Wir feiern! - Hamburger Abendblatt

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Wir feiern! - Hamburger Abendblatt
SONNABEND / SONNTAG, 3. / 4. SEPTEMBER 2011
35
2011
Stadtleben: 750 Jahre Duvenstedt › Stadtgespräch: Erster Bürgermeister Olaf Scholz › Titel-Thema: 100 Höhepunkte aus 100 Interviews
Unterwegs: 10 märchenhafte Ausflüge › Gestern & Heute: Vor 100 Jahren eröffnet – der Alte Elbtunnel › Markenmacher: Paul Hundertmark
Wir
feiern!
Vor Ihnen liegt das 100. magazin:
eine Zahl von großer Magie, aber
rechnerisch bedeutungslos.
Der Philosoph und Mathematiker
GUNTER DUECK erklärt ihre
ganz spezielle Zauberformel
M
anches ist klein, anderes groß. Es gibt
das Riesengroße und das unfassbar
Große. Die Zahl 100 ist das fassbar
Große. Sie steht mitten in unserem
Leben. Sie trennt das Kleinere vom
Größeren. Viele denken bei 100 an
Mathematik, aber da kommt 100
kaum vor – immer nur x und y, Sie wissen es ja. Die Physiker rechnen eher
mit echten Zahlen, aber lieber zur Basis der Zahl e, weil Physik oft wie
e hoch x klingt. Die Informatiker rechnen anders, aber dann nur im
Dualsystem, eben weil die Schalter der Transistoren einfach nur an oder
aus sind, 1 oder 0. Nein, 100 ist vor allem in unserem Kopf.
„Das habe ich dir schon hundertmal gesagt – wie oft soll ich es noch
sagen!“ So höre ich noch heute im Geiste meine Mutter. Hundertmal
bedeutet „maximal oft“. Es gibt Väter, die das noch toppen, etwa mit
„1000 Mal berührt und es ist nichts passiert“, aber das ist dann entweder
eine männliche Übertreibung oder ein Ausdruck für das schon unfassbar
Große, für das insbesondere die Zahl Million steht. In den Werken Karl
Mays kommen immer 100 Indianer, bieten 100 Biberfelle an, setzen 100
Dollar, und die Schlucht ist 100 Fuß tief. Auch Edgar Allen Poe mochte
auf die 100 nicht verzichten: „In den vier Kähnen, die vielleicht fünfzig
Fuß lang und fünf Fuß breit waren, befanden sich im ganzen etwa hundert Wilde. Sie hatten die gewöhnliche Größe der Europäer, doch waren
sie im allgemeinen muskulöser und fleischiger, von gagatschwarzer
Farbe und trugen langes schwarzes, wolliges Haar.“ (aus: Der Bericht des
Arthur Gordon Pym). 100 Leute sind bedrohlich viele, aber ein Held
kann damit noch fertig werden. Winnetou schafft das, Bud Spencer sowieso und auch der moderne Hauptabteilungsleiter, der dem römischen
Centurio nachempfunden ist. Heutige Polizisten orientieren sich ebenfalls an solchen Vorbildern und kommen als Hundertschaft.
Jenseits der 100 versagt langsam unser Differenzierungsvermögen.
Über 100 ist alles schon groß – so groß, dass wir es nicht sofort erfassen
können. Ein kleiner Test gefällig? Ich schaue Sie jetzt einmal streng
an und stelle Ihnen eine Frage, die Sie bitte sehr schnell beantworten
sollen. „Wie viel ist 19 mal 7?“ Na? Da runzeln Sie fast sicher die Stirn und
werfen Ihren Taschenrechner im Gehirn an, der sagt: „Man muss 10 mal
7 rechnen, das ist schon einmal 70, die merke ich mir. Danach bleibt
9 mal 7, das sind 63, die kommen noch zu der 70 dazu. Es sind, äh, 133.“
So geht es den meisten von uns. Über 100 rechnen wir mit gelernten
Verfahren, unter 100 dagegen haben wir alles im Kopf. Da ich Statistik
studiert habe, kann ich jetzt von einem Beispiel auf alle schließen und
behaupte einmal leichthin: Die Zahlen bis 100 sind immer mit uns und
die da drüber sind uns fremd. Nicht wirklich alle sind fremd, nein, denn
die Quadratzahlen wie 144 kommen ab und an vor, und vieles kostet 199
Cent, was aber eine zarte Umschreibung von 200 ist.
Die Zahl 100 ist genau die Zahl zwischen den vertrauten Zahlen
und den fremden. Sie ist die größte der einfach so bekannten Zahlen
Am 10. Oktober 2009 ging’s los:
Die 100 magazin-Titelblätter
in chronologischer Reihenfolge
ergeben genau die Zahl 100
und die kleinste derer, die wir taschenrechnerartig formal behandeln.
100 ist die größte konkrete und die kleinste abstrakte Zahl.
Hundert ist also viel, aber noch verarbeitbar viel! Ich werde bestimmt
100 Jahre alt, weil ich Mathematiker und Philosoph bin, nicht rauche
und Kinder habe. Das ist klar! Will ich noch älter werden? Hmmmh.
Irgendetwas sagt in mir, dass ich bis hundert gesund bleibe und es
danach irgendwie unfassbarer wird, wie ich mich entwickele. Wenn
einer zu den Top 100 im Tennis gehört, dann kann er etwas! Aber Nummer 133? Ist der noch gut? Wir feiern alles, was hundert wird, jubelnd
als Jubiläum. Was hundert wurde, muss gut sein! Der Hamburger Flughafen ist hundert Jahre jung – von Zeppelinen bei der Einweihung bis
zur Dundu-Puppe bei der Jubliäumsfeier. Der alte Elbtunnel ist hundert geworden, er ist betagt wie bald ich – aber man muss ja auch schon
lange nicht mehr diesen Fußgängertunnel benutzen, um als Hafenarbeiter zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Hundert Jahre, das ist die
Zeit der Besinnung und einer Neubesinnung. Das alte Vertraute wird
feierlich abgehakt, das neue Jahrhundert – noch fremd wie das große
Einmaleins – beginnt vertraut zu werden. Es wird nun wieder von vorne
gezählt, die 100-Jahrfeier ist Tod und Geburt.
Dornröschen sollte mit blutjungen 15 Jahren sterben, aber die zwölfte Fee wünschte, „es soll aber kein Tod sein, sie soll nur hundert Jahr in
einen tiefen Schlaf fallen“. Da stoppt das Leben am Hofe für 100 Jahre!
So wie sich heute Menschen immer genau für 100 Jahre einfrieren
lassen, weil Sie sich bei 100 Jahren noch etwas vorstellen können. Mehr
als 100 Jahre einfrieren? Da ist er wieder, der Übergang vom gerade
noch Vertrauten zum nicht mehr recht Fassbaren.
100 Mark, das war viel! Das haben wir so sehr verinnerlicht, dass
wir heute nur 50-Euro-Scheine in Automaten gut finden. Wir wollen
keine 100-Euro-Scheine, weil das 200 Mark sind, also unvertraut viel.
Das körperliche Gefühl des Hundertmarkscheins hat sich auf den
50-Euro-Schein vererbt – witzig, oder? Selbst bei den kalt-nüchternen
Kapitalanlagen gibt es ein Hunderterphänomen. Kaufen Sie gerne Aktien, die mehr als 100 Euro kosten? Viele Menschen sehen eine Aktie
konkret als Sachanlage – ihnen erscheinen 100 Euro als „teuer“. Das
fühlen sie. Für mich selbst ist eine Zahl so gut wie eine andere, ich sehe
den Kurs mehr abstrakt. In Deutschland und in den USA werden die
Aktien sehr oft gesplittet, wenn ihr Kurs wesentlich über die magische
Zahl 100 gestiegen ist. Es ist üblich, einfach zu jeder Aktie eine neue
auszugeben. Wer also vorher eine Aktie hatte, die 133 Dollar wert war,
hat hinterher zwei Aktien zu je 66,50 Dollar.
Mit so einer Zahl wie 66 können wir wieder etwas anfangen. Das ist
fast genau zwei Drittel von 100 und nach 50 Prozent Kurszuwachs sind
es traumhafte 100! Da viele Menschen so fühlen, steigen Aktien im Wert
von über 100 nicht mehr stark, weil die Nachfrage langsam ausbleibt.
Aber nach dem Split ist wieder für alle alles in Ordnung – und es wird
wieder gekauft, weil die Situation wieder vertraut ist. Sie merken besonders an diesem Beispiel, dass das Gefühl rund um die 100 ganz
locker selbst harte mathematische Logik dominiert.
100 ist eben Gefühl! 100 ist nicht kalt wie Logik und Zahlen. 100 ist
Wärme, Verdienst, Jubiläum, Ehre, Tradition, Feier, Gedenken, Sinn
und Besinnung, Stärke, Zuversicht und Stolz. 100 ist das Runde und
Fertige, das Würdige und Schöne.
S. 4 – 6: „Verliebt in Hamburg“.
Einhundert Höhepunkte aus 100
Interviews mit 100 Persönlichkeiten
II
› WOCHENENDE
Sonnabend / Sonntag, 3. / 4. September 2011
Otto
Waalkes
FOTO: PICTURE-ALLIANCE
FOTO: PRIVAT
Ab ins Weserbergland
KARTE: GRAFIKANSTALT
Zeitreise: Duvenstedt wird 750 und
feiert u. a. mit einer historischen
Ausstellung – hier der alte
Fahrradladen (ca. 1920)
Porta Westfalica
Bad Oeynhausen
7
2
3
Hildesheim
eshh
Weser
10
8
Herford
Hameln
Bielefeld
Detmold
Der 63-jährige Komiker und TennisFan lebt seinen Traum – und hat
dabei ständig ein Klingeln im Ohr
33
Mein perfekter
Sonntag
7
1
Bad Pyrmont
9
Holzminden
minde
min
nde
2
Paderborn
4
7
5
8 Uhr Ich bekomme einen
Oscar für die beste Nebenrolle
rückwärts. Stolz halte ich die
Statue hoch – da fängt der
verdammte Oscar plötzlich an
zu klingeln! Ich wache auf und
schlage um mich. Doch der
Wecker klingelt weiter. Mein
erster Gedanke: Maloche, Maloche! Zweiter Gedanke: Ich
doch nicht! Der Wecker stellt
das Klingeln ein. Ich drehe
mich noch mal um – und mir
fällt siedendheiß ein: Ich habe
eine Verabredung! Ich dusche
eiskalt, schlürfe einen selbsterpressten Saft und bin bereit.
9 Uhr Ich stehe auf dem
Tennisplatz des TC Blankenese. Mein Partner sieht noch
müder aus als ich. Die beiden
Herren auf der anderen Seite
des Netzes wirken hellwach.
Wir verlieren den ersten Satz
1:6. Im zweiten werden auch
wir munter und gewinnen 6:4.
Dritter Satz, Tiebreak: Ich
verwandle unseren ersten
Matchball mit einem Smash
auf die Grundlinie. Sieg! Sieg!
Der Pokal ist unser! Ich recke
ihn gen Himmel – da fängt das
verdammte Ding an zu klingeln … Nein, das tut er nicht,
ich schließe messerscharf:
Das war kein Traum.
12 Uhr Café Luhmanns, Frühstück. Ich order das volle Programm: Die Verlierer zahlen.
14 Uhr Ich habe alle Tennisspieler, die ich kenne, angerufen und mit meinem Triumph
gelangweilt. Eh ich mich langweile, greife ich zur Gitarre
und versuche, eine RossiniOuvertüre zu spielen. Das ist
nicht so schwierig, wie es sich
anhört – einfach ist es aber
auch nicht. Und es dauert …
18 Uhr Zur Auflockerung
laufe ich die Treppe zur Elbe
hinunter, 123 Stufen. Ist nicht
so einfach, wie es sich anhört,
denn die muss ich auch wieder hoch laufen. Zur Stärkung
trinke ich einen Kamillentee
in der „Kajüte“. Ich halte die
Tasse hoch – da fängt das verdammte Ding an zu klingeln –
Quatsch! Das war mein Telefon: eine neue Verabredung.
20 Uhr Ich sitze mit Freunden beim Lieblingsitaliener,
Ecke Kalckreuthweg. Italienisch ist eine erstaunliche
Sprache: „L’Europeo“ – fünf
Silben für einen kleinen Erdteil. Und das Essen ist genauso:
fünf Vorspeisen stehen nach
knapp zwei Minuten auf dem
Tisch. Dann bin ich satt.
23 Uhr Fernsehen? Lieber
nicht. Meine Träume mache
ich mir selbst. Gute Nacht.
WEIHNACHTSGALA
Olivia Molina
singt Weihnachtslieder
aus Lateinamerika
27. Dezember 2011
20 Uhr
Hauptkirche St. Nikolai
Karten € 28,95
Karten gibt es in allen
Hamburger Abendblatt-Ticketshops
(zzgl. Bearbeitungsgebühr)
Hamburger AbendblattTicket-Hotline
040/30 30 98 98
(zzgl. Versandkosten)
Mo.–Fr. 8–19 Uhr, Sa. 8–13 Uhr
Göttingen
44
6
10 km
10 AUSFLÜGE
Leben wie im Märchen
TEXT: KIRSTEN RICK
STADTLEBEN
Eine malerische Kulisse: Die romantische Mittelgebirgslandschaft wartet
auf mit sanften Hügeln, Burgen, Schlössern – und märchenhaften Erlebnissen.
Eine Reise zu den Wurzeln von Aschenputtel, Rapunzel und Dornröschen
750 gute Gründe
Nirgends sonst in Deutschland gibt es eine so große Ansammlung von imposanten
Burgen und Schlössern der Renaissance. Entlang der Weser reihen sich historische
Fachwerkstädtchen wie Perlen auf einer Kette, von Hann. Münden bis Hameln. Man
glaubt es sofort, dass die Gebrüder Grimm in der Heimat von Lügenbaron Münchhausen auf der Suche nach märchenhaften Überlieferungen vielfach fündig wurden.
Ein Umzug und ein Langlauf, ein Tanzball und Ringreiten, ein Flohmarkt und ein
musealer Rückblick bis ins Jahr 1261: Über eine Woche lang feiert Duvenstedt
seinen 750. Geburtstag – selbst die Kühe sind als Glücksfeen mit von der Party
E
TEXT: VANESSA SEIFERT
s ist eine besondere Einladung. Denn das Geburtstagskind ist 750 Jahre alt, ein durch und
durch „Grüner“ und gemeinhin als eher ruhig
bekannt. Doch jetzt hat der charmante Stadtteil im
Norden Hamburgs richtig was zu feiern: Mit einer
Festwoche begehen die mehr als 6000 Duvenstedter
noch bis zum 11. September das 750. Jubiläum ihrer
Heimat. „Das ganze Dorf ist auf den Beinen und wir
erwarten mehr als 8000 Gratulanten“, sagt Organisator Hans-Hinrich Jürjens, den „hier alle Hinni“ nennen und der das Fest mit 50 Helfern geplant hat.
Nach der Eröffnung durch Bürgermeister Olaf
Scholz (SPD) gehen die Feierlichkeiten in dem Stadtteil, der 1261 erstmals erwähnt wurde, richtig los: Am
heutigen Sonnabend stehen „Spiele (fast) ohne Grenzen“ auf dem Programm, gerade auch für kleine Gäste
wird rund um die Festwiese A am Puckafferweg einiges geboten, und um 18 Uhr will das Junge Theater
Duvenstedt die Besucher mit Sketchen im MaxKramp-Haus zum Lachen bringen.
Am Sonntag um 11 Uhr öffnet dann die Historische
Ausstellung – eine Zeitreise in das Duvenstedt des
Jahres 1261, inklusive einer Vorführung der Spinnerinnen aus dem Museumsdorf Volksdorf (Eintritt ist
frei). Und von 12 bis 18 Uhr lädt Duvenstedt zu einem
Flohmarkt ein: „An mehr als 60 Ständen lässt sich bestimmt das ein oder andere Schnäppchen machen“,
ist sich Hans-Hinrich Jürjens gewiss.
Höhepunkt wird am 10. September der knapp 600
Meter lange Festumzug durch Duvenstedt sein, Vereine, Schulen, Kindergärten sind dabei. „Vom Traktor
bis zum Feuerwehrauto fährt alles mit“, erklärt „Hinni“. Doch schon vorher, ab 11 Uhr, läuft alles rund
beim großen Volkslauf mit einem Kurs, auf dem sich
die schönen und blumigen Seiten des Stadtteils entdecken lassen – wahlweise auf einer Strecke von
2500, 5000 oder 7500 Metern. Anschließend lädt der
Reitstall Eichenhof zum Ringreiten ein – wer nicht
Mitglied im Duvenstedter Reit- und Fahrverein ist,
zahlt drei Euro. Abends geht es dann festlicher zu,
beim großen Ball im Festzelt – mit Line-Dance-Tanzaufführung des Casino Oberalster.
Auf ein Spektakel freuen sich die Duvenstedter
schon ganz besonders. „Toll wird das Kuhfladen-Lotto am 11. September“, schwärmt Hans-Hinrich Jürjens. Wie beim Roulette setzen die Mitspieler hier auf
ein bestimmtes Feld auf einer abgesteckten Weide –
und hoffen auf ein Geschäft mit dem Geschäft der
Kuh. „50 Prozent des Einsatzes zahlen wir aus, 50
Prozent gehen an gemeinnützige Einrichtungen und
kommen Duvenstedter Vereinen zugute.“ Dann
schon mal herzlichen Glückwunsch, Duvenstedt!
TIPPS & TERMINE
1 SCHLOSS HÄMELSCHENBURG Das Juwel der Weserrenaissance: Das als
Wasserschloss errichtete Rittergut ist komplett erhalten, inklusive Kunstsammlungen, Wirtschaftsgebäude, Kirche, Wassermühle. Es befindet sich noch immer
im Privatbesitz der Familie Klencke, die es 1588 bis 1613 erbauen ließ.
» Stiftung Rittergut Hämelschenburg, Schlossstr. 1, 31860 Emmerthal, Führungen
tägl. außer montags, Tel. 05155 / 95 16 90, www.schloss-haemelschenburg.de
2 SCHLOSS BEVERN Anfang des 17. Jahrhunderts wurde das Prachtstück der
Weserrennaissance von Statius von Münchhausen, einem cleveren Geldverleiher,
gebaut. Es diente den Herzögen von Braunschweig und Lüneburg als Jagdschloss,
wurde im 19. Jahrhundert zur Knopffabrik, Erziehungsanstalt für Jugendliche,
Trainingslager des SA, Flüchtlingsunterkunft und Möbellager – wie man in der
„Erlebniswelt Renaissance“ mit Pocket-PC und Kopfhörer lernen kann.
» Kulturzentrum Weserrenaissance Schloss Bevern, 37639 Bevern, Tel.
05531/99 40 10, Kunsthandwerkermarkt: 4.9., 10–17 Uhr, www.schloss-bevern.de
Service
» 750 Jahre Duvenstedt, Festwoche bis zum 11. September; das
Programm gibt es im Internet unter
www.vereinigung-duvenstedt.de
DER GRÜNE PUNKT Schon vor rund 100 Jahren sollte der Schulgarten im Volkspark den Bürgern als
Vorbild für die eigene Scholle dienen. Bis Oktober gibt es an jedem ersten Sonntag im Monat eine
Führung zur Historie, z.B. am 4.9. von 14–15.15 Uhr, Schulgartenweg/August-Kirch-Straße, 3 Euro.
4 SCHLOSSENSEMBLE DER PORZELLANMANUFAKTUR FÜRSTENBERG
Eine spannende Reise in die Welt der Porzellankultur: Deutschlands zweitälteste
Manufaktur, 1747 von Herzog Carl I. von Braunschweig auf Jagdschloss
Fürstenberg gegründet, bietet Werksverkauf und eine Besucherwerkstatt.
» Museum im Schloss, Meinbrexener Str. 2, 37699 Fürstenberg, 05271/40 11 61,
www.fuerstenberg-porzellan.com
5 TRENDELBURG Von dem Burgturm soll einst Rapunzel auf ihren Prinzen gewartet haben – heute kann man im Hotel ein Märchen-Dinner genießen. Jeden Sonntag (bis 16.10.) lässt Rapunzel ihr Haar herab und gibt danach Autogramme.
» Hotel Burg Trendelburg, Steinweg 1, 34388 Trendelburg, Tel. 05675/9090,
www.burg-hotel-trendelburg.com
6 DORNRÖSCHENSCHLOSS SABABURG Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab
das Haus Hessen das Schloss als Wohnsitz auf, es fiel in „Dornröschenschlaf“, von
Efeu umrankt – nur hier konnte sich das Märchen zugetragen haben. Heute gibt es
nicht nur Führungen, man kann bei Familie Koseck auch speisen und übernachten.
» im Reinhardswald, 34369 Hofgeismar, Tel. 05671/8080, www.sababurg.de
KULTUR ERLEBEN
Artisten auf
dem Asphalt
7 MÜNCHHAUSEN-MUSEUM Im Münchhausen-Gutshof wurde Hieronymus Carl
Friedrich Freiherr von Münchhausen 1720 geboren, hier starb er 1791. Zahlreiche
Erinnerungsstücke zeichnen das Leben des berühmten „Lügenbarons“ nach.
» Münchhausen-Museum, Münchhausenplatz 1, 37619 Bodenwerder, Tel.
05533 / 405 41, Mo – So 10 – 17 Uhr (April – Oktober), www.bodenwerder.de
8 RATTENFÄNGER VON HAMELN Die Sage um die Rache des Pfeifers fasziniert
noch heute: Die „Stadtführung mit dem Rattenfänger“ reist zurück ins Jahr 1284,
bis zum 11.9. wird sonntags um 12 Uhr das Freilichtspiel aufgeführt und bis 21.9.
läuft mittwochs um 16.30 Uhr auf der Hochzeitshaus-Terrasse das Musical „Rats“.
» Tourist Information, Deisterallee 1, 31785 Hameln, Tel. 05151/95 78 23,
www.hameln.de
Das „Stamp“-Festival, Schmelztiegel der
Straßenkünste, bringt mit 2000 Clowns,
Tänzern und Malern Altona zum Kochen
A
3 SCHLOSS BÜCKEBURG UND FÜRSTLICHE HOFREITSCHULE
Die Residenz der Fürstenfamilie zu Schaumburg-Lippe stammt
aus dem Jahr 1560. Besonders prachtvoll sind der Große
Festsaal im Rokokostil und das Mausoleum im Schlosspark mit der größten Goldmosaikkuppel Europas. Im
Marstall stehen 18 Hengste, die bei den Vorführungen
der Höfischen Reitkunst ihr Können zeigen.
» Fürstliche Schlossverwaltung, Schlossplatz 1, 31675
Bückeburg, Tel. 05722 / 5039 oder 90 91 82, www.schloss-bueckeburg.de
TEXT: ALEXANDER JOSEFOWICZ
uf Stelzen oder Händen, im glamourösen
Samba-Kostüm oder versteckt hinter Masken: Straßenkunst ist ebenso bunt wie vielfältig, wie das „Stamp“-Festival beweist. „Stamp“ steht
für „Street arts melting pot“, den Schmelztiegel der
Straßenkünste, in dem die unterschiedlichsten Genres brodeln. Noch bis Sonntag stehen neun Bühnen
auf der Großen Bergstraße zwischen Max-BrauerAllee und Virchowstraße, auf denen 60 Gruppen mit
insgesamt 2000 Künstlern um die Gunst des Publikums buhlen: Musiker, Akrobaten, Jongleure und
Clowns, Pantomimen, Break-Dancer und Rapper.
Sie kommen aus Hamburg, aus dem Rest Deutschlands und aller Herren Länder. Zusammengebracht
hat sie das Team der Altonale, das schon 2010 den erfolgreichen Versuch startete, aus der Spaßparade ein
eigenständiges Festival zu kreieren. Drei Tage und
fast 200000 Besucher später war klar, dass es auch
2011 wieder ein „Stamp“-Festival geben würde.
Eine Kunstform, die von der Straße kommt und
beim „Stamp“ dorthin wieder zurückkehrt, ist der
Breakdance. Beim Elbcoast Underground Battle treten mehr als 400 Teilnehmer aus ganz Europa in
verschiedenen Disziplinen des vom HipHop inspirierten Tanzes gegeneinander an.
Tanz spielt auch eine Rolle beim Herzstück des
Festivals, den beiden Paraden: Am Sonnabend er-
Bruchtanz: Die Große Bergstraße wird zur Spaßparade,
wenn Breakdance, Theater,
Samba u. m. geboten werden
FOTO: NICO VINCENT
leuchtet die Night Parade die Einkaufsmeile, wenn
ab 20.30 Uhr Sambagruppen, Spielmannszüge und
Theater-Ensembles durch die Straße ziehen, laut und
leuchtend. Der Sonntag beginnt um 12 Uhr mit dem
Erben der Spaßparade, der Stamp-Parade. Fast alle
Teilnehmer des Festivals vereinen sich zu einem
bunten Riesenwurm, der sich vier Stunden lang als
geballte Vielfalt durch Altona schlängelt.
Man kann es aber auch ruhiger angehen lasssen:
Die Street Artists locken nämlich nicht nur mit Musik,
Verrenkungen oder Theater, sondern auch mit urbanem Stillleben in Überformat. Die Werke von Malern
und Sprayern wie Rebelzer, Remi/Rough und Los
Piratoz werden dabei zu Straßenkunst auf Wänden.
Bei allem Engagement, aller Liebe zur Straßenkunst kann das Organisationsteam dennoch eines
nicht leisten: den Künstlern eine Gage zu zahlen. Wer
von ganz weit her nach Hamburg gekommen ist,
kann auf einen Unkostenbeitrag zu den Reisekosten
hoffen, mehr ist nicht drin. Der Hut, der Gitarrenkasten, die Schale für das Kleingeld, denen man bei allen
Vorstellungen begegnet – sie sind keine Dekoration,
sondern Quelle des Einkommens.
9 BURG POLLE Die romantische Ruine der Grafen von Verstein soll Heimat von
Aschenputtel gewesen sein. Das kleine Museum im Haus des Gastes lässt anhand
von Fundstücken aus archäologischen Grabungen das Burgleben auferstehen.
» Gästeinformation Polle, Amtsstr. 4A, 37647 Polle, Tel. 05535/411,
www.weserbergland-tourismus.de
10 DEUTSCHES MÄRCHEN- UND WESERSAGENMUSEUM „Stroh zu Gold –
Spindel, Schiffchen, Märchenhelden“ heißt die Sonderausstellung über Textilien in
Märchen (bis 2.10.). Die Dauerausstellung erläutert, wie Märchen geschrieben und
gesammelt wurden und worum es in den Geschichten tatsächlich geht.
» Am Kurpark 3, 32545 Bad Oeynhausen, Mi–So 10–12 und 14–17 Uhr, Tel.
05731 / 14 34 10, www.badoeynhausen.de
INFORMATIONEN: Weserbergland Tourismus e. V, Deisterallee 1, 31785 Hameln,
Tel. 05151 / 930 00, www.weserbergland-tourismus.de
Service
» STAMP-Festival,
Sa, 3.9., ab 14, So, 4.9., ab 12 Uhr,
Große Bergstraße (S Altona),
Eintritt frei; www.stamp-festival.de
Porzellanwerk trifft Fachwerk: Schloss Fürstenberg
FOTOS: ISTOCKPHOTO, PORZELLANMANUFAKTUR FÜRSTENBERG GMBH
III
Sonnabend / Sonntag, 3. / 4. September 2011
› STADTGESPRÄCH
Peter Ulrich Meyer trifft Olaf Scholz
Liebling
Altona
Hamburgs Erster Bürgermeister spricht über
Schicksale, die ihn besonders berühren, seinen
Humor und wie er aus Niederlagen gelernt hat
A
FOTO: THOMAS LEIDIG
lso die „Strandperle“!
Diesen Ort der ungetrübten Lebensfreude an der
Elbe hat sich Hamburgs
Erster Bürgermeister Olaf
Scholz für das Gespräch
ausgesucht. Steckt in dem Sozialdemokraten, der den heiligen politischen Ernst zur
Regierungsform erhoben hat, vielleicht
doch insgeheim ein Flaneur? Gibt es eine
neue Lockerheit nach dem Einzug ins Rathaus? „Das Amt lässt sich auf viele Weisen
ausüben“, verrät Scholz immerhin. „Jedenfalls sind mir die Elbe und der Strand
hier sehr vertraut. Das passt zusammen.“
So klingt es, wenn der nüchterne Sozialdemokrat über sich erzählt. Scholz bestellt
Rhabarberschorle und – ein Fischbrötchen.
Die ungewöhnliche Kombination lässt den
Schluss zu, dass es auch ein Bürgermeister
angesichts einer Vielzahl von Terminen
nicht einfach hat mit der Nahrungsaufnahme. Er wird erkannt, freundlich gegrüßt, aber in Ruhe gelassen. Altona ist
sein Revier: Hier lebt der Jurist seit vielen
Jahren mit seiner Frau Britta Ernst, die
bis vor Kurzem Bürgerschaftsabgeordnete war. Als dreimal direkt gewählter
Altonaer Bundestagsabgeordneter sind
Scholz Menschen und Orte bestens vertraut. Großartige Rhetorik und spontane
Gefühlsregungen sind seine Sache nicht.
Wenn er früher als Bundesarbeitsminister
zu Pressekonferenzen ging, raunten ihm
enge Vertraute zu: „Und vergiss nicht, auch
mal zu lachen!“ Politik verkauft sich so
leichter. Einst wegen seiner roboterhaften
Sprechweise als „Scholzomat“ verspottet,
ist Scholz heute der beliebteste Hamburger Politiker. Hat er sich verändert?
„Jetzt noch einmal mit einem Lächeln“,
bittet magazin-Fotograf Thomas Leidig
beim Foto-Shooting vor dem Interview.
Er kann es, wenn er will.
MAGAZIN: Herr Scholz, leiden Sie unter Ihrem Image?
Sie gelten als sehr kontrolliert und zurückhaltend,
mimisch und gestisch nicht sehr aufwendig.
OLAF SCHOLZ: Nein. Ich habe mich schon lange entschlossen, mich nicht zu verstellen. Die Bürger haben ein
klares Gespür dafür, wann man authentisch ist. Sie haben auch einen Anspruch darauf, dass man so bleibt.
Ernste Aufgaben muss man auch mit Ernst angehen.
MAGAZIN: „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga hat
gesagt, Sie wirkten wie ein „englischer Butler zur Teatime“. Da hatten Sie gerade Ihren historischen Wahlerfolg der absoluten Mehrheit bei der Bürgerschaftswahl
errungen. Können Sie darüber wenigstens lachen?
SCHOLZ: Ja, unbedingt. Ich fand das sehr lustig. Frau
Miosga hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie
meinen Umgang mit diesem sehr guten Wahlergebnis ungewöhnlich fand. Ich habe an jenem Abend eines sehr bewusst deutlich gemacht: Man kann einen
Wahlsieg nicht feiern, als hätte die eigene Fußballmannschaft gewonnen.
MAGAZIN: Aber man darf sich nach einem solchen Wahlerfolg doch auch mal freuen, oder?
SCHOLZ: Ich freue mich, auch heute noch.
SCHOLZ: Ich habe Humor, allerdings bestehe ich nicht
darauf, es zu beweisen.
MAGAZIN: Keine Sorge, ich frage nicht nach einem Witz.
Trifft Loriot Ihren Humor?
SCHOLZ: Das war einer, der den Humor vieler Leute getroffen hat. Seine Art, sich selbst und uns alle auf die
Schippe zu nehmen, ist bemerkenswert zeitlos.
MAGAZIN: Kann man Politik nur über den Kopf verkaufen
– oder gehören Emotionen notwendigerweise dazu?
SCHOLZ: Unbedingt. Es geht in der Politik auch darum,
dass unsere Gesellschaft nach bestimmten Wertvorstellungen organisiert wird: Es geht um Gerechtigkeit, um Freiheit. Und das geht alle an und ist zutiefst
menschlich.
MAGAZIN: Wo ist der Bürgermeister Scholz emotional?
SCHOLZ: Was mich mit am meisten berührt, ist die Frage, wie sich die Kinder entwickeln. Ich bin manchmal
persönlich glücklich, wenn ich sehe, dass es einem
jungen Menschen gelingt, trotz schwierigster Umstände mit der Schule klarzukommen, eine Berufsausbildung zu beginnen. Es ist für mich eine zutiefst
emotionale Angelegenheit, dafür zu sorgen, dass jeder, der sich anstrengt, in dieser Gesellschaft zurechtkommt. Manche Schicksale können einen nicht
unberührt lassen. Zum Beispiel Kinder, die von ihren
Eltern vernachlässigt werden: Das geht mich unmittelbar an, und das merkt man dann auch. Was ich
nicht mag, sind Emotionen auf Knopfdruck.
MAGAZIN: Denken Sie bei den Jugendlichen auch an
Ihren eigenen Weg?
SCHOLZ: Ich hatte eine glückliche Kindheit und eine
unbeschwerte Schulzeit, an die ich mich gern zurückerinnere. Mir ist die Schule leichtgefallen. Aber ich
habe bis heute eine Situation nicht vergessen: Am
Ende der Zeit in der Grundschule Großlohe durfte
einer meiner Mitschüler, der auch gute Noten hatte,
nicht aufs Gymnasium. Seine Trauer hat mich lange
begleitet. Es war für mich ein besonderes Erlebnis,
vor Kurzem den Kontakt zu ihm wieder aufnehmen
zu können. Es war schön zu sehen, dass sein Lebensweg erfolgreich war und er Ingenieur geworden ist.
MAGAZIN: Wie wollen Sie als Bürgermeister wirken?
SCHOLZ: Da habe ich keine Vorgaben. Jeder, der sich so
etwas vornimmt, wirkt gestelzt.
MAGAZIN: Charakterisieren Sie bitte Ihren Regierungsstil.
SCHOLZ: Ich arbeite viel. Keine Entscheidung ohne
ausreichende Informationen. Ich versuche, eng mit
den Senatorinnen und Senatoren und den Fachleuten der Verwaltung zusammenzuarbeiten. Ich bemühe mich um einen kooperativen Führungsstil.
MAGAZIN: Andererseits sind Sie so mächtig wie lange kein
Bürgermeister vor Ihnen. Sie sind auch Landesvorsitzender. Wo bleiben da die „Checks and Balances“?
SCHOLZ: Die Zusammenarbeit mit Partei und Fraktion
und im Senat ist kollegial und von gemeinsamen Beratungen geprägt. Es ist nicht so, dass einer die Ansage macht und alle folgen. Deswegen gibt es auch keine
einsamen Fehlentscheidungen.
MAGAZIN: Wollen Sie SPD-Landeschef bleiben?
SCHOLZ: Ich werde jetzt SPD-Chef bleiben. Das ist für
die überschaubare Zeit auch sinnvoll. So können wir
dafür sorgen, dass wir das umsetzen, was wir den
Bürgern versprochen haben: sich bodenständig um
die Probleme der Stadt zu kümmern und sie zu lösen.
MAGAZIN: Heißt das, ohne Sie als Parteichef verliert die
SPD die Bodenhaftung?
SCHOLZ: Wir sind uns einig, dass es sinnvoll ist, die
beiden Ämter zusammenzuhalten. Das ist in anderen
Ländern auch so.
MAGAZIN: Nur nicht öffentlich.
SCHOLZ: Ein Wahlerfolg bedeutet einen großen Zuspruch von den Bürgern. Und es ist ein Auftrag. Deswegen habe ich meinen Freunden gesagt: An die Arbeit!
MAGAZIN: Nur in der Hamburger SPD war es nie so.
SCHOLZ: Aber im Augenblick scheint es ja ganz erfolgreich zu funktionieren. Niemand hat das Gefühl, es
sollte anders sein. Da es um Teamarbeit geht, gilt hier
der Satz: Never change a winning team.
MAGAZIN: Aber Sie scheinen dennoch Humor zu haben.
Sie haben Loriot nach seinem Tod gewürdigt, was ungewöhnlich für einen Bürgermeister ist.
MAGAZIN: Wie selbstbestimmt leben Sie noch?
SCHOLZ: Klar ist, dass in kurzer Reihenfolge Entscheidungen getroffen, repräsentative Termine wahrge-
nommen werden müssen und so weiter – insofern ist
viel Fremdbestimmung dabei. Aber es handelt sich um
Fremdbestimmung in einer selbst gewählten Situation. Politiker, die über ihre Arbeitsbelastung klagen,
mag ich gar nicht. Sie könnten es jeden Tag sein lassen.
MAGAZIN: Ihre politische Karriere weist scharfe Brüche
auf – Sie waren auch schon mal „weg vom Fenster“.
Muss man als Politiker schwere Niederlagen erleiden,
um große Erfolge zu erringen?
SCHOLZ: Man muss nicht, aber es schadet nicht und
hilft auch eher. Wenn man sich als Politiker schon
einmal mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die
politische Laufbahn beendet wird, schützt das vor
Größenwahn und unsäglichen Selbstbildern.
MAGAZIN: Machen solche Erfahrungen demütig?
SCHOLZ: Die machen demütig, auf alle Fälle. Schwierige
Situationen erlebt zu haben, trägt dazu bei, dass man
unerschrockener und gelassener mit den Aufgaben,
die man hat, umgehen kann.
MAGAZIN: Wann wollten Sie Erster Bürgermeister werden?
SCHOLZ: ( lange Pause) Die Entscheidung, dass ich kandidiere, habe ich getroffen, als sie anstand. Das war
im November 2010.
MAGAZIN: Das ist uns nicht entgangen.
SCHOLZ: Mit der Frage, ob ich bereit wäre zu kandidieren und es dann auch mit ganzem Herzen zu wollen
als eine langfristige Aufgabe, habe ich mich Anfang
2010 auseinandergesetzt. Damals war klar, dass die
SPD die Chance hat, stärker zu werden als die CDU.
Und für mich als möglichen Bürgermeister war die
Zustimmung in einer Umfrage größer als für den damaligen Amtsinhaber Ole von Beust. Zu dieser Zeit
habe ich mir die Karten gelegt und auch mit meiner
Frau darüber gesprochen. Ich hätte eine Vollbremsung machen müssen, wenn ich damals nicht innerlich die Bereitschaft zur Kandidatur gehabt hätte. Ein
solches Amt darf man nur anstreben, wenn man es
wirklich von Herzen will.
MAGAZIN: „Ich will nie Bürgermeister werden.“ Wissen
Sie, wann Sie das dem Abendblatt gesagt haben?
SCHOLZ: Das muss zehn Jahre her sein. Ich war damals
zum ersten Mal SPD-Landesvorsitzender.
MAGAZIN: Sehr gut. Es war am 17. April 2000.
SCHOLZ: Das war damals meine ehrliche Überzeugung.
Außerdem habe ich euch daran gehindert, die Schlagzeile „Scholz will Runde (damals Erster Bürgermeister, Anm. der Red.) stürzen“ zu produzieren. Die wäre
die Alternative gewesen. Ich bin ja nicht doof.
MAGAZIN: Wollen Sie Bundeskanzler werden?
SCHOLZ: Ich habe mich als Hamburger Bürgermeister
Hamburg, meine Strandperle:
Olaf Scholz, 53, lebt unweit von
Oevelgönne in der Altonaer Altstadt
Es ist nicht so, dass einer die Ansage macht
und alle folgen. Deswegen gibt es auch
keine einsamen Fehlentscheidungen.
beworben und zugleich gesagt, dass ich mich bei der
nächsten Bürgerschaftswahl wieder um ein Mandat
bewerben will. Ich will es so gut machen, dass es noch
einmal klappt.
MAGAZIN: Müssen wir wieder zehn Jahre warten, um zu
erfahren, dass Sie nicht die Wahrheit gesagt haben?
SCHOLZ: Ich habe vor zehn Jahren die Wahrheit gesagt.
MAGAZIN: Offensichtlich nicht.
SCHOLZ: Ich habe das gesagt, was mir damals in den
Sinn kam.
MAGAZIN: Noch einmal nachgefragt: Müssen wir zehn
Jahre warten, um zu wissen, ob Sie in puncto Kanzlerschaft die Wahrheit gesagt haben?
SCHOLZ: Wie gesagt: In vier Jahren kandidiere ich erneut als Bürgermeister.
Kurz-Biografie
» Olaf Scholz wurde am 14. Juni 1958
in Osnabrück geboren und lebt seit dem
dritten Lebensjahr in Hamburg. In die
SPD trat er 1975 ein und wurde schnell
Vize-Bundesvorsitzender der Jusos. Der
Fachanwalt für Arbeitsrecht war 2001
fünf Monate lang Innensenator und von
1998 bis 2011 mit Unterbrechungen
Altonaer Bundestagsabgeordneter. Von
2002 bis 2004 war er SPD-Generalsekretär und von 2007 bis 2009 Bundesarbeitsminister. Seit dem 7. März ist
Scholz Erster Bürgermeister, nachdem
er am 20. Februar mit der SPD die absolute Mehrheit bei der Bürgerschaftswahl errungen hatte. Scholz ist mit der
SPD-Politikerin Britta Ernst verheiratet.
IV
› THEMA DER WOCHE
Sonnabend / Sonntag, 3. /4. September 2011
V
Einhundert
… Stadtgespräche sind bisher im „magazin“ erschienen: in
chronologischer Reihenfolge die Höhepunkte aus Interviews
mit 100 PERSÖNLICHKEITEN, die alle Hamburg lieben …
FOTOS: THOMAS LEIDIG (88), MELANIE DREYSSE (3), SVEN HOFFMANN / RED BULL PHOTOFILES,
VITALIY PAVLENKO, KEVIN LYNCH, PATRICK PIEL, PICTURE-ALLIANCE (4), PR (1)
Ulla Hahn, 65
Schriftstellerin & Lyrikerin
„Ich bin eine begeisterte Fußgängerin. Oft laufe ich an der Alster
herunter bis nach St. Georg, wo ich
im Mariendom eine Kerze anzünde. Dort kann ich zur Ruhe kommen, nachdenken über Gott und
die Welt. Oder ich gehe zu Fuß in
die Schanze zum Kaffeetrinken.“
26
Giovanni di Lorenzo, 52
„Zeit“-Chefredakteur
„Ich habe Zeit gebraucht, um
mir die Vorzüge Hamburgs zu erschließen. Dafür ist der positive
Eindruck jetzt umso nachhaltiger.
Dem Zweireiher mit Goldknöpfen
werde ich mich aber wohl ewig
verweigern.“
40
Albert Darboven, 75
„Kaffeekönig“
54
Nathalie Gräfin von
Bismarck, 40, Autorin
„Dass Kaffee entwässert, den
Cholesterinspiegel erhöht und so
weiter – alles dummes Zeug! Wir
haben sehr lange geforscht. Es gibt
kein Kaffeeproblem. Höchstens
eines: Wenn Sie sehr viel Kaffee
trinken, müssen Sie öfters aufs Klo.“
„Nur das Hamburger Wetter
macht mir zu schaffen. Sonne
ist Energie, ohne sie wird man
nachweislich depressiv. Es ist
schwer für mich, an einem Ort
zu leben, an dem es im Winter
um 16 Uhr schon dunkel wird.“
13
Mario Adorf, 80
Schauspieler
„Dass der Hamburger Orden
links liegen lässt, finde ich toll.
Ebenso, dass der Bürgermeister
nicht die Treppe runtergeht,
selbst wenn gekrönte Häupter
zu Gast sind. Das tut gut.“
27
Volker Lechtenbrink, 67
Schauspieler & Autor
41
Roberto Blanco, 74
Entertainer
„Ich paffe seit 13 Jahren nur noch,
das ist die Konzession an meine
Gesundheit. Ganz aufhören mit
dem Rauchen wollte ich eigentlich
eh nie, ich mag die Attitüde ganz
gerne: einen Zigarillo rauchen
beim Glas Wein an der Alster.“
„Hamburg habe ich langsam lieben
gelernt. Damals waren mir die
Hamburger zu ‚spitzestein‘ und
die Stadt war grau in grau, nach
dem Krieg war alles kaputt. Aber
wie sie sich entwickelt hat. Diese
Alster! Dieses Hanseviertel!
Hamburg ist ein Garten!“
55
Hardy Krüger, 83
Schauspieler & Autor
„Ich arbeitete nach Kriegsende als
17-Jähriger als Statist am Schauspielhaus. Der Buchhändler Felix
Jud machte einen Probenbesuch.
Er muss ein Gespür gehabt haben
für meine Verlorenheit, jedenfalls
nahm er mich unter seine Fittiche.“
Ildiko von Kürthy, 43
Bestseller-Autorin
„Ich habe mich lange gewundert,
warum ich nicht muskulöser aussehe. Aber so, wie ich bei Pulsfrequenz 85 um die Alster jogge,
könnte ich auch shoppen gehen.
Das bringt nichts.“
REDAKTION: JULIA MARTEN, SEBASTIAN MARTINEZ
12
1
14
Barbara Auer, 52
Schauspielerin
„Bei einem Gespräch mit Berliner
Kollegen habe ich festgestellt,
dass alle ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil sie den
Stadtteilschulen nicht vertrauen.
Das ist Gott sei Dank in Hamburg
noch anders.“
28
Christoph Lieben-Seutter,
47, General-Intendant
42
Iris von Arnim, 66
Mode-Designerin
56
Peter Maffay, 62
Sänger & Deutschrocker
„Die Elbphilharmonie ist ja nicht
einfach ein teures Konzerthaus,
sondern ein architektonisches
Weltwunder, deswegen wird sie
ja auch gewollt. Ein gutes
Konzerthaus kann man auch
viel billiger haben.“
„Die Trendmode von H&M und
Zara, das sind Einstiegskleider zu
günstigen Preisen für junge Mädchen, die noch viel ausprobieren
wollen. In ein Teil von mir muss
man sich verlieben, es sammeln,
es genießen, und dann muss es ein
Lieblingsstück werden.“
„Hamburg war für mich das
Mekka des Rock ’n’ Roll. Aber die
Star-Club-Zeit ist leider an mir
vorbeigegangen. Da wäre ich gern
dabei gewesen und hätte all die
Blues- und Beatbands gesehen.“
15
Katja Kraus, 40
Ehemaliger HSV-Vorstand
„Fußball ist ein TestosteronGeschäft … Aber bei all den nach
außen sichtbaren Merkmalen des
Profifußballs wird allzu oft vergessen, dass es sich um Menschen
handelt, mit guten und schlechten
Tagen und mit stabilen oder eher
labilen Persönlichkeiten.“
29
Karl-Heinz Kuck, 59
Kardiologe
43
Jean-Remy von Matt, 58
Werbeagentur-Chef
„Das Herz ist der Motor des
Lebens, nicht bloß eine Pumpe, die
alle anderen Organe ernährt …
Ich glaube zutiefst, dass das Herz
der Sitz der Seele ist und dass man
deswegen besonders achtsam mit
seinem Herzen umgehen sollte.“
„Nicht einmal meiner Familie
würde es gefallen, wenn ich plötzlich zu Hause wäre. Ich arbeite
schlicht und einfach gerne. Hobbys
habe ich nicht. Das Zeitintensivste
ist die Firma. Dann kommt die
Familie. Und Platz drei gibt es
schon nicht mehr.“
57
Cosma Shiva Hagen, 30
Schauspielerin & DJane
„Übergangsweise wohnte ich bei
Wolf und Pamela Biermann. Sie
haben mir geholfen, wir haben uns
mehrere Internate angeguckt, und
Marienau war mir am sympathischsten, auch weil es in der Nähe von
Hamburg lag, so konnte ich meine
Oma oder Freunde besuchen.“
2
Hadi Teherani, 57
Architekt, Designer, Städtebauer
„Das Chilehaus ist eigentlich das
wertvollste architektonische
Gebäude, das Hamburg besitzt. Es
hat ewige Gültigkeit. Aber wir sind
heute eine offene Gesellschaft. Wir
müssen uns nicht hinter dunklen
Fassaden aus Backstein und kleinformatigen Fenstern verstecken.“
16
Harald Falckenberg, 67
Kunstsammler
„Für mich ist Kunst nicht so
sehr das Kunstwerk, sondern
die Haltung des Künstlers, die
durch das Werk verkörpert wird.
Der Künstler bringt Fragen der
Philosophie und der Gesellschaft –
wenn man es so will: des Lebens –
kritisch auf den Punkt.“
30
Lotto King Karl, 44
Sänger & Stadionsprecher
44
Stephan Hering-Hagenbeck, 43, Tierpark-Direktor
58
Gerhard Delling, 52
TV-Moderator
„Ich habe mal jemandem einen
Gefallen getan und bei einem
Video mitgemacht, auf St. Pauli.
Da ist mir mitgeteilt worden:
Kaum bist du hier, schon gibt es
die erste Morddrohung.“
„Langeweile bei den Tieren ist
unsere größte Herausforderung.
Verteidigung und Nahrungserwerb
fallen weg, da müssen wir uns etwas
einfallen lassen – wie die Wackelstangen bei den Orang-Utans. Bei
Menschen ist es nicht anders …“
„Früher war ich mal Fan vom TSV
Büdelsdorf, meinem Heimatverein.
Heute bin ich Fan von nichts. Ich
könnte mich nicht einer Sache mit
Haut und Haaren verschreiben.
Augen zu und kein Blick für anderes,
das ist nicht mein Ding. Gilt übrigens nicht nur in Sachen Fußball.“
3
Arved Fuchs, 58
Extrem-Abenteurer & Autor
„Wenn mich meine älteren Schwestern ärgerten, bin ich einfach
ausgebüchst. Außerdem habe ich
schon als Buttje mit Hingabe geschmökert – speziell Polarliteratur.
Eines Tages machte ich mich dann
selbst auf den Weg. Der Aufbruch
ins Unbekannte, das ist der Reiz.“
17
Kirsten Boie, 61
Kinderbuchautorin
„Natürlich wär’s manchmal ganz
schön, so eine kindliche Offenheit
zu haben. Kinder sind unvoreingenommener. Das ist kein Verdienst,
es hängt mit ihrer mangelnden
Lebenserfahrung zusammen.“
31
„Corny“ Littmann, 58
Theater-Besitzer
„Mit Uwe Seeler verbindet mich
ein Band der Sympathie. In der
10. Klasse habe ich für die Schülerzeitung des Alstertal-Gymnasiums
ein Interview mit ihm gemacht –
nach dem Training am Rothenbaum. Er war damals so, wie er
heute ist. Ich nicht unbedingt ...“
45
Achim Reichel, 67
Sänger & Komponist
59
Nina Öger, 37
Reise-Unternehmerin
„Vor drei Jahren traf ich Paul
McCartney. Er ist immer noch ein
großer Charmeur. Er erkundigte
sich, wie es den Leuten von früher
geht, vor allem den Barfrauen aus
dem Star-Club …“
„Ich konnte mir Istanbul nicht abund Hamburg nicht angewöhnen.
Aber man muss sich entscheiden,
wo seine Wurzeln sind. Meine
Antwort: in Hamburg. Wenn hier
der Wind an Alster und Elbe weht
und auch wenn es mal regnet,
fühle ich mich wohl.“
4
Ina Müller, 46
Sängerin & Entertainerin
„Hamburg – das ist für mich richtig
Stadt. Freunde sagen oft: Mit 50
muss man bei einem guten Rotwein
vor der Holzhütte sitzen, irgendwo
in der Lüneburger Heide. Nein!
Altwerden ist schon blöd, aber
dann noch in die Einöde ziehen?“
18
Heidi Gross
Modelagentur-Chefin
„Ich glaube nicht, dass das ModelVorbild das Ernährungsverhalten
beeinflusst, sondern das ist eine
ganz andere Art von Störung. Aber
die Modewelt, zumindest bei der
Haute Couture, erfordert nun mal
eine schmale Hüfte.“
32
Robby Naish, 48
Windsurf-Legende
46
Eugen Block, 70
„Steak-König“ & Hotelier
60
Uschi Obermaier, 64
Schmuck-Designerin
„Was Windräder angeht, sind uns
Amerikanern die Deutschen Jahre
voraus. Immer wenn ich durch
Norddeutschland nach Sylt fahre,
bewundere ich das. Ich glaube,
bei euch hat jeder Bauernhof sein
eigenes Windrad.“
„Das ‚Grand Elysée‘ ist mein
Lebenstraum: Schon als Lehrling
hat mich die abwechslungsreiche
Arbeit im Hotel fasziniert. Kellner,
Nachtportier, Küchenhilfe – habe
ich doch alles durch. Damals ist in
mir der Wunsch gereift, irgendwann
ein eigenes Hotel zu besitzen.“
„Ich habe es geliebt, in Hamburg
zu leben … mein Lieblingsplatz
war im ‚Café Adler‘. So was gibt
es nicht mehr, halb Galerie, halb
Treffpunkt der interessantesten
Menschen der Stadt – von der
Hure bis zum Bürgermeister.“
5
Frank Rost, 38
Fußball-Profi
„Natürlich habe ich persönlich von
der Wende profitiert. Nicht nur
materiell. Aber aus meiner wertkonservativen Sicht ist es nicht
akzeptabel, dass das Motto ‚Geld
regiert die Welt‘ Allgemeingültigkeit besitzt. Wer nur in Geld-Kategorien denkt, ist ein armer Wicht.“
19
Roger Cicero, 41
Sänger & Musiker
„Zwar kleide ich mich gern modisch,
aber meine Anzüge lasse ich von
einer Stylistin kaufen. Die geht los
und besorgt tausend Klamotten.
Die werden dann bei mir zu Hause
anprobiert, und ich darf aussuchen.
Das ist wie im Schlaraffenland.“
33
Dieter Lenzen, 63
Universitäts-Präsident
47
Pascal Hens, 31
Handball-Nationalspieler
„Empirisch erwiesen ist, dass
leistungsschwächere Kinder vom
gemeinsamen Lernen mit leistungsstärkeren Kindern profitieren.
Umgekehrt ist nicht belegt, dass
dies einen Lernrückschritt für
bessere Schüler bedeutet.“
„Auf dem Kiez bin ich nicht so
gern. Da kommen manchmal
Angetrunkene auf dich zu, legen
den Arm um deine Schultern
und tun so, als hätte man in der
Sandkiste mit ihnen gespielt.
Das muss ich nicht haben.“
61
Michael Degen, 79
Schauspieler
„Die Hamburger Theaterlandschaft
kann man derzeit leider vergessen.
Aber das kann alles wieder werden!
Man müsste nur anständige Intendanten holen – die nicht nur den
künstlerischen Ehrgeiz haben, große Regisseure zu werden, sondern
die gute Verwaltungsbeamte sind.“
6
Sasha, 39
Popstar
„Die Hamburger sind ein Eck
cooler als andere. Man muss nur
touristische Plätze meiden. Denn
ich spüre, wann mich jemand
ansprechen wird. Ich kann das
bis auf fünf Sekunden genau
vorhersagen.“
20
Christian Rach, 54
Spitzen-Koch
34
Katharina Trebitsch, 61
Film-Produzentin
48
Mike Krüger, 59
Comedian & Sänger
„Hamburg hat sich kulinarisch absolut gemausert. Als ich Mitte der
70er-Jahre hier ankam, war das
anders. Zu allem Überfluss wurde
in jeder Kneipe Croque Monsieur
gemampft. Man dachte wohl, das
sei französisch. Ich war bedient.“
„Geschwärmt habe ich für Alain
Delon. Der kam anlässlich eines
großen Filmballs einmal mit Romy
Schneider zu uns nach Hause. Wir
Kinder mussten immer ‚Guten
Tag‘ sagen, davor hat uns gegraust,
aber der Vorteil war, dass wir so
alles mitbekommen haben.“
„Als Kultursenator würde ich als
erstes die Galerie der Gegenwart
in der Kunsthalle finanziell so
ausstatten, dass sie wieder den
Normalbetrieb aufnehmen kann.“
62
Jasmin Wagner, 31
Sängerin & Schauspielerin
„Mit 17 habe ich einen Künstler
getroffen, der seit 40 Jahren dasselbe Lied singt. Echt cool – aber
nicht für mich. Deshalb war 2001
für mich mit Blümchen erst mal
Schluss. Und ich hatte zum ersten
Mal Zeit, Urlaub zu machen.“
7
Andreas Jacobs, 47
Unternehmer
„Hanseatische Lebensart heißt
Understatement. Aber auch
Weltoffenheit, Tradition und der
Wille, sich der Vergangenheit zu
stellen, sich nicht zu verkleiden,
auf dem Teppich zu bleiben. Das
ist in Hamburg viel angenehmer
als in vielen anderen Städten.“
21
Regina Halmich, 34
Ehm. Box-Weltmeisterin
„Als Wladimir noch total unbekannt
war und bei Universum anfing, hat
er bei mir im Vorprogramm geboxt.
Die Klitschkos laden mich bis heute
zu ihren Kämpfen ein. Das freut
mich sehr, denn es gibt wenige gute Freundschaften in der Branche.
Wir waren eine tolle Familie.“
35
Dieter Pfaff, 63
Schauspieler
49
John Neumeier, 69
Ballett-Chef
63
Kim-Eva Wempe, 48
Unternehmerin & Designerin
„Ich will immer so spielen, dass die
Leute vergessen, einen Schauspieler zu sehen. Beim Drehen musst
du sein, nicht spielen. Spielende
Schauspieler, die ihre Mittel vorführen, die finde ich unangenehm.“
„An Hamburg mag ich das viele
Grün, die Großstadt mit der Nähe
zum Wasser, offen, mit dem HafenCharakter. Und Hamburgs Licht:
Es ist deutsch, aber auch nichtdeutsch, deutsch-skandinavisch,
deutsch-englisch. Es hat etwas,
das nicht nur deutsch ist.“
„Hamburg ist eine Großstadt, die
viel bietet und nicht so anstrengend
ist wie Paris oder Tokio – eine
Stadt, die mich mal sehr gereizt
hat. Aber ein bisschen mehr Freude
daran, sich für einen schönen
Abend zu schmücken, das würde
ich mir wünschen.“
8
Werner Thissen, 72
Erzbischof
„Gemeindemitglieder haben mir
HSV-Kappe und Fanschal geschenkt.
Lautstarkes Schimpfen gehört
dazu, wenn es mal nicht so läuft für
die Jungs. Ich kann dabei herrlich
entspannen und mich bis zu einem
gewissen Grad sogar vergessen.“
22
Jeffrey Tate, 68
Dirigent
36
Günter Netzer, 66
Unternehmer & Manager
50
Christiane Paul, 37
Schauspielerin & Ärztin
64
Hans-Ulrich Klose, 74
Altbürgermeister & MdB
„In Hamburg merkt man deutlich,
dass die Menschen nie unter
dominanten Herrschern leben
mussten, keinen Königen oder
Fürsten. Hamburg ist eine
Bürgerstadt. Das Klima ist frei,
der Humor ist trocken.“
„Ich liebe Hamburg. Es sind die
Menschen. Die Wohnkultur ist einmalig. Und die Verlässlichkeit, diese Klarheit – im Sprechen wie im
Denken. Kevin Keegan hat mal gesagt: Wenn in Hamburg die Sonne
scheint, gibt es in der ganzen Welt
keine schönere Stadt. Recht hat er.“
„Der rote Teppich ist immer
wichtiger geworden. In der
Anfangszeit meiner Karriere hatte
ich große Probleme mit solchen
Auftritten; ich habe den Seiteneingang genommen oder bin über
den roten Teppich ‚gerannt‘.
Inzwischen habe ich Spaß daran.“
„Dass ich 1976 meine jetzige Frau
traf, ist jeden Tag ein bisschen
wie im Märchen. Eine Reporterin
des Abendblatts hat das als Erste
mitgekriegt, bei einem Sommerfest in Bonn vor 35 Jahren. Sie
hat geschwiegen. So wie es in
Hamburg Usus ist.“
9
Ulrich Tukur, 54
Sänger & Schauspieler
„Ich stamme aus einer Familie,
die ständig herumgezogen ist, und
war selbst viel unterwegs. Aber
zum ersten Mal wirklich zu Hause
gefühlt hab ich mich in Hamburg.
Die Stadt war gut zu mir!“
23
Nena, 51
Sängerin
37
Tatjana Patitz, 45
Top-Model
„Ich fühle mich immer der
Generation zugehörig, die nicht
behauptet zu wissen, wie das
Leben funktioniert. Leben ist zum
Erleben da, nicht zum Erklären.“
„Wer soll sich mit Models, die heute
16 Jahre alt sind, identifizieren?
Das geht gar nicht. Das sind halbe
Kinder. Hinter denen steckt keine
Persönlichkeit. Supermodels
bekommen bis heute Aufträge, weil
sie gut verkaufen. Wir sind wiedererkennbar, unverwechselbar.“
51
Frank Otto, 54
Medienunternehmer & Mäzen
„Ohne das Geld hätte ich mit
Sicherheit nicht die heutige Stellung
in Stadt und Gesellschaft. Andererseits kenne ich jeden Hamburger
Hinterhof und nicht nur die Fassaden. Auch habe ich engen Kontakt
zu Menschen, die von Hartz IV
leben, Musikern zum Beispiel.“
65
Horst Opaschowski, 70
Zukunftsforscher
„Eigentlich wollte ich Historiker
werden. Zukunftsforschung ist
die Fortsetzung der Geschichtsforschung mit anderen Mitteln.
Wer nicht zurückschauen kann,
kann auch nicht nach vorn blicken.
Zukunft ist Herkunft.“
10
Reinhold Beckmann, 55
TV-Moderator & -Produzent
„Ich bin mitten im Leben unterwegs, auf dem Dom genauso wie
bei Hagenbeck. Und Heimspiele
beim FC St. Pauli sind allerhöchstes
Vergnügen. Außerdem helfen an
manchen Tagen schon eine Brille
mit dicker Hornfassung und eine
Mütze, um seine Ruhe zu haben.“
24
Kostja Ullmann, 27
Schauspieler
38
Pierre Brice, 82
Winnetou
52
Otto Waalkes, 63
Komiker & Ostfriese
66
Jan Fedder, 56
Schauspieler
„Jungstar? Das wird seit sechs
Jahren geschrieben und stört mich
nicht. Wahrscheinlich wird das
so lange geschrieben, bis ich nicht
mehr jung aussehe. Übrigens ist
‚Star‘ ein blödes Wort!“
„Die Rolle des Winnetou habe ich
schon als Junge gespielt. Ich weiß
noch, wie ich aus den Streben eines
Regenschirms Pfeile bastelte.“
„Es gibt Leute, die mich mit
dem schönen Satz begrüßen:
‚Mein Gott, Sie sind aber auch
alt geworden!‘ Gegenfrage: Was
hätte ich sonst machen sollen?
Sterben ist doch auch keine
reizvolle Alternative, oder?“
„Auf dem Kiez haben sie sich
kaputtgelacht, dass ich den Bullen
mime. Da wurde der Bock zum
Gärtner gemacht. Es gibt nur zwei
Sachen im Leben: Bulle oder
Bruch. Du musst dich entscheiden,
und ich habe Ersteres gewählt.
Basta, die Würfel sind gefallen!“
11
Alex Christensen, 44
Musik-Produzent
„Solange ich denken kann, bin
ich schon immer auf den Dom
gegangen. Auch heute noch mindestens drei Mal pro Saison. Dom
ist für mich Entspannung pur.
Außerdem kann ich da immer
checken, welche Lieder gerade am
Autoscooter angesagt sind.“
25
Nina Hoger, 50
Schauspielerin
39
Maria Ketikidou, 45
Schauspielerin
53
Vitali Klitschko, 40
Boxweltmeister
„Ich bin oft bei meiner Mutter
Hannelore in Hamburg. Ihre
Hühnersuppe ist legendär und
manchmal spielen wir eine Runde
‚Kniffeln‘ nach Hoger-Art –
das heißt, sie schummelt beim
Aufschreiben und lässt mich
gewinnen.“
„Die Realität ist in Hamburg viel
brutaler als das, was wir im ‚Großstadtrevier‘ zeigen. Ich würde mir
manchmal mehr Härte wünschen –
denn ich mag die Geschichten
lieber, wo es um was geht. Die Oma
heil über die Straße zu bringen, ist
nicht gerade mein Lieblingsfall …“
„In meiner Kindheit war Boxen
cool. Alle wollten es machen. Wir
wurden dann von einem Trainer
begutachtet. Alle meine Freunde
wurden fürs Boxen eingeteilt, nur
ich sollte zum Schwimmen. Das
hat mich tief getroffen und war für
mich der größte Ansporn.“
Auf der nächsten Seite
die spannendsten Sätze
aus den Stadtgesprächen
Nr. 67 bis Nr. 100
IV
› THEMA DER WOCHE
Sonnabend / Sonntag, 3. /4. September 2011
V
Einhundert
… Stadtgespräche sind bisher im „magazin“ erschienen: in
chronologischer Reihenfolge die Höhepunkte aus Interviews
mit 100 PERSÖNLICHKEITEN, die alle Hamburg lieben …
FOTOS: THOMAS LEIDIG (88), MELANIE DREYSSE (3), SVEN HOFFMANN / RED BULL PHOTOFILES,
VITALIY PAVLENKO, KEVIN LYNCH, PATRICK PIEL, PICTURE-ALLIANCE (4), PR (1)
Ulla Hahn, 65
Schriftstellerin & Lyrikerin
„Ich bin eine begeisterte Fußgängerin. Oft laufe ich an der Alster
herunter bis nach St. Georg, wo ich
im Mariendom eine Kerze anzünde. Dort kann ich zur Ruhe kommen, nachdenken über Gott und
die Welt. Oder ich gehe zu Fuß in
die Schanze zum Kaffeetrinken.“
26
Giovanni di Lorenzo, 52
„Zeit“-Chefredakteur
„Ich habe Zeit gebraucht, um
mir die Vorzüge Hamburgs zu erschließen. Dafür ist der positive
Eindruck jetzt umso nachhaltiger.
Dem Zweireiher mit Goldknöpfen
werde ich mich aber wohl ewig
verweigern.“
40
Albert Darboven, 75
„Kaffeekönig“
54
Nathalie Gräfin von
Bismarck, 40, Autorin
„Dass Kaffee entwässert, den
Cholesterinspiegel erhöht und so
weiter – alles dummes Zeug! Wir
haben sehr lange geforscht. Es gibt
kein Kaffeeproblem. Höchstens
eines: Wenn Sie sehr viel Kaffee
trinken, müssen Sie öfters aufs Klo.“
„Nur das Hamburger Wetter
macht mir zu schaffen. Sonne
ist Energie, ohne sie wird man
nachweislich depressiv. Es ist
schwer für mich, an einem Ort
zu leben, an dem es im Winter
um 16 Uhr schon dunkel wird.“
13
Mario Adorf, 80
Schauspieler
„Dass der Hamburger Orden
links liegen lässt, finde ich toll.
Ebenso, dass der Bürgermeister
nicht die Treppe runtergeht,
selbst wenn gekrönte Häupter
zu Gast sind. Das tut gut.“
27
Volker Lechtenbrink, 67
Schauspieler & Autor
41
Roberto Blanco, 74
Entertainer
„Ich paffe seit 13 Jahren nur noch,
das ist die Konzession an meine
Gesundheit. Ganz aufhören mit
dem Rauchen wollte ich eigentlich
eh nie, ich mag die Attitüde ganz
gerne: einen Zigarillo rauchen
beim Glas Wein an der Alster.“
„Hamburg habe ich langsam lieben
gelernt. Damals waren mir die
Hamburger zu ‚spitzestein‘ und
die Stadt war grau in grau, nach
dem Krieg war alles kaputt. Aber
wie sie sich entwickelt hat. Diese
Alster! Dieses Hanseviertel!
Hamburg ist ein Garten!“
55
Hardy Krüger, 83
Schauspieler & Autor
„Ich arbeitete nach Kriegsende als
17-Jähriger als Statist am Schauspielhaus. Der Buchhändler Felix
Jud machte einen Probenbesuch.
Er muss ein Gespür gehabt haben
für meine Verlorenheit, jedenfalls
nahm er mich unter seine Fittiche.“
Ildiko von Kürthy, 43
Bestseller-Autorin
„Ich habe mich lange gewundert,
warum ich nicht muskulöser aussehe. Aber so, wie ich bei Pulsfrequenz 85 um die Alster jogge,
könnte ich auch shoppen gehen.
Das bringt nichts.“
REDAKTION: JULIA MARTEN, SEBASTIAN MARTINEZ
12
1
14
Barbara Auer, 52
Schauspielerin
„Bei einem Gespräch mit Berliner
Kollegen habe ich festgestellt,
dass alle ihre Kinder auf Privatschulen schicken, weil sie den
Stadtteilschulen nicht vertrauen.
Das ist Gott sei Dank in Hamburg
noch anders.“
28
Christoph Lieben-Seutter,
47, General-Intendant
42
Iris von Arnim, 66
Mode-Designerin
56
Peter Maffay, 62
Sänger & Deutschrocker
„Die Elbphilharmonie ist ja nicht
einfach ein teures Konzerthaus,
sondern ein architektonisches
Weltwunder, deswegen wird sie
ja auch gewollt. Ein gutes
Konzerthaus kann man auch
viel billiger haben.“
„Die Trendmode von H&M und
Zara, das sind Einstiegskleider zu
günstigen Preisen für junge Mädchen, die noch viel ausprobieren
wollen. In ein Teil von mir muss
man sich verlieben, es sammeln,
es genießen, und dann muss es ein
Lieblingsstück werden.“
„Hamburg war für mich das
Mekka des Rock ’n’ Roll. Aber die
Star-Club-Zeit ist leider an mir
vorbeigegangen. Da wäre ich gern
dabei gewesen und hätte all die
Blues- und Beatbands gesehen.“
15
Katja Kraus, 40
Ehemaliger HSV-Vorstand
„Fußball ist ein TestosteronGeschäft … Aber bei all den nach
außen sichtbaren Merkmalen des
Profifußballs wird allzu oft vergessen, dass es sich um Menschen
handelt, mit guten und schlechten
Tagen und mit stabilen oder eher
labilen Persönlichkeiten.“
29
Karl-Heinz Kuck, 59
Kardiologe
43
Jean-Remy von Matt, 58
Werbeagentur-Chef
„Das Herz ist der Motor des
Lebens, nicht bloß eine Pumpe, die
alle anderen Organe ernährt …
Ich glaube zutiefst, dass das Herz
der Sitz der Seele ist und dass man
deswegen besonders achtsam mit
seinem Herzen umgehen sollte.“
„Nicht einmal meiner Familie
würde es gefallen, wenn ich plötzlich zu Hause wäre. Ich arbeite
schlicht und einfach gerne. Hobbys
habe ich nicht. Das Zeitintensivste
ist die Firma. Dann kommt die
Familie. Und Platz drei gibt es
schon nicht mehr.“
57
Cosma Shiva Hagen, 30
Schauspielerin & DJane
„Übergangsweise wohnte ich bei
Wolf und Pamela Biermann. Sie
haben mir geholfen, wir haben uns
mehrere Internate angeguckt, und
Marienau war mir am sympathischsten, auch weil es in der Nähe von
Hamburg lag, so konnte ich meine
Oma oder Freunde besuchen.“
2
Hadi Teherani, 57
Architekt, Designer, Städtebauer
„Das Chilehaus ist eigentlich das
wertvollste architektonische
Gebäude, das Hamburg besitzt. Es
hat ewige Gültigkeit. Aber wir sind
heute eine offene Gesellschaft. Wir
müssen uns nicht hinter dunklen
Fassaden aus Backstein und kleinformatigen Fenstern verstecken.“
16
Harald Falckenberg, 67
Kunstsammler
„Für mich ist Kunst nicht so
sehr das Kunstwerk, sondern
die Haltung des Künstlers, die
durch das Werk verkörpert wird.
Der Künstler bringt Fragen der
Philosophie und der Gesellschaft –
wenn man es so will: des Lebens –
kritisch auf den Punkt.“
30
Lotto King Karl, 44
Sänger & Stadionsprecher
44
Stephan Hering-Hagenbeck, 43, Tierpark-Direktor
58
Gerhard Delling, 52
TV-Moderator
„Ich habe mal jemandem einen
Gefallen getan und bei einem
Video mitgemacht, auf St. Pauli.
Da ist mir mitgeteilt worden:
Kaum bist du hier, schon gibt es
die erste Morddrohung.“
„Langeweile bei den Tieren ist
unsere größte Herausforderung.
Verteidigung und Nahrungserwerb
fallen weg, da müssen wir uns etwas
einfallen lassen – wie die Wackelstangen bei den Orang-Utans. Bei
Menschen ist es nicht anders …“
„Früher war ich mal Fan vom TSV
Büdelsdorf, meinem Heimatverein.
Heute bin ich Fan von nichts. Ich
könnte mich nicht einer Sache mit
Haut und Haaren verschreiben.
Augen zu und kein Blick für anderes,
das ist nicht mein Ding. Gilt übrigens nicht nur in Sachen Fußball.“
3
Arved Fuchs, 58
Extrem-Abenteurer & Autor
„Wenn mich meine älteren Schwestern ärgerten, bin ich einfach
ausgebüchst. Außerdem habe ich
schon als Buttje mit Hingabe geschmökert – speziell Polarliteratur.
Eines Tages machte ich mich dann
selbst auf den Weg. Der Aufbruch
ins Unbekannte, das ist der Reiz.“
17
Kirsten Boie, 61
Kinderbuchautorin
„Natürlich wär’s manchmal ganz
schön, so eine kindliche Offenheit
zu haben. Kinder sind unvoreingenommener. Das ist kein Verdienst,
es hängt mit ihrer mangelnden
Lebenserfahrung zusammen.“
31
„Corny“ Littmann, 58
Theater-Besitzer
„Mit Uwe Seeler verbindet mich
ein Band der Sympathie. In der
10. Klasse habe ich für die Schülerzeitung des Alstertal-Gymnasiums
ein Interview mit ihm gemacht –
nach dem Training am Rothenbaum. Er war damals so, wie er
heute ist. Ich nicht unbedingt ...“
45
Achim Reichel, 67
Sänger & Komponist
59
Nina Öger, 37
Reise-Unternehmerin
„Vor drei Jahren traf ich Paul
McCartney. Er ist immer noch ein
großer Charmeur. Er erkundigte
sich, wie es den Leuten von früher
geht, vor allem den Barfrauen aus
dem Star-Club …“
„Ich konnte mir Istanbul nicht abund Hamburg nicht angewöhnen.
Aber man muss sich entscheiden,
wo seine Wurzeln sind. Meine
Antwort: in Hamburg. Wenn hier
der Wind an Alster und Elbe weht
und auch wenn es mal regnet,
fühle ich mich wohl.“
4
Ina Müller, 46
Sängerin & Entertainerin
„Hamburg – das ist für mich richtig
Stadt. Freunde sagen oft: Mit 50
muss man bei einem guten Rotwein
vor der Holzhütte sitzen, irgendwo
in der Lüneburger Heide. Nein!
Altwerden ist schon blöd, aber
dann noch in die Einöde ziehen?“
18
Heidi Gross
Modelagentur-Chefin
„Ich glaube nicht, dass das ModelVorbild das Ernährungsverhalten
beeinflusst, sondern das ist eine
ganz andere Art von Störung. Aber
die Modewelt, zumindest bei der
Haute Couture, erfordert nun mal
eine schmale Hüfte.“
32
Robby Naish, 48
Windsurf-Legende
46
Eugen Block, 70
„Steak-König“ & Hotelier
60
Uschi Obermaier, 64
Schmuck-Designerin
„Was Windräder angeht, sind uns
Amerikanern die Deutschen Jahre
voraus. Immer wenn ich durch
Norddeutschland nach Sylt fahre,
bewundere ich das. Ich glaube,
bei euch hat jeder Bauernhof sein
eigenes Windrad.“
„Das ‚Grand Elysée‘ ist mein
Lebenstraum: Schon als Lehrling
hat mich die abwechslungsreiche
Arbeit im Hotel fasziniert. Kellner,
Nachtportier, Küchenhilfe – habe
ich doch alles durch. Damals ist in
mir der Wunsch gereift, irgendwann
ein eigenes Hotel zu besitzen.“
„Ich habe es geliebt, in Hamburg
zu leben … mein Lieblingsplatz
war im ‚Café Adler‘. So was gibt
es nicht mehr, halb Galerie, halb
Treffpunkt der interessantesten
Menschen der Stadt – von der
Hure bis zum Bürgermeister.“
5
Frank Rost, 38
Fußball-Profi
„Natürlich habe ich persönlich von
der Wende profitiert. Nicht nur
materiell. Aber aus meiner wertkonservativen Sicht ist es nicht
akzeptabel, dass das Motto ‚Geld
regiert die Welt‘ Allgemeingültigkeit besitzt. Wer nur in Geld-Kategorien denkt, ist ein armer Wicht.“
19
Roger Cicero, 41
Sänger & Musiker
„Zwar kleide ich mich gern modisch,
aber meine Anzüge lasse ich von
einer Stylistin kaufen. Die geht los
und besorgt tausend Klamotten.
Die werden dann bei mir zu Hause
anprobiert, und ich darf aussuchen.
Das ist wie im Schlaraffenland.“
33
Dieter Lenzen, 63
Universitäts-Präsident
47
Pascal Hens, 31
Handball-Nationalspieler
„Empirisch erwiesen ist, dass
leistungsschwächere Kinder vom
gemeinsamen Lernen mit leistungsstärkeren Kindern profitieren.
Umgekehrt ist nicht belegt, dass
dies einen Lernrückschritt für
bessere Schüler bedeutet.“
„Auf dem Kiez bin ich nicht so
gern. Da kommen manchmal
Angetrunkene auf dich zu, legen
den Arm um deine Schultern
und tun so, als hätte man in der
Sandkiste mit ihnen gespielt.
Das muss ich nicht haben.“
61
Michael Degen, 79
Schauspieler
„Die Hamburger Theaterlandschaft
kann man derzeit leider vergessen.
Aber das kann alles wieder werden!
Man müsste nur anständige Intendanten holen – die nicht nur den
künstlerischen Ehrgeiz haben, große Regisseure zu werden, sondern
die gute Verwaltungsbeamte sind.“
6
Sasha, 39
Popstar
„Die Hamburger sind ein Eck
cooler als andere. Man muss nur
touristische Plätze meiden. Denn
ich spüre, wann mich jemand
ansprechen wird. Ich kann das
bis auf fünf Sekunden genau
vorhersagen.“
20
Christian Rach, 54
Spitzen-Koch
34
Katharina Trebitsch, 61
Film-Produzentin
48
Mike Krüger, 59
Comedian & Sänger
„Hamburg hat sich kulinarisch absolut gemausert. Als ich Mitte der
70er-Jahre hier ankam, war das
anders. Zu allem Überfluss wurde
in jeder Kneipe Croque Monsieur
gemampft. Man dachte wohl, das
sei französisch. Ich war bedient.“
„Geschwärmt habe ich für Alain
Delon. Der kam anlässlich eines
großen Filmballs einmal mit Romy
Schneider zu uns nach Hause. Wir
Kinder mussten immer ‚Guten
Tag‘ sagen, davor hat uns gegraust,
aber der Vorteil war, dass wir so
alles mitbekommen haben.“
„Als Kultursenator würde ich als
erstes die Galerie der Gegenwart
in der Kunsthalle finanziell so
ausstatten, dass sie wieder den
Normalbetrieb aufnehmen kann.“
62
Jasmin Wagner, 31
Sängerin & Schauspielerin
„Mit 17 habe ich einen Künstler
getroffen, der seit 40 Jahren dasselbe Lied singt. Echt cool – aber
nicht für mich. Deshalb war 2001
für mich mit Blümchen erst mal
Schluss. Und ich hatte zum ersten
Mal Zeit, Urlaub zu machen.“
7
Andreas Jacobs, 47
Unternehmer
„Hanseatische Lebensart heißt
Understatement. Aber auch
Weltoffenheit, Tradition und der
Wille, sich der Vergangenheit zu
stellen, sich nicht zu verkleiden,
auf dem Teppich zu bleiben. Das
ist in Hamburg viel angenehmer
als in vielen anderen Städten.“
21
Regina Halmich, 34
Ehm. Box-Weltmeisterin
„Als Wladimir noch total unbekannt
war und bei Universum anfing, hat
er bei mir im Vorprogramm geboxt.
Die Klitschkos laden mich bis heute
zu ihren Kämpfen ein. Das freut
mich sehr, denn es gibt wenige gute Freundschaften in der Branche.
Wir waren eine tolle Familie.“
35
Dieter Pfaff, 63
Schauspieler
49
John Neumeier, 69
Ballett-Chef
63
Kim-Eva Wempe, 48
Unternehmerin & Designerin
„Ich will immer so spielen, dass die
Leute vergessen, einen Schauspieler zu sehen. Beim Drehen musst
du sein, nicht spielen. Spielende
Schauspieler, die ihre Mittel vorführen, die finde ich unangenehm.“
„An Hamburg mag ich das viele
Grün, die Großstadt mit der Nähe
zum Wasser, offen, mit dem HafenCharakter. Und Hamburgs Licht:
Es ist deutsch, aber auch nichtdeutsch, deutsch-skandinavisch,
deutsch-englisch. Es hat etwas,
das nicht nur deutsch ist.“
„Hamburg ist eine Großstadt, die
viel bietet und nicht so anstrengend
ist wie Paris oder Tokio – eine
Stadt, die mich mal sehr gereizt
hat. Aber ein bisschen mehr Freude
daran, sich für einen schönen
Abend zu schmücken, das würde
ich mir wünschen.“
8
Werner Thissen, 72
Erzbischof
„Gemeindemitglieder haben mir
HSV-Kappe und Fanschal geschenkt.
Lautstarkes Schimpfen gehört
dazu, wenn es mal nicht so läuft für
die Jungs. Ich kann dabei herrlich
entspannen und mich bis zu einem
gewissen Grad sogar vergessen.“
22
Jeffrey Tate, 68
Dirigent
36
Günter Netzer, 66
Unternehmer & Manager
50
Christiane Paul, 37
Schauspielerin & Ärztin
64
Hans-Ulrich Klose, 74
Altbürgermeister & MdB
„In Hamburg merkt man deutlich,
dass die Menschen nie unter
dominanten Herrschern leben
mussten, keinen Königen oder
Fürsten. Hamburg ist eine
Bürgerstadt. Das Klima ist frei,
der Humor ist trocken.“
„Ich liebe Hamburg. Es sind die
Menschen. Die Wohnkultur ist einmalig. Und die Verlässlichkeit, diese Klarheit – im Sprechen wie im
Denken. Kevin Keegan hat mal gesagt: Wenn in Hamburg die Sonne
scheint, gibt es in der ganzen Welt
keine schönere Stadt. Recht hat er.“
„Der rote Teppich ist immer
wichtiger geworden. In der
Anfangszeit meiner Karriere hatte
ich große Probleme mit solchen
Auftritten; ich habe den Seiteneingang genommen oder bin über
den roten Teppich ‚gerannt‘.
Inzwischen habe ich Spaß daran.“
„Dass ich 1976 meine jetzige Frau
traf, ist jeden Tag ein bisschen
wie im Märchen. Eine Reporterin
des Abendblatts hat das als Erste
mitgekriegt, bei einem Sommerfest in Bonn vor 35 Jahren. Sie
hat geschwiegen. So wie es in
Hamburg Usus ist.“
9
Ulrich Tukur, 54
Sänger & Schauspieler
„Ich stamme aus einer Familie,
die ständig herumgezogen ist, und
war selbst viel unterwegs. Aber
zum ersten Mal wirklich zu Hause
gefühlt hab ich mich in Hamburg.
Die Stadt war gut zu mir!“
23
Nena, 51
Sängerin
37
Tatjana Patitz, 45
Top-Model
„Ich fühle mich immer der
Generation zugehörig, die nicht
behauptet zu wissen, wie das
Leben funktioniert. Leben ist zum
Erleben da, nicht zum Erklären.“
„Wer soll sich mit Models, die heute
16 Jahre alt sind, identifizieren?
Das geht gar nicht. Das sind halbe
Kinder. Hinter denen steckt keine
Persönlichkeit. Supermodels
bekommen bis heute Aufträge, weil
sie gut verkaufen. Wir sind wiedererkennbar, unverwechselbar.“
51
Frank Otto, 54
Medienunternehmer & Mäzen
„Ohne das Geld hätte ich mit
Sicherheit nicht die heutige Stellung
in Stadt und Gesellschaft. Andererseits kenne ich jeden Hamburger
Hinterhof und nicht nur die Fassaden. Auch habe ich engen Kontakt
zu Menschen, die von Hartz IV
leben, Musikern zum Beispiel.“
65
Horst Opaschowski, 70
Zukunftsforscher
„Eigentlich wollte ich Historiker
werden. Zukunftsforschung ist
die Fortsetzung der Geschichtsforschung mit anderen Mitteln.
Wer nicht zurückschauen kann,
kann auch nicht nach vorn blicken.
Zukunft ist Herkunft.“
10
Reinhold Beckmann, 55
TV-Moderator & -Produzent
„Ich bin mitten im Leben unterwegs, auf dem Dom genauso wie
bei Hagenbeck. Und Heimspiele
beim FC St. Pauli sind allerhöchstes
Vergnügen. Außerdem helfen an
manchen Tagen schon eine Brille
mit dicker Hornfassung und eine
Mütze, um seine Ruhe zu haben.“
24
Kostja Ullmann, 27
Schauspieler
38
Pierre Brice, 82
Winnetou
52
Otto Waalkes, 63
Komiker & Ostfriese
66
Jan Fedder, 56
Schauspieler
„Jungstar? Das wird seit sechs
Jahren geschrieben und stört mich
nicht. Wahrscheinlich wird das
so lange geschrieben, bis ich nicht
mehr jung aussehe. Übrigens ist
‚Star‘ ein blödes Wort!“
„Die Rolle des Winnetou habe ich
schon als Junge gespielt. Ich weiß
noch, wie ich aus den Streben eines
Regenschirms Pfeile bastelte.“
„Es gibt Leute, die mich mit
dem schönen Satz begrüßen:
‚Mein Gott, Sie sind aber auch
alt geworden!‘ Gegenfrage: Was
hätte ich sonst machen sollen?
Sterben ist doch auch keine
reizvolle Alternative, oder?“
„Auf dem Kiez haben sie sich
kaputtgelacht, dass ich den Bullen
mime. Da wurde der Bock zum
Gärtner gemacht. Es gibt nur zwei
Sachen im Leben: Bulle oder
Bruch. Du musst dich entscheiden,
und ich habe Ersteres gewählt.
Basta, die Würfel sind gefallen!“
11
Alex Christensen, 44
Musik-Produzent
„Solange ich denken kann, bin
ich schon immer auf den Dom
gegangen. Auch heute noch mindestens drei Mal pro Saison. Dom
ist für mich Entspannung pur.
Außerdem kann ich da immer
checken, welche Lieder gerade am
Autoscooter angesagt sind.“
25
Nina Hoger, 50
Schauspielerin
39
Maria Ketikidou, 45
Schauspielerin
53
Vitali Klitschko, 40
Boxweltmeister
„Ich bin oft bei meiner Mutter
Hannelore in Hamburg. Ihre
Hühnersuppe ist legendär und
manchmal spielen wir eine Runde
‚Kniffeln‘ nach Hoger-Art –
das heißt, sie schummelt beim
Aufschreiben und lässt mich
gewinnen.“
„Die Realität ist in Hamburg viel
brutaler als das, was wir im ‚Großstadtrevier‘ zeigen. Ich würde mir
manchmal mehr Härte wünschen –
denn ich mag die Geschichten
lieber, wo es um was geht. Die Oma
heil über die Straße zu bringen, ist
nicht gerade mein Lieblingsfall …“
„In meiner Kindheit war Boxen
cool. Alle wollten es machen. Wir
wurden dann von einem Trainer
begutachtet. Alle meine Freunde
wurden fürs Boxen eingeteilt, nur
ich sollte zum Schwimmen. Das
hat mich tief getroffen und war für
mich der größte Ansporn.“
Auf der nächsten Seite
die spannendsten Sätze
aus den Stadtgesprächen
Nr. 67 bis Nr. 100
VI
› THEMA DER WOCHE
67
Hans-Olaf Henkel, 71
Ex-BDI-Präsident
74
Hardy Krüger Jr., 43
Schauspieler
81
Christiane Hörbiger, 72
Schauspielerin
„Es gab damals drei Gruppierungen. Halbstarke, die im Dunstkreis der Reeperbahn regierten.
Zweitens die Normalen. Und die
Existenzialisten, zu denen ich
mich unbedingt zählen wollte.
Ich liebte Opposition, nicht nur
gegenüber meiner Mutter.“
„Eigentlich möchte ich alles
anders machen als mein Vater.
Ich bin kein Einzelgänger wie er,
sondern Familienmensch.“
„Am Ende solcher Drehtage
wohnte ich in diesem wunderschönen Hamburger Hotel und
habe nur gedacht, o Gott, geht es
mir gut. Ich sitze hier bei meinem
alkoholfreien Bier, schaue auf
die Alster und die Lichter gehen
langsam an.“
88
Barbara Kisseler, 61
Kultursenatorin
„Ich finde es schon eine Leistung,
im windigen Hamburg einigermaßen vernünftig irgendwo
auftreten zu können und
nicht auszusehen, als sei man
gerade aus dem Hubschrauber
abgesprungen.“
95
Elisabeth Fürstin von
Bismarck, 72
„Es ist eine große Ehre, diesen
Namen tragen zu dürfen.
Man muss ihn mit Respekt, mit
Ehrfurcht tragen und ausfüllen.
Das habe ich auch meinen
Kindern immer gesagt. Ob das
immer befolgt wurde, ist eine
ganz andere Frage.“
Sonnabend / Sonntag, 3. / 4. September 2011
68
Stephanie Stumph, 27
Schauspielerin
„Ottensen mag ich – das ‚Café
Knuth‘ ist quasi meine Küche. Da
sitze ich gern und esse leckeren
Milchreis … Früher kannte ich
bloß die Strecke vom ‚Stubbe‘Drehort am Moorfleeter Deich
zurück zum Madison-Hotel …“
75
Olli Dittrich, 54
Komiker, Autor & Musiker
„1976 lernte ich Otto Waalkes
kennen, da wohnte ich in einer
verrückten Musiker-WG am
Falkensteiner Ufer. Otto war öfters
da. Er nahm meine FramusWandergitarre, spielte Beatlesund Simon-&-Garfunkel-Songs
und wir sangen zweistimmig.“
82
Jens Meier, 45
Chef Hamburg Port Authority
89
Tobias Grau, 54
Leuchtendesigner
„Das Schiff ist mit Abstand das
umweltfreundlichste Transportmittel – gefolgt von der Bahn.
Hier kann Hamburg als größter
Eisenbahnhafen Europas auch
in Zukunft punkten. Wichtige
Voraussetzung dafür ist der
Ausbau der Elbfahrrinne.“
„Ich hab eher Angst davor, wenn
alles grell hell ist, das finde ich
ganz schrecklich. Mit Licht umzugehen bedeutet, den Unterschied
zwischen hell und dunkel zu schaffen. Dann ist Beleuchtung gut.“
96
Lars Burmeister, 27
Top-Model
„Ich will nicht immer im Mittelpunkt stehen. Ich profiliere mich
nicht gern. Und ich mag es nicht,
wenn Menschen nur über sich
erzählen und in jedem Satz tolle
Geschichten von sich bringen.
Früher habe ich das Wort ‚ich‘
richtig gehasst …“
69
Max Raabe, 48
Sänger & Bandleader
„Ich bin gern am Hafen, ich mag
die Leute, wie sie hier sind. Es gibt
ein paar ulkige Kneipen, in die
ich gerne gehe. Und das Publikum
versteht mich. Ich fühle mich
mit meinem Humor und meiner
Musik in Hamburg einfach
wahnsinnig gut aufgehoben.“
76
Mladen Petric, 30
HSV-Stürmer
„Es ist in dieser Stadt auch
nicht besonders schwer, sich
zu integrieren. Die Hamburger
sind sehr freundlich und offen,
aber gleichzeitig sind sie auch
ziemlich zurückhaltend, was ich
allerdings ganz gut finde.“
83
Judith Rakers, 35
TV-Moderatorin
90
H. P. Baxxter, 45
Scooter-Sänger
„Ich habe noch nie in meinem
Leben eine Diät durchgehalten.
Ich nehme mir das zwar durchaus
mal vor, dann besorge ich 1000
gesunde Null-Fett-Produkte, aber
am nächsten Tag verirrt sich mein
Löffel wieder in den Nutella-Topf.“
„In Deutschland hat man sehr
wenig Geschmack: Alles ist so
nüchtern, funktional. Mit 16 habe
ich eine Radtour nach London
gemacht und dort alle Eindrücke
aufgesogen: Hyde Park, Architektur, Kiesauffahrten, britische
Autos – das fand ich so schön!“
97
Dora Heldt, 49
Bestseller-Autorin
„Beim Schreiben denke ich
immer: Du bist so patent! Du
hast ja für alles eine Lösung! Im
echten Leben nicht. Ich glaube,
ich erkläre mir beim Schreiben
manchmal selber die Welt.“
70
Markus Lanz, 42
ZDF-Moderator
„In München wird man sofort
geduzt. In Köln gibt es sogar
Duzen mit Anfassen. Und in
Hamburg wird man selbstverständlich gesiezt, meist aber
geflissentlich ignoriert – eine
besondere Art von Snobismus.“
77
Peter Schmidt, 73
Star-Designer
„Man hat oft versucht, mich in
andere Städte zu locken. Da wird
mir immer klar: Es sind die guten
Beziehungen zu anderen und kreativen Menschen, ein großer Freundeskreis, der mich an Hamburg
gebunden hat. Man kann hier gut
und ruhig konzentriert arbeiten.“
84
Helmut Schulte, 53
FC St. Pauli-Manager
„Labskaus hat Tradition im
Club. Außerdem kehren wir
während der alljährlichen Kanutour meines Freundes Reinhold
Beckmann auf der Alster stets
im Privathaus von Ian Karan
ein. Sein Koch bereitet das beste
Labskaus der Stadt zu.“
91
Henry Maske, 47
Box-Idol & Unternehmer
„Als 18-Jähriger hat mich ein
Trainer einmal derart niedergemacht, dass ich überlegte, das
Boxen aufzugeben. Abbrechen
oder durchbeißen? Dabei
merkte ich, dass mein Motiv,
es zu schaffen, stärker war.“
98
Tim Mälzer, 40
„Küchenbulle“
„Mein Motto ist etwas vulgär,
aber treffend: die Fresse voll
Fressen. Man muss ein Gericht
nicht vollmundig erklären und
viel um den heißen Brei labern, es
muss einfach schmecken. Basta.“
71
Marie Bäumer, 42
Regisseurin & Schauspielerin
„Diese Quote ist ein Kapitel, bei
dem ich mich sehr zusammenreißen muss, um nicht komplett
durch die Decke zu gehen. Frauen
sollten genauso wie Männer wahrgenommen werden, in Anspruch,
Qualität, Denken und Haltung.“
78
Volker Steinkraus, 57
Dermatologe
85
Kim Frank, 29
Roman-Autor & Sänger
92
Achill Moser, 57
Weltenbummler & Autor
„Die Hamburger Frau ist sehr
gesundheitsbewusst, sportlich
und hat klare Vorstellungen.
Unsichere Sachen ausprobieren
ist nicht ihre Sache. Sie will
natürlich und gut aussehen, aber
ohne den ganzen Firlefanz drum
herum. Das ist sympathisch.“
„Das einzig Schädliche, das
Castingshows hervorbringen, ist,
dass sie jungen Leuten Lust aufs
Berühmtsein machen. Dabei
sollte man Dinge tun, weil man
etwas kann oder liebt – und nicht,
um berühmt zu sein.“
„Man muss sich fallen- und auf
andere Lebensweisen einlassen.
Wer immer nur mäkelt, wer
ständig vergleicht, was daheim
besser und im Ausland vielleicht
schlechter ist, hat keine Chance
bei der Glückssuche.“
99
Dominique Horwitz, 54
Schauspieler
„Der Hamburger genießt Bosheit
und Zynismus. Er kann Gemeinheit richtig goutieren. Ich mag
das Publikum sehr! Der Hamburger genießt das Wahre, das Echte.
Er hasst das Aufgesetzte. Das ist
die beste Voraussetzung, um ein
gutes Publikum zu sein.“
72
Steffen Henssler, 38
Star-Koch
79
David Kross, 21
Schauspieler
„Ich mag das kalifornische Lebensgefühl, dieses easy going. Du
kannst alles machen, so lange du
keinem auf den Sack gehst. Und:
Da regiert nicht so eine Neidgesellschaft. Wenn jemand erfolgreich ist, dann sagen die anderen:
Hey, cool – das will ich auch.“
„Ich komme aus Bargteheide. Dort
gibt es zwar ein schönes Kino …,
doch jedes Mal, wenn ich nach 30
Minuten Zugfahrt am Hamburger
Hauptbahnhof ausstieg, hatte ich
das Gefühl, in die große, weite Welt
einzutauchen. Trotzdem habe ich
mich nie wie ein Landei gefühlt.“
86
Michael Stich, 42
Turnierdirektor & Stifter
93
Alexander Otto, 44
Unternehmer
„Jeder, der aus dem Süden kommt,
sagt mir, er habe nirgendwo so
viele freundliche Menschen
erlebt wie in Hamburg. Unsere
eigene Wahrnehmung, der
Hamburger als Eisblock, ist da
manchmal wohl etwas schräg.“
„Ich war schon als Kleinkind HSVFan und habe begeistert Sticker
gesammelt. Radio-Konferenz,
Sportschau, das ganze Programm.
Und dein erstes Spiel vergisst du
nie: 23. August 1975, an der Seite
meines Vaters im Volkspark, 0:0
gegen Mönchengladbach.“
100
Olaf Scholz, 53
Erster Bürgermeister
„Wenn man sich als Politiker
schon einmal mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die politische Laufbahn beendet wird,
schützt das vor Größenwahn und
unsäglichen Selbstbildern.“
73
Hubertus Meyer-Burckhardt, 55, Autor & Produzent
„Ich habe rund 200-mal die
NDR-Talkshow moderiert und
dabei vielleicht zehnmal rote
Kniestrümpfe getragen. Wenn
das so bemerkenswert ist,
zeigt sich, wie farbentwöhnt
unsere Gesellschaft ist.“
80
Steffen Hallaschka, 39
„Stern TV“-Moderator
„Ich bin viel zu selten unten an
der Elbe. Das liegt auch daran,
dass ich erst seit drei Jahren in
Hamburg lebe. Aber ich fühle
mich sehr wohl hier. Ich habe
Wurzeln geschlagen. Hamburg
ist mein Zuhause.“
87
Ole von Beust, 56
Altbürgermeister
„Die Hamburger Politik verfolge ich nur am Rande. Trassenführung der Straßenbahn,
Verlagerung einer Behörde nach
Wilhelmsburg, Sparprogramme:
Die Themen wiederholen sich.
Ich war 30 Jahre im Geschäft.
Das reicht.“
94
Ruth Maria Kubitschek, 80
Schauspielerin & Autorin
„Schon mit vier Jahren habe ich
in unserem Dorf meinen Eltern
erklärt, dass ich Schauspielerin
werden will. Wir hatten eine
Kindergärtnerin, die mit uns
Theater gespielt und mir immer
die Hauptrollen gegeben hat,
weil sie sagte, ich sei so begabt.“
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Ausgezeichnet mit fünf „European
Newspaper Awards 2010“
VII
Sonnabend / Sonntag, 3. / 4. September 2011
› GESTERN & HEUTE
100 JAHRE ALTER ELBTUNNEL
Rohrkrepierer: Weil Druckluft beim
Bau eingesetzt wurde, starben
Arbeiter an der Taucherkrankheit.
Fluss
21 Meter
unterm
Am 7. September 1911 eröffnete der Alte Elbtunnel, der
jetzt zum „Wahrzeichen der Ingenieurskunst“ ernannt
wird. AXEL TIEDEMANN ist in den Untergrund gegangen
In die Röhre geguckt: Fünf Mio.
Menschen unterwanderten in
den 50ern jedes Jahr die Elbe (o.)
Rohrpost: Ansichtskarte des Elbtunnels aus den 50ern (ganz links)
E
Rohrdeckel: Der Nordeingang in
den 30ern, die Steinwerder Kuppel
fiel dem Krieg zum Opfer (2. v. l.)
igentlich ist sie recht unscheinbar, diese Ecke im westlichen Röhrengewölbe des Alten Elbtunnels:
ein kleines Loch nur in der Decke;
Stahl, Nieten und grobkörniger Beton schimmern zwischen den matt
glänzenden Fliesen hindurch. „Da
ist wohl etwas kaputt“, mag mancher denken, wenn er dort vorbeimarschiert. Doch
tatsächlich bietet dieses Loch Einblick in eine faszinierende Technikgeschichte: In die Geschichte des
Alten Elbtunnels, dessen offizielle Eröffnung sich am
7. September zum 100. Mal jährt.
Vor einigen Monaten hatten Bauarbeiter das Loch
freigelegt, um sich für die derzeitige Röhrensanierung ein genaues Bild vom inneren Aufbau des Tunnels zu machen. Nach 100 Jahren ist die Konstruktion
technisch weitgehend noch in Ordnung – auch wenn
vieles grundüberholt werden muss. Möglichst perfekt
hatten die Ingenieure seinerzeit Details angelegt:
Fugen wurden akribisch mit Blei abgedichtet, Verbindungen nicht geschraubt, sondern genietet – immer mit Blick auf eine lange Lebensdauer eines
einzigartigen Bauwerks. Was die Bundesingenieurkammer dann auch zum Anlass nimmt, den Tunnel
am 7. September in die Liste der „Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst Deutschlands“ aufzunehmen. „Eine Auszeichnung, die nur wirklich
herausragende Bauwerke bekommen“, wie KammerPräsident Jens Karstedt sagt. Der Alte Elbtunnel
steht dann in einer Reihe mit dem Flughafen Berlin
Tempelhof oder dem Stuttgarter Fernsehturm.
Aber als technisches Meisterwerk galt das Ensemble aus zwei Schachtgebäuden und den beiden gut 426 Meter
langen Röhren auch schon vor
100 Jahren – zur Einweihung war
eigens der Kaiser nach Hamburg
gekommen.
Röhrenverstärker: In den 426,5
Meter langen Gängen glänzen
800 000 Keramikkacheln (l.)
FOTOS: MUSEUM DER ARBEIT
SERVICE ZUM 100.
» Den Geburtstag des Alten
Elbtunnels begeht die Hamburg
Port Authority (HPA) mit einer
Zeitreise: Eine Ausstellung im Gebäude auf der Steinwerder Seite
dokumentiert Baugeschichte und
Architektur, Besichtigungen führen
in Kuppel und Maschinenraum.
Mi, 7.9., bis So, 11.9., 11 – 18 Uhr;
Führungen: 11, 13 und 15 Uhr.
So, 11.9.: Lesung im Tunnel mit
Geschichten rund um den Tunnel.
S
FOTO: PATRICK LUX
Blohm+Voss – bis zu 25000 Arbeiter gingen am gegenüberliegenden Elbufer ihrem harten Job nach.
Doch wegen des regen Schiffsverkehrs hatten es
die Hadag-Fähren schwer, quer zur Hauptfahrtrichtung zwischen Nord- und Südufer zu pendeln. In
den 1870ern gab es daher im Senat erste Überlegungen zu einer großen Hochbrücke zwischen St. Pauli
und Steinwerder. Eine gigantische Konstruktion wäre notwendig geworden, die als viel zu teuer wieder
verworfen wurde. Als Alternative
kam eine Schwebebrücke in die
Diskussion – sie wäre deutlich
günstiger geworden, hätte aber zu
wenig Menschen transportieren
können. Zu dieser Zeit baute man
in Großbritannien erste Unterwassertunnel. Ein Gedanke, der auch
chon in den Jahrzehnten
den Hamburgern immer mehr
zuvor war in der Hansestadt
gefiel. 1901 schließlich fiel die Entintensiv über eine neue
scheidung für den zehn Millionen
Elbquerung nachgedacht worGoldmark teuren Tunnel, den der
den, heißt es in einer Publikation
Hamburger Baurat Ludwig Wender Ingenieurkammer zum Alten
„Im Alten Elbtunnel
demuth selbst konzipierte.
Elbtunnel. Denn dort, wo heute
verbinden
sich
1907 starteten die Bauarbeiten.
vor den Landungsbrücken geleTechnik und Kunst“
Um sich durch den Elbgrund zu
gentlich einige Barkassen, manchgraben, entwickelten die Ingemal ein kleiner Frachter oder
Hans Kuretzky, 60, Keramik-Künstler
nieure verschiedene Verfahren,
Passagierschiffe vorbeirauschen,
und Restaurator des Alten Elbtunnels
die eigentlichen Röhren wurden
herrschte vor 100 Jahren auf
dabei ganz ähnlich wie bei heutidem Wasser ein reges Gewimmel:
gen Tunneln unter Wasser und dem Flussgrund im
Noch fuhren die meisten Seeschiffe bis weit zu
Schildvortrieb gebaut. Und dabei wurde Druckluft
den Anlegern in der heutigen HafenCity – die groeingesetzt, um das Eindringen von Wasser zu verhinßen Terminals von heute wie Altenwerder oder auf
dern. Doch die Arbeit im Überdruck birgt Gefahren,
Waltershof waren damals dicht mit Schilf bewachsedie man seinerzeit noch nicht genau erforscht hatte.
ne Flussinseln. Selbst in der Strommitte hatten an
Unter Druck steigt die Konzentration von Stickstoff
großen Dalben Schiffe festgemacht. Barkassen, Schuim Körper, beim plötzlichen Verlassen der Druckzoten, Zubringerboote pendelten dazwischen. Und
ne bilden sich Blasen, die das Gewebe im menschligegenüber den Landungsbrücken reihte sich eine
chen Körper verletzen können. Bekannt wurde dieses
Werft an die andere. Vulkanwerft, Stülckenwerft,
Phänomen unter dem Namen „Taucherkrankheit“.
Einige der rund 4000 Männer, die bei 40 Grad, gut 20
Meter unter dem mittleren Hochwasserspiegel, mit
Schaufeln und Hacken in den Röhren schufteten, bekamen starke Schmerzen, drei starben sogar – obwohl es bereits Druckkammern gab. „Es kann den
Behörden nicht gleichgültig sein, unter welchen Umständen ein wichtiges Bauwerk zustande kommt“,
kritisierte damals schon ungewöhnlich scharf das
„Hamburger Echo“. Erst nach solchen Protesten verbesserte sich der Arbeitsschutz auf der Baustelle, die
wohl eine der berühmtesten ihrer Zeit war.
A
ber es ist nicht nur die Technik, die bis heute
fasziniert. Die Schachtgebäude mit ihren Kupfer-Kuppelhauben (die Kuppel auf der Steinwerder Seite wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört)
und vor allem die Fliesen und Kachelreliefs im Inneren des Alten Elbtunnels geben der Konstruktion auch
eine Anmutung von Kunst. Als einen „von den lichtund formenfrohen Mächten des modernen Zeitgeschmacks durchfluteten Zeitgedanken, der zwar völlig im Zwecke aufgeht, bei dessen Verwirklichung aber
nichts unterlassen worden ist, was beiträgt, diesem
Zwecke die Schönheit zu verbinden“, schwärmten die
„Hamburger Nachrichten“ bereits im Juli 1911.
Tatsächlich war für die Gestaltung von Schachtgebäuden und Röhren der Bildhauer Hermann Perl
engagiert worden. Der Künstler schuf vor allem
Darstellungen von Tieren, die in und an der Elbe lebten. Wels, Stör, sogar Robbe und Hummer. „Perl hatte
da weitgehend freie Hand, wunderbar muss das gewesen sein“, schwärmt der Möllner Keramikspezialist Hans Kuretzky. In seinem Schuppen lagern heute
gut 100 Kisten mit den Tier-Darstellungen Perls aus
der Oströhre, die wegen der Sanierung noch gesperrt
ist. In Kuretzkys Keramikwerkstatt werden die Reliefs ausgebessert oder komplett rekonstruiert – denn
im Laufe der Zeit war in den Tunneln manchmal arg
brachial Neues hineingebaut worden. So kamen 1959
riesige Rolltreppen dazu, die 1993 aber so verschlissen waren, dass sie wieder ausgebaut wurden.
Mit der seit gut 15 Jahren andauernden Grundsanierung des Alten Elbtunnels soll das alte Erscheinungsbild möglichst originalgetreu wiederhergestellt werden. Dennoch wird der Tunnel nicht zum
Museum, versichert man bei der Hamburg Port
Authority, die die Anlage betreibt. Denn noch immer
wird dieses historische Bauwerk aus der Kaiserzeit
genutzt. Radfahrer, Fußgänger und auch Pkw rollen
durch die derzeit offene und gut sechs Meter hohe
Oströhre, die einst so angelegt wurde, dass eine
Kutsche mit aufgesetzter Peitsche hindurchfahren
konnte. Vor allem zu Fuß aber nutzten die Arbeiter
in den Anfangsjahren diese neue Verbindung unter
der Elbe. 19 Millionen Tunnel-Gänger wurden etwa
1923 gezählt. Doch mit dem Rückgang der Arbeitsplätze auf der südlichen Elbseite schrumpften auch
solche Zahlen: In den 1950er-Jahren waren es noch
fünf Millionen Fußgänger, Mitte der 1980er sank
die Zahl auf nur noch 500000 Menschen pro Jahr,
die den Alten Elbtunnel nutzten.
Doch je mehr Hamburg und sein Hafen an touristischer Bedeutung gewinnt, desto mehr TunnelBesucher werden wieder gezählt. Rund 800000
sind es heute wieder, die jedes Jahr den kühlen Gang
unter der Elbe wählen. Und das längst nicht nur,
um möglichst zügig von einem Ufer zum anderen zu
gelangen. Heute, so heißt es bei der Port Authority, ist
es oft der Tunnel allein, den die Menschen aufsuchen
wollen. Der Weg ist das Ziel – hier stimmt der Sinnspruch dann tatsächlich einmal.
» „Tunnel. Hamburg und seine
Unterwelt“ heißt die Ausstellung
im Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, 9.9.2011 bis 25.3.2012,
Mo 13 – 21, Di – Sa 10 – 17, So
u. Feiertage 10 – 18 Uhr,
www.museum-der-Arbeit.de
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VIII
› STIL & LEBEN
Sonnabend / Sonntag, 3. / 4. September 2011
MARKENMACHER
Renner: Für Stiefel und Lederjacken von Schott (u.)
reisen Kunden von weither zu Paul Hundertmark
FOTOS: ISTOCKPHOTO, PRIVAT
Freiheit und
Abenteuer
Beim Stiefel-Spezialisten Paul Hundertmark
am Spielbudenplatz kauft man nicht
bloß Schuhe, sondern ein Lebensgefühl
H
PETER STEINORT, 70, pensionierter
Luftwaffenoffizier, lebt seit 2007
mit Ehefrau Robyn, 50, im australischen Bundestaat Queensland
Ich bin seit fünf Jahren mit einer
Australierin verheiratet, die nach
gut 20 Jahren in Deutschland in
ihre Heimat zurück wollte. Nach
acht Monaten und erheblichem
bürokratischem Aufwand erhielt
ich die Aufenthaltsgenehmigung.
Dann ging alles sehr schnell:
Hausverkauf in Hamburg, Möbel
in den Umzugscontainer laden
und am 21.10.2007 landeten wir
mitten im australischen Frühling
in Deception Bay, einem Vorort
von Brisbane, Hauptstadt des
Bundesstaates Queensland.
TEXT: GENEVIÈVE WOOD • FOTOS: THOMAS LEIDIG
eute ist Paul Hundertmark Kult und gehört zu den
festen Sightseeing-Attraktionen einer Kiez-Tour.
In den 80ern jedoch, als Cowboystiefel groß in Mode waren, war Hundertmark eine Pilgerstätte: Jugendliche
aus der niedersächsischen Provinz reisten herbei, um sich
am Spielbudenplatz 9 mit den begehrten Boots auszustatten. Und auch wenn sie ein wenig aus der Mode gekommen
sind – hier stehen sie wie eh und je und finden ihre Käufer.
Rund hundert verschiedene Modelle haben die Geschäftsführer Klaus Duwendag und Renate Kasselmann im Sortiment – und dazu Cowboyhüte, Gürtelschnallen, Jeans,
Lederjacken, Indianerschmuck. Doch mit einem reinen
Westernsortiment, sagt Klaus Duwendag, könnte er heute
nicht mehr überleben. Deshalb gibt es auch jede Menge
Souvenirs, St. Pauli-Fanartikel, Lederjacken – an die 4000
verschiedene Einzelartikel auf 200 Quadratmetern.
Klaus Duwendag trägt ein Harley-Davidson-Shirt und
schwarze Turnschuhe. „Das wäre albern, wenn ich hier in
Cowboystiefeln rumlaufen würde“, sagt er und lacht. Werbung muss er auch nicht mehr betreiben. „Paul Hundertmark“, erklärt er, „hat einen Bekanntheitsgrad wie Heidi
Kabel. 80 Prozent der Hamburger kennen uns.“ Bis vor 15
Jahren aber lief er noch in Boots durchs Leben, doch diese
Zeiten waren bereits vorbei, als er das Geschäft 2004 von
Kurt Uebel übernahm. Neben der Filiale am Spielbudenplatz betreibt Duwendag ein weiteres Outlet-Geschäft am
Hans-Albers-Platz, einen Laden an der Großen Bergstraße
in Altona und in Lüneburg.
Am Hans-Albers-Platz fing alles an, hier hat Paul Hundertmark Ende der 1950er-Jahre sein Textilgeschäft eröffnet. Während seiner amerikanischen Kriegsgefangenschaft
hatte er den American Way of Life kennen- und schätzen gelernt. Mit einem Handkarren ausgerüstet, machte er sich
1949 als Händler auf dem Fischmarkt selbstständig, verkaufte dort Stoffe, Socken, Schals und andere Kurzwaren –
und beobachtete, wie anders sich amerikanische Seeleute
kleideten. Durch Tauschgeschäfte konnte er sein Waren-
Steherin: Am Spielbudenplatz bietet
Geschäftsführerin Renate Kasselmann, 53, gut 4000 Einzelartikel an:
Mode, Bikerkluft, Indianerschmuck
sortiment um Cowboyhüte und Lederwesten erweitern. In
seinem Geschäft am Hans-Albers-Platz dann war er einer
der ersten Deutschen, die Westernartikel, Jeans, Stiefel und
Accessoires direkt aus den USA anboten.
1961 schließlich eröffnete Paul Hundertmark seinen
Jeans-Store am Spielbudenplatz 9. Angeblich zählten die
Beatles und Rock’n’Roll-König Jerry Lee Lewis zu den
Kunden. Schauspieler wie Freddy Quinn sollen sich mit
dem Westernlook eingedeckt haben. In ihre Fußstapfen treten heute Schauspieler wie Axel Prahl („Tatort“), Ben Becker, Olli Dittrich oder Musiker wie Helge Schneider und
Bill Kaulitz von „Tokio Hotel“. Die Band „The Boss Hoss“ hat
bei Paul Hundertmark ein Musikvideo gedreht und sich einkleiden lassen. Sein Vorgänger, erzählt Klaus Duwendag,
habe den Laden sogar einmal komplett schließen lassen, als
Janet Jackson ungestört shoppen wollte. Solche Sonderbehandlung für Stars gibt es bei Duwendag aber nicht. Der
56-Jährige nennt sein Geschäft selbst Museum, was wohl
nicht zuletzt auch an den Reisegruppen liegt und daran,
dass sich im bis unter die Decken vollgestapelten Laden in
den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas verändert hat.
Dabei ist aus dem ehemaligen Stand am Fischmarkt
längst ein Mittelstandsunternehmen mit 30 Mitarbeitern
geworden. Gesamtumsatz: drei Millionen Euro. Und der
Kiez wandelt sich. Sollten die Esso-Tankstelle und die dazugehörigen Wohn- und Geschäftshäuser tatsächlich abgerissen werden, muss auch Paul Hundertmark weichen. „Wir
gehen davon aus, dass wir noch drei Jahre hier sind“, sagt
Duwendag. Er stimmt aber nicht ein in das Lied vom Untergang des Kiez. „Es ist, wie es ist“, konstatiert er nur. Er ist
Kaufmann und weiß, dass Veränderungen manchmal sein
müssen. „Wenn wir aus dem Laden raus müssen, ziehen wir
in den Outlet-Store auf dem Hans-Albers-Platz.“ Dort gehe
es auf jeden Fall weiter, dann eben auf der Hälfte der jetzigen Fläche. Tochter Vanessa, 32, wird dann sicherlich dabei
sein. Sie arbeitet seit knapp drei Jahren in der Filialleitung.
Und auch wenn die Moden sich ändern – Hundertmarks
Lebensgefühl von Freiheit und Abenteuer ist zeitlos.
Wir hatten uns die Mitte der
3500 Kilometer langen Ostküste als neue Heimat
ausgewählt. Eine sehr
abwechslungsreiche
Landschaft mit moderatem subtropischem
Klima: Durchschnittstemperaturen im Sommer
28 und im Winter 18 Grad,
kein Frost, Schnee, Nebel oder
Hamburger Schmuddelwetter!
Queensland ist fünfmal so groß
wie Deutschland, hat aber nur
4,2 Millionen Einwohner – davon
wohnen zwei Millionen in der
Metropolregion Brisbane.
Kontakt
» Paul Hundertmark,
phm Textilvertriebs GmbH,
Spielbudenplatz 9, Tel. 31 20 54,
Mo – Fr 9.30 – 22, Sa 10 – 24, So
10 – 22 Uhr, www.hundertmark.de
MEIN STYLE-TRIO
SIMONES
STADTGEFLÜSTER
Persönlich getestet
Wer an der Hafenkante ermittelt, darf keine Angst vorm
Wasser haben. Wie gehen Sie mit dem nassen Element um?
Vor einigen Jahren hat mich ein echter Hamburger zum
Kajakfahren auf der Alster eingeladen. Ich habe sofort Blut
geleckt und mich in kurzer Zeit über die verschiedensten
Kajakmodelle bis zum Langstreckenrenner hochgepaddelt.
D
Talisman: Kugelkette mit
Feder, Münze, Perle aus 925er
Sterlingsilber – Onlineshop:
www.loukoka.de, 129 Euro
Sneaker: „Hummel Slimmer
Stadil Recycle“, bei Hummelstore Hamburg, Schanzenstr.
46, um 80 Euro
FOTOS: THOMAS LEIDIG, PR
Als Fernsehkommissar
müssen Sie auch gut
zu Fuß sein. Worin
laufen Sie am liebsten?
Seit meiner wilden
Jugend im Ruhrgebiet, bin ich Turnschuhträger und trotz
einer kurzen Cowboyboots-Zeit hat es mich
immer wieder zum
Sneaker zurück
geführt.
Jubeltage
Kajak: P&H
Delphin 155,
gesehen bei
Gadermann,
Hummelsbütteler
Steindamm 70,
22851 Norderstedt,
um 1550 Euro
Die Wochenvorschau
MONTAG
RUNDGANG: „Jüdisches Leben
im Grindelviertel – gestern und
heute“ ist eine Stadtführung zum
„Europäischen Tag der jüdischen
Kultur“. Treffpunkt: Kammerspiele,
Hartungstraße, 16.30 Uhr.
DISKUSSION: Über „Jüdisches
Leben in Deutschland“ debattieren
u. a. Prof. Dr. Nachama und Toby
Axelrod. Logensaal der Hamburger
Kammerspiele, 19.30 Uhr.
DIENSTAG
KONZERT: Bühnenstar Thomas
Borchert („Das Phantom der Oper“,
„Die Buddy Holly Story“) ist mit „If I
Sing – meine großen Musicalerfolge“
zu Gast im Altonaer Theater, 20 Uhr.
KINO: Der „Club FilmBlüte“
zeigt die Trickfilme „Peter und der
Wolf“ und „Der Grüffelo“. Bürgerhaus in Barmbek, 19.30 Uhr.
as Leben hat ja außer Geburt und Tod nichts wirklich Neues zu bieten. Es
ist im Grunde eine stete Wiederkehr von Guten Morgen,
Guten Mittag, Guten Abend,
Gute Nacht, nur in Variationen.
Und je älter man wird, desto
weniger aufregend kommt das
Ganze daher. Ich persönlich habe das Gefühl: Seit meinem 37.
Geburtstag ist nichts Durchgeknalltes mehr passiert. Finde
ich aber jetzt nicht schlimm. Ich genieße den ruhigen Fluss des Alltags
und den Rahmen, in dem er sich ab
einem gewissen Alter bewegt: Jubiläen.
Die sind so sicher wie Jahreszeiten, die
kommen immer wieder, und das ist ein
sehr angenehmes Gefühl. Mir gibt das
Halt und Sicherheit.
Emotionale Stützen in diesem Jahr:
40. Geburtstage von Freundinnen, an
denen wir uns jedesmal scheckig lachten, dass und wie wir’s bis hierhin geschafft haben. Meine zehnte Saison am
Millerntor. Mein fünftes Jahr mit dem
Mann an meiner Seite. Das zehnte Paar
goldener Schuhe in meinem Leben.
Das 15. Paar roter Schuhe. Der dritte
Geburtstag meines Sohnes. Sein zehntes batteriebetriebenes Blaulichtfahrzeug. Die siebte Johnny-Cash-Platte.
Und in unserem Viertel wurde der 500.
Friseursalon eröffnet. Außerdem war
unser alter Benz zum 20. Mal in der
Ziel unserer ersten Erkundungsreise waren Buckelwale, die sich
von August bis Anfang November
in einer nahrungsreichen Bucht
vor dem großen Treck in die Antarktis treffen. Die Muttertiere
geben ihrem Nachwuchs hier die
Gelegenheit, sich die notwendige
Transchicht anzufressen. Von
einem Katamaran aus waren sie
aus nächster Nähe zu bewundern:
ausblasen, abtauchen und aus
der Tiefe hochschießen, dann
rückwärts mit riesiger Spritzwelle
wieder ins Wasser klatschen.
Mit meinen Hobbys, Drechseln
und künstlerischer Holzbearbeitung, bereite ich eine Ausstellung
im Mai 2012 vor. Robyn ist inzwischen ausgebildet in therapeutischer Massage, Kinesiologie und
Reiki und erweitert allmählich
ihren Kundenstamm.
Ich habe die Australier als sehr
freundlich, ungezwungen und
gesellig kennengelernt, ihr „Englisch“ allerdings ist gewöhnungsbedürftig. Im November 2009
erhielt ich die permanente Aufenthaltsberechtigung. 2010 war
ich sieben Wochen in Deutschland auf Besuchstour und bin
danach sehr gern wieder in meine
neue Heimat zurückgekehrt.
Werkstatt, uns wurden drei Fahrräder
in einem Monat geklaut, in der Straße
wird das fünfte Haus in fünf Jahren
kernsaniert, und auf meinem kleinen
Balkon ist das zehnte Rosenstöckchen
eingegangen. Wenn ich’s mir recht
überlege, hab ich’s wohl falsch eingeschätzt. Mein Leben ist so aufregend
wie früher, wenn nicht sogar noch viel
aufregender, mit all den sich türmenden Festivitäten.
Heute schon wieder, als ich unsere
Straße entlang spazierte, gab es groß
zu Feiern. In mir klingelten alle Glöckchen, da waren Wunderkerzen und
Konfetti. Ein Doppeljubiläum! Ich war
gerade zum fünften Mal in dieser
Woche bei Budni gewesen – und auf
meiner Nase landete der einmillionste
Regentropfen des Sommers 2011. War
das eine Sause. Morgen wird’s noch
doller: Ich werde in diesem Quartal
zum 25. Mal nicht zum Sport gehen.
ILLUSTRATION: JOSEPHINE WARFELMANN
„Notruf Hafenkante“-Kommissar Markus
Knüfken, 46, paddelt ausgiebig, läuft
bequem und trägt die Familie am Herzen
Ihre Frau arbeitet in einer Model-Agentur – da muss ein
Geschenk für Sie besonders stilvoll sein, oder?
Zu meinem letzten Geburtstag kam ich in den Genuss
eines ganz individuellen Schmuckdesigns. Eine gute
Freundin meiner Frau hat gerade ihre erste Kollektion
entworfen und ihre Idee, einen Anhänger mit den Namen
seiner Liebsten zu gravieren, finde ich sehr besonders. Seit
drei Wochen fühle ich
mich so noch mehr
mit meinen drei Mädchen verbunden und
trage meine Familie
immer am Herzen.
Brisbane
Kolumne
» Hier schreiben im wöchentlichen
Wechsel Maike Schiller – zur
Zeit in Babypause und vertreten von
der Hamburger Autorin Simone
Buchholz – und Joachim Mischke.
MADE IN HAMBURG
Man kann nicht früh
genug beginnen: Vom
Miniaturwunderland
bis zum Friedhof Ohlsdorf, vom Quallenessen
bis zum Süllberg listet
der Führer „100 Dinge
in Hamburg, die Sie
als echter Hamburger
erlebt haben müssen“
einmalige Ausflüge auf.
100 Dinge in
Hamburg, 14,95
Euro, www.
abendblatt.de/
shop
5. – 11. SEPTEMBER
MITTWOCH
KLASSIK: Beim Eröffnungskonzert des 2. Russischen
Kammermusikfests Hamburg (bis
zum 18. September) spielt das Philharmonische Streichoktett Berlin.
Laeiszhalle, Kleiner Saal, 20 Uhr.
KONZERT: „Die Showpianisten
David & Götz“ spielen an zwei
Konzertflügeln auf – von Klassik bis
Pop, virtuos und witzig. Laeiszhalle,
Großer Saal, 20 Uhr.
DONNERSTAG
FREITAG
SONNABEND
SONNTAG
OPER: „Rigoletto“ in der 90Minuten-Version – die Kurzfassung der Verdi-Oper hat Premiere
im Opernloft, der selbst ernannten
„City-Oper für Einsteiger“, 20 Uhr.
KIEZ: Zur „Kreativnacht St. Pauli“
öffnen Künstler und Kreativbetriebe
rund um die Wohlwill- und DetlevBremer-Straße ihre Türen, es gibt
Aktionen und Konzerte. 18 – 24 Uhr.
THEATER: 330 Events auf 40
Bühnen bietet die Hamburger
Theaternacht, vier Routen führen
durch den Trubel. Programm:
www-hamburger-theaternacht.de
SPORT: Der „22. Internationale
Alsterlauf“ führt im 10-KilometerRundkurs um die Außenalster, Ziel
ist der Ballindamm. Start: Mönckebergstraße, 10 Uhr.
FEST: Das Herbstfest auf dem
Gerhardt-Hauptmann-Platz ist
ein buntes Vergnügen mit kleinen
Schlemmerständen mitten in der
Innenstadt. Bis 17.9., 11 – 20 Uhr.
FEST: Bei den „Billstedter Lichtermeeren“ gibt es ein Show- und
Sportprogramm, bei Dämmerung
erhellen „Leuchtende Fontänen“
den See im Öjendorfer Park. Bis
10.9., Fr 16 – 22, Sa 14 – 22 Uhr.
AUSSTELLUNG: Die schönsten
Rassemiezen Europas reisen zur
„Internationalen Katzenschau“
nach Pinneberg. Rübekamphalle,
bis 11.9., 10 – 17 Uhr.
ESSEN: Bei der Auftaktgala
zum „25. Schleswig-Holstein
Gourmet Festival“ wird im
Waldschlösschen Schleswig
geschlemmt. Bis 18. März 2012,
www.gourmetfestival.de