Monopol, 09/2012
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Monopol, 09/2012
PORTFOLIO Trevor Paglen The Last Pictures Countdown läuft! Der amerikanische Künstler und Geograf Trevor Paglen lässt Bilder auf einem Datenträger ins All schießen. Als Botschaft vom Ende unserer Tage. Ein Teil der Hightech-Flaschenpost ist erstmals in Monopol zu sehen – und letztmals vor dem take-off Oben: Typhoon, Japan, Early Twentieth Century Links: Soyuz Fg Rocket Launch, Baikonur Cosmodrome, Kazakhstan Oben: Earthrise Links: Greek and Armenian Orphan Refugees Experience the Sea for the First Time, Marathon, Greece Oben: Glimpses of America, American National Exhibition, Moscow World’s Fair Links: Old Operating Theater, St. Thomas Church, Southwark, London Oben: Migrants Seen by Predator Drone, U.S.-Mexico Border Links: Cheyenne Mountain, Colorado Springs, Colorado PORTFOLIO Trevor Paglen 98 weilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen“. Paglens Fotos sind Trümmer, wie letztlich jedes Bild Fragment eines größeren Ganzen ist. Nur wenige der „Last Pictures“ hat er selbst fotografiert, wie etwa die Aufnahme eines historischen Anatomiesaals in einer Londoner Hospitalkirche. Sie steht für einen Wissenschaftsoptimismus, der sich weitgehend verflüchtigt hat – oder in einen Albtraum verkehrt. Das Portfolio zeigt die „Flüchtigen Blicke auf Amerika“: Charles und Ray Eames’ Mehrfachprojektionen auf der Amerikanischen Nationalausstellung in Moskau 1959 nahmen moderne Überwachungssysteme vorweg. Die Vogelperspektive von Flüchtlingen an der Grenze zwischen den USA und Mexiko wurde von einer Überwachungsdrohne gefunkt und entspricht Paglens typischer Ästhetik. Für das Bild griechischer und Die Zeit wäscht den Sinn aus Bildern heraus, Paglen weiß das. Wer wird „The Last Pictures“ in vielen Tausend Jahren, über 40 000 Kilometer von der Erde entfernt, noch entziffern können? bleiben. „In 35 Jahren wird der Satellit abgeschaltet“, sagt Paglen, „doch seine Kreise wird er weiter ziehen.“ In der mehr oder weniger geraden Bahn der Voyager-Mission manifestiere sich die Fortschrittsidee, die Ellipse des EchoStar dagegen sei die Metapher ewiger Wiederkehr. Wir kommen nicht richtig vom Fleck. Wir sterben nur. Als Artist in Residence am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelte Paglen seine Aktion gemeinsam mit Philosophen, Wissenschaftlern, Ingenieuren und Historikern. Fünf Assistenten halfen ihm, die Archive nach Bildern zu durchforsten, die sich zu einem Panorama humaner Kultur im 20. und 21. Jahrhundert fügen würden. Das Ergebnis sieht Paglen als „Stummfilm“. Exklusiv für Monopol hat er aussagekräftige Motive aus der Reihe ausgekoppelt. Nicht im Portfolio zu sehen, aber inhaltlich wichtig: ein abfotografierter Walter-Benjamin-Einband. Der Philosoph, inspiriert von der „Angelus Novus“-Zeichnung von Paul Klee, beschrieb den „Engel der Geschichte“ als Zeugen einer zivilisatorischen Katastrophe, in die Zukunft getrieben von einem Sturm, „der sich in seinen Flügeln verfangen hat“, dabei möchte er „wohl ver- armenischer Waisenkinder, die zum ersten Mal das Meer an ihren Füßen spüren, gilt das vielleicht weniger. „Die Bedeutung liegt außerhalb des Rahmens“, sagt Paglen, „das Foto ist vom Genozid belastet.“ Die Zeit wäscht den Sinn aus Bildern heraus, Paglen weiß das. „The Last Pictures“ sollen demnächst im MoMA in New York ausgestellt werden, aber wer wird sie in vielen Tausend Jahren, über 40 000 Kilometer von der Erde entfernt, noch entziffern können? Während der Recherche sei ihm ohnehin klar geworden, dass am Ende kein brauchbares Archiv stehen würde, sagt Paglen, Bilder erklärten sich nicht, sie „verweigern“ sich eher. 2047 wird EchoStar XVI, der moderne Engel der Geschichte, also den Sendebetrieb einstellen. Trevor Paglens Sammlung kreist weiter. Seine „Last Pictures“ sind keine Flaschenpost des Größenwahns, sondern ein Denkmal menschlicher Aktivität, das noch übers Firmament wandert, wenn niemand mehr da ist, der in den Himmel schaut. Lautlos im Weltraum. Jens Hinrichsen Geplante Ausstellung von „The Last Pictures“: MoMA, New York, im Herbst Hier lebt die Kunst Monopol Berlin Das neue Magazin von Monopol Ab 10.09. im Handel. Oder schon jetzt vorbestellen: www.monopol-magazin.de/berlin Illustration: André M. Wyst D er letzte Baum ist gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen. Das Spiel ist fast aus. „Lautlos im Weltraum“ – wie ein Film von 1972 heißt – entfernt sich ein Raumschiff von der Erde. Unter einer Glaskuppel dieser Arche Noah grünt und blüht es. Statt der Besatzung (tot) schwingt ein Roboter (niedlich) die Gießkanne. Und Joan Baez singt Melancholisches. So endet der Film, mit der Hoffnung, all die Samenkapseln mögen einen neuen Boden finden. Was mit den Resten des Ökosystems oder auch den Überbleibseln der Zivilisation geschieht, ist ein Lieblingsthema der ScienceFiction. Gefragt ist vor allem das Flaschenpostmotiv, all die extraterrestrischen Hieroglyphen und Videobotschaften versunkener Planetenvölker. Reale Wissenschaft ist allerdings zu viel absurderen Unternehmungen fähig, als sich ein „Star Trek“-Szenarist ausdenken könnte. 1977 wurden mit den Voyager-Sonden zwei goldene Datenplatten mit irdischen Lebenszeichen ins All geschossen, inklusive „herzlicher Grüße an alle“ in 55 Sprachen. Ein Alien mit dem passenden Abspielgerät kann, irgendwo, irgendwann, auch die Stimme des US-Präsidenten Jimmy Carter hören: „Wir versuchen, unser Zeitalter zu überleben, um so bis in eure Zeit hinein leben zu dürfen.“ Schwingt da Pessimismus mit? 35 Jahre später ist die Menschheit nüchterner geworden. Immerhin, den Kalten Krieg hat sie überstanden. Aber wird es für die nächste Jahrmillion reichen? Nach einer Unterhaltung mit Trevor Paglen ist man skeptischer denn je. Der Künstler wurde mit Arbeiten über Fragwürdiges in der politischen Kultur seiner amerikanischen Heimat bekannt. Er hat Geheimgefängnisse, Abhörstationen, Militärbasen und Überwachungssatelliten aufgespürt und fotografiert. Aufklärerischer Impetus und Misstrauen in Bezug auf Erkenntnisfähigkeit halten sich bei ihm die Waage. Was nützen Bilder? Paglens neuestes Projekt, „The Last Pictures“, besteht aus 100 Fotos, die Ende September von Kasachstan aus ins All geschickt werden. Mikroskopisch klein in eine Silikonplatte geätzt, versiegelt in einer goldbeschichteten Hülse (siehe Abbildung, Seiten 88/89) und an der Außenhülle des TV-Satelliten EchoStar XVI montiert, kann die Fracht Milliarden Jahre im Orbit OL AFUR ELIASSON KUNST IM BUNKER ARCHITEKTUR ATELIERBESUCHE SCHÖNERBERG MITTE KREUZBERG PRENZLAUER BERG DER KULTU Anlässlich der Berlin Art Week bringt Monopol ein Sonderheft zur Kunsthauptstadt Berlin heraus. Hier bestellen: Monopol-Leserservice 20080 Hamburg Telefon +49 1805 861 80 02* Bestellnr.: 886305 www.monopol-magazin.de/berlin * 0,14 €/Min. aus dem dt. Festnetz, max. 0,42 €/Min. aus dem Mobilfunk BIS IN DIE PUPPEN / SFR 14,50 EURO 8,50 L-MAGAZIN.DE WWW.MONOPO ART / WEEK ? KUNST UND KNEIPEN G E L D & G E T Ö S E MARKUS LÜPERTZ PRIVATE SAMMLUNGEN ALICJA KWADE DIVEN, MUSEN, KULTURBANAUSEN BERLINER VISIONEN KUNSTQUARTIERE FREIE RADIK ALE & JUNGE WILDE VORSICHT KUNST! 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