Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft
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Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft
Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft: Ein wichtiger Zusammenhang Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft Im Jahr 2014 ist die Forbes Liste der reichsten Menschen der Welt zum 28. Mal erschienen. Dort werden nicht Familien oder Unternehmen aufgeführt, sondern Individuen. Mit einem Vermögen von 76 Milliarden Dollar gilt Bill Gates wieder als die reichste Person der Welt, was er in den letzten 20 Jahren 15 Mal war (Dolan und Kroll 2014). Mit der Erstveröffentlichung dieser Liste im Jahre 1986 wurde im Banken- und Anlagenwesen auf den Anstieg der Millionäre reagiert, um einerseits attraktive Kapitalbesitzer zu zeigen und andererseits sichtbar zu machen, wie sich Vermögensreichtum verteilt und wandelt. Die öffentliche Sichtbarkeit reicher Personen durch eine publizierte Liste, in der ein Näherungswert für den Vermögensbesitz steht und in welcher Branche das Vermögen entstanden ist, war zum damaligen Zeitpunkt schlicht neu. Damit wurde auf eine Entwicklung aufmerksam gemacht, die in den 1960er und 1970er Jahren in den USA und auch in Europa noch keine große Bedeutung hatte: die Anhäufung von Vermögen im Besitz einzelner Personen, die weltumspannend agieren konnten (Wolff 1996; Davies 2011). Bis dahin stellten sie nur eine verschwindend kleine Gruppe dar. Einkommen galt als bedeutendster Faktor zur Generierung der gesellschaft lichen Position und diejenigen, die über ein großes Vermögen verfügten, waren schlicht so wenige, dass sie außer in Biografien über Einzelbeispiele keine große gesellschaft liche Relevanz hatten. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Ökonomie kaum und die Soziologie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht mit der Bedeutung von Vermögensreichtum für die Gesellschaft befasst hatte. Verteilungsfragen, basierend auf Unterschieden in der Einkommenshöhe, waren das probate Mittel, um über unterschiedliche gesellschaft liche Positionen zu sprechen. Dabei stand in Deutschland durch die nach dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit neu aufkommenden wirtschaft lichen Krisen und steigenden Arbeitslosenzahlen seit den 1980er Jahren insbesondere die Armutsforschung im Fokus. 8 Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach Diskussionen über gemeinnütziges Engagement als wesentlicher Bestandteil der Debatte um Modelle der Zivilgesellschaft sind ebenso ein Phänomen dieser Zeit (Adloff 2004). Es geht bis heute um die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch die Bürger selbst, da viele soziale Versorgungs- und Sicherungsfunktionen, die im Zuge der Entstehung des Wohlfahrtsstaats ausgebaut wurden, immer schwieriger durch staatliche Institutionen erbracht werden können – wie etwa Diskussionen um das Gesundheitssystem und die Altersvorsorge zeigen. Auch dies ist eine Folge der sinkenden staatlichen Steuerungsfähigkeit aufgrund des wirtschaftlichen und demografischen Wandels. Außerdem wurde vor dem Hintergrund von Individualisierungs- und Säkularisierungstendenzen ein Schwinden des gesellschaftlichen Zusammenhalts befürchtet (Adloff 2006; Beck und Beck-Gernsheim 2004; Meulemann 2011). Diesbezüglich wurde eine „Krise des Ehrenamts“ konstatiert (Gensicke und Geiss 2010, S. 111ff.). Allerdings konzentriert sich die Auseinandersetzung vornehmlich auf das Engagement von Bürgern für gesellschaftliche Probleme, die weder die Familie noch der Staat oder der Markt adäquat lösen können. Somit geht es bei bürgerschaftlichem Engagement um die Sphäre zwischen Markt, Staat und Familie, und damit um die Zivilgesellschaft und die Aushandlung einer neuen Balance aller Sphären untereinander und miteinander (Münkler 2002). Der Begriff des Engagements explizit reicher Personen war zu diesem Zeitpunkt nicht bedeutsam. Mit dem quantitativen Anstieg der Zahl reicher Personen und der gleichzeitigen Verfestigung der Armut in einigen wenigen gesellschaftlichen Gruppen und steigenden Ungleichheiten reagierte die Bundesregierung mit dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht. Diese Art offizieller Sozialberichterstattung ist ein probates Mittel, um gesellschaftliche Entwicklungen nachzuzeichnen und um darauf aufbauend fundierte politische Entscheidungen treffen zu können. In der Zwischenzeit sind vier Armuts- und Reichtumsberichte erschienen, in denen die Entwicklung der Verteilung der Einkommenslagen und der Vermögen in der Gesellschaft nachgezeichnet werden (Deutsche Bundesregierung 2001, 2005, 2008, 2013). Im annähernd gleichen Zeitraum wurde in Deutschland ein massiver Anstieg an Stiftungsgründungen verzeichnet, der ebenfalls mit dem Anstieg an Vermögen und mit den gesellschaftlichen Veränderungen in Form der Pluralisierung gesellschaftlichen Engagements (Hacket und Mutz 2002) zusammenhängt: „Nicht zuletzt die Menschen- und Bürgerrechtsgruppen in Ostdeutschland, aber auch neue soziale Bewegungen, Umwelt- und Protestgruppen im Westen hatten das Verständnis dafür wachsen lassen, dass das Verhältnis zwischen Staat und Bürger einer Neujustierung bedurfte.“ (Strachwitz i. d. B.) Wurden zwischen 1950 und 1959 pro Jahr im Durchschnitt 36 Stiftungen gegründet, so erlebte die Bundesrepublik seit Mitte der 1990er Jahre einen wahren Sitfungsboom. Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft 9 Eine Auseinandersetzung mit dem Stiftertum erfolgt durch Rupert Graf Strachwitz, der diesen Boom zum Anlass nimmt, das Instrument kritisch zu diskutieren und in einen zivilgesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Im Durchschnitt wurden zwischen 2000 und 2009 pro Jahr ca. 900 säkulare Stiftungen gegründet, was auch auf staatliche Reformen zur Förderung stifterischen Handelns zurückzuführen ist (mehr dazu siehe Strachwitz i. d. B.). Diese Entwicklungen brachten es mit sich, dass Fragen nach dem Engagement reicher Personen immer stärker in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit rückten, denn die Gründung einer mit Kapital ausgestatteten Stiftung erfordert den Einsatz hoher finanzieller Mittel1. In diesem Zusammenhang erfolgt eine Debatte über das Stiftungswesen in der Zivilgesellschaft durch Frank Adloff, der Stiftungen als Möglichkeit für Reiche, gestalterisch aktiv zu werden, gesellschaftlichen Einfluss auszuüben und Reichtum zu legitimieren, in Deutschland und den USA diskutiert. Diese Debatte um das spezielle Engagement vermögender Personen für die Gesellschaft hat auch einen legitimatorischen Charakter (Schulze et al. 2004; Adloff 2004; Bekkers und Wiepking 2011). Eine ungleiche Verteilung von Vermögen in der Bevölkerung wird dann akzeptiert, wenn Reiche einen Teil ihres Besitzes an die Gesellschaft ‚zurück geben‘, indem sie bspw. gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Legitimität wird gerade unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit wichtig, die in Deutschland aktuell eine große Rolle spielt, jedoch auch gerechtigkeitstheoretisch relevant ist (Horn und Scarano 2002; Nolte 2005; Liebig und Wegener 1995). In diesem Zusammenhang wird immer häufiger die Frage nach dem besonderen Engagement von reichen Personen und den dahinter liegenden Motiven gestellt: „For wealthier members of our society, philanthropy is not only a matter of personal choice, but it is an obligation. (…) The principal reason why I give money is, having started with very little and having been the recipient of aid and scholarships, and having a sense of how people that are disadvantaged can be helped by philanthropy.“ (Ostrower 1995, S. 13). Diese Entwicklungen brachten es mit sich, dass sich in den letzten Jahren eine immer stärkere Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Reichtums etablierte (Druyen et al. 2009; Lauterbach et al. 2011; Grabka und Frick 2007, 2008). In diesem Zusammenhang entstand der Begriff der Vermögenskultur, gemeint als bewusster Umgang mit Vermögen im „Sinne des Guten Tuns für das Gemeinwohl“ (Druyen 2012). Ebenso sind Überlegungen, wie die Absicht, „vermögend zu handeln“, tatsächlich in ein allgemeines Handlungsmodell eingebettet werden kann, bedeutsam geworden (Lauterbach 2011). Im Mai 2012 fand in Berlin die Tagung „Reichtum, Vermögen und Gemeinwohl. Wege zu einer neuen Vermögenskultur“ 1 Eine Ausnahme stellt die 1996 auch in Deutschland eingeführte Variante der Bürgerstiftung dar, derer es im Jahr 2007 bereits 237 gibt (Alscher 2009; siehe auch Hellmann i. d. B. sowie Anschütz i. d. B.). 10 Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach statt. Diese Kooperation zwischen der Evangelischen Akademie zu Berlin und der Universität Potsdam hatte zum Ziel, Wohlfahrtsdebatten in Zeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Krisen und die besondere Rolle von Reichen bezüglich ihres Verhältnisses zum Gemeinwesen aufzunehmen und voranzutreiben. Dabei wurden Gerechtigkeitsdiskussionen, die ihren Ursprung bereits in der Bibel finden, mit der Auseinandersetzung von Verteilung und Struktur des Reichtums in Deutschland zu der Frage verbunden, wie sich Reiche durch Philanthropie in die Zivilgesellschaft einbringen und welche Bedeutung dies für materielle Ungleichheiten und letztlich die Gesamtgesellschaft hat. Auf Basis der fruchtbaren und erkenntnisreichen Vorträge und Gespräche sowie weiterer Beiträge aus der Wissenschaft entstand der vorliegende Band. Dabei ermöglicht die Verbindung theoretischen wie empirischen Materials mit Berichten aus der Praxis (siehe Anschütz i. d. B.), die wissenschaftliche Herangehensweise mit der Lebenswirklichkeit in einen gemeinsamen Zusammenhang zu bringen. Aufgrund der geschilderten historischen Entwicklung erscheint es unumgänglich, die drei Begriffe Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft aufzugreifen und vorab zu diskutieren. Dass der Begriff Philanthropie, verstanden als Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung (siehe Ströing i. d. B.), und der Begriff Zivilgesellschaft, verstanden als bürgerschaftliches Engagement, als konstituierende Elemente miteinander verwoben sind, ist unmittelbar deutlich (z. B. Gensicke 1999; Münkler 2002). Der Zusammenhang mit Reichtum und seine Bedeutung für zivilgesellschaftliche Prozesse indes ist näher zu erläutern. Daher werden die Definition und die Bedeutung von Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft im Folgenden aufgegriffen, um sie anschließend in ihren Zusammenhang zu bringen. Reichtum In den Sozialwissenschaften wird der Begriff im Rahmen der Reichtums- und Vermögensforschung diskutiert. Konkret bedeutet dies die Analyse der gesellschaftlichen Verteilung von materiellem Reichtum, dessen Genese und seine Verwendung durch individuelle oder korporative Akteure. Wichtig ist vor allem die Diskussion des Begriffs und der Abgrenzungen unterschiedlicher Schwellen, die die verschiedenen Positionen in der gesellschaftlichen Stellung markieren. Es gilt, Reichtum ökonomisch und im Verhältnis zum Arbeitsmarkt zu bestimmen. Ebenso bedeutsam ist die Klärung dessen, wie Menschen reich werden. Sind die Wege vielfältig oder weitgehend vorbestimmt? Zwei Drittel der reichsten Menschen der Welt sind durch Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft 11 Unternehmertum reich geworden, 13 Prozent haben den Reichtum geerbt und 21 Prozent hatten nach eigenen Angaben „Glück“ (Dolan und Kroll 2014). In der Studie „Vermögen in Deutschland“ (ViD, mehr dazu siehe Lauterbach et al. 2011) ist die Erwerbstätigkeit für 85 Prozent der reichen Haushalte wichtig sowie für 62 Prozent der ausschlaggebende Faktor zur Vermögensbildung. Dies trifft insbesondere auf Selbständige und Unternehmer zu. Auch Erbschaften tragen zu Reichtum bei und sind für 38 Prozent ausschlaggebend. Der Anteil an Erbenhaushalten ist bei Reichen mehr als dreimal so hoch, wenn man sie anhand der Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP) mit der Gesamtbevölkerung vergleicht, wobei zu bedenken ist, dass geerbtes Vermögen in den meisten reichen Haushalten keinen Großteil des Besitzes ausmacht. Bei etwas mehr als der Hälfte der Haushalte kommt es zu einer Kombination aus Erbschaft und Erwerbsarbeit als Reichtumsquelle, wobei Arbeit die dominante Bedeutung innehat. Ebenfalls förderlich wirkt der Umgang mit Vermögen in Form von Kapitaleinkünften aus Immobilienbesitz oder dem Handel mit Wertpapieren (Böwing-Schmalenbrock 2012). Reichtum entspringt verschiedensten Quellen: So findet sich Reichtum durch Immobilienbesitz, den Besitz von Unternehmen oder Betrieben, Einkommensreichtum, den Besitz von Fonds, Geschäftsanteilen, Erbschaften und schließlich Geldvermögen. Auch dies hat gesellschaftliche Auswirkungen, denn etwa Betriebsvermögen ist eine Form von Reichtum, deren Aufrechterhaltung sich unter anderem in dem Angebot von Arbeitsplätzen niederschlägt. Ebenso zeigt sich die Verwendung von Reichtum als sehr vielfältig. Reichtum wird vererbt, gespendet, gestiftet, verschenkt, investiert oder konsumiert. Seit geraumer Zeit wird der Begriff des Handlungsvermögens und der tatsächlich erfolgten Handlung im Sinne des Stiftens oder im Sinne der philanthropischen Verwendung von Reichtum hinzugenommen (Lauterbach 2011). Dabei werden Motive, die zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung führen, diskutiert. Beispielhaft lassen sich der Wunsch nach gesellschaftlicher Mitgestaltung, Kontakte im privaten und/oder beruflichen Bereich, Dankbarkeit, Prestigegewinn oder ein Verpflichtungsgefühl nennen (Gensicke et al. 2006). In seinem Beitrag „Nur die üblichen Verdächten? Orden und Ehrenzeichen als Anerkennung und Motivation für bürgerschaftliches Engagement“ widmet sich Knut Bergmann speziell dem Anerkennungsmotiv und diskutiert es als Methode, zu Engagement anzuregen. Miriam Ströing zeigt in ihrem Beitrag, dass reiche Philanthropen sowohl durch selbstbezogene als auch durch altruistische Motive zu gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme bewogen werden. Insbesondere in gesamtgesellschaftlicher Perspektive, die auch Personen einbezieht, die nicht über Reichtum verfügen, ist die Verteilung von Einkommen, Vermögen und auch Erbschaften bzw. Schenkungen von Interesse. Hierbei ist von 12 Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach Bedeutung, wie hoch die sozialen Ungleichheiten ausfallen, ob sie noch förderlich im Sinne eines Leistungsanreizes und gesellschaftlich akzeptiert sind und inwiefern sie ggf. durch staatliche Regulierungen wie das Steuersystem ausgeglichen werden. Bevor man sich Reichtum aus der Verteilungsperspektive nähert, ist zu klären, wie er sich definiert. Diesbezüglich liegt eine Reihe von Ansätzen vor, die Schwellenwerte zur Unterscheidung bestimmter Klassen an Reichtum definieren (hierzu siehe auch Lauterbach i. d. B.). Übergeordnet lässt er sich statistisch und theoretisch sowie einkommens- und vermögensbasiert herleiten. Dabei handelt es sich bei Einkommen um eine Fließgröße, die insofern fragiler ist als Vermögen, als dass sie unmittelbar schwindet, wenn die Einkommensquelle nicht mehr vorliegt. Vermögen ist als Bestandsgröße dauerhafter. Sie stehen in Wechselbeziehung zueinander, da Einkommen Vermögen generieren kann und umgekehrt. Die gängigsten Grenzen bestehen in chronologisch steigender Reihenfolge anhand des durchschnittlichen Einkommens mit der Überschreitung der 200- beziehungsweise 300-Prozent-Grenze. Vermögensbasierte Grenzen beziehen sich auf Affluents mit einem verfügbaren Kapitalvermögen von mindestens 500.000 US-Dollar, Millionäre (High Net Worth Individuals), Ultra-High Net Worth Individuals (mindestens 30 Millionen US-Dollar Netto-Finanzvermögen) sowie Superreiche (mindestens 300 Millionen US-Dollar verfügbares Kapitalvermögen) und Milliardäre.2 Über die Betrachtung der Reichtumsentwicklung lässt sich feststellen, dass die Zahl an Reichen in den vergangenen Dekaden kontinuierlich zugenommen hat. Erkennbar ist dies zum Beispiel am weltweiten Anstieg der High Net Worth Individuals von 4,5 auf 11 Millionen zwischen 1996 und 2011. Dabei zeigt sich die Finanzkrise mit einer Abnahme zwischen 2007 und 2008 von 10,1 auf 8,6 Millionen, die mittlerweile jedoch mehr als ausgeglichen ist (siehe Ströing i. d. B., Abb. 1). Hinsichtlich der „Verteilung und Struktur des Reichtums in Deutschland“ zeigt Markus M. Grabka, dass der Anteil individueller Nettovermögen der reichsten 10 Prozent (Privathaushalte) am Gesamtvermögen zwischen 2002 und 2007 von 58 auf 61 Prozent gestiegen ist (siehe Grabka i. d. B., Abb. 4). Auch der Anteil Einkommensreicher ist gewachsen von 0,8 Prozent im Jahr 1984 auf 1,9 Prozent im Jahr 2010 (siehe Grabka i. d. B., Abb. 1). Wolfgang Lauterbach differenziert in seinem Beitrag zwischen Wohlstand und Reichtum und zeigt anhand von Mobilitätsanalysen, dass sich die beiden Gruppen mehr und mehr durch eine Reproduktion aus den ‚eigenen Reihen‘ und resultierenden Schließungstendenzen auszeichnen. Eine internationale Perspektive eröffnet Nora Skopek mit ihren Ausführungen zu „Reichtum in Europa“, in denen sie anhand der SHARE3-Daten vergleicht, wie sich Einkommen 2 3 Mehr dazu siehe Lauterbach et al. 2011 sowie Lauterbach und Ströing 2009. Survey of Health Ageing and Retirement Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft 13 und Vermögen international verteilen. Ebendiese Daten verwenden auch Dina Maskileyson u. a. für einen Vergleich zwischen Israel und Deutschland. Sie zeigen, dass mentale Gesundheit positiv von Einkommen und Vermögen abhängt, wobei letzteres stärker wirkt. Darüber hinaus stellen sie fest, dass die Gesundheit insgesamt in Deutschland höher ist als in Israel, wo sie wiederum stärker beeinflussbar ist, und beziehen das auf die bessere ökonomische Situation und vergleichsweise niedrigere Ungleichheiten in Deutschland. Philanthropie Während der Begriff der Philanthropie eher mit finanziellen Zuwendungen verknüpft ist, bezieht sich die Auseinandersetzung mit bürgerschaftlichem Engagement vornehmlich auf die freiwillige Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten, z. B. Ehrenämter. Bei einer genaueren Betrachtung ihrer jeweiligen Definitionen wird jedoch deutlich, dass sie sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern eher verschiedene Perspektiven einnehmen, denn in beiden geht es substanziell um die freiwillige Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung. Daher ist Philanthropie in einem übergeordneten Zusammenhang zu verstehen. Insofern umfasst sie sowohl zeitliches Engagement im Sinne der Begrifflichkeit bürgerschaftlichen Engagements als auch finanzielle Verantwortungsübernahme (mehr dazu siehe Ströing i. d. B.). Der Zusammenhang zu Reichtum lässt sich dabei an mehreren Punkten konkretisieren. Zum einen wird der Philanthropiebegriff insbesondere in der US-amerikanischen Forschung mit finanziellen gemeinwohlorientierten Zuwendungen von sehr hohem Wert verbunden (Krimphove 2010; Ostrower 1994). So wird beispielsweise über Großspenden die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Elite geknüpft, ausgedrückt oder auch aufrechterhalten. Aus makroperspektivischer Sicht bietet Philanthropie eine Möglichkeit für reiche Individuen, ihre Position im gesamtgesellschaftlichen Gefüge und die sozialen Ungleichheiten, die daraus resultieren, zu legitimieren. Somit sind Anerkennung in den eigenen sozialen Kreisen sowie Akzeptanz durch die Gesamtgesellschaft zwei bedeutsame Engagementmotive, die den Zusammenhang zwischen Reichtum und Philanthropie verdeutlichen. Thomas Gensicke bringt Reichtum und gesellschaftliches Engagement in einen empirischen Zusammenhang und zeigt anhand der Daten des Freiwilligensurveys, inwiefern die selbst empfundene finanzielle Lage die Beteiligung an Spenden, Gemeinschaftsaktivitäten und freiwilligen Tätigkeiten beeinflusst. Insgesamt veranlassen vor allem „Dankbarkeit, Altruismus, Gesellschaftsreform und Prestige“ (Sigmund 2001, S. 226) zur Übernahme gesellschaftlicher Verant- 14 Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach wortung. Angaben aus dem Freiwilligensurvey zeigen darüber hinaus, dass auch Partizipation und berufliche Vorteile eine Rolle spielen (siehe Tab. 1). In Bezug auf Reiche lässt sich konstatieren, dass altruistische und selbstbezogene Motive beiderseits von Bedeutung sind, wobei vor allem Selbstverwirklichung und ein starkes gesellschaftliches Verantwortungsgefühl wichtig sind (mehr dazu siehe Ströing i. d. B.). Tabelle 1 Engagementmotive (2009, alle Engagierten ab 14 Jahren, Angaben in Prozent) Ich will durch mein Engagement… …die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten. …vor allem mit anderen Menschen zusammenkommen. …Ansehen und Einfluss in meinem Lebensumfeld erwerben. …auch beruflich vorankommen. voll und ganz 61 teilweise 34 überhaupt nicht 6 60 36 4 12 42 46 10 19 71 Quelle: Gensicke und Geiss, 2010, S. 117; Freiwilligensurvey 2009 Zivilgesellschaft Gemeinwohlverträgliches Handeln ist tief in menschlichen Gesellschaften verwurzelt und findet seine Ursprünge bereits in der Antike (Keupp 2010). In Deutschland waren philanthropische Aktivitäten wohlhabender Bürger und Unternehmen selbstverständlich und erstreckten sich bis zu Zeiten der Weimarer Republik über sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens. Sie umfassten neben der Förderung von Museen, Armenfürsorge, Hospitälern und sozialem Wohnungsbau auch betriebliche Fürsorgeleistungen. Bereits mit der Sozialgesetzgebung Bismarcks gingen kulturelle Einrichtungen in staatliche Hand über, was diesen Bereich der Philanthropie bremste. Im Zuge des Nationalsozialismus verschwanden viele gemeinnützige Aktivitäten und Organisationen, insbesondere die jüdischer Philanthropen. Auch die Unterordnung der Wirtschaft unter einen absolutistischen Staat hemmte Engagement, was ebenfalls für die ehemalige DDR galt. Mit der Expansion des Sozialstaats der Bundesrepublik geriet unternehmerisches gesellschaftliches Engagement aus dem Reichtum, Philanthropie und Zivilgesellschaft 15 öffentlichen Bewusstsein und wurde damit gehemmt. Die Diskussion über eine Zivilgesellschaft blieb bis zu Beginn der 1980er Jahre außerhalb wirtschaftlicher und politischer Debatten. Erst in den 1990er Jahren wurde die staatliche Finanzierbarkeit der Sozialleistungen und seine Steuerungsfähigkeit immer prekärer, was zu einer Renaissance der Diskussionen um die Zivilgesellschaft führte (Adam 2001; Backhaus-Maul 2008). Mit den theoretischen und aktuellen Zusammenhängen zwischen Gemeinwohlorientierung und einzelwirtschaftlichem Handeln setzt sich Michael Hartmann unter dem Titel „Hybrider Kapitalismus – hybrider Sozialstaat“ auseinander, wobei er insbesondere auch die Rolle der Kirche in den Blick nimmt. Vor dem Hintergrund der Finanzierbarkeitsproblematik des Sozialstaats sowie den gesellschaftlichen Individualisierungstendenzen wird das soziale und moralische Fundament der Gesellschaft als gefährdet wahrgenommen. Die Verfolgung zivilgesellschaftlicher Modelle beinhaltet die Suche nach Alternativen zum Vertrauen auf institutionelle Mechanismen durch den verstärkten Einbezug der Bürger und ihrer Gemeinwohlorientierung. So sollen einerseits der Staat hin zum „aktivierenden Staat“, der seine Bürger zu politischer und sozialer Beteiligung anregt, verschlankt und andererseits soziale Bindungen, Normen und Werte gestärkt werden (Gensicke 1999; Münkler 2002; Weymann 2007). Die Stabilität einer demokratischen, sozial gerechten Gesellschaft in Deutschland wird auch in den Armuts- und Reichtumsberichten der Bundesregierung vom Engagement ihrer Bürger abhängig gemacht. Die Verantwortungsübernahme sei darüber hinaus eine Möglichkeit, gesellschaftlich zu partizipieren, sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken und sich selbst zu verwirklichen. Daneben wird bürgerschaftliches Engagement im Vergleich zu staatlichen Bemühungen als flexibler, kreativer, individueller und zielgenauer wahrgenommen (Deutsche Bundesregierung 2005, 2008, 2013). Es wird als Handeln verstanden, das freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet, gemeinwohlorientiert, öffentlich bzw. im öffentlichen Raum stattfindend und in der Regel gemeinschaftlich oder kooperativ erfolgt (Gensicke 2006). Zur fruchtbaren Umsetzung einer zivilen Gesellschaft führt Knut Bergmann „Sieben Thesen für eine neue Vermögenskultur“ an. Ein aktuelles Beispiel für bürgerschaftliches Engagement bieten seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland etablierte Bürgerstiftungen, deren Wirkung Bernadette Hellmann ausführt. Eine Perspektive aus der praktischen Stiftungsarbeit erfolgt durch Kurt Anschütz mit seinen Überlegungen aus der Stadtteilarbeit in den Berliner Bezirken Wedding und Neukölln. Mit der gesamtgesellschaftlichen Relevanz und Aktualität zivilgesellschaftlicher Beteiligung rückt auch das Potenzial reicher Bevölkerungsgruppen in den Vordergrund, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Daher leistet der vorliegende Buchband einen Beitrag zur Frage, inwiefern sich Reichtum – ausge- 16 Miriam Ströing und Wolfgang Lauterbach drückt durch Philanthropie – zum Gemeinwesen verhält und so ein bedeutsamer Teil der Zivilgesellschaft ist. Literatur Adam, T. 2001. Bürgergesellschaft und moderner Staat. Ein deutsch-amerikanischer Vergleich. In Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland, Hrsg. R. Becker et al., 191−211. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. Adloff, F. 2004. Wozu sind Stiftungen gut? Zur gesellschaftlichen Einbettung des deutschen Stiftungswesens. Leviathan 32 (2): 269−285. Adloff, F. 2006. Beyond Interests and Norms: Toward a Theory of Gift-Giving and Reciprocity in Modern Societies. Constellations 13 (3): 407−427. Alscher, M., E. Priller, D. Dathe, und R. Speth. 2009. Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. WZB. Berlin. Backhaus-Maul, H. 2008. 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