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EINSICHTEN 2010
NEWSLETTER 02
geistes- und kulturwissenschaften
O rtrun H uber
Islamische Sternenkunde
im
Reich
der
Mitte
Auch wenn es das moderne Schlagwort von der Scientific Community suggeriert – der
Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse über Ländergrenzen und Kontinente hinweg ist keine Erfindung unserer Zeit. Bereits im Mittelalter existierten rege Kontakte zwischen Orient, Asien und Europa. Ein durch LMUexcellent gefördertes Projekt
spürt diesem vielfältigen Wissenstransfer nach. Der Mathematiker Dr. Benno van Dalen
nimmt dabei insbesondere die Verbindungen muslimischer Astronomen mit chinesischen Wissenschaftlern im 13. Jahrhundert ins Visier.
Als Marco Polo im Jahr 1275 am Ziel seiner Reise demütig vor dem mongolischen Großfürsten Kublai Khan niederkniete, hatte er auf seinem beschwerlichen Weg von Venedig
nach China mehr als 12.000 Kilometer zurückgelegt. Kublai Khan – immer durch berittene
Boten über das Herannahen des Europäers und seiner Begleiter informiert – empfing den
Fremden in Peking freundlich und mit allen Ehren. Der Enkel des legendären Mongolenführers Dschingis Khan hatte 1260 den Thron bestiegen und herrschte über ein Staatsgebiet, das sich über den gesamten Eurasischen Kontinent erstreckte. Weit mehr als 60
Millionen Einwohner lebten zu Zeiten der Yuan-Dynastie in China, viele davon in Ruhe und
Wohlstand. Der Handel mit Gewürzen, Porzellan und anderen exotischen Gütern warf genügend Gewinn ab, um die Staatskasse gut zu füllen. Und die blühenden Geschäfte führten
zu vielfältigen kulturellen Kontakten zwischen West und Ost. Kublai Khan suchte und fand
seine Verwaltungsfachleute ebenso wie Künstler und Gelehrte in den verschiedenen Ländern und Kulturen seines Reiches. So zog es nicht nur Marco Polo, sondern auch zehntausende Muslime nach China. „Die ausgezeichneten Verbindungen zwischen den verschiedenen Teilen des Herrschaftsgebietes ermöglichten einen regen Austausch chinesischer
und muslimischer Wissenschaftler, darunter vieler Astronomen“, erklärt Dr. Benno van
Dalen, Mathematiker und Wissenschaftshistoriker am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften der LMU. So gründete Kublai Khan 1271 ein Islamisches Astronomisches
Büro in seiner Hauptstadt Peking, das parallel zum Chinesischen Astronomischen Büro
arbeitete. Gründungsdirektor des Islamischen Observatoriums in Peking war Zhamaluding
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(Jamal al-Din), ein persischer Astronom, den Kublai Khan einige Jahre später zum Direktor jenes Amtes beförderte, das beide astronomischen Büros beaufsichtigte. „Leider sind
die ursprünglichen Arbeiten der muslimischen Astronomen in Peking verloren gegangen.
Sie können jedoch aus erhaltenen, aber nicht veröffentlichten arabischen und persischen
Handschriften sowie chinesischen Werken rekonstruiert werden“, sagt Benno van Dalen.
Der aus den Niederlanden stammende Wissenschaftler nimmt derzeit eine solche Rekonstruktion vor. Sein Ziel ist es, in einer Monografie die Quellenlage und die historischen Hintergründe des Austausches der astronomischen Kenntnisse der meist aus dem persischen
Raum stammenden Muslime und der chinesischen Sternenkundler während der Yuan-Dynastie zu beleuchten. „Die Astronomie hat in China große Tradition und eine immense
Bedeutung“, so Benno van Dalen. Der Kosmos galt im alten China als Einheit. Das Einzelne
war Teil des Ganzen, und das Ganze war im Einzelnen zu finden. Katastrophen, Dürren
oder Überschwemmungen wurden nicht als singuläres Ereignis betrachtet, sondern galten
als Ergebnis himmlischer Vorgänge. Das Mandat des Kaisers, der als „Sohn des Himmels“
regierte, wurde durch den Kalender bestätigt. So ließ auch der mächtige Mongolenfürst
Kublai Khan den „rechten Augenblick“ für seine wichtigen Entscheidungen durch seine
chinesischen und islamischen Astronomen bestimmen. Sternen- und Planetenkonstellationen sowie Mond- oder Sonnenfinsternisse flossen in seine Beurteilung politischer Belange
ein und dienten auch der Abwehr beziehungsweise der Vorkehr drohender Gefahren.
islamische forscher beobachten die sterne über peking
Benno van Dalens Untersuchung ist Teil des LMUexcellent-Projektes „Der Wissenstransfer zwischen Orient und Okzident“ am Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften.
Gemeinsam mit den beiden Gastwissenschaftlern Professor Charles S. F. Burnett vom Warburg Institut in London und Dr. Sonja Brentjes von der Universität Sevilla versucht der Wissenschaftshistoriker herauszufinden, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in der Geschichte
von Epoche zu Epoche beziehungsweise von Region zu Region gelangte und welchen Einflüssen dieses Wissen dabei unterlag. „Nur die detaillierte Untersuchung der Frage, wie
wissenschaftliche Erkenntnisse übermittelt wurden, hilft uns nachzuvollziehen, wie beispielsweise astronomisches Wissen aus dem 6. Jahrhundert in Indien ins England des 15.
Jahrhunderts gelangen konnte“, sagt Benno van Dalen. Er beschäftigt sich vor allem mit der
Frage, inwiefern wissenschaftliche Erkenntnisse durch ihre Überlieferung im Laufe der Geschichte verändert wurden – vor allem im Hinblick auf die Unterschiede zwischen der Wissen erzeugenden und der Wissen aneignenden Kultur. Unter diesem Blickwinkel betrachtet
Benno van Dalen die Verbindungen zwischen muslimischen und chinesischen Gelehrten.
In der Islamischen Sternwarte in Peking waren circa 40 Mitarbeiter tätig, darunter Astronomen, Lehrer und einfaches Verwaltungspersonal. Sie arbeiteten mit astronomischen Instrumenten, die aus dem fernen Iran herbeigeschafft oder auf Grund iranischer Modelle oder
Abbildungen angefertigt worden waren. Auf Grund einiger Eintragungen in den offiziellen
Annalen der Yuan-Dynastie kann angenommen werden, dass die muslimischen Gelehrten
systematische astronomische Beobachtungen und Berechnungen durchführten und diese
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schriftlich niederlegten. Heute
existieren davon allerdings keinerlei
Originalhandschriften
oder Werke mehr. Jedoch wurden nach dem Ende der Mongolenherrschaft im Verlauf der
nachfolgenden Ming-Dynastie
(1368-1644) einige arabische
und persische astronomische
Werke ins Chinesische übersetzt. Für sein Forschungsprojekt analysiert Benno van
Dalen im Wesentlichen drei
Hauptquellen. Das wohl wichtigste Werk ist das Huihui lifa
Kublai Khan (1215-1294) war der Enkel des legendären Mongolenführers Dschingis Khan.
aus dem Jahre 1383, die chine-
Der mongolische Herrscher wurde Kaiser von China und begründete 1271 die Yuan-Dy-
sische Übersetzung eines ver-
nastie.
Quelle: Wikimedia Commons
mutlich persischen astronomischen Handbuches mit Tafeln,
sogenannter zīǧs (gesprochen:
„siedsch“), die in der chinesischen Hauptstadt der Ming-Dynastie Nanjing erstellt wurde. Die Zahlenreihen der zīǧs ermöglichen die Berechnung von Planetenpositionen und
die Voraussage von Zeitpunkt und Helligkeit von Sonnen- und Mondfinsternissen auf der
Grundlage von nur sehr wenigen einfachen arithmetischen Berechnungen. Zudem enthält
der Text der zīǧs Anleitungen, wie die Tafeln zu benutzen sind, und manchmal auch Erklärungen und Beweise für die grundlegenden Rechenmodelle. Mehr als 250 verschiedene
zīǧs wurden von muslimischen Astronomen zwischen dem 8. und dem 19. Jahrhundert in
Arabisch, Persisch und einigen anderen Sprachen verfasst. Die meisten behandeln Themen
wie Chronologie, Trigonometrie und sphärische Astronomie, also die zweidimensionale
Vermessung des Sternhimmels und die dazugehörenden Berechnungen, planetare Längenund Breitengrade, Mond- und Sonnenfinsternisse sowie mathematische Astrologie. Häufig
sind auch Aufstellungen von geographischen Koordinaten und Sternenpositionen zu finden. Nahezu alle islamischen Tafelwerke basieren auf dem geozentrischen, geometrischen
Modell für Planetenbewegungen, wie es der hellenistische Gelehrte Claudius Ptolemäus in
der Darstellung seines astronomischen Systems im Almagest ausführte. Das Huihui lifa, so
Benno van Dalen, war nachweislich bis zum Ende der Mongolenherrschaft im Islamischen
Astronomischen Büro in China verfügbar. Zwar ist die Originalversion des Handbuches verschollen, doch sind heute noch mehrere Kopien der Bearbeitung der chinesischen Übersetzung, die 1477 von Bei Lin, dem Vize-Direktor des Astronomischen Büros der MingDynastie erstellt wurde, existent – unter anderem in der Chinesischen Nationalbibliothek
in Peking und im Japanischen Nationalarchiv in Tokio.
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Eine weitere Quelle, anhand derer Benno van Dalen das Wissen der islamischen und chinesischen Astronomen der Mongolenzeit vergleicht, ist das Sanjufini Zīǧ. Dieses arabische
astronomische Handbuch wurde von dem weitgehend unbekannten Astronomen al-Sanjufini für den Vizekönig der Mongolen in Tibet im Jahr 1366 verfasst. Das Tafelwerk, das bibliothekarische Notizen auf Chinesisch, tibetische Transkriptionen der Monatsnamen und
mongolische Übersetzungen der Tabellenüberschriften enthält, befindet sich heute in der
Bibliothèque Nationale de France in Paris. Darüber hinaus gelangte durch reinen Zufall
noch eine, bis vor wenigen Jahren völlig unbekannte astronomische Quelle der Ming-Zeit
in die Hand Benno van Dalens: Ein Kollege wies den niederländischen Wissenschaftler auf
einen Artikel in der Zeitschrift Copernicus hin, den ein Forscher der russischen PulkowoSternwarte bei St. Petersburg 1868 verfasst hatte. Der Petersburger Astronom beschrieb
darin eine Handschrift, die von einem russischen Botschafter von China aus in die Heimat
geschickt und in der Bibliothek der Sternwarte aufbewahrt worden war. „Die arabische
Handschrift war in so vielen Einzelheiten beschrieben, dass man ohne Schwierigkeiten
sagen konnte, dass hier die gleichen Tafeln vorliegen mussten, wie sie in der Huihui lifa zu
finden sind, von der aber bislang nur die chinesische Version vorlag“, erklärt Benno van
Dalen. Der Wissenschaftler versuchte umgehend, die Handschrift zu finden. Doch kurz vor
der Jahrtausendwende brannte die Bibliothek der Pulkowo-Sternwarte ab. Das Manuskript
schien verloren. Van Dalens Kollegen in St. Petersburg suchten dennoch weiter. „Schließlich stellte sich heraus, dass das Manuskript schon vor dem Zweiten Weltkrieg vom Pulkowo-Observatorium in die Petersburger Akademie der Wissenschaften gebracht worden
war“, erklärt der Wissenschaftshistoriker. In den Handschriftenkatalogen der Sammlungen
der Akademie stieß der Niederländer tatsächlich auf die Beschreibung der Handschrift: „24
Folien astronomischer Tafeln“.
mathemat i s c he ana ly se ze i gt d i e geme i nsame que l l e auf
Um die umfangreichen chinesischen und arabischen Quellen mit ihren vielfältigen astronomischen Parametern und Berechnungsmethoden analysieren zu können, hat der LMUMathematiker eine Reihe von Computerprogrammen entwickelt, mit deren Hilfe er belegen
kann, welche Astronomen sich gegenseitig beeinflussten und welche komplett eigenständige Ergebnisse vorlegten. „Die mathematische Analyse von Huihui lifa und Sanjufini Zīǧ
zeigt beispielsweise, dass beide Handbücher zwar komplett unterschiedliche Werke sind,
dass ihnen jedoch eine gemeinsame Quelle zugrunde liegt“, erklärt Benno van Dalen. „Beide Handbücher geben dieselben Parameter für die Planetenbewegungen an, welche jedoch
in arabischen oder persischen astronomischen Handbüchern nicht zu finden sind. Daher
liegt die Vermutung nahe, dass das gemeinsame Vorgängerwerk von einem muslimischen
Astronomen zusammengestellt wurde, der am Islamischen Astronomischen Büro in Peking
unter Kublai Khan gearbeitet haben muss.“ Dass in einer der überlieferten Huihui lifa-Versionen eine große Sternen-Tabelle enthalten ist – unabhängig von Ptolemäus Sternentafel
in Almagest – zeugt ebenso von neuartigen Beobachtungen, die Zhamaludings Astronomen
in der Islamischen Sternwarte machten. Denn vergleichbare astronomische Parameter sind
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in keiner anderen islamischen Quelle bis
zu dieser Zeit zu finden. Das Manuskript
aus St. Petersburg, so zeigen Benno van
Dalens Analysen, scheint hingegen vor
allem als Hilfsdokument bei der Übersetzung des Huihui lifa ins Chinesische erstellt worden zu sein.
Die Welt, die sich Marco Polo im Reich
Kubalai Khans eröffnete, war völlig fremd
und sehr aufregend. Er sah dort Dinge, von
denen er nie zuvor gehört hatte. Dazu gehört auch das chinesische Observatorium,
das auf einem Hügel gebaut und mit den
modernsten Instrumenten der damaligen
Zeit, darunter den in China schon lange
Es galt nach dem Brand der Bibliothek der Pulkowo-Sternwarte im Jahr
1997 als verloren: Das Manuskript eines russischen Botschafters aus China fand Benno van Dalen nach einem Hinweis russischer Kollegen in der
Petersburger Akademie der Wissenschaften.
Quelle: Institute of Oriental Manuscripts, St. Petersburg: Hs. C 2460,
Fol. 20v
gebräuchlichen Armillarsphären und verschiedensten Sonnenuhren, ausgerüstet
war. In seinen Reisebeschreibungen berichtete Marco Polo von den imponierenden Geräten der Pekinger Astronomen. Er
beschrieb eine hochzivilisierte Kultur im
Fernen Osten, die dem Abendland ebenbürtig oder sogar überlegen war, was viele Menschen in Europa sich jedoch hartnäckig weigerten zu glauben. Für Benno van Dalen liegt
hier eine Parallele zu seiner eigenen Forschungsarbeit über die muslimischen Astronomen:
„Heutzutage herrscht im Westen ein mangelndes Verständnis für die arabische Welt und
ihre Leistungen“, so der Wissenschaftler. Die Rolle des Islam bei der Entwicklung der europäischen Kultur und Wissenschaften werde heute völlig unterschätzt. „Unser Forschungsprojekt kann hier vielleicht einen Beitrag leisten, den hohen Stellenwert der islamischen
Kultur und ihrer Wissenschaftler für den Fortschritt wieder neu zu entdecken.“
Dr. Benno van Dalen ist seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der
Naturwissenschaften. Von 2004 bis 2009 gab er die Zeitschrift Historia Mathematica. International journal of
history of mathematics heraus.
http://www.gn.geschichte.uni-muenchen.de/personen/mitarbeiter/dalen_van_benno/index.html
[email protected]
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