„Heilig sind auch die Deutschrocker nicht …“

Transcrição

„Heilig sind auch die Deutschrocker nicht …“
Ende April 2015 erscheint ein monumentales Werk über „Frei.Wild. Südtirols konservative
Antifaschisten“ und die Deutschrock-Szene (siehe www.facebook.com/Frei.Wild.DasBuch?ref=hl bzw.
http://shop.jugendkulturen.de/375-freiwild.html). Autor ist Klaus Farin, Gründer des Berliner Archiv
der Jugendkulturen und Autor u. a. von „Buch der Erinnerungen. Die Fans der Böhsen Onkelz“. Für
dieses Buch hat Farin nicht nur mit Frei.Wild selbst Interviews geführt, sondern auch mit 59 (!)
weiteren Deutschrock-Bands. Dabei selbstverständlich  auch wir!
Das Interview mit uns könnt Ihr schon hier exklusiv vorab und ungekürzt lesen:
„Heilig sind auch die Deutschrocker nicht …“
Interview mit Stainless Steel / Killerton
Zu den Bands: Stainless Steel (Onkelz-Tribute): Gründungsjahr: 2000 (Idee) / 2003 (Live-Shows etc.);
Nebenprojekt Killerton (eigene Deutschrock-Songs + Frei.Wild-Cover): Gründungsjahr: 2010.
Besetzt sind die Bands folgendermaßen:
Stainless Steel:
Christian Herbig, 31 – Gesang
Fuzzy, 38 – Bass
Sebastian Mader, 32 (Bandgründer) – Gitarre
Thomas Röder, 23 – Schlagzeug
Killerton:
Mario Gundel, 25 – Gesang
ansonsten gleiche Besetzung wie Stainless Steel.
Die Fragen beantwortete: Sebastian Mader.
Was sind eure eigenen musikalischen Wurzeln?
Unsere Musikgeschmäcker sind sehr vielfältig und unterschiedlich, wesentliche Einflüsse auf uns hatte aber
sicherlich unbestritten die Hardrock- und Metal-Szene. Was wir alle gemeinsam haben: Wir sind mit der
Musik der Onkelz groß geworden und die hat uns teilweise sehr stark geprägt.
Die (Deutsch-)Punk-Szene und Deutschrock vertragen sich ja nicht immer gut … Wie kommt das?
In der deutschen Punk-Szene kennen wir uns jetzt nicht wirklich sonderlich gut aus. Das ist einfach nicht
unsere Szene, insofern können wir dazu nur schwer eine Beurteilung abgeben. Mein subjektiver Eindruck ist
allerdings – aber da mag ich mich auch täuschen –, dass die Gräben unter den Fans nicht wirklich so tief
sind, wie sie oft von diversen Leuten aus den unterschiedlichsten Beweggründen herbeigeredet werden. Ich
persönlich konnte mit den kommerziellen Verschnitten von Punk-Rebellion, den Toten Hosen, ärzten und
Konsorten, nie wirklich etwas anfangen und Bands wie Slime waren mir irgendwo zu politisch. In die Musik
der Onkelz hingegen habe ich mich von Anfang an verliebt; das war so die erste deutschsprachige RockMusik mit ernsthaften Texten, die auf unbequeme, unbeugsame Art nicht nur die Sonnenseiten des Lebens
beleuchtet und mich auf einer emotionalen Ebene erreicht hat. Dreckig, laut, ehrlich und direkt. Um wieder
etwas auf die Frage zurückzukommen: Wir treffen auf unseren Shows jedenfalls die unterschiedlichsten
Menschen und Persönlichkeiten … Vom Skin bis zum Punk, vom Studenten bis zum Vollproll. Idioten hast
du zwar überall, aber unterm Strich ist die Deutschrock-Szene doch sehr viel toleranter als oftmals suggeriert
wird.
Wie definierst du „Deutschrock“?
Die Bezeichnung „Deutschrock“ ist irgendwo ein etwas unkonkret definierter, sehr diffuser Begriff, unter
dem jeder wohl ein klein wenig etwas anderes versteht. Musikalisch gekennzeichnet ist das Genre für mich
sicherlich durch laute, kraftvolle Gitarren-Riffs – eine Prise Punk trifft auf Rockmusik und verschafft dieser
so den nötigen ‚Schub‘, um Gehör zu finden. Gesanglich sollte es ebenfalls nicht an der nötigen Härte
fehlen. Idealerweise eine leicht versoffene, dreckige Reibeisenstimme, der man abkauft, was sie da singt …
Denn textlich zeichnet sich Deutschrock für mich vor allen Dingen dadurch aus, dass auch unbequeme
Themen auf direkte Art und Weise in ehrlichen, lebensnahen Texten thematisiert werden, an die sich andere
Musik nicht mit dieser Ernsthaftigkeit herantraut. Die Musik kanalisiert oft auch eine gewisse Wut oder
Unzufriedenheit, ist Ventil für Frust und bringt Unangepasstheit zum Ausdruck. „Wir scheißen auf euch und
lassen uns nicht vorschreiben, wie wir zu sein haben“ ist so eine Attitüde, die da meines Erachtens oft
mitschwingt. Ein ganzes Stück weit auch als Trotzreaktion auf die Anfeindungen und zumeist falschen
Anschuldigungen von außerhalb der Szene, die man als Szene-affiner Mensch des Öfteren erfährt. Wie oft
wird man einfach mal per se als „rechts“ oder gar „Nazi“ abgestempelt, nur weil man diese Art von Musik
mag. Presse und Medien genießen daher keinen guten Ruf in der Szene, und das ist nicht die alleinige Schuld
der sensationsgeilen Boulevardblätter und der Yellow Press, die ohnehin nur Scheiße schreiben. Schlecht
recherchierter Journalismus ist hier generell an der Tagesordnung, und oft genug hat man das Gefühl, dass
einer etwas Falsches vom anderen abschreibt, während die Wahrheit hingegen niemanden mehr wirklich
interessiert. Die Deutschrock-Szene ist ein willkommenes Feindbild; auf der anderen Seite wird man als
‚echter Deutschrocker‘ aber mittlerweile vielleicht sogar schon gerne vom ‚Mainstream‘ gehasst und – Ironie
des Schicksals – vielleicht ist das auch ein Stück weit der Kitt, der die Szene verbindet, definiert und noch
enger zusammenschweißt. So in der Art: „Fuck off, scheiß drauf, ihr verlogenen Heuchler – wir machen hier
unser Ding.“ Damit wird auch in Songtexten sehr gerne kokettiert.
Aber Deutschrock ist auch ein Marketingbegriff, eine verkaufsfördernde Schublade geworden, oder?
Klar, aber das ist bei jeder ‚Szene‘, die auf reges Interesse von Menschen trifft, früher oder später der Fall.
Nachfrage, die besteht, wird bedient … Es verwundert mich keineswegs, dass da nun per se viele probieren,
auf den fahrenden Zug aufzuspringen. An und für sich ist es streng genommen auch nichts Verwerfliches,
wenn Leute versuchen, ihre Brötchen damit zu verdienen oder ordentlich Umsatz zu scheffeln. Und
diejenigen, die weinend gegen „kommerzielle Aasgeier“ wettern, wären in den meisten Fällen vermutlich am
Ende sogar die Ersten, die zugreifen würden, wenn sich ihnen selbst die Gelegenheit dazu bieten würde …
Für mich ist da ein ganz anderer Punkt entscheidend: die Authentizität der Musik. Und die kann man nicht
erzwingen. Wenn jemand nicht mit Herzblut hinter dem steht, was er macht, dann merken das die Leute
früher oder später. Da kann man noch so ausgefuchst und gerissen sein, studierter Profi-Musiker, der sein
Handwerk von A bis Z beherrscht, oder was weiß ich – am Ende liegt dann ein liebloser Happen ohne Seele
auf dem Plattenteller. Das ist für mich keine Musik, egal, wie ausproduziert das Ding daherkommt. Der Kern
der Geschichte ist entscheidend. Sicherlich sind bei einer Band wie Frei.Wild in deren Umfeld auch
zahlreiche professionelle Leute aus dem Musik-Geschäft am Werkeln, aber die Musiker selbst machen ihre
Sache mit Leidenschaft und Herz und haben eine Botschaft in ihren Songs. Wenn ich mir aber Produkte wie
beispielsweise Haudegen anschaue – man mag es mir nachsehen, aber das ist nun einmal meine Meinung –,
dann ist das für mich persönlich das beste Paradebeispiel für relativ erfolgloses Trittbrettfahren. Da kann
man noch so viel Geld reinbuttern … Oder im kleinerem Maßstab betrachtet zum Beispiel Störte.Priester –
da fehlt mir die Glaubwürdigkeit und Authentizität: gewollt, aber nicht wirklich gekonnt. Am Ende
entscheidet jedenfalls immer der Musikhörer, und der Szenegänger hat die Zügel fester in der Hand, als
manch einer sich bewusst ist. Insofern – Marketing hin oder her: Drauf geschissen!!!
Frei.Wild ist der Headliner des heutigen Deutschrock. Welche Bands gehören für dich noch dazu?
Neben Frei.Wild und den Onkelz würde ich auch die KrawallBrüder als szeneprägend für den Deutschrock
ansehen, auch wenn die Band generell eher dem Skin- und Oi!-Sektor zuzurechnen ist. An dieser Stelle
gleich mal der leidige Hinweis für alle nicht szenekundigen Leute, die sich auf das ‚Fachwissen‘ von Bild
und Co. berufen: Skinheads bitte nicht mit politisch verwirrten ‚Nazi-Glatzen‘ verwechseln, das ist
grundfalsch! Nun gut, wie das halt immer so ist mit dem Schubladen-Denken … Ein Blick über den
Tellerrand lohnt jedenfalls immer, und meines Erachtens sind es eben die ‚Brüder‘, die den Deutschrock
ebenfalls zu großen Teilen mitgeprägt haben. Eine weitere prägende Band wäre zum Beispiel Kärbholz.
Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe an Gruppen wie Unantastbar, Wilde Jungs usw., die ich aber nicht
als in erster Reihe federführende oder stilprägende Headliner sehen würde. BRDigung fällt mir spontan noch
ein, aber die tragen wohl eher Punkrock-Federn … Wie das eben immer so ist mit dem Schubladen-Denken
…
Was haben diese Bands noch gemeinsam – außer der deutschen Sprache in ihren Songs? Gibt es
gemeinsame Einstellungen der Deutschrock-Szene?
Unterm Strich betrachtet hält der Deutschrock der Gesellschaft in unbarmherziger Art und Weise einen
Spiegel vor Augen und zeigt dieser ihre oftmals hässliche Fratze, die sie selbst offenkundig verleugnet und
einfach nicht sehen will. Jetzt mal Hand aufs Herz: Wir werden von Politik und Medien nach Strich und
Faden verarscht und belogen, die Mächtigen stellen Habgier, Profit und Hass vor Liebe und führen so viele
Kriege auf dieser Welt. Und das hängt den Leuten in der Deutschrock-Szene – wie auch anderen Teilen der
Gesellschaft – ziemlich zum Hals raus … Deutschrock hingegen hat den Anspruch, ehrlich und direkt zu sein
und Missstände offen anzuprangern, auch wenn man damit oder gerade weil man damit aneckt, statt
stillschweigend „Ja und Amen“ zu sagen. Zur Verachtung für die Heuchelei und Verlogenheit der
‚Mainstream‘-Gesellschaft gesellt sich eine gute Prise Wut und Zorn. Mit geballter Faust in der Tasche wird
rebelliert. Sicherlich ist bewusste Provokation auch ein Teil der Geschichte. Eine gehörige Portion
Leidenschaft und Herzblut sind absolut unabdingbar. Ihren ‚Jüngern‘ bietet die Szene ein Stück weit
‚Heimat‘ und ‚Nestwärme‘; man fühlt sich verstanden, als Teil einer großen ‚Familie‘. Manchmal erkenne
ich aber auch Parallelen zu einem trotzigen, unbelehrbaren Kind. Aber auch das ist irgendwo reizvoll …
Ist Deutschrock nur ein Untergenre des Hardrock oder schon eine eigene Szene mit eigenen
Erkennungsmerkmalen?
Definitiv eine eigene Szene, und den Stein ins Rollen gebracht haben seinerzeit die Böhsen Onkelz.
Gibt es den typischen Deutschrock-Fan?
Sicherlich kann man pauschalisieren, aber das wird der Sache definitiv nicht gerecht! Gegenfrage: Gibt es
den typischen Fußball-Fan? Das klischeehaft-stereotype Negativ-Bild: männlich, asozial, aggressiv und zu
Gewalt neigend, Alkoholiker, Vollproll … Soll ich jetzt lachen oder weinen?! Sicherlich ist Deutschrock ein
Stück weit Musik von der Straße am Rande der Gesellschaft und zieht von dem her naturgemäß auch viele
auf der Strecke gebliebene, kaputte und frustrierte Leute an. Die Studentin von der Uni ist am Ende aber
genauso Teil der Szene wie der Fabrikarbeiter oder der Bauer vom Land. Eben jeder, der sich von der
Ästhetik der Szene angezogen fühlt und sich mit ihr identifizieren kann.
Unterscheiden sich Metal- und Deutschrock-Fans voneinander?
Ich halte nicht viel von Verallgemeinerungen, aber unterm Strich betrachtet würde ich den ‚typischen‘
Metal-Fan im direkten Vergleich als eher introvertierten, friedfertigen und gelassenen Menschen betrachten,
was man gemessen am oft martialischen Auftreten und äußeren Erscheinungsbild der Metaller so als
Außenstehender wohl nicht sofort vermuten würde. Der Deutschrock-Fan hingegen ist im Schnitt vielleicht
nicht ganz so ‚handzahm‘. Dem braucht man nicht krumm kommen … Wenn man aber fair, vorurteilsfrei
und respektvoll mit Vertretern beider ‚Spezies‘ umgeht, dann erfährt man in der Regel auch als
Außenstehender eine große Herzlichkeit, sowohl in der Metal- als auch in der Deutschrock-Szene.
Ist die Beschreibung der Deutschrock-Szene als „Familie“ nicht eher ein etwas kitschiger Mythos als
Realität?
Ich würde das keinesfalls als kitschigen Mythos oder rein naive Wunschvorstellung abtun. Vielmehr wird
dieses Ideal hochgehalten als das Maß aller Dinge, so wie es eben sein sollte. Man trägt es als eine Art
Mantra permanent vor sich her. Sicherlich ist die Realität immer nur ein Abziehbild der eigenen Maßstäbe
und Ideale und kein Mensch wird voll und ganz und zu jeder Zeit seinen selbst gesetzten Standards und
Ansichten gerecht, wage ich jetzt mal zu behaupten. Auch in der Deutschrock-Szene ‚menschelt‘ es und man
wird den eigenen, hoch gesteckten Idealen nicht immer gerecht. Andererseits schweißen vor allen Dingen die
permanenten Anfeindungen von außen die Deutschrock-Szene sehr eng zusammen und machen den Mythos
damit doch ein Stück weit zur gelebten Realität! „La familia“ ist definitiv keine absolut hohle Phrase …
Aber es gibt auch viele Konkurrenzen, Abneigungen, Distanzierungen unter den Bands, oder? Woher
kommt das?
Sicherlich, die gibt es. Diese „Wir scheißen auf die anderen und machen unser eigenes Ding“-Mentalität gilt
definitiv nicht nur im Außenbezug der Szene, sondern überträgt sich meiner Meinung nach zumindest
stellenweise auch innerhalb der Deutschrock-Szene. Von Fan-Seite her eher weniger, aber bei den Bands
untereinander sieht das teilweise schon etwas anders aus. Pathetisches Gefasel hin oder her – in der Szene
wird zwar gerne viel theatralischer Pathos versprüht, aber wie auch überall sonst im Leben gilt: Wo ein
Kuchen verteilt wird, herrscht am Ende oft Neid und Missgunst und jeder will das größte Stück mit dem
Sahnehäubchen oben drauf abhaben. Alles andere wäre heuchlerisch und gelogen – und damit eben genau
jenen Idealen zuwiderlaufend, die die Szene hochhält. Heilig sind auch die Deutschrocker nicht …
Ist der öffentliche Druck auf Bands wie Frei.Wild und die Deutschrock-Szene allgemein ein Grund für
die Distanzierungen?
Ganz klar! Schau dir Bands wie Broilers an. Die sind letztlich im Kielwasser der sich entwickelnden Szene
groß geworden, aber haben imagetechnisch einfach nur die Hosen voll und Angst, mit dieser Szene
identifiziert zu werden. Mag sein, dass sie den Habitus der Szene für sich nicht teilen, aber opportunistisch
genug waren sie dann doch, um von ihr in den Anfangsjahren zu profitieren.
Hast du eigene Erfahrungen mit so was gemacht?
Ja, natürlich. Das bleibt einem leider nicht erspart. Das erste Mal habe ich bereits auf dem Schulhof negative
Erfahrungen mit irgend so einem Migrantenkind sammeln dürfen, so ein Möchtegern-Linksalternativer, der
dumm wie Brot war und den gängigen Vorurteilen gegenüber der Musik der Böhsen Onkelz leider Gottes
kindlich-naiv, unreflektiert und unkritisch absoluten Glauben geschenkt hat. Irgendwie gehörte das in dessen
Umfeld scheinbar zum ‚guten Ton‘, die Onkelz als die vermeintlich ‚Rechten‘ abgrundtief zu hassen. Ganz
einfach, weil ich mit dem Band-Shirt besagter Gruppe das falsche T-Shirt anhatte … Dafür musste man dann
Prügel einstecken, und wenn man sich wehrte und nicht wie Jesus die zweite Backe auch noch hinhielt und
artig dafür „Danke“ sagte, bestätigte das in den Augen vieler uninformierter Vollidioten nur die
vorgefertigten, falschen Vorurteile und man war der böse ‚Nazi‘-Junge ... Sich erklären, sich rechtfertigen,
sich den Mund fusselig reden und zu versuchen, die Leute aufzuklären, war irgendwo ein sinnloses
Unterfangen, ein Laufen gegen Windmühlen. Das war ich dann irgendwann leid. Insofern dachte ich mir:
„Ihr gehirnlosen Lemminge, leckt mich am Arsch“, und hab die Leute reden lassen, was sie wollten. Ich
wusste ja, dass sie mit dem, was sie sagten und dachten, absolut falsch lagen. Meine Lehre daraus war zu
damaliger Zeit, dass diese vermeintlichen Toleranz-Prediger in Wahrheit oft die größten
gewaltverherrlichenden Menschenverachter sind. Ohne dieses Schlüsselerlebnis wäre ich vielleicht ein linksaffiner Mensch geworden, wer weiß. Was für eine dumme, idiotische Gesellschaft, dachte ich mir – von
dieser Zeit an ging mir die verbohrte Mehrheitsgesellschaft irgendwo immer mehr auf den Sack. Dass ich die
Woche drauf ein Rage-against-the-Machine-Shirt anhatte, passte diesem Menschen dann aber irgendwie
nicht in sein vorzementiertes Schubladen- und Vorurteils-Weltbild. Jedenfalls wurde man abgesehen von
dieser Geschichte öfters mal dumm angeschaut und geschnitten, wenn man sich erkennbar als Fan der
Onkelz outete.
Später dann durfte ich mit der eigenen Band die etwas perfideren Arten des öffentlichen Drucks und
der Distanzierungen kennenlernen: Mal war da eine profilierungssüchtige FDP-Regionalpolitikerin, die den
Urlaub des hiesigen Bürgermeisters abwartete, der zuvor ein Konzert von uns auf öffentlichem Gelände
genehmigt hatte, um dann auf einmal gegen unser Gastspiel vorzugehen. Vermutlich nur, damit man der
Oppositionspartei in Abwesenheit des Verantwortlichen eins ‚reindrücken‘ konnte. Mit uns wurde natürlich
im Vorfeld nicht geredet, jeglicher Kontaktversuch unsererseits abgeblockt, und bestehende Verträge waren
plötzlich nicht mal mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt waren. Ein anderes Mal wurde in der Presse
über uns hergezogen oder öffentliche Hallen wurden gar nicht mehr an Veranstalter vermietet, die uns
buchen wollten, bzw. gab es gelegentlich schikanierende behördliche Auflagen, die die Durchführung einer
Veranstaltung verhindern sollten. Das hat sich wenigstens bezüglich uns aber ein ganzes Stück weit
gebessert, zumindest ist das mein momentaner Eindruck. Insofern: Ich kann das durchaus nachvollziehen,
wenn sich andere Bands von Frei.Wild oder der Deutschrock-Szene distanzieren. Denn da kann ein
immenser gesellschaftlicher Druck entstehen, der einem wirtschaftlich leicht das Genick brechen kann.
Trotzdem finde ich das auf der anderen Seite sehr rückgratlos.
Können Sponsoren und die öffentliche Kritik Festivalveranstalter dazu zwingen, eine Band wie
Frei.Wild wieder auszuladen?
Sicherlich kann das vorkommen. Bestes Beispiel: Das auf öffentlichen Druck hin abgesagte diesjährige
Feuer-&-Eis-Festival. Das hätte ich in der Form nicht für möglich gehalten. Aber wenn vermeintliche
‚Gutmenschen‘ nur noch wahnhaft darauf bedacht sind, ihre scheinbar reine Weste vor Flecken zu bewahren,
und wenn auch nur im Anschein ein schlechtes Licht unerwünschte Schatten werfen könnte, nur noch
gekuscht wird, während irgendwelche Pressefinken es mit der Wahrheit zugunsten der Auflage oder der
eigenen Faulheit nicht wirklich ernst meinen, dann kommt eben so was dabei heraus. Irgendwo echt armselig
und ein Symptom unserer verlogenen, selbstgefälligen, dekadenten Gesellschaft von Heuchlern. Während in
Afrika die Kinder verhungern, stößt hierzulande die gönnerhafte ‚Charity‘-Gesellschaft mit einem Gläschen
Sekt auf sich selbst an, zeitgleich ist die nächste Waffenlieferung ins Krisengebiet schon auf dem Weg. Aber
ich merke schon, ich schweife wieder etwas ab …
Kritiker bezeichnen das Ganze oft als „Prollrock“. Ein Klischee? Oder steckt da ein wahrer Kern
drin?
Die Kritiker haben nicht ganz Unrecht, aber ich sehe das nicht negativ. Im Gegenteil. Das ist ehrliche Musik
von der Straße. Handgemacht und aufrichtig. Ohne zu viel Schnörkel drum herum, ohne unnötige
Umschweife – dafür direkt in die Fresse. Nichts für pseudo-intellektuelle Sesselfurzer und definitiv nicht
belanglos. Wie auch schon der Blues seine Wurzeln nicht in der Oberschicht hatte. Außerdem wird mit dem
klischeehaft ‚Prolligen‘ in gewissem Maße auch absichtlich und augenzwinkernd kokettiert und die ganze
Geschichte fast schon kultiviert, ja, um nicht zu sagen: zelebriert. Jetzt mal ehrlich: Es hat schon einen
gewissen Charme, dieses ‚Wochenend-Proll‘-Dasein … Rock’n‘Roll eben!!!
Drückt sich darin auch eine gewisse Arroganz gegenüber einer bestimmten metal-affinen Musik aus?
Von Seiten der Kritiker sicherlich. Aber letztlich hat es aus der Metal-Ecke zumindest Iron Maiden dann
doch schon mal ins Feuilleton der Süddeutschen geschafft, oder war das die FAZ? Da gibt es sicherlich
einige Anzugträger, die klammheimlich auf Deutschrock-Musik abfahren. Wundern würde mich das
jedenfalls nicht. Lassen wir die Kritiker mal Kritiker sein, und Arroganz kommt bekanntlich meistens vor
dem Fall …
In der politischen Auseinandersetzung wohl der wichtigste Begriff ist „Grauzone“. Ein sinnvoller
Begriff?
Ein schrecklicher, da sehr ausgrenzender, unterstellender und verdächtigender Begriff. Nachdem
Deutschrock mit Rassismus, Rechtsextremismus und Konsorten so viel zu tun hat wie der Osterhase mit dem
indischen Holi-Fest und sich deswegen keine Belege dafür aufbringen lassen, dass derartige
Generalverdächtigungen der Wahrheit entsprechen, deklariert man kurzerhand und willkürlich Teile der
Szene als rechtsoffene „Grauzone“ und versucht diese damit in ihrer Gesamtheit in Misskredit zu bringen.
Wenn dann aber auch nur einmal irgendein politisch verblendeter Vollspasti auf einem Deutschrock-Konzert
auffällig wird, dann wird damit gleich die komplette Szene in Verruf gebracht und diskreditiert. Kein
Mensch mit gesundem Verstand käme aber jemals auf die Idee, alle Fußballfans pauschal als „Nazis“ oder
rechtsoffen zu klassifizieren, nur weil irgendein rechter Schläger es bei einem einzigen Spiel mal in den
Stehblock geschafft hat. Rechtsradikalismus ist ein generelles gesellschaftliches Problem und keines der
Deutschrock-Szene. Nur wird hier besonders genau hingeschaut und bei erstbester Gelegenheit mit dem
Finger drauf gezeigt. Dass aber tausende Konzertbesucher eines Deutschrock-Konzertes schon mal einen
einzigen Vollidioten mit „Nazis raus!“-Rufen aus einer Halle hinausbugsieren, während man so was bei
Gotthilf Fischer vergeblich sucht, darüber verliert niemand ein Wort. Stattdessen ist dann in den Medien eher
von einem „Nazi-Konzert“ die Rede. Fakt ist meiner Meinung nach: In der Deutschrock-Szene herrscht
keinerlei Toleranz gegenüber politischen Extremen! Wenn nun aber irgendeine rechtsradikale Band auf die
Idee kommen sollte, seine Musik als „Deutschrock“ zu klassifizieren und den Begriff für die eigenen
Zwecke zu instrumentalisieren, dann ist das eindeutig dreister Etikettenschwindel. Für so was haben
Deutschrocker nur ihren Mittelfinger übrig!!!
Frei.Wild und andere Deutschrock-Bands werden von Kritikern oft sogar als „Rechtsrock“-Band
bezeichnet. Was sind für dich die Unterschiede zum Beispiel zwischen Frei.Wild und RechtsrockBands?
Diese Bezeichnung halte ich für extrem fatal, verantwortungslos und gelinde gesagt für eine bodenlose
Frechheit, weil es die Gefährlichkeit von Rechtsrock-Bands irgendwo relativiert. Wenn Frei.Wild als
„Rechtsrock“ diskreditiert wird, verharmlost das meines Erachtens Bands, die Rassismus, Hass und
Menschenverachtung predigen. Alles Dinge, mit denen Frei.Wild in keinster Weise etwas am Hut haben –
im Gegenteil!
Aber so trennscharf sind die Unterschiede zwischen Frei.Wild – oder dem Deutschrock allgemein –
und dem Rechtsrock ja auch nicht, oder? Immerhin gibt es eine Schnittmenge in den Fanbases. Siehst
du gar keine Gemeinsamkeiten in den Grundeinstellungen, im Auftreten, in den Gefühlen und
Stimmungslagen, die beide Gruppen auslösen können?
Ich sehe da nicht wirklich Gemeinsamkeiten. Frei.Wild pflegen als Vertreter einer lange Jahre stark
unterdrückten und gegängelten deutschen Minderheit in Italien zwar eine starke Heimatverbundenheit und
halten ihr eigenes Brauchtum, ihre Kultur, ihre Identität und ihren Glauben in allen Ehren. Das tun die
Indianerstämme Nordamerikas ebenfalls, nur dass sich daran niemand stört. Im Gegensatz zu manchen
Deutschen wissen die Südtiroler aber nur zu gut, was es heißt, keinen ethnischen Minderheitenschutz zu
genießen. Gewaltsame Italianisierungs- und Assimilierungspolitik unter den Faschisten und die
wahnwitzigen Umsiedlungspläne der Nazis haben die verbliebenen Südtiroler geschichtsbedingt meines
Erachtens gegenüber ‚rechten‘ und faschistischen Positionen ziemlich immunisiert. Die Frage ist, was man
unter dem Begriff ‚rechts‘ bzw. ‚Rechtsrock‘ verstehen bzw. subsumieren mag. Patriotismus und
Heimatliebe haben rein gar nichts mit Chauvinismus und Nationalismus zu tun, hier muss man trennscharf
differenzieren. Klar, Frei.Wild vertreten konservative Werte und Ansichten. Aber Jonas, Zegga, Före und
Philipp sind Menschen, die anderen Menschen zuvorderst mit dem nötigen Respekt gegenübertreten. Nur
wer sich selbst liebt, kann am Ende auch einen gesunden Umgang mit anderen pflegen. Und darauf kommt
es an. Rechtsrock hingegen ist menschenverachtend, kriegsverherrlichend und rassistisch.
Was interessiert deiner Meinung nach ‚Rechte‘ an einer Band wie Frei.Wild oder am Deutschrock
allgemein?
Keine Ahnung. Gegenfrage: Was interessiert ‚Rechte‘ am Zigaretten rauchen oder am Bier-Trinken und am
Fernsehen!? Ich weiß es nicht …
Könnte Frei.Wild – und die Deutschrock-Szene insgesamt – mehr tun, um gar nicht erst solche Fans zu
bekommen?
Ich sehe weder Frei.Wild noch die Deutschrock-Szene hier in der Bringschuld. Da ist vielmehr die
Gesellschaft an sich gefragt.
Warum bist du selbst kein Neonazi geworden?
Was für eine Frage … Denn auch wenn ich kein Einstein bin, so bewegt sich mein Intelligenzquotient
definitiv nicht unter Zimmertemperatur und ich benutze meinen Kopf unter anderem hin und wieder auch
mal zum Denken. Nur selten dumme Menschen lassen sich von idiotischen Ideologien und dumpfen Parolen,
Vorurteilen und geschürten Ängsten leiten. Ich folge lieber meinem gesunden Menschenverstand, aber auch
meinem Herzen und meinem Bauch. Und keine dieser drei Stimmen würde mich jemals dazu verleiten …
Was sind deine privaten Lieblingsbands?
Onkelz, Frei.Wild, KrawallBrüder, aber zum Beispiel auch Creedence Clearwater Revival.
Frei.Wild ist eine konservative Band. Rockmusik galt ja immer eher als links-rebellisch – im
Gegensatz etwa zu Schlager und Volksmusik. War das schon immer ein Mythos? Du kennst ja viele
Musiker persönlich ...
Ob Rockmusik eher als links-rebellisch gilt, weiß ich nicht. Über solche Rechts-Links-Schubladen mache ich
mir wenig Gedanken. Ich würde das wohl eher als Mythos einordnen. Musiker sind jedenfalls häufig
exzentrische, exzessive oder provokante Menschen, stellenweise auch mit leicht destruktiven und definitiv
auch rebellischen Wesenszügen, das stimmt. Schlager- oder Volksmusiker kenne ich hingegen keine
persönlich, das kann ich also überhaupt nicht im Vergleich beurteilen.
Die Metal-Szene, hat der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs neulich erklärt, sei eine „spießige,
konservative Musikkultur“. Ist da was dran? Und lässt sich das auf die Deutschrock-Szene
übertragen?
Meines Erachtens überhaupt nicht. Dieser ‚Wissenschaftler‘ ist definitiv kein Mensch der Metal-Szene, wie
es scheint …
Auffallend finde ich, dass es so gut wie keine Musikerinnen in dieser Szene gibt. Nicht einmal
Sängerinnen, geschweige denn Bassistinnen, Schlagzeugerinnen usw. Hast du eine Erklärung dafür?
Das wundert mich kaum. Der Deutschrock artikuliert häufig auch eine gewisse Wut, ist oft zornig, Ventil für
Frust und bringt Unangepasstheit zum Ausdruck. „Wir scheißen auf euch und lassen uns nicht vorschreiben,
wie wir zu sein haben“ ist so eine Attitüde, die eine versoffene, dreckige Reibeisenstimme eben tausend Mal
besser auf den Punkt bringt als das nette Mädchen von nebenan. Das Ding auf der Bühne ist definitiv
Männersache, das stimmt. Schaut man mal ins Publikum, dann findet man dort aber nicht wenige Frauen,
und damit meine ich nicht nur die vom Typ „Camouflage-Hose trifft auf 100 Kilo Kampfgewicht“, sondern
durchaus auch ansehnliche Mädels, von deren äußerem Erscheinungsbild man nicht unbedingt immer direkt
auf diese Art des Musikgeschmacks schließen kann.
Ist ‚Heimat‘ ein rechtes Thema? Oder gibt es auch eine linke ‚Heimatliebe‘?
Jeder versteht etwas anderes unter ‚Heimat‘. Ganz gleich, ob räumlich, zeitlich, sozial, kulturell. Den Begriff
in eine politische Schublade zu packen, halte ich für unklug. Für mich persönlich ist ‚Heimat‘ weder rechts
noch links, sondern da, wo ich mich zu Hause, wo ich mich ‚beheimatet‘ fühle …
Onkelz und Frei.Wild – worin unterscheiden sich die beiden Bands deiner Meinung nach, was haben
sie gemeinsam?
Musikalisch kommen beide Bands in einem sehr druckvollen Soundgewand daher, und auch die Attitüde der
Musik ist meines Erachtens sehr ähnlich. Auf den Punkt gebracht: Ehrlich, direkt und voll auf die Zwölf.
Leckt uns am Arsch, wir machen unser Ding, ob es euch passt oder auch nicht. Scheißegal ... Sowohl Onkelz
als auch Frei.Wild zeichnen sich meines Erachtens unter anderem durch stellenweise sehr ernsthafte Texte
aus, in denen es nicht immer nur um Spaß und Klamauk geht, sondern die durchaus auch mit harten Worten
und ohne Umschweife mal offene, harte Kritik üben, ganz gleich zu welchen Themen, und wo einem
schonungslos der Spiegel vorgehalten wird. Klar, die absolut prolligen Partynummern zum Abfeiern fehlen
natürlich auch nicht bei beiden Bands. Den Unterschied macht meines Erachtens die Sozialisation der
Musiker und damit deren Themenschwerpunkte in den Texten: Während für Frei.Wild aufgrund deren
Südtiroler Herkunft das Thema Heimat einen zentralen Kern bildet, ist das für die Onkelz nie der zentrale
Dreh- und Angelpunkt ihrer Musik gewesen. Willkommene Feindbilder sind und waren beide Bands allemal.
Beide Gruppen hatten und haben mit dem aus meiner Sicht unberechtigten Vorwurf zu kämpfen, ihre Musik
versprühe eine starke Affinität nach ‚rechts außen‘. Vom ‚Mainstream‘ jeweils gehasst, von ihren Fans
hingegen in beiden Fällen nahezu vergöttert. Fazit: Viele Gemeinsamkeiten, aber dennoch gravierende
Unterschiede …
Wie siehst du den derzeitigen Konflikt zwischen den beiden Bands? Kannst du Kevins abfällige
Bemerkungen über den Deutschrock nachvollziehen und warum die Onkelz sich generell von diesem
Genre distanzieren?
Ich persönlich denke, die Onkelz sind ihr ‚Schmuddelkinder‘-Image mittlerweile mehr als leid. Beim
Comeback-Konzert auf dem Hockenheimring haben sie durch eine sehr erwachsene Songauswahl bestens
gezeigt, dass sie unterm Strich betrachtet ernstzunehmende, vielschichtige und niveauvolle deutschsprachige
Rockmusik machen. Sowohl die Band als auch die Fans sind im Laufe der Zeit erwachsener und reifer
geworden. Wer am Hockenheimring war, kann definitiv bestätigen, dass es sich um ein absolut friedliches
und gesittetes Fest handelte. Nachdem Frei.Wild im Augenblick mit einem ziemlichen Negativ-Image zu
kämpfen haben, mit dem die Onkelz Anfang der 90er Jahre extreme Probleme hatten, haben die Onkelz
vermutlich keinen Bock darauf, mit Frei.Wild in einen Topf geworfen zu werden und damit den mittlerweile
schon ein Stück weit gebesserten Ruf ihres Lebenswerkes aufs Neue ankratzen zu lassen. Zumal die Onkelz
mit dem vielgescholtenen Heimat-Thema von Frei.Wild nicht wirklich viel zu tun haben. Da wundert es
mich nicht, dass man dann um Abgrenzung bemüht ist. Kevins abfällige Bemerkungen kenne ich offen
gestanden nicht – für mich zählt die Musik und ich verfolge mittlerweile nicht mehr jedes Interview, das die
Band gibt, so wie ich das in meiner Jugend getan habe. Dazu fehlt mir auch irgendwo die Zeit. Allerdings
habe ich durchaus mitbekommen, dass es wohl diverse Sticheleien von Seiten der Onkelz gab, auch hat
Stephan Weidner bereits in einem seiner Solo-Alben mit einem Song namens „Kampf den Kopien“ extrem in
diese Richtung gestichelt, zumindest denke ich, dass hier Frei.Wild der Adressat war. Das finde ich irgendwo
sehr schade und auch ein wenig unwürdig. Immerhin pflegte Onkelz-Gitarrist Gonzo auch eine ganze Zeit
lang mit seinem Solo-Projekt eine enge Zusammenarbeit mit dem Frei.Wild-Plattenlabel Rookies & Kings.
Jedenfalls haben Frei.Wild für meinen Geschmack extrem souverän auf die Sticheleien aus dem OnkelzLager reagiert und sich nicht wirklich provozieren lassen.
Frei.Wild sind vielleicht irgendwo die ‚jungen Wilden‘, während die Onkelz sich in der Position der
alteingesessenen Herrscher des Deutschrock-Throns wiederfinden. Wenn sich nun zwei Alpha-Löwen in
einem Gehege tummeln, dann kracht es schon mal. Nichtsdestotrotz haben für mich beide Bands ihre
individuelle Daseinsberechtigung und ihren eigenen, speziellen Reiz.
Warum ist Frei.Wild so erfolgreich?
Frei.Wild haben nach dem Abschiedskonzert der Onkelz von der musikalischen Lücke profitiert, welche
diese in der Musiklandschaft hinterlassen haben. Dass die Onkelz-Jünger fortan nicht auf Peter Maffay
umschwenken würden, war doch klar. Da musste etwas Neues her in dem von den Onkelz begründeten
Deutschrock-Segment. Auch ist die Zeit nicht stehengeblieben, und das junge Volk begehrte logischerweise
nach etwas frischem Wind. Die Musik von Frei.Wild ist der der Onkelz sehr ähnlich, aber bei weitem keine
plumpe Kopie. Und das von Frei.Wild so oft besungene Heimat-Thema findet viel Anklang bei den
Menschen. Ich glaube, dass in dieser interdependenten, immer komplizierter und ungerechter werdenden
Welt von heute ein zunehmendes Bedürfnis nach greifbarer ‚Heimat‘ als Rückzugsort wächst. Das hat rein
gar nichts mit ‚rechter‘ Blut-und-Boden-Ideologie, nichts mit Rassismus, Fremdenhass, Nazitum,
Chauvinismus oder Faschismus zu tun. Und mal Hand aufs Herz – ist es nicht so: Jeder, der es wagt, die
malerische Idylle seines Heimatörtchens romantisch zu verklären oder gar das Wort „Heimatliebe“ in den
eigenen Mund nimmt, muss doch – zumindest subjektiv gefühlt – schon Angst haben, daraufhin
gesellschaftlich gemieden, wenn nicht gar von irgendeinem Spinner unter den Generalverdacht gestellt zu
werden, „rechtes Gedankengut“ zu verbreiten, bzw. sinnbildlich gleich ganz mit der „Nazi“-Keule
erschlagen zu werden. Das können viele Leute in keinster Weise nachvollziehen, und das haben sie mit
Frei.Wild im Übrigen gemein.
Was wäre für dich ein optimaler Umgang mit einer Band wie Frei.Wild?
Ein unverkrampfter, objektiver Umgang wäre wünschenswert. Der sich an die Fakten hält, nicht verteufelt
und auf reißerische Panikmache verzichtet. Aber so etwas schmeckt der auflagenorientierten Presse definitiv
nicht. Und auch der Kampf-Rhetorik mancher Grüner und der Linken, die sich auf Frei.Wild eingeschossen
haben, steht das nicht an. Heutzutage haut man einfach nur noch respektlos drauf, auch verbal – koste es,
was es wolle, und ohne Rücksicht auf Kollateralschäden und Verluste – es zählt nur noch der eigene Nutzen.
Man mag zu konservativen Ansichten, Werten und Heimatverbundenheit stehen, wie man mag, aber man
sollte in der Auseinandersetzung immer fair und respektvoll miteinander umgehen. Die Akzeptanz anderer
Ansichten, die man selbst nicht für richtig halten muss, ist für mich ein Zeichen gelebter, wahrer Toleranz.
Viele Deutschrock-Bands beharren darauf, „unpolitisch“ zu sein. Weshalb eigentlich? Wie ist das bei
euch? Seid ihr ‚unpolitisch‘?
Unterm Strich geht es beim Musik machen darum, sich auf seinem Instrument selbst zu verwirklichen und
Spaß daran zu haben – vielleicht sogar mit dem Anspruch, dabei Kunst zu erschaffen. Musik ist der
Selbstzweck. Die Aufgabe von Politik hingegen ist es nach meinem Verständnis, für eine adäquate
praktische Organisation des Gemeinwesens zu sorgen. Das ist definitiv nicht die Aufgabe oder der Sinn von
Musik, und im Deutschrock ist das auch nicht anders! Klar wird über die Musik auch Gesellschaftskritik
geäußert, aber das gehört zur Freiheit der Kunst ganz selbstverständlich mit dazu. Konkrete praktische
Schlüsse aus der Kritik zu ziehen, bleibt dann der Politik vorbehalten. Auch ist Politik mittlerweile in weiten
Teilen der Gesellschaft als ‚unehrliches‘ und ‚dreckiges‘ Geschäft verpönt. Im Deutschrock hingegen ist
Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit irgendwo noch ein hoch angepriesener Wert. Politik beißt sich also regelrecht
mit Deutschrock, der aber auch gerne mal Gesellschaftskritik artikuliert. Hinzu kommt, dass oft genug
versucht wird, dem Genre eine Rechts-Affinität anzudichten. Davon sind die Leute genervt. „Lasst uns mit
eurer Politik-Scheiße in Ruhe“, das ist die glasklare Botschaft hinter dem Bekenntnis, „unpolitisch“ zu sein.
Man möchte letzten Endes einfach nur Spaß haben an der Musik und in Ruhe gelassen werden mit
irgendwelchem anderen Rechts-Links- oder sonstigem Scheißdreck …
Ist das nicht 1. unlogisch, wenn ein Teil der Bands, die sich als „unpolitisch“ bezeichnen, sich zugleich
ja doch selbst politisch äußern oder sogar engagieren, z. B. „Gegen Rassismus und Extremismus“ wie
Frei.Wild, und 2. kontraproduktiv, wenn die Szene immer politisch (als „rechts“) angegriffen wird und
sich positionieren muss?
Nachdem immer wieder versucht wird, der Musik das Signum der Rechtslastigkeit anzuheften, ist es doch
irgendwo mehr als nachvollziehbar, dass Bands ihrerseits versuchen, dieser ungerechtfertigten
Stigmatisierung ein entsprechendes Zeichen entgegenzusetzen. Zu sagen: Seht her, wir sind nicht so. Wir
haben mit Rassismus, Extremismus und dem ganzen Dreck nichts am Hut. Im Gegenteil, wir engagieren uns
sogar gerne dagegen. Das hat allerdings nichts mit der Tatsache zu tun, dass die Musik selbst ‚unpolitisch‘
ist. Im Prinzip wird man als Band doch auch fast schon gedrängt, um nicht zu sagen genötigt, sich
dementsprechend zu engagieren. Tut man es nicht, wird man dafür kritisiert. Tut man es, wird man ebenfalls
dafür kritisiert, weil das dann ja ‚politisch‘ ist oder man es nicht ernst meinen könnte oder was weiß ich.
Wenn einem etwas Falsches angedichtet wird, kann einem das doch eigentlich nicht egal sein, oder?
Gerade erfolgreiche Künstler_innen haben auch die Möglichkeit, auf Themen aufmerksam zu
machen, sie stehen – ob sie es wollen oder nicht – als Vorbilder für viele in der Öffentlichkeit. Wäre es
deshalb nicht wünschenswert, wenn sich möglichst viele Musiker_innen politisch engagierten, durch
klare Worte und Taten, zum Beispiel bei Themen wie Rassismus, Rechtsextremismus, Gewalt, Armut
usw.?
Ich glaube, der Werdegang der Onkelz, deren Weg viele Fans mitgegangen sind, hat tausend Mal mehr
bewirkt als irgendwelche warmen Worte irgendwelcher Künstler. Sicherlich kann man sich als in der
Öffentlichkeit stehende Person für irgendwelche Kampagnen ablichten lassen und den Satz „Rassismus ist
doof!“ in eine Kamera sagen. Aber wen beeindruckt das, was ist damit gewonnen?! Bringt das irgendeinen
potentiell gefährdeten Jugendlichen dazu, falschen Pfaden abzuschwören? Ich glaube, das Gegenteil ist der
Fall. Darüber lachen die doch nur. Zumal solche Aktionen meiner Meinung nach viel zu oft einen faden
Beigeschmack tragen: Mal wird es ausgenutzt, um ein in Vergessenheit geratenes Gesicht wieder in den
Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, mal dient es der Image-Politur. Konkrete Sozial- und Bildungsarbeit an
der Basis, das leidenschaftliche Engagement des Streetworkers auf der Straße oder des lokalen
Fußballtrainers ist da sehr viel zielführender als irgend so eine Promi-‚Charity‘.

Documentos relacionados