Sachs 09.05.03

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Sachs 09.05.03
HÄRLE / MAYER / STEINBRENNER: THEORIE UND PRAXIS DES LUG (SOSE 03)
LIT. GESPRÄCH 09.05.03, S. 1
Literarisches Gespräch am 09.05.2003 mit ca. 10 TN im Innenkreis
Planung und Leitung: Gerhard Härle (Außenkreis: J.M.). Geplanter Zeitrahmen: 12:00 – 13:20
12:00 Zurückkommen aus der Pause ins Plenum
Vorstellung des Vorhabens und Einladung an 8 – 10 TN in den Innenkreis
Johannes Mayer stellt kurz die Auswertungskriterien vor
12:10 Beginn im Innenkreis:
Willkommen in dieser Runde. Wir versuchen zunächst einmal bewusst wahrzunehmen, mit
wem wir hier zusammensitzen. Mit Menschen, die uns schon vertraut sind und mit
Menschen, die uns noch kaum vertraut sind. Ich kenne einige von Ihnen und Euch, andere
noch nicht, das wir Ihnen auch so gehen. Wir nehmen auch wahr, dass wir uns in einer
besonderen Lage befinden: wir hier im Innenkreis, um uns herum andere
SeminarteilnehmerInnen, die mucksmäuschenstill auf das achten, was wir hier miteinander
sprechen. Es ist viel freundschaftliche Aufmerksamkeit um uns herum, ein wenig Neid auf
uns, ein wenig Hochachtung, einige Neugier. In diesem Rahmen versuchen wir unser
Gespräch zu führen, bei dem es in erster Linie darauf ankommt, dass wir uns miteinander
auf einen Text einlassen und dass wir uns aufeinander einlassen.
Damit wir voneinander die Namen wissen und damit wir bei der Tonbandaufnahme die
Stimmen zuordnen können, bitte ich uns alle zunächst der Reihe nach, die Namen zu sagen
und vielleicht ein Stichwort (nur ein Wort) zum augenblicklichen Befinden. Wir beginnen links
von mir ...
12:20 Der Text, den ich als Gegenstand unseres Gesprächs ausgewählt habe, ist ein Gedicht, das
mich selber sehr fasziniert und das mir selber auch noch Rätsel aufgibt, obwohl mich schon
öfter damit beschäftigt habe. Ich habe es ausgewählt, weil es auch in den Themenkreis des
Seminars über Liebeslyrik gehört, das gestern begonnen hat und an dem auch einige
TeilnehmerInnen aus diesem Seminar sind. Ich spreche es Ihnen zunächst einmal vor und
Sie hören so gelassen, wie es Ihnen im Moment möglich ist, einfach zu.
Nelly Sachs: Linie wie ... (vorlesen)
12:25 Ich gebe jetzt das Textblatt herum und bitte Sie, das Gedicht noch einmal still zu lesen. Nach
einigen Minuten Stille kann auch jemand aus unserer Runde das Gedicht noch einmal
vorlesen.
Stille.
Dann evtl. Angebot zum Vorlesen oder Bitten um erneutes Vorlesen erneuern.
12:35 Um miteinander ins Gespräch zu kommen, bitte ich uns, dass sich jede und jeder von uns
eine Wendung des Textes einprägt, die sie oder ihn besonders angesprochen hat. Wer fertig
ist, dreht sein Textblatt zunächst einmal um.
12:40 Runde: Welche Wendung habe ich mir eingeprägt
Dann freies Gespräch mit dem Thema: Welches Bild, welche Stimmung, welche Frage
taucht in mir auf, wenn ich meine und deine Textstelle höre.
Text wieder hinzuziehen: Was sagen unsere Bilder und Eindrücke zu dem Gedicht, was sagt
das Gedicht zu ihnen.
Mögliche Zusatzimpulse im Gesprächsverlauf:
Mich faszinieren ganz besonders die Doppeldeutigkeiten, die ich nicht auflösen kann: „das
Ende der Fernen“ (= Menschen? = Entfernungen?), Das „Aber“ des letzten Verses, die
syntaktischen Bezüge der 2. Strophe. Auf Befragen Informationen zu Nelly Sachs.
13:00 Literarische Gespräche sind prinzipiell unendlich, weil sich an jeden Beitrag neue Beiträge
anschließen lassen; das macht den Reichtum des literarischen Gesprächs aus. Real ist
unser Gespräch jedoch durchaus endlich. Deswegen möchte ich es an dieser Stelle gerne
abrunden mit einer persönlichen Rückmeldung von jeder / jedem von uns:
Was ist mir vertrauter geworden, welchen Aspekt würde ich jetzt in einem nächsten Schritt
gern vertiefen – und wie geht es mir am Ende unseres Gesprächs.
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13:07 Auswertung mit PL (Außenkreis mit Beobachtungskriterien):
Was an dem Gespräch scheint mir gut gelungen, was weniger gut, was hat gefehlt – und
weshalb
Welche Aspekte des Textes wurden mir klarer, unklarer, kamen zu kurz – und weshalb
Welche Elemente eines literarischen Gesprächs habe ich bemerkt, wie bewerte ich sie – und
weshalb
1.
Linie wie
2.
lebendiges Haar
3.
gezogen
4.
todnachtgedunkelt
5.
von dir
6.
zu mir.
7.
Gegängelt
8.
außerhalb
9.
bin ich hinübergeneigt
10.
durstend
11.
das Ende der Fernen zu küssen.
12.
Der Abend
13.
wirft das Sprungbrett
14.
der Nacht über das Rot
15.
verlängert deine Landzunge
16.
und ich setze meinen Fuß zagend
17.
auf die zitternde Saite
18.
des schon begonnenen Todes.
19.
Aber so ist die Liebe –
Nelly Sachs: „Linie wie lebendiges Haar“. In: Fahrt ins Staublose. Die Gedichte der Nelly Sachs. Frankfurt
a. M.: Suhrkamp 1961
Nelly Sachs: *10.12.1891 (Berlin) – 12.05.1970 (Stockholm). Evtl. Verweis auf ihren Todestag!
Stammt aus jüdischem Elternhaus, beginnt mit 17 Gedichte zu schreiben, zunächst konventionell. Mit
Unterstützung durch Selma Lagerlöf Flucht aus Nazideutschland nach Schweden, Stockholm, wo sie
bis zu ihrem Tod lebt. Viele Literaturpreise, u.a. 1966 den Literaturnobelpreis. Enger, allerdings
problematischer Kontakt zu Celan und dessen Gattin. Schriftstellerische Entwicklung zu eigenen
Formen ziemlich spät; ihre Lyrik wird v.a. von Enzensberger gefördert (Sachs’ Gedichte sprächen
„von den Opfern. Das macht ihre rätselhafte Reinheit aus“). Klare lyrische Sprache, visionäre Bilder,
prophetische und psalmistische Tradition, Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Ausrottung
des Judentums; Nelly Sachs versuche, „die Sprache der Toten zu sprechen“ (Beda Allemann).
Nachtrag (G.H.):
Am Gespräch nahmen teil: Judith Klingler, Johannes Klimkait, Hanna Fitzner, Cathrin Maisenhelder,
Enikö Rohr, Marcus Steinbrenner, Sandra [Fesenbeck oder Lasch], Christian Appel, Sabine Moch
und Gerhard Härle
Die Zeitplanung musste (meine Schuld!) drastisch geändert werden: Beginn des Gesprächs
ca. 12:30, Ende 13:15, Auswertung im Plenum nur bis 13:30, danach Seminar-Organisation.
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Gesprächsbeobachtungen durch TeilnehmerInnen im Außenkreis
Die Beobachtungen sind in alphabetischer Reihenfolge und ohne redaktionelle Eingriffe aufgenommen
worden. Es erscheit uns besonders wichtig, hier die subjektiven Eindrücke ernst- und wahrzunehmen,
weil die unterschiedlichen Akzente und Blickwinkel auch die unterschiedlichen Erlebnisweisen von
Gesprächsverläufen sichtbar machen. – Vielen Dank den KommilitonInnen, die mir ihre Beobachtungen
zugeschickt haben und mit einer seminarinternen „Veröffentlichung“ einverstanden waren! [G.H.]
1. Beobachtungen von Dirk Betzel
Phase 1 – Eröffnung
o Gesprächsleiter (GL) thematisiert den Gesprächskontext (fremde Situation, neue Leute etc.)
o Teilnehmer (TN) werden gebeten sich vorzustellen
Phase 2 – Texteinführung
o GL begründet seine Textauswahl
o GL liest das Gedicht vor (danach wird Zeit gegeben, das Gedicht wirken zu lassen)
o Nachdem das Gedicht jedem TN ausgeteilt wurde, liest jeder das Gedicht still
o Den TN wird die Möglichkeit gegeben, das Gedicht laut vorzulesen (erste Möglichkeit der TN sich
mit der Situation und der Gruppe vertraut zu machen)
Phase 3 – Hinführung zum Text
o GL bittet die TN sich eine Wendung des Gedichts einzuprägen, die besonders ansprechend für
die jeweilige Person ist
o Die TN nennen die Wendungen
Phase 4 – Gespräch
o Die TN äußern ihre persönlichen Gedanken, Gefühle etc. in Bezug auf die genannten
Wendungen
o Gespräch über das persönliche Empfinden bzgl. der Wendungen findet statt.
o GL fragt ggf. nach (Begründung)
Phase 5 – Konkretisierung
o GL verweist von einzelnen Gedichtwendungen auf das Gedicht als Ganzes
o Die „inneren Bilder“ sollen mit dem Gedicht in Bezug gesetzt werden
Phase 6 – Schluss
o GL beschließt das Gespräch mit der Möglichkeit zu einer letzten Stellungnahme unter folgendem
Gesichtspunkt:
– „Gibt es ein Element, das mir im Verlauf des Gesprächs vertrauter geworden ist?“
– „Gibt es etwas, woran ich gerne „weiterarbeiten“ würde?“
o Stellungnahmen der TN
2. Beobachtungen von Birte Grevecke
Gesprächsverlauf
1. Phase
o angenehme Aufforderung, durch die ruhige Stimme des Leiters, zur Wahrnehmungsschärfung
gegenüber den TN und der Situation
o Zeit und Raum ist gegeben, um sich auf den Text und das Aufeinander einzulassen
o durch die einleitende Aufforderung zur Namensnennung und der aktuellen Befindlichkeit
(Äußerungen: Gespanntheit, Neugierde) entsteht nach außen eine offene, angenehme,
vertrauensvolle und authentische Atmosphäre
2. Phase
o der Wechsel zwischen den einzelnen turn(s) und turn- taking verläuft ohne Komplikationen (bei
einer Überschneidung kommt es sofort zur Entschuldigung des Reinredners)
o Gliederungssignale wie z.B. explizite Äußerungen
3. Phase
o der Leiter lenkt das Gesprächsende ein
o die TN haben die Gelegenheit sich auf das Ende des Gesprächs einzustellen
o Zeit für Gefühle und Schlussbemerkungen zum Thema
o die TN gehen mit vielen neuen Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Gesprächsrunde
Leitung
o ruhige Stimme
o genügend Freiheit innerhalb der Gruppe trotz des Leiters (z.B. das Gedicht kann noch einmal laut
gelesen werden)
o keine wertenden Antworten, Feststellungen oder Bemerkungen
o immer wieder klare, kurze und eindeutige Anweisungen ( 1. Schritt: welche Wendung habe ich
mir eingeprägt; 2. Schritt: welche Bilder stellen sich bei der entsprechenden Stelle ein etc.)
o Lenkung auf das Gedicht ( das Thema) durch eine Aufforderung
o leitende Fragen (wie z.B. Gibt das Gedicht Antworten auf die Bilder?)
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o die Äußerung von eigener Unsicherheit gegenüber dem Gedicht, lässt den Leiter authentisch und
nicht dominierend erscheinen
Nonverbale Reaktionen
o allgemein gelockerte Sitzhaltung ( alle haben ihre Beine übereinander geschlagen, bis auf Judith,
sie hat sie nebeneinander stehen/ Inneke nimmt später ihre Beine hoch auf den Stuhl)
o beim leisen Lesen hat die Hälfte der Mitglieder die Hand im Mundbereich
o aufmerksame, nachdenkliche Mimik während des literarischen Gesprächs
o häufiges back- channel- behavior durch entsprechende Mimik
Beteiligung
o Sandra äußert sich überwiegend gleich zu Beginn einer Aufgabenstellung
o die Kommunikation verläuft symmetrisch
3. Beobachtungen von Sylvia Heine
Gesprächsverlauf / Phasen:
Eröffnung
Hinführung: Begrüßung der GesprächsteilnehmerInnen im Innenkreis; Hinweis auf aktuelle Situation:
Methode (Innen-/ Außenkreis)
Anwesende (ICH/ WIR als Gruppe); Beziehungen der Anwesenden zueinander; Emotionen
Rahmen
Mit dem Ziel:
sich Einlassen können auf den Text (ES)
sich einlassen können auf sich/ uns selbst (ICH/WIR)
Wunsch nach Authentizität
Gegenstand:
Text: Gedicht
Schilderung der Motivation, aus der heraus das Gedicht ausgewählt wurde (1/ Bezug zum HS Do /
Liebeslyrik; 2/ eigene Fragen an das Gedicht, die noch nicht beantwortet sind)
I
Kennenlernen
* Leiter liest vor: „Linie wie lebendiges Haar“
[kurze Pause]
* Autorin
* Austeilen des Gedichts (Innen- /Außenkreis)
II
Kennenlernen jeder für sich: * Lesen (leise)
* Vorlesen untereinander im Innenkreis
[Bemerkung: Je besondere Art und Weise des Vortrags/ Sprechgeschwindigkeit; Sprechweise]
III Hinführung zum Gespräch: * [ES – ICH] Welche Wendung spricht mich besonders an?
(Motivation ist egal)
* Leiter nennt Arbeitsauftrag: Wendung lesen, einprägen (Blatt wenden), erinnern
[kurze Pause]
* Bitte des Leiters, die erinnerte Wendung den anderen vorzustellen
* Nennen der Wendungen
IV Inhaltliche Erarbeitung: * Impuls während des Hörens:(Leiter) Welche Bilder, Atmosphäre oder auch
Fragen stellen sich ein?
Form vs. Inhalt
Entwicklung von Fragen an das Gedicht Bsp.: todnachtgedunkelt und Versuch, diese zu beantworten
Nennung versch. Bilder und Versuch einer ersten Interpretation z.B. Sprungbrett, Nacht
Über eigene Emotionen und Vorerfahrungen stellen sich neue Bilder ein.
[Wechselspiel zwischen letzten beiden Punkten] (ICH-WIR-ES)
* Impuls des Leiters: Welche Antworten auf Fragen/Bilder finden sich im Gedicht?
* Bilder werden wieder aufgegriffen:
o inhaltlich (Erotik)
o strukturell (Kontraste werden aufgezeigt, z.B. innen vs. Außen
o Linie glatt vs. lebendig (gewellt)
[Bruch]
zurück zu Emotionen (von den Bildern);
Allgemeine Frage, ob das Gedicht eher Hoffnung ausdrückt oder nicht?
Antwort suchen/ finden in der letzten Verszeile „Aber so ist die Liebe –„
o Neue Aspekte kommen dadurch in den Blick: Bezug des Gedichtes (der Leidenschaft) auf :
Menschen oder ein Land?
o Versuche von Begründungen einzelner: ICH-DU (Beziehungen); Liebe selbst kommt zur Sprache
(in Kontrasten; als Trotz oder Aufbegehren)
o Liebe lebt von Kontrasten? Ist kontrastreich?
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Neu: Adressat (Toter oder Lebendiger); da nach Titel schaffen; je nach Adressatenbezug erhält das
Gedicht eine andere Konnotation (pos. oder negativ)
Neu: Bild eines „Instrumentes“, dass den Weg zum Tode angestimmt hat; weitere Assoziationen;
Bezug wieder auf letzte Zeile „Aber so ist die Liebe“: Was macht die Liebe aus? Unsicherheit,
Wagnis, Gefährlichkeit
Annahme: es handelt sich um ein Liebesgedicht, welches den traditionellen Vorstellungen von Liebe
widerspricht und zeigt, dass die Liebe auch Wagnis (bewusst / unbewusst) bedeuten kann, Risiko
eingehen etc.
Hinführung zum Schluss: Leiter: Unendlichkeit von Gesprächen über Literatur
Bezug/ Fragen an die Teilnehmer:
ICH: Gibt es eine Facette, die mir innerhalb des Gespräches vertrauter geworden ist?
Thema ES: Etwas, was mich anstößt, weiterzumachen?
ICH: Wie geht es mir damit?
(WIR im GLOBE: Darstellung eigener Positionen zum Gedicht; Veränderungen innerhalb des
Gesprächs durch das Gespräch [in Bezug zur eigenen Biographie]; Darstellung der
unterschiedlichen Herangehensweisen an das Gedicht; Wunsch nach näherer Bearbeitung: Brüche/
ICH und DU/ syntaktische Bezüge innerhalb einzelner Wörter und dadurch
Bedeutungsveränderungen/ Todessehnsucht, Todesangst
4. Beobachtungen von Daniela Lutz
Gesprächsverlauf
Eröffnung
o Leiter eröffnet das Gespräch, in dem er den Aufbau des Gesprächs kurz erläutert und auf die
momentane Atmosphäre und Situation eingeht
o Vorstellung der Personen und der persönlichen Erwartungen → Entstehung einer privaten und
angenehmen Atmosphäre
Prozess – Phasen - Brüche
o Der Leiter stellt das Gedicht vor – läßt den Beteiligten Zeit, in sich zu gehen und das Gedicht auf
sich wirken zu lassen
o Leiter teilt das Gedicht in schriftlicher Form aus, damit die Beteiligten sich in Ruhe den Text
anschauen können
o Beteiligte lesen nun das Gedicht – verschiedene Ausdrucksformen kommen ans Licht →
Individualität
o Durch das Aussuchen einer Textzeile, erlangen die Teilnehmer einen persönlichen Bezug zum
Gedicht
o Sie stellen ihre „persönlichen Zeilen“ vor und erläutern, warum sie jene gewählt haben –
Teilnehmer äußern sich über persönliche Stimmungen: „ ...welche Atmosphäre stellt sich ein,
wenn man die Sätze der anderen hört?“ - Leiter bringt auch sich und seine persönliche Sicht ins
Gespräch mit ein
o Eine Diskussion unter den Beteiligten entsteht
Schluss
o Die zuletzt gewonnenen Eindrücke werden reflektiert und gegen Ende erläutert und gesammelt
Leitung
o Leiter schafft Stück für Stück einen Zugang zum Text, in dem er ihn vorstellt und seinen
persönlichen Bezug zum Text erläutert. Anschließend läßt er ihn erst hören, dann sehen (lesen)
und erfühlen (Beschreibung der ersten Eindrücke, ein persönlicher Bezug durch selbst
ausgewählte Passagen, Zulassung aller Meinungen und Sammlung aller Emotionen)
o Leiter setzt bewußt Ruhemomente ein, damit die Teilnehmer über das Gesagte reflektieren
können: dadurch entsteht eine angenehme, enthemmende kommunikationsfördernde Situation
Nonverbale Reaktion
o Zu Beginn des Gesprächs herrscht eine angespannte Atmosphäre – fast alle Beteiligten sitzen in
geschlossener Körperhaltung auf ihren Plätzen – die Arme sind verschränkt
o Während des Gesprächs erlangen alle Beteiligten eine offene Körperhaltung – dies macht sie
auch bereit, auf die Gesten der anderen Rücksicht zu nehmen und aufeinander einzugehen
Beteiligung
o Anfangs zurückhaltend, weil keiner wußte, was ihn erwartet und ob sie den Anforderungen
gewachsen sein würden
o Je angenehmer die Atmosphäre wurde, desto sicherer und offener wurden die Teilnehmer und
desto mehr Beiträge wurden geäußert
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5. Beobachtungen von Julia Kafka
Eröffnung: Der Einstieg war sehr ruhig und langsam, Gesprächspartner können sich erstmal
aneinander ‚gewöhnen’ und ‚bewusst’ werden (wie sie sich selber fühlen und wie sich die Anderen
fühlen), auch das jeder seinen Namen noch mal genannt hat und wie er sich dabei fühlt. Wer wollte
hat das Gedicht laut vorgelesen
durch die unterschiedliche Betonung merkt man schon
unterschiedliche Bedeutung.
Gesprächsleiter: hat selber gesagt er hat noch viele Fragen an den Text
gut, er ist nicht
‚allwissend’, ermutigt die anderen.
Annäherung an den Text: durch Einprägung einer Wendung hatte jeder einen ‚Zugriff’ zu dem
Gedicht, man konnte sich an das ganze Gedicht ‚trauen’. Der Innenkreis sollte auch erst einmal nur
sagen „was gefällt mir an dem Text, gefällt mir nicht, was fällt mir auf“, etc. Dadurch hatte ich das
Gefühl, dass die Teilnehmer auch einen sehr persönlichen Bezug zu dem Gedicht bekommen
haben, was meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Die Fragestellung war sehr allgemein, so dass
jeder auch was dazu sagen konnte. Dann sozusagen von einer Makro- in eine Mikroebene: welche
inneren Bilder, welche Atmosphäre etc. sind mit dieser Redewendung verknüpft. Wenn dies vor der
‚allgemeinen’ Frage (was gefällt mir, gefällt mir nicht) gestellt wäre, wären Teilnehmer vielleicht
etwas überfordert bzw. eingeschüchtert gewesen.
Gesprächsleiter hat manchmal das eben Gesagte zusammengefasst (auch während des ganzen
Seminars)
finde ich gut um eigene Gedanken und die der Anderen zu strukturieren und zu ordnen.
Alle haben am Gespräch teilgenommen, sehr kooperative, ich hatte fast das Gefühl, dass die
Stimmung des Gedichts die Stimmung des Gesprächs widerspiegelt, sehr ruhig und fast
melancholisch, aber schön.
Einzelne Teilnehmer brachten ‚lit. Wissen’ mit ein, aber im Großen und Ganzen hatte ich das Gefühl,
dass das Gespräch mehr auf einer persönlichen Ebene statt fand, wie interpretiere ICH dieses
Gedicht, was sagt es MIR, etc.
Auch die Auswertung fand ich sehr gut. „Wie geht es mir jetzt im Augenblick“; „Was habe ich dazu
gelernt“, es war ein ‚sanfter’ Abschied und nicht abrupt.
6. Beobachtungen von Stefanie Metzger
Allgemeines (Beobachtungen an mir selbst):
Sehr beeindruckt hat mich meine persönliche Verstehensentwicklung durch die (passive) Teilnahme an
dem Gespräch. Nach der Erstbegegnung fand ich persönlich fast keinen Zugang, erlebte an mir eher eine
Abwehrhaltung.
Höchst faszinierend erlebt habe ich dann, die Schaffung des Zugangs durch das behutsame Herantasten
an das Gedicht: Besonders die Phase der Präsentation der einzelnen herausgegriffenen Wendungen
erzeugte eine sehr intensive, beeindruckende, nachdenkliche, zum Fragen anregende Atmosphäre. Die
Übergänge zwischen den einzelnen Phase vollzogen sich für mich verwunderlich unauffällig und
natürlich. Genauso unauffällig gewann ich meine persönlichen Zugang zu dem Gedicht.
Ich war nahe dran, meinen Stuhl zu schnappen und mich „einzumischen“ – was mich selbst sehr
überrascht hat. Gegen Ende hatte ich das Gefühl tatsächlich in meinem Verstehensprozess weiter voran
geschritten zu sein. Das Gedicht sprach mich nun - ganz im Gegensatz zum ersten Eindruck - sogar an.
Gesprächsverlauf
Eröffnung:
a) Willkommenheißen der Teilnehmer, Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Situation an sich,
Antizipation der positiven Haltung der Beobachter, Antizipation des folgenden Gesprächs
b) Vorstellungsrunde mit Äußerung zum derzeitigen Befinden
c) Gedichtseinführung, Begründung der Auswahl
Phase 1 (erste Gedichtsbegegnung):
a) Gedichtsbegegnung, -präsentation, erstes Vorlesen
b) Aushändigung des Textes, stilles Lesen,
c) erneutes individuell gefärbtes Vortragen
Phase 2 (erste Begegnung vertiefen, persönlich Bedeutsames aufnehmen):
a) Einprägen einer Wendung des Gedichts, die einen persönlich anspricht/auffällt
b) Lösen vom Text, Vortragen der Wendung, Stimmungen wirken lassen, Atmosphäre entsteht
(Assoziationen meinerseits: Gedicht schallt wi(e)der, Echo, Widerhall, viele Stimmen um einen
herum, intensive Wirkung, Nachdenklichkeit, Aufmerksamkeitsfokussierung)
Phase 3 (behutsame Reflexion der ausgewählten Wendungen)
a) Reflexion der durch die Wendungen entstehenden Bilder, Fragen, Atmosphäre, stark assoziativ,
flüchtige Gedanken werden geäußert (vereinzelte Ideen, in den Raum gestellte Fragen),
Annäherung durch offen gehaltene Fragen, Versuch von Stimmungsbildern, Versetzen in
unterschiedliche Atmosphären durch unterschiedliche Leseweisen
„Bruch“ (Betreten einer anderen Ebene: erste Deutungen von Einzelaspekten)
Erste direkte Interpretation zur Bedeutung von „Nacht“ im übertragenen Sinne. Erschien mir
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persönlich verfrüht, (Assoziation: verschultes, antrainiertes Verhalten, sofort vermeintlich(?)
Symbolisches deuten zu müssen), zerstörte für mich persönlich die erzeugte vorsichtig
herantastende, noch assoziative Phase, die in diesem Stadium für mich noch notwendig und mit der
Gruppenstimmung angemessen erschien. Ich selbst war noch nicht so weit, den nächsten Schritt zu
gehen, wodurch mir die Phase unvollendet schien und ich daher den explizite Interpretationsschritt
als inadäquat erlebte.
Durch die Reaktion der Gesprächsteilnehmer verflüchtigte sich dieser Eindruck jedoch schnell.
Zugleich bildete diese Phase den Übergang vom assoziativen eher vereinzelten Sprechen zum
Gespräch miteinander.
Phase 4: (weiterführender Schritt: Reflexion der Interpretationsansätze)
Einstieg in das Interpretationsgespräch im engeren Sinne, Interpretationsansätze zu einzelnen
Stellen („Nacht“ und „Sprungbrett“) mit direkt aufeinander bezogenen, sich bereichernden Beiträgen
– tatsächliches Gespräch
Phase 5 (Rückschau mit neuer Blickrichtung: Vorstellungsbilder werden textbezogen reflektiert):
Rückbezug auf den Text, Interpretation der entstandenen Eindrücke und Bilder in Bezug auf das
Gedicht und umgekehrt. Auffällig: Ging fließend über in Interpretationsansätze; Interpretation des
Gedichts aus den unterschiedlichen atmosphärischen Blickwinkeln.
Phase 6 (allgemeinere, textübergreifende Klärung)
Direkt aus der vorigen Phase ohne Bruch (!) erwachsener Klärungsbedarf: Expliziter Austausch über
das Wesen, den Inhalt und die mögliche Ausrichtungen von Liebesgedichten.
Phase 7: (sehr intensives Interpretationsgespräch)
Fruchtbarer Austausch, mit zahlreichen Denkanstößen, die sich wechselseitig bereichert und zum
Reflektieren angeregt haben. Weiterentwicklung des Verstehens und Verständigens, tiefes
intensives Gespräch.
Bruch: Schluss (Möglichkeit des persönlichen Resümee, Reflexion des Gesprächs an sich):
Musste aufgrund des intensiven, gerade so bereichernden Gesprächs als Bruch erlebt werden.
Abrundung durch bewusstes Wahrnehmen des persönlichen Befindens, des Erkenntnisstandes,
persönliche Verortung im Verstehensprozess, Austausch
7. Beobachtungen von Verena Mohr
Gesprächsverlauf:
Eröffnungsphase: der Gesprächsleiter (L) bittet die Teilnehmer (TN) sich bewusst zu machen, in
welcher Situation sie sich befinden, die Atmosphäre zu genießen, sich aufeinander und auf den Text
einzulassen, um so in diesem Rahmen ein Gespräch führen zu können.
TN sollen ihren Namen nennen und kurz ihre Erwartungen an das Gespräch äußern.
L stellt sich und seine Erwartungen auch kurz vor und leitet zum mitgebrachten Gedicht über, mit
dem er sich schon öfters befasst hätte und das über die Liebe gehe (Vorstellung des Themas).
Kennenslernphase: L liest das Gedicht vor und teilt es danach für die TN zum ruhigen Lesen aus. L
gibt den TN die Möglichkeit es den anderen laut und auf ihre Art und Weise vorzutragen. Danach
sollen sich alle eine Zeile oder einen Ausdruck aus dem Gedicht merken, der sie auf irgend eine
Weise anspricht und diesen dann auch vortragen.
1. Erarbeitungsphase: (das eigentliche literarische Gespräch beginnt erst in dieser Phase):
Das Gespräch entwickelt sich ausgehend von den eingeprägten Wendungen, indem die Atmosphäre
und Wirkung auf die TN, von den TN beschrieben werden soll. Die TN reden über ihre Eindrücke,
über die Bildhaftigkeit der verwendeten Wörter im Gedicht. Das Gespräch entwickelt sich ohne
Unterbrechungen weiter, die TN einigen sich über Blickkontakt, wer etwas beitragen möchte.
2. Erarbeitungsphase: L gibt neuen Denkimpuls an die TN: „Geben unsere Bilder eine Antwort auf
die Fragen, die das Gedicht aufwirft?“ TN kommentieren verschiedene Ausdrücke, befassen sich
aber vorwiegend mit der vorletzten Strophe und der letzten Zeile.
„Aber so ist die Liebe-“. TN diskutieren über die Liebe.
Schlussphase: L leitet den letzten Gedanken ein: „Literarische Gespräche haben die Neigung
unendlich zu sein, ich möchte es aber hiermit abrunden. Verinnerliche mal bewusst, ob es einen
Aspekt gibt, mit dem du dich weiter beschäftigen möchtest. Halte nochmals kurz inne, spüre, wie es
dir geht und komme dann zu dir selbst zurück.
TN erläutern ihre offenen Fragen an das Gedicht.
Leitung:
Der L. gab durch Impulse den TN Denkanstöße weiter, er verwendete keine geschlossenen Fragen,
den TN stand eine individuelle Antwortenpalette offen.
Insgesamt waren es nur drei Denkanstöße an die TN, die dann ohne direkte Steuerung des L. das
Gespräch führten.
L hatte Rolle eines Moderators, der die TN in eine ruhige, gelöste und angstfreie
Gesprächsatmosphäre versetzte „Einigt euch einfach, wer an der Reihe ist“.
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L äußerte seine eigenen Gefühle zu einem Ausdruck im Gedicht, legte diese offen und ohne
allgemeingültige Wertung dar „ So ist die Liebe-, da bin ich mir aber selbst unsicher. Für mich ist ein
Liebesgedicht, wenn die Liebe...“:→ Gleichberechtigung aller Sprecher.
L hatte eine offene Haltung gegenüber Interpretationsversuche der TN, kommentierte diese auch
nicht weiter „Ach ja, darauf bin ich noch gar nicht gekommen“.
Die Initiative der TN bestimmte den Gesprächsverlauf und nicht die des L.
Die TN hatten immer die Möglichkeit etwas beizutragen, weil der L nicht gezielt nach Dingen gefragt
hatte, sondern eigene Gedanken und Gefühle der TN zuließ.
8. Beobachtungen von Sabine Mosel
Beobachtungen des literarischen Gesprächs im Hinblick auf nonverbale Reaktionen. Bei der Darlegung
meiner Beobachtungen möchte ich eine Differenzierung zwischen der Eröffnungsphase und den
darauffolgenden Gesprächsphasen vornehmen:
Eröffnungsphase (bis einschließlich der Verkündung einer auserwählten Zeile des Gedichtes durch
die einzelnen Teinehmer/-innen):
Stimmungen/Atmosphäre: Diskrepanz zwischen Angespanntheit/ Unsicherheit und Gelassenheit
Nonverbale Reaktionen:
o Verschränkte Arme/ gefaltete Hände
o Aufrechte Sitzposition/ Körperhaltung
o „nervöse“, fragende, skeptische Blicke
Gesprächsphase:
Stimmungen/Atmosphäre: Anfangs vorhandene Skepsis/Anspannung nimmt sichtlich ab
Nonverbale Reaktionen:
o freie, spontane, natürliche Gesten (insbesondere Hände/ Arme)
o offene Körperhaltung
o bejahendes Nicken
o körperliche Anspannungen lassen nach = Muskeln entspannen sich (Vorlehnen des Oberkörpers,
bequeme Sitzpositionen werden eingenommen)
o intensiver Augenkontakt
9. Beobachtungen von Tanja Täuber
Ablauf: Innenkreis (10 TeilnehmerInnen), in dem das literarische Gespräch stattfindet
Außenkreis, der das Geschehen und das Gespräch im Innenkreis verfolgt (nach Beobachtungsaufgaben (Vorschläge auf dem Blatt)).
Gesprächsverlauf:
Begrüßung durch den Gesprächsleiter (Gerhard Härle)
Möglichkeit der Wahrnehmung der anderen Gesprächsgruppenmitglieder, der Atmosphäre.
Vorstellung der Teilnehmer und ihrer Gefühle.
Einführung des Textes:
Gerhard H.: Ich hoffe, einen Text ausgewählt zu haben, der ein Gespräch ermöglicht und den
Teilnehmern ermöglicht, den Text und sich kennen zu lernen.
Er hat ein Gedicht aus der Liebeslyrik gewählt (Bezug zum Seminar „Lyrik, Liebe, Leidenschaft).
Er macht auf das Gedicht neugierig, indem er zugibt: „Es ist ein Text, bei dem mir selbst auch noch
viel Fragen offen sind.“
Gerhard H. liest das Gedicht „Linie wie lebendiges Haar“ von Nelly Sachs laut vor
Kopien des Textes werden ausgeteilt.
Aufforderung zum Stillen Lesen.
Im Innenkreis wird das Gedicht zweimal laut vorgelesen (Sandra und Sabine).
Aufforderung (G. H. als Leiter): Auswählen einer Textpassage, die für mich persönlich wichtig ist.
Diese Wendung/ Verszeilen nun auswendig lernen/ verinnerlichen und das Textblatt weglegen.
Im nächsten Schritt stellen die GesprächsteilnehmerInnen ihre gewählten Verszeilen vor.
„Welche Bilder, Atmosphäre und Gefühle stellen sich ein, wenn ihr diese Wendungen hört?“
– todnachtdunkel Hoffnungslosigkeit
„Es ist spannend Worte zu erfinden, die es sonst in dieser Zusammenstellung nicht gibt“ (Sandra).
Verschiedene Gefühle und Bedeutungen durch variierende Betonung
Bildhaftigkeit der Wortgruppen ist sehr stark („Wir müssen uns ein neues Bild dazu konstruieren, weil
wir das Gehörte nicht in unseren Wissenshintergrund einordnen können“ (Enikö)).
Zu Zeile 12f (Der Abend wirft das Sprungbrett der Nacht über das Rot…)
Nacht als Sprungbrett für etwas Neues? Sprungbrett als Chance der Realität zu entweichen (z.B.
Karrieresprungbrett)?
Jeder kann seine eigene Bedeutung/ sein eigenes Bild finden.
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LIT. GESPRÄCH 09.05.03, S. 9
Gerhard H. (als Leiter): „Gibt das Gedicht eine Antwort auf unsere inneren Bilder? Geben unsere
inneren Bilder eine Antwort auf die Fragen, die das Gedicht aufwirft?“
„So ist die Liebe –“ (Z. 19): Liebe als Risiko (Sprungbrett), „entweder man wagt es oder man wagt es
nicht“
In welchem Zusammenhang steht die letzte Zeile („so ist die Liebe-“) mit dem Rest des Gedichtes?
Beschreibt das Gedicht, die Liebe selbst? (Also könnte man das Gedicht auch so beginnen: „So ist
die Liebe: Linie wie lebendiges Haar…“?) oder geht es um die liebe zu einem Menschen oder einem
Objekt (Christian)?
„Linie wie lebendiges Haar gezogen“ (Z. 1-3)
schmerzhaft? Spannung?
„Ist das Gedicht an jemanden Verstorbenen gerichtet?“ (Judith)
aussichtslos?
„ich setzt meinen Fuß zagend auf die zitternde Saite“ (Z. 16,17)
Bewusstsein, dass man sich auf
„unsicheres Terrain“ begibt. ( Liebe)
→ die Liebe kann nicht erzwungen werden, Liebe kommt und geht (= Wagnis
„Sprungbrett“,
„zitternde Saite“.
Auch bei der Liebe muss man aktiv handeln („setze meinen Fuß“ (Z. 16))
ich gehe ein Risiko ein,
mache dies aber bewusst ( Entscheidung).
Abschluss: Gerhard H. (als Leiter): „Wir merken, ein literarisches Gespräch hat kein Ende.“
Frage für die Abschlussrunde: „Gibt es einen nächsten Schritt, den ich jetzt gerne anschließen
würde? Wie geht es mir am Ende dieses Gesprächs?“
Schlussrunde
10. Beobachtungen von Martina Terhorst
Gesprächsverlauf (Eröffnung, Prozess – Phasen – Brüche, Schluss):
Der Gesprächsleiter (GL) eröffnet das Gespräch, indem er die äußeren Bedingungen nennt
(Beobachtungssituation)
Der GL sieht sich als gleichwertiger Teilnehmer, ; er nennt persönliche Interessen: er möchte weitere
Erfahrungen durch das Gespräch machen
Nach dem Vortrag des Gedichts lässt der GL das Gedicht wirken, indem er einige Zeit abwartet
GL gibt Arbeitsauftrag: Merken einer Zeile des Gedichts
Nach dem Vortrag der gemerkten Zeile: erster Beitrag eines GT: Wirkung des Wortes
„todnachtgedunkelt“ – Neukompositionen führen das Gespräch weiter
Beitrag des GL: „Sprungbrett“ gibt Anlass zur Weiterführung des Gesprächs
GL fordert die Teilnehmer auf Bezug auf den Text zu nehmen: jeder GT nennt zu Beginn die
Stimmung, die ihm durch das Gedicht vermittelt wird.
Nach und nach nehmen die GT mehr Bezug aufeinander
Eine weitere Wendung des Gesprächs ist zu erkennen: die Bezeichnung Liebesgedicht wird in Frage
gestellt: Beitrag des GL: Liebesgedicht, auch wenn die Liebe selbst zur Sprache kommt
Es fällt eine GT auf, die im Gegensatz zu den anderen GT die Beiträge der anderen GT häufig in
Frage stellt
Am Ende des Gesprächs fasst der GL den Ablauf des Gesprächs zusammen und gibt einen Anstoß
zum Weiterdenken.
Insgesamt waren drei Wendungen im Gespräch zu erkennen:
1. nach dem Vortrag der gemerkten Zeile jedes GT wird das erste Bild „todnachtgedunkelt“ genannt
2. GL nimmt Bezug auf das Bild „Sprungbrett“ – Gespräch gewinnt an genaueres „Hineingehen“ in
den Text
3. Infragestellen der Bezeichnung „Liebesgedicht“ – Richtungswechsel des G.
11. Beobachtungen von Tweila Wittmann
Sehr ruhige Ausstrahlung und Stimmlage des Leiters.
Leiter versucht am Anfang den Teilnehmern die Situation bewusst zu machen und damit die Angst
zu nehmen.
Leiter führt durch innere Bilder zum Gespräch über.
Falls Fragen vom Leiter gestellt werden, werden auch an ihn die Antworten gerichtet.
Nicht wertende Kommentare des Leiters nach einer Frage. Z.B. „Aha, darauf bin ich jetzt noch nicht
gekommen.“
Tiefes Ausatmen nach dem Äußern der Meinung (TN).
Bei Kommentaren des Leiters wird seitens der TN genickt. Gegenüber den TN ist dies nicht zu
beobachten.
Alle versuchen ihre Gesprächspassagen aufeinander zu beziehen.