Paradroid
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AL T! 196 Seiten DAS MAGAZIN FÜR KLASSISCHE SPIELE 3/2014 Juni/Juli/August 2014 Deutschland @ 12,90 Österreich @ 14,20 Schweiz sfr 25,80 Luxemburg @ 14,85 Gewin nspiel 1 0 Cinema 0 Spiele warefür Seite 19 iOS 2 DIE historie von Cinemaware Mick Schnelle analysiert die Faszination von Blue Bytes bestem Wimmel-Aufbauspiel BomB Jack Mit Hits wie Defender of the Crown begeisterte dieses Studio die Amiga-Generation Ein Hit in Spielhallen, auf Konsolen und Heimcomputern wird 30 Jahre alt. Glückwunsch! R-Type delta Retro-Revival mit Winnie Forster Emlyn Hughes Int. Soccer ■ ■ ■ Blick hinter die kulissen Alle Spiele vorgestellt Das Erfolgskonzept Pünktlich zur WM spürt Heinrich Lenhardt einem der großen FußballspielKlassiker nach Game Construction Sets ■ ■ Paradroid Andrew Braybrooks geniale Mischung aus Taktik und Action Atari 8 Bit Kultige Hardware und sensationelle Spiele – 20 Seiten über Atari 800XL & Co. Die wichtigsten Spiele-Baukästen Interview mit „Game Maker“ Garry Kitchen KingsoftArchive Fritz Schäfer wollte sein Schachspiel verkaufen – und gründete einen legendären Spiele-Pionier arcade | atari | commodore | MSX | NEO GEO | nintendo | schneider | sega | sinclair | SONY W illkommen zur neuen Ausgabe des Retro Gamer und ein herzliches Willkommen einem neuen Autor: Von dieser Ausgabe an schreibt auch Michael Hengst für Retro Gamer, der vielen von euch sicher noch aus seligen Power Play-Zeiten ein Begriff ist. Einer seiner Artikel behandelt eines seiner Lieblingsspiele: Panzer General. Ihr findet den Klassiker-Check gleich nach dem Inhaltsverzeichnis. Wenn ihr übrigens weitere Wunschautoren für Retro Gamer habt, nennt sie uns doch einfach per Leserbrief oder E-Mail, wir können gerne versuchen, sie für unser Heft als Schreiber zu gewinnen. Anatol Locker Heinrich Lenhardt Jörg Langer Michael Hengst Mick Schnelle Auch diese Ausgabe des Retro Gamer kommt wieder auf rund 200 Seiten und birst geradezu vor Highlights. So steuert Heinrich Lenhardt mehrere Klassiker-Checks und zwei Reports bei (Kingsoft und Game Construction Sets), Winnie Forster seziert zum dritten Mal den japanischen Spielemarkt für euch (dieses Mal von 1994 bis 2003), und auch Anatol Locker und Mick Schnelle lassen euch an ihrem reichhaltigen Erfahrungs- und Erinnerungsschatz teilhaben. Wir holen zu Unrecht vergessene Spielehelden aus ihren Pixelgräbern und zeichnen die Entwicklung großer Werke wie Paperboy, Bomb Jack, Elite, Boulder Dash, Salamander oder Sinistar nach. Im Foto unten seht ihr mich mit der Android-Version von Defender of the Crown, passend zur aktuellen Cinemaware-Titelgeschichte. Heutigen Spielern ist es vermutlich kaum vermittelbar, dass diese pixelige, grobe Grafik vor 28 Jahren das Nonplusultra darstellte. Doch wer damals schon spielte, kann sich an die Faszination erinnern, die sie verströmte. Fast alle Titel der nur etwas über fünf Jahre lang wirkenden Cinemaware Corp. vereinten tolle Optik, filmreife Handlung und spielerische Vielfalt. Wer zwei jener Klassiker auf seinem iPad spielen möchte, kann bei unserem Gewinnspiel auf Seite 192 mitmachen: Die seit 2012 aktive „neue“ Cinemaware-Firma war so nett, uns je 50 Geschenk-Codes für die Vollversionen von The King of Chicago und Rocket Ranger zur Verfügung zu stellen. Im vorigen Heft haben wir sehr umfangreich den Commodore 64 behandelt, doch natürlich gab es auch andere wichtige 8-Bit-Computer wie Spectrum oder Schneider CPC. Mein persönlicher Erstkontakt mit der schönen neuen Welt der Homecomputer fand indes Anfang der 80er mit einem Atari 800 statt – noch ohne „XL“, ich rede von der schreibmaschinenartigen 1979er-Fassung. Ein Schulfreund hatte seinen Vater überzeugt, damit besser „lernen“ zu können. In der aktuellen Ausgabe findet ihr viele Seiten zur Atari8-Bit-Familie, inklusive Extra-Artikel zum Atari XE Game System. Und in der Außenseiter-Rubrik haben wir noch diverse spannende Spiele für die nächste Atari-Generation, den Atari ST, im Überblick. Übrigens: Selbst Retro Gamer geht mit der Zeit, folgt uns doch auf facebook.com/retrogamerheft Viel Spaß beim Schmökern und Spielen! Jörg Langer Projektleitung Retro Gamer Winnie Forster » Ab dieser Ausgabe mit dabei: SpielejournalistUrgestein Michael Hengst. Inhalt 3/2014 Juni, Juli, August Klassiker-Checks 006 Panzer General Michael Hengst über den Hexfeld-Star 034 Die Siedler 2 Mick Schnelle verspürt Wimmel-Lust 082 Wie Activision Geschichte schrieb Der heutige Riesenkonzern begann als Indie-Publisher im Wortsinne 144 Bomb Jack Wir wühlen uns durch 30 Jahre voller Explosionen und zig Portierungen 112 Emlyn Hughes International Soccer 152Paperboy Making Of 176 Boulder Dash Heinrich Lenhardt hat Fußball gespielt 036Paradroid Einfacher als Gradius, trotzdem klasse 078 Magic Carpet Molyneux’ Orient-Flugsimulation blieb kommerziell erfolglos 106Sinistar Geheim-Dokument: Was alles rausflog 120 Altered Beast Seitscroller, Prügler & mutierender Held 140 UFO Enemy Unknown Aus Duell-Taktik wurde Globalstrategie 162 Tempest 2000 Jeff Minter über sein „Chill-out“-Werk Firmen-Archive 018Kingsoft Wie aus einem Schach-Programmierer ein führender deutscher Publisher wurde 114 Westone Bit Entertainment Für Wonder Boy / Monster World mixte das japanische Start-up RPG mit Action Historie 024Cinemaware Unsere Titelstory reicht vom Anfang bis zum Untergang und zeigt alle Spiele 056Elite Denken & feuern in Braybrooks C64-Hit 066Salamander David Brabens und Ian Bells Werk inspirierte viele Klone – und wird mit Elite – Dangerous fortgesetzt 4 | RETRO GAMER 3/2014 Tür oder Briefkasten? Vom Zeitungsaustragen unter Schwerstbedingungen Steine, die auf Helden fallen: Aus Physik und klugem Leveldesign wurde Kult Retro-Revival 016 R-Type Delta Winnie Forster trotzt der Kugelhölle 054 The Elder Scrolls: Arena Schwerpunkte 008 Made in Japan, Teil 3 042 Gaming Construction Sets Michael Hengst flieht als Bösewicht Mick Schnelle labert und taktiert 150 The Pawn Immer Ärger mit lachenden Mönchen 184Midi-Maze Anatol Locker kämpft im MIDI-LAN Aussenseiter 052 Die Unkonvertierten Willow, Slipstream, Nemo u. a. 072 Außenseiter: Acorn Archimedes Star Fighter 3000, E-Type, Apocalypse und 16 weitere Perlen 102 Außenseiter: Atari ST Wings of Death II, StarRay, Zero 5, Obsession und 15 andere 160 Die Unkonvertierten: Konami Surprise Attack, Pandora’s Palace, City Bomber, Hot Chase u. a. 186 Außenseiter: Chinesische RPGs 19 Hits, von denen ihr nie gehört habt 190Retro-Schande Terminator 2 – Judgment Day: Ein Spiel, das fassungslos macht Mit dem Game Maker erfand Kitchen quasi das Genre der Spiele-Baukästen 094 Die größten Spielehelden-Underdogs Alle kennen Mario, Lara & Sonic. Wir aber kümmern uns um die unverdient vergessenen Pixel-Stars 166 Die Filmlizenz-Retro-Oscars Jörg Langer in unendlichen Weiten 092Warsong Heinrich Lenhardt über Game Maker, ACS, Pinball Construction Set & Co. 046 Auf dem Sofa mit: Garry Kitchen 064 Wizardry IV Winnie Forster erklärt die Glanzzeit der japanischen Videospiele ab 1994 Die meisten Filmumsetzungen taugen nichts. Doch es gibt löbliche Ausnahmen! Retro-Hardware 045 Pokémon mini Nintendos Handheld-Fiasko: technisch veraltet und so gut wie keine Software 124 Ataris 8-Bit-Ära 13 Jahre lang erschienen Ataris Home Computer und epochale Spiele dafür 130 Atari: Die perfekten 10 Atari-800XL-Hits, die man haben muss 132 Atari: … und der Rest 56 weitere spielenswerte „A8“-Titel 134 Atari XE Game System Außen Konsole, innen Computer: Wie sich Atari beim XEGS verrechnete Rubriken 003Editorial 192Retro-Feed 194 Vorschau & Impressum RETRO-HARDWARE ALTE KONSOLEN NEU BETRACHTET 045 072 016 052 056 112 120 140 152 124 134 006 024 034 036 078 106 176 K L A SSIK E R- CH ECK » speedball 2: brutal deluxe » Übersichtlich und doch detaillierte Grafik, komfortable Bedienung und teils hammerschwere Szenarios machten Panzer General zum Hexfeld-Hit. D ank Minimaloptik, einer im Regelfall verqueren Benutzerführung und Tabellenkalkulations charme galten frühe Strategie- und Taktikspiele wie Chris Crawfords Eastern Front 1941 oder Joel Billings’ Computer Bismarck schon bei der damals überschaubaren Menge an Computerspielen als unverbesserli che Hardcore-Kost. Fans, die trotz der Widrigkeiten von kernigen Strategie spielen fasziniert waren, galten als abstruse Sonderlinge, waren also die Außenseiter unter den Außenseitern. Während sich Spieler in der westlichen Hemisphäre noch an Tastaturen die Finger brachen, konnten japanische Strategen bereits 1989 in Konsolenspielen wie dem PC-EngineKlassiker Nectaris Einheiten bequem per Joypad steuern. Und das ohne Hektik rundenweise, aber doch spannend, schon allein der kleinen Kampfanimationen wegen. Über pfiffige Importhändler schaffte Nectaris auch den Weg nach 6 | RETRO GAMER 3/2014 Europa und in die USA, genauso wie zwei Jahre später das MonumentalMega-Drive-Modul Advanced Daisenryaku, kurz AMC („Advanced Military Commander“). Vollgepackt mit taktischen, technischen, spielerischen und optischen Finessen begeisterte das Spiel die Strategiefans auf der ganzen Welt. Einer der Fans war Joel Billings, Gründer der renommierten Strategieund Rollenspielschmiede Strategic Simulation, Inc. Billings war schon immer von Wargames und Militärgeschichte fasziniert gewesen. In seinem Büro trafen sich Mitarbeiter immer wieder, um mit Zinnminiaturen berühmte Schlachten des amerikanischen Bürgerkrieges nachzuspielen. Kurzum: Die Begeisterung in Billings’ Büro war groß, und schon bald begann man bei SSI, eine eigenständige Computer-Version von AMC zu programmieren – vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Drei Jahre nach Erscheinen von Advanced Daisenryaku veröffentlichte SSI dann das Rundentaktik-Werk Panzer General – und veränderte damit die Strategiespiel-Landschaft für immer. Statt gruseliger Minimalgrafik bot Panzer General den optischen Charme eines mit Airfix und Revell-Modellen bevölkerten Sandkastens. Mit komfortabler Maussteuerung wurden die Truppen auf der Karte verschoben, kontextbasierte Mauszeiger zeigten notwendige Aktionen. Für Einsteiger gab es einen mehrstufigen Schwierigkeitsgrad, und animierte Bildchen zeigten das aktuelle Gefecht. Das sollte ein Strategiespiel sein? Plötzlich gehörte ein Hexfeld-Feldherr nicht mehr zu einem kleinen Grüppchen von verschrobenen Irren – SSI machte mit Panzer General das Strategiespiel „en vogue“. Hex-Felder waren hip! Der Einfluss von Panzer General auf Strategiespiele ist bis heute spürbar: Erfahrungspunkte für Einheiten, das Aufrüsten oder Verbessern von einzelnen Truppen und eine einfache KontextSteuerung gehören zum Standardrepertoire eines jeden modernen Genrever- treters. Selbst in Echtzeit-Taktik-Kollegen wie StarCraft finden sich Anleihen aus diesem Klassiker. Heute schließt sich der Kreis wieder: Das kleine Grüppchen von Generälen bleibt wieder unter sich. Während „Spiele“ wie Clash of Clans oder Candy Crush die Welt und einen Massenmarkt erobern, ist die Zeit für Hobby-Strategen praktisch stehen geblieben. Immerhin: Das kleine Grüppchen ist heute sehr viel größer als Von Heinrich Lenhardt damals und kann sich nicht zuletzt dank vieler Indie- oder kleinerer Produktionen nicht über Rundentaktik-Nachschub beklagen, seien es The Banner Saga, Battleworlds: Kronos, DSA Black Guards und einige andere mehr. von Michael Hengst Fakten C h Wieso ein Klassiker? BESTER MOMENT » speedball 2: bru tal deluxe Vorbild Advanced Daisenryaku Aufrüsten leicht gemacht Wer Panzer General einen Klassiker nennt, darf das Mega-DriveModul Advanced Daisenryaku nicht vergessen. Im März 1994 fachsimpelte der Autor dieser Zeilen bei SSI über spielerische Feinheiten und Umfang des Japan-Moduls. Nach dem klaren Vorbild dieses Spiels erstellte SSI dann ihr Weltkriegs-Rundenspiel, das vor allem die einfache Bedienung bei großer taktischer Tiefe von der Konsole auf den PC übertrug. Endlich waren Hexfeldspiele keine drögen Tabellenkalkulationen mehr – und Panzer General inspirierte seinerseits zahllose Nachahmer. Einheiten sind das Salz in der Suppe bei Strategiespielen. Auch aus diesem Grund wird von Entwicklern gerne der 2. Weltkrieg hergenommen. In Panzer General gibt’s zehn Truppenklassen, wie Panzer, Infanterie oder Artillerie, und einige Hundert individuelle Einheiten. Ob nun der Unterschied zwischen einem Panzer III H und III J wirklich gravierend ist: Der Heimgeneral freut sich über jedes Upgrade! Unvergessliche Momente entstanden, wenn man eine liebewonnene Einheit bis in den Elite-Status brachte – und sie dann vor der nächsten Schlacht zum nächsten Modell upgraden konnte. eck Fakten » PLATTFORM: MS-DOS, 3DO » Publisher: Strategic Simulation, Inc. » ENTWICKLER: Strategic Simulation, Inc. MODERNE ALTERNATIVEN Generäle in Serie Panzer Corps WAS WÄRE WENN Der wohl würdigste Klon ist Panzer Corps des englischen Publishers Slitherine. Das Grundspiel gibt es für PC und iPad, es kann mittels verschiedener Erweiterungspacks auf die epische Größe von rund 180 Szenarien aufgepumpt werden. Ob die in Missionsumfang und Schwierigkeit gewaltige Wehrmachtskampagne Grand Campaign, der Feldzug in Afrika oder die komplette Kampagne der Alliierten: Panzer Corps ist riesengroß und bietet eine Fülle an Einheiten und Upgrades. Dank des individuell anzupassenden Schwierigkeitsgrades ist es für geduldige Einsteiger genauso empfehlenswert wie für erfahrene Generäle. dt. Alternative Panzer General eroberte die Strategenwelt im Sturm; Nachschub musste her. Also rollten nach und nach eine Windows-Version des ersten Teils, dann Allied General, Panzer General II, Pacific General, People’s General und Panzer General 3D Richtung Spielerschaft. Das spielenswerte Fantasy General ließ Sagenwesen statt Panzer antreten, um eine Märchenwelt zu erobern. Leider machten sich mit der Zeit generalistische Ermüdungserscheinungen bei der Spielerschaft breit, Tiefpunkt war der dysfunktionale ScienceFiction-Ableger Star General. Battle Worlds: Kronos Militärische Fiktion Der Bremer Entwickler King Arts verlegt seine Rundenschlacht Battle Worlds: Kronos in die Zukunft. Spielerische Grundlagen von Kronos führen auf den Blue-Byte-Klassiker Battle Isle zurück, enthalten aber auch Anlehnungen an dessen Inspira tionsquelle Nectaris. Für Fans wurde mit dem SF-Knaller Kronos ein Traum wahr, finanzierten sie doch das Spiel über Kickstarter mit und King Art zeigte, dass knorrige und anspruchsvolle, rundenbasierende Strategiespiele auch heute noch auf eine treue Fangemeinde zählen können. Aber zurück zu Panzer General: Ebenfalls spannend war die Kampagnenstruktur, denn in bestimmten Schlüsselgefechten verzweigte sich der Missionsbaum. Je nach Erfolg des Spielers und der Geschwindigkeit, in der er die normalen Szenarios des Spiels in der Kampagne absolviert, bietet Panzer General einige fiktionale Szenarios an, wie beispielsweise die Invasion der USA im Juni 1945 durch deutsche Truppen. Zudem gibt es einige „Was wäre wenn“Szenarios, wie die Invasion Englands im Jahr 1943 oder einen erneuten Vormarsch auf Moskau, ebenfalls im Jahr 1943. » Genre: Strategie (Rundenbasierend) Was die Presse sagte … Cover-Artwork: Wikipedia DIE NACHFOLGER » VERÖFFENTLICHT: 1994 Power Play 12/94, 89% »Dass Panzer General nicht nur für den ausgefuchsten Hardcore-Strategen gemacht ist, beweisen der variable Schwierigkeitsgrad und die angenehme optische Aufmachung sowie einige technische Gimmicks. Dass zum Beispiel im Kampf die Einheiten animiert eingeblendet werden, hat keinen taktischen Nutzen, sieht aber verdammt gut aus und erhöht die Atmosphäre um ein Vielfaches.« (Michael Hengst) Was wir denken Nicht mehr ganz taufrischer General, der aber spielerisch immer noch für die eine oder andere spannende Schlacht taugt, auch wenn moderne Alternativen wie Panzer Corps mehr Funktionen und taktische Vielfalt bieten. Ihr solltet aber zur WindowsFassung greifen, wenn möglich. RETRO GAMER 3/2014 | 7 Teil 3: der Game -G ipfel Die dritte Dekade: 1994 – 2003 Die 1990er sehen japanische Studios und Spielverlage auf dem Höhe punkt ihrer Kreativität und Expertise: Erst beherrschen die Modul konsolen von Nintendo und Sega mit Sprite- und Scroll-Meisterwerken die internationale Szene, dann wird der japanische Elektronik-Konzern Sony mit PlayStation und CD-ROM zum weltweiten Marktführer. Alte Meister laufen nun zur Höchstform auf, gleichzeitig regt sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Gamedesign-Generation, die das Medium hinterfragen, variieren und ästhetisch erweitern möchte. Hiroshima Osaka Kyoto Konan (Aichi) Nach rasantem Neuaufbau ist Hiroshima in den 80ern wieder Millionenstadt und Industriezentrum, verliert den Puzzle- und Shoot-em-up-Spezialisten Compile (Puyo Puyo, Aleste) schnell an den Großraum Tokio. Auch Nintendo- und PlayStation-Lizenznehmer Kemco hat hier nur kurzzeitig sein Hauptquartier. In der Hafenstadt im Süden der Hauptinsel residieren Majors mit Arcade-Background wie Konami, Capcom, Irem und SNK. 1993 wird Yuke’s gegründet, der weltweit wichtigste Hersteller von Wrestling- und UFC-Spielen. Mit Hilfe von Sammy, Sega, Bandai und Sony starten ein paar SNKund Capcom-Veteranen 2000 das Entwicklungsstudio Dimps, das Dragonball- und Sonic-Spiele für alle Plattformen macht, und dann und wann einen Automaten, zuletzt Super Street Fighter IV. In den Schatten von Nintendo wagt sich kaum ein japanischer GameVerlag. Eine Ausnahme sind der Modulhersteller Video System (der 2001 aufgegeben wird) und dessen Abspaltung Psikyo, die in Kyoto seit 1992 heiße Baller- und freizügige Mahjong-Automaten zusammenbastelt. Die 100.000-Einwohner-Stadt beherbergt einen der ältesten SpielautomatenHersteller Japans und frühen NintendoLizenznehmer: Sunsoft Japanische Videospiele-Industrie um 2000 Nagoya Fukuoka Die Hauptstadt der Südinsel Kyūshū bringt zwei der produktivsten und wichtigsten PC-Spielehersteller hervor: den StrategieExperten System Soft (Daisenryaku) sowie die AdventureFirma Riverhill, deren Kreative 1998 Level 5 gründen und mit Professor Layton zu Weltruhm führen. 8 | RETRO GAMER 3/2014 Kakamigahara Sasebo Mit der Aufgabe von Tecnosoft Anfang des 21. Jahrhunderts verliert die 250.000-EinwohnerStadt am westlichen Zipfel Japans ihre einzig namhafte Spielfirma. Kobe Die Millionenstadt 30 km westlich von Osaka bleibt weitgehend studiofrei: Das kurzlebigste Konami-Studio KCEK arbeitet von 1998 bis 2002 an Castlevania- und MusikspielUmsetzungen. Die erst 1968 gegründete 150.000-EinwohnerStadt, ein bedeutender Luftwaffen-Stützpunkt und -Produktionsort, ist das Quartier des wohl wichtigsten 90er-JahreStart-ups außerhalb von Tokio: Nippon Ichi. Dessen Disgaea-Taktik-RPGs werden ab 2003 auch im Westen berühmt. Die viertgrößte Stadt Japans beherbergt den Augusta Golf- und Hydlide-RPG-Hersteller T&E Soft, (ab 2002: D Wonderland). Nachbarn sind die Nintendo-Abteilung des Harvest-MoonErfinders Natsume und von 1996 bis 2000 Konami Computer Entertainment Nagoya (KCEN). 1996 wird in Nagoya der Casual-Experte Digital Kids gegründet, heute ein Ubisoft-Studio. Sapporo Konami unterhält ab 1997 ein Studio in der Hauptstadt der Nordinsel und schluckt 2001 Hokkaidos einzig namhaften Spieleverlag, den PC-Engineund Bomberman-Erfinder Hudson. » Stars der Sprite- und Scrolling-Hochzeit: Die KonamiDeserteure Treasure inszenieren technisch brillante 16-BitAction wie Gunstar Heros fürs Mega Drive. Tokio Ab 1990 zentralisiert sich die japanische Spieleindustrie, alle Wege führen in die Hauptstadt. Da wären etwa die alteingesessenen Majors Sega, Sammy, Success, Taito, Data East, Jaleco, Tecmo, Mitchell und Spielzeugfirmen wie Bandai, Tomy und Takara. Oder erfolgreiche ComputersoftwareVerlage (Enix, Falcom, Pony Canyon, Ascii und deren Abspaltung Enterbrain) sowie innovative Mini-Publisher wie Game Arts und NCS. Aber auch unzählige kleine Firmen entstehen zwischen 1986 und 1999, etwa Imagineer, Naxat, Sting, Atlus und Idea Factory, der RPG-Spezialist From Software (Dark Souls 2) und die Sega-Tochter Spike. 1997 steigt die Medienfirma Marvelous durch Übernahme der Game-Studios von JVC ins Spielgeschäft ein und etabliert einen bis heute aktiven Crossplattform-Publisher. Im gleichen Jahr emanzipiert sich der NetzwerkPionier Dwango von seinen US-Eltern und wird als früher Handy-Spielhersteller zum heißesten Tokio-Start-up um die Jahrhundertwende. Vom Stadtplan verschwinden dagegen Automaten-Produzent Toaplan, der 1994 in Arcade-Labors wie Cave, Raizing und Takumi zerfällt, Naxat (Exitus: 2000), Compile (2003) und Seta (2004). Nach der Creative School von Human öffnen bis 2000 weitere GamedesignHochschulen, darunter die Tokyo Main School of Konami. Auch das wichtigste KonamiStudio, die Silent Hill- und Pro Evolution Soccer-Abteilung KCET, hat seinen Sitz in Tokio, ebenso Zweigstellen wie KCER (das „R“ steht für den Stadtteil Roppongi) und KonamiDeserteure wie Treasure. Yokohama Die Handelsmetropole und zweitgrößte Stadt Japans ist Sitz von Koei und des kleinen Arcade-Entwicklers Arc System Works, der mit Guilty Gear and BlazBlue ab 1995 auch als Publisher auftritt. Konami eröffnet 1997 ein Studio und 1999 die „Digital Arts“-Spieldesign-Schule in Yokohama. Im 21. Jahrhundert unterhält hier auch Wrestling-Entwickler Yuke’s ein Studio. D Von Winnie Forster ie dritte Dekade der japanischen Spieleindustrie stellt gleichzeitig die glorreichste dar. Bestimmt wird sie zunächst einmal von bahnbrechender Hardware. Die PC-Engine, die NEC 1987 auf den Markt bringt, und das Sega Mega Drive ein Jahr später bereiten den Boden für das letzte und erfolgreichste Spielgerät der 8und 16-Bit-Generation: Mit dem FamicomNachfolger Super Famicom (in Europa ab 1992 als Super Nintendo Entertainment System, SNES) veröffentlicht Nintendo Ende 1990 eine wahre Wunderkonsole. Das Super Famicom holt das Letzte aus der 80er-Jahre-Technik und -Ästhetik heraus, liefert ein paar neue Effekte und protzt mit einem exzellenten Joypad. Neben D-Pad und vier bunten Buttons hat der SNES-Controller erstmals zwei Schultertasten für die Zeigefinger. Die CPU ist ein aufgepimpter C64-Nachfahre, die Grafiktechnik dagegen 16-Bit und der Soundchip eine potente Maßanfertigung des Audio-Spezialisten Sony. Mehr Farben, mehr Sprites, mehr Soundkanäle und ein Grafikmodus nur zur Bitmap-Skalierung: Trotz lahmer CPU begeistert das SNES die japanischen Entwickler. Dank bewährter Famicom-Marken wie Super Mario, Zelda, Gradius und Contra, Final Fantasy und Dragon Quest erobert das Super Famicom sein Heimatland im Sturm. Am Tag des Verkaufsstarts schließen die Warenhäuser in Tokio wegen Überfüllung, 300.000 ausgelieferte Geräte verdunsten binnen 12 Stunden, mehr als eine Million Bestellungen bleiben anfänglich unerfüllt. Anfang 1992 sind in Japan 5 Millionen, Anfang 1994 schon 12 Millionen SuperFamicom-Geräte im Einsatz. Im Westen hat es Nintendo etwas schwerer und setzt sich mit dem SNES erst nach hartem Kampf gegen das Sega Mega Drive als Plattform Nummer eins durch. Die letzten Modulkonsolen Super Famicom und Mega Drive markieren Reife und Höhepunkt des 2D-Bitmap-Zeitalters und zeigen deutlich die Dominanz japanischer Pixel-Künstler, wenn es um Sprites und Scrolling geht. Zwischen 1990 und 1994 entstehen die besten 2D-Jump-and-runs (Super Mario World, 16-Bit-Castlevania, » Nintendo macht das Super Famicom (links) durch „Satellaview“-Anbindung und Flash-Speicher, das N64 mit „Randnet“ und Wechselmedien zur Entertainment-Zentrale – aber nur in Japan. RETRO GAMER 3/2014 | 9 » Ein digitaler Dino ist das Erste, was auf Sonys „PlayStation X“ zu sehen war: als interne, echtzeitberechnete Grafik-Demo. Ab den 1980ern wandelt sich Sony vom Elektronikbauer zum globalen Entertainment-Giganten, steigt in Hollywood und in den Videospielmarkt ein. Sony Music, Epic und CBS produzieren Computersoftware und sind frühe Nintendo-Lizenznehmer. 1990 liefert Sony-Ingenieur Ken Kutaragi den Soundchip für die SNES-Konsole und macht sich daran, ein Nintendokompatibles CD-ROM-Gerät zu entwickeln. Bevor’s dazu kommt, zerbricht die Partnerschaft: Statt eine gemeinsame Konsole zu produzieren, werden Sony und Nintendo Rivalen. Durch Unterstützung japanischer und westlicher Spieleverlage und durch geschickte Studio-Übernahmen (in Europa etwa Psygnosis) wird Sonys PlayStation zum weltweiten Marktführer der späten 90er und des frühen 21. Jahrhunderts. Sony Electronic Entertainment (SCE) emanzipiert sich von Sony Music zur eigenständigen Konzernsäule und erhält 2008 auch die Kontrolle über Sony Online Entertainment (SOE). Die letzten zehn Jahre verlaufen holprig für SCE und den Gesamtkonzern. Eine überteuerte PlayStation 3 verliert die Games-Marktführerschaft, die sich Nintendo mit Wii zurückholt; ebenso scheitern alle HandheldVersuche gegen DS und iOS. Megaman X), grandiose Seitwärts-Scroller (Musha Aleste, Raiden, Thunderforce III und IV, Gynoug, Last Resort, Viewpoint …), märchenhafte Action-Adventures, epische Fantasy-RPGs und ausgebuffte MultiplayerSporttitel. Mit dem Geniestreich Super Mario Kart startet Shigeru Miyamoto das Genre der Fun Racer, mit dem 24-MBitKoloss Final Fantasy VI schafft Square 1994 den krönenden Modulabschluss und das vielleicht bis heute beste Spiel der Serie – beide Titel gibt’s exklusiv fürs SNES. Obwohl in Japan auf verlorenem Posten kämpfend, aktiviert Sega alle Ressourcen, um die Nintendo-Marktherrschaft zu brechen, kooperiert mit Disney fürs hübsche Castle of Illusion und erfindet mit Sonic the Hedgehog einen Hüpfspielhelden, der dreimal so schnell ist wie Mario. Auch in anderen Genres will Sega an der Nintendo-Dominanz kratzen: Mit Ken Naito, seit DragonQuest III ein Star der japanischen Szene, programmiert Segas Sonic-Team den smarten Dungeon-Crawler Shining in the Darkness und die Taktik-RPGs Shining Force. Doch das hilft alles nichts: In seinem Heimatland bleibt das Mega Drive ein kleines Licht, trotz technischer Innovationen wie Modem (nur Japan, ab 1991), CD-ROM-Laufwerk (1993 in Europa) und 32-Bit-Upgrade 32X, das 1995 in den Westen kommt. Technik-Genies und Pixel-Künstler » Totgeglaubte leben länger: Der Überraschungserfolg Pokémon vernetzt die jüngste Generation der Rollenspieler und beschert dem Game-Boy ein Revival – ab 1996 in Japan, dann weltweit! Von wenigen Ausnahmen wie Miyamoto, Naito,Yuji Horii (Enix) und Hironobu Sakaguchi (Square) abgesehen, besteht das große Heer der Techniker und Kreativen der japanischen Game-Industrie aus kleinen Nummern und Unbekannten, die selbst in den Credits der eigenen Spiele nur als Pseudonyme auftauchen. Das ändert sich mit dem Durchbruch der 16-Bit-Konsolen: In der ersten Hälfte der 90er Jahre emanzipieren sich viele Teams von ihren Arbeitgebern, den in den ersten beiden Folgen unserer » Obwohl japanische Entwickler hervorragende 3D-Spiele schaffen (hier Heavenly Symphony, Mega CD, 1994), hat SegaHardware in ihrer Heimat keine Chance gegen Nintendo und Sony. 10 | RETRO GAMER 3/2014 » Über die erste Hälfte der 90er Jahre ist das SuperNES die erfolgreichste Plattform: Mit englischer Hilfe hebt Nintendo 1993 in den Polygon-Weltraum ab (Starfox). Serie porträtierten Majors. Neue, unabhängige Entwicklungsstudios schießen aus dem Boden. So gründet Naito 1990 sein Software-Labor Climax, dessen Logo ein paar Jahre lang Garant für hochwertigen Spielspaß ist. Als technisch noch versierter gilt zu dieser Zeit ein Studio ehemaliger Konami-Programmierer: 1993 schockt Trea sure die 16-Bit-Fans mit der Partikel-sprühenden Duo-Ballerei Gunstar Heroes und bringt das Mega Drive später mit Dynamite Headdy und Alien Soldier zum Kochen. Leider kommen einige Treasure-Meisterwerke nicht in den Westen, etwa die Anime-Umsetzung Yuyu Hakusho (1994), eine schlaue Multitap-Klopperei für vier. Die 3D- und RISC-Revolution Während der Mainstream der japanischen Industrie die Bitmap- und Sprite-Spiele zur Reife bringt, haben technisch progressive Firmen wie Namco längst begriffen, dass die zweite Hälfte der 90er den 3D-Polygonen gehört. Sowohl Sega als auch Nintendo kooperieren mit westlichen Chip-Firmen und Simulations-Spezialisten, um ihr Know-how zu stärken. Nintendo wendet sich an die englischen 3D-Pioniere Argonaut (bekannt durch Starglider für ST und Amiga), um den Polygon-Shooter Starfox (im Westen: Starwing) zu inszenieren und das SNES durch einen RISC-Chip aufzurüsten. Rare darf für Nintendo alte Affen mit 3D-Renderings zu neuem Leben erwecken (Donkey Kong Country ab 1994). Und den US-WorkstationMarktführer Silicon Graphics (SGI) beauftragt der Konzern damit, eine RISC-Wunderkonsole mit dem Codenamen „Ultra64“ (das spätere N64) zu entwickeln. Erzrivale Sega wiederum arbeitet mit dem amerikanischen NASA-Zulieferer General Electric Aerospace zusammen, um die revolutionäre Model-1-Hardware für Virtua Racing zu schaffen. Und mit dem Luft-und Raumfahrtkonzern Lockheed Martin kooperiert Sega später im Bestreben, die MADE IN JAPAN–- der Game-Gipfel » Mit audiovisuell exzentrischen PlayStation-Spielen wie VibRibbon (1999) surft Masaya Matsuura auf der Gamedesign-New-Wave ins 21. Jahrhundert. Arcade-Technik mit Texture Mapping zum legendären Model 2 zu verbessern. Dass in Japan bereits jetzt das Zeitalter der Netzwerkspiele, der KreativAnwendungen, ja in gewissem Sinne sogar der sozialen Medien anbricht, bekommen wir im Westen kaum mit: Nintendo stellt in Warenhäusern Download-Automaten auf und funkt ab 1995 über einen eigenen Satelliten Spiele und News, Wettbewerbe und Support in japanische Haushalte. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts, die Marktführerschaft geht gerade an Sony verloren, versucht es Nintendo mit MultimediaZubehör für die N64-Konsole, mit dem beschreibbaren Wechselmedium 64DD, der Anbindung an den gebührenpflichtigen Online-Dienst Randnet und einem in England entwickelten Kreativ-Programm. Das ganze Zubehör verschiebt sich jedoch um mehrere Jahre und verlässt Japan nicht. Ebenso bleibt das Phänomen der „PrintClub“-Kabinen auf Fernost beschränkt (siehe Atlus-Kasten), das ab Ende 1995 vor allem Mädchen und junge Familien anspricht. Auch tragbare Telefone werden in Japan viel früher als im Westen zu Spielgeräten: 1999 startet das ehemalige Monopolist NTT seinen iMode-Dienst, der neben Service und Internet-Shopping auch Spiele aufs Handy bringt, ab 2001 funken die ersten iMode-Smartphones. Mehr zu Java und Co. werden wir in der letzten und abschließenden Japan-Episode berichten. CD-ROM-Millionenseller Die neben 3D-Beschleunigung beherrschende Technik der zweiten 1990er-Hälfte ist der optische Datenträger CD-ROM, der auch in Japan zu einer Ablösung in Sachen Marktführerschaft führt: Da sich Nintendo der Speicherrevolution verschließt und mit der Absage an eine CD-Konsole den Partner Sony verprellt, macht sich dieser auf dem Videospielmarkt selbstständig und fordert Nintendo mit der PlayStation heraus. Sonys Technik ist gut (da mit RISC-Chips auf 3D Der 1950 gegründete Spielzeug- und Trickfilm-Konzern hält mit Gundam, Ultraman und Dragon Ball, später auch Sailor Moon, Power Rangers und Hello Kitty die heißesten Kindermarken Japans. Als Lizenzgeber und Hersteller steigen Bandai und Töchter wie Yanoman, Banpresto, Yutaka und Bec Mitte der 80er Jahre ins Videospielgeschäft ein, ohne nennenswerten Erfolg außerhalb Japans. Als 1996 Bandais Konsolen-Versuch (mit Apples „Pippin“-Hardware) scheitert, munkeln Insider vom bevorstehenden Zusammenschluss mit Sega. Der Spielzeug-Major bläst die Fusion aber im letzten Moment ab, weil er dank Tamagotchi-Fieber plötzlich viel mehr wert ist als der Konsolenhersteller. 2003 ist Bandai die viertgrößte Videospielfirma Japans (nach Nintendo, Square-Enix und Konami) und stellt die Produktion des Game-Boy-Konkurrenten Wonderswan nach vier erfolglosen Jahren ein. Ende 2004 gründet der Konzern mit Ex-Sega-Produzent Tetsuya Mizuguchi das Casual-Label QB. Ein Jahr später macht sich Bandai mit der Übernahme von Namco zum größten Game-Publisher Japans. Heute sind die Hauptumsatzbringer von Namco-Bandai (NBGI) Dragonball Z, One Piece und Naruto für PS, 3DS & Co. Spielerisch hochwertig, aber viel zu selten auf westlichen Geräten, sind Banprestos Super Robotwars-Spiele (Rundenstrategie im Weltraum). und Texture Mapping ausgelegt), ebenso die Vermarktungs- und Third-Party-Strategie: Schon im Vorfeld schwört Sony langjährige Nintendo-Partner wie Namco, Konami, Capcom (die alle mit den hohen Modulkosten hadern und nach einer Alternative zum Nintendo-Diktat suchen) auf die PlayStation ein. So wird der sensationelle Starttitel Ridge Racer nicht Sonyintern, sondern von Namco entwickelt. Die Würfel gegen den Pionier Nintendo und zugunsten des Herausforderers fallen, als Square am 12. Januar 1996 die Seiten wechselt: Der siebte Teil der Final Fantasy-Serie erscheint nicht für Nintendos angekündigte Modulkiste Ultra64, sondern PlayStation-exklusiv. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil der RPG-Experte traditionell gewaltige Speichermengen benötigt. Auf drei CDs wird Final Fantasy VII 1997 ausgeliefert, die 750 MB Programmdaten sowie mehr als 1 GB Render-Videos enthalten. Da Square nicht pfuscht, sondern eine vorzügliche Symbiose aus traditionellem JRPG, Pixel-Charme und moderner Polygon-Animation liefert, wird der Wechsel von Nintendo zu Sony ein voller Erfolg, der alle kommerziellen Rekorde bricht: Mit fast 10 Millionen verkauften Einheiten ist Final Fantasy 7 bis heute der erfolgreichste Teil der Serie. Auch vom RPG-Blockbuster abgesehen mausert sich Square Ende der 90er zu einem der weltweit besten Videospielhersteller, mit starken 3D-Beat-em-ups (Tobal No.1, Bushido Blade, Ehrgeiz), grandioser Rundentaktik (Front Mission, Final Fantasy Tactics) und vielen experimentellen Action-RPG- und Action-Adventure-Ansätzen, beispielsweise Parasite Eve, Xenogears oder Vagrant Story (1999). Atlus wird 1986 gegründet und schon als Famicom-Lizenznehmer durch seine okkulten Digital Devil/Megami Tensei-Rollenspiele berühmtberüchtigt. In den 90ern produziert die Firma Automaten, Module und CDs für alle Plattformen, darunter Außenseiter (Sega Saturn) und Exoten (Virtual Boy). Ein Hit gelingt Atlus mit lustigen „Print-Club“-Automaten, in denen sich Schulmädchen, Cliquen und Familien ablichten und als bunt gerahmte Aufkleber drucken lassen. Die Fotokabinen spülen Mitte der 90er Jahre frisches Geld in die Atlus-Kasse und die Arcade-Branche. Nach dem Börsengang wächst Atlus bis 2005 auf 350 Angestellte, expandiert nach China und Singapur und liefert neben Shin Megami Tensei und Persona für alle Plattformen vom Handy bis zur Xbox. Dazu kommt ab und an ein originelles Unikat wie das tückische Story-Action-Puzzle Catherine (2011) oder das Multiplayer-RPG Dragon’s Crown (2013). Atlus vertreibt die Ballerspiele von Psykio und Cave (Don Pachi) und über die starke USNiederlassung viele englische PlayStation- und Nintendo-Umsetzungen anderer Hersteller. Vom Umbruch der japanischen Branche ab 2000 bleibt die Firma nicht verschont, sondern wechselt mehrmals den Besitzer, bis schließlich Sega-Sammy die Reste schluckt und Anfang 2014 einen Atlus-Neustart mit rund 120 Mitarbeitern verspricht. Veteranen im Jahr 2000 Betrachtet man die japanische Industrie und Szene bis dahin, fällt » PlayStation-Meisterwerke made in Japan legen den Grundstein für moderne VideospielGenres, von links: Resident Evil, Gran Turismo und Metal Gear Solid. RETRO GAMER 3/2014 | 11 » Das Videospiel wird modisch: In Spezialläden wie dem Ende der 90er Jahre in Tokio eröffneten „Entertainment Goods Store“ verkauft Namco T-Shirts, Kapuzenpullis und Accessoires. Die „Shin-Nihon Kikaku Inc“ wird 1978, noch in tiefster Pongund Breakout-Urzeit, gegründet und debütiert im Westen 1982 mit dem Ballerspiel Vanguard. International bekannt wird die Firma SNK erst nach 50 Automaten und Nintendo-Modulen durch die Veröffentlichung einer eigenen 16-Bit-Konsole: Mit dem prunkvollen Neo Geo (1990) hält sich SNK bis ins 21. Jahrhundert in einer Nische klassischer Sprite- und Bitmap-Action. Hilflos wirkt dagegen SNKs Versuch Ende der 90er, auf den CD-ROM-Zug aufzuspringen, mit billigeren, technisch schlappen Neo-GeoVarianten. Kurzlebig ist auch die Nachfolge-Plattform NeoGeo 64. Erfolg hat SNK mit seinen Duell-Prügelspiel-Marken Garou Densetsu (Fatal Fury), Samurai Shodown und King of Fighters, die auch nach der 3D-Revolution auf 2D-Pixel-Animation setzen, als Erben klassischer Street Fighter 2-Tugenden gelten und sich seit 1999 zu regelmäßigen SNK vs. Capcom-Crossovers mit ihren Vorbildern treffen. Die Mobilkonsole NeoGeo Pocket ist der Sargnagel des Unternehmens, das 2000 zerschlagen wird. 2003 als SNK Playmore wiedergegründet, produziert die Firma heute mit 200 Mitarbeitern Pachinkound Pachislot-Automaten sowie Samurai Spirits-, Metal Slug- und KoF-Updates für Windows, PlayStation und Xbox. » Für Sony läuft der ehemalige Nintendo-Partner Square zu Hochform auf und liefert ab 1995 einzigartige 3D-Action (oben Tobal No.1) oder 1997 gefällige Rundentaktik (Final Fantasy Tactics). » Frühe Dreamcast-Starttitel enttäuschen, geniale wie Shenmue (rechts) erscheinen viel zu spät (1999, im Westen 2000). 12 | RETRO GAMER 3/2014 ihre Stabilität und Konstanz auf. Ganz anders im Westen: Dort macht fast jeden Tag ein neuer Publisher auf und ein anderer dicht; 80er-Jahre-Größen wie Accolade, Micro prose, SSI und Mindscape, Ocean, US Gold, Elite und Gremlin verschwinden sang- und klanglos. Japans Software-Landschaft hingegen ändert sich 20 Jahre lang fast nicht. Japanische Spielehersteller sind langlebiger als englische oder amerikanische, namhafte Branchen-Konkurse sind zwischen 1980 und 2000 im Großraum Tokio kaum zu beklagen. Die 8- und 16-Bit-Marktführer sind auch die Majors zu Beginn des 21. Jahrhunderts; selbst schwächelnde Veteranen wie Taito oder Hudson halten beim Übertritt ins CDund DVD-Zeitalter noch mit. Die meisten der Firmen, die bis 1995 Famicom-, Game-Boy- und SNESModule produzieren und vermarkten, steigern ihr Produkt- und Entwicklungs-Niveau über die PlayStation-Jahre nochmals beträchtlich: Capcom verhilft 1996 den Zombies mit Biohazard (alias Resident Evil) zu einem bis heute anhaltenden Comeback und erfindet gleichzeitig das SurvivalHorror-Adventure. Konami begründet 1998 mit Metal Gear Solid das Schleich- und Spionage-Genre. Sony revolutioniert und reformiert 1997 mit Gran Turismo das 3DRennspiel. Zu diesen weltweiten Madein-Japan-Hits kommen Geheimtipps, die in Europa nur schwach oder gar nicht vermarktet werden, darunter die SF-Ballereien Einhänder (1997), Thunderforce V (1997) und R-Type Delta (1998). Auch Konamis unerreichte 2D-Fantasie Akumajoo Dracula X: Nocturne (Castlevania: Symphony of the Night, 1997) bleibt zunächst ein JapanRenner. » Ein letztes Mal setzt die Spielhalle den Trend, als Konami 1997 das Musik- und Rhythmus-Spiel erfindet und Beatmania eine neue Zielgruppe anlockt – junge Frauen und Mädchen. Niedergang der Spielhalle Um 1990 ist die Arcade-Branche noch Trendmotor, zehn Jahre später verfällt sie in einen beklagenswerten Zustand. Die letzten technischen Meilensteine gelingen der Spielhalle zu Beginn des 3D-Zeitalters mit revolutionären Polygon-Rennspielen wie Virtua Racing und Ridge Racer sowie den ersten 3D-Prügeleien Virtua Fighter und Tekken. Danach fahren Namco, Sega und Co. ihr Arcade-Engagement stark zurück und investieren lieber in CD- und DVD-Konsolen, Handhelds sowie das Internet. Ab dem Sega Dreamcast (1998), spätestens aber mit der PlayStation 2 (2000) hat Heim-Hardware den technischen Vorsprung der Automaten eingeholt – die Zeiten, in denen es die beste Grafik und die modernste Action in der Spielhalle gab, sind vorbei. Dafür ist mit den jüngsten Heimkonsolen nun der alte Videospieltraum von Optik und Sound „wie im Kino“ zum Greifen nah. Doch ausgerechnet jetzt, wo moderne Hardware der Kreativität der Spieldesigner kaum noch Grenzen setzt und fotorealistische Spielewelten greifbar erscheinen, setzt eine gegenläufige Bewegung unter japanischen Designern ein. Während die meisten US- und Euro-Entwickler die RISCMöglichkeiten durch immer realistischere Objekte und Abläufe ausreizen, bleiben einige Spielerfinder in Japan nun stehen und hinterfragen das bisher Erreichte und den technischen Stand der Dinge. Zu nachdenklichen Altmeistern wie Shigeru Miyamoto oder Hideo Kojima gesellen sich junge Wilde wie Tetsuya Mizuguchi bei Sega oder Sonys Masaya Matsuura, der sich 1996 mit dem kalifornischen Künstler Rodney Greenblat zusammentut. Die bei- MADE IN JAPAN–- der Game-Gipfel den schreiben das ulkige PlayStation-Rhythmusspiel Parappa the Rapper, das mit einem alternativen, völlig unrealistischen Grafikstil, reduzierter Steuerung und friedlicher Aufgabenstellung überrascht. Matsuuras Abkehr vom Technik- und Render-Wahnsinn und seine Hinwendung zu ziviler, familienfreundlicher Action ist weitsichtig. Die US-Forscherin Dr. Katherine Isbister bemerkt 2009: „Die Spielwelt ist so fröhlich, erhebend, positiv und gewaltfrei – eine sonnige Kleinstadt. Mit Parappas Herausforderungen kann ich mich identifizieren, verstehe sofort, was zu tun ist.“ Die Spieltheoretikerin lobt die „vertrauten Aktivitäten“ von Parappa the Rapper und den „Raum für Meisterschaft und persönlichen Ausdruck: Singen wollte ich schon immer! Oder eine Führerscheinprüfung machen, jemanden bekochen …“ Der Ansatz „Küche statt Schlachtfeld“ verfehlt damals noch den Mainstream, verweist aber direkt in die Casual-Zukunft des 21. Jahrhunderts. Der japanische New Wave Wie Matsuura verwirft die Arcade-Abteilung von Konami audiovisuellen Realismus und Hardcore-Gameplay und schafft 1997 mit der DJ-Simulation Beatmania ein visuell und spielerisch reduziertes Vergnügen, das erst im Großraum Tokio, im 21. Jahrhundert dann auch im Westen zu einem Musik- und Rhythmusspiel-Boom führt. Nur ein paar bunte Symbole scrollen in „Bemani“-Spielen wie DanceDanceRevolution, Pop’n Music und Guitar Freaks über den Bildschirm, die der Spieler auf Buttons oder Spezialcontroller nachspielt oder -tanzt. Die Spiele der BemaniMarke haben Tracks statt Levels, die man mit Instrument-Samples erweitert, brechen mit Game-Traditionen, ignorieren HollywoodTrends und pfeifen auf Fantasy-Klischees. Das Musik- und Tanzspiel wird damit der wichtigste Impulsgeber für eine Gamedesign-Strömung, die auch trendbewusste Jugendliche, Erwachsene und sogar junge Frauen erreicht, denen traditionelle Videospiele zu technisch und kompliziert sind. Neben der grafischen Abstraktion und dem Rhythmus ist die Hinwendung zu einer neuen Zielgruppe – dem Casual-Mainstream – das Kennzeichen des japanischen VideospielNew-Waves ab Ende der 90er. Ebenfalls weg von Gewalt-Action und visuellem Realismus möchte Tetsuya Mizuguchi. Der Yu-Suzuki-Schüler persifliert 1995 mit seinem Dreamcast-Titel Space Channel 5 klassische Ballermechaniken und lässt die Heldin Ula im Minirock gegen Außerirdische grooven. Während die Kollegen dem Rausch der 3D-Chips erliegen und immer komplexere Welten ertüfteln, inszeniert der 34-Jährige ein bewusst simples Vergnügen, friedlich, schwungvoll und modisch. Noch reduzierter und origineller ist im selben Jahr Matsuuras zweites PlayStation-Spiel: Vib Ribbon generiert seine Levels aus Audio-Tracks und kehrt zu den ästhetischen Anfängen des Videospiels zurück, mit monochromen Strichlandschaften und Vektor-Männchen. Nach diesen Experimenten erscheint 2000 das ausgewachsene Musik- und » Nach fast zehn Jahren als Sega-Maskottchen erhält Sonic kurz vor der Jahrtausendwende ein kraftvolles 3D-Update: Sonic Adventure » Shigeru Miyamoto haucht Zelda 2002 durch „nicht-realistisches Shading“ neues Leben ein – ein klassisches Action-Adventure im frischen Look. » Traditionelle Sega-Action verbindet Tetsuya Mizuguchi mit Rhythmus, Retro-Chic und etwas Erotik: Space Channel 5 (1999). » „Quicktime Events“ und RhythmusSpiele halten Einzug in Core Games: In Nintendos Gamecube-Zelda schwingen wir 2002 den Dirigentenstab, um den Windgott gnädig zu stimmen. » Im Rausch der Farben und Formen: Mit Rez für Dreamcast und PS2 bringt Sega ForceFeedback-Vibrationen, Synästhesie und „Flow“ ins Spiel. New-Wave-Epos Jet Set Radio, das durch die Kombination frischer Spielelemente und einen radikalen Grafikstil hervorsticht: Die futuristische Großstadt, in der sich sprayende Jet-Skater mit Gangs und Gesetzeshütern Verfolgungsjagden liefern, ist 3D-modelliert, aber nicht mit realistischen Texturen, sondern einfarbigen Flächen belegt. Das wirkt ein bisschen wie ein animierter Comic oder ein interaktiver Zeichentrickfilm und wird deshalb „Cel Shading“ genannt. Von den BemaniSpielen schaut sich Jet Set Radio die „Quick Time“-Manöver ab: Gelbe Pfeile geben Schwung des 3D-Sticks vor, mit denen der Spieler seine Graffitti-Tags auf die Wand legt. Der korrekte Rhythmus erzeugt einen Flow, wie im Musikspiel. Spiel oder Kunst? Space Channel 5, VibRibbon, Jet Set Radio: Die japanischen New-Wave-Titel wollen keine neuen Genres begründen, sondern bestehende Spieletypen – Geschicklichkeit und Puzzle, Action und Action-Adventure – überdenken und modernisieren, variieren und kombinieren. Die neue Welle ist dabei kein alles verneinender Punk, sondern zeigt Respekt vor alten Meistern und würdigt längst aufgegebene, alternative Grafikstile, bringt Vektoren und blanke Polygone, Strichmännchen, 2D-Silhouetten und Scherenschnitt-Animationen auf den Bildschirm. Um 2000 experimentieren japanische Gamedesigner mit Tusche, Kreide und Aquarell, verzichten gerne auf einige oder gar alle Farben. In Tetsuya Mizuguchis Rez rast der Spieler 2001 durch eine Drahtgitter- und Vieleck-Welt; sein Flug modifiziert einen treibenden Trance- und Techno-Soundtrack. Visuell verbeugt sich Mizuguchi vor der grafischen Prägnanz klassischer Videospiele und widmet die Dreamcast-Entwicklung Wassily Kandinsky (1866–1944), dem Vordenker der Synästhesie moderner Medien. Sein Rez ist Musik zum Sehen und Farbe, die man hören kann – ein Vorbild für das HDSpieldesign des 21. Jahrhunderts. Eben jenes werden wir im vierten und letzten Teil von Made in Japan erreichen, in Retro Gamer 4/2014. Die 1985 gegründete Firma Seta nennen wir als Beispiel für ein nur in Japan erfolgreiches Unternehmen, das sich als früher Nintendo-Lizenznehmer mit Umsetzungen asiatischer Brettspiele profiliert, statt nach dem Weltmarkt zu greifen. Seta startet mit einer Shogi-Simulation fürs Famicom und bringt 1987 die Super Real Mahjong-Serie in die Arcades. Von europäischen Spielern kaum bemerkt, produziert Seta in den 90ern zig Action- und Baller-, Race- und Sportspiele für NES, Game Boy und SNES (darunter Exhaust Heat, Nosferatu und Desert Fighter). Schwerpunkt bleiben aber erwachsene Brettspiel-Simulationen, mit Mahjong und Morita Shogi für alle Plattformen, vom Mac bis zur PlayStation. 1996 baut Seta zusammen mit dem Shogi-Verband das „Japanese Shogi Network“ auf und liefert als Mitglied des N64-Dreamteams ein Shogi-Modul mit eingebautem Modem. 1998 überrascht Seta mit einem N64-Tetris, dem ein „Bio Sensor“ fürs Ohrläppchen beiliegt! Die N64-nahe Arcade-Hardware AleC64, auf der unter anderem Hudsons Star Soldier-Remake läuft, ist das letzte Großprojekt der Firma. 1999 wird sie vom Mitbewerber Aruze geschluckt, geschrumpft und zehn Jahre später ganz aufgegeben. Hardware-Aufnahmen und Fotos: www.gameplan.de RETRO GAMER 3/2014 | 13 16 | RETRO GAMER 3/2014 R-Type Delta » retro-revival Baller-Comeback des Jahrzehnts » Publisher: Irem » Erschienen: 1998 » Hardware: Playstation Von Winnie Forster Grandiose SF-Shooter, vertikal, horizontal oder in alle Richtungen scrollend, erleben wir viele in den 8- und 16-Bit-Jahren, in der Spielhalle, auf Konsole und Computer. Mit dem PlayStation-Siegeszug dünnt das Genre der Sprite- und Pixel-Ballereien dann jedoch aus, die großen Shoot-em-up-Namen verblassen und verschwinden. Als 3D-Action den klassischen 2D-Scroller killt, finden wir Fans uns damit ab – und erleben eine donnernde Überraschung kurz vor der Jahrtausendwende! Vor 30 Jahren bilden Shoot-em-ups die Königsdisziplin des Videospiels, die halbe Welt hängt ballernd am Joystick. 1987 schickt uns der kleine japanische Arcade-Herstellers Irem im R-Type-Raumschiff gegen die Alien-Staffeln und Verteidigungsanlagen der Bydo-Galaxie. Mit Parallax-Scrolling und plastischen Explosionen, feinen Farbverläufen auf allen metallischen Flächen und organischen Strukturen in späten Levels, mit marschierenden Mechs und ekligen Weltrauminsekten ragt R-Type weit aus der ActionMasse heraus. Genial wie die Optik ist das Spiel- und Leveldesign, ein Feuerwerk frischer Ideen: Hält man den Feuerknopf gedrückt, sammelt die Bordkanone sicht- und hörbar Energie für einen alles zerschmetternden Beam-Schuss. Dazu kommen ausgefeilte Extrawaffen, Fire-and-forget-Raketen, reflektierende Laser und vor allem ein semi-intelligenter Satellit, der sich aufrüsten lässt und angekoppelt als Schild oder losgelassen als bissige Angriffswaffe dient. Weltweit kopieren es begabte Programmierer (in Deutschland Factor 5 und Manfred Trenz mit ihren Gesellenstücken), doch weder sie noch Irems offizielle Fortsetzungen (1989, 1992, 1994) erreichen die Dramatik und Pixelpräzision des Originals. Diese Tatsache (und den traurigen Niedergang des HorizontalscrollGenres im 3D-Zeitalter) haben Spieler im Kopf, als Irem vier Jahre nach dem letzten Lebenszeichen mit einem R-Type-Update überrascht: Klassisch scrollend, aber um die 3D-FX der 32-Bit-PlayStation aufgepeppt. Berauschend klingt das Konzept von R-Type Delta nicht, eher wie ein Kandidat in der langen Reihe missglückter Remakes und Modernisierungversuche. Ein perfektes Meisterwerk lässt sich auch mit der stärkeren Technik späterer Dekaden nicht noch besser machen – das haben Spieler längst begriffen. R-Type Delta glänzt als Ausnahme zur „Vergiss Remakes!“-Regel: Gut ausbalanciert, spannend und schwer wie alle früheren Episoden der Serie, hebt das PlayStation-Original die Serie auf den nächsten Level: Die Polygon-Power der Sony-Konsole nützt Irem nicht für 3D-Grafik, sondern um klassischer Von-der-Seite-Action mehr Dynamik und Tempo einzuhauchen. Außerirdische Sprites jeder Größenordnung, realistisch zerfallende Gebäude und berstende Maschinen, Partikel- und Transparenzeffekte, Drehungen der gesamten Landschaft – Shooter-Tradition profitiert von jüngster RISC-Technik! Alle Ur-Elemente von R-Type finden sich sensibel und sinnvoll erweitert. Der Beam-Schuss ist zweistufig. Speed-up-Extras gibt’s nicht mehr, stattdessen regulieren Schultertasten die Flug- (nicht Scroll-)Geschwindigkeit. Wie im Original entlässt man seinen Satelliten per Knopfdruck, damit er sich selbstständig in feindliche Panzer und Geschütztürme frisst. Im Prinzip unverändert, ist der kleine Begleiter noch schlauer und fieser geworden: Im Angriff sammelt er Delta-Energie, die vom Spieler als Smart-Bomb gezündet wird – das Raum-Zeit-Kontinuum verbiegt sich, Vektor-Fächer wischen die Gegner vom Bildschirm! Zur Nonstop-Action, die ein gutes Auge, eiserne Nerven und immer auch taktischen Durchblick erfordert, rumpelt das Dualshock-Joypad, ein infernalischer Soundtrack, Sirenen und Implosionen dröhnen aus den Boxen. R-Type Delta ist wie die Vorgänger schwer bis zur Frustgrenze und so schnell, dass uns Hören und Sehen vergeht. Wer eine PS1, TV-Röhre und RGB-Kabel zur Hand hat, sollte R-Type Final und das Xbox-R-Type Dimensions liegen lassen und sich auf eBay nach dem Irem-Oldie umsehen. Doch Vorsicht: Auch 15 Jahre nach dem Spielstart kommt man kaum über den 5. Level hinaus! R-Type Delta bleibt ein Höllentrip – und mein Geheimtipp für hochkonzentrierte Baller-Sessions. RETRO GAMER 3/2014 | 17 karate-kin g Galaxy pinball-wizard sommer-olympia de hagar - der sch rec klic he grandmaster space-pilot emerald mine Die firmen- archive retro gamer GRÄBT DIE AKTEN BEKANNTER ALTER FIRMEN AUS. Kingsoft SOFORT-EXPERTE Eine deutsche Geschichte mit McJob, Schach-Großmeister, Aldi-Computer und Wikinger-Lizenz: Heinrich Lenhardt erinnert sich im Gespräch mit Firmengründer Fritz Schäfer an den Spiele-Pionier Kingsoft. D er Spielekönig von Deutschland residierte bescheiden in einem gewöhnlichen Einfamilienhaus im Dunstkreis von Aachen: Mit Kassetten, Zettelkasten und Mama am Telefon wurde Familie Schäfer Anfang der 80er zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Computerspieler und Hobby-Programmierer. Als Student Fritz sein auf dem PET gebasteltes Schachprogramm für den VC-20 umsetzte, der hochauflösende Grafik zum Schnäppchenpreis von 900 Mark versprach, schaltet er 1982 erste Anzeigen im Fachmagazin CHIP. Damit gewann er nicht nur Schachspieler als Kunden, sondern lockte auch andere deutsche Programmierer an, die ihre Werke veröffentlichen wollten. Mit wenig Kapital, aber viel Marktnischengespür wurde King soft zu einem der führenden deutschen Computerspiele-Händler und -Publisher während der Commodore-Ära. Auf den Computer kam KingsoftGründer Fritz Schäfer eher zufällig. Anfang 18 | RETRO GAMER 3/2014 der 80er Jahre jobbte er neben dem Elektrotechnik-Studium bei McDonald’s in Aachen. Die Buletten-Beschäftigung sollte weitreichende Folgen haben: Zum einen arbeitete hier auch ein Schichtleiter, der später zum aufstrebenden Aachener Elektronikhändler Vero GmbH wechselte – aus dieser Firma wurde schließlich der Computerriese Vobis. Zum anderen verdiente sich Fritz bei McDonald’s die D-Mark, mit denen er 1978 einen leicht gebrauchten Commodore-PET- Von Heinrich Lenhardt 2001-Computer erstand – auch wenn er zunächst noch nicht so recht wusste, was er damit anfangen sollte: „Der Verkäufer war ein bisschen in Geldnot und hatte mir den PET ziemlich günstig angeboten. Da dachte ich mir, dass ich den Computer auch ohne Verlust wiederverkaufen könnte. Aber dann bin ich an dem Gerät hängen geblieben“. Fritz begann mit kleinen BASICSpielchen zu experimentieren und brachte sich schließlich Programmierung in Assem- » Boss wurde ab 1982 im Direktversand verkauft und später in Grandmaster umgetauft. Nach der PET-Version folgten Umsetzungen für VC-20, C16 und C64. Kingsoft wurde 1982 als GmbH gegründet, um Fritz Schäfers Schachprogramm Boss (später: Grandmaster) per Postversand zu verkaufen. Versandhändler und Pub lisher: Kingsoft war in der entstehenden deutschen Computerspiele-Landschaft der frühen 80er Jahre eine der ersten Anlaufstellen für Hobby-Programmierer. Mit eingekauften Titeln wie Time-Pilot oder Bongo etablierte sich die Wohnzimmer-Firma in der CommodoreSzene. Entliehene Spielideen bestimmten den Kingsoft-Katalog. Mehr oder weniger geschickt wurden beliebte Konzepte aufgegriffen und für Plattformen adaptiert, denen es am jeweiligen Spieletyp noch mangelte. So kamen Amiga-Besitzer mit Emerald Mine in den Genuss eines besseren Boulder Dash, und C16-Käufer wurden mit dem sehr guten Winter-GamesRemix Winter-Olympiade bedacht. Der erste Aldi-Computer sorgte 1986 für Rückenwind: Im 149 Mark teuren „Programmierkurs“-Paket lag neben einem C16-Computer von Commodore auch ein Kingsoft-Prospekt bei. Im selben Jahr erschien das preisgekrönte Winter-Olympiade für C16. Das Ende als Entwickler folgte im Jahr 1993, um die Entwicklung kümmerte sich nun die neu gegründete Ikarion Software GmbH. Kingsoft wurde eine reine Vertriebsfirma und 1995 von Electronic Arts übernommen. de Winter-Olympia » Vobis-Gründer Theo Lieven drängte Schäfer dazu, den Schach-Großmeister mit dem VC-20 herauszufordern. « bler bei. Ein anderes Hobby löste eine Idee aus, welche später das Fundament für die Kingsoft-Gründung legte: „Schach war damals ein Thema. Ich war ein interessierter Gelegenheitsspieler und hätte vielleicht sogar ziemlich gut werden können. Aber der örtliche Schachclub traf sich immer sonntags um 10 Uhr morgens. Komischerweise ist da mein Interesse eingeschlafen.“ Anfang der 80er Jahre boomte der Schachcomputer-Markt in Deutschland. Hunderte von Mark und sogar vierstellige Beträge wurden für Geräte gezahlt, die nichts anderes konnten, als menschliche Gegner mehr oder weniger kompetent matt zu setzen. Fritz Schäfer fand das Thema interessant: Warum nicht eine Software entwickeln, die den PET in einen Schachcomputer verwandelt? Er lernte einen weiteren Gleichgesinnten aus dem Raum Aachen kennen, und gemeinsam entwickelte man das Schach-Programm Boss. Bei dieser Hobby-Programmierei wäre es vielleicht geblieben, hätte Commodore nicht 1981 einen neuen Computer namens VC-20 veröffent- licht. Das für Heimanwender konzipierte Modell hatte den vertrauten 6502-Prozessor des PET und lockte obendrein mit „hochauflösender“ Farbgrafik: „Das war natürlich megainteressant“, erinnert sich Fritz, „Da wollte man einfach mal hübschere Schachfigürchen machen statt der PET-Klötzchen. Commodore hatte ein paar Spielmodule für den VC-20 veröffentlicht, aber noch kein Schachprogramm. Da dachte mir: ‚Ach, vieleicht will das ja jemand haben.‘ So kam dann langsam alles ins Rollen.“ Um den Schach-Boss unters VC20- und später auch C64-Volk zu bringen, gründete Fritz Schäfer 1982 die Firma King soft GmbH. Raum für Raum eroberte der Versandhandel das Elternhaus in Mulartshütte, einem Stadtteil des Aachener Vororts Roetgen. Mutter Schäfer bediente das Telefon, das „Datenbanksystem“ für die Bestellungsbearbeitung bestand aus Schuhkästen mit Zetteln. Das Schachprogramm wurde direkt an die Konsumenten verkauft, denn zu der Zeit gab es noch keine nennenswerten Händlervertriebsnetze für das neue Medium » Auf einem Commodore PET brachte sich Fritz Schäfer das Programmieren bei und bastelte an der ersten Version des Computerschachs Boss. Obiges Anzeigenmotiv stammt vom Aachener Händler Vero, der später unter dem Namen Vobis landesweit bekannt wurde. RETRO GAMER 3/2014 | 19 die firmen- archive Computerspiele. Die Boss-Nachfrage wuchs und zog weite Kreise, zu den Kunden zählte auch Computerpionier Konrad Zuse. Durch die McDonald’s-Connection war Fritz Schäfer mit dem Computerhändler Vobis in Kontakt gekommen. In dessen erster Filiale in Düsseldorf hatte er während der Weihnachtsferien gejobbt. In den Heimcomputer-Anfangsjahren eine durchaus strapaziöse Erfahrung, wie sich Fritz erinnert: „VC-20, TI-99/4A und auch schon der C64 wurden zu Weihnachten in großen Mengen verkauft. Dann kamen die Leute nach dem 2. Weihnachtsfeiertag, als ich Vertretung hatte, und wollten wissen, wie so ein Gerät überhaupt funktioniert. Es war recht abenteuerlich, was die Leute so alles reklamierten. Erst nach einer halben Stunde kamst du darauf, dass jemand sein Diskettenlaufwerk gar nicht mit dem Computer verbunden hatte und sich dann wunderte, dass es nicht funktionierte.“ Der Vobis-Kontakt blieb über die Jahre erhalten, Fritz Schäfer übersetzte für die Firma auch englische Computerhandbücher und half beim Standdienst auf Messen aus. Letztere Tätigkeit sorgte in Verbindung mit einem leichtsinnigen Schach-Großmeister für den großen Durchbruch seines Schachprogramms. 1982 war Fritz auf der Hobbytronic in Stuttgart am Vobis-Stand beschäftigt. Eine der Attraktionen der Messe war das Simultanduell des deutschen Großmeisters Theo Schuster mit mehreren Schachcomputern. Vobis-Gründer Theo Lieven drängte Schäfer dazu, doch mal kess zu fragen, ob er da mit seinem Boss mitspielen dürfte. Die Organisatoren hielten es für eine nette Idee, und so baute Fritz spontan einen VC-20 mit Fernseher auf – ein Schach-Underdog, der es nicht mit der Rechenkraft von Mephisto & Co. aufnehmen konnte. „Die richtigen Computer hat der Theo Schuster entsprechend ernst genommen und mühelos niedergemetzelt. Doch bei meinem Programm hat er einen besonders schneidigen Angriff geritten, der um Haaresbreite zum Matt geführt hätte.“ erinnert sich Fritz. Der Großmeister hatte sich dabei um eine Kleinigkeit verguckt, verlor ein paar Figuren und Boss überstand diesen Husarenangriff. Das Resultat: „Er hat netterweise aufgegeben. Wahrscheinlich wäre die Partie unentschieden ausgegangen, denn speziell im Endspiel waren wir noch ziemlich schwach. Aber so hatte ich ein Resultat, mit dem man jahrelang die Werbetrommel rühren konnte.“ Dem Großmeister-Schreck Boss stand nicht nur eine Umsetzung für den neuen Commodore 64 bevor, sondern auch eine Namensänderung. In Gesprächen mit britischen Vertriebspartnern bekam Fritz zu » Udo Gertz war ein sehr netter Kerl, der einiges drauf hatte. Ich habe ihn dann überredet, Spiele für den C16 zu machen. « FRITZ SCHÄFER hören, dass Boss im Englischen einen leicht negativen Beigeschmack hat und eher zur Bezeichnung von fiesen Vorgesetzten verwendet wird. Naheliegender neuer Name: Grandmaster. Das preiswerte Schachprogramm wurde international lizenziert und mit einer ordentlichen Verpackung versehen. Vor allem war es für Kingsoft die Grundlage, um rasch zum führenden deutschen SpielePublisher aufzusteigen. „Nach und nach meldeten sich auch andere Programmierer, die Spiele gemacht hatten“, berichtet Fritz Schäfer. 1983 veröffentlichte Kingsoft mit Henrik Wenings Galaga-Klon Galaxy den ersten eingesandten Titel. „Programmierer gesucht“: Kingsoft bemühte sich durch Anzeigen in Fachmagazinen um Einsendungen und wurde zu einer Hauptanlaufstelle für deutsche Spieleentwickler. „Das meiste, was da eingeschickt » Schnappschüsse der ersten Kingsoft-Stände auf Publikumsmessen wie der Hobbytronic 1984 und der Internationalen Funkausstellung 1985. timeline Fritz Schäfer erwirbt einen Commodore PET und bringt sich Assembler-Programmierung bei. 1978 1981 Gründung der Kingsoft GmbH. Boss wird für VC-20 umgesetzt und in Grandmaster umgetauft. 1982 Entstehung des Schachprogramm Boss auf einem Commodore PET 2001. 20 | RETRO GAMER 3/2014 1983 Kingsoft etabliert sich als Anbieter preiswerter KlonE von zeitgenössischen Arcade-Spielen (SpacePilot, Bongo, Zaga). 1984 Mit Galaxy für C64 beginnt Kingsoft mit der Veröffentlichung von Spielen externer Programmierer. 1986 Kingsoft veröffentlicht das wohl beste C16-Spiel, WinterOlympiade von Udo Gertz. 1986 Ein Kingsoft-Prospekt liegt dem ersten Aldi-Computer bei, rund 200.000 C16-„Programmier-Kurse“ werden für je 149 Mark verschleudert. 1987 Emerald Mine vom späteren Siedler-Schöpfer Volker Wertich wird ein AmigaHit. 1987 Kingsoft zieht in die ersten richtigen Büros um, Beginn des Vertriebsgeschäftsausbaus. 1993 Im letzten eigenständigen Kingsoft-Geschäftsjahr erzielen 20 Mitarbeiter rund 26 Millionen Mark Umsatz. 1994 Aufteilung von Entwicklung und Distribution: Kingsoft konzentriert sich aufs Vertriebsgeschäft, neue Spiele entstehen bei Ikarion Software.