Die Stadt aus Papier Triest und seine Literatur

Transcrição

Die Stadt aus Papier Triest und seine Literatur
CLAUDIO MAGRIS
Die Stadt aus Papier
Triest und seine Literatur
In seinem sprôden
dichterischen Buch von 1912,
Mein Karst, das vor allem die
geistige Landschaft
der Triestinitâî zeichnet,
gesteht und beschwôrt Scipio
Slataper in den ersten
Abschnitîen, die aile drei mit
den Worten "ich môchte euch
sagen " '" beginnen,
die Versuchung zu lugen.
Claudio Magris
Ecrivain, Docteur Honoris Causa
Université des sciences humaines de
StrasbourgUniversité de Trieste
5
einen Lesern, den Italienern, môchte er sagen, er sei in einer Hutte im
Karst geboren oder in einem Eichenwald in Kroatien oder in der Mâhrischen
Tiefebene; er môchte ihnen zu verstehen
geben, daB er kein Italiener ist und daB er
die Sprache, in der er schreibt und die ihm
nicht behagt, wenngleich sie in ihm "den
Wunsch" wachruft, "ins Vaterland zuriïckzukehren"' ', nur "erlernt" hat, wie er
sagt. Doch seine "klugen und scharfsinnigen" Léser, fùgt er hinzu, wûrden sofort
verstehen, daB er "ein armer Italiener"
ist, der versucht, seine einsamen Sorgen zu
verbarbarisieren, ein Bruder von ihnen,
den ihre Kultur und ihr Scharfsinn allerhôchstens einschùchtern.
2
(3)
In seinem Buch Mein Karst identifiziert
Slataper, der mit seiner Aufrichtigkeit der
Versuchung der Deklamation widersteht,
die Triestinitàt mit dem BewuBtsein von
einer realen, aber undefinierbaren
Andersartigkeit, authentisch, wenn sie
gelebt wird, und sofort verfâlscht, wenn sie
proklamiert und zu Schau gestellt wird.
Seine lâcherlichen und engstirnigen Léser
machen sich schuldig, wenn sie seine
reale Andersartigkeit, die sich jeder unweigerlich lugnerischen Formulierung entzieht, nicht erkennen. Slataper wurde
weder im Karst noch in Kroatien, noch in
Mâhren geboren. Italienisch ist seine
Sprache, italienisch ist seine wahre
Nationalitàt, auch wenn letztere - anders
als sonst bei den in Italien lebenden
Italienern - ein Vielvôlkergemisch in sich
vereint. Das "Vaterland", nach dem er sich
sehnt, gibt es somit nirgendwo, denn fûhlt
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er sich "hier" (im damais habsburgischen
Triest oder in Italien, in Florenz, wo
Slataper studiert und schreibt) auch nicht
wohl, ein anderes Heimatland kônnte
und môchte er nicht nennen.
Slataper - 1915 als italienischer
Freiwilliger im Ersten Weltkrieg gefallen entblôBt die Triester Andersartigkeit und
zugleich die Rhetorik dieser Andersartigkeit. Er ist ein Italiener, aber
nicht wie ein Italiener; "du weisst", schreibt
er in einem Brief an seine Frau Gigetta,
"dass ich Slave, Deutscher und Italiener
bin" . Doch dièse drei wesentlichen
Komponenten von Triest, oft in der italienischen verschmolzen, finden schwerlich eine Identifizierung aber zugleich den
unbândigen Willen, sie zu finden. Slataper
ist zwar slawischer Herkunft, wie sein
Name besagt, von der slawischen Welt aber
vôllig losgelôst; Ausbildung und Kultur
sind bei ihm in verschiedener Hinsicht
deutsch, er fiïhlt sich dem Deutschen aber
fern und muB ihre Sprache erlernen; er ist
stolz, einer aus dem Habsburgerreich zu
sein, dem er seine mitteleuropâische
Geisteshaltung verdankt, sterben wird er
aber im Kampfe gegen dièses Reich; er ist
Italiener, aber irgendwie ein besonderer
Italiener.
<4)
Dièse Widerspriïche kônnen in der
Dichtung gelebt und verklàrt, sie kônnen
aber nicht auf eine Formel gebracht oder
theoretisiert werden, ohne dabei dem
Falschen zu verfallen, wie die drei Ansâtze
"ich môchte euch sagen". Andererseits
demaskiert Slataper, indem er seine
persônliche Mythologie exorziert und das
Unverstàndnis auf seiten der anderen
denunziert, auch sein geheimes Bediirfnis,
von den anderen nicht verstanden zu werden, und somit einen Beweis fur seine
Andersartigkeit zu haben, die seine Natur
ist, die er aber nicht zu definieren vermag.
Der einzige Ort, an dem Slataper seine
Identitât findet, ist die Literatur, Ausdruck
des poetischen Gespenstes seines Lebens,
Ausdruck seines Imaginàren. Die Literatur
nimmt somit einen existentiellen Wert an,
wird zum Daseinsgrund und der rein
àsthetischen Ûbung polemisch entgegengestellt. Eine der immer wiederkehrenden
Topoi in der Triestiner Literatur ist die
betonte "Antiliteraritàt", die Haltung von
Autoren, die vom Schriftsteller nicht
Schônheit verlangen, sondern Wahrheit,
denn fur sie bedeutet Schreiben der Erwerb
einer Identitât - nicht nur als Individuum,
sondern als Gruppe. In berùhmten Erklàrungen lehnen die Triestiner Schriftsteller
die Literatur als " L u g e "
(Saba), als
"etwas Lâcherliches und Schàdliches"
(Svevo), als "tristes und hartes Métier"' '
(Slataper) ab. Die Dichtung hat das Leben
zu grùnden; die Triestinitât fordert absolute Aufrichtigkeit von den Schriften der
Literatur, denn ohne sie gàbe es sie nicht.
Triest ist — vielleicht mehr als andere
Stàdte - Literatur, ist die Literatur seiner
selbst. Svevo und Saba sind nicht nur
Schriftsteller, die aus ihr hervorgehen,
sondern auch solche, die es kulturell
erzeugen und schaffen, die ihm ein Gesicht
geben, das es als solches vielleicht nicht
gàbe. Spâter verwandelt sich dièse
Antiliteraritàt schnell in einen hochliterarischen Topos, in einen ausgesprochenen
rhetorischen Kanon fur die nachfolgenden
Schriftsteller, ebenso wie die unverstandene Andersartigkeit zu einem politischen
Alibi fur die fiihrenden Schichten der
Stadt wird, zu einer bequemen Rechtfertigung des eigenen Versagens.
(5)
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7
und kultureller Gruppen und ein Archipel,
auf dem dièse Gruppen isoliert und gegeneinander abgeschottet lebten: abgesehen
von der dominierenden italienischen
Komponente, kamen Deutsche, Slowenen
und andere Slawen, Griechen, Armenier
und andere Gruppen aus den verschiedenen Regionen des Kaiserreichs und aus
anderen europâischen Làndern . Die beiden Becken, in denen die vielen
Komponenten zusammenflossen und sich
verwischten, waren das fundamentale italienische Netz, das die anderen Elemente
assimilierte und integrierte, und die
jûdische Gemeinde, in der sich Elemente
aus den verschiedensten europâischen
Kulturen kreuzten ; doch einhergehend
mit einer oft unbewutëten gegenseitigen
tagtàglichen Durchdringung herrschte
unter den verschiedenen Gruppen gegenseitiges MiRtrauen und Ignoranz.
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Aufêerdem schauten aile Gruppen, die
in Triest lebten, anderswohin, in ein fernes
Vaterland: die Italiener nach Italien, die
Deutschen und die Deutschôsterreicher
nach jenseits der Alpen, die Slowenen warteten auf das Wiedererwachen eines ganzen Volkes; jeder von ihnen fùhlte sich
aber anders gegeniïber denen, die er als
Brùder proklamierte. Der Italiener von
Triest, stark differenziert auch vom Italiener
Istriens mit seiner jahrhundertalten venezianischen Kultur, fûhlte sich als ein
besonderer Italiener, dessen Italianitàt
das Ergebnis eines Kampfes war, nicht eine
friedlich erstandene Errungenschaft, und
dasselbe galt fur den Deutschen gegeniïber
den Landsleuten, die in den deutschen
Làndern des Kaiserreichs oder in Deutschland wohnten, und fur den Slowenen
des Karsts gegenûber dem von Krain. In
Triest erfafête der weitsichtige Blick, der mit
Scharfblick in die Ferne schweifte, das
Naheliegende oft nicht.
Mit seinem mythischen "ich môchte
euch sagen" und mit dem Anspruch auf
drei Seelen wollte Slataper die plurinationale Wirklichkeit und Bestimmung von
Aus diesen Grùnden fâllt es auch dem
Triestiner - ebenso wie dem Ôsterreicher
bei Musil, der, wie Musil selbst sagte, ein
Ôsterreich-Ungarn minus den Ungar, das
heiRt das Ergebnis einer Subtraktion war
der Kulturen symbolisieren. In diesem
Sinne ist Triest eine Schôpfung der habsburgischen Monarchie. Triest war zugleich
ein Schmelztiegel verschiedenen ethnischer
ter fâllt ihm, das zu proklamieren, was er
nicht ist, das, was ihn von jeder anderen
Realitât differenziert, sich per negationem, aus Verneinung zu definieren anstatt
Triest, ein Triest als Wiege und Kreuzpunkt
- schwer, sich positiv zu definieren; leich-
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seine Identitât zu deklinieren. Die
Schriftsteller, die dièse Heterogenitât und
diesen Widerspruch, die Vielfalt an einheitswiderstrebenden Elementen zutiefst
erlebt haben, haben verstanden, daB Triest
-wie das Habsburger-Kaiserreich, zu dem
es gehôrte - ein Modell fur die Widerspriichlichkeit der zeitgenôssischen Kultur
ohne ein zentrales Fundament und ohne
eine Werteeinheit war. Svevo und Saba
haben aus Triest eine Seismographenstation fûrgeistige Erdbeben gemacht, die
die Welt erschùttern sollten; aus der burgerlichen Stadt par excellence, deren
Geschichte im wesentlichen die ihres bùrgerlichen Aufstiegs und Niedergangs darstellt, ist mit Svevo eine grotëe Dichtung der
Krise des zeitgenôssischen Individuums
hervorgegangen, eine ironischtragische,
luzid-elusive Dichtung, die ihre totale
Ernùchterung hinter einer liebenswurdigen
Zurùckhaltung verbirgt.
Nicht zufâllig beginnt die grofse Saison
der Triestiner Kultur - in der Zeit vor dem
Ersten Weltkrieg - symbolisch mit der
Brandmarkung einer geistigen Leere: sie
beginnt, als Slataper 1909 in einem Artikel
in der Florentiner Zeitschrift "La voce"
schreibt: "Triest hat keine Kulturtraditionen"' '. Dièse Behauptung ist zum
Teil richtig, zum Teil ist sie provokatorisch,
denn sie liquidiert mit jugendlich dreister
Eilfertigkeit ein stâdtisches Gefùge, das
reich an wùrdevollen Institutionen und
respektablen Kulturinitiativen ist und das
die ersten beiden Romane Svevos, Ein
Leben (1892) und Ein Mann wird àlter
(1898), ignoriert, zwei grofse Parabeln der
Krise des Individuums, zwei Meisterwerke,
die voriibergehend in Vergessenheit geraten und spâter neu entdeckt werden. Die
Geste Slatapers will aggressiv eine Kultur
begriinden, die ausgeht von der Entlarvung
der Leere und der Unzulânglichkeit der
bestehenden Kultur. Oft ist die Kultur des
fin de siècle - auf den Spuren Nietzsches,
- eine Révolte des Lebens gegen die Kultur
jenes Wissen, das schon Flaubert als
verhàngnisvoll dumm bezeichnet hatte:
auch Mein Karst ist eine Stimme dièses
Protests.
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Triest wird - dank seiner Position im
Habsburger-Kaiserreich - zu einem
Vorposten dieser Krise der Kultur und zum
V o r p o s t e n dieser Kultur der Krise. Das
Kaiserreich zeigt sich - vor allem in der
Peripherie - als eine Pluralitat heterogener
Komponenten und
unvereinbarer
Widersprùche, deren Auflôsung hatte das
Ende des Kaisereichs bedeuten kônnen
und muBte somit soweit wie môglich aufgeschoben werden. Triest ist ein Konzentrat des Kaiserreichs; es besteht aus
Widersprùchen, und wenn immer einer
dieser Widersprùche sich auflôst, geht es
zugrunde; mit heldenhafter und gewundener Selbstverletzung arbeitet es an dieser Auflôsung, am eigenen Untergang mit.
Triest lebt vom Konflikt zwischen seiner
primàren historisch-ôkonomischen Rolle
in Verbindung mit seiner Zugehôrigkeit
zum Kaiserreich und einem irredentistischen Drang, sich vom Kaiserreich loszusagen, seiner Besonderheit somit ein Ende
zu setzen. Slatapers Traum ist es, zusammen mit einer energischen Gruppe junger
Intellektueller - die Florentiner Zeitschrift
La voce sammeln - mit der ihm eigenen
Vitalitat - eine Dichtung hervor, die aus der
Agonie und dem Ende einer Kultur
erwàchst, jene Wahrheit, die im Untergang
und im Tode sich offenbart, eine neue
Blute, die dem Untergang einer historischen Epoche entspringt.
Das moderne Triest war 1717 und 1719
mit den kaiserlichen Patenten entstanden,
die die freie Schiffahrt auf der Adria ausriefen und aus Triest einen Freihafen
machten; vor allem Maria Theresia hat
dahin gewirkt, daB Triest des Kaiserreichs
Zugang zum Meer wurde und daB sich mit
dem Zuzug so vieler verschiedener
Nationalitàtengruppen das Antlitz der
kleinen Stadt vôllig wandelte. Die Stadt
hatte eine vielschichtigere Bevôlkerungsphysiognomie angenommen, aber die
Erinnerung an die autonome Stadtgemeinde sollte jene autonomistische
Idéologie, jenen Mythos der Autonomie
und der Andersartigkeit Triests fôrdern, der
- in den verschiedensten Formen - bis
heute lebendig geblieben ist.
Die sprachliche Italianitât ùbernimmt
- bis 1848, das heitët, so lange, wie ein politisch engagiertes Nationalbewufêtsein fehlt
- die Funktion eines spontanen Zusammenfùhrens und einer Intégration,
wobei im allgemeinen die verschiedenen
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lebhaften ethnischen Komponenten unter-
schiedlichsten Ursprungs zusammenflietëen. Triest wird zu einem fruchtbaren
Tor, durch das die mitteleuropàische
Kultur nach Italien vorstôfst, entbehrt
aber in den verschiedenen sozialen
Schichten jenes linguistischen und kulturellen Pluralismus - wie er z. B. Fiume,
Rijeka pràgt, in dem - wie spâter Kardinal
Celso Constantin zur Zeit d'Annunzios
sagt - "auch der dùmmste Mensch mit vier
Sprachen geboren wurde". Es fehlt jene
Symbiose zwischen den verschiedenen
Kulturen, wie man sie in Dalmatien kennt
und auf Grund derer Ante Trumbic sagen
kônnte, er denke in Italienisch, wollte aber
Kroate bleiben.
Die itialienische Sprache und noch
stàrker der Triestiner Dialekt, ein venezianischer Dialekt mit einigen Ausdrùcken
deutschen und slawischen Ursprunge,
sind eins Vehikel der Intégration, das aus
den Neuankômmlingen "Einheimische"
macht. In der Erzàhlung Ein Schuljahr, Un
anno di scuola
(1929) von Giani
Stuparich, einem Freund Slatapers, "erlernte" die Hauptheldin Edda Marty, das
deutsche Mâdchen, das vor dem Weltkrieg
ein Triester Lyzeum besucht, also ein italienisches Lyzeum, "die Sprache schnell.
Nach zwei Jahren sprach sie wie eine
Einheimische"Alberto Spaini, einer der
allerersten Ubersetzer Kafkas und
Mitschùler von Stuparich, erzâhlt, sein
Schulkamerad Cristo Tzaldaris, ein
Grieche, "der Homer las, wie wir Dante
l a s e n " , habe - einer griechischen
Cousine - seine erste Liebeserklârung in
Triestinisch gemacht.
(12)
Die kulturelle Multinationalitât Triests
war vor allem eine Sache der Elite in
Verbindung mit einem besonderen familiâren, kulturellen und beruflichen Humus.
Ein Beispiel ist Constantin von Economo,
Triestiner Exponent der Wiener
Medizinschule, der "mit dem Vater
Griechisch sprach, mit der Mutter Deutsch,
mit der Schwester Sophie und dem Brader
Demetrius Franzôsisch, mit dem Brader
Léo Triestinisch (das heiBt Italienisch)"* '.
Dièse Kultur erwàchst aus den grofsen "historischen" Kultur der Habsburgermonarchie, der deutschen, aus dem Beitrag
der judischen Kultur und aus der Ein13
beziehung in den vielschichtigen
Kulturraum Mitteleuropas. Es ist nicht nur
und nicht so sehr eine strikt literarische
Kultur, es ist eine eher in anderen
Dimensionen verankerte Kultur: in der
Tradition medezinisch-wissenschaftlicher
Studien, in der groBen musikalischen
Bildung und in der Praxis des Musizierens^, im Lebensstil, in der Entfaltung
finanzieller und kommerzieller Initiativen,
die der Stadt - mit den groBen Versicherungsgesellschaften - eine Rolle ersten
Ranges in Mitteleuropa zuweisen. Ein
Beispiel ist der Ôsterreichische Lloyd.
Hervorragende Theoretiker und Mânner
der Tat im Habsburger-Mitteleuropa, wie
Bruck und Lorenz von Stein, sehen in
Triest den Spiegel und den groBen wirtschaftlichen Mittelpunkt des weiten
mitteleuropàischen Donauraums.
Was die groBe Literatur angeht, wird
nur noch Svevo - zumindest teilweise direkt in diesem Gefùge verwurzelt sein,
aus dem er eine groBartige, râtselhafte
Metapher des Lebens macht. Fur die anderen Schriftsteller, die es dichterisch erfaBen
werden, wird dièses Triest keine kronkrete Wirklichkeit mehr sein, sondern ein
mythisches Bild der Vergangenheit, prekàr
und entschwunden, das im Wort wiederzufinden und neu zu entdecken ist.
Mehr oder weniger bis 1848, bis zu den
ausgesprochen nationalen Kàmpfen, ist
Triest ein Schmelztiegel der Kulturen:
Ende des 18. Jahrhunderts nehmen der
Triester Weltkonespondent
oder der
Triester Kaufmannsalmanach,
Zeitungen
fur Handel und Politik, Informationen
ùber die italienische Literatur auf; in der
Zeit zwischen 1838 und 1840 gehen die italienische Zeitung La favilla und die
deutsche Adria einen gegenseitigen
Kulturinformationsaustausch ein, diesem
Beispiel folgen mit groBer Aufgeschlossenheit das Journal des
ôsterreichischen
Lloyd,
dessen italienische Ausgabe
Giornale del Lloyd, der Osservatore triestino und Das Illustrierte
Familienbuch
des ôsterreichischen
Lloyd. Auf dièse
Weise kommt es im Gesellschaftsgefiige der
Stadt zu einem echten gegenseitigen
Informationsumlauf .
(15)
Nach 1848 zerstôren die nationale
Spannungen dièse Koinè; es kommt zur
Polemik zwischen den verschiedenen
Gemeinschaften, zur gegenseitigen
Isolierung und Ignorierung. Der bedeutendste deutsche Kulturverein, der 1860 ins
Leben gerufene Schillerverein, bleibt ein
Fremdkôrper im Leben der Stadt.
Deutschsprachige Dichter, wie z. B. Robert
Hamerling, leben jahrelang in Triest, ohne
die Stadt wirklich kennenzulernen und
ohne daB sie selbst von ihr bemerkt worden wàren. Mit dem Erwachen des slowenischen NationalbewuBtseins endet
der kurze Traum vom italienisch-slawischen Idyll und setzt jene Spannung der
Stadt ein, auf die, wie bereits der groBe
Aufklârer Antonio de Giuliani gesehen
hatte zwei Vôlker Anspruch erheben, die,
im Unterschied zu den Ôsterreichern, zu
den Griechen oder zu den Deutschen, mit
dem Territorium ihrer Nation in unmittelbarer Verbindung stehen . Zu Ende
gehen auch der geordnete Lauf von Triest
als ôsterreichischer Stadt sowie die Saison
jener "Triester Nation", die bis zu jenem
Augenblick ihre Italianitât als kulturelles
Elément verstand und die sie jetzt als ein
politisches Ziel zu empfinden beginnt.
Nicht Kulturtraditionen fehlen Triest, sondern spezifisch literarische: bis zum groBen
Saison des fin de siècle und der ersten
Jahren des 20. Jahrhunderts ist die
Triestiner Literatur - die italienische wie
die deutschsprachige - eine epigonale und
nachziehende Literatur, die làngst ùberholte Modelle der respektiven Nationalliteraturen nachklingen làBt und nirgends an die Wirklichkeit der Stadt
anschlieBt, ebensowenig wie bis in unser
Jahrhundert hinein die slowenische . Die
Génération Slatapers hat also das Gefùhl,
sie habe bei Null anzusetzen, sie musse
eine Dichtung begrùnden, sie habe in der
Dichtung - und nur in der Dichtung - jene
Widersprùche und jene Zerrissenheiten zu
ûberwinden, auf Grund derer Triest in
unheilbaren Gegensâtzen, in einer
Sackgasse zu erlahmen scheint.
(16)
(17)
Die kommerzielle Selle der Stadt widersprûchlich im Verein mit dem
Irrendentismus - erscheint als eine bùrgerliche Indifferenz gegenùber der Poésie,
als die Vorherrschaft Merkurs ùber Apollo,
andererseits scheint eben dièse "prosaische" Situation in ihrer Doppeldeu57
tigkeit zwielichtig fruchtbar zu sein. Die
Mésalliance zwischen Apollo und Merkur
bewirkt auch Unruhe und Unsicherheit,
bringt eine Umwertung mit sich und macht
Triest zu einem zweideutigen "Ort des
Ùbergangs", wo "ailes doppeldeutig und
dreideutig i s t " ; der "betriebsame
Charakter" Triests schwebt "wie graues
Blei" ùber der Stadt, verleiht ihr aber
"eine Originalitât des Strebens und der
Atemnot"< > (Slataper).
In einer Stadt, die arm an kultureller
Tradition ist, gibt sich die Literatur, die sich
auBerhalb des humanistischen Panthéons
der vaterlàndischen Literatur befindet,
keine offiziellen Institutionen, sondern
wird wie ein heimliches Laster gehegt; der
Schriftsteller ist ein blinder Passagier, ein
Kaufmann, der - wie Svevo - einem einsamen und verachtenswurdigen Laster
front, dièse Heimlichkeit gibt ihm aber die
Wahrheit des modernen Schriftstellers,
die Wahrheit der Entwurzelung. Die Stâtte
der Literatur ist nicht das Kùnstlerhaus,
sondern das Bùro, der Svevosche
Schreibtisch in der Unionsbank, der
Hinterraum im Buchladen Sabas, das
Café, die Kneipe, wie bei Joyce. Dank seiner Armut an kultureller Ùberlieferung aus
dem 19. Jahrhundert wird Triest zu einem
Mittelpunkt der Dichtung am Anfang des
20. Jahrhunderts. Peripherisch gegenùber
den groBen Strômungen des 19. Jahrhunderts, z. B. dem Idealismus, wird Triest
zu einem Vorposten der analytischen
Kultur, die hervorgeht aus der Kulturkrise
des 19. Jahrhunderts.
(18)
19
Die Literatur entsteht als ein ironischer VorstoB gegen die gesellschaftliche
Norm. Der Schriftsteller verbirgt sich hinter dem Kaufmann, aber jeder Kaufmann
ist potentiell ein Schriftsteller. Die
Kaufmannsseele hadert mit der italienischen auf ôkonomischer Ebene und mit
der poetischen auf geistiger Ebene. "In
jedem Kaufmann", sagte Slataper, "ist
latent ein metaphysicher Schmerz"
.
Aber Triest kann seine "doppelte Seele" ,
seine "zwei Naturen"
nicht erwùrgen,
denn auf dièse Weise wùrde es zugrunde
gehen. Die Geschichte der Stadt wird
spâter immer wieder um dièses Dilemma
kreisen, um den - oft selbstverietzenden Versuch, eine der beiden Seiten auszu(20)
(21)
(22)
schalten, oder aber um das ùbersteigerte
Miteinander der Gegensâtze.
Die unpoetische Kaufmannstadt wird
zur Quelle der Dichtung in den Werken
zahlreicher bemerkenswerter Schriftsteller
sowie in denen der beiden groBen
Schriftsteller Umberto Saba und Italo
Svevo, die Triest der Weltliteratur des
20. Jahrhunderts geschenkt hat. Die Lyrik
Sabas (1883-1957) ist eine moderne
Dichtung der Spaltung, der Analyse und
der Introversion, die auch an die
Oberflàche zu kommen vermag, klar und
leicht, die das Uriibel des Lebens zu spùren vermag, ohne sich in ihm zu verfangen.
Sie weiK um das Lustprinzip, aber auch
darum, daB der Todestrieb - nicht nur biologisch, sondern auch historisch-politisch
- unvermeidlich den Sieg davontragen
wird. Die Dichtung Sabas, in die episch das
ganze Dasein des Dichters, das ganze
"warme Leben" einflieBt, ist eine glasklare,
erbarmungslose Transparenz, die - ohne
Médiation - an der klaren Oberflàche der
Dinge, wie sie sind, den dunklen Grund
des Lebens und der Triebe intégral durchscheinen lâBt. Als ein Freischutze der
Literatur lebt und erlotet Saba das warme
Leben, indem er mit seinem Blick riicksichtlos den Grund des Unbehagens der
Kultur erfaBt und indem er die Dissonanzen des Lebens in seiner "schmerzlichen Liebe" auflôst. Absolut frei bewegt
er sich in dieser Weisheit der Kunst, die
jeden Dualismus zwischen falscher Welt
und wahren Welt, zwischer Schein und
Wirklichkeit, zwischen dem Leben und
seiner Bedeutung ûberwindet. Gut und
Bôse passieren und vergehen in seiner
Dichtung wie Meereswellen. Mit Saba hat
die Stadt der biirgerlichen Senilitât einer
unzâhmbaren, wenngleich schmerzlichen
Gnade des Begehrens Ausdruck verlieren,
das dâmonisch frei von jeder Repression
ist.
(23)
Auch Svevo steigt hinab zu den
Wurzeln des Unbehagens der Kultur; mit
liebenswiirdiger Ironie dissimuliert er die
Entlarvung des Nichts und identifiziert sich
mit diesem Unbehagen, bis es zur eigenen
Natur, zur paradoxalen Selbstverdeitigung
wird. Svevo hat die zàhe Fâhigkeit der biirgerlichen Kultur, sich mit dem Leben zu
vermischen, ausgelotet und sich mit diesem
58
Betrug, den e r d e m a s k i e r t hat, selbst
getarnt. Er war der grôBte und der erniïchtertste Dichter des biirgerlichen Lebens,
jener Spaltungen, die, wie er wuBte, unheilbar waren. Der Dichter der Senilitât und
der "Untauglichkeit" der biirgerlichen
Kultur hatte - mit grôtëerer Radikalitàt als
die ihm bekannte Psychoanalyse, aber
auch mit grôBerer Leichtigkeit - erkannt,
daB das Individuum sich in einer Phase des
Ubergangs befindet, kurz davor, seine
jahrtausendalte Einheit in einem Wirbel
des Triebes preiszugeben. Dièses
Individuum stellt fest, daB es, wie es im
letzten Apolog Svevos heiBt, sollte ihm
Mephisto erscheinen, bereit wâre, seine
Seele abzutreten, ohne jedoch zu wissen,
was es als Gegenleistung fordern kônnte.
Das Lachen Zenos - bei Svevo - rùhrt
aus dieser Leere, entspringt dem ironischschmerzhaften Kleinkampf, der ausgefochten wird, um dièse Leere zu umgehen,
um mit der Absence zu leben. In den letzten, groBen Erzâhlungen Svevos ist der
Protagonist fast immer ein Alter, der
schreibt: lebensuntauglich wie jeder
Mensch und eben deshalb ein wahrhaftiges
Individuum. Der Alte hat auf Grund seines
Alters ein Recht auf Untauglichkeit, ein
Recht, das ihm die Grausamkeit, mit der
das Leben die Untauglichkeit der jungen
Menschen bestraft, erspart. Der Alte
schreibt sein Leben nieder, um auf dièse
Weise - auf der glatten Oberflàche des
Papiers - dem "grauenvollen Wirklichen" zu entkommen, das weh tut,
wàhrend man es direkt lebt, und das sinnlos hinwegflieht.
(24)
Der Svevosche Held hat keine Angst
davor, nicht geliebt zu werden, sondern
davor, nicht zu lieben. Er fiirchtet nicht,
sein Verlangen kônne unbefriedigt bleiben,
er fiirchtet, es kônne erlôschen, und so kliïgelt er - gleich dem Habsburger Fortwursteln - eine Stratégie aus, mit Hilfe derer
die Erfùllung des Verlangens, das heiBt die
Gefahr der Niederlage, aufgeschoben werden kann. Auf dem Papier scheint das
unertrâgliche Leben - die Krankheit der
Materie, wie Svevo sie nennt - ertràglicher
zu sein, und der Alte weilt zwar zwischen
Dingen, die nicht in Ordnung sind, lebt
aber so, als seien sie es. Eine andere groBe
Stimme dieser literarischen Landschaft, der
Gôrzer Carlo Michelstaedter, der mit 23
Jahren Selbstmord begangen hat, priift in
seinem Werk La persuasione e la rettorica (1910) den Nihilismus der Kultur, geht
der Unfàhigkeit auf den Grund, ùberzeugt zu sein, das heiBt, im Besitze der eigenen Gegenwart zu leben und der eigenen
Person, in jedem Augenblick. Anstatt dessen fâhrt das Individuum fort, die
Gegenwart der Zukunft, das heiBt das konkrete Leben dem sich nie einstellenden
Leben, zu opfern und sich in diesem
Nichts zu verzehren. Kultur, Wissen,
Bildung sind Rhetorik, eine riesige
Konstruktion, inter der das Individuum
vor sich selbst das BewuBtsein von diesem
Nichts zu verbergen sucht.
Auch Slataper spricht in seinem Buch
ùber Ibsen von dieser tôdlichen Spaltung
zwischen Leben und Darstellung; mit seiner kleinen Schar in Italien und
Mitteleuropa ausgebildeter Freunde (den
beiden Stuparich, Spaini, Marin, Devescovi
und anderen) unternimmt er aber eine
konstruktive kulturelle Vermittlung. Die
Triestiner Intellektuellen vermitteln der
italienischen eine neue europâische Kultur:
Strindberg, Freud und die Psychoanalyse,
Weininger, Ibsen, die tschechische Kultur,
die internationale Germanistik. Dièse
junge Kultur trâumt von einem neuen
Europa, will dessen Morgenrôte sein, wàhrend sie sich im Untergang einer kulturellen Epoche aufreibt, den sie in der Kunst
transzendiert und von dem sie selbst mitgerissen wird. Mein Karst von Slataper, ein
widerspruchsvoller Dialog mit dem — insgeheim geliebten und gefùrchteten Slowenen, dem eigentlich Gespràchspartner -, ist ein Zeugnis der febrilen
Saison, in der das so inbrùnstig herbeigesehnte Leben wird. Die Triester Intellektuellengruppe ist von auBerordentlicher
Fruchtbarkeit, wenngleich ein sehr kleiner
Kreis, kein Vorposten der Stadt, sondern
eine Ausnahme in der Isolation, die Spitze
eines nicht existierenden Eisberg.
Zwiestreit zwischen Italienern und
Slowenen verschârft sich. Die Stadt verfàllt
zunehmend in wirtschaftliche und geistige Verarmung: Es kommt zur Krise ihrer
Hafenfunktion, zur faschistischen Diktatur,
zur Unterdrùckung der slowenischen
Gemeinschaft. Die spàteren Rassengesetze
fùhren zum tragischen Untergang der jùdischen Gemeinschaft, einem bis dahin zentralen und grundlegenden Elément der
Stadt, vor allem des italienischen Triest. Es
folgen der Zweite Weltkrieg, der Verlust
des Hinterlandes und die groBe Krise der
adriatischen Italianitàt. Neben der offiziellen Kultur bzw. der faschistischen
Unkultur leben unterirdisch ein reges kulturelles Schaffen und eine kulturelle
Médiation fort: Es kommt zur Vermittlung
der Psychoanalyse durch Edoardo Weiss
und andere Intellektuelle, zu den genialen
Entdeckungen des AuBenseiters Bobi
Bazlen, FuBnotschriftsteller ungeschriebener Bûcher, wie er sich selbst bezeichnete; es kommt zu den Studien deutscher
Literatur und Kultur, zur groBartigen Lyrik
Sabas, Giottis und Marins, zu den Romanen von Quarantotti-Gambini und anderen Autoren. Aber es wàchst die Isolation,
die gegenseitige Ignorierung. Keiner
bemerkt, daB im Triester Karst Srecko
Kosovel lebt und schreibt, ein slowenischer
Dichter von europâischem Format. Nach
dem Kriege absorbiert die nationale
Spannung, die Verteidigung der Italianitàt,
aile Energien und zwingt sie zur einer
defensiven Position. Die meisterhafte
Lyrik Sabas erwàchst noch einmal
aus einer Landschaft der Trostlosigkeit.
Der Erste Weltkrieg, die Nachkriegszeit
und die Jahrzehnte danach veràndern die
1954 beginnt sich die Lage mit der
Rùckkehr Italiens zu normalisieren. Vor
allem bahnt sich ein erster fruchtbarer
Dialog zwischen Italienern und Slowenen
an. Triest findet zum BewuBtsein seiner
zwei Seelen zurùck, ohne allerdings recht
zu wissen, ob dièse beiden Seelen eine bestehende Wirklichkeit oder ein erhofftes
Ziel, eine Erinnerung oder ein Programm
sind, ob sie der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft angehôren. Schon
Triests "doppelter Selle" droht der
Wûrgetod. Die deutsche Pràsenz schrumpft
zusehends und erlischt. Die Italianitàt als
anzustrebendes Ziel wird aufgegeben. Der
Bahr anlàBlich eines Besuchs Triest
"merkwurdig. Aber gar keine Stadt". Er
meinte: "Man hat das Gefuhl, hier ùberhaupt nirgends zu sein. Es kommt einem
kulturelle L a n d s c h a f t T r i e s t s r a d i k a l .
zu Anfang des Jahrhunderts fand H e r m a n n
59
vor, als bewege man sich im Wesenl o s e n " . Dièses Gefuhl der Undefinierbarkeit verstàrkt sich einhergehend
mit einem neuerlichen BewuBtsein von der
Vielschichtigkeit der eigenen Tradition,
von der eigenen "Andersartigkeit".
Die Triester Literatur nach dem
Zweiten Weltkrieg - mit einer ganzen
Reihe beachtlicher Autoren - kehrt zurùck
zum Ansatz Slatapers. Jener Anfang "ich
môchte euch sagen" erhebt sich zum
Quadrat. Das Phantom von Triest (1958)
von Bettiza evoziert nicht die Stadt, sondern ein kollektives Imaginâres der Stadt,
ihr Gesicht als Schôpfung der Literatur, die
sich selbst reproduziert. Die Triester
Literatur witd oft zur Literatur ùber die
Triestinitàt; Triest wird zum Abbild eines
Nicht-Orts, eines Nirgends, eines
Niemandslandes, eines Landstreifens an
der Grenze, Stâtte epischer Begegnung, wie
in den wichtigen Romanen Tomizzas Materada
(1960), Eine bessere
Welt
(1977), oder das einer ZugehôrigkeitNichtzugehôrigkeit, wie in den Romanen
Veglianis. In den Erzàhlungen des
Adescamento
von Renzo Rosso (1959)
wird die Stadt zum ausweichenden Spiegel
der existentiellen Zweideutigkeit. Aus dem
Segreto des Anonimo Triestino und aus
den Romanen von Mattioni spricht eine
Kafkasche Welt, eine verfremdete und
ràtselhafte, in ihrer geometrischen
Ordnung ungreifbare Wirklichkeit.
(25)
Die Wiederentdeckung und die
Neubewertung der Habsburger-Tradition
schaffen in Triest eine Art zeitliches
Nebeneinander verschiedener Epochen.
Triest wird zum Hinterladen der
Geschichte, eine Stadt am Rande, in der
dièses Randdasein das Schicksal aller,
unser allen Geschichte ist. In Triest existiert ailes "gleichzeitig und nebeneinander" , wie De Castro geschrieben hat:
Irredentismus und Kult Franz Josephs,
Kosmopolitismus und Lokalpatriotismus,
griin-weiB-roter Patriotismus und schwarzgelbe Sehnsucht, die sich politisch rot oder
grùn fàrbt, die zu Linksbewegungen und
zu grùnen Parteien fùhrt. Dièses
"Nebeneinander" ist gleich den Ablagerungen am Meeresstrand, ùber die Stephen
Dedalus, der Held von Joyce hinwegsteigt;
es ist eine hétérogène Aufreihung irredu1261
NOTES
zibler Elemente. Dièses Nebeneinander,
durch das die blutreiche Lyrik eines
Cergolys wie ein feuriger Wein strômt, wird
1
wie ein Spiegel der Welt, die als eine
zusammenhanglose und unvereinbare
Pluralitât erscheint.
Dièses Nebeneinander kann nur per
negationem, aus der Vereinung, ùber die
Proklamation seiner Undefinierbarkeit,
definiert werden. Dièse Unmôglichkeit,
definiert und verstanden zu werden,
erwâchst, wie in Slatapers Worten "ich
môchte euch sagen", erneut zur Garantie
einer Identitât. Die Définition der eigenen
Andersartigkeit ergibt sich aus einer zunehmenden Subtraktion, als sei die Triestinitât
die Triester Wirklichkeit minus den
Slowenen, den Italienern Istriens, den
2
S. Slataper, a.a. O .
S. Slataper, Aile tre amicho,
S. 4 2 1 .
5
U. Saba, Storia e cronistoria
Milano, 1948, S. 24.
6
I. Svevo, Saggi e pagine sparse, hrsg. v.B. Maier,
Milano, 1954, S. 289-290.
Uber die Geschichte Triests unter diesen
Aspekten vgl. wenigstens A. Vivante,
Irredentismo adriatico, Firenze 1954 (1912);
A. Tamaro, Storia di Trieste, Roma, 1924;
F. Cusin, Appunti alla storia di Trieste, Trieste,
1930 und Venti secoli di bora sul Carso e sul
golfo, Trieste, 1952; C. Schiffrer, Leorigini delTirredentismo
triestino (1813-1860), Udine,
1937, 1978 und La Venezia Giulia. Saggio di
una carta dei limiti nazionali
italo-jugoslavi,
Roma, 1946; E. Apih, La società triestina ira il
1835 e il 1848, in AA. V V . , Italia del
Risorgimento e mondo
Danubiano-Balcanico,
Udine, 1 9 5 8 ; E. Sestan, Venezia
Guilia.
Lineamenti di una storia délia etnica e sulturale, Bart, 1 9 6 5 ; G . Negerelli, Comune e Impero
negli storici délia Trieste absburgica, Milano,
1968, L'illuminista
diffidente, Bologna, 1974
und Al di qua del mito. Diritto storico e difesa
nazionale nelTautonomismo
Trieste absburgica, Udine, 1978; D. De Castro, La questione di
Trieste. L'azione politica e diplomatica
italiana dal 1943 al 1954, Trieste, 1981.
9
Vgl. G. Cervani und L. Buda, La comunità israelitica di Trieste nel secolo XVIII, Udine, 1973.
Stadt zu fliehen, und der Sehnsucht,
zurùckzukehren. Es ist ein einstimmiger
Chor jener, die in Triest geblieben sind und
es scharf kritisieren, und jener, die fortgegangen sind und von ihm nostalgisch
trâumen; beide kônnen nicht umhin, von
Triest zu sprechen. Die Literatur macht aus
Triest, wie aus anderen mitteleuropàischen
Stàdten, die symbolische Stadt eines
groBen, unbestimmenten, nicht eingehaltenen Versprechens.
Anders-
artigkeit kann nur in der Literatur eine
ihrer
Joyce sich krank geârgert, sich glucklich
besoffen und seinen Ulysses begonnen
hatte -
ist
Mode
geworden,
Canzoniere,
S. Slataper, // mio Carso, a.a. O., S. 80.
schwankt zwischen dem Drang, aus der
festhâlt, ohne sie aufzulôsen. Triest - wo
del
7
Wie Prag ist auch Triest eine ôdipische
oder aber in
Milano, 1958,
8
Stadt, ein Oxymoron, und seine Literatur
Lôsung finden;
S. Slataper, // mio Carso, a.a. O., S. 12.
4
Italienern jenseits des Isonzo.
Darstellung, im Bild, das die Widersprùche
S. Slataper, // mio Carso, Milano, 1968, S. 1 1 ,
vgl. F. Petroni, Ideologia e simbolo nel, "Mio
Carso", in "Belfagor", XXXVII, Nr. 1 , lânner
1982, S. 13-16, besonders S. 14-16; vgl. A. Ara
und C. Magris, Trieste. Un'identità di {ronflera, Torino, 1982.
3
Friaulern, den Sûditalienern oder den
Dièse widerspruchsvolle
10 S. Slataper, Scritti politici,
Milano, 1954, S. 1 1 .
seine
Marginalitàt und seine Stasis sind der
Spiegel einer allgemeinen Kondition unserer Zivilisation. Eine Kondition, die gelebt,
aber nicht definiert werden kann: "Wenn
dann jemand kommt", schreibt Slataper
bereits 1912 an Sibilla Aleramo, "da wissen wir nicht, was wir sonst tun kônnten,
als ihn durch die grauen StraBen zu fùhren und uns zu wundern, daB er nicht versteht" < >.
27
60
hrsg. v. G. Stuparich,
11 G. Stuparich, Un anno di scuola, in II ritorno
del padre, Torino, 1 9 6 1 , S. 77.
12 A. Spaini, Autorittratto
triestino, Milano, S. 34.
13 L. Premuda, La (ormazione
intellettuale
e
scientifica di Constantin von Economo, in
"Rassegna di studi psichiatrici",
Nr. 6, 1977,
S. 1327.
14 Vgl. G. De Ferra, Musica in casa, in Quassù
Trieste, hrsg. v. L. Mazzi, Bologna, 1968, und
V. Levi, La vita musicale di Trieste. Cronache
di un cinquantennio
(1918-1968),
Milano,
1968.
15 Vgl. S. D e Lugnani, Cultura e letteratura tedesca a Trieste negli annifra il 1850 e il 1870, Diss.
Univ. Trieste, 1969.70.
16 Vgl. Introduzione alla storia culturale e politica slovena a Trieste nel '900, hrsg. v j . Pirjevec,
Trieste, 1983.
17 Ùber die Triester Literatur vgl. wenigstens
B. Ziliotto, Storia letteraria
di Trieste e
dell'lstria, Trieste, 1924, und B. Maier, La letteratura triestina del Novecento,
Introduzione
zu Scrittori triestini del Novecento,
Trieste,
1969.
18 S. Slataper, Scritti politici, a.a. O., S. 45.
19 S. Slataper, Scritti politici, a.a. O., S. 45.
20 S. Slataper, Aile tre amiche, a.a. O., S. 90.
21 S. Slataper, Scritti politici, a.a. O., S. 4 5 .
22 S. Slataper, Scritti politici, a.a. O., S. 45.
23 U. Saba, // canzoniere, Torino, 1 9 6 1 , S. 595.
24 I. Svevo, Die Erzahlungen 2, in G. W . hrsg. v.
C. Magris, G. Cortini, S. De Lugnani, Reinbek
bei H a m b u r g , 1 9 8 4 , S. 2 2 8 (ùber v.
P. Rismondo).
25 H. Bahr, Dalmatinische
Reise, Berlin, 1909,
S. 8.
26 D. D e Castro, Capire i triestini dalle moite vite,
in "La Stampa", 4 Oktober 1979.
27 S. Slataper, Lettera a S. Aleramo del 16 settembre 1912, in S. Slataper, Epistolario, hrsg.
v. G. Stuparich, Milano, 1950, S. 3 1 2 .

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