lifestyle_stockholm_70_d

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lifestyle_stockholm_70_d
Lifestyle _Stockholm
Yoga-Studios und Cafés ab. Krimifans folgen in Söder
auf einer geführten «Millenium»-Tour den Spuren
von Lisbeth ­Salander und Mikael Blomkvist aus Stieg
Larssons Romantrilogie.
Die Mittagssonne wärmt und tönt sanft die Haut
der Gäste in den Cafés der Skånegatan. Ein paar
Schritte weiter verführt der Urban Deli zur über­
mässigen Kalorienaufnahme. Der Supermarkt mit
Esstheke ist ein Lunchmekka. Im Sommer lassen
sich die Kunden die Leckereien in Schachteln verpacken und picknicken im Nytorget-Park gegenüber. Wie Sofie, eine Philosophiestudentin. Auf die
Frage, was das Beste an Stockholm sei, antwortet
die 26-Jährige: «Alles!» Lacht und schüttelt ihr blondes Haar. «Stockholm ist einfach schön. Nicht zu
gross und doch kosmopolitisch ohne dabei das
­Traditionelle zu verstecken. Und unsere Lebensqualität ist aussergewöhnlich hoch.» Da hat sie wohl
recht. Stockholm ist zwar die grösste Stadt und der
wichtigste Wirtschaftsstandort des Landes, aber
mit 868 000 Einwohnern überschaubar. In Restschweden werden die Hauptstädter etwas abfällig
Nollåttor genannt – übersetzt Nullachter, abgeleitet von der Stockholmer Telefonvorwahl 08. Doch
die gemeinsame Naturverbundenheit versöhnt sie
wieder. Denn ob Schwede oder Stockholmer, alle
lieben die Natur und wandern, rudern oder zelten,
wann immer sie die Zeit dazu finden. Sogar mitten
in Stockholm: Der Nationalpark Ekoparken zieht sich
mit seinen 27 km2 Länge (davon 19 km2 Land und­
8 km2 Wasser) durch mehrere Stadtquartiere.
Mittsommer im
hohen Norden
Warum nicht mal im Sommer nordwärts ziehen? – Stockholm, die beschauliche und doch urbane Metropole beglückt alle. Irgendwo zwischen
­glasklarem Wasser, üppigem Grün, Bohème und Kultur finden sowohl
Naturliebhaber, Cityfreaks und Segler ihr ganz persönliches Stockholm.
Corinne Nusskern cn, imagebank.sweden.se
Sven, ein pensionierter Mittsechziger, steht auf der
Strömbron-Bücke und fischt nach Heringen und
Lachsen. «Manchmal ziehe ich gar einen Zander
­heraus», verkündet er stolz. Ein Mann, eine Rute und
ein Eimer voller Seligkeit. Fischen mitten in der City
mit Handangeln – alles ganz legal. Stockholm ist
­einzigartig: Seine Fläche besteht zu einem Drittel
aus Wasser und zu einem weiteren Drittel aus Grünflächen. Verbunden durch 57 Brücken, verteilt sich
die Stadt auf 14 Inseln, die gegen Osten in den Schärengarten ausfranst, der sich dort wie eine Umarmung um Stockholm legt.
Gamla Stan – schmuck und nobel
Südlich der Strömbron-Brücke auf der Insel Gamla
Stan thront der Königspalast. Das 600-Zimmer52
marina.ch_April_2014
­ alais, wo König Carl Gustav XVI. und die KönigsP
familie ihre Büros haben, dient der Repräsentation
und bietet diversen Museen ein Dach. Gleich dahinter beginnt die autofreie Altstadt. Schmale Gässchen mit Kopfsteinpflaster, pittoreske Häuser in
Gelb- und Rottönen mit mittelalterlichen Gewölben, ­L äden mit Kunsthandwerk oder Trouvaillen aus
den 1950-er Jahren sowie gemütliche Kneipen verschaffen eine besondere Atmosphäre. Stortorget,
der älteste Platz der Stadt, ist gesäumt von Cafés
und dem Nobel-Museum der schwedischen Akademie. Infos über Alfred Nobel, die Nobelpreisträger sowie ­Multimediastationen füllen die Hallen des
wunder­baren Baus aus dem 18. Jahrhundert. Die
Nobelpreis-Verleihung findet jedoch im Stadthuset
im Stadtteil Kungsholmen statt. Zu langweilig? Dann
rauf aufs Dach! Der Veranstalter Upplev Mer bietet Dachwanderungen auf den dunklen ­Blechdächern
der Altstadt an. Gut gesichert eröffnet das Kraxeln
über Metallstege und -leitern eine ganz andere Sicht
auf die Stadt. Der Himmel dehnt sich endlos. Stockholm erstrahlt in einem unglaublich hellen Licht,
dem beinahe etwas Surrealistisches anhaftet.
Bohémiens und Mörder
Am Südende von Gamla Stan liegt Slussen, die
Schleuse. Sie trennt das Süsswasser des Mälarensees vom salzigen der Ostsee und bildet zugleich
den Übergang auf die Insel Södermalm, genannt
Söder: Eine Mischung zwischen dem Zürcher Kreis
vier und dem Seefeld – etwas szenig, ab und an ein
Betrunkener und doch heimelig und schick. Die Götgatan ist die Hauptader von Söder, SoFo südlich der
Folkungagatan das Lieblingsquartier der lokalen
Szene. Restaurants wechseln sich mit Secondhandund Independent-Läden, Modeshops, Coiffeurs,
Auf Djurgården entschleunigen
Bei Slussen legt die Fähre zu einer Oase des Ecoparks
ab, der Insel Djurgården. Familien, Radfahrer, Alte und
Junge drängen sich in der Warteschlange, um auf die
einst königliche Jagdinsel überzusetzen. Die Fahrt
dauert kaum zehn Minuten. Grünflächen und Parks
machen den Hauptteil Djurgårdens aus. Highlight ist
das Vasamuseum, welches das Kriegsschiff Vasa
­beherbergt, das 1628 auf seiner Jungfernfahrt im
Stockholmer Hafenbecken kenterte und sank. Erst
1961 wurde es geborgen und mit der Restaurierung
begonnen. Im Freilichtmuseum Skansen wird der
schwedische Alltag des 19. Jahrhunderts aufgezeigt.
Ganz in der Nähe liegt das Restaurant Lilla Hasselbacken. Im grünen Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert lebt das Flair der Vergangenheit weiter, die leckeren ­D esserts aber sind von heute. Generell
bedeutet Schwedisch essen heute mehr als Kottbullar (Fleischbällchen), Hering und Schwedentorte.
Stockholms innovative Köche verweben traditionelle Speziali­t äten wie Fisch, Meerestiere, Elchfleisch
und Beeren mit me­diterranen und asiatischen
Elementen.
Und natürlich, am östlichsten Zipfel Djurgårdens,
am Blockhusudden, stehen ein paar Fischer knietief
im Wasser. Hier gibts auch Kleinhäfen. Beliebt sind
marina.ch
Ralligweg 10
3012 Bern
Tel. 031 301 00 31
[email protected]
www.marina-online.ch
Tel. Abodienst: 031 300 62 56
Lifestyle _Stockholm
FrauSicht – Kein Segler
die Marinas Djurgårdshamnen (Boote bis 25 Meter)
und Wasahamnen (Boote bis 15 Meter). Ein weiterer Gästehafen, der Västerbroham­nen, liegt in Kungsholmen im Mälarensee. ­Vorsicht: Viele Liegeplätze
auf Stadtgebiet sind privat. Wo das blaue «Gästhamn»Schild hängt, sind Gastanleger willkommen.
Stockholm kompakt
_Hotels: Nordic Light Hotel****. Modernes Hotel mit funkigem Design in zentraler
City-Lage: www.nordiclighthotel.se | Radisson Blu Strand Hotel*****. Elegantes Luxushaus am Wasser: www.radissonblu.com/strandhotel-stockholm | Hotel Långholmen. In
renovierten Zellen eines einstigen Gefängnisses nächtigen: www.langholmen.com
_Restaurants/Cafés/Bars: Urban Deli. Der Supermarket mit Esstheke: www.urban
deli.org | Restaurant Sturehof. Die elegant-trendige Brasserie brilliert mit Fisch- und
Meeresfrüchtespezialitäten: www.sturehof.com | Café Konditori Sturekatten. Die Nostalgie vergangener Jahrhunderte geniessen, Kuchen schlemmen: Riddargatan 4 | ­Icebar
Stockholm. Das Original unter den Eisbars mit permanent -5 Grad! www.nordicsea
hotel.se/bars#icebar | Club Café Opera. Hipper, glamouröser Nachtklub in prun­k vollem
­Gebäude aus dem Jahre 1895: www.cafeopera.se
_Ausflüge: «Millennium»-Touren: www.stadsmuseum.stockholm.se | Wanderung
über Stockholms Dächer: www.upplevmer.se
_Touren: www.waxholmsbolaget.se (Dampfer), www.stromma.se (div. Touren),
www.skipperguide.de/wiki/Stockholms_Skärgard (Segeln) | RIB-Sightseeing-Boote:
www.ribsightseeing.se
_Marinas: Marina Djurgårdshamnen: www.navis.se | Marina Wasahamnen: ­w ww.
wasahamnen.se | Marina Smedsuddsvägen 13: www.stockholmssegelsallskap.se
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Helle Nächte zum abfeiern
Während sich im Winter alle nach drinnen verkriechen, vergnügt sich die Szene im Sommer draussen.
Und am Midsommar, für die Schweden das grösste
Fest des Jahres, tanzt neben dem Bär auch ganz
Stockholm durch die Stadt – ausser jenen, die traditionell irgendwo in der Natur feiern. Mittsommer
wird am Samstag zwischen dem 20. und 26. Juni
gefeiert. Ein sicherer Wert ist das Restaurant Sture­
hof. Im Vorgarten brodelt es um 23 Uhr von Feierwütigen. Mittendrin Linnea mit trendiger Sonnenbrille, die konzentriert auf ihren iPod starrt. «Hey,
hör’ dir diesen Song an, hat mein Bruder komponiert.
Toll, was?» Nun tänzelt sie um ihre Freunde herum
und stöpselt einem nach dem andern den ­Kopfhörer
ins Ohr. «Wir gehen noch ins Riche und danach ins
Opera», sagt die 32-Jährige plötzlich. «Komm mit,
heute wird gefeiert!» Die Stockholmer sind sehr leutselig, und da es Ende Juni stets hell bleibt, sind die
Sommernächte sehr lang. Da lohnt sich der Kauf ­einer
Sonnenbrille tatsächlich.
Musse im Schärengarten
Stockholms schönstes Erholungsparadies ist der
Schärengarten, der sich ostwärts auf 60 Kilometern
bis Åland erstreckt. Ob eine Fahrt auf einem Schären­
dampfer oder dem eigenen Boot: Die bis zu 30 000
Inseln sind ein Traumrevier! Im breiten und tiefen
«»
Ob eine Fahrt auf einem Schärendampfer
oder dem eigenen Boot: Die bis zu 30 000
Inseln sind ein Traumrevier!
Wasser der Schären fällt das Segeln leicht, auch die
vielen Leuchtfeuer und -tonnen sind eine gute Hilfe.
Ankern ist (fast) überall erlaubt. Zwar befinden sich
über 80 Prozent des Gebiets in Privatbesitz, doch
aufgrund des schwedischen Jedermannsrechts darf
auch in privaten Naturbuchten angelegt werden:
«Nicht stören, nicht zerstören» heisst die Devise.
Ohne Genehmigung sollte man die Gastfreundschaft
nicht überstrapazieren und nach zwei Tagen den
­Anker lichten.
Für Nachtliegeplätze gilt die Regel «first come, first
served» – wer zuerst kommt findet die besten Plätze.
Von Mai bis September sind die schönsten Plätze
bereits mittags belegt. Doch auch Spätanleger finden stets einen Platz im riesigen Schärengarten. Zu
meiden sind Ankergründe nahe beim Schilf, wo es
von Mücken wimmelt. Auch schwimmen ist überall
erlaubt, die Wassertemperatur steigt jedoch kaum
über 18-20 Grad. Und fischen? Klar, mit ­Handangeln
dürfen Haken nach Herzenslust ins Wasser getaucht
werden. Falls trotz Fischreichtum nichts anbeisst:
Vielleicht früh morgens doch nochmals Sven, den
erfahrenen Hobby-Fischer von der Strömbron-­
Bücke konsultieren.
Ich sitze mit meinem Liebsten bei einem schönen Znacht in einer
unserer Lieblingsbeizen. Die Stimmung ist angeregt, die Vorfreude
gross. Wir wollen zur Feier unseres Jubiläums mal wieder abrocken.
Sprich: die Nacht durchtanzen bis die Balken krachen. Was wir gar
nicht peinlich finden – ganz im Gegensatz zu unserer Tochter…
Der DJ spiel sich von Song zu Song in Form, die Musik dröhnt durch
den wohlig gefüllten Bauch. «Ältere» Paare und Singles stellen sich
mit einem Drink in der Hand vorerst in Beobachtungsposition, die
wenigen Tischchen am Rande der Tanzfläche füllen sich langsam.
Da passierts: ein klirrender Knall mitten in «Highway to Hell». Am
Nebentisch ging ein volles Glas zu Boden. Die beiden Frauen am
Tisch kichern, einer der Männer springt auf Richtung Bar. Und der
Pech­vogel? Der sitzt breitbeinig da, um auch ja nicht mit der ­klebrigen
­Flüssigkeit in Kontakt zu kommen. Und starrt auf die Pfütze, als
müsste er sie ganz genau beo­bachten, damit sie sich nicht etwa von
selber aus dem Staub macht. Keine Anstalten zu putzen, zu helfen,
in Ordnung zu bringen… Ja gibts denn so was? Hat der Typ Zuhause
eine Bediensteten-Truppe, die ihm alles und jedes aus dem Weg
räumt? Und im Job? Ich bin fassungslos ob soviel Unbeholfenheit
und Ungeschicktheit. «Der ist ganz
bestimmt kein Segler», kommentiere ich voller Überzeugung das
Geschehen. «Wie willst du das
­wissen?» - «Weibliche ­Intuition!»
- «Aha…» – «Jawohl. Stell’ dir doch
mal einen derartigen Tollpatsch an
Bord vor… Ginge gar nicht. Er lässt
den Bootshaken ins Hafenbecken
fallen – und schaut zu, wie das Teil
untergeht. Oder wartet, bis ihn ein
Crewmitglied aus dem Wasser
fischt. Oder er hält einen freien
Fender in der Hand, um bei einem heiklen Hafenmanöver ­gewappnet
zu sein. Und… schaut einfach zu, wie sich die beiden Boote be­rühren. Oder stell dir vor: Das Pastawasser kocht über und er… würde
den gesamten Herd überschwemmen lassen. Wobei: Dieser Typ
weiss doch nicht einmal, wie man Pastawasser aufsetzt… Jedenfalls
hat der offensichtlich so viel Praktisches an sich, wie das Handbuch
der Öffentlichen Betriebswirtschaft – also fast nichts. So einer ist
wirklich an Bord nicht zu gebrauchen. Also kann er unmöglich ein
Segler sein…»
Ich habe ihn nicht angesprochen. War wohl besser für ihn – und
für mich. Und habe es einfach genossen, mein aufgestautes
Entsetzen die ganze Nacht lang wegzurocken… zusammen mit
meinem Segler!
_Caroline Schüpbach-Brönnimann ist aktive Seglerin (Jolle und
Yacht, See und Meer) sowie Motorbootfahrerin. Sie formuliert regelmässig für «marina.ch» ihre frauliche Sicht der nautischen Dinge.