Bildern Picassos kennen, war, wie er, entschieden antifaschistisch und, wie er, entsetzt über die Geschehnisse in Spanien. Dora Maar lebte damals mit dem Maler zusammen und hat die verschiedenen Stadien der Entstehung und der Veränderung von Guernica in beeindruckenden Aufnahmen festgehalten. Damit entsprach sie einem lange gehegten Wunsch Picassos, „mit Hilfe der Fotografie nicht die Etappen, sondern die Metamorphosen eines Bildes aufzuzeichnen“. Tag für Tag dokumentierte sie mit der Kamera jede Phase des Entstehens von Guernica; und sie dokumentierte die professionelle Leidenschaft, mit der Picasso ans Werk ging. Dora Maar war unter den Fotografen die einzige, die in jenen Wochen sein Atelier betreten durfte. Ganz offenkundig inspirierte sie Picasso durch ihre fotografische Arbeit, denn die vielen, in sehr unterschiedlichen Grau-Abstufungen gemalten Schrecken des Krieges erinnern deutlich an Fotoreportagen von Kriegsberichterstattern. „Ein Ozean aus Elend und Tod“ Mitte Juni 1937 hing Guernica im spanischen Pavillon der Weltausstellung. Das Werk weist weit über das Ereignis der Bombardierung der kleinen Stadt im Baskenland hinaus. In Kenntnis all der Vernichtung, die wenig später, im Zweiten Weltkrieg, erfolgte, möchte man annehmen, Picasso habe alles vorausgesehen: Coventry und Dresden, Warschau und Köln, Rotterdam und Berlin, Hiroshima 2 und Nagasaki. Tatsächlich aber hatte Picasso das Bild unter dem Druck eines 1937 aktuellen und schockierenden Ereignisses gemalt. Während er daran arbeitete, hat er sich über seine Motive geäußert: „Der Krieg in Spanien ist ein reaktionärer Krieg – gegen die Menschen, gegen die Freiheit. Mein gesamtes Leben als Künstler habe ich dem Kampf gegen die Reaktion und den Tod der Kunst gewidmet. Auf den Bildern, an denen ich gerade arbeite, die ich Guernica nennen möchte, und mit meinem jüngsten Werk drücke ich meinen Abscheu gegen die militärische Elite aus, die Spanien gerade in einen Ozean aus Elend und Tod stürzt.“ Doch der Zweite Weltkrieg, der kurz nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs begann, veränderte und erweiterte die Bedeutung des legendär gewordenen Monumentalwerks: Es gilt bis heute als Protest gegen die Barbarei moderner Kriege. Das ungewöhnlich formatierte Bild, das zur Einstimmung auf den Irak-Krieg im Weltsicherheitsrat zugehängt wurde, ist übrigens nicht das Original: Picasso hatte sein Guernica-Gemälde einer zukünftigen spanischen Republik vermacht. Aber Diktator Franco und seine Nationalisten regierten Spanien nach gewonnenem Bürgerkrieg noch Jahrzehnte lang. Unterdessen hing Guernica im Museum of Modern Art in New York. Erst 1981 – nach Francos Tod und der Wiedererrichtung der Demokratie – wurde das Bild nach Spanien gebracht. Es ist nun im Museo Reina Sofia in Madrid zu sehen, und im UNO-Gebäude hängt nur eine Kopie, übrigens keine gemalte, sondern eine mit feinsten Gobelinstichen gestaltete. Antje Dertinger 3