Anredeformen im europäischen Spanisch der Gegenwart - bsp

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Anredeformen im europäischen Spanisch der Gegenwart - bsp
Ludwig- Maximilians- Universität München
Institut für Romanische Philologie
Hauptseminar "Anredeformen in den romanischen Sprachen"
Dozentinnen: Fr. Dr. Habil.Schaefer-Prieß, Fr. Dr. Merlan
Referentinnen: Judith Moser, Tatijana v. Quadt
Anredeformen im europäischen Spanisch der Gegenwart
1.Entwicklung der Anredeformen [kurzer Exkurs]
Im zweistufigen Anredesystem des Altspanischen als Respektform, im siglo de oro bildete sich eine
dreistufige Anrede aus:
Sg. tú – vos – vuestra merced → usted
Pl. Vos(otros)- vuestras mercedes → ustedes
•
Wobei vos als vertrauliche Anrede in die Nähe von tú rückte. Durch Schwund von vos und
Grammatikalisierung von vuestra merced zur phonetischen Reduktionsform usted (Erstbeleg
1620) entstand das heutige zweistufige Anredesystem des europäischen Spanisch. In weiten
Bereichen des amerikanischen Spanisch blieb vos erhalten, es schwand tú. (im
Judenspanisch ist vos die normale Höflichkeitsanrede); an die Stelle von vos + 2. Pers.Pl.
trat im 17.Jahrhundert usted+ 3.Pers.
•
Zerfall der Feudalgesellschaft , keine so großen Unterschiede in den Machtverhältnissen
mehr; daraufhin wurde V ungebräuchlicher bzw. abgewertet
•
Später: Tendenz zum tuteo (Duzen)
•
Momentane Entwicklung: Autoritätswiederherstellung (Vor allem Generationsunterschiede)
2. Anredeformen heute
•
Trifft man sich in Spanien, begrüßt man sich ausgiebig.
Der Händedruck wird allerdings nur unter Männern verwendet. Üblich ist ansonsten der
doppelte Kuss (auf die linke, eins auf die rechte Wange)
•
Innerhalb des Freundes- und Familienkreises umarmen sich Männer zur Begrüßung. Frauen
küssen sich auf die Wange und umarmen sich. Manchmal kann man beobachten, wie
berufstätige Frauen auch enge männliche Kollegen auf diese Art begrüßen.
Spanier sind eigentlich immer auf der Suche nach dem nächsten Schwatz. Wenn man
Bekannte oder Nachbarn zufällig trifft, sich aber nur kurz grüßen will, sagt man nicht hola,
denn das wäre eine Einladung zu einem kleine Plausch. Wenn Sie schnell weitergehen
wollen, sagen sie als Gruß lediglich Adios oder Hasta luego!
Begrüssung:
Fragen, wie es jemandem geht:
Hola (sagt man den ganzen Tag)
¿Qué tal?
Buenos días (sagt man bis 12 Uhr mittags)
¿Cómo está? (formal)
Buenas tardes (sagt man von ca. 12 - 18 Uhr)
¿Cómo estás) (informal)
Buenas noches (sagt man ca. nach 18 Uhr)
Sich verabschieden:
Auf diese Fragen antworten:
Hasta luego (bis später)
Bien (gut)
Hasta pronto (bis bald)
Muy bien (sehr gut)
Hasta mañana (bis morgen)
No muy bien = más o menos (es geht so)
Chao
Mal (schlecht)
Adiós
•
Pronominale Anredeform: 2.Person Singular und Plural: tu und vosotros (formell)
3. Person Singular und Plural usted und ustedes
•
Unterschiede sind nicht einheitlich erklärbar, aber es gibt einige Strukturtendenzen:
a) Usted(es) in der Funktion eines Subjektes seltener weggelassen als die übrigen Pronomen,
dagegen wird eine Wiederholung in ein und demselben Satz vermieden:
Si usted me permite, le recordaré su promesa.
Wenn Sie mir gestatten, werde ich Sie an Ihr Versprechen erinnern.
Usted puede acompanarme, si quiere.
Sie können mich begleiten, wenn Sie wollen.
b) spanische Muttersprachler benutzen im Allgemeinen häufiger und schneller die vertrauliche
Anrede (tú, vosotros, vosotras) als deutsche oder französische Muttersprachler, vor allem unter
Gleichaltrigen und bei gleicher gesellschaftlicher Position
c) Frauen neigen mehr zum tú als Männer
d) unter und gegenüber Kindern ist praktisch nur die vertrauliche Anrede üblich
− manchen Jugendlichen ist die Sie-Form kaum noch geläufig
e) in den letzten Jahren deutliche Präferenz für den Gebrauch des tú:
Buenas tardes, senora, ¿qué quieres?
Guten Tag, meine Dame, was kann ich für dich tun?
 Verbindung der Anrede Señora mit der Du-Form erscheint paradox, aber allgemeine Mode und
möglicherweise auch erklärbar durch das Bemühen, ein Klima des Vertrauens zu schaffen
f) in Andalusien, auf den Kanarischen Inseln und vor allem in Lateinamerika wird fast immer
ustedes anstelle von vosotros gebraucht, aber in dieser Funktion wird die Form ustedes in den
entsprechenden spanischen Regionen meist mit dem Verb in der zweiten Person Plural konstruiert
Ustedes tenéis
ihr habt
Ustedes os sentáis
ihr setzt euch
- In Lateinamerika stets mit der „normalen“ dritten Person
Ustedes tienen
ihr habt
 vielfach in der doppelten Funktion als Pronomen der vertraulichen und der höflichen Anrede
(tú/usted) (vgl.das englische you)
g) wie in anderen Sprachen auch kann die Höflichkeitsform gegenüber jemanden gebraucht werden,
den man gewöhnlich duzt, wenn man sich aus einem bestimmten Grund von der Person distanzieren
will (aus Verärgerung, Empörung,…) , z.B. um ein Kind auszuscheltenzurechtweisende ustedForm, einem Freund gegenüber, von dem man sich hintergangen fühlt.
h) wenn man eine Gruppe von Personen anspricht, die man zum Teil duzt und zum Teil siezt, wählt
man ustedes als Anredeform
¿Por quién preguntan ustedes?
Nach wem fragen Sie?
i) usía (zusammengezogene Form aus Vuestra senoría; senoría: „Herrschaft“) als Variante von
usted(es), vor allem in der Verwaltungssprache (Anrede von hohen Beamten, Mitglieder des cortés
(das spanische Parlament)), auch noch von älteren, einfachen Leuten gebraucht
¿Da usía su permiso?
Geben Sie Ihre Zustimmung, Euer Ehren? (wendet sich an den Richter)
Yo quisiera que usías la metieran a esta chica en un asilo.
Ich möchte, dass Sie dieses Mädchen in ein Heim stecken.
j) Vos ist eine alte Höflichkeitsform, die von usted verdrängt wurde.
in Spanien nur noch in Gebetstexten oder in altertümlicher Sprache; der Form vos entspricht eine
andere archaische Form (der ersten Person): nos, (nos und vos wurden als Subjektpronomen durch
nosotros und vosotros ersetzt, vos wurde auch als Objektpronomen durch die Form os abgelöst.)
nur noch in Texten, die vom König, dem Papst, dem Gouverneur einer Provinz, einem Erzbischof
usw. verfasst werden oder als formelle Anrede einer Person (zum Beispiel bei feierlichen Anlässen:
Vereidigung von Ministern, Aufnahme in die Akademie). Dabei kann nos als Subjekt, als nominaler
Bestandteil des Prädikats und in einem Präpositionalgefüge gebraucht werden
Nos pensamos que los hombre…
Wir denken, dass Menschen...
Nos, Emperador del Japón, hacemos saber a vosotros…
Wir, Kaiser von japan, lassen Euch wissen...
In anderen Fällen wird die Form nosotros als pluralis majestatis (von Schriftstellern,
Wissenschaftlern usw.) verwendet
3.Warum man Anredeformen beherrschen sollte?
Anrede & Begrüßung können sehr unterschiedlich sein und sagen viel über die Gesellschaft und
ihre soziale Struktur aus.
Es gibt immer einen Sprecher und einen Hörer. Wörter, die diese kennzeichnen sind z.B. I
(engl.),ich (deut.),je (franz.) , yo (span.) für den Sprecher und you (engl.), du (deut.), tu (franz.), tu
(span.) für den Hörer.
Die Anrede dient dazu den Kontakt zwischen Sprecher & Hörer aufrechtzuerhalten => Sprachliche
Mittel sind im:
· nominalen Bereich (Vor-, Nachname),
· verbalen Bereich (Imperativ),
· pronominalen Bereich (hist.: Pronomenwechsel seit Mittelalter in Europa; V/T- Diskussionen)
zu finden.
Die Wahl der Anredeform richtet sich nach der sozialen Nähe oder Distanz, abhängig u. a. von dem
Bekanntheitsgrad, der Art der Bekanntschaft, dem Alter, dem Familienstand, dem Geschlecht, der
Situation, der beruflichen Hierarchie etc. Einen Wechsel von formeller zu informeller Anrede gibt
es in jeder Sprache, wenn auch ähnliche Situationen zu anderen Reaktionen führen können.
Zur Begrüßung gehört in europäischen Sprachen ein bestimmtes Standardvokabular und
dazugehörige Gesten (z.B. beim Verlangen der Rechnung oder beim Herbeirufen), die immer
erwartet werden. Darum ist die Wahl der richtigen Anredeform & Begrüßung für den Erfolg einer
interkulturellen Kommunikation grundlegend. Allerdings gibt es schon innerhalb Europas sehr
unterschiedliche Anrede – und Begrüßungsformen.
Wenn schon zu Beginn einer Konversation die Anrede und/oder Begrüßung einer anderen Person
unwissentlich falsch abläuft, ist die weitere Kommunikation über den eigentlichen Inhalt stark
gefährdet bzw. vielleicht sogar schon unmöglich.
4.Beispiele für Anrede- und Begrüßungsformen in Briefen
E n g lisch
Dear M r/M rs /M iss /M s ...
Dear S ir or M adam
Dear S ir / Dear S irs
Dear M adam
Dear ...,
Deares t ...,
F ran z ö sisch
Italie n isch
S p an isch
(Cher) M ons ieur,
(Chère) M adam e,
M es dam es , M es s ieurs ,
G entile S ignor/a ...,
E s tim ado/a S eñor/a ...:
E gregio/a S ignor/a,
M uy S res . m íos :
S alut ...,
B onjour ...,
Cher/Chère ...,
Caro/a ...
Ciao ...
Q uerido/a ...
¡Hola ...!
- b ei pers önlic her A nrede:
A vec m es m eilleures s alutations
(P orgo)
.
dis tinti s aluti/c ordiali s aluti
A tentam ente
Y ours faithfully / Faithfully y ours
I m iei piu c ordiali/distinti s aluti Cordialm ente
Je vous prie d'ac c epter,
- b ei unpers önlic her A nrede: M ons ieur/M adam e, l'ex pres sion de
m es m eilleures s alutations /m es
Y ours s inc erely / S inc erely y ours
s alutations dis tinguées .
W ith k ind regards,
W ith love,
Y ours ,
S alut,
G ros s es bis es ,
B is ous ,
Ciao
Con affetto
Un abbrac c io
Un bac ione
Tanti (c ari) s aluti
A presto
Un abrazo
B es os
Un bes o
¡Hasta pronto!
5. Umgangssprachliche Anredeformen
•
Wenn man über umgangssprachliche Anredeformen spricht begegnet man unweigerlich der
Jugendsprache.Allerdings liegt bisher keine griffige Definition zur Jugendsprache vor.Will
man eine linguistische Einordnung vornehmen, so lässt sich zu Beginn sagen, dass die
Jugendsprache eine Sonder- beziehungsweise Gruppensprache ist. Sie entwickelt sich
Regions- und Schicht-spezifisch.
•
Ist Jugendsprache abhängig vom Alter? → Der gravierende Einfluss des Alters auf die
Sprache wird im Lexikon der romanistischen Linguistik relativiert:
,,[...] la intervención de la edad [...] parece mucho menos importante que otros factores, como
pueden ser profesión, la distribución del trabajo, el grado deinstrucción, los ingresos y el lugar de
residencia." (Jiménez 1992: 268)
•
Jugendsprache → Jugendliche Untereinander: Mädchen und junge Frauen werden oft mit
guapa oder tía angesprochen, während junge Männer oft mit guapo, tío oder hacho (in der
Region von Murcia von „muchacho“ abgeleitet) angesprochen werden.
•
Vergleich: Für hübsch oder schön verwendet man in den meisten Ländern Lateinamerikas
Adjektive wie bonito/-a oder lindo/-a; das in Spanien verbreitete guapo/-a ist dagegen
ungebräuchlich und hat in manchen Ländern (etwa auf Kuba und in der Dominikanischen
Republik) die Bedeutung aggressiv oder wild. Somit ist una chica guapa in Spanien ein
hübsches, auf Kuba ein wütendes Mädchen.
•
Auf beide Geschlechter bezieht sich hombre, allerdings stellt hombre keinen direkte Anrede
dar , sondern entspricht viel eher dem deutschen „Hey Mann“.
•
Kosenamen: cariño, tesoro
•
Beleidigungen: Cabrón, maricón
so idiota
Idiot
so boba
dumme Gans
- vergleiche auch: don als spöttische bis beleidigende Form
don Nadie
Niemand
don Mierda
Dreckskerl
•
Beziehungsdarstellende Anrede: Compañero, amigo
•
[Außerdem:
•
Berufsanrede: Doctor oder profesor (Viele Schüler in Spanien sagen „profe“)
•
Don und usted werden zusammen gebraucht, don (+Vorname) gilt als höflicher und
respektvoller als Señor (+Nachname), aber schwierig, genaue Regeln zum Gebrauch von
Don, Dona anzugeben. Faktoren wie Alter, Reichtum, gesellschaftlicher Status, Prestige,
Bildung, aber auch mit der Nebenabsicht der Schmeichelei können eine Rolle spielen
-durch den (Nicht-)Gebrauch kann man seine Meinung von einer Person zum Ausdruck bringen
- so (von Señor), syntaktisch wie Don gebraucht, kann –immer in pejorativer Bedeutung- vor
Substantiven und Adjektiven verwendet werden
•
im europäischen Spanisch gibt es ein tuteo impersonal (unpersönliches Du):
Aquí ganas mucho.
Hier verdient man viel.
(im amerikanischen Spanisch unüblich, wird als Duzen aufgefasst)
7.Bibliographie
Berschin, Helmut (2005): Die spanische Sprache, Hildesheim
Brown, D. (1975): «The use of tú and usted with parents by some Mexican American students», Hispania, 58, S. 126-7.
Brown, P. y Gilman, A. (1960): «The pronouns of power and solidary», en Sebeok, T.A. (ed.), (1960): Style inLanguage, New York, Wiley, S. 253-76
Bossong, G. (2008): «Die Romanischen Sprachen: Eine vergleichende Einführung», Hamburg
Carricaburo, Norma (1997): Las fórmulas de tratamiento en el español actual, MadridDe Bruyne, Jacques (2002): Spanische Grammatik, Tübingen
Fontanella de Weinberg, M. (1970): «La evolución de los pronombres de tratamiento en el español bonaerense», Thesaurus, XXV, 1, S.. 12-22.
Fontanella de Weinberg, M. y Najt, M. (1969): «Los pronombres de tratamiento en el español de Bahía Blanca», Actas de la Quinta Asamblea
Intemniversitaria de Filología y Literatura Hispánica, Universidad Nacional del Sur.
Fox, J. (1970): «The pronouns of adress in Spanish», Actas del X Congreso Internacional de Lingüistas, I, S.685-91.