Jetzt "zur privaten Nutzung" downloaden

Transcrição

Jetzt "zur privaten Nutzung" downloaden
RAHMEN SPEZIAL
IM REICH DE
Träumen Sie auch von einem neuen Rahmen? Gegen das böse Erwachen nach einem Fehlkauf stellt
Jahrgangs konkurrieren darum, Ihnen den Schlaf zu rauben. Plus: alles, was Sie in Sachen Gewicht,
36
TOUR 3/ 2007
ER TRÄUME
TOUR den größten und aufwändigsten Rahmen-Test aller Zeiten: 41 Top-Rahmen des aktuellen
Komfort, Steifigkeit wissen sollten, und welcher Rahmen am besten zu Ihnen passt
TOUR 3/ 2007
37
RAHMEN SPEZIAL
TEXT: MANUEL JEKEL
FOTOS: DANIEL KRAUS
D
ie Evolution im Rennradrahmenbau schreitet
rasant voran. Rahmen mit weniger als 1.000 Gramm,
Gabeln mit weniger als 300 Gramm – seit die Carbon-Welle mit dem wegweisenden „CR1“ von Scott vor drei
Jahren die Rennradszene voll erfasst hat, befinden sich die
Gewichtswerte anscheinend im freien Fall. 1.194 Gramm,
inklusive Gabel und Lenkkopflager, montagefertig und lackiert, wiegt das leichteste Rahmen-Set in diesem Test:
Storcks „Fascenario“. Eine Zahl, die selbst erfahrene TOURRedakteure staunen lässt.
KURZ & KNAPP
Und das ist nicht alles.
41 Rennrad-Rahmen im
Während die meisten Angrößten TOUR-Test aller
bieter weiterhin im LeichtZeiten – sind fast ebenso
bau ihr Haupt-Entwicklungsziel sehen, suchen
viele Ideen davon, wie ein
ei n ige Konst r ukteure
zeitgemäßes Rennrad ausneue Herausforderungen.
sehen kann. Nie war es so
Wie viel Federungskomleicht, für seine individuelfort lässt sich an einem
len Vorlieben den passenRennrad-Rahmen innerden Rahmen zu finden. Carhalb der engen Grenzen
bon, clever konstruiert,
erzielen, die der Radsportmarkiert die technische
weltverband UCI setzt?
Spitze und Specialized beMit dieser Ausgangsfrage
weist, dass damit auch
begaben sich zum Beispiel
Komfort am Rahmen mögdie Ingenieure bei Specialich ist. Die Entwicklung
lized an die Entwicklung
von Alu-Rahmen stagniert
ihres Carbonrahmens „Sauf hohem Niveau.
Works Roubaix“. Um die
Antwort kurz vorwegzunehmen: eine ganze Menge, sofern
die Möglichkeiten von Carbon genutzt werden.
DEM KOMFORT AUF DER SPUR
Wo die Entwicklung immer weitergeht, darf die Messtechnik nicht stehen bleiben. Um Konstruktionen wie das
„Roubaix“ angemessen bewerten zu können, haben wir
einen Prüfstand wiederbelebt und weiterentwickelt,
mit dem TOUR schon 1994 die vertikale Elastizität von
Rennradrahmen untersucht hat. Weil damals bei herkömmlichen Diamantrahmen aus Metallrohren nur unbedeutende Unterschiede messbar waren, wurde dieser Test zwischenzeitlich eingestellt. Ab jetzt ist die Komfortmessung
am Rahmen jedoch wieder Teil des TOUR-Tests (mehr auf
Seite 46/48 und ab Seite 72). Ebenfalls neu: Um die Kraftübertragung noch realitätsnäher abbilden zu können, haben
wir einen neuen Standardtest entwickelt, um die Tretlagersteifigkeit zu messen. Die Kraft wird nun direkt am Pedal
eingeleitet, wo sie auch in der Fahrpraxis ansetzt (mehr ab
Seite 72). Mit der Erweiterung des Testprogamms um die
Komfortmessung am Rahmen ändert sich auch die Gewichtung der einzelnen Wertungskategorien. Um die Lesbarkeit
und Transparenz der immer komplexeren Testergebnisse
zu verbessern, orientiert sich das neue Bewertungssystem
an Schulnoten (sehr gut bis mangelhaft) und ersetzt die bisherige Punktwertung.
So viele Änderungen auf einen Schlag gab es seit Einführung des TOUR-Messverfahrens 1994 nicht. Um das neue
40
TOUR 3/ 2007
Die neue Nummer eins: Die
Formensprache von Storcks
„Fascenario“ ist klar und
reduziert, die technischen
Werte erregen umso mehr
Aufsehen: 1.194 Gramm für
das Rahmen-Set mit Lenklager und der bewährten,
bei THM in SchleswigHolstein gefertigen
Stiletto- Gabel
Top-Ten Gesamtergebnis
Niveau unserer Prüftechnik angemessen zu „feiern“, haben
wir uns einen guten Teil des aktuellen Rahmenjahrgangs
2007 vorgenommen. Insgesamt 41 Kombinationen aus Rahmen und Gabel – so viele wie nie zuvor in einem Test –
haben wir in den vergangenen Wochen für Sie im TOURLabor gewogen, gebogen, vermessen und anschließend bewertet. Bewusst wurden nicht nur trendige Carbonrahmen
eingeladen. Alle Hersteller konnten auch ihren besten AluRahmen mitliefern. Zwölf Marken nutzten diese Möglichkeit. Wer weiter skeptisch ist gegenüber Carbon, findet hier
eine Auswahl guter aktueller Alu-Rahmen.
Festzuhalten bleibt aber: Spätestens mit dem Modelljahr
’07 hat Aluminium seinen Rang als Rahmenwerkstoff Nummer eins für Rennräder eingebüßt. Bei der Gesamtzahl aller
produzierten Rahmen liegt das Leichtmetall zwar noch klar
vorne. Doch bei Kompletträdern ab 1.500 Euro drängt Carbon, wie der Test in der April-Ausgabe von TOUR zeigen
wird, mit Macht nach vorne. Damit ist Carbon kein reines
High-End-Thema für eine kleine, betuchte Klientel mehr
– was sich auch daran zeigt, dass Discounter wie H&S oder
Cycles4U inzwischen technisch gute Carbonrahmen für relativ wenig Geld anbieten.
Platz
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Modell
Fascenario
F10 Ultimate Carbon
Pavo Carbon
F8 Ultimate Alu
Carbon X-lite
System Six
Addict
Scenario Pro
Pro X-lite Alu
RCS Litening Carbon
Note*
1,6
1,8
1,8
1,8
2,0
2,0
2,1
2,1
2,2
2,3
* Bei Notengleichheit entscheidet der bessere STW-Wert über die Platzierung
sie zur Hochzeit des Werkstoffs vor etwa fünf Jahren gab,
vom Markt verschwunden sind. Die leichtesten Alu-Rahmen wiegen heute 1.300 bis 1.400 Gramm inklusive Steuerlager und erreichen damit etwa das Niveau, das Kleins
legendärer Alu-Rahmen „Quantum Pro“ bereits 1994 erreicht hatte. Den Aufwand, der mit der Fer tigung technisch ausgereizter Alu-Kreationen verbunden ist, nimmt
angesichts sinkender Absatzchancen heute kaum ein Hersteller mehr auf sich – eine Entwicklung, die an den Übergang vom Stahl- zum Alu-Rahmen erinnert.
Damit angesichts des riesigen Testfeldes die Wahl nicht
zur Qual wird, finden Sie ab Seite 66 individuelle Entscheidungshilfen. Denn nicht für jeden Rennradler ist
zwangsläufig der leichteste Rahmen der beste. Kilometerfresser brauchen andere Rahmen als Bergflöhe, materialverbiegende Sprinter-Typen haben andere Ansprüche als
Fahrer, die für schönes Design und tolle Technik gern auch
mal ihr Konto überziehen. Bleibt am Ende nur zu hoffen,
dass die getesteten Rahmen auch tatsächlich in ausreichender Stückzahl und allen Rahmengrößen beim Händler stehen – am besten noch vor Saisonbeginn.
ALUMINIUM IM ABSCHWUNG
Auch zeigt dieser Test: Das Angebot an Carbonrahmen
wird immer größer, die Qualität immer besser. Konstruktionen, bei denen Fasermatten mit wenig Sinn und Verstand
in Formen gepresst wurden, findet man bei Markenanbietern deutlich seltener als in den vergangenen Jahren. Die
schlechtesten Rahmen in diesem Test erreichen bei der sicherheitsrelevanten Lenkkopfsteifigkeit immerhin knapp
das Niveau älterer Stahlrahmen. Das Schlechteste, was sich
über technisch schwächere Carbonrahmen meist sagen lässt,
ist, dass sie vergleichsweise schwer sind und das Potenzial
des Werkstoffs nicht nutzen. Bei den Alu-Rahmen fällt auf,
dass superleichte Konstruktionen um 1.100 Gramm, wie es
KOMMENTAR
SIMON
Zu wenig „Sehr gut“?
„Hervorragend, überragend, super“ – wenn
es um Tests und deren Darstellung in Zeitschriften geht, sollen solche Superlative die
Hersteller und die Käufer dieser Produkte
gleichermaßen beeindrucken. Die Signalwirkung verstellt aber oft die Sicht aufs Wesentliche: auf transparente, nachvollziehbare Testkriterien und Bewertungen. Ist
„überragend“ besser als „super“ – oder eher umgekehrt? Wo
Bewertungen nicht mehr eindeutig interpretierbar sind, ist dem
Leser nicht geholfen. Auch Punkte-Skalen sind in dieser Hinsicht
verbesserungswürdig, denn außer der Grundidee, dass mehr
Punkte besser sind, erschließt sich auch hier nicht sofort, was
dahintersteckt. Wie viele Punkte sollten es denn mindestens
sein? Ohne Wertung kein Durchblick. Deshalb hat TOUR das bisherige Punktsystem durch ein Notensystem ersetzt. Vorteil:
Transparenz, denn hier ist die Wertung fest eingebaut. Da TOUR
die Endnote nicht willkürlich, sondern nach einem einsehbaren
Notenschlüssel aus den Teilnoten der einzelnen Disziplinen wie
Hersteller
Storck
Canyon
Simplon
Canyon
Red Bull
Cannondale
Scott
Storck
Red Bull
Radon
Gewicht, Steifigkeit und Komfort bildet, ist die Objektivität bis in
kleinste Detail gewahrt. Ergebnis ist eine Transparenz, die auch
die Tester überrascht hat. Wir hatten nicht erwartet, dass nach
den neuen Kriterien der beste Rahmen im Test, der Storck
„Fascenario“, bei 1,6 haltmachen würde.
Kann das sein, darf das sein? Wir finden schon. Denn die Wertungen orientieren sich am technisch Machbaren. Gegenüber
bisherigen Tests wurden die Anforderungen sogar eher gesenkt
als erhöht. Und: In jeder der Teildisziplinen gelingt es Herstellern, eine glatte Eins zu erreichen.
Der Weg zum Klassenprimus führt über den intelligenten Rahmenbau, dem es gelingt, die widerstreitenden Ziele von hoher,
sicherheitsrelevanter Steifigkeit, geringem Gewicht und gezielter Nachgiebigkeit – also spürbarem Komfort – in den Griff zu
bekommen. Wir sind davon überzeugt, dass das neue, transparentere TOUR-Bewertungsschema Hersteller dazu anspornt,
diese schwierige Aufgabe anzugreifen. Nutzen Sie als Leser die
Transparenz der Teilnoten, um Ihr persönliches Traumrad unter
diesen vielen guten Konstruktionen zu finden. Denn an vielen
sehr guten Einzelleistungen mangelt es nicht.
Robert Kühnen
TOUR 3/ 2007
41
RAHMEN SPEZIAL | GEWICHT
WO IST
DAS LIMIT?
Geringes Gewicht ist weder das einzige noch das wichtigste Kriterium für einen Rahmen.
Dennoch ist der Kampf um die Krone im Leichtbau neu entbrannt – und er fasziniert...
TEXT: MANUEL JEKEL FOTOS: DANIEL KRAUS
L
eicht soll er sein, der Rahmen, denn nach wie vor elektrisiert keine Kennziffer die Klientel mehr als geringes
Gewicht. Waren die Möglichkeiten bei Stahl und Aluminium überschaubar, ist es mit simplem Oversizing im Carbon-Zeitalter nicht mehr getan. Zwischen den führenden
Konstrukteuren ist ein High-Tech-Wettrennen entbrannt,
bei dem es um jedes Gramm geht. Schließlich kann ein kleiner verfahrenstechnischer Vorsprung einen entscheidenden
Gewichts- und damit Wettbewerbsvorteil ausmachen.
Nach heutigem Stand führt Storck diesen Wettbewerb
an: 1.194 Gramm inklusive Gabel und Lenklager, montagefertig und lackiert, wiegt sein Carbonrahmen „Fascenario“
in Größe 57. Auf die Frage, wie er dieses Gewicht realisiert,
hält sich Storck bedeckt, schließlich wollen er und sein asiatischer Rahmenhersteller die Spitze möglichst lange halten.
Zu entlocken ist ihm lediglich, dass beim „Fascenario“
besonders hochwertige Carbonfasern verwendet werden
(was fast jeder Anbieter von seinem Rahmen behauptet) und
dass ein spezieller Herstellungs-Prozess einen sehr niedrigen Harzanteil in der Carbon-Matrix ermöglicht.
Dabei ist Storcks Rahmen alleine mit 849 Gramm nicht
leichter als der bisher Beste, Scotts „Addict“ (848 Gramm),
der mit Gabel und Steuersatz 1.271 Gramm wiegt. Doch
Storck zieht auch sonst alle Register. 50 Gramm spart er
gegenüber Scott am Lenkkopflager, den Rest steuert die 299
Gramm leichte Stiletto-Light-UHM-Gabel bei, die der
Top-Ten Gewicht
Platz
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Hersteller
Storck
Scott
Lapierre
Cervélo
Simplon
Felt
Canyon
Stevens
Isaac
Cube
Modell
Gewicht* in Gramm
Fascenario
1.194
Addict SL
1.271
X-Lite
1.332
R3 Team
1.333
Pavo
1.366
F1 u.h.c.
1.370
F10 Ultimate CF
1.419
Carbon SLC
1.452
Sonic 07
1.455
Litening HPC
1.500
* normiertes Rahmen-Set-Gewicht (inklusive Gabel und Lenklager)
42
TOUR 3/ 2007
deutsche Faser-Spezialist THM für Storck fertigt. Kleiner
Wermutstropfen: Wer sein Konto um – kein Druckfehler –
4.400 Euro erleichtern will, um mit dem „Fascenario“ in die
Saison zu starten, wird sich wohl gedulden müssen. Zwar
soll die Auslieferung Ende Februar beginnen, allerdings
vorerst nur in den gängigen Rahmengrößen 55 und 57 Zentimeter. Die zu erwartende Nachfrage könnte aber zu längeren Lieferzeiten führen. Darauf sollten sich auch Interessenten für den Scott „Addict“ einstellen, der mit 2.700
Euro vergleichsweise fast als Schnäppchen durchgeht. Auch
hier heißt es offiziell, dass der Nachfolger des Bestsellers
„CR1“ ab Februar in den Läden steht. Das bedeutet aber
nicht, dass alle Kunden sofort bedient werden können.
Das drittleichteste Rahmen-Set stellt Lapierre mit dem
1.332 Gramm leichten „X-Lite“. Der Sprung aufs Podium
gelingt den Franzosen aber nur mit einer sehr leichten
Gabel von Easton, die wir wegen ihrer schwachen Seitensteifigkeit allenfalls leichten Piloten empfehlen. Eine
Einschränkung, die für Storck und Scott nicht gilt.
Vergleicht man die Carbonrahmen des aktuellen Jahrgangs, stechen einige Trends hervor. Immer mehr Rahmen
und Gabeln tragen Ausfallenden aus Carbon, neben Storck
und Scott etwa auch der „F1“ von Felt. Auffällig auch, dass
die leichtesten Konstruktionen formal eher schlicht gehalten sind. Experimente mit ungewöhnlichen Formen und
Rohrquerschnitten scheinen passé, runde Rohre wieder
schick. Dazu passt auch das Comeback der klassischen Sitzstreben, das Canyon und Cervélo eingeleitet haben.
Während Carbonrahmen immer leichter werden, ist bei
Alu-Rahmen ein Abbruch der technischen Entwicklung zu
beobachten. Um die Jahrtausendwende wogen Top-Alurahmen wie Scotts „Team Issue“ um 1.100 Gramm. Die
leichtesten Alu-Rahmen in diesem Test wiegen 1.270 bis
1.300 Gramm und kommen als Set mit Gabel und Lenklager auf 1.700 bis 1.800 Gramm. Das erscheint im Vergleich mit dem „Fascenario“ schwer, relativiert sich aber,
wenn man bedenkt, dass diese Differenz bei einem alltagstauglich aufgebauten Komplettrad gerade den Unterschied
zwischen einem 6,8- und einem 7,3-Kilo-Renner ausmacht.
Anders gesagt: Im Vergleich zum Rahmen bietet die Ausstattung das deutlich größere Tuning-Potenzial.
■
2
1
4
3
1 Cervélos Tretlager sieht wie eine massive Einheit aus, ist aber leicht und trotzdem steif 2 Die überfrästen Ausfallenden des Ridley sehen filigran aus, machen den
Rahmen aber nicht leichter 3 Scott senkt das Gewicht des „Addict“ bis zur Grenze des Möglichen und macht auch vor dem Umwerfersockel aus Kohlefaser nicht halt
TOUR 3/ 2007 43
4 Lapierres sehr leichtes Rahmen-Set ist mit einem Gewinde für den Startnummernhalter versehen, wie ihn die Profis von La Française des Jeux kennen
RAHMEN SPEZIAL | STEIFIGKEIT
KONSTRUKTIVE
INTELLIGENZ
Die neueste Rahmengeneration erreicht Traumwerte bei der für die Fahrsicherheit wichtigen
Lenkkopfsteifigkeit. Trotzdem sind die Rohrgebilde so leicht wie nie zuvor
TEXT: MANUEL JEKEL FOTOS: DANIEL KRAUS
E
inen steifen Rennradrahmen zu bauen, ist bei entsprechend großzügigem Materialeinsatz eine relativ
leichte Übung. Ebenso überschaubar ist die Herausforderung, einen Rahmen zu bauen, der einfach nur leicht
ist, wenn man dabei die Fahrstabilität außer Acht lässt.
Spannend wird es erst, wenn sich beide Eigenschaften zugleich in einer Konstruktion treffen sollen. Als Indikator
dafür, wie clever ein Rahmen konstruiert ist, führte TOUR
1995 den STW-Wert ein. „STW“ steht für „stiffness to
weight“, also das Verhältnis von Lenkkopfsteifigkeit zu
Gewicht. Ein hoher STW-Wert gilt als Beleg dafür, dass der
Rahmenbauer sowohl sein Design-Handwerk als auch den
Umgang mit dem Werkstoff beherrscht.
Zur Blütezeit des Alu-Rahmenbaus um 2001 galten
STW-Werte mit mehr als 70 Newtonmeter pro Grad je
Kilo Rahmengewicht (Nm/°/kg) als herausragend. Seit
2003 der „CR1“ von Scott als Vorreiter der aktuellen
Carbonrahmen auf den Plan trat, sind die Erwartungen gestiegen. Mit dem STW-Wert 95 Nm/°/kg – bei 890 Gramm
Rahmengewicht und 85 Newtonmeter pro Grad Lenkkopfsteifigkeit – markierte der „CR1“ damals einen gewaltigen
Entwicklungssprung.
Legt man das nackte Rahmengewicht zugrunde, kommt
der „Fascenario“ von Storck als bester Carbonrahmen in
diesem Test auf den faszinierenden STW-Wert von 109
Nm/°/kg. Allerdings bremsen wir die Rahmen seit dem
vergangenen Jahr rechnerisch etwas ein: Weil ins Steuer-
Top-Ten Steifigkeit/Gewicht
Platz
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
44
Hersteller
Storck
Scott
Canyon
Red Bull
Cervélo
Simplon
Radon
Cube
Hai
Cannondale
TOUR 3/ 2007
Modell
Fascenario
Addict SL
F10 Ultimate CF
Carbon X-Lite
R3 Team
Pavo
RCS Litening
Litening HPC
End Road
System Six
STW in Nm/° / kg
104
100
99
98
93
92
90
85
82
78
rohr integrierte Lenklager zum Standard im Rennradbau
wurden, geht deren Gewicht mittlerweile in die Berechnung ein. Lenklager werden damit als Teil des Rahmens
betrachtet, was nur konsequent ist, schließlich lassen sie
sich selten gegen leichtere Modelle tauschen. Immer mehr
Rahmen funktionieren sogar nur noch mit dem einen
montierten Lager.
Nach dieser neuen Formel kommt der „Fascenario“
inklusive Lenklager auf den immer noch imponierenden
STW-Wert von 104 Nm/°/kg. Auf Rang zwei folgt Scotts
neuer Carbonrahmen „Addict“ mit ebenso beeindruckenden 100,5 Nm/°/kg und präsentiert sich damit als würdiger
„CR1“-Nachfolger. Knapp dahinter folgt der bisherige
Spitzenreiter „F10“ von Canyon mit 98,7 Nm/°/kg. Schaut
man sich an, wie dieser Wert zustande kommt, fällt auf, dass
der Koblenzer Versender eine deutlich andere Strategie
verfolgt als Storck.
Zwar würde dem mit Lenklager 1.104 Gramm schweren
„F10“ niemand absprechen, dass er noch zu den leichten
Rahmen zählt. Von den 895 Gramm des „Fascenario“ trennen ihn aber bereits 209 Gramm. Dass es dennoch fürs
Treppchen reicht, verdankt der „F10“ seiner überragenden
Lenkkopfsteifigkeit von 109 Newtonmetern pro Grad.
Aluminium-Rahmen finden sich im STW-Ranking überhaupt nicht mehr auf den vorderen Plätzen . Bester AluRahmen im Test ist der supersteife „F8“ von Canyon auf
Rang 14; Cannondales ebenfalls sehr steifer Alu-CarbonMix „System Six“ belegt mit einem STW-Wert von
78 Nm/°/kg immerhin Rang zehn.
Der STW-Wert wird gelegentlich kritisiert, weil er als
Quotient keine unmittelbare Aussage über die Fahreigenschaften eines Rahmens zulässt. Das ist zwar richtig. Als
Indikator dafür, wie viel der Rahmenbauer aus seiner
Konstruktion herausholt, welche Qualität das verwendete
Material hat und wie gut der Hersteller das Fertigungsverfahren beherrscht, ist er aber nach wie vor unübertroffen. Wer einen zeitgemäßen Carbonrahmen auf seiner
Wunschliste stehen hat, sollte deshalb auf einen STWWert möglichst oberhalb von 70 Nm/°/kg achten (bei Aluminium liegt die Mindesthürde materialbedingt etwas
niedriger bei etwa 60 Nm/°/kg) – schon als Rechtfertigung
für die gesalzenen Preise.
■
1
2
3
4
1 Verblüffende Ähnlichkeit: Hai und Radon kommen augenscheinlich aus der gleichen Form – ihre Messwerte differieren dennoch 2 Platz 10 in der STW-Wertung
erreicht Cannondales „System Six“ mit seinem intelligenten Materialmix aus Carbon und Aluminium 3 Red Bulls „Carbon X-Lite“ ist der Rahmen mit der höchsten
TOUR 3/ 2007 45
Lenkkopfsteifigkeit im Test 4 Canyons „F10“ erreicht den dritten Platz beim STW und erhält 2007 eine elegante Stützenklemmung
RAHMEN SPEZIAL | KOMFORT
Der Newcomer im TOUR-Test: 41 Top-Rahmen
mussten auf dem neuen Komfort-Prüfstand
beweisen, ob sie tatsächlich den Komfort bieten,
den viele Hersteller versprechen
GEHT DA
DOCH WAS?
TEXT: MANUEL JEKEL FOTOS: DANIEL KRAUS
Geschwungene,
durch ein organisch
anmutendes Parallelogramm unterbrochene
Sitzstreben am
Specialized „Roubaix“
K
omfortmessungen an Rennradrahmen? Nicht wenige Leser dürften sich verwundert die Augen reiben.
Hatte TOUR nicht jahrelang gepredigt, dass sich
am klassischen Diamantrahmen in vertikaler Richtung
nichts bewegt? Dass Fahrkomfort vor allem über Gabel,
Reifendruck und -breite sowie clevere Wahl der Anbauteile zu erzielen sei?
Stimmt – das belegen die vergleichenden Messreihen,
die TOUR Mitte der 90er Jahre durchgeführt hat, nach wie
vor. Doch der klassische Diamantrahmen bekommt immer
öfter Konkurrenz. Neue Rahmenformen und neue Werkstoffe eröffnen – sogar innerhalb der engen Grenzen, die der
Radsport-Weltverband dem Rennrad setzt – neue Entwicklungschancen, von denen der Fahrer durch höheren Komfort profitieren kann. Einen ersten Schritt in diese Richtung
markierten Mitte der 90er Jahre die Sloping-Rahmen von
Giant mit ihren stark abfallenden Oberrohren und kurzen
Sitzrohren. Die damit versprochene Gewichtsersparnis fiel
eher bescheiden aus, stattdessen wurde klar, dass SlopingRahmen mit schlanken, weit ausgezogenen Sattelstützen
Fahrbahnschläge spürbar wirksamer abfedern als viele klassische Rahmen. Umgekehrt registrierten die TOUR-Tester,
dass 31,6 Millimeter dicke Sattelstützen, die seit einigen
Jahren im Trend liegen, Stöße oft deutlich weniger filtern
als schlanke Stützen mit klassischen 27,2 Millimetern.
Noch einen Schritt weiter als Giant geht neuerdings
Specialized. Die Amerikaner nutzen bei ihrem Carbonrahmen „S-Works Roubaix SL“ neben Sloping-Bauweise
mit abfallendem Oberrohr und langem Sattelauszug die
Top-Ten Komfort
Platz Hersteller
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
46
TOUR 3/ 2007
Specialized
Hai
Giant
Isaac
Mazzuolo
Felt
Rotwild
Cervélo
Cannondale
Müsing
Modell
Federhärte Rahmen
in N/mm
S-Works Roubaix SL
169
Race
177
TCR Advanced
196
Sonic 07
196
Scorpio
206
F1 u.h.c.
210
RSR 1.0
216
R3 Team
223
CAAD 9
232
Onroad Only Pro Carbon
233
RAHMEN SPEZIAL | KOMFORT
1
2
48
TOUR 3/ 2007
3
Gestaltungsmöglichkeiten von Carbon. Um dem Rahmen,
den laut Specialized in dieser Saison Klassiker-Star Tom
Boonen fahren soll, das Federn beizubringen, griff man tief
in die Trickkiste. Auffälligstes Detail sind eigenwillig geformte Sitzstreben mit einem gelenkartigen Parallelogramm in der Mitte. Unsere Messungen deuten darauf hin,
dass geometrische Auslegung und clevere Faserausrichtung
in den Carbonrohren die Eigenschaften mitbestimmen.
Elastomere, deren Wirksamkeit sich jedoch in den TOURMessungen nicht signifikant nachweisen lässt, finden sich
am unteren Ende der Gabelscheiden und in der CarbonSattelstütze, die beim „Roubaix“ zum Konzept gehört.
Im Test war der „Roubaix“ der vertikal nachgiebigste Rahmen. Auf dem neuen Komfortprüfstand (siehe Seite 74)
wich der Sattel-Adapter unter der senkrecht angreifenden
Last von 102,7 Kilogramm um 5,9 Millimeter aus. Dahinter
folgen Hai mit dem Alu-Rahmen „Race“ und die Rahmen
von Giant, Isaac, Mazzuolo und Felt – alles SlopingKonstruktionen mit mehr oder weniger stark abfallendem
Oberrohr und 27,2 Millimeter dünnen Sattelstützen. Am
anderen Ende des Spektrums finden sich durchweg Rahmen
mit Oversized-Sattelstützen. Den schlechtesten Komfortwert aller Test-Rahmen erzielt Ridley mit dem Carbonrahmen „Noah“ mit flächigem, integriertem Sitzdom, der unter
der Prüflast gerade mal 1,8 Millimeter ausweicht.
Auf den ersten Blick geht das Konzept von Specialized
also auf. Das Parallelogramm und der Faser-Mix prägen das
Ergebnis mit; der Test zeigt jedoch auch, dass die 27,2 Millimeter dünne Sattelstütze und die Sloping-Geometrie beim
„Roubaix“ den größten Anteil am guten Komfortergebnis
haben. Unter einem 85 Kilogramm schweren Fahrer, der mit
50 Kilo auf dem Sattel sitzt, gibt die Specialized-Stütze im
Stand rund drei Millimeter nach. Aus Realdatenmessungen
(TOUR 2/2004) wissen wir, dass bei harten Schlägen oft das
vier- bis viereinhalbfache Gewicht auf den Sattel drückt.
Unter dem 85-Kilo-Fahrer würde die Sattelstütze dann immerhin um 1,2 Zentimeter nachgeben. Das ist für einen starren Rahmen schon eine ganze Menge und deutlich mehr, als
es Rohrprofile und speziell geformte Hinterbaustreben –
zum jetzigen Zeitpunkt der Entwicklung – hergeben.
■
4
1 Giant erreicht durch
Sloping-Geometrie und
schlanke Sattelstütze
gute Komfortwerte
2 Die außergewöhnliche Gabelform am
Pinarello hält nicht das
Komfortversprechen
des Herstellers
3 Look entschärft die
sehr steife integrierte
Sattelstütze durch eine
spezielle Elastomerklemmung
4 Dicke Sattelstütze,
dünne Hinterbaustreben – Cervélo erzielt
ordentliche Federwerte

Documentos relacionados