Spracherwerb

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Spracherwerb
Einführung in die Linguistik
Butt & Co.
Do. 12:15 - 13:45
Fr. 12:15 - 13:45
Infos etc.
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⇒Einführung in die Linguistik
Spracherwerb
Material aus unterschiedlichen Quellen:
1) Sehr vielen Dank an Muna Pohl (Spracherwerb Folien)
2) Vernäht und Zugeflixt (Duden Verlag)
3) An Introduction to Language, Fromkin et al.
Spracherwerb: Wie funktioniert das?
Spracherwerb: Wie funktioniert das?
Dutzidutzikirrikirriawoistdenndaskleineengelchenhaitaitai
Imitation? — Das Kind macht einfach alles nach.
Universal Grammatik (UG)? — Das Kind ist von Anfang
an darauf gepolt, Sprache zu lernen.
Was kommt zuerst? — Phonetik? Phonologie?
Morphologie? Syntax (Satzstruktur)? Semantik (Wort und
Satzverstehen)?
Spracherwerb: Wie funktioniert das?
Haben Tiere ein Sprachvermögen wie wir?
Wenn nicht, warum nicht?
Berühmtes Beispiel: Zeichensprache und Chimpansen.
Was passiert mit mehrsprachigen Kindern?
Was passiert mit Kindern, die taub sind?
Was passiert mit Kindern, die keinen Sprachinput haben?
Frühe Isolationsexperimente
• Psammetich I., ägyptischer Pharao (664–610 v.Chr.),
Suche nach dem ‚Urvolk‘ – Phryger vs. Ägypter
• Friedrich II. von Hohenstaufen,
deutsch-römischer Kaiser (1220–1250)
• Jakob IV., König von Schottland (1488–1515)
Psammetich I
Friedrich II
Jakob IV
Frühe Isolationsexperimente
Resultate:
• Kinder haben nicht gesprochen
• Kinder sind zum Teil einfach gestorben
• Was immer auch sie gelallt haben wurde als der Beweis
für die Ursprache ausgelegt (Phrygier, Hebräisch)
Berühmte Tragische Fälle
Kaspar Hauser
(Deutschland, 1812)
Genie
(USA, 1970)
Sprachinput
• Kinder brauchen also sprachlichen Input
• Critical Period Hypothesis (Lenneberg):
Es gibt einen
Zeitpunkt (Alter zwischen 5 und 6) nach dem es sehr viel
schwieriger (wenn nicht gar unmöglich) wird, Sprache auf
dem Niveau eines Muttersprachlers zu erlernen.
• Ist die Art des Inputs egal?
• Die Meinungen gehen auseinander:
- Egal, denn sie kriegen sowieso nicht genug richtige
Information.
- Sogenanntes Motherese spielt eine wichtige Rolle.
Child Directed Speech
(Motherese)
Aussprache
•langsamer, längere Pausen zwischen Äußerungen und nach
Inhaltswörtern
•weniger Wörter pro Minute
•höhere Tonlage und größerer Tonumfang
•übertriebene Intonation und Betonung
Child Directed Speech
(Motherese)
Vokabular & Bedeutung
• eingeschränktes Vokabular
• Bezugnahme auf das Hier & Jetzt Sätze
• wohlgeformte und verständliche Sätze
• kürzere und weniger komplexe Äußerungen
• mehr Anweisungen und Fragen als in Erwachsenensprache
•mehr Wiederholungen
Korrekturen Aber Ohne Effekt
Kind: Nobody don’t like me
Mutter: No, say “Nobody likes me”
Kind: Nobody don’t like me
Mutter: No, say “Nobody likes me”
(insgesamt 8mal wiederholt)
Mutter: Now, listen carefully, say “Nobody likes me”
Kind: Oh, nobody don’t likes me
Korrekturen Aber Ohne Effekt
Kind: Want other one spoon, Daddy.
Vater: You mean, you want “the other spoon”
Kind: Yes, I want other one spoon, please, Daddy.
Vater: Can you say “the other spoon”?
Kind: Other ... one ... spoon.
Vater: Say ... “other”
Kind: Other
Vater: Spoon
Kind: Spoon
Father: Other ... spoon
Kind: Other ... spoon. Now give me other one spoon?
Sprachinput
• Es ist also noch nicht klar, wieviel und was genau Kinder
aus dem sprachlichen Input ziehen.
• Es gibt aber schon jede Menge Studien und
Erkenntnisgewinne.
• Klar ist, dass Kinder nicht imitieren, sondern selber ein
Regelwerk aufbauen, so dass sie nach und nach die Sprache
der Erwachsenen um sich herum erwerben.
Das Kind als kleiner Sprachwissenschaftler:
Hypothesenaufbau und Testen
Phonetik/Phonologie/Prosodie
•
Neugeborene erkennen ihre Muttersprache
•
Präferenz für muttersprachliche Prosodie auf
lexikalischer Ebene mit 6 Monaten
•
7.5 Monate: Wortsegmentierung über trochäisches
Betonungsmuster
•
10 Monate: auch Jamben werden im Sprachfluss
erkannt
Studien:
Prosodie (Iambus/Trochäus)
Amerikanische Babys im Alter von 6 Monaten
zeigen keine Präferenz für Wörter, die nach
dem für ihre Sprache typischsten Muster betont
werden.
Amerikanische Babys im Alter von 9 Monaten
zeigen eine Präferenz für Wörter, die nach dem für
ihre Sprache typischsten Muster betont werden.
Studien: Lautsequenzen
6 Monate: keine Präferenz für phonotaktisch
wahrscheinlichere Lautsequenzen
Beispiele:
[sp] vs. [ps], [spr] vs. [srp]
9 Monate: Präferenz für phonotaktisch
wahrscheinlichere Lautsequenzen
Studien: Wie?
Es ist sehr schwierig, Neugeborene und Babys zu testen.
Forscher haben inzwischen unterschiedliche Methoden
entwickelt.
Einige werden auch hier an dem BabyLab der Uni
Konstanz eingesetzt.
http://ling.uni-konstanz.de/bsl/
Nuckelexperimente
High Amplitude Sucking (HAS):
Messung der Nuckelamplitude
•Schnelligkeit und Stärke des Saugens
•Zunahme bei Interesse/Aufmerksamkeit
Erkennung von Phonemen
Babys müssen lernen, phonetische Signale in ein
Phoneminventar umzusetzen.
• Welche Laute sind Teil der Sprache (z.B. Clicklaute?)
• Welche Laute sind in freier Variation (z.B. deutsches /r/)
• Welche Laute sind durch Regeln konditionierte
Allophone (z.B. englisches [s], [z])
Um das hinzukriegen muss man den phonetischen Input
in harte Kategorien einteilen.
Kontinuum vs. Kategorie
Die Phonetik von [p] und [b] ist so, dass es
eigentlich keinen kategorischen Unterschied gibt: es
gibt ein Kontinuum in der Wahrnehmung.
p...... p1.....p2....p3.......b1....b2....b3....b4....b
Kontinuum vs. Kategorie
p...... p1.....p2....p3.......b1....b2....b3....b4....b
Genau wie bei den Farben machen wir an einer
Stelle einen Schnitt: links ist p/gelb, rechts ist b/rot.
Kontinuum vs. Kategorie
animate this more
p...... p1.....p2....p3.......b1....b2....b3....b4....b
Interessanterweise machen Kinder einen anderen
Schnitt als Erwachsene.
1. Stadium: viele unterschiedliche Laute erkannt
(vermehrt heftiges Nuckeln)
2. Stadium: bis zu 3 unterschiedliche Laute erkannt
(nur noch 3mal heftiges Nuckeln)
3. Stadium: in 2 Phoneme unterteilt: /p/ vs. /b/ (nur
noch 2mal heftiges Nuckeln)
Hypothese
Wenn Babys auf die Welt kommen, nehmen sie (fast) alle
Lautkontraste wahr (sie müssen ja auch darauf gefasst sein,
dass sie z.B. Deutsch (/pf/) oder Xhosa (Clicklaute) lernen
müssen).
Ab ca. 10 Monaten werden nur noch die Lautkontraste
unterschieden, die für die Muttersprache relevant sind.
Andere, muttersprachlich irrelevante Kontraste und Laute,
werden nicht mehr unterschieden.
Die Wahrnehmung passt sich ans Phoneminventar der
Muttersprache an.
Hypothese
Kinder lassen statistische Auswertungen über das
Gehörte laufen und bekommen so heraus, welches das
wichtigste Betonungsmuster für Wörter ihrer
Muttersprache ist und welche Lautkombinationen eher
innerhalb von Wörtern auftauchen und welche eher
über Wortgrenzen hinweg.
Diese Informationen werden genutzt, um den
kontinuierlichen Sprachfluss in erste Einheiten zu zerlegen.
Einstieg in Spracherwerb
Einstieg in den Aufbau eines mentalen Lexikons
(Erwerb von Wörtern)
Wörter
Sprache
Pause
fast
Welche Worte kommen zuerst? — Hauptsächlich
Nomen und Verben.
Perzeption vs. Artikulation
Aber kann ein Kind auch alles aussprechen, was es versteht?
Nein, denn der Artikulationsapparat ist noch nicht
“erwachsen”.
Besonderheiten des Vokaltrakts beim Säugling
• Kehlkopf höher, Epiglottis und Velum berühren sich fast
• sehr kurzer Rachenraum
• Mundhöhle flacher und relativ breiter
• Zunge füllt fast die gesamte Mundhöhle aus
Es ist also schwierig wie ein Erwachsener zu artikulieren.
Perzeption vs. Artikulation
Aber auch wenn sie den Unterschied nicht artikulieren
können, so können sie ihn wohl hören!
Das Fis-Phänomen
Beispiel: [s] vs. [S]
Erwachsener: Ist das dein Fis?
Kind (verbessernd): Nein, das ist mein Fis!
Erwachsener: Ja, dein Fis.
Kind: Nein, mein Fis.
Erwachsener: Das ist also dein Fisch?
Kind: Ja, mein Fis.
Artikulationsstrategien
Artikulationsstrategien
Artikulationsstrategien
Morphologie
Wenn man sich ansieht, wie Kinder Morphologie
erwerben, dann ist auch klar, dass sie nicht nur
imitieren, sondern eigene Hypothesen und Regelwerke
aufstellen.
1) Wug-Test: Wie bilden Kinder den Plural von
erfundenen Wörtern?
2) Derivation: Wo tun Kinder das Derivationsmorphem in
Komposita hin?
3) “Falsche” Formen
Wug Test
This is a Wug/Nick.
Now there are two of
them. There are two
____
Wug[z]
Nick[s]
Wug Test
Resultat:
• Kinder konnten den einfachen Plural sehr gut
bilden (umso älter umso besser).
• Der Plural von Worten wie glass war sehr viel
schwieriger und konnte nur von älteren Kindern
gut gebildet werden.
Fazit: Kinder lernen die Pluralbildung als Regel
(erst eine einfache Variante, dann komplexer)
und können diese auf unbekannte Worte
anwenden.
Derivation bei Komposita
Kinder sagen eher so Sachen wie
throw-er ball, cutt-er grass, pull-er wagon
Statt ball thrower, grass cutter, wagon puller
Fazit: Kinder legen sich ein Regelwerk zurecht,
dass sie so nicht in der Erwachsenensprache
gehört haben. Erst nach und nach kommen sie
auf die “richtige” Regel.
Falsche Formen
Bei irregulären Verben/Formen durchlaufen
Kinder folgende Stadien:
1) richtige Form (imitation): ich ging/habe gegessen
2) falsche aber regelmäßige Form: ich gehte/habe gegesst
3) richtige Form als Ausnahme gelernt: ich ging/habe
gegessen
Fazit: Kinder legen sich ein Regelwerk zurecht,
dass sie so nicht in der Erwachsenensprache
gehört haben. Erst nach und nach lernen sie die
Ausnahmen.
Lexikon/Semantik/Syntax
Zum Erwerb von Lexikon (Wörtern), Semantik
(Bedeutung) und Syntax (Satzstruktur) gibt es
noch einiges zu sagen.
Aber diese Bereiche hatten wir noch nicht.
Also noch ein paar andere Themen.
Zeichensprache
Lernen Kinder, die taub sind, sprechen?
Ja: sie können Zeichensprache lernen, brauchen aber dazu
den nötigen Input (Eltern, die Zeichensprache können, z.B.)
Die Stadien des Spracherwerbs bei Zeichensprache sind fast
eins-zu-eins auf die Stadien der Lautsprache abbildbar.
Kinder sind also darauf gepolt, eine menschliche Sprache zu
lernen, egal wie sie “ausgesprochen” wird.
Spracherwerbsstadien
0-2 Monate
Schreien & reflexartige Laute, kaum sprachähnliche Laute
2-4 Monate
‚Gurren‘ & Lachen
‚comfort sounds‘ – meist als Reaktion auf Zuwendung
größere Vielfalt an vokal-ähnlichen Lauten
2-7 Monate
Ausprobieren der Sprechwerkzeuge
6-12 Monate
Lallphase
[bababa] [mama] [dudu] (reduplizierendes Lallen)
[bada] [dadudu] [dabadi] (buntes Lallen)
Spracherwerbsstadien
ca. 1 Jahr
Einwortäußerungen (Holophrase)
Inhaltswörter (Nomen, Verben, Partikel/Präpositionen): Hund,
essen, auf
ca. 2 Jahre
Zwei Wort Stadium, Wortschatzexplosion
ca. 3 Jahre
Erste Sätze, Morphologie kommt nach und nach
ca. 6 Jahre
komplexe Satzstrukturen, Phonologie und Morphologie korrekt,
großer Wortschatz
Mehrsprachigkeit?
Kommen Kinder, die mehr als eine Sprache lernen
durcheinander?
Nein: sie zeigen sogar ein ausgeprägteres
Sprachbewusstsein.
Tiersprache?
Haben Tiere ein ähnliches Sprachwissen wie wir?
Die Meinungen sind geteilt.
Generell sieht es so aus, als ob Tiere “Worte” lernen können
und sie auch ungefähr zusammensetzen können (Affen),
aber mehr nicht.
Berühmte Fälle: Nim Chimpsky, Schäferhund in Leipzig