IT-gestütztes Dokumentationssystem

Transcrição

IT-gestütztes Dokumentationssystem
3.5
TILLY LEX
IT-gestütztes Dokumentationssystem
3.5.1
Einleitung
Erfahrungen zum Case Management in der Praxis, vor allem aus dem Gesundheitsund Pflegebereich, liegen inzwischen auch für Deutschland vor und sind in Büchern
und Fachzeitschriften dokumentiert (Ewers/Schaeffer 2005, S. 331 ff). Auffallend ist,
dass das Thema Dokumentation und EDV-gestütztes Case Management weder hier
noch in der allgemeinen Literatur zum Case Management eine Rolle spielt. Soweit
sich in der Literatur Berichte und Analysen zu Computer-gestützten Systemen in der
Sozialen Arbeit finden lassen, werden diese eher allgemein unter dem Aspekt von
Ökonomisierung der Sozialen Arbeit diskutiert und weniger in der Anwendung als
Werkzeug, das den Arbeitsprozess strukturiert und mit gestaltet. Zwar hat die EDV
inzwischen in fast allen Sozialen Einrichtungen Einzug gehalten, doch beschränkt
sich ihr Einsatz häufig auf Routinetätigkeiten, auf Büro- und Verwaltungsarbeit, so
dass es verfehlt wäre, hier bereits von EDV-gestützter Sozialarbeit zu sprechen. Die
Einführung von Case Management als eine Methode und als Handlungskonzept der
Sozialen Arbeit hat darauf nachhaltig Einfluss. Case Management als eine methodische Vorgehensweise von logisch aufeinander aufbauenden Arbeitschritten verlangt
die systematische Erfassung und Dokumentation der einzelnen Stufen. Ohne qualifizierte Dokumentation von Assessment lässt sich kein Hilfe-, Entwicklungs- oder Förderplan erstellen. Da die Fallkonstellationen in der Regel sehr komplex sind, erfordern sie eine differenzierte Aufzeichnung. Die Umsetzung der im Hilfeplan
vereinbarten Schritte und Ziele muss überwacht und kontrolliert werden. Fortschritte,
die die Person im Unterstützungs- und Hilfeprozess macht, sind auszuwerten und
festzuhalten. Um schließlich den Fall abschließend evaluieren zu können, muss der
gesamte Ablauf des Case Managements ausreichend dokumentiert sein und um mit
Neuffer zu sprechen wäre „Case Management ohne ein standardisiertes Dokumentationswesen (...) ein Geschehen ohne stabilisierendes Gerippe“ (Neuffer 2002, S.
110). Die am Fallgeschehen beteiligten Fachkräfte sind auf solche Informationen angewiesen und benötigen den Zugriff auf die Daten, um sich jederzeit den Überblick
zum Stand des Verfahrens zu verschaffen.
112
3.5.2
Ausgangslage
Trotz zunehmender Debatte um Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung fehlt
es in der Sozialen Arbeit und in der Jugendberufshilfe an bestmöglicher EDVUnterstützung. Dies betrifft weniger die Hard- als die Softwareausstattung. Zwar gibt
es inzwischen eine Reihe von Anbietern, die ihre Produktpalette auf den Sozialen
Sektor hin ausgerichtet haben, die Anpassungsprobleme an die spezifischen Anforderungen der einzelnen Arbeitsfelder sind aber unübersehbar. Mit solchen Anpassungsproblemen kämpfen nicht nur kleine Einrichtungen und Träger, auch Kommunen und die ARGEn sind davon betroffen. Die im Zusammenhang mit der Einführung
von Hartz IV erfolgte Umstellung auf ein neues EDV-System ging mit soviel Pannen
einher, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) einräumen musste, dass die Software
fehlerhaft und unflexibel ist (Pressedienst des Deutschen Bundestages 08.03.2006).
Der Anbietermarkt von Fachsoftware zum Case Management in Deutschland ist seit
Ende der 90er Jahre von einer gewissen Dynamik geprägt (Kreidenweis 2005, S. 9).
Wie in anderen Marktsegmenten ist derzeit auch in dieser Branche ein Konzentrationsprozess zu beobachten, in dem sich die Zahl der Anbieter reduziert. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder neue Angebote von bislang nicht in diesem Segment tätigen Firmen auf dem Markt. Eine Übersicht zu den zur Zeit marktgängigen
Anbietern liefert Kreidenweis (2005), der im Rahmen einer Expertise für ein Modellprojekt des Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
Art, Umfang und Auswirkungen des Software-Einsatzes in der Hilfeplanung bei den
Jugendämtern analysiert hat. Die dort untersuchten Anbieter sind in der Regel solche, die auf dem Markt nicht nur allein Software zur Hilfeplanung anbieten, sondern
auch andere Module im Rahmen von Case Management vertreiben. Somit können
diese Firmen und Einrichtungen derzeit auch als Anbieter für Fachsoftware Case
Management gelten. Die auf dem Markt verfügbaren Programme unterscheiden sich
grundsätzlich in der Software-Architektur: Die einen sind statisch programmiert und
können nicht ohne Eingriff auf den Programm-Code verändert an die spezifischen
Anforderungen angepasst werden, die anderen sind generierbare Systeme, die eine
weitgehende Anpassung durch die Kundin bzw. den Kunden selbst erlauben. Letztere repräsentieren die neuere Generation von Software, die erst in jüngster Zeit verfügbar ist und aufgrund gegebener Flexibilität und Variabilität gut für Case Management Prozesse geeignet ist.
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Liest man die Imagebroschüren der meist gewerblichen Anbieter auf diesem Markt,
dann scheint es für alle Probleme Lösungen zu geben. Angeboten werden Einzelmodule aus dem Funktionsbereich Case Management ebenso wie Komplettlösungen, die auf die jeweiligen Tätigkeitsfelder und Arbeitsprozesse zugeschnitten werden können. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die mit der Software
verknüpften Hoffnungen nach schnellen Lösungen sich in den meisten Fällen bisher
nur ansatzweise haben realisieren lassen. So kommt Kreidenweis (2005, S. 54 ff) zu
Umfang, Einsatz und Nutzung von IT-gestützten Verfahren der Hilfeplanung in den
Jugendämtern zu einer eher ernüchternden Bilanz. Die Programme werden nur unzureichend genutzt und die vorhandenen Funktionen bei weitem nicht ausgeschöpft,
so dass viele Potenziale im Kontext des IT-Einsatzes in der Hilfeplanung derzeit noch
brach liegen. Dies liegt u. a. darin begründet, dass von Seiten der Entscheidungsträger bei der Software-Beschaffung oft ein diffuses Konglomerat an fachlichen, wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Interessen zum Tragen kommt und über
den eigenen IT-Bedarf keine genaue Klarheit herrscht. Da die Softwareanbieter aus
ökonomischen Gründen nicht vorrangig fachliche Interessen in dem relativ beschränkten Segment der Jugendhilfe oder der Jugendsozialarbeit verfolgen, leitet
sich die Forderung ab, dass sowohl Praxis als auch Wissenschaft und Forschung,
die an der Entwicklung solcher Prozesse beteiligt sind, auf die Software-Konstruktion
Einfluss nehmen müssen.
3.5.3
Was kann ein IT-gestütztes Dokumentationssystem zum Case
Management mit Jugendlichen im Übergang beitragen?
Im Modellprogramm „Kompetenzagenturen“ ist ein EDV-gestütztes Dokumentationssystem zum Case Management für benachteiligte Jugendliche im Übergang von der
Schule in Ausbildung und Arbeit entwickelt und erprobt worden. An der Entwicklung
von Beginn an beteiligt waren die Kompetenzagenturen, INBAS als Regiestelle und
das DJI als wissenschaftliche Begleitung. Somit wurde die o. g. Forderung nach Einflussnahme von Wissenschaft und Praxis in die Software-Konstruktion hier exemplarisch umgesetzt. Das IT-gestützte Dokumentationssystem bildete einen integralen
Bestandteil der Modellförderung zu dessen Verwendung sich die Kompetenzagenturen verpflichtet hatten. Im Vorfeld der Modellphase fiel die Entscheidung für die Software LAP Change, ein Produkt der Fa. LAP Consult. Damit hat man sich für ein Pro114
dukt entschieden, das eine flexible Grundlage zur Weiterentwicklung der Software
bot, die sich den unterschiedlichen Erfordernissen der Kompetenzagenturen kontinuierlich anzupassen versprach. Die Software zählt zur Gruppe der „generierbaren Systeme“. Sie ist so strukturiert, dass ohne Änderung des Programm-Codes vielfältige
Anpassungen vorgenommen werden können. Die Software bildete das Grundgerüst
für die Entwicklung eines IT-gestützten Case Management Systems, welches den
unterschiedlichen Anforderungen des Modellprogramms „Kompetenzagenturen“ auf
drei Ebenen genügen sollte: Auf der Ebene des Einzelfalls, auf Projektebene der einzelnen Kompetenzagenturen und auf Ebene des Gesamtprogramms. Es ging darum,
ein Dokumentationssystem zu entwickeln, das die Case Managerin und den Case
Manager bei der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen unterstützt. Sie benötigen
Daten, die sich auf den konkreten Fall beziehen, wobei die Ausprägung der für den
Einzelfall relevanten Daten sehr unterschiedlich ausfallen kann. Neben fallbezogenen Analysen und Auswertungen braucht es für die Praxis auch ein Werkzeug zur
Darstellung ihrer Arbeitsergebnisse auf Projektebene. Auf der Programmebene geht
es um Daten zur Steuerung des Modellprogramms (Monitoring) und um Evaluation.
Hier interessiert nicht der Einzelfall, sondern die Fälle einer Kompetenzagentur im
Vergleich zu anderen (Monitoring) oder das Modellprogramm (Evaluation) insgesamt.
Die aus der Programmevaluation abgeleiteten Maßstäbe stellen an ein solches Dokumentationssystem hohe Anforderungen, denn die Daten, die dort erfasst und dokumentiert werden, sollen Aussagen zum Verlauf und zur Wirksamkeit des Programms liefern. Damit werden entscheidungsrelevante Daten gesammelt, die
wissenschaftlichen Kriterien nach Vergleichbarkeit und Validität genügen müssen.
Bei der Konstruktion der Items sind vergleichbar strenge Maßstäbe anzulegen, wie
sie für die Fragebogenkonstruktion im sozialwissenschaftlichen Feld allgemein gelten. Findet dies bei der Konstruktion von Fachsoftware allgemeine Berücksichtigung,
dann könnte das erhebliche Auswirkungen auf die Evaluationsforschung insgesamt
haben, da sich hiermit neue Möglichkeiten der Datenerhebung, -sammlung, aufbereitung und -analyse auftun.
Ein solches, mit wissenschaftlicher Unterstützung entwickeltes IT-gestütztes Dokumentationssystem ermöglicht es, verlässliche Daten zu benachteiligten Jugendlichen
im Übergang von der Schule ins Arbeitsleben zu generieren, die Erkenntnisse über
den schwierigen Prozess ihrer sozialen und beruflichen Integration liefern. Darüber
hinaus wird der Übergangsprozess transparent, in dem die einzelnen Phasen von
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Case Management abgebildet und der Förderbedarf sichtbar gemacht wird. Auf der
Basis dieser Daten können in Verknüpfung mit statistischen Auswertungen sowohl
auf Projekt- als auch auf Programmebene umfangreiche Analysen zur Zielgruppe,
zur sozialen Herkunft, zum Bildungs- und Ausbildungsverlauf, zur Wirksamkeit von
Fördermaßnahmen, zur Nachhaltigkeit der sozialen und beruflichen Integration etc.
erfolgen. Der Praxis wiederum gibt es ein Werkzeug an die Hand, mit dem die einzelne Case Managerin und der einzelne Case Manager in der Arbeitsorganisation
unterstützt werden. Alle Aufgabenbereiche des Case Managements vom
Assessment über Förder- und Entwicklungsplanung einschließlich Zielvereinbarung,
Umsetzung der Zielvereinbarung, Kontrolle und Überwachung der Umsetzung bis hin
zur Vermittlung in Ausbildung und Arbeit und anschließender Nachbetreuung im Sinne von Nachhaltigkeit können erfasst und auf einer gemeinsamen Plattform abgebildet werden. Damit wird der Arbeitsprozess der Fallbearbeitung planbar, transparent
und evaluierbar. Das Werkzeug kann entlasten, Abläufe vereinfachen und Qualitätsstandards sichern helfen.
3.5.4
Struktur und Inhalt eines IT-gestützten Dokumentationssystems
3.5.4.1
Überblick
Anhand dieses im Modellprogramm „Kompetenzagenturen“ entwickelten und erprobten Dokumentationssystems LAP Change zur Unterstützung von Case Management
für benachteiligte Jugendliche im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beschäftigung wird exemplarisch gezeigt, wie ein solches Programm aufgebaut und
strukturiert ist und mit welchen Inhalten es verknüpft werden kann. Das Programm
umfasst folgende Elemente (vgl. Abbildung 20):
-
Eine Termin- und Aufgabenverwaltung, in der alle wichtigen Termine und Aufgaben, die mit der Fallbearbeitung zusammenhängen, erfasst und werden können;
-
ein eigenes Mail- und Kommunikatikonstool, das bei Bedarf genutzt werden kann;
-
eine Funktion zur Hinterlegung von Dokumenten für den Fall;
-
eine Exportfunktion und Vorlagen/Muster zum Erstellen von Berichten.
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Termin- und
Aufgabenverwaltung
Individuelle Fallbegleitung
Kataloge und Listen:
• Stammdaten
• Biografie (Statuserfassung)
• Fallmanagement (Verlaufserfassung)
Mail- und
Kommunikationstools
•
•
- Kompetenzfeststellung
-Förderziele/ Förderbedarf
- Qualifizierungsschritte
Evaluation (Abschlussbewertung)
Nachbetrachtung
Funktion zur
Hinterlegung
von Dokumenten
beim Fall
Exportfunktion/
Vorlagen/
Muster
Abb. 20: Aufbau des IT-gestützten Dokumentationssystems
Das Kernstück des Programms bilden die Kataloge und Listen zur individuellen Fallbegleitung, die mit Ausnahme der Stammdatenverwaltung für die spezifischen Anforderungen im Modellprogramm neu entwickelt wurden. Bei der Konstruktion der Kataloge zur individuellen Fallbegleitung haben zwei Überlegungen eine Rolle gespielt:
Erstens sollte die Eingabe übersichtlich und einfach zu bedienen sein. Eine zweite
Forderung bestand darin, dass die Variablen so konstruiert sein mussten, dass Validität und Vergleichbarkeit der Daten über alle Kompetenzagenturen gewährleistet
sind. Die nachfolgend dargestellten Erläuterungen beziehen sich ausschließlich auf
den Kernbereich der individuellen Fallbegleitung. Grob skizziert lässt sich der Prozess der Fallbegleitung in drei Phasen gliedern: Phase eins bildet die Anamnese (Diagnose, Assessment), für die im Dokumentationssystem die Module Stammdaten,
Biografie und Kompetenzfeststellung stehen. Phase zwei bildet die Integrationsplanung, in der ein Hilfe-, Entwicklungs- oder Förderplan erstellt sowie die Vermittlung in
entsprechende Angebote eingeleitet und durchgeführt wird. Im Dokumentationssystem schlägt sich dies in den Modulen „Förderziele/Förderbedarf“ und „Qualifizierungsschritte“ (Vermittlung in Förderangebote) nieder. Die dritte und letzte Phase
bildet die Ergebnissicherung (Evaluation, Monitoring). Hierfür stehen im Dokumentationssystem die Module Abschlussbewertung und Nachbetreuung. Die einzelnen
Module bzw. Kataloge sind so aufgebaut, dass sie dem logischen Ablauf der individuellen Fallbearbeitung mit den Methoden des Case Managements folgen (vgl. Abbildung 21).
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Case Management für die Einzelfallarbeit
Allgemeine Kernelemente
von Case Management
Umsetzung in LAP Change
in folgende Struktur
Anamnese
Stammdaten
Stammdaten, Ressourcendaten
Persönlichkeitsdaten, berufsbiografische Daten
Integrationsplanung
Erstellen eines Hilfeplans, Vereinbarung von
Förderzielen, Vermittlung in Förderangebote
Ergebnissicherung
Wirkungsanalyse, Integrative Ziele
(Integrationsquoten)
Biografie Vorgeschichte
Kompetenzfeststellung
Förderziele/ Förderbedarf
Qualifizierungsschritte
Abschlussbewertung
Nachbetreuung
Abb. 21 Case Management in der Einzelfallarbeit
Um zu illustrieren, wie ein IT-gestütztes Dokumentationssystem für ein fallbezogenes
Case Management mit benachteiligten Jugendlichen im Übergang von der Schule in
die Arbeitswelt inhaltlich strukturiert sein kann, werden nachfolgend exemplarisch
einzelne Module und einige ihrer dahinter liegenden Erfassungszweige dargestellt
und erläutert. Wir beschränken uns hierbei auf nur wenige Bespiele und verweisen
auf das Handbuch zum Dokumentationssystem LAP Change, in dem alle hierzu für
das Modellprogramm entwickelten Kataloge ausführlich dargestellt und erläutert sind
(Lex u. a. 2004)
3.5.4.2
Stammdaten
In einem ersten Arbeitsschritt, der gewöhnlich in die Einstiegsphase („Intake“) fällt,
werden wichtige Daten zur Person, wie Name, Geschlecht, Nationalität, Adresse etc.
aufgenommen. Die Struktur der Stammdaten war durch den Softwarehersteller bereits vorgeben. Die Eingabefelder wurden lediglich an das Aufgabenprofil der Kompetenzagenturen angepasst, so dass beispielsweise der Migrationshintergrund einer
Person durch zusätzliche Variablen (Muttersprache, Geburtsland, Geburtsland der
Eltern) oder der berufliche Status des Jugendlichen vor Aufnahme ins Case Management aufgenommen werden konnten.
118
Abbildung 22 gibt einen grafischen Überblick zu den, im Rahmen der Modellförderung „Kompetenzagenturen“ entwickelten inhaltlichen Katalogen zum Case Management für die Einzelfallarbeit.
1. Beispiel
2. Beispiel
3. Beispiel
Abb. 22: Überblick zu den im Rahmen der Modellförderung Kompetenzagenturen entwickelten
inhaltlichen Katalogen zum Case Management für die Einzelfallarbeit
3.5.4.3
Biografie-Vorgeschichte
Jeder Jugendliche hat seine individuelle Biografie, die seine aktuelle Lebenslage mit
prägt. Von daher sind wichtige, lebensgeschichtliche Daten (z. B. Schulbildung,
Schulabschluss, bereits besuchte oder absolvierte Maßnahme(n) Wohnsituation, Bezugsperson) festzuhalten und werden im Dokumentationssystem in einem eigenen
Katalog „Biografie“ abgelegt. Nebenstehende Abbildung zeigt den Biografie-Baum
aus dem Dokumentationssystem LAP Change, wie er für das Modellprogramm
„Kompetenzagenturen“ entwickelt wurde.
119
Abb. 23: Biografie-Vorgeschichte
Die Biografie Vorgeschichte umfasst die Bereiche: Schule, Wohnsituation, Ausbildung und Arbeit, Kinder (soweit vorhanden) und Angaben zu den Eltern. Der Umfang
dessen, was alles unter Biografie fällt, ist von Fall zu Fall verschieden. In unserem
Beispiel ist dies weit gefasst und reicht von Angaben zu den Eltern und zur Schule
bis hin zu den eigenen Kindern. Diese Diversifikation erklärt sich aus den Konzeptionen der Kompetenzagenturen, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten.
Während die meisten Kompetenzagenturen mit dem Case Management schon vor
dem eigentlichen Übergang ansetzten und schwierige Schülerinnen und Schüler im
letzten Schuljahr zur Zielgruppe hatten, die sie dann über das Schulende hinaus in
Ausbildung und Arbeit begleiteten, konzentrierten sich andere Kompetenzagenturen
auch auf junge Erwachsene mit Maßnahmekarrieren. Im Weiteren beschränken wir
uns bei der Darstellung der darunter liegenden Erfassungszweige auf solche Ansätze, die Jugendliche von der Schule abholen und sie durchs Übergangssystem „lotsen“.
Abb. 24: Biografiedaten – Erfassungszweig Schule
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Beispiel 1: Biografiedaten – Erfassungszweig Schule
Stammdaten und Biografiedaten bilden eine Grundlage zur Entscheidung, ob ein Jugendlicher ins Case Management aufgenommen wird oder nicht. Nach den ersten
Gesprächen mit den Jugendlichen lässt sich oftmals bereits klären, ob ein weitergehender Handlungsbedarf in Richtung Aufnahme ins Case Management vorliegt. Auch
für Jugendliche, die nicht ins Case Management aufgenommen werden, wurde versucht, Lösungen zu finden, z. B. durch Weitervermittlung in andere Einrichtungen, in
Ausbildung und Arbeit.
3.5.4.4
Fallmanagement
Der Katalog „Fallmanagement“ umfasst folgende Bereiche (vgl. Abbildung 25):
Abb. 25: Fallmanagement
- Ein Modul zur detaillierten Kompetenzerfassung (Diagnose/Assessment), das über
die Daten zur Biografie-Vorgeschichte hinaus geht und alle zur Beschreibung der
Lebenslage wichtigen Ressourcen einer Person zu dokumentieren ermöglicht.
- Ein Modul zur Festlegung von Förderzielen. Mit den diesem Modul zugrunde liegenden Erfassungszweigen lässt sich für den Einzelfall ein Förderbedarf spezifizieren, ein Förderzeitraum festlegen und die für den Integrationsprozess einzuleitenden Entwicklungs- bzw. Förderschritte benennen sowie deren Verlauf kontrollieren.
- Ein Modul „Dokumentation der Qualifizierungsschritte“. Darüber werden alle für
den Einzelfall eingeleiteten Maßnahmen zur Förderung der sozialen und beruflichen Integration erfasst und festgehalten. Hierbei handelt es sich um die Durchführung der im Förderplan festgehaltenen Förderschritte zur Erreichung des Förderziels. Die Erfassungszweige des Moduls „Dokumentation der
Qualifizierungsschritte“ sind so gestaltet, dass sowohl Aussagen über Art und Umfang als auch über den Verlauf und die Ergebnisse von Fördermaßnahmen möglich sind.
- Ein Modul „Freie Dokumentation zum Fall“. Dieses ermöglicht die freie Texteingabe
zu den einzelnen Schritten im Fallmanagement: Zur „Kompetenzerfassung“, zu den
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„Förderzielen“ und zur „Dokumentation der Qualifizierungsschritte“. Die bzw. der
Case Manager verfügt damit über ein flexibles Instrument zur Dokumentation des
Einzelfalls. Alle sonstigen, nicht über die vorgegebene Struktur der Erfassungszweige und den dahinter liegenden Listen abbildbaren Prozesse, die für den Fallverlauf von Bedeutung sind, können so mit Hilfe freier Textfelder (sog. Memofelder)
an entsprechender Stelle festgehalten werden.
3.5.4.5
Detaillierte Kompetenzfeststellung
Im Rahmen der Kompetenzfeststellung soll herausgearbeitet werden, welche Unterstützung der einzelne Jugendliche braucht. Dazu ist es notwendig, herauszufinden,
welche Ressourcen der bzw. dem Jugendlichen fehlen, aber auch welche Ressourcen sie/er selbst einbringen kann.
Unter der Rubrik „Detaillierte Kompetenzerfassung“ erfolgt eine umfassende Bestandsaufnahme der Ressourcen des Jugendlichen in wichtigen Lebensbereichen.
Festgehalten werden können schulische, berufliche (soweit vorhanden), kulturelle
und finanzielle Ressourcen. Neben den Informationen, die die Case Managerin bzw.
der Case Manager in einer Gesprächssituation durch den Jugendlichen gewinnt,
können auch weitere Informationen von anderen Beteiligten eingeholt werden. Das
Dokumentationssystem bietet hierzu Raum, indem beispielsweise Ergebnisse aus
der Teilnahme an AC (Assessment Center) oder an einzelnen Testverfahren festgehalten werden können (vgl. Abbildung 26).
Beispiel 2: Fallmanagement – Erfassungszweig „Kompetenzfeststellung“
Im Case Management geht es um eine möglichst vollständige Erfassung und Beurteilung der Situation des Jugendlichen, aus der sich der Integrationsplan erschließen
muss. Der Prozess der Einschätzung basiert auf den in der Kompetenzfeststellung
hinterlegten Daten. Diese Klärung muss kein einmaliger Vorgang sein, die Einschätzung kann auch schrittweise erfolgen, korrigiert und wiederholt werden. Hierzu bietet
das System eine Verlaufsdokumentation an, mit dem auch ein Reassessment festgehalten werden kann.
122
Abb. 26 Fallmanagement – Erfassungszweig „Kompetenzfeststellung“
Die Module „Festlegung von Förderzielen“ (Integrationsplan) und „Durchführung von
Qualifizierungsschritten“ (Durchführung des Integrationsplans) sind ähnlich aufgebaut
und gestaltet wie die „Detaillierte Kompetenzerfassung“, so dass an dieser Stelle auf
eine ausführliche Darstellung der Inhalte dieser Module verzichtet und auf das Handbuch zum Dokumentationssystem LAP Change (Lex u. a. 2004) verwiesen wird. Als
abschließendes Beispiel soll illustriert werden, wie im Rahmen eines IT-gestützten
Dokumentationssystem das Case Management beendet und Daten zum Verbleib der
bzw. des Jugendlichen erfasst werden können.
3.5.4.6
Abschlussbewertung
Der Katalog „Abschlussbewertung“ umfasst die Bereiche „Merkmale der Austrittssituation“, in dem wichtige Daten zur Austrittssituation erfasst werden können, sowie
Einschätzungen durch die Einrichtung und aus Sicht des Jugendlichen (vgl. Abbildung 27).
Abb. 27: Abschlussbewertung Fallmanagement
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Ein für die Selbstevaluation einer Einrichtung wie für die Evaluation des Programms
gleichermaßen wichtiges Feld bildet der schulische oder berufliche Anschluss/Verbleib der/des Jugendlichen nach Beendigung von Case Management.
Sind die Zielvorgaben für das individuelle Case Management erreicht, wird der Fall
abgeschlossen. Aber auch, wenn das Ziel nicht erreicht wird, kann ein Fall abgeschlossen werden, etwa wenn der Prozess durch die/den Jugendlichen selbst oder
die Einrichtung (z. B. aus mangelnder Beteiligung) abgebrochen wird. Im gegebenen
Beispiel (Abbildung 28) können solche Daten, die Auskunft über die Art der Beendigung liefern, im Erfassungszweig „Beendigung“ abgebildet werden. Darüber hinaus
bietet der Erfassungszweig „Erreichte formale Qualifikation“ die Möglichkeit, alle im
Zeitraum von Case Management erreichten Zertifikate, Scheine und Schulabschlüsse zu dokumentieren. Und schließlich können unter der Rubrik „Anschluss/Verbleib“
Daten generiert werden, die Auskunft über den Integrationsanschluss der bzw. des
Jugendlichen liefern.
Beispiel 3 Abschlussbewertung – Erfassungszweig Anschluss/Verbleib
Je nachdem, ob es sich um einen Übergang in Schule, Ausbildung, ein Förderangebot oder Erwerbsarbeit handelt, können genauere Angaben zu den jeweiligen Übergangsstationen gemacht werden. Handelt es sich beispielsweise um einen Übergang
in Ausbildung, kann der Ausbildungsberuf und die Art der Ausbildung (ob fachschulisch, betrieblich, überbetrieblich/Verbundausbildung, außerbetrieblich) festgehalten
werden. Bei einem Übergang in Schule können Schulart und Klassenstufe erfasst
werden.
124
Abb. 28 Grafik Abschlussbewertung – Erfassungszweig Anschluss/Verbleib
Aus den Daten zum Anschluss/Verbleib lassen sich Aussagen darüber machen, wo
die Jugendlichen unmittelbar nach Ende von Case Management beruflich einmünden. Evaluation im Sinne einer Wirkungsanalyse wird sich nicht allein auf das „Output“ beschränken, sondern den Integrationsprozess als Ganzes in den Blick nehmen.
Im Case Management geht es um die Unterstützung und Versorgung im Einzelfall.
Ihre Evaluation kann sich an der individuellen Lebenslage orientieren, also daran,
was sich in den einzelnen Dimensionen getan hat. Soll ein IT-gestütztes Dokumentationssystem gleichzeitig auch der Evaluation dienen, dann ist zu berücksichtigen,
dass die wesentlichen Gesichtspunkte eines Fallverlaufs und des Integrationsprozesses erfasst und dokumentiert werden müssen. Im Bespiel des Modellprogramms
„Kompetenzagenturen“ umfasst dieser Prozess auch die Nachbetreuung, in der der
Verbleib des Jugendlichen nach sechs Monaten nach Übergang in Schule, Ausbildung oder Arbeit im Sinne der Nachhaltigkeit von Case Management überprüft und
bei Handlungsbedarf entsprechende Schritte eingeleitet werden.
125
3.5.5
Programmtechnische Umsetzung
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, spielte bei der Entscheidung für das Produkt
LAP Change die Systemarchitektur eine ausschlaggebende Rolle. Diese musste sich
als extrem offen und flexibel gegenüber den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Akteure im Modellprogramm erweisen. Die wissenschaftliche Begleitung
benötigte Daten zur Evaluation des Programms, die Regiestelle Daten zur Steuerung
und zum Controlling und die Kompetenzagenturen Daten zur Darstellung und Auswertung von Einzelfällen sowie ihrer Fälle insgesamt. Auf der einen Seite ging es
also um die Spezifika der verschiedenen Ansätze der einzelnen Kompetenzagenturen, auf der anderen Seite um die Vergleichbarkeit der Daten. Um diesen Prozess
voranzutreiben, wurde ein Anwenderforum eingerichtet, auf dem sich wissenschaftliche Begleitung, Vertreter/innen der Kompetenzagenturen und die Regiestelle über
ein gemeinsames Set an Variablen und Items verständigten, welches die Basis für
Monitoring und Evaluation bilden sollte. Hierbei spielten auch Fragen zum Datenschutz eine wichtige Rolle, die ihren Niederschlag in verschiedenen Erklärungen zum
Datenschutz in den Kompetenzagenturen und der wissenschaftlichen Begleitung gefunden haben14.
Das System sollte drei Anforderungen erfüllen: Erstens sollte es so strukturiert sein,
dass es für die Nutzerinnen und Nutzer im Modellprogramm eine größtmögliche Anpassung erlaubt. Das bedeutet, dass die zur Abbildung von Case Management Prozessen im Modellprogramm „Kompetenzagenturen“ erforderlichen Kategorien frei
definierbar und ihre Anordnung auf Bildschirmmasken gestaltbar sein sollte. Diese
Flexibilität war notwendig, denn es war zu erwarten, dass im Modellförderzeitraum
verschiedene Modifikationen vorgenommen werden mussten. So ergaben sich beispielsweise in der Modelllaufzeit, bedingt durch Hartz IV, einige begriffliche Änderungen. Solche Anpassungen sollten ohne großen Aufwand und unter Beibehaltung der
Konsistenz der Datenbank möglich sein. Zweitens sollte das System die Voraussetzungen mitbringen, sowohl Status- als auch Verlaufsdaten abbilden zu können. Die
dem System zugrunde liegende Datenbank musste so strukturiert sein, dass sie die
erfassten Daten zeitlich geordnet nach einzelnen Episoden ablegen und verwalten
kann. Die letzte und dritte Forderung war, dass ein solches System neben gängigen
14
Dem Schutz der persönlichen Daten der Jugendlichen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sind die Daten der/des Jugendlichen für ein Datenerfassungssystem zu erfragen, dann setzt dies ihre/seine schriftliche Einwilligung voraus. Vorschläge, wie
eine Einwilligung der/des Jugendlichen zur Weitergabe ihrer/seiner Daten oder eine Entbindung der Case Manager/innen von
der Schweigepflicht aussehen kann, finden sich unter: www.kompetenzagenturen.de/download.html.
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Schnittstellen zu Officeprogrammen (Word, Excel, Power Point) auch eine Schnittstelle zu einem leistungsfähigen Statistikprogramm ermöglichen sollte. Diese drei
Forderungen konnten im Programmverlauf weitgehend umgesetzt werden.
Bei der Erfassung von Daten im Dokumentationssystem ist grundsätzlich zwischen
Metadaten und Erfassungsdaten zu unterscheiden. Mit den Metadaten werden die
Module mit ihrer Baumstruktur, den Erfassungselementen (Datentypen) und den Listen entsprechend der Aufgabenstellung definiert. Sie bilden die Logik zur Datenerfassung eines Moduls. Die Erfassungsdaten erhalten alle Informationen zu einer Person, entsprechend der Definition der Module. Sie können Status- und
Verlaufsinformationen beinhalten. Zu den Metadaten zählen folgende Datentypen:
Textfelder und Memofelder:
Textfelder können numerisch oder alphanumerisch sein. Sie sind auf 255 Zeichen
beschränkt und können z. B. Angaben zur Berufsbezeichnung oder Angaben erhalten, aus denen hervorgeht, wie viele Praktika ein Jugendlicher bereits absolviert hat.
Memofelder sind im Unterschied zu den Textfeldern nicht begrenzt. Der auf dem
Bildschirm sichtbare Bereich ist aus Platzgründen häufig eingeschränkt. Es lassen
sich Texte in und aus Word-Dokumenten übernehmen. Die Memofelder ermöglichen
freies Navigieren und lassen in der Anwendung viel Spielraum in der fallbezogenen
Dokumentation.
Checkboxen mit vordefinierten Antwortmöglichkeiten:
Checkboxen bilden Kategorien ab, für die eine Antwortmöglichkeit (trifft zu oder trifft
nicht zu) vorgesehen ist (z. B. Teilnahme an einem Praktikum ja/nein) oder aus mehreren Antwortmöglichkeiten ausgewählt werden kann (Mehrfachantworten, z. B. Angaben zum Lebensunterhalt).
Comboboxen mit Alternativantworten aus einer vorgegebenen Liste:
Comboboxen finden in unserem Beispiel häufig Verwendung. Die Listen können unterschiedlich lang sein und enthalten ein Set an vordefinierten Items, aus denen das
zutreffende ausgewählt werden kann. So kann z. B. aus einer hinterlegten Länderliste das für die Person treffende Geburtsland ausgewählt werden.
Datumselemente:
Es werden zwei Daten unterschieden: Ein Kalenderdatum und ein Intervalldatum.
127
Ersteres erfasst einen Status, z. B. das Geburtsdatum, letzteres bildet eine Zeitspanne ab, z. B. die Dauer von Assessment oder die Dauer einer Fördermaßnahme. Damit können Verläufe erfasst und in der Datenbank abgebildet werden. In beiden Fällen ist der Liste ein Kalender hinterlegt, die Daten können aber auch direkt erfasst
werden.
Radiobutton:
Radiobuttons finden in Skalen Verwendung. Skalen definieren die Ausprägung eines
Merkmals in einem vorgegebenen Wertebereich. Um Aussagen zu Einschätzungen
(Selbsteinschätzung, Fremdeinschätzung) treffen zu können, werden diese in Skalen
abgebildet. So können z. B. in Abschlussbewertungen Einschätzungen vorgenommen werden, die sich auf die Motivation oder die Lern- und Leistungsbereitschaft
der/des Jugendlichen beziehen und diese z. B. in einer 3er-Skala der Ausprägungen
von „hoch – mittel – niedrig“ abbilden. Ebenso können die Jugendlichen eine Beurteilung abgeben, wie zufrieden (sehr, teils/teils, nicht) sie mit dem Angebot der Einrichtung sind.
Beim Aufbau der Kataloge hat man sich die Baumstruktur zu Eigen gemacht. Somit
ist der Verlauf eines Prozesses (Case) nach dem Vorbild des „Windows Explorers“ in
Baumform darstellbar. Das heißt der Fallverlauf bildet sich in einer Baumstruktur mit
sich verzweigenden Ästen ab. Auch bei einem langwierigen Integrationsprozess mit
Phasen von Reassessment und wiederholter Vermittlung in verschiedene Förderangebote behält die Case Managerin bzw. der Case Manager den Überblick und kann
das Fallgeschehen durch Schließen und Öffnen der Äste des Baums gut verfolgen.
Programmierbare Export- und Import-Funktionen erlauben es, ausgewählte Informationen an andere Anwender/innen des Systems weiterzuleiten oder von anderen
Systemen zu integrieren. So wurde beispielsweise in einer Kompetenzagentur eine
bereits existierende Datenbank zu den regionalen Anbietern von Fördermaßnahmen
in das IT-gestützte Dokumentationssystem eingebunden und für alle Kompetenzagenturen wurde eine Schnittstelle zu SPSS, einem leistungsfähigen Statistikprogramm geschaffen. Die Übermittlung der Daten aus den Kompetenzagenturen für
wissenschaftliche Auswertungen und Analysen erfolgte in anonymisierter Form, so
dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind. Da es sich bei den
vorliegenden Daten um Prozessdaten handelt, werden damit gleichzeitig auch höhe128
re Anforderungen an Auswertungsprogramme gestellt, als dies bei Daten der Fall ist,
die nur den Status erfassen. Dafür geeignete Auswertungsroutinen wie beispielsweise Ereignisanalysen stehen in der Regel nur in den großen Statistikprogrammen zur
Verfügung.
3.5.6
Fazit und Ausblick
Im Rahmen der Modellförderung „Kompetenzagenturen“ wurde ein IT-gestütztes Dokumentationssystem zur Unterstützung von Case Management Prozessen bei der
sozialen und beruflichen Förderung von benachteiligten Jugendlichen entwickelt und
erprobt. Das Instrument umfasst ein Set an standardisierten Items, die die Abbildung
des Integrationsprozesses ermöglichen und den Entwicklungsverlauf dokumentieren.
Die auf dem Bildschirm sichtbaren Eingabemasken folgen der Struktur des Handlungskonzepts Case Management. Sie sind so aufgebaut, dass die einzelnen Phasen von der Anamnese über den Hilfe- bzw. Integrationsplan, die Vermittlung in
passgenaue Förderangebote bis hin zur vertieften Evaluation, die auch eine Nachbetreuung einschließt, getrennt bearbeitet werden können. Auch beliebige Verknüpfungen untereinander sind möglich. Die Aufnahme der für den Integrationsverlauf im
Einzelfall relevanten Informationen deckt einen vielschichtigen Bereich mit differenzierten Eingabemöglichkeiten ab. Es gibt keine Doppelerfassungen. Einmal eingegebene Daten stehen der Case Managerin bzw. dem Case Manager jederzeit abrufbereit zur weiteren Fallbearbeitung zur Verfügung. Auf die in der Datenbank abgelegten
Informationen kann jederzeit gezielt zugegriffen werden, und durch entsprechende
Tools lassen sich die ausgewählten Daten problemlos in Formulare und Berichte einbinden. Das IT gestütztes Dokumentationssystem hält auch solche Funktionen bereit,
mittels der sich sowohl der Integrationsprozess für den Einzelfall auswerten und grafisch darstellen lässt, als auch die Daten aller Personen, die in einer Einrichtung geführt werden. Eine Anbindung an ein leistungsfähiges Statistikprogramm ist dann erforderlich, wenn es um ausführliche Analysen von Prozessdaten geht oder wie im
gegebenen Beispiel Daten zum Modellprogramm im Rahmen von Monitoring und
Evaluation ausgewertet werden sollen.
Welche Erfahrungen liegen aus dem Modellprogramm Kompetenzagenturen vor, und
welche Erkenntnisse lassen sich daraus für das Handlungsfeld ableiten?
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Bewährt hat sich, auf die Konstruktion der IT-gestützten Datenbank Einfluss zu nehmen. Da die kommerziellen Hersteller und Vertreiber solcher Produkte aus ökonomischen Gründen nicht vorrangig fachliche Interessen in dem für sie begrenzten Markt
der Jugendsozialarbeit verfolgen, ist es nahe liegend, dass sich Praxis wie auch Wissenschaft und Forschung, die an der fachlichen Entwicklung solcher Prozesse beteiligt sind, hier engagieren müssen. Die Erfahrungen aus dem Modellprogramm zeigen, wie wichtig es ist, die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Anfang an in den Prozess einzubeziehen, um die erforderliche Akzeptanz herzustellen. Diese ist umso eher gegeben, je mehr die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Einrichtungen die Arbeit mit dem Dokumentationssystem nicht als zusätzliche Belastung, sondern als Hilfe und Unterstützung für zielgerichtetes, pädagogisches Arbeiten verstehen und nutzen. Zusätzlich braucht es den Blick von außen auf die Praxis.
Damit die Fachsoftware verlässliche Daten liefern kann, müssen die für das Handlungsfeld relevanten Merkmale operationalisiert und in entsprechende Erfassungskategorien umgesetzt werden. Dies sollte auf wissenschaftlich fundierter Basis erfolgen.
Um unliebsamen Abhängigkeiten von der Software aus dem Wege zu gehen, empfiehlt es sich von Anwenderseite, sich am Prozess der programmtechnischen Umsetzung durch entsprechende Fachkompetenz aktiv zu beteiligen. Im Modellprogramm
„Kompetenzagenturen“ haben drei unterschiedliche Professionen zusammengewirkt
und die Entwicklung des Produkts vorangetrieben: Sozialpädagoginnen und Pädagogen als Vertreterinnen und Vertreter der Praxis und der Regiestelle, eine Psychologin, zwei Soziologinnen und ein Informatiker als Vertreter der wissenschaftlichen
Begleitung. Dieser für alle Seiten befruchtende Prozess hat dazu geführt, dass in
relativ kurzer Zeit ein IT-gestütztes Dokumentationssystem für die Praxis entwickelt
und erprobt werden konnte, das den komplexen Integrationsprozess benachteiligter
Jugendlicher von der Schule ins Arbeitsleben erfasst und der Wissenschaft zur Analyse dieses Prozesses umfangreiche Daten liefert.
Auch wenn das im Modellprogramm erprobte Dokumentationssystem inzwischen mit
vielen Funktionen ausgestattet ist, bleibt es entwicklungsfähig.
Zentrale Kriterien für die Fortentwicklung sind:
- Die Konsistenz aller Module durch ein einheitliches, übersichtliches und bedienerfreundliches Design.
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- Hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die verschiedensten Aufgaben und
sich verändernden Arbeitsbereiche im Handlungsfeld Jugendsozialarbeit. Alle im
Rahmen eines solchen Dokumentationssystems zu gestaltenden Module sollten
frei generierbar, d. h. ohne großen Programmieraufwand möglich sein. Damit diese
Aufgabe von der Anwenderin bzw. vom Anwender selbst vorgenommen werden
kann, sollte die Software mit einem dafür geeigneten speziellen Programm (Wizard), das der Administratorin bzw. dem Administrator einer Organisation vorbehalten ist, ausgestattet sein. Die Konsistenz der Datenbank muss auch dann gewährleistet sein, wenn aufgrund veränderter Rahmenbedingungen Datenfelder neu
hinzugefügt, geändert oder gelöscht werden.
- Es müssen Anbindungsmöglichkeiten geschaffen werden, um auf vorhandene, auf
der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelte Erfassungs- und Auswertungsraster im Rahmen z. B. der Diagnostik oder dem Assessment zurückgreifen
zu können. Es liegt z. B. mit DIK-215 ein differenzierter Katalog von standardisierten Beschreibungen berufsbezogener Personenmerkmale für die Diagnostik in der
sozialen Arbeit vor.
- Für eine fachwissenschaftliche Fundierung der verwendeten Items, werden Begriffsdefinitionen benötigt, die als Pop-Up Fenster den jeweiligen Kriterien hinterlegt sein sollten. Für das Handlungsfeld kennzeichnend ist, dass es über keine
einheitliche Fachterminologie verfügt, so dass die Gefahr besteht, dass Begriffe
unterschiedlich interpretiert werden und es dadurch zu uneindeutigen Aussagen
kommt.
- Damit das Instrument in der Praxis zur Selbstevaluation wirkungsvoll genutzt werden kann, ist es mit einer Reihe von zusätzlichen Funktionen auszustatten, die sowohl Auswertungen für den Einzelfall als auch für alle in der Einrichtung betreuten
Personen erlaubt und zudem Routinen bereit hält, über die eine interne Bewertung
der Arbeit möglich ist. Voraussetzung dafür ist ein einfach zu bedienendes statistisches Auswertungstool mit einer Übergabemöglichkeit der Daten in gängige
Officeprogramme wie Word und Excel. Dieses praxisgerecht zu gestalten, sollte
höchste Priorität haben. Dann wächst auch die Einsicht, dass ein IT-gestütztes Dokumentationssystem den (sozial-) pädagogischen Arbeitsprozess wirksam unter-
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DIK-2 ist ein im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit für den Bereich der beruflichen Rehabilitation von Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis entwickelter Katalog von standardisierten Beschreibungen berufsbezogener Personenmerkmale (Bundesanstalt für Arbeit (2002).
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stützen, zu mehr Effizienz und Effektivität führen und zur Qualitätssicherung der
Einrichtung beitragen kann.
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