Ausgabe 01/2016 als PDF
Transcrição
Ausgabe 01/2016 als PDF
Journal Allianz Journal_Das Letzte I MP RE SSUM 31 Allianz Journal 1/2016 (März) Zeitschrift für Mitarbeiter der Allianz Gesellschaften Herausgeber Allianz SE Verantwortlich für den Herausgeber Sabia Schwarzer Chefredaktion Frank Stern Layout volk:art51 Produktion repromüller Anschrift der Redaktion Allianz SE Redaktion Allianz Journal Königinstraße 28 80802 München Tel. 089 3800 3804 [email protected] Das für die Herstellung des Allianz Journals verwendete Papier wird aus Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung hergestellt 12 45 Himmelwärts: Das derzeit höchste Gebäude der Welt, das Burj Khalifa in Dubai, wird schon bald vom Kingdom Tower in Saudi Arabien übertroffen, Drohnen erobern überall den Luftraum, und selbst die Landwirtschaft geht in die Luft – wie in Singapur KURZ BERICHTET 4 Neues aus der Allianz Welt DEUTSCHLAND 31 Zeit der Drohnen Unbemannte Flugobjekte erobern den Luftraum 35 Die Schatztruhe von Güldengossa Eine Erfolgsgeschichte in Gold und Silber MEINUNGEN 7 Früchte der Angst Jessica Stern über islamistischen Terror und die Rolle der Medien 10 Leserbriefe AMERIK A 39 Old Broderick kehrt heim Das Erbe von Fireman’s Fund G LO B A L 12 Der Turmbau zu Jeddah In Saudi-Arabien wächst der erste Kilometerturm in die Höhe 16 Vertrauen in die Substanz Oliver Bäte über die Zukunft der Allianz 21 Steilpass für den Klimaschutz Die Allianz und die Klimakonferenz von Paris 24 Maschinenstürmer Seelenlose Konkurrenz: Wie Roboter uns unsere Jobs streitig machen 28 »Die Schocks von außen sind immens« Ralf Schneider über Chancen und Risiken der Digitalisierung ASIEN 42 Schlafender Riese Mark Mitchell über die AGCS in Asien und Wege aus dem Schattendasein 45 Gemüse auf Rundkurs Smart City Singapur: Der Stadtstaat als Trendsetter in Sachen Landwirtschaft 48 Zwischen den Welten Ece Berkün – über die ungewöhnliche Karriere einer ungewöhnlichen Frau 51 left: Adrian Smith & Gordon Gill Architecture | right top: Stern | right bottom: Sky Greens Roth Inhalt Liebe Leserinnen und Leser, Sie halten gerade die letzte Druckausgabe des Allianz Journals in Händen. Nach 27 Jahren stellt das Mitarbeitermagazin der Allianz Gruppe sein Erscheinen in Papierform ein. Für einen Redakteur, der das Journal über 20 Jahre mit gestaltet hat, nicht unbedingt ein Grund zum Feiern – es ist das Ende einer Ära. Aber es ist auch der Beginn einer neuen. Das Journal hat mit seinen Geschichten aus der Allianz Welt die Entwicklung des Unternehmens über die Jahre hinweg begleitet und sich dabei inhaltlich und vom Erscheinungsbild her ebenso verändert wie die Allianz selbst. Auf dieser und den folgenden Seiten haben wir jeweils ein Titelbild aus jedem der letzten 27 Jahre ausgewählt, die diese Entwicklung verdeutlichen. Mit dem Blick auf 27 Jahre ist das Journal auch eine Art zeitgeschichtliches Dokument, in dem der Mauerfall ebenso seinen Niederschlag gefunden hat wie der Terroranschlag auf das World Trade Center, der Jahrhunderttsunami 2004 ebenso wie der Arabische Frühling. Gleichzeitig war das Journal immer auch ein Ausdruck dessen, was die Allianz im Kern ausmacht, der Werte, die sie verkörpert, und der Rolle, die sie in der Gesellschaft spielt. Dass diese Rolle für ein Wirtschaftunternehmen nicht widerspruchsfrei ist, auch davon hat das Journal in der Vergangenheit immer wieder Zeugnis abgelegt. Mit dem Wechsel zu einer rein digitalen Version steht nun ein entscheidender Umbruch in der Geschichte des Journals an. Dieser Schritt birgt Risiken, aber auch die Chance auf eine inhaltliche und gestalterische Weiterentwicklung – und nicht zuletzt auf eine größere Reichweite. Als Dachmedium der Allianz Gruppe hat sich das Journal immer als Spiegel der Vielfalt im Unternehmen über Länder und Kontinente hinweg verstanden – identitätsstiftend nach innen, imagebildend nach außen. Diese Rolle wollen wir – in neuer Form – auch in Zukunft wahrnehmen. Wir bauen darauf, dass Sie die Treue, die Sie dem Allianz Journal über viele Jahre hinweg gehalten haben, auch dem Digitalmagazin entgegenbringen werden, mit dem wir im April an den Start gehen. Wir sehen uns auf W W W.WO R L D - O F - A L L I A NZ .C O M Ihr Frank Stern (Chefredakteur) Dilbert Allianz Journal_Das Letzte K U RZ B ERI C H T E T OPEX Quality Awards 2015 Allianz Unfall-App für Italiener Am 1. Dezember wurden in München die Sieger des 11. OPEX (Operational Excellence) Quality Awards bekanntgegeben. Aus den 24 Finalisten im Wettbewerb um das OPEX-Projekt des Jahres 2015 ging die Allianz Großbritannien mit ihrem Programm zur Verbesserung des Kfz-Schadenmanagements als Sieger hervor, mit dem die Reparaturzeiten für beschädigte Fahrzeuge erheblich reduziert wurden. Zum OPEX-Praktiker des Jahres kürte die Jury Ashley Lopez von der indischen Allianz Tochter ACIS für seinen Einsatz bei der Verbreitung der OPEX-Methodologie innerhalb der Allianz Welt. Italiener können seit letztem Jahr per App prüfen, ob ein Fahrzeug haftpflichtversichert ist oder nicht. In der Vergangenheit zeigte dies ein Sticker an der Windschutzscheibe an, dieser Nachweis wurde inzwischen aber abgeschafft. Die Allianz Italien hat eine App entwickelt, mit der man im Falle eines Verkehrsunfalls anhand des Autokennzeichens dennoch schnell herausfinden kann, ob der Unfallgegner versichert ist. Die App, die auch Nicht-Allianz Kunden zur Verfügung steht, greift dazu auf Daten des italienischen Versicherungsverbandes zurück. Selbst wenn der Unfallverursacher über keinen Versicherungsschutz verfügen sollte, besteht kein Grund zur Sorge: In diesem Fall werden Unfallopfer über einen extra dafür eingerichteten Fonds entschädigt. O P E X@A L L I A NZ .C O M W W W. A L L I A NZ . I T A USG EZ EICHN ET Shutterstock Shutterstock | Allianz Italien Joint Venture mit Baidu Genialloyd, der Direktversicherer der Allianz Italien, rangiert in der Kundengunst unter Italiens Kfz-Versicherern an der Spitze. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Boston Consulting Group zur Weiterempfehlungsbereitschaft. Die Allianz hat mit dem chinesischen Suchmaschinenbetreiber Baidu ein Joint Venture zum landesweiten OnlineVertrieb von Versicherungen gegründet. Auch der chinesische Finanzinvestor Hillhouse Capital ist an dem Unternehmen beteiligt, über das 90 Prozent aller chinesischen Internetnutzer erreicht werden sollen. Die drei Partner wollen Versicherungsprodukte für Reiseschutz, Onlinehandel und Finanzdienstleistungen sowie Krankenversicherungen anbieten, später sollen auch Kfz-Versicherungen hinzukommen. Experten gehen davon aus, dass der digitale Sektor in China in den kommenden Jahren rasant zulegen wird. Das Volumen der über OnlinePortale erwirtschafteten Versicherungsprämien soll sich in den nächsten fünf Jahren von aktuell 25 Milliarden Euro pro Jahr auf über 100 Milliarden Euro mehr als vervierfachen. Die Allianz steuert in ihrer Anlagepolitik um: Künftig wird der Konzern nicht mehr in Bergbau- und Energieunternehmen investieren, bei denen mehr als 30 Prozent des Umsatzes oder der Energieerzeugung aus Kohle stammen. Bis März werden Aktien im Volumen von 225 Millionen Euro abgebaut, Anleihen im Wert von 3,9 Milliarden Euro laufen aus. Darüber hinaus hat die Allianz angekündigt, das Thema Klimaschutz künftig in ihr gesamtes Geschäft zu integrieren und ihre Geldanlagen flächendeckend nach 37 Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung zu analysieren. Zu den Kriterien zählen unter anderem Treibhausgasemissionen, Energieeffizienz, Datenschutz und Korruption. Zudem will die Allianz mehr Schutz vor Klimarisiken in Entwicklungsländern bieten und ihre Investitionen in erneuerbare Energien von aktuell 2,5 Milliarden Euro mittelfristig verdoppeln. W W W. A L L I A NZ .C O M W W W. A L L I A NZ .C O M 4 Allianz in Kenia Die Allianz Italien ist bei den MF Innovation Awards 2015 für ihr modulares Allianz1 Business-Konzept mit dem ersten Platz in der Kategorie Firmen ausgezeichnet worden. Keine Kohle aus Kohle Die Allianz Island hat es zum fünften Mal in Folge in die Riege der finanzstärksten Unternehmen des Landes geschafft. Laut einer Untersuchung des Branchendienstes Creditinfo zählt die Allianz Tochter zu den 682 Unternehmen (knapp zwei Prozent), die die Liste der 35 000 in Island registrierten Firmen anführen. Die Allianz Afrika hat ihre Aktivitäten nach Ostafrika ausgedehnt und eine Niederlassung in Kenia gegründet. Damit ist die Tochtergesellschaft der Allianz France nun in zwölf afrikanischen Ländern vertreten. In Benin, Burkina Faso, Kamerun, Zentralafrika, Elfenbeinküste, Ghana, Madagaskar, Mali, Republik Kongo, Senegal und Togo gehört sie bereits jetzt zu den Marktführern. In Kenia leben 45 Millionen Menschen, das Versicherungsvolumen liegt derzeit bei rund 1,7 Milliarden US-Dollar. W W W. A L L I A NZ- A F R I C A .C O M Die Allianz France ist beim Preis der französischen Versicherungsindustrie für ihren neu eingeführten Video-Service für gehörlose Kunden mit Gold ausgezeichnet worden. Silber gab es in der Kategorie digitale Innovation für den Einsatz von Drohnen im Schadenmanagement. Allianz Worldwide Care ist bei den Professional Adviser International Fund & Product Awards als »Bester Internationaler Krankenversicherer« ausgezeichnet worden. Die Allianz Tschechien hat beim landesweiten Wettbewerb Fincentrum Banka roku 2015 sämtliche Preise abgeräumt. Die Allianz Tochter wurde Versicherer des Jahres, Lebensversicherer des Jahres und Kfz-Versicherer des Jahres. Allianz auf den Philippinen Die Allianz und die Philippine National Bank (PNB) haben eine Vereinbarung über eine exklusive Vertriebspartnerschaft mit einer Laufzeit von 15 Jahren geschlossen. Danach übernimmt die Allianz 51 Prozent an der PNB Life Insurance, der zehntgrößten Lebensversicherung auf den Philippinen. Das Gemeinschaftsunternehmen wird künftig als Allianz PNB Life Insurance firmieren. Durch die Vereinbarung erhält die Allianz exklusiven Zugriff auf landesweit mehr als 660 Geschäftsstellen und vier Millionen Kunden der viertgrößten Geschäftsbank des Landes. Der philippinische Lebensversicherungsmarkt bietet für Versicherungen ein erhebliches Wachstumspotenzial. In den Jahren 2010 bis 2015 lag das jährliche Prämienwachstum bei durchschnittlich knapp 20 Prozent. K U RZ B ERI C H T E T Meinungen PERSONALIEN Kooperation mit SOS Kinderdörfern Die Allianz und die Kinderhilfsorganisation SOS Kinderdorf haben im Herbst letzten Jahres eine globale Kooperation vereinbart. Unter dem Namen »Allianz Future Generation« starteten Allianz Gesellschaften in Rumänien, Deutschland, Frankreich und Indien bereits erste konkrete Projekte mit SOS Kinderdörfern in ihren Ländern. Dazu gehören unter anderem Freiwilligeneinsätze, gemeinsame Sportveranstaltungen, Spendenaktionen und Schulungsprogramme für Kinder. In Deutschland drehten sich die ersten Aktivitäten um minderjährige Flüchtlinge, die in SOS Kinderdörfern Aufnahme gefunden haben. Allianz Turm am Bosporus Der 42 Stockwerke hohe Allianz Turm verbindet moderne Architektur mit orientalischen Attributen Die Allianz Türkei hat im September ihre neue Zentrale in Istanbul bezogen und ihre drei Gesellschaften – Allianz Sigorta, Allianz Hayat ve Emeklilik und Allianz Yasam ve Emeklilik – unter einem Dach vereint. Das Allianz Hochhaus, in dem 1700 der insgesamt 2500 Mitarbeiter der Allianz Türkei ihre Büros haben, ist ein neues Wahrzeichen der Metropole am Bosporus und erfüllt die höchsten Standards an Energieeffizienz und Umweltfreundlichkeit. Auch in Sachen Digitaltechnologie setzt der Allianz Turm Maßstäbe. Seit der Übernahme der Yapi Kredi Versicherungsgruppe hatte die Allianz Türkei von zwei Standorten aus operiert – einem auf der europäischen Seite Istanbuls, einem auf der anatolischen. Die Allianz ist Marktführer in der Türkei und betreut fünf Millionen Kunden. W W W. A L L I A NZ S I G O R TA .C O M .T R 6 Allianz Türkei W W W. S O S - K I N D E R D O R F. D E Solmaz Altin, bislang Vorstandschef der Allianz Türkei, hat zum 1. Januar die Leitung der neu geschaffenen Einheit »Digitale Transformation« innerhalb der Allianz SE übernommen. Seine Nachfolgerin wurde Aylin Somersan-Coqui, zuvor Finanzvorstand der Allianz Türkei. Rémi Grenier, zuvor Vorstandschef von Allianz Global Assistance (AGA), ist zum 1. Dezember 2015 zum Präsidenten und CEO der Allianz Worldwide Partners (AWP) ernannt worden. Jacques Richier hat von Christof Mascher den Vorsitz des Aufsichtsrates von AWP übernommen, zusätzlich zu seinen Aufgaben als Vorstandschef der Allianz France. Sylvie Ouziel hat zum 1. Januar den Vorstandsvorsitz der AGA übernommen. Ihre Nachfolgerin als Vorstandsvorsitzende der Allianz Managed Operations & Services (AMOS) wurde Barbara Karuth-Zelle, zuvor Mitglied des Vorstands der AMOS. Iván de la Sota, zuletzt Vorstandschef der Allianz Spanien, hat im vergangenen November die Aufgaben als Regional CEO der ibero-lateinamerikanischen Region übernommen. Er folgte auf Vicente Tardío Barutel, der dieses Amt aus Altersgründen niedergelegt hat. Den Vorstandsvorsitz der Allianz Spanien hat José Luis Ferré angetreten, zuvor verantwortlich für Vertrieb und Marktmanagement. Bernd Valtingojer, zuvor Leiter des Bereichs Lebens- und Krankenversicherung der Allianz Mexiko, hat im Dezember den Chefposten bei der Allianz Argentinien übernommen. Er folgte Fabiana Castiñeira nach, die das Unternehmen verlassen hat. dpa / picture-alliance Früchte der Angst Terrorismusexpertin Jessica Stern über die Entwicklung des islamistischen Terrors in westlichen Gesellschaften und die Rolle der Medien beim Schüren der Angst. M ICHA EL G RIM M Mrs. Stern, warum laufen junge Männer Amok und töten unschuldige Menschen? Ich glaube, in Europa, insbesondere in Frankreich, leben viele Muslime in Gemeinschaften, die vom Rest der Gesellschaft abgekoppelt sind. Sie erleben Armut und Entfremdung und nicht selten Erniedrigung. Der so genannte Islamische Staat (IS) sagt jungen Menschen, die sich entrechtet fühlen: »Ihr könnt Teil von etwas Bedeutendem werden. Wir reinigen die Welt, schaffen etwas völlig Neues, und du kannst Teil davon sein. Du kannst dich neu erfinden und zum Helden werden.« Ihre Ideologie ist für Leute, die sich neu erfinden wollen, wie Sirenengesang. Wie ist die Situation in den USA? Dort sieht es etwas anders aus. Die meisten Muslime sind gut integriert und häufig sogar besser gestellt als ihre amerikanischen Landsleute. Eine Umfrage im Jahr 2011 hat gezeigt, dass Muslime zufriedener mit ihrem Leben sind als Nichtmuslime. Frühere Allianz Journal_Das Letzte M EI NUN G E N J E S S I C A S T E R N ist die Mitautorin des Buches »ISIS: The State of Terror«. Die Professorin an der Pardee School of Global Studies der Boston University hat an der Harvard University über Terrorismus gelehrt und war Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat von Präsident Clinton. Sie hat Terroristen in vielen Ländern interviewt, an Mitglieder der Terrororganisation Islamischer Staat aber kam sie als Frau nicht heran. Für ihr Buch »Terror in the Name of God: Why Religious Militants Kill« sprach sie mit christlichen, jüdischen und muslimischen Extremisten, mit militanten Abtreibungsgegnern und Anhängern von Timothy McVeigh, der 1995 in Oklahoma City einen Bombenanschlag auf ein Bundes- privat gebäude verübte, bei dem 168 Menschen starben. McVeigh wurde 2001 Jessica Stern Studien hatten ergeben, dass amerikanische Muslime wohlhabender und besser ausgebildet sind als nichtmuslimische Amerikaner. Bislang schließen sich weniger Amerikaner dem IS an als Europäer. Doch die Zahlen steigen. Präsident Obama hat Muslime aufgefordert, dafür zu sorgen, dass sich in ihren Gemeinden niemand radikalisiert. Und viele muslimische Eltern reden mit ihren Kindern über dieses Thema. Doch im vergangenen Jahr gab es in den USA 50 Strafverfahren im Zusammenhang mit dem IS. 40 Prozent der Verhafteten waren Konvertiten. Das zeigt, dass der IS inzwischen über die muslimische Gemeinschaft hinaus Einfluss hat. Eigentlich ist jeder, der sich dem IS anschließt, ein Konvertit, denn der IS hat eine neue Religion geschaffen, die auf einer sehr eigenwilligen Interpretation der religiösen Texte basiert. Diese neue Religion ist ein Mix aus salafistischem Jihadismus und Endzeitvisionen. IS-»Gelehrte« unterstützen nicht nur Takfir – die Praxis der Exkommunikation und Ermordung von Muslimen, die die Texte anders auslegen –, sie propagieren auch die sexuelle Versklavung von Kindern. In dieser 8 hingerichtet. Jessica Stern Hinsicht unterscheidet sich der IS deutlich von Al Qaida. Keiner ist mit dem Glauben an die IS-Ideologie aufgewachsen. Sie haben seit den 80er Jahren über Terrorismus geforscht. Was hat sich mit dem IS geändert? Was wir in den USA beobachten, ist das Phänomen der Selbstradikalisierung. Bislang gibt es keine Erkenntnisse, dass jemand aus Trainingslagern in Syrien oder dem Irak zurückgekehrt ist, um im Namen des IS Anschläge zu verüben, wie wir sie in Paris erlebt haben. Die bisherigen IS-Terrorakte wurden von Leuten ausgeführt, die sich selbst radikalisiert hatten. Selbstradikalisierung – die so genannten »einsamen Wölfe« – ist ein Trend, der Sicherheitsbehörden seit Jahren umtreibt. Einsame Wölfe haben Terrorakte im Namen der extremen Rechten verübt, im Namen von Neo-Nazis, christlichen Fundamentalisten und zunehmend von gewaltbereiten Islamisten. Ich will nicht sagen, dass es eine dramatische Zunahme gibt, aber es passiert häufiger. Der IS hat gezeigt, dass er ausländische Kämpfer erfolgreicher rekrutieren kann als jede andere jihadistische Organisation. »Terror ist willkürlich, und das macht uns Angst.« Wenn Sie sagen, das gab es auch schon früher, an was für Terrorakte denken Sie da? Viele Leute sagen, es habe noch nie eine so barbarische Terrorgruppe wie den IS gegeben. Doch es sind weniger die Gräueltaten des IS, die einzigartig sind. Das gab es in der Geschichte schon öfter – die Nazis, die Khmer Rouge usw. Es ist die Art, wie sich der IS mit diesen Taten brüstet. Sie wollen, dass die Welt sieht, dass sie Gräuel begehen. Doch selbst dieses Zur-Schau-Stellen ist nicht neu. Auch Al Qaida hat im Irak ihre Opfer geköpft und diese Taten gefilmt. Und vor ihnen taten es andere Terrorgruppen. Außer die sexuelle Versklavung von Kindern und jungen Frauen hat der IS keine seiner barbarischen Praktiken erfunden. Sie begehen mehr dieser Taten und sie brüsten sich mehr damit. Sie sind technisch weit professioneller in der Filmproduktion und darin, wie sie die sozialen Medien instrumentalisieren. Die ganze Welt weiß, was der IS tut. Früher waren darüber nur Leute wie ich informiert, die sich damit beruflich befassen. Die barbarische Gewalt des IS ist eine Form der psychologischen Kriegsführung, mit der Gegner eingeschüchtert und Unterstützer zu den Fahnen gerufen werden sollen. Einige davon werden durch die übermäßige Gewalt sogar besonders angezogen. Zur Zeit versuchen der Westen und seine Verbündeten den IS mit militärischen Mitteln einzudämmen. Ist das die richtige Strategie, oder könnte es den gegenteiligen Effekt haben? Wir müssen den IS von der globalen Wirtschaft abkoppeln, und wir müssen verhindern, dass er neue Anhänger rekrutiert. Wir müssen den Handel mit Öl, Antiquitäten und anderen Waren unterbinden, und wir müssen ausländische Kämpfer davon abhalten, die Reihen des IS in seinen Hochburgen zu verstärken. Dazu braucht es nicht nur Luftschläge, sondern auch eine stärkere Sicherung der Grenzen. Militärexperten betonen, dass es ohne Bodentruppen nicht gehen wird. Wer aber wird diese Truppen stellen? Diese Frage muss die ganze Welt beantworten. Doch eine Bodenoffensive wird viel mehr Wirkung entfalten, wenn sunnitische Araber daran teilnehmen, denn das widerspricht dem IS-Bild, der Westen führe Krieg gegen den Islam. Auch wenn eine militärische Antwort auf den IS notwendig ist, sie allein wird nicht reichen. Wir können seine Rückzugsgebiete im Irak und Syrien ziemlich schnell zerstören, wenn die internationale Gemeinschaft das beschließt. Das Problem ist, dass sich der IS bereits ausgebreitet hat. Er breitet sich in schwachen und gescheiterten Staaten aus und beansprucht bereits »Provinzen« in Afghanistan, Libyen, Jemen, Ägypten und Nigeria. Weit jenseits der Territorien, die er in Syrien und im Irak kontrolliert. Und er rekrutiert aktiv ausländische Kämpfer und ermuntert Anhänger, Anschläge in ihren Heimatländern zu verüben. Das größere Problem ist also der Kampf gegen die IS-Ideologie. Was ist das Besondere dieser Ideologie? Dem IS ist es gelungen, nicht nur entrechtete Muslime in der Region und darüber hinaus auf seine Seite zu ziehen, sondern auch Menschen, die die Machteliten zerstören wollen. Er spricht Muslime und Konvertiten an, die mit den Gesellschaften, in denen sie leben, unzufrieden sind. Ja, diese Ideologie basiert auf islamischen Texten, es ist eine Variante des salafistischen Jihadismus. Aber die Anziehungskraft reicht weit darüber hinaus. Al Qaida ist eine elitäre Organisation, der IS ist eine populistische. Er versucht, alle und jeden dazu zu verführen, sich ihm anzuschließen. Nicht nur Kämpfer, sondern auch Medizinstudenten, Ingenieure, Experten für soziale Medien. Das Besondere am IS ist, dass er seine Ideologie auf die jeweilige Bezugsgruppe zuschneidet. Sie spricht Menschen an, die sich mit den Unterdrückten dieser Erde identifizieren, auch wenn sie selbst nicht dazugehören. Was bedeutet für Sie Angst? Angst ist eine emotionale und physiologische Reaktion auf Bedrohungen für Leib und Leben. Sie lässt sich politisch ausschlachten und als Waffe einsetzen. Terrorakte sind deshalb so wirksam, weil sie großen Schrecken verbreiten, auch wenn sie relativ selten geschehen. Wenn wir ins Auto oder aufs Fahrrad steigen, sind wir weitaus größeren Gefahren ausgesetzt, aber daran denken wir nicht, weil wir fälschlicherweise glauben, alles unter Kontrolle zu haben. Terror ist willkürlich, und das macht uns Angst. Explosionen, Allianz Journal_Das Letzte M EI NUN G E N MEIN UN GEN M I C H A E L S H E L L E N B E RG E R ist Präsident des Breakthrough Institute, einer Forschungseinrichtung, die der Diskussion um Energie und Umwelt neue und oftmals provokante Aspekte hinzufügen will. »Die Probleme der Entwicklungsländer sind größer als die Klimasorgen des Westens.« Im Jahre 2004 haben Shellenberger und sein Partner Ted Nordhaus mit »The Death of Environmentalism: Michael Shellenberger Global Warming Politics in a Post-Environmental World« einen weltweit diskutierten Aufsatz publiziert. 2007 nannte das Wired Magazine ihr Buch Break Through (Durchbruch) das wichtigste Buch seit »Silent Spring« (auf Deutsch unter dem Titel Shutterstock »Die Anpassung an die Erderwärmung wird mehr Energie erfordern« dernen Spektakel aus dem Blick. Saubere Energie ist ein technisches Problem, und so sollte es auch behandelt werden. Meiner Meinung nach müsste man eher die besten Technikexperten der Welt an einen Tisch holen. In Paris sollte es um die Kooperation von Energieingenieuren aller wichtigen Staaten gehen, und zwar aus Industrie- und Entwicklungsländern gleichermaßen. Und darum brauchen wir ein radikales Umdenken in der Klimapolitik statt eine Hinwendung zu den Erneuerbaren? Die Entwicklungsländer werden im 21. Jahrhundert den größten Anteil an den Neuemissionen erzeugen. Dort wird der Schwerpunkt der neuen Energietechnologien liegen. Der Westen im Allgemeinen und Europa im Besonderen geraten ins Hintertreffen. Das Thema Energie im 21. Jahrhundert wird künftig von China und Indien bestimmt. Der Westen wird sicher keine Energiewende auf globaler Bühne herbeiführen. Die Entwicklungsländer wollen die Energie und den Reichtum, den auch Deutschland, Europa und der Westen genießen. Sie werden sich nicht mit der zweiten Reihe begnügen. Das heißt, der Rahmen ist ein völlig anderer, als der, den Paris und die Vereinten Nationen mit Blick auf Klimaschutz und Anpassung diskutieren. Viele meinen, es sei keine Zeit mehr, auf saubere Energietechniken zu warten. Die globale Bedrohung durch die Erderwärmung zeichne sich bereits ab. Was also ist zu tun? Wir sollten erstmal akzeptieren, dass die Probleme der Entwicklungsländer weit größer sind als die Klimasorgen des Westens. Das Thema Klimawandel kann man nicht losgelöst vom menschlichen Streben nach Entwicklung betrachten. Zweitens muss man konstatieren, dass auch die reichsten »Stiller Frühling« erschienen). 2008 erklärte das Time Magazine Shellenberger und Nordhaus zu »Heroes of the Environment« (Umwelthelden). privat Leserbriefe Meinungen Die Öffentlichkeit ist verunsichert und Klimaanpassung oder aus anderen Gründen. die Medien voller Schlagzeilen vom Das widerspricht dem traditionellen ökolowärmsten Monat, vom wärmsten Jahr, gischen Paradigma einer energiesparenden von Hitzewellen und Dürren. Viele Gesellschaft. Diese Vision der deutschen wissen jedoch nicht, was sie mit den Grünen und der amerikanischen UmweltInformationen anfangen sollen. Was schützer entstand Ende der 1960er, Anfang würden Sie empfehlen? der 1970er Jahre, lange bevor sich irgendÜberall passen sich die Menschen an. Unabjemand mit Klimawandel befasste. Davon ist hängig davon, ob die Hitzewellen durch den Klimawandel und die uns der Diskurs über Klimaw Klimawandel verursacht werden – die Leute Energieverbrauchs geblieben, Senkung des Energieverbrau bauen Entsalzungsanlagen. Über das israe- Allianz völlig reale Bedingungen Journallosgelöst 3/2015 von den realen lische Wasserentsalzungsprogramm wird in energieabhängigen Planeten auf unserem energieabhäng US-Medien ausführlich berichtet, aus offenim Allgemeinen und vom »au »aufstrebenden sichtlichen Gründen. Auch Kalifornien beRest«, den Ländern in Asien, Lateinamerika ginnt mit der Entsalzung. Aber es geht nicht und Afrika – im Besonderen. nur um Entsalzungsanlagen, auch in New York und anderen Großstädten verändern Glauben Sie mit Blick Blicck auf auff die d Klimagedie Menschen ihr Verhalten und stellen sich spräche in Paris, dass dasss Umweltschützer U mw auf extreme Wetterereignisse ein. Das lässt erkannt haben, und Politiker erkann nt h abe dass sie sich auch in armen Ländern wie Indien bewomöglich auf der ffalschen alssch he Fährte sind? obachten. Ob diese Hitzewellen nun durch intellektuelle Paradigma Natürlich nicht. Das intellektu Klimawandel verursacht werden oder nicht, für den Umgang mit dem Klimawandel Kli bedie Leute werden nach mehr Klimaanlagen steht schon seit 20 Jahren. Es befindet sich und Meeresschutzdämmen verlangen. All zurzeit in einer Krise und hat in der Öffentdas stellt uns vor eine interessante Herauslichkeit und einem Großteil der d politischen forderung: Die Anpassung an die Erderwärr verloren, behält Klasse seine Legitimation ver mung wird mehr Energie erfordern. jedoch seine Schlagkraft bei denen, die mit seiner Umsetzung beauftragt beauftrag sind. In Paris Und das erhöht die Emissionen. Davos: Man wird wird es so zugehen wie in Da Genau – zumindest am Anfang. Doch eine über all die Dinge zusammenkommen und übe stärkere Energienachfrage fördert auch reden, die man tun will. Völlig unverbindlich. technologische Innovationen. Und langfristig Klimakonferenzen sind sozial soziale Veranstaltunführt dieser Innovationsschub dazu, dass gen, bei denen Diplomaten aus a den reichen wir bei der Energieversorgung weniger CO2 Ländern zusammenkommen, zusammenkommen um sich gegenausstoßen, und so zum gemeinsamen Ziel seitig von den tollen Aktivitäten Aktivität zu erzählen, der Klimastabilisierung und der menschwollen. die sie in Angriff nehmen wo lichen Entwicklung beitragen. Die Idee, die Das alles ist weit entfernt von der Idee der Welt passe sich dem Klimawandel an, indem frühen 1990er Jahre von einem eine verbindlichen sie weniger Energie verbraucht, ist genau Vertrag – so wie das Montrea Montrealer Protokoll von das Gegenteil von dem, was tatsächlich geeiner war, 1988 zum Schutz der Ozonschicht Ozonsc schieht. Der Verbrauch wird ansteigen, wenn der UdSSR und oder die Einigung zwischen d die Menschen in den Entwicklungsländern Raketenabbau. Die wirkden USA über den Raketenab ihren Konsum erhöhen, sei es im Zuge der lichen Fragen geraten bei die diesem postmo- Länder der Welt ihre Emissionszusagen nicht einhalten. Drittens, schauen Sie sich das Verhältnis von gewonnener zu eingesetzter Energie an. Auch wenn manch einer es nicht hören will, in Bezug auf diese Kennziffer liegen Wasser- und Atomkraft unangefochten an der Spitze. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sehr schwierig sein wird, genügend Energie aus Sonne und Windkraft zu erzeugen, um die energiehungrigen Gesellschaften in Europa, Asien oder den USA zu versorgen. Wenn Sie sich Sorgen um den Klimawandel machen, weiß ich nicht, wie Sie das Problem ohne Nuklearenergie lösen wollen. Die Krux mit der Atomkraft ist, dass sie bei vielen eine Riesenangst auslöst – zumindest im Westen. Aus gutem Grund. Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn Sie arme Entwicklungsländer wie Indien und China besuchen, dann stellen Sie fest, dass man sich dort keine Gedanken um den Klimawandel oder die Atomkraft macht. Dort sorgt man sich eher darum, wie man Hunderttausende von Kleinbauern aus der erdrückenden Armut befreit. Es ist schwer auszumachen, in welchem Maße die derzeitige Furcht vor Atomkraft auf die nach Harmonie strebenden grünen Ideologien aus den Zeiten des Kalten Kriegs oder auf die Ängste nach Fukushima zurückgeht. Diese Ideologien und Ängste Michael Shellenberger W W W.T H E B R E A K T H R O U G H .O RG sind besonders stark in Deutschland, aber auch in Kalifornien und Tokio anzutreffen. Die Geschichte zeigt, dass neue Technologien oft Ängste schürten – und dass die Menschen sie irgendwann überwanden. Elektrizität hat Leuten Angst gemacht. Flugzeuge haben ihnen Angst gemacht. Im 17. und 18. Jahrhundert hassten die Menschen in Deutschland und Großbritannien die Kohle. Heute haben Amerikaner Bedenken beim Fracking von Erdgas, dennoch nutzen wir die Technologie in großem Umfang. Erdgas ist dadurch so günstig geworden, dass es gerade Kohle ersetzt. Wegen Atomenergie mache ich mir keine allzu großen Sorgen, denn selbst wenn man die Probleme durch Unfälle berücksichtigt, zeigen Gesundheitsstudien, dass sie viel sicherer ist als fossile Brennstoffe. Und es ist klar, dass in den kommenden Jahrzehnten bessere Nuklearanlagen entwickelt werden. Chinas Investitionen in fortschrittliche Nukleartechnik sind außergewöhnlich. Über diese Klima- und Energiegeschichte wird im Westen kaum berichtet. Alle – Bill Gates, Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology, die chinesische Regierung, Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley – alle konkurrieren sie darum, den ersten schmelzsicheren Kernreaktor der Welt zu bauen. Aber die wichtigste Entwicklung auf dem Energiesektor weltweit ist derzeit der Übergang von Kohle und anderen primitiven Energiequellen zum Erdgas. Die Erdgasrevolution geschieht nicht nur in den USA, sondern überall. Afrika verfügt über riesige Mengen an Erdgas. Das wird in den nächsten Jahrzehnten bei der Senkung des CO2-Aufkommens bei der Energieerzeugung eine entscheidende Rolle spielen. Was ist mit Nuklearabfällen? Gibt es irgendeine Öko-Sorge, die übertriebener wäre, als die um Atommüll? Ich glaube nicht. Der ökologische Lebenszyklus von Energie ist einfach zu verstehen. Man will einen möglichst geringen Verbrauch an natürlichen Ressourcen, einen großen Energieertrag, geringe Mengen an Abfällen und Null Verschmutzung. Das leistet nur eine Energiequelle: Atomkraft. Natürlich entstehen dabei radioaktive Abfälle. Aber das ist nur eine winzige Menge, die einfach zu lagern und zu überwachen ist. Und irgendwann – früher als die meisten annehmen – werden sie recycelt und wiederverwendet. Aus ökologischer Sicht sind Holzbrennstoffe am schlimmsten. Es werden riesige Mengen an Holz – also Wälder – zur Gewinnung sehr geringer Mengen Energie verheizt, mit einem hohen Maß an Umweltverschmutzung. Vier Millionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von Holzrauch. Kohle ist der zweitschlechteste Energieträger. Ganze Berge 10 11 Die globale Klimadiskussion befindet sich nach Ansicht von Michael Shellenberger in einer Krise. Der Leiter des Breakthrough Institutes sieht die westliche Umweltbewegung in romantischen Vorstellungen verfangen und die Atomenergie noch längst nicht am Ende. MICHAEL GRIMM Massenerschießungen, zusammenstürzende Gebäude – die Bilder gehen uns nicht aus dem Kopf. Und genau darauf setzt Terror. Die Angst reicht viel weiter als die eigentliche Gefahr. Anfang August setzte ein Waldbrand Fahrzeuge auf einem Highway in Kalifornien in Brand. Folge der Rekordhitze im westlichen Teil der USA, die viele dem Klimawandel anlasten. Wie stufen Sie diese extremen Wetterereignisse ein? Die Öffentlichkeit reagiert sehr sensibel auf den Klimawandel. Und die Region um die San Francisco Bay unterscheidet sich da in keiner Weise von Deutschland oder Europa. »Wenig Substanz« Entsteht die Dürre durch die menschengemachte Klimaerwärmung, oder ist sie Teil eines natürlichen Zyklus? Führende Wissenschaftler sind sich da uneins. Da gibt es einerseits die Umweltbewegung, die jeden Tag verkündet, der Mensch sei schuld. Auf der anderen Seite sagen Wissenschaftler, es lasse sich kein direkter Zusammenhang herstellen. Unterdessen fragt sich die Öffentlichkeit: Was bedeutet das alles für mich persönlich? dazu nicht in einer Propagandazeitschrift der Atomlobby, sondern in meinem Allianz Journal. Wäre spannend zu erfahren, was Michael Shellenberger für die Romantisierung einer lebensfeindlichen Technologie und die gleichzeitige Diffamierung der erneuerbaren Energien bezahlt bekommt, und von wem. Ich kann nur hoffen, dass die Allianz dafür nicht auch noch ein Honorar bezahlen musste. 9 Zum Interview mit Michael Shellenberger zum Thema Klimawandel erreichten uns eine Reihe von Zuschriften. Gernot Gruber von der Allianz in Stuttgart und zugleich klimaschutzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, schreibt: Das Interview mit Michael Shellenberger hat erschreckend wenig Substanz. Bereits die Überschrift »Die Probleme der Entwicklungsländer sind größer als die Klimasorgen des Westens« gaukelt vor, dass wenig idealistische Wohlstandsbürger im Westen beim Thema Klimaerwärmung an den Problemen der Entwicklungsländer vorbei die Minderung der Treibhausgase, Energiesparen und die Förderung regenerativer Energien vorantreiben wollen. Nur am Ende wird Shellenberger konkret: Wenn sich die Deutschen Sorgen ums Klima machen, »sollen sie sich auf eine 100-prozentige Energieversorgung mit Atomstrom zubewegen«. Auch wer die Risiken der Atomkraft und des Atommülls dem Klimaschutz und der von Menschen gemachten Klimaerwärmung zuliebe in Kauf nehmen will, wird gerade im Interesse der Entwicklungsländer nicht umhin kommen, Energie zu sparen, effizienter zu nutzen und regenerative Energien zu fördern. Die regenerativen Energien bieten gerade für arme Länder in dezentralen Strukturen wichtige Entwicklungsmöglichkeiten. »Ideologisch gefärbt« Auch Steffen Kinzler von der AMOS in Stuttgart hält Shellenbergers Argumente für nicht stichhaltig: Ich schreibe praktisch nie Leserbriefe, aber hier kann ich nicht an mich halten. Ich sage mir immer, dass man auch die Meinung des Anderen hören sollte, aber hier frage ich mich: Muss man wirklich allem Raum geben, was es an Meinungen auf der Welt gibt, und seien sie noch so abstrus und ideologisch gefärbt? Man wünscht Herrn Shellenberger eine Ferienwohnung am menschenleeren Strand von Fukushima, oder – wenn er Wälder bevorzugt – in der nun seit vielen Jahren naturbelassenen Gegend um Tschernobyl. Furcht vor Strahlung, eine »Öko-Sorge«? Noch dazu eine »übertriebene«? Dieser Müll sei nur »eine winzige Menge, die einfach zu lagern und zu überwachen ist«? Ich reibe mir die Augen bei so viel Ignoranz. Der Mensch neigt ja dazu, immer das als unwichtig abzutun, was ihn nicht unmittelbar betrifft. Warum hat denn kein Land der Welt bisher einen Ort für ein Atommüll-Endlager? Weil es niemand bei sich im Umfeld haben will, und zwar aus wissenschaftlich hart belegten biologischen und geologischen Gründen, nicht aus Öko-Romantik. Das Problem des Atommülls wird lächerlich gemacht, hingegen das von potenziellen Unfällen, dass ganze Regionen unbewohnbar werden und einen nicht bezifferbaren volkswirtschaftlichen Schaden verursachen, wird komplett ausgeblendet. Stattdessen wird davor gewarnt, »idyllische Landschaften« mit den für erneuerbare Energie notwendigen Einrichtungen »zu übersäen«. Auch weniger offensichtlich kommuniziert Herr Shellenberger seine Meinung zum Klimawandel: Dass der Mensch schuld sei, »verkündet die Umweltbewegung«, dass dieser Zusammenhang aber nicht herzustellen sei, »sagen Wissenschaftler«. Ich nehme an, der Klimarat IPCC, Friedensnobelpreisträger 2007 und Auftraggeber für Tausende Wissenschaftler, gehört in seinen Augen ebenfalls zur »Umweltbewegung«… Ich bin ganz ehrlich fassungslos, so etwas lesen zu müssen, noch Hannes Kerle von der Allianz Deutschland in München zum selben Thema: Das Interview mit Michael Shellenberger finde ich mehr als schräg. Wie kann ein »Hero of the Environment« (Held der Umwelt) derartig fahrlässig über Atomenergie schwafeln. Dass die Energiewende in Deutschland schlecht gemanagt wird, sieht leider auch ein Blinder, aber zu argumentieren »Wären die Deutschen um die Umwelt besorgt, würden Sie sich auf 100 Prozent Atomstrom zubewegen«, finde ich absolut daneben. Zum einen bin ich der Meinung, auf einem Bein zu stehen, ist schwierig und in den meisten Fällen falsch. Ein sinnvoller Mix ist dem immer vorzuziehen. Auch das Statement »Wir sollten akzeptieren, dass die Probleme der Entwicklungsländer weit größer sind als die Klimasorgen des Westens« zeigt aus meiner Sicht eine extrem unreflektierte Ansicht von Herrn Shellenberger. Falls der Westen sich nicht mit Klimasorgen befasst, werden nach Ansicht vieler Experten die Entwicklungsländer zuerst darunter leiden. Es geht nicht darum, ein Problem gegen ein anderes auszuspielen, sondern man muss Lösungen für beides erarbeiten. Die Probleme der Atomenergie mit den Ängsten vor Elektrizität und Flugzeugen gleichzusetzen, spricht eher für zielgerichtete Argumentation, als für Ausgewogenheit. Darunter leiden dann auch jene Gedanken, die durchaus verfolgenswert wären. Mein Fazit: Solche Helden werden nicht gebraucht. »Geschmacklos« Allianz Vertreter Stefan Schubert aus Chemnitz konnte sich mit dem Dilbert-Comic nicht anfreunden: Der Dilbert-Comic ist ziemlich geschmacklos, passt aber leider in das aktuelle Umfeld zum Verhalten im Unternehmen, vor allem uns Vertretern gegenüber. Schade, dass Sie an dieser Stelle nichts wirklich Witziges auftreiben konnten. Shutterstock Widmen wir dem IS zu viel Aufmerksamkeit? Sollten wir ihn nicht eher ignorieren? Das ist sehr schwer. Die Menschen erwarten von den Medien, dass sie über Ereignisse, mögen sie gut oder schlecht sein, berichten. Terroristen sind sich darüber im Klaren, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssen, um Wirkung zu erzielen. Zawahiri, der derzeitige Chef von Al Qaida, hat die Medien als das wichtigste Schlachtfeld bezeichnet. Und das ist unser Dilemma. Margaret Thatcher bezeichnete die Medien einmal als den Sauerstoff des Terrorismus. Wir wissen, dass er statistisch gesehen, keine große Gefahr darstellt. Aber wir sind auch emotionale Wesen. Selbst Risikoexperten, die sich mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen auskennen, reagieren im Privatleben emotional. In meinem Land versuchen gerade einige Politiker, die Furcht der Menschen für sich auszunutzen. Sie unterscheiden nicht zwischen normalen Muslimen und jihadistischen Terroristen. Das ist völlig kontraproduktiv. Der IS will, dass das Leben von Muslimen im Westen so unerträglich wird, dass sie zwischen den westlichen »Kreuzfahrern« und dem IS wählen müssen. Diese Polarisierung ist genau das, was der IS erreichen will. Unnütze Helden 10 Allianz Journal_Das Letzte Global Der Turmbau zu Jeddah Es gab Zeiten, da galten die USA als das Mekka der Hochhausbauer. Heute stehen drei Viertel der höchsten Wolkenkratzer in Südostasien und dem Nahen Osten. In Saudi-Arabien wächst gerade das erste kilometerhohe Gebäude der Welt in den Himmel. Die Allianz ist beim Turmbau zu Jeddah als Versicherer dabei. Dollar teure Mammutwerk am Roten Meer soll 2019 übergeben werden. Versichert wird der Bau, der von der Jeddah Economic Company in Auftrag gegeben wurde, von einem aus zehn Gesellschaften bestehenden Konsortium, angeführt von der AGCS. F RA NK ST E R N Clive Trencher ist fasziniert von den Mega-Hochhäusern der Neuzeit, von ihrer architektonischen Kühnheit, ihrer bahnbrechenden Bautechnik, ihrer schwerelosen Eleganz. Und im Moment ist der gelernte Ingenieur ganz nah dran: Von London aus leitet Trencher für Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) die Bewertung der technischen Versicherungsrisiken für den Bau des höchsten Gebäudes der Welt – den Kingdom Tower im saudi-arabischen Jeddah. In den vergangenen zwölf Jahren hat sich die durchschnittliche Höhe der Wolkenkratzer auf der Welt in etwa verdoppelt. Nächster Spitzenreiter auf der nach oben offenen Hochhausskala wird mit über 1000 Metern der Kingdom Tower sein. Das über anderthalb Milliarden 187 m Singer Building, New York 12 213 m Metropolitan Life Tower, New York 241 m Woolworth Building, New Yort Deren Risikoexperten zählen auf dem Gebiet der Himmelstürme zu den erfahrensten der Branche. Sie waren bei den Petronas Towers in Kuala Lumpur, dem ersten weltgrößten Gebäude außerhalb der USA, ebenso dabei wie bei Taiwans Taipei 101, den noch während der Bauarbeiten ein Erdbeben der Stärke 6,8 traf; beim One World Trade Center in New York ebenso wie beim Shard in London, dem mit 310 Metern höchstem Wolkenkratzer Westeuropas. Und auch an der Absicherung der Bauphase beim aktuell größten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa in Dubai, war der Spezialversicherer der Allianz Gruppe beteiligt. Der Kingdom Tower in Jeddah stellt sie alle in den Schatten. Trencher ist von Design und Technik der Betonnadel, in der an die 50 000 Menschen leben und arbeiten werden, beeindruckt: 167 Stockwerke, auf 630 Metern die höchste Aussichtsplattform der Welt, 58 Fahrstühle, die mit zehn Metern pro Sekunde in die Höhe schießen, ein Penthouse als Krönung eines Gebäudes, das mit seinen rund eine Million Tonnen Gewicht auf 270 Betonpfeilern 319 m Chrysler Building, New York 381 m Empire State Building, New York 417 m World Trade Center, New York Wolkenkratzers die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung verbunden – oder wie im Fall der Canary Wharf in London oder von Lower Manhattan in New York auf die Wiederbelebung eines unattraktiven Stadtviertels. ruht, die bis zu 150 Meter in den Untergrund ragen – ein nie dagewesener Superturm, ein Statement, ein Zeichen. Als gelernter Bauingenieur hat Clive Trencher vor allem die technische Machbarkeit solcher Projekte im Auge. Bevor er vor fünf Jahren zur Allianz wechselte, hat er bei Baufirmen und Zeichnungsbüros eng mit Architekten zusammengearbeitet – häufig ein Tauziehen zwischen Vision und Schwerkraft, wie er sagt. »Architekten mögen es möglichst schlank und filigran, sie stellen sich vor, wie Menschen später in ihren Häusern leben werden, und wie diese mit der Umgebung interagieren«, erzählt er. »Ingenieure dagegen wollen zunächst mal sicherstellen, dass das Teil nicht umkippt. Es ist ein ständiger Kampf.« Dabei gehen die Meinungen über die Monumente aus Beton und Glas häufig recht weit auseinander. So wie beim 20 Fenchurch Street in der Londoner City, das die Briten wegen seiner geschwungenen Form kurzerhand Walkie-Talkie getauft haben. Clive Trencher hält das Gebäude, das bei der Allianz versichert und nur einen Steinwurf von der AGCS-Zentrale entfernt ist, für einen architek1930 standen 99 tonischen und wirtder 100 höchsten schaftlichen Erfolg. Gebäude in Nordamerika, allein Dass es 2015 mit dem die Hälfte davon in Carbuncle Cup für den New York. Heute hässlichsten Bau des stehen drei Viertel der höchsten Jahres in Großbritan- Unterm Brennglas Was in Jeddah gerade Etage um Etage aus dem Wüstenboden wächst, soll in einigen Jahren zum Kristallisationspunkt eines neuen urbanen Zentrums werden – Kingdom City. Das Streben nach Höherem sei zumeist kein Selbstzweck oder nur der Jagd nach Prestige geschuldet, sagt Trencher. Oft sei mit dem Bau eines außergewöhnlichen 452 m Petronas Towers, Kuala Lumpur Wolkenkratzer in Südostasien und dem Nahen Osten 509 m Taipei 101, Taipei 828 m Burj Khalifa, Dubai 1000 m Kingdom Tower, Jeddah 1000+ m Höhe bis zur Spitze In 630 Metern Höhe entsteht die höchste Aussichtsplattform der Welt. Durchmesser: 30 Meter In der Silvesternacht brach in einem Hochhaus in Dubai ein Feuer aus, das sich schnell ausbreitete. Experten diskutierten die Sicherheit des für Außenfassaden benutzten Materials M E G A - H O C H H ÄU S E R – M E G A - R I S I K E N Die große Schöne nien bedacht wurde, findet er ziemlich ungerecht: »Es ist wie mit der Kunst – jeder hat dazu eine andere Meinung.« Aussichtsplattform Wobei Kunstwerke normalerweise keine Armaturenbretter in Autos schmelzen lassen, wie es im Sommer 2013 vor dem Walkie-Talkie passierte. Die gekrümmte Glasfassade des 37-stöckigen Gebäudes hatte das Sonnenlicht so stark reflektiert, dass sich die Plastikteile eines davor geparkten Jaguars verformten. Nun ist London nicht unbedingt für seine glühend heißen Sommer bekannt, doch an einigen Tagen im Jahr wird es auch an der Themse hell. Die Baufirma brachte schließlich Sonnenblenden an der Südseite des Gebäudes an. Seiner Attraktivität hat die Episode offensichtlich nicht geschadet – 95 Prozent der Flächen im Walkie-Talkie sind vermietet. 167 Stockwerke Das ist bei solchen Mammutprojekten nicht selbstverständlich, weiß Trencher: »Es können zehn Jahre ins Land gehen, um ein Hochhaus dieser Größe vollständig zu belegen.« Das kommerzielle Risiko ist jedoch nur eines von vielen. Ob sich die Investitionen am Ende bezahlt machen, darüber entscheidet zum Beispiel auch, wie schnell, wie effizient und wie sicher das Transportsystem in dem Gebäude funktioniert. »Die Fahrstühle sind einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren«, hebt Trencher hervor. 58 Aufzüge Bei all den Superlativen, die Technikfans begeistern, gibt es beim Bau von MegaHochhäusern Herausforderungen, die Ingenieuren die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Wie evakuiert man im Notfall die Tausenden Bewohner einer vertikalen Stadt? Wie kann man der Terrorgefahr und möglichen Cyberangriffen begegnen? Wie bändigt man das Brandrisiko? Wie sorgt man dafür, dass der Turm bei Sturm nicht ins Wanken gerät? Wie stellt man die Wasser- und Stromversorgung sicher, und wie muss der öffentliche Nahverkehr ausgelegt sein, um einen sicheren Transport der Menschenmassen zu und von einem solchen Superturm zu gewährleisten? Und wie lässt er sich nach Ende der Nutzungsphase sicher und wirtschaftlich wieder abreißen? Ob ein solcher Wolkenkratzer so funktioniert, wie es sich die Architekten vorgestellt haben, zeigt sich erst im Alltagsbetrieb. »Man weiß es erst, wenn alle Etagen bewohnt sind und jeder gleichzeitig den Wasserhahn aufdreht, die Klimaanlage anschaltet oder auf den Liftknopf drückt«, sagt Clive Trencher. »Egal, wie viel man vorher getestet und geprobt hat.« Der größte Turm der Welt ist noch nicht fertig, da macht schon die Nachricht von einem noch höheren Gebäude die Runde: Ein Londoner Architektenbüro hat Ende letzten Jahres Pläne für einen 1152 Meter großen Wolkenkratzer vorgestellt. The Bride (die Braut) – so der Name der großen Schönen – soll in Basra im Irak entstehen. Und auch damit ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht: Visionäre träumen bereits vom Ein-Meilen-Turm (etwa 1,6 Kilometer). Experten halten so einen Bau in den nächsten 20 bis 30 Jahren für möglich. In Zukunft, so glaubt Clive Trencher, könnte es durchaus vertikale Städte geben, in denen Menschen ihr ganzes Leben verbringen – dort aufwachsen, zur Schule gehen, Familien gründen, im Alter versorgt werden und schließlich auch dort sterben. »Gar kein so abwegiger Gedanke«, sagt der Risikoexperte. »In manchen Städten kann man diese Entwicklung bereits heute beobachten.« H T T P ://S K Y S C R A P E RC E N T E R .C O M/B U I L D I N G/ K I N G D O M -T O W E R /2 Stern 637,5 m Im Kingdom Tower soll es 58 davon geben. Superschnell und statt von Stahlseilen von ultraleichten Karbonfaserkabeln getrieben. Die Fahrstuhlschächte werden über 600 Meter hoch sein. Die Höhe ist auch für die Betonmischer eine nie dagewesene Herausforderung. »Um die gewaltigen Kräfte zu bändigen, braucht es einen superstarkem Beton«, erläutert Trencher. »Und es braucht massive Spezialpumpen, um ihn in einem Schwung 600 Meter nach oben zu befördern.« 270 Betonpfeiler 14 Bei all den Superlativen, die Technikfans begeistern, gibt es allerdings auch Herausforderungen, die den Ingenieuren die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Wie evakuiert man im Notfall die Tausenden Bewohner einer vertikalen Stadt? Wie kann man der Terrorgefahr und möglichen Cyberangriffen begegnen? Wie bändigt man das Brandrisiko – sowohl während der Bauphase, als auch nach Fertigstellung? Wie sorgt man dafür, dass der Turm bei Sturm nicht ins Wanken gerät? Wie stellt man die Wasser- und Stromversorgung sicher? Wie muss der öffentliche Nahverkehr ausgelegt sein, um den Transport der Menschenmassen zu und von einem solchen Superturm zu gewährleisten? Und schließlich: Wie lässt er sich nach Ende der Nutzungsphase sicher und wirtschaftlich wieder abreißen? dpa / picture-alliance Adrian Smith & Gordon Gill Architecture GLOBAL Clive Trencher Allianz Journal_Das Letzte GLOBAL Die Allianz auf dem Weg in eine neue Ära: Mit einem umfassenden Erneuerungsprogramm soll die Gruppe für die Anforderungen der Zukunft fit gemacht werden. Im folgenden Interview erläutert Allianz Chef Oliver Bäte, worauf es ihm dabei ankommt. Ein Gespräch über Wahrheit, Vertrauen und die Möglichkeit des Scheiterns. FRA NK STE R N Vertrauen in die Substanz Oliver Bäte Allianz Herr Bäte, Sie sind jetzt seit zehn Monaten im Amt, die ersten Schritte hin zu einer Allianz neuen Zuschnitts sind gemacht. Ist es schwierig, die Mitarbeiter von der Dringlichkeit des Wandels zu überzeugen? Im Gegenteil. Unsere Mitarbeiter, insbesondere diejenigen, die direkt mit unseren Kunden zu tun haben, wissen, dass vieles von dem, was wir jetzt angestoßen haben, eigentlich überfällig ist. Sie warten darauf, dass wir ihnen die technischen Hilfsmittel und die Verfahren an die Hand geben, mit denen sie den Anforderungen einer digitalisierten Welt gerecht werden können. Das 16 gilt im Übrigen auch für unsere Produkte: Die sind oft viel zu kompliziert – und das nicht nur für die Kunden, sondern auch für unsere Mitarbeiter selbst. Die Reduzierung von Komplexität ist das, was Kunden und Mitarbeiter jetzt von uns erwarten. Keine Reibungspunkte? Keine Widerstände? Es hat sicher eine Weile gedauert, unser Top-Management auf das Thema Kundenorientierung einzuschwören, weil viele anfangs gemeint haben, dass sie das doch schon längst machen. Wir haben dann die Fakten auf den Tisch gelegt, insbesondere die Umfrageergebnisse zur Kundenzufriedenheit. Und da war auch dem Letzten klar: Nein, wir machen es eben nicht. Das war ein Weckruf. Auch das Thema Digitalisierung ist nun vom Rand in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Ich war in Köln im Callcenter der Schadenabteilung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an den Kundenschnittstellen sitzen, warten darauf, dass wir ihnen die richtigen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen. Wir haben heute kein Erkenntnisproblem mehr. Wir kennen die Schwachstellen und stellen die richtigen Fragen: Warum ist unser Handwerkszeug nicht besser? Warum führen wir IT ein, die nicht richtig funktioniert? Warum haben wir diese ganzen, komplizierten Produkte, die kaum ein Mensch versteht? Jeder weiß, worauf es ankommt. Jetzt geht es um die Frage, wie wir den Umbau so hinbekommen, dass wir uns nicht verzetteln und uns nicht auf halbem Wege die Luft ausgeht. der Kundenzufriedenheit. Nur 47 Prozent unserer Tochtergesellschaften liegen heute in ihren jeweiligen Ländern in Sachen Kundenzufriedenheit im oder über dem Marktdurchschnitt. Das kann nicht unser Anspruch sein. Bis 2018 wollen wir 75 Prozent erreichen. Ende letzten Jahres haben Sie einen Dreijahresplan vorgestellt. Wie soll die Allianz im Jahre 2018 aussehen? Werden Kunden und Mitarbeiter die Allianz dann noch wiedererkennen? Das hoffe ich doch. Die wichtigste Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, ist die Verbesserung Ein ziemlicher Sprung. Sicher, da liegt eine Menge Arbeit vor uns. Dabei geht es nicht nur um solche Dinge wie die Reduzierung der Briefpost und den Wechsel auf digitale Kommunikationskanäle. Es geht vor allem um eine Veränderung der Unternehmenskultur und um die Frage, wie wir mit unseren Kunden umgehen. Das wirkt übrigens auch auf uns selbst zurück: Durch zufriedene Kunden bekommt man zufriedene Mitarbeiter – und umgekehrt. Die wesentlichen Hebel sind die Vereinfachung von Produkten und die Beschleunigung von Prozessen. Womit wir wieder beim Thema Digitalisierung wären. In vielen Fällen antworten wir Kunden, die uns eine E-Mail schicken, immer noch per Brief, auf den sie, wenn es dumm läuft, bis zu zwei Wochen warten müssen. Das kann nicht sein. Was das angeht, hoffe ich, dass wir die Allianz in drei Jahren tatsächlich nicht mehr wiedererkennen. Allianz Journal_Das Letzte GLOBAL Sie legen die Latte ziemlich hoch. Sie wollen, dass sich die Allianz beim Kundenservice mit Firmen wie Google und Apple misst. Überfordert das die Organisation nicht? Das glaube ich nicht. Und im Übrigen: Wir kommen um diese Messlatte gar nicht herum, denn es sind die Kunden, die sie uns hinhalten. Ihre Erfahrungen werden heute von Google & Co. geprägt, und wenn wir mit diesem Standard nicht mithalten können, gehen sie zu einem Unternehmen, das ihnen diesen Standard auch in der Finanzdienstleistungsbranche bieten kann. Das heißt, wir haben gar keine Wahl. In den letzten zehn Jahren haben wir insbesondere in den Kernmärkten Europas kontinuierlich Kunden verloren. 2015 haben wir das Blatt erstmals wieder wenden können. Ich verstehe die Bedenken von manchen, und man muss diesen Wandel behutsam angehen. Nur eines muss klar sein: Wir können uns nicht in einen Kokon einpuppen und darauf hoffen, dass der Sturm vorüberzieht. Denn das wird er nicht tun. Denken Sie über die Möglichkeit des Scheiterns nach? Na klar. Bereitet Ihnen der Gedanke Sorgen? Nein, sonst könnte ich so einen Job nicht machen. Wenn ich mich ständig mit Verlustängsten und der Furcht zu scheitern beschäftigen würde, könnte ich die Aufgaben nicht erledigen, die vor uns liegen. Ich habe großes Vertrauen in die Allianz und ihre Substanz. Die Sache wird nicht leicht, vieles von dem, was wir angehen, ist harte Kärrnerarbeit. Und es wird sicher auch nicht gleich alles klappen. Aber wir müssen uns trauen, selbst auf die Gefahr hin, dabei Fehler zu machen. Doch vieles von dem, was wir uns vorgenommen haben, werden wir schaffen. Da ist mir überhaupt nicht bange. Schauen Sie sich nur mal an, in welcher Geschwindigkeit wir in der Lebensversicherung auf eine völlig neue Produktgeneration umgestellt haben. Wer hätte uns das denn vor drei Jahren zugetraut? 18 Es geht nicht darum, ob der Bäte seine Ziele erreicht oder ob er scheitert. Es geht darum, ob die Allianz in Sachen Kundenorientierung den Quantensprung hinbekommt. Ansonsten wird sie nicht zukunftsfähig sein. Ab 2018 sollen pro Jahr gruppenweit Produktivitätsgewinne von einer Milliarde Euro erzielt werden. Wie viele Stellen wird das kosten? Das lässt sich heute nicht beziffern. Allerdings, und das sage ich auch klar: Ganz ohne Stellenabbau wird es nicht gehen. Alles andere wäre unehrlich. Es wird Bereiche geben, in denen man mit digitalen Prozessen schneller, besser und kostengünstiger vorwärtskommt. Denken Sie an das Thema Poststraße, Papierversand usw. Auf der anderen Seite nimmt der Bedarf an qualifizierter Kundenberatung und damit die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften in diesem Bereich zu. Es entstehen neue Aufgaben, etwa bei der Betreuung unserer Kunden über soziale Medien, im Kundenservice, in der Telefonberatung usw. Schon vor Jahren hatten Sie kritisiert, dass von allen Branchen die Versicherungswirtschaft die schlechteste Produktivität habe. Hat sich in der Zwischenzeit nichts getan? Die kontinuierliche Steigerung der Produktivität ist eine Hauptherausforderung für die Allianz. Vor allem bei der IT müssen wir nachlegen. Wir haben ein IT-Budget von weltweit rund 3,5 Milliarden Euro. Aber wenn ich mir anschaue, was da an Produktivitätssteigerung für das Unternehmen herauskommt, dann ist das bisher einfach zu wenig. Unsere Produktivität ist heute nicht viel besser als vor zehn Jahren. Und das trotz unglaublich aufwändiger Veränderungsprozesse und nicht unerheblichem Stellenabbau. Das erzähle ich nicht, um jemanden zu ärgern, sondern um darauf hinzuweisen, dass, wenn wir uns nicht ändern, irgendjemand kommen und eine bessere Lösung bieten wird. Wir sehen es an Uber oder Airbnb: Die Geschäftsmodelle verändern sich rasend schnell. Ich hasse Restrukturierungsprogramme. Sie sind immer ein Beweis dafür, dass das Management geschlafen hat. Wenn man vor die Mitarbeiter hintreten und sagen muss, 20 Prozent von euch müssen sofort gehen, dann ist das eine Bankrotterklärung. Auch Sie wollen Stellen abbauen. Aber wir brechen nichts übers Knie. Es ist immer besser, mit dem Sozialpartner kontinuierlich im Austausch darüber zu stehen, wo die Reise hingehen soll, wo wir in den nächsten fünf Jahren bei der Produktivität stehen müssen und welche langfristigen Maßnahmen dafür erforderlich sind. Man muss kritische Punkte frühzeitig ansprechen, damit man genügend Zeit hat, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Was bedeutet die Digitalisierung für Allianz Vertreter? Wird es diesen Vertriebskanal in Zukunft überhaupt noch geben? Unbedingt. Manche Sachen kann man digital sicher besser und schneller machen. Aber die persönliche Beratung ist nicht zu ersetzen. Ob die jetzt immer in einer Agentur stattfindet, oder ob wir das in Zukunft über Skype und andere Formate machen, wird sich zeigen. Aber ich rechne fest damit, dass wir auch in zehn oder 20 Jahren noch erfolgreiche Vertreter haben werden. Wie viele wird aber davon abhängen, wie unsere Beratungsleistung von den Kunden bewertet wird. Das ist weniger eine Frage der Technologie als vielmehr eine Frage der Qualität. Und da müssen und können wir uns vom Wettbewerb abheben. Die Kundenbeziehung baut auf Vertrauen auf. Sie haben letztes Jahr den Verkauf alter Lebensversicherungsverträge ins Gespräch gebracht, um Kapital gewinnbringender einsetzen zu können. Beschädigt man damit nicht das Vertrauen von Kunden, die sich ja aus gutem Grund für die Allianz entschieden hatten? Da schwingt der Vorwurf mit, wir ließen unsere Kunden im Stich. Das tun wir nicht, aber wir können auch nicht auf Dauer Verluste produzieren. Lassen Sie mich das kurz erklären: Wir haben Lebensversicherungspolicen mit äußert ungünstigen Vertragskonditionen im Bestand, wo häufig auch die Kunden wissen, dass sich diese Verträge für uns gar nicht rechnen können. Damit schaden wir im Endeffekt anderen Kunden. Wenn wir nun für diese Pakete einen seriösen Käufer finden, der in einem anderen steuerlichen Umfeld und mit einem besseren regulatorischen Kapitalmodell arbeitet, dann ist das sowohl für uns und unsere Kunden, als auch für den Käufer von Vorteil. Die Presse hat Sie in der Vergangenheit nicht immer freundlich behandelt. Wie viel Selbstbewusstsein braucht man, um nicht an sich zu zweifeln, wenn Kritik auf einen einhagelt, und wie viel Selbsterkenntnis, um zuzugeben, dass manche durchaus berechtigt ist? Also, ich lese solche Berichte häufig nicht. Da wird vom McKinsey-Berater geredet, dem kühlen Rechner usw. Diese Stereotypen gehen einem irgendwann auf die Nerven. Mir ist es wichtiger, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen. In meiner Zeit bei der Allianz wurden zwei umfassende Umfragen zu mir gemacht. Beim letzten Mal wurden dazu mehr als 100 Mitarbeiter und Kollegen interviewt, auch von außerhalb der Allianz. Da bekommt man dann schon ein sehr vollständiges Bild davon, wie man ankommt. Nicht alles, was man da hört und sieht, gefällt einem, aber es ist ein ehrliches Feedback, an dem man sich orientieren kann. Was bewirkt so ein Feedback? Man lernt einiges über sich. Als ich zur Allianz kam, sagte mir Michael Diekmann, wenn ich in dem Unternehmen erfolgreich sein wolle, müsse ich mein Kommunikationsverhalten und meinen Führungsstil verändern. Und er vertraute darauf, dass ich das hinkriege. Man sollte Menschen zutrauen, dass sie sich ändern wollen und dass sie sich entwickeln können. Gleichzeitig sollte man als Mensch authentisch bleiben. Wenn die Leute das Gefühl haben, da verstellt sich einer, ist das keine gute Basis. Die Organisation möchte ja, dass man erfolgreich ist, und das ist auch der Grund, warum ich hier sehr glücklich bin: Ich habe kaum jemanden getroffen, der missgünstig ist und sich ständig fragt: Warum der? Warum nicht ich? Managementberater Manfred Kets de Vries hat in einem Journal-Interview GLOBAL »Ein Unternehmen lässt sich nicht nach der letzten Meinungsumfrage führen.« gesagt, dass Leute in leitenden Positionen von Lügnern umstellt sind und kein reales Feedback mehr bekommen. Wie begegnen Sie dieser Gefahr? Wenn man der Vorstandsvorsitzende ist, ist die Gefahr natürlich groß. Um ihr entgegenzuwirken, braucht man Kollegen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Es hilft auch, wenn man sich auf Vertraute außerhalb der Zentrale stützen kann, die einem unverblümt die Wahrheit sagen. Wenn man zulässt, dass konstruktive Kritik keinen Raum mehr hat, ist man schon verloren. Claqueure helfen nicht. Aber eines ist natürlich auch klar: Allen kann man es nicht recht machen. Ein Unternehmen lässt sich nicht nach der letzten Meinungsumfrage führen. Haben Sie die Jahre bei der Allianz verändert? Ich glaube schon. Zum Beispiel habe ich gelernt, Wichtiges stärker von Unwichtigem zu unterscheiden. Ich fing bei der Allianz zu Beginn der Finanzkrise 2008 an, zu einem Zeitpunkt, als die Hütte lichterloh brannte. Da wurde schon recht ordentlich an unseren Grundfesten gerüttelt. Damals wurde mir klar, dass für die Allianz die Frage der Integrität und der Stabilität Grundvoraussetzungen ihrer Existenz sind. Es nützt nichts, wenn wir super innovativ und produktiv sind, der Laden aber bei starkem Sturm zusammenfällt. Unsere Kunden müssen darauf vertrauen können, dass egal wie stark der Sturm bläst, egal wie stark die Erde wackelt, die Allianz steht. Darauf baut alles andere auf. Zum anderen hat sich, glaube ich, mein Kommunikationsstil geändert. Ich versuche auch heute, intern wie extern Dinge beim Namen 20 zu nennen, aber vielleicht bin ich dabei etwas höflicher als früher, weniger polarisierend – und ein besserer Zuhörer. Geht die Spontaneität verloren? Ein wenig schon. Man wird disziplinierter. Manchmal wünschte ich mir, ich müsste nicht immer so hundertprozentig auf Disziplin achten, weil man sich dadurch natürlich doch ein wenig verpuppt. Doch wo jeder aus der Stellung der Mundwinkel oder der Augenbrauen eine Botschaft herausliest, geht es wohl nicht anders. Das ist Teil meiner Rollenbeschreibung. Ihr Vorgänger Michael Diekmann hat mal gesagt, die Stellung des Vorstandschefs bringe es mit sich, dass Freundschaften leiden und für die Familie zu wenig Zeit bleibt. Geht es Ihnen auch so? Was Freundschaften angeht, habe ich andere Erfahrungen gemacht. Die sind eher intensiver geworden. Ich habe viele Freunde außerhalb meines Berufslebens und die rücken näher heran. Aber ich komme leider kaum mehr dazu, abends mal spontan ins Kino oder ins Theater zu gehen. Der Job bringt es mit sich, dass man kulturell ein wenig verarmt. Das muss sich irgendwann wieder ändern. Ich habe immer viel gearbeitet, aber man braucht eine gewisse Balance. Man braucht Zeit für Reflexion und man braucht Zeit für die Familie, auch wenn meine Kinder und meine Frau akzeptiert haben, dass ich im Wesentlichen nur am Wochenende für sie da bin. Beim Wochenende aber mache ich keine Kompromisse. Wenn mich einer am Freitagabend anruft, wenn ich mit meinen Kindern beim Abendessen sitze, und es ist nicht etwas wirklich Wichtiges, dann gibt es Ärger. Jeder Mitarbeiter braucht solche Freiräume, um sich auch mal mit etwas anderem zu beschäftigen. Das muss man an manchen Stellen in der Allianz noch lernen. Es ist einfach eine Frage des Respekts. Ich habe große Probleme mit Leuten, die am Freitagabend E-Mails herumschicken, auch wenn die Sache bis Montagmorgen Zeit hat. Das zeigt mir, dass sie nicht nachdenken. Wer Berichte über Sie liest, könnte meinen, dass in Ihrem Leben immer alles glatt gelaufen ist. Sind Sie schon mal an etwas gescheitert? (Lange Pause) Also ich habe sicher viel Glück gehabt. Das kann man nicht anders sagen. Aber es war nicht immer ein gerader Weg. Ich habe mein MBA-Studium an der Abendschule gemacht, bin nicht in Harvard gewesen, habe kein Stipendium erhalten und auch keine Doktorarbeit geschrieben. Ich habe tagsüber gearbeitet und bin abends zur Uni gegangen. Mit dem Lehrgeld als Bank-Azubi ließen sich auch keine großen Sprünge machen. Ich habe zusätzlich als Tellerwäscher und Kellner gearbeitet, auch später noch als Student. Das macht einen sehr unabhängig, und man lernt einiges über Menschen. Aber lustig war das nicht. Viele meiner damaligen Kommilitonen machen sich heute noch darüber lustig, dass ich gearbeitet habe, während sie Partys gefeiert haben. Das holt man kaum wieder rein. Dennoch, diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Reuters Oliver Bäte Steilpass für den Klimaschutz Christina Figueres, Generalsekretärin der UN-Klimarahmenkonvention, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Laurent Fabius, Präsident der Pariser Klimakonferenz, und der französische Staatspräsident François Hollande (v.l.) feiern den erfolgreichen Abschluss der Weltklimakonferenz Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn die Klimaerwärmung gestoppt werden soll, die Wissenschaftler zum großen Teil für menschengemacht halten, müssen die Emissionen drastisch gesenkt werden. Dieses Prinzip hat der Pariser Klimagipfel bestätigt. Dass die Ankündigung der Allianz, aus dem Kohlegeschäft auszusteigen, dennoch für so viel Wirbel gesorgt hat, zeigt, wie zögerlich die Finanzindustrie bisher agiert. M ICHA EL G RIM M Die Pariser Klimaverhandlungen wurden von den meisten Teilnehmern und Beobachtern als Erfolg gefeiert. Not schweißt eben zusammen. Auf Kyoto mussten allerdings viele weitere Dürren, Überschwemmungen und Smogkatastrophen folgen, bis sich die Weltgemeinschaft auf ein gemeinsames Ziel einigen konnte: Die Erderwärmung muss begrenzt werden, mindestens auf zwei, besser noch auf 1,5 Grad. Doch was bedeutet das konkret? Wie sollen die Ergebnisse aus den Pariser Verhandlungs- zimmern umgesetzt werden? Und auf welche Akteure kommt es jetzt an? Um zu erklären, wo die Gesellschaft nach Paris steht, greift Christoph Bals, der politische Geschäftsführer von Germanwatch, auf eine Analogie aus dem Fußball zurück: »Aufgabe der Klimagipfel ist es, den Ball möglichst nahe an den Strafraum zu bringen. Das ist dieses Mal gelungen. Die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Allianz Journal_Das Letzte GLOBAL Es ist vor allem der letzte Punkt, dem der Analyst besondere Bedeutung beimisst. Lebensversicherungsgelder als Motor für die Energiewende in einem Schwellenland wie Indien? Warum nicht? Wenn auf multi- oder bilateraler Ebene durch Risikoübernahme die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. »Ein solches Engagement der Allianz als größter Versicherer Europas hätte nicht nur symbolische Bedeutung«, sagt Bals. »Es könnte den Durchbruch für die globale Energiewende bedeuten.« Das Prinzip steckt schon im Begriff: Bei dieser Investitionsform kommt es auf die »crowd«, die Masse, an. Auf Deutsch wird auch immer wieder von Schwarmfinanzierung gesprochen. Bekannt wurde das Finanzierungs-Modell vor allem durch die Start-Up-Szene. Junge Unternehmen werben um Startkapital, das früher klassischerweise von Banken zur Verfügung gestellt wurde. Doch da immer weniger Geldhäuser dieses Wagnis eingehen, wird diese Lücke inzwischen von privaten Investoren ausgefüllt. Ihnen winken Renditen von fünf Prozent und mehr. Denkbar wäre auch, dass die Investoren erst zu einem späteren Zeitpunkt in ein Projekt einsteigen, wenn die Anfangsfinanzierung bereits gewährleistet ist. Dann ist das Risiko auf Anlegerseite geringer. dpa / picture-alliance C RO W D - I N V E S T I N G Die Marshall-Inseln, die im Schnitt nur zwei Meter aus dem Wasser ragen, sind durch den vom Klimawandel verursachten Anstieg des Meeresspiegels besonders betroffen Abschlusses ist also gestiegen. Die Vorlage muss nun auf nationaler oder transnationaler Ebene, wie der EU, verwandelt werden.« Das Abwehrbollwerk der üblichen Verweigerer ist erst einmal überwunden. Mehr noch, Länder wie die USA und Brasilien haben sich sogar der so genannten »Koalition der Ambitionierten« angeschlossen. verdichten sich die Anzeichen, dass es den Ländern nun ernst ist mit der Emissionsreduzierung. »Selbst aus China kam die Nachricht, dass in den nächsten drei Jahren keine neuen Kohleminen erschlossen werden. Die Regierung in Peking stellt sich darauf ein, dass der Kohleverbrauch zurückgeht«, berichtet Bals. Das Ende des fossilen Zeitalters Es ist also angerichtet. Der Pariser Plan fordert von seinen Unterzeichnern, sich alle fünf Jahre neue Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu setzen. Wer nicht mitzieht, muss zwar keine Strafen, aber Glaubwürdigkeitsverluste fürchten, »so als würden Ratingagenturen den Daumen senken«, erklärt Bals die Spielregeln. Neben staatlichen Akteuren sieht er auch die Wirtschaft in der Pflicht. Vor allem von den Investoren fordert er nun die notwendige Zielstrebigkeit vor dem Tor. So wie sie die Allianz unter Beweis gestellt habe. Ihr Auftreten sei vielversprechend, sagt Bals. Das neue, informelle Bündnis im Klimaringen besteht aus mehr als 100 Staaten. Mit dabei: Industriestaaten der EU und anderer Regionen sowie Entwicklungsländer. Und sie alle wollten auf keinen Fall wieder mit leeren Händen den Verhandlungstisch verlassen. Den entscheidenden Steilpass legten die kleinen Länder auf, angeführt von den Marshall-Inseln. »Wenn die nicht so viel Druck gemacht hätten, hätten wir nie so ein ambitioniertes Abkommen bekommen«, sagt Gipfelteilnehmer Bals. Die Ausgangslage sei nie besser gewesen, nun endlich die notwendigen Regulierungen und Rahmensetzungen zu verwirklichen. In der Tat hatte die US-Regierung schon im Vorfeld der Verhandlungen mit dem American Business Act on Climate Pledge für Rückenwind gesorgt. Bisher haben sich über 150 US-Firmen mit einem geballten Jahresumsatz von mehr als vier Billionen US-Dollar verpflichtet, an der Dekarbonisierung mitzuwirken. Und selbst wenn das Herzstück zukünftiger US-amerikanischer Klima- und Energiepolitik, der Clean Power Plan, unter Federführung von Präsident Obama immer noch hart umkämpft ist, so 22 Als Gründe führt der Aktivist drei Punkte ins Feld: Erstens unterwirft das Unternehmen nicht mehr nur Randbereiche seiner Investitionen den so genannten ESGKriterien (Environment, Social, Governance/Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung), sondern wendet diese Richtlinien nun auch dort an, wo das meiste Geld angelegt ist – im Bereich Lebensversicherungen. Zweitens sendet die Allianz mit ihrem Kohleausstieg das Signal aus, dass das fossile Energiezeitalter zu Ende geht. Drittens hat sie erklärt, dass sie sich noch stärker als bisher bei der Finanzierung der globalen Energiewende engagieren will. Einer, der sich im Auftrag der Allianz seit Jahren mit der neuen Klimarealität auseinandersetzt, ist Karsten Löffler. Löffler ist Geschäftsführer von Allianz Climate Solutions, dem Kompetenzzentrum der Allianz für das Thema Klimawandel, das für die Klimastrategie der Gruppe zuständig ist und sich mit neuen Geschäftsfeldern in einer immer wärmer werdenden Welt beschäftigt. Die Truppe um Löffler ist in Europa und zunehmend auch in Schwellenund Entwicklungsländern aktiv, und das nicht erst seit Paris. Zumeist geht es bei den Projekten um Versicherungslösungen und Beratung beim Risikomanagement für Erneuerbare-Energien-Anlagen. Zögerliche Akteure »Viele der Risiken können wir managen, aber es gibt auch solche, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegen, vor allem politische und Währungsrisiken«, sagt Löffler. Dann komme es darauf an, mit öffentlichen Partnern vor Ort gemeinsam erste Schritte zu wagen. Jeder steuert das bei, was er am besten kann. Das senkt die Risiken für jeden Einzelnen. »Wir kennen die Erneuerbaren, die Risiken, die politische Agenda, und wir wissen, wie der öffentliche Sektor tickt.« Dieses Wissen ist gefragt. Vor allem bei innovativen Finanzierungsformen wie Crowd-Investing (siehe Kasten auf Seite 22). Dabei sind verschiedene Spielarten denkbar. Eine wäre: Mit Hilfe staatlicher Gelder, die die Bundesregierung zum Beispiel aus dem Topf der internationalen Klimaschutzinitiative schöpft, werden kleinere Erneuerbare-Energienoder Energieeffizienz-Projekte angeschoben. Das können zum Beispiel Solaranlagen in Afrika oder in Lateinamerika sein. Partnern wie Allianz Climate Solutions würde die Aufgabe zufallen, die Risiken zu minimieren, etwa indem man technische Standards entwickelt. Sind die Rahmenbedingungen geschaffen, wird das Projekt Crowd-Investoren angeboten. Löffler rechnet fest damit, »dass ein gewisser Teil des Investmentmarkts in diese Richtung gehen wird.« Das scheint folgerichtig, denn der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die die unter- schiedlichen Akteure nur bestehen können, wenn sie zusammenarbeiten. Die Energiewirtschaft ist das Hauptbetätigungsfeld der Allianz im Kampf gegen den Klimawandel und im Erschließen alternativer Anlagemärkte. Das liegt nicht nur an der Größe der Projekte, sondern auch an der Entwicklung der Erneuerbaren Energien selbst. Der Sektor wird immer wettbewerbsfähiger. Neue Anlagen brauchen keine Brennstoffe oder Emissionszertifikate, sie lassen sich also extrem kostengünstig betreiben. Mittelfristig sollen sich die Investments der Allianz in ErneuerbareEnergie-Projekte von derzeit rund 2,5 Milliarden Euro auf fünf Milliarden Euro verdoppeln. Entscheidungen der Allianz haben damit noch mehr Gewicht als zuvor. »Nach der Verkündung des Kohleausstiegs stand das Telefon nicht mehr still«, erinnert sich Urs Bitterling, Leiter des ESG-Office der Allianz. »Dieser Schritt hat hohe Wellen im Finanzsektor geschlagen.« Überrascht habe ihn das schon ein wenig, schließlich stehe das Thema Divestment schon länger auf der Agenda. Aber – und vielleicht ist das auch der Grund für die Wirkung – umgesetzt wurde der Kohleausstieg von den meisten Akteuren bisher eben nur sehr zögerlich. »Die Ergebnisse von Paris sind in gewisser Weise eine Bestätigung für das, wovon wir schon länger ausgehen«, sagt Bitterling. »Es gibt nun klare Absichten, CO2 aus der Wertschöpfungskette zu eliminieren. Und wir müssen uns in die Lage versetzten, darauf zu reagieren.« Das klingt nach Risikomanagement. Und das ist es auch. Gleichzeitig erzeugt die Allianz mit ihren Entscheidungen aber natürlich auch Wirkung nach außen. Die wolle sie keinesfalls als besserwisserischen Akt verstanden wissen, sondern als Ergebnis eines Dialogs mit Partnern, Kunden und der Gesellschaft, erklärt Bitterling. »Der Wandel wird nicht erreicht, nur weil wir aus der Kohle aussteigen. Er wird erreicht, wenn es uns gelingt, mit den EnergieUnternehmen neue Wege zu gehen.« Kurzum, hinter jedem Risiko steht auch eine Chance. Um diese Chancen systematisch zu erkennen, hat die Allianz ein ESG-Scoring für ihre Investments aufgesetzt. Unternehmen, in die die Allianz investiert, wird eine Art Umwelt- und Sozial-Führungszeugnis ausgestellt. Damit werden die Anlagegeschäfte nicht nur transparenter, sie müssen sich unter anderem auch am Wandel hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft messen lassen. Die Rauchzeichen der Allianz sind eindeutig: Der Klimaschutz ist im Big Business angekommen. Allianz Journal_Das Letzte Reuters GLOBAL Maschinenstürmer Ich bin kein Computer, und ein Computer hat auch nicht diesen Text verfasst. Obwohl das gar nicht mehr so abwegig ist. Es gibt bereits Maschinen, die Artikel schreiben können: Ein Programm analysiert Daten, entscheidet, was für den jeweiligen Endkunden wichtig ist, und kreiert den entsprechenden Inhalt. Im Moment beschränken sich die seelenlosen Schreiber noch auf Sportberichte und News aus der Geschäftswelt. Aber sie können mehr – und das ohne subjektive Präferenzen, ohne Kaffeepausen oder Anzeichen von Stress. Ärzten helfen, ihre jeweiligen Fälle zu begutachten, sind erst der Anfang. »In der guten alten Zeit war es undenkbar, dass Jobs aus dem mittleren Einkommenssegment von Maschinen übernommen werden könnten«, sagt Hans-Jörg Naumer, Chef des Bereichs Capital Markets and Thematic Research bei Allianz Global Investors in Frankfurt. »Das war einmal. Die künstliche Intelligenz schreitet zunehmend voran.« Jeder zweite Job ist durch den Vormarsch der Computer stark Macht sich der Mensch mit gefährdet, jeder fünfte hat ein dem technischen Fortschritt irgendwann überflüssig? mittleres Risiko, schreiben Carl Benedikt Frey und Michael Osborne in ihrem Buch The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation, für das sie über 700 Berufe in den USA untersucht haben. Besser sieht es für die unteren Berufsgruppen wie Reinigungsjobs aus: Bislang zeigen sie sich weniger anfällig für die Auswirkungen der zunehmenden Computerisierung. Allerdings kann man davon ausgehen, dass auch das untere Segment unter Druck gerät, wenn die Mittelklasse schrumpft und dort Arbeitskräfte freigesetzt werden, hebt Naumer hervor. Dagegen sind Arbeitsplätze, die von den Beziehungen und Interaktionen der Mitarbeiter leben, vom Aufstieg der Roboter nicht betroffen. Noch fehlt Maschinen der menschliche Faktor. LOIS HOYAL Journalisten sind nicht die Einzigen, die von der Automatisierung bedroht sind. Andere Jobs, vor allem im mittleren Einkommenssegment, kommen ebenfalls zunehmend unter Druck. Eine Folge des »Zweiten Maschinenzeitalters«, so der Titel des 2014 veröffentlichten Buchs der beiden Ökonomen Erik Brynjolfsson and Andrew McAfee. Das erste Maschinenzeitalter basierte noch auf rein mechanischen Entwicklungen. Der Einsatz von Maschinen brachte Produktivitäts- und Lohnsteigerungen mit sich. Jetzt aber ist der Fortschritt digital und per- sonenbezogen: Die heutigen Maschinen verfügen über künstliche Intelligenz und könnten den Menschen in nicht allzu ferner Zukunft als Arbeitskraft ersetzen. Siegeszug der Roboter Maschinen führen Befehle aus, können unstrukturierte Informationen entschlüsseln und eigene Entscheidungen treffen. Sie sind zunehmend in der Lage, komplizierte Aufgaben zu erledigen, zu denen bislang nur Menschen fähig waren. Führerlose Autos, unbemannte Flugzeuge oder Programme, die Anwälten und Doch die Zeichen weisen unmissverständlich darauf hin, dass die Beschäftigtenzahl insgesamt zurückgehen wird – weniger Arbeitsplätze für Menschen, mehr für Roboter. Die Entwicklung wird auch dadurch vorangetrieben, dass die Weltbevölkerung immer älter wird und der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter sinkt. Laut UN lag der Umschlagpunkt in den Industrieländern (außer Japan) im Jahr 2013. Das heißt, seitdem scheiden mehr Alte aus dem Arbeitsmarkt aus, als Junge hinzukommen. Und die Zahl der Nachrücker werde in den nächsten zehn Jahren weiter um 0,2 bis 0,3 Prozent pro Jahr abnehmen, sagt Naumer. den. Bei fast einem Viertel der Staatsanleihen in der Eurozone liegen die Renditen derzeit im Minusbereich. In Frankreich und Deutschland betrifft das zwischen 50 und 70 Prozent aller ausstehenden Staatsanleihen. In Japan sind es über 15 Prozent. »Der schleichende Sparverlust wird wahrscheinlich anhalten und sogar noch an Fahrt zulegen«, sagt Naumer. Das Problem sei, dass sich mit den demographischen und technologischen Trends auch die Arbeitsmärkte veränderten. »Die Einnahmen aus Sparguthaben und Staatsanleihen, die dringend für die Absicherung der Renten gebraucht werden, versiegen, und die Arbeitseinkommen sinken«, erklärt Naumer. »Wenn wir uns das Ganze aus Anlegerperspektive ansehen, so müssen sich die Leute, je älter sie werden und je länger sie leben, ein dickeres Polster zulegen, um im Alter ausreichend versorgt zu sein.« Doch je niedriger die Renditen, desto schwieriger werde es, dieses Polster aufzubauen, von dem man im Alter leben könne. Naumer: »Die Kombination aus niedrigen Zinsen und demographischem Wandel ist ein Albtraum.« Die drei Apokalyptischen Reiter Was also bleibt zu tun? Naumer findet, man sollte die Maschinen für sich arbeiten lassen. Seiner Meinung nach sollten die Leute ihre Gehälter und Pensionen ganz oder teilweise in Aktien von Unternehmen stecken, die die Roboter produzieren. Wenn man sich die Zahlen ansieht, macht das durchaus Sinn. Allein zwischen 1992 und 2014 haben von Allianz Global Investors verwaltete europäische Aktien pro Jahr um elf Prozent zugelegt – trotz der Finanzkrisen, die die Märkte während dieser Zeit erschütterten. Der Haken an der Sache ist laut Naumer: »Nicht jeder kann sich das leisten.« Eines aber ist sicher: die Kombination aus Finanzkrise, Demographie und Technologie – Naumer spricht von den drei Apokalyptischen Reitern der Finanzindustrie – bedeutet, dass in Zukunft Aktien eine größere Rolle spielen werden. »Jetzt ist die Zeit, eine Brücke zu schlagen zwischen Kapital und Arbeit, und um Aktieninvestitionen für eine breite Öffentlichkeit attraktiv zu machen – gerade auch angesichts der auf uns zukommenden technologischen Veränderungen«, fasst Naumer zusammen. »In Zeiten des Wandels muss das Ziel lauten, Rücklagen aufzubauen und daraus ein sicheres Einkommen zu schaffen.« Doch der demographische Wandel und die Automatisierung sind nicht die einzigen Herausforderungen. Hinzu kommen die Maßnahmen von Regierungen zum Abbau der Staatsschul- Geschichten aus der Allianz Welt USA Großbritannien Tschechien Polen Dänemark Deutschland Russland Italien Ungarn Österreich Island Frankreich Kanada Japan Südkorea China Griechenland Bulgarien Taiwan Mexiko Portugal Türkei Philippinen Westafrika Kolumbien Papua-Neuguinea Ägypten Libanon Peru Thailand Indien Indonesien Argentinien Südafrika Laos Brasilien Saudi-Arabien Australien Sri Lanka Neuseeland Chile 26 27 Allianz Journal_Das Letzte GLOBAL Herr Schneider, die Allianz investiert bis 2018 einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in das Allianz Infrastructure Transformation-Programm (AIT), das größte Transformationsprogramm ihrer Geschichte. Worum geht es dabei? Unsere Aufgabe ist es, ein hochleistungsfähiges IT-System zu bauen, das auch unter höchstem Druck stabil und zuverlässig läuft. Zudem muss es sehr flexibel sein, um neue Produkte und Anwendungen schnell integrieren zu können. Und es muss Cyberangriffe sicher abwehren können. Die Schocks von außen sind immens. Gab es diese Herausforderungen vorher nicht? Warum jetzt eine so massive Investition? Die Sache ist sicher durch die rasante Entwicklung des Internets ins Rollen gekommen, nochmal beschleunigt durch die mobilen Anwendungen. Damit lässt sich nun alles mit allem in Echtzeit vernetzen. Und das ist die große Herausforderung: Die Computerleistung wird immer größer, die Anwendungen werden immer schneller. Heute kann man in Millisekunden sämtliche Dokumente auf zig Tausenden Servern durchsuchen. Umgekehrt können aber auch Hacker in Millisekunden jede Schwachstelle in einem IT-System aufspüren. »Die Schocks von außen sind immens« Shutterstock Die Allianz ist auf dem Weg zum digitalen Versicherer. Für das Grundgerüst soll Ralf Schneider mit seinen IT-Teams sorgen. Als Chief Information Officer der Allianz Gruppe leitet er derzeit das größte Transformationsprogramm in der Geschichte des Unternehmens. FR AN K STERN Besteht nicht die Gefahr, dass Sie nach Abschluss des AIT gleich wieder von vorn anfangen müssen, weil sich die Landschaft bis dahin schon wieder völlig verändert hat? Mit dem Problem haben wir ja permanent zu kämpfen. Man kann die technischen Entwicklungen natürlich nicht auf drei Jahre im Voraus planen. Die Systeme müssen so flexibel sein, dass man sie ohne großen Aufwand an aktuelle Entwicklungen anpassen kann. Zum Beispiel an den rasanten Fortschritt in der Smartphone-Welt. Viele Allianz Mitarbeiter möchten auch auf dem Smartphone oder Tablet Zugriff auf ihre Anwendungen haben, um mobil mit ihnen arbeiten zu können. Darauf arbeiten wir hin. Hinkt ein Koloss wie die Allianz der Entwicklung nicht immer hinterher? Wären kleine, flexible Lösungen nicht die bessere Variante? Ich habe im vergangenen Jahr im Silicon Valley einen entscheidenden Satz gelernt: Gott hat die Welt auch nur deshalb in sechs Tagen erschaffen können, weil er sich nicht mit den Hinterlassenschaften der Vergangenheit herumschlagen musste, sondern ein leeres Spielfeld vorfand. Den Luxus haben wir nicht. Wir arbeiten zum Teil mit dezentralen IT-Systemen der letzten 50 bis 60 Jahre. Dezentrale Lösungen sind flexibel und schnell, aber sie führen in einem Großunternehmen zu sehr komplexen Strukturen, die wiederum die Prozesse für das Gesamtunternehmen verlangsamen. Würgen Sie das Innovationspotenzial im Unternehmen mit diesem Zentralisierungsprogramm nicht ab? Man braucht flexible Lösungen vor Ort – diese jedoch auf einer gemeinsamen, skalierbaren Plattform. So machen es auch Facebook, Amazon, Apple, Google. Sie alle haben eine gemeinsame Plattform, sind vor Ort aber hochgradig flexibel. Wir konzentrieren uns auf die Plattform, auf der alles andere aufsetzt. Auf der können die Leute vor Ort dann ihre Innovationen entwickeln. Das Ziel ist übrigens, dass lokale Innovationen von anderen Allianz Gesellschaften übernommen werden können. Mit dem Virtual Client wurde bei der Allianz 2013 der mobile Arbeitsplatz eingeführt. Doch noch im letzten Jahr gab es Beschwerden über lange Zugriffszeiten, stockende Anwendungen, Drucker die den Dienst quittierten, und verlorene Profildaten. Wie ist die Stimmung bei den Nutzern derzeit? Das mit den Profildaten war natürlich ärgerlich. Aber wir haben im vergangenen Jahr sehr viel in den Allianz Virtual Client investiert, heute nutzen ihn bereits über 40 000 Mitarbeiter in zwölf Ländern. Und die Allianz Journal_Das Letzte GLOBAL Ein undankbarer Job? Das frage ich mich manchmal auch. (Lacht) Ich bin ja für die IT schon seit 17 Jahren verantwortlich. Am Anfang hatte mein Verantwortungsbereich ein Jahresbudget von zehn Millionen Euro, heute liegen wir bei 3,5 Milliarden Euro. Das Einzige, was sich seit Beginn nicht geändert hat, sind die Klagen: zu langsam, zu teuer, nicht nutzerfreundlich genug. Warum also macht man das? Sicher steckt ein Stück Leidenschaft darin, aber ich bin ja kein Masochist, der ständig »geprügelt« werden möchte. So weit geht die Leidenschaft dann doch nicht. Was ist es dann? Sicher ist es dieses Hochgefühl, wenn man als Team eine Lösung entwickelt, die einem keiner zugetraut hat. Wenn man zum Beispiel ein globales Netzwerk für die Allianz Gruppe auf die Beine stellt, von dem keiner geglaubt hat, dass man es je hinkriegen wird. Das ist wie ein Kick. Und es schweißt eine Mannschaft zusammen, wenn man ständig unter Feuer steht und unter diesem Druck überzeugende Lösungen entwickelt. Ich glaube, es ist diese Loyalität untereinander, die die Mitarbeiter diesen Druck aushalten 30 Das Militär ließ sie als Erste aufsteigen, inzwischen aber dringen unbemannte Flugobjekte zunehmend auch in den zivilen Sektor vor. Das Zeitalter der Drohnen hat begonnen. Roth Beschwerden sind massiv zurückgegangen. Natürlich läuft es nicht immer völlig fehlerfrei, schließlich handelt es sich um ein hochkomplexes System, doch Stabilität und Verfügbarkeit sind signifikant gestiegen. Die Boot-Zeiten und Bildwechsel sind heute um ein Vielfaches schneller als zu Beginn. Daran gewöhnt man sich natürlich sehr schnell. Die Geschwindigkeit ist für die Kundenzufriedenheit ganz entscheidend und für uns die größte Herausforderung. Sobald der Browser mal etwas langsamer läuft, werden die Leute sofort unzufrieden und vergessen, dass sie über lange Strecken überhaupt keine Probleme hatten. Deutschland Ralf Schneider F RA N K ST ERN lässt. Sonst würde das sicher kaum einer machen. Eine Klage lautet, AMOS sei im Marktvergleich zu teuer. In den letzten Jahren lagen wir bei den Preisen über der Benchmark. Doch im vergangenen Jahr haben wir den Marktdurchschnitt mit unseren Preisen unterboten. Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren auch im Preisvergleich in die Spitze vorzurücken. 2014 wurde das Security Operations Center gegründet, um die Allianz Systeme gegen Cyberattacken zu schützen. Wie viele solcher Angriffe müssen Sie täglich abwehren? Es gibt ein Trommelfeuer an solchen Attacken, die meisten sind aber relativ harmlos: Viren, die als E-Mail-Anhänge verbreitet, PhishingDateien, die mit Dokumenten verschickt werden und Ähnliches. Das sind Hundertausende, die aber mit wenig Aufwand abgefangen werden können. Eine Handvoll pro Tag überwindet die ersten Hürden, und die oberste Kategorie sind jene, die relativ weit vordringen, bevor wir sie unschädlich machen. Doch noch nie ist es jemandem gelungen, unsere Datenbestände zu korrumpieren, es gab noch keine Betriebsunterbrechungen aufgrund von Hackerangriffen, und es wurden auch noch keine unserer Daten gestohlen. Im aktuellen Cyber-War gilt natürlich immer die Einschränkung: Soweit wir das wissen. Wie groß ist das Team, das die Allianz vor Cyber-Piraterie schützt? In der AMOS haben wir zwei Einheiten, eine in Indien mit etwa 50 Mitarbeitern und eine ebenso große hier in München. Darüber hinaus kooperieren wir mit externen ITFachleuten und arbeiten eng mit anderen DAX-Konzernen im Verein Cyber Security Sharing and Analytics an gemeinsamen Abwehrstrategien. Auch innerhalb der Allianz Gruppe tauschen wir uns regelmäßig aus. Wir haben große Sicherheitsabteilungen in Deutschland und in Spanien. Auch Allianz Life in den USA investiert viel in Cyber Security. Der Druck ist so immens, dass die Leute heute viel eher bereit sind, ihr Wissen zu teilen, als früher. Sie wollen die Zahl der Rechenzentren von derzeit 140 auf fünf reduzieren. Wie viele Arbeitsplätze wird das kosten? Wir haben in Verhandlungen mit dem Allianz SE-Betriebsrat Lösungen entwickelt, die eine sozialverträgliche Anpassung sicherstellen. Betriebsbedingte Kündigungen wird es nicht geben. Ein Teil der Mitarbeiter wechselt zu IBM oder zu anderen Partnerfirmen. Frei werdende Stellen werden jedoch nicht neu besetzt. microdrones Zeit der Drohnen Die Bandbreite reicht vom ferngesteuerten Vernichtungsschlag bis zur Präzisionsdüngung eines Weizenfelds, vom Erkundungsflug über die erogenen Zonen am FKK-Strand bis zur Verfolgung illegaler Elfenbeinhändler. Wie so viele Erfindungen des Menschen haben auch unbemannte Fluggeräte eine dunkle und eine segensreiche Dimension. Nachdem das Militär die sinistere Seite be- reits ausgiebig ausgelotet hat, eröffnen sich inzwischen immer mehr Möglichkeiten der friedlichen Nutzung – die Drohne als Freund und Helfer. »Drohnen werden in unserem Kerngeschäft weitreichende Veränderungen mit sich bringen«, sagt Thomas Kriesmann von Allianz Global Corporate & Allianz Journal_Das Letzte D EU T S C H L A ND Senkrechtstarter Die General Aviation-Underwriter der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) bekommen alles auf den Tisch, was fliegen kann – vom Flugmodell bis zum Passagierjet mit Stern 60 Sitzen, vom Sportflugzeug bis zum Schwerlasthubschrau- Specialty (AGCS) in München. »Deshalb sind wir als Versicherer von Anfang an dabei.« Zum Beispiel bei der GmbH im nordrhein-westfälischen Siegen, einer kleinen High-Tech-Firma, deren Quadrocopter inzwischen in der ganzen Welt herumschwirren – im Dienst der australischen Eisenbahn und der chinesischen Marine, bei der Minensuche in Bosnien und der Vermessung von antiken Königsgräbern in Russland, bei der Beobachtung von Wildtieren in Kenia und bei der Zählung von Pinguinen in der Antarktis. Auch bei der Terroristenfahndung kamen die geflügelten Spürhunde schon zum Einsatz. 2014 hatte das Logistikunternehmen DHL zusammen mit microdrones erstmals einen »Paketkopter« aufsteigen lassen, um Medikamente über eine Strecke von zwölf Kilometern vom Festland auf die Nordseeinsel Juist zu befördern. Ein Jungfernflug auf kleiner Flamme: Der fliegende Postillion konnte eine maximale Nutzlast von 1,2 Kilo stemmen. Doch die Branche denkt bereits in ganz anderen Dimensionen. Statt ihre Transporter in den nächsten Stau zu schicken, könnten Spediteure in einer nicht allzu fernen Zukunft unbemannte SchwerlastCopter einsetzen. »Da entstehen gerade ganz neue Märkte«, sagt Thomas Kriesmann, der bei der AGCS ber. Mittlerweile zählen auch kommerzielle Drohnen – oder microdrones-Geschäftsführer Sven Jürß zusammen mit seinem Testpiloten Elmar Prinz für das Underwriting im General Aviation-Bereich in Deutschland und Osteuropa zuständig ist. ist in Deutschland eine Haftpflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben. Hobby- und Freizeitpiloten können ihre Modelle bis fünf Kilo seit Oktober letzten Jahres in der Privathaftpflicht bei der Allianz Deutschland mitversichern. Auf Sicht Nur die Gesetzeslage verhindert derzeit noch den Höhenflug der ferngesteuerten Lastenträger. Unbemannte Flugkörper unterliegen strengen Auflagen und dürfen in Deutschland und anderen Ländern nur auf Sicht geflogen werden – das Pilotprojekt von DHL hatte eine Ausnahmegenehmigung. Wer Drohnen zu kommerziellen Zwecken einsetzt, muss zudem von den zuständigen Behörden eine Aufstiegsgenehmigung einholen. Selbst ein Hausbesitzer, der sein Dach ferngesteuert inspizieren will, braucht dafür den amtlichen Segen. Hat er den nicht, und sein fliegendes Auge geht auf Kollisionskurs, steht er ohne Versicherungsschutz da. Und die werden den Aufstieg der unbemannten Flugobjekte kaum bremsen. Pro Tag bekommen Kriesmann und seine Kollegen schon jetzt zehn bis zwölf Anfragen zum Thema Drohnenversicherung auf den Tisch. Und das ist erst der Anfang. Die Möglichkeiten der Flugroboter jedenfalls sind noch längst nicht ausgereizt. Aus der Filmindustrie sind sie bereits jetzt nicht mehr wegzudenken. Waren für Luftaufnahmen bisher Helikopter mit Pilot und Kameramann nötig, reicht heute ein Leichtgewicht mit Karbonflügeln und eingebauter Kamera. Werbebranche, Immobilienmakler, die Tourismusindustrie – alle gehen in die Luft. Auch für andere Einsatzfelder bietet die Drohnenperspektive unschätzbare Vorteile. Von der Inspektion von Pipelines und Stromtrassen bis zur Verfolgung illegaler Waldrodungen, von der Vermisstensuche in unwegsamem Gelände bis zur Vermessung von Baustellen oder archäologischer Fundstätten – was bisher mit viel Aufwand verbunden war, wird zum Kinderspiel. Ein Grund, weshalb Multicopter in der Miniversion inzwischen auch unterm Weihnachtsbaum einen festen Landeplatz erobert haben. Geburt einer neuen Industrie Berichte über Drohnencrashs gingen schon öfter durch die Presse. Wie im Frühjahr letzten Jahres, als ein Ge- Bei microdrones in Siegen hat man den Trend frühzeitig erkannt. 2005 gegründet zählt das Unternehmen heute zu den führenden Anbietern von selbst fliegenden Senkrechtstartern in der Gewichtsklasse unter 25 Kilo. »Wir werden gerade Zeugen der Geburt einer neuen Industrie«, schwärmt microdrones-Chef Sven Jürß. Das mag man kaum glauben, wenn man aus seinem Fenster sieht. Der Firmensitz liegt an einem grasbewachsenen Hügel, hinterm Haus weiden Kühe, und am Waldesrand sagen sich vermutlich Fuchs und Hase gute Nacht. alle Fotos: microdrones Die Einsatzmöglichkeiten der Überflieger sind vielfältig und reichen vom Schutz von Nationalparks bis zu Suchund Rettungseinsätzen der Polizei, von der Unfallaufnahme bis zur Expresslieferung von Medikamenten 32 Multicopter – dazu. Für den Betrieb der Senkrechtstarter rät auf der Autobahn bei Bochum einem Fahrer in die Windschutzscheibe knallte. Oder ein Jahr zuvor, als ein Hexacopter bei einem Triathlon in Australien eine Teilnehmerin verletzte. Oder 2013, als in New York ein 19-Jähriger tödlich verletzt wurde, als seine Drohne außer Kontrolle geriet und ihn am Kopf traf. »Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen«, sagt Kriesmann. »Aber das sind bisher noch Ausnahmen.« Allianz Journal_Das Letzte D EU T S C H L A ND Und genau hier hat Jürß’ Vater Ende der 90er Jahre seinen ersten Vierflügler zusammengeschraubt. Udo Jürß hatte mit einem Freund gewettet, dass er ein Gerät mit vier Rotoren bauen kann, das besser fliegt als ein Modellhelikopter. Und er gewann. Die »Urdrohne«, ein simples Plastikgestell mit vier Propellern, hängt heute an der Bürowand seines Sohnes. Inzwischen ist microdrones in Fachkreisen in aller Welt ein Begriff; aus der Siegerländer Bastelstube ist ein mittelständisches Unternehmen mit 25 Mitarbeitern geworden, das auf dem Gebiet der unbemannten Flugroboter Maßstäbe setzt. In seiner Entwicklungsabteilung tüfteln Deutsche, Tschechen und Indonesier an immer neuen Details. In diesem Jahr kommt mit der MD4-3000 das jüngste Produkt aus der Siegener Drohnenschmiede auf den Markt – ein Hightechgerät, das bis zu 45 Minuten in der Luft bleiben und dabei eine Nutzlast von drei Kilo tragen kann. Wenn Sven Jürß die letzten Jahre Revue passieren lässt, ist er immer noch erstaunt, wie schnell die technische Entwicklung in dieser Zeit vorangeschritten ist. »Ich dachte, dass mein Sohn vielleicht irgendwann mal erleben wird, wie Pakete mit Drohnen ausgeliefert werden. Jetzt sind dpa / picture-alliance 34 wir dazu selbst in der Lage. Unglaublich.« In seiner aktuellen Zukunftsvision verfügen Häuser standardmäßig über Versorgungsschächte, wo Drohnen ihre Pakete abliefern können. »Die automatisierte Zustellung wird kommen«, ist Jürß sicher. »Wahrscheinlich schneller, als man denkt.« Amazon hat in den USA bereits einen speziellen Flugkorridor für kommerzielle Lieferdrohnen ins Gespräch gebracht, der per Computersystem überwacht werden soll. Neue Terrorstufe befürchtet Allerdings ist dazu eine Regelung nötig, die das programmierte Fliegen ohne Sichtkontakt durch einen Piloten erlaubt. »Es gibt keinen Grund, warum Pipelinebetreiber, Stromkonzerne oder Transportunternehmen diese Technik nicht in großem Maßstab nutzen sollten«, sagt Jürß. Für Allianz Global Corporate & Specialty würden sich dadurch ganz neue Geschäftsfelder eröffnen: »Da kommen gravierende Veränderungen auf uns zu«, ist Thomas Kriesmann sicher. Und neue Risikoszenarien. 2014 wurden über wenigstens einem Dutzend Nuklearanlagen in Frankreich Drohnen gesichtet. Vor dem Weißen Haus legte eine Drohne eine Bruchlandung hin, eine andere ging auf dem Dach des japanischen Premiers nieder. Sicherheitsexperten befürchten bereits die nächste Eskalationsstufe des Terrorismus. Auch die Wahrscheinlichkeit von Zusammenstößen mit Rettungshubschraubern, Sportfliegern oder Düngeflugzeugen steigt. Die Industrie schaltet dennoch einen Gang höher: Nach Schätzungen der Teal-Gruppe, einem auf Luftfahrtthemen spezialisierten Beratungsunternehmen, wird sich das Umsatzvolumen auf dem Markt für kommerzielle und Freizeitdrohnen in den nächsten zehn Jahren auf über 90 Milliarden Dollar mehr als verdreifachen. W W W. M I C RO D RO N E S .C O M Anfang Januar hat die chinesische Firma Ehang auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas die erste Drohne vorgestellt, die einen Menschen transportieren kann. Die Ehang 184 ist in der Lage, eine Last von bis zu 100 Kilo aufzunehmen und damit 23 Minuten in der Luft zu bleiben. Höchstgeschwindigkeit: 100 km/h. Die Drohne wird von einem Flugzentrum aus gesteuert, die Navigation erfolgt vollautomatisch Die Schatztruhe von Güldengossa Geiger Edelmetalle Ein Schloss mit kriegerischer Geschichte, Goethe und Bach als Kronzeugen und jede Menge Gold und Silber – aus diesen Zutaten hat die Firma Geiger Edelmetalle ein traditionsgeladenes Marketing-Konzept gebastelt. Die Sache funktioniert. F RA N K ST ERN D EU T S C H L A ND alle Fotos: Geiger Edelmetalle Von der denkmalgeschützten Schaltwarte des ehemaligen Kraftwerks Espenhain aus steuert Geiger heute Produktion und Vertrieb. Besonders stolz ist Geschäftsführer Rolf Müller-Syring auf die größte Silbermünze der Welt, die Geiger im vergangenen Jahr präsentierte Gut möglich, dass Johann Sebastian Bach einst durch das Portal des kleinen Barockschlosses von Güldengossa geschritten ist und sich mit Ernst Kregel von Sternbach, dem Hausherrn, über den Kauf von edlem Metall beraten hat. Beide hatten Anteile an sächsischen Silberminen – soviel steht fest. Dass Bach tatsächlich in Güldengossa war, ist dagegen nur eine Vermutung, räumt Rolf MüllerSyring, Geschäftsführer der Geiger Edelmetalle, ein. »Doch warum sollte der Musiker nicht beim Taufpaten seines Sohnes vorbeigeschaut haben, der ihm zum Kantorsposten im nahen Leipzig verholfen hatte?« Im Nachbarort sei er 1723 zu einer Orgeleinweihung ja schließlich auch gewesen. Auch Goethe war in Güldengossa kein Unbekannter, hat er doch vom Sohn des seinerzeitigen Schlossbesitzers, einem Leipziger Bankier, Platin und Silber gekauft. Die Kopie eines seiner Orderbriefe hängt heute im Schloss, das der schwäbische Unternehmer Adalbert Geiger, Inhaber der Geiger Edelmetalle, 2006 übernommen und aufwändig restauriert hat. Mittlerweile ist das Gebäude, vor dessen Toren 1813 die Völkerschlacht gegen Napoleon tobte, repräsentativer Stammsitz der Firma, wo Kunden Gold-, Silber- und Kupferbarren, Medaillen und Münzen erwerben und bei Bedarf in Schließfächern im Kellergewölbe deponieren können. Die Allianz versichert die Schatztruhe. Weniger gediegen geht es zehn Kilometer weiter südlich in Espenhain zu, mit seinen Braunkohlengruben und Chemiebetrieben einst als dreckigste Ecke Europas ver- 36 schrien. In einer ehemaligen Schaltwarte aus den 30er Jahren, hinter Stacheldraht, Überwachungskameras, Bewegungsmeldern und Zugangsschleuse hat Geiger 2011 seine Produktion aufgenommen. Seither werden hier jedes Jahr Berge an Edelmetallen geprägt und gegossen. 2015 waren es nicht weniger als 250 Kilo Gold, 15 Tonnen Kupfer und 20 Tonnen Silber. Die größte Silbermünze der Welt Im vergangenen Jahr präsentierte die Firma auf der Edelmetallmesse in München die mit 54 Kilo und einem Durchmesser von 65 Zentimetern größte Silbermünze der Welt. Preis: 89 500 Euro. Ohne Mehrwertsteuer. Die limitierte Auflage des Schwergewichts, das von der Elfenbeinküste herausgegeben wird, betrug 15 Stück. »In dem Geschäft muss man immer wieder mit einer Neuheit auf sich aufmerksam machen«, erklärt MüllerSyring, als er den Supertaler vorführt. Von der leichter zu verstauenden Ein-Unzen-Münze mit dem Elefanten auf der Vorderseite wurden 1000 Stück aufgelegt. Nicht weniger stolz ist der Leipziger auf die Silbermünze »Arche Noah«, die Geiger seit 2011 im Auftrag der Armenischen Zentralbank prägt und weltweit vertreibt. »Dass dafür ein kleiner Mittelständler ausgewählt wurde statt einer staatlichen Münze, das passiert auch nicht alle Tage«, sagt der Geschäftsführer. Geiger ist die einzige private Prägeanstalt Deutschlands, die eine Anlagemünze eines souveränen Staates produziert. Und die Nachfrage ist groß: Pro Jahr wechseln rund eine Million Arche Noah-Münzen der verschiedenen Gewichtsklassen den Besitzer. Die teuerste wiegt fünf Kilo und wird auf der größten Presse geprägt, die sich in Geigers Maschinenpark finden lässt – ein Koloss von 40 Tonnen mit einer Prägekraft von 2,5 Tonnen. Die Stempel aus gehärtetem Edelstahl müssen makellos sein, jedes Staubkorn, jedes Haar könnte die Prägung verunreinigen. Qualität, Gewicht und Reinheitsgehalt der Silber-Münzen werden regelmäßig von der Armenischen Zentralbank geprüft. Sachsen aber, so ist er sicher, ist noch nicht gesprochen. Geologe Jens Kirste von der Geiger-Tochter Leipziger Edelmetallverarbeitung sieht das genauso: »Die oberflächennahen Bereiche der Mit dem Kauf des Schlosses in Güldengossa 2006 und der Verlegung seines Stammsitzes von Baden-Württemberg nach Sachsen ist Adalbert Geiger näher an die Ursprünge der deutschen Silbertradition herangerückt. Die hatte mit der Entdeckung ergiebiger Vorkommen in der Nähe des heutigen Freiberg im 12. Jahrhundert ihren Ausgang genommen; 1218 wurde in Leipzig die erste Silberbörse der Welt eröffnet. Das graue Metall – schon von Assyrern, Griechen, Römern und Ägyptern geschätzt und zeitweise wertvoller als Gold – versetzte das Erzgebirge in einen veritablen Silberrausch. Mit dem Übergang zum Goldstandard 1871 verfiel jedoch sein Wert, der sächsische Silberbergbau verlor an Bedeutung. Der studierte Historiker Müller-Syring kennt jedes Detail dieser Geschichte. Das letzte Wort zum Silberbergbau in Die größte Silbermünze der Welt Allianz Journal_Das Letzte D EU T S C H L A ND Amerika beide Fotos: Geiger Edelmetalle Old Broderick kehrt heim Aus dem Silbergranulat werden Barren, Medaillen und Münzen hergestellt. Im vergangenen Jahr wurden in Espenhain rund 20 Tonnen Silber verarbeitet Goldenes Zeitalter Wismut, Kobalt und Nickel habe man in einem der Stollen bereits gefunden, sagt Jens Kirste und hält ein Stück funkelndes Erz in die Höhe. Dass Kobalt silbrig glänzt, hat ihm bei enttäuschten Schatzsuchern einst den Namen »Scheißspat« eingetragen. Aber auch der ist heute in der Industrie begehrt, sagt Kirste. Bei einer Großprobe soll in diesem Jahr eine Tonne Erz gefördert und auf seine Zusammensetzung untersucht werden. Würde man auf ausreichend Silber stoßen, könnte Geiger irgendwann Förderung, Verhüttung, Verarbeitung und Vertrieb in einer Hand vereinen. Geiger Edelmetalle hat das Schloss von Güldengossa zu seinem Markenzeichen gemacht, unter dem die Firma ihre Produkte an Kunden in mehr als 30 Ländern vertreibt – von Deutschland bis Australien, von der Schweiz bis in die USA. Fast hätte das Unternehmen sich ein anderes Qualitätssiegel suchen müssen, denn es fehlte nicht viel, und Ort und Schloss wären dem Braunkohltagebau zum Opfer gefallen. Kurz vor dem 400-Seelendorf aber kamen die Bagger zum Stehen. »Die Ergiebigkeit der Kohlenflöze war hier wohl zu gering«, vermutet MüllerSyring. Südlich von Güldengossa, da wo die Stahlmonster einst die Erde aushöhlten, erstreckt sich heute der Störmthaler See, ein Naherholungsgebiet. Wie durch ein Wunder hatte das Schloss schon die Völkerschlacht 1813 überstanden. Während die Front mehrfach über Güldengossa hinwegrollte und das Dorf in Schutt und Asche fiel, blieb der 1720 erbaute Herrschaftssitz verschont: Er diente beiden Kriegsparteien als Lazarett. 200 Jahre später hat in dem barocken Gemäuer ein neues Zeitalter begonnen. Wenn alles gut geht, ein goldenes – wie es sich für ein Schloss gehört. Fireman’s Fund ehemaligen Abbaugebiete sind ausgeerzt«, sagt er, »aber in manchen Revieren werden noch große Silberlinsen und ertragreiche Silberadern vermutet.« Um an die heranzukommen, hat sich Adalbert Geiger 2010 beim Sächsischen Oberbergamt für ein altes Revier im Erzgebirge die Bergbaurechte gesichert. Fireman’s Fund ist Geschichte. Und das im doppelten Wortsinn. 152 Jahre war das Unternehmen Teil der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der USA, die letzten 24 davon unter dem Dach der Allianz. Sein historisches Archiv wurde im vergangenen Jahr auf öffentliche Einrichtungen und Kommunen verteilt. Ein Teil ging an das Firmenhistorische Archiv der Allianz in München. W W W.G E I G E R- E D E L M E TA L L E . D E W W W. L E I P Z I G E R- E D E L M E TA L LV E R A R B E I T U N G . D E W W W. S AC H S E N E R Z . D E 38 J ESSICA BUCHL EIT N ER Allianz Journal_Das Letzte beide Fotos: Fireman’s Fund AM ERI KA Mitglieder der Feuerwehr von San Francisco nahmen Old Broderick vor dem Rathaus der Stadt in Empfang Absicherung gegen Naturkatastrophen und Unfälle und der Deckung großer Bauvorhaben war Firemen’s Fund auch der führende Versicherer der amerikanischen Unterhaltungsbranche, von Kinofilmen, TV-Serien und Konzerten. Der 22. Oktober 2015 war ein warmer, sonniger Tag, was im sonst oft nebligen San Francisco nicht so oft vorkommt. Die Mitarbeiter der Feuerwehr von San Francisco säumten mit ihren modernen Rettungsfahrzeugen die Straßen vor dem Rathaus. »Old Broderick«, ein Veteran der Feuerwehrgeschichte, sollte gleich seinen großen Auftritt haben. Es war das erste in Kalifornien gebaute Löschfahrzeug und kehrte 160 Jahre, nachdem es das erste Feuer gelöscht hatte, nach Hause zurück. Der Feuerfresser Broderick Engine No. 1 trug einst den Namen »The Fire Eater«, der Feuerfresser, und war im Jahr 1855 der ganze Stolz der freiwilligen Feuerwehr von San Francisco. In den 1850er Jahren war San Francisco eine Stadt im Aufschwung, gebaut aus Holz, Wagenplanen und Ziegelsteinen. In den Jahren 1850 und 1851 gab es sechs große Brände, die die Stadt beinahe zerstörten. Das Feuerlöschen mit Old Broderick war bei weitem keine leichte Aufgabe: 40 Freiwillige waren nötig, um das Wasser aus der Maschine zu pumpen. Die meisten Löschfahrzeuge wurden beim Großfeuer nach dem Erdbeben von 1906 zerstört. Old Broderick jedoch überstand die Katastrophe. »Es handelt sich hier um das wertvollste geschichtliche Andenken in San Francisco«, sagte Donna Huggins von der Organisation Panama Pacific International Exposition Centennial, bei der Übergabe. »Nur wenige Gegenstände haben diese Zeiten überstanden, insbesondere nach dem Erdbeben von 1906. Es gibt kaum ein wertvolleres Stück.« Die Feuerwehrmannschaften standen Spalier, als das auf Hochglanz polierte Fahrzeug vor der City Hall aufgefahren 40 wurde. Die lokalen Medien waren vor Ort, um über das Spektakel zu berichten, und Touristen blieben staunend stehen und machten Selfies vor dem Fahrzeug. San Francisco’s Feuerwehrchefin Joanne Hayes-White dankte in ihrer Rede der Allianz für das Geschenk und hob das ehemalige Fireman’s Fund Heritage-Programm hervor, das in den vergangenen Jahren die Stadt auf vielfältige Weise unterstützt hatte. In Zeiten von Budgetkürzungen sei die Feuerwehr auf finanzielle Hilfen für den Kauf von lebensrettenden Gerätschaften angewiesen, so Hayes-White. Seit 2004 wurden dank des Programms über 32 Millionen US-Dollar an finanziellen Hilfen für die Feuerwehren in allen 50 Staaten gesammelt, davon fast zehn Millionen für Kalifornien. Die Geschichte des Fireman’s Fund ist eng mit der der Stadt San Francisco verknüpft. Die Entdeckung von Gold am Sutter’s Fort im Januar 1848 löste einen Zustrom von Goldsuchern und Abenteurern aus der ganzen Welt aus. Gesetzlosigkeit und Kriminalität herrschten auf den Straßen, doch die größte Bedrohung ging von Bränden aus. Daher riefen besorgte Amtsträger eine freiwillige Feuerwehr ins Leben. Mit dem weiteren Wachstum San Franciscos entstand auch ein erhöhter Bedarf an Feuerversicherungen. Nur wenige der Unternehmen an der Ostküste boten solche Versicherungen an – und schon gar nicht im erforderlichen Umfang. Die Fireman’s Fund Insurance Company wurde im Jahr 1863 von einigen Geschäftsmännern aus San Francisco gegründet. Die Idee war, Wohnungen, Unternehmen und Geschäfte der City zu schützen und zehn Prozent des Nettogewinns an den gemeinnützigen Fonds der Feuerwehr von San Francisco zugunsten von behinderten Feuerwehrmännern, von Witwen und Waisen zu zahlen. Am 6. Mai 1863 wurde die Satzung in Sacramento (Kalifornien) eingereicht. Mit einem Startkapital Eine besondere Bewährungsprobe war der 11. September 2001. Als das erste Flugzeug im World Trade Center in New York einschlug, sorgten Art Moossmann, der damalige Vizepräsident der Transportversicherung, und sein Führungsteam dafür, dass alle Mitarbeiter heil aus dem Gebäude kamen: 48 Etagen zu Fuß bis alle in Sicherheit waren. Feuerwehrchefin Joanne Hayes-White zusammen mit Feuerwehrpensionär Bill Koenig, dem Leiter des Feuerwehrmuseums von San Francisco von 200 000 Dollar nahm das neue Unternehmen dann in einem winzigen Innenstadtbüro in San Francisco seine Tätigkeit auf. Zeuge der Geschichte Fireman’s Fund hat im Laufe seiner Geschichte viele Katastrophen miterlebt. Eine der verheerendsten war der Großbrand in Chicago von 1871, bei dem das Unternehmen Verluste von über einer halben Million Dollar erlitt – mehr als seine damaligen Vermögenswerte betrugen. Dennoch sagte es zu, alle Schadenforderungen zu begleichen, was mit Unterstützung der Versicherungskunden innerhalb von 60 Tagen auch gelang. Die Regelung sah vor, die Hälfte der Schäden sofort und den Rest mit einem verzinslichen Schuldschein auszuzahlen. Das Firmenhistorische Archiv des Fireman’s Fund umfasste rund 165 laufende Meter Unterlagen, Fotos, Bücher, Videos sowie alte Büroartikel, einschließlich silberner Tintenfässer aus dem 19. Jahrhundert. Vieles davon ging an Bibliotheken und Museen. Die fünf alten Original-Feuerwehrfahrzeuge, die an fünf Fireman’s Fund-Standorten in den USA untergebracht waren, sind jetzt an lokale Feuerwehren und Kommunen übergeben worden. Was nicht überall ganz leicht war. In Alpharetta und Chicago mussten die alten Fahrzeuge zunächst demontiert werden, um sie aus den Gebäuden zu bekommen. In Chicago zerlegte das Geräteteam des Feuerwehrmuseums in einer vierstündigen Operation das komplette Fahrzeug. Das Museum hofft, es in naher Zukunft auf Paraden und Gemeindeveranstaltungen vorführen zu können. In einem anderen Fall wurde ein Feuerwehrwagen aus dem Jahre 1919 über 6000 Meilen an seinen ursprünglichen Einsatzort transportiert und an eine kleine Feuerwehr in Kansas übergeben. Der Rest des Fireman’s Fund-Archivs geht an das Firmenhistorische Archiv der Allianz in München. Das Unternehmen versicherte 1896 während des KlondikeGoldrauschs zwei berühmte Goldtransporte, das Flugzeug »Spirit of St. Louis«, das Charles Lindbergh bei seinem ersten Non-Stop-Flug von New York nach Paris im Mai 1927 steuerte, und 1930 den Bau der Golden Gate Bridge. Neben der Allianz Journal_Das Letzte Asien Schlafender Riese F RAN K STE R N der Absicherung von chinesischen Investitionen im Ausland haben wir uns eine gute Position erarbeitet. Investitionen von Privatunternehmen sind dagegen eingebrochen, vor allem im Energiesektor. Normalerweise macht der 25 Prozent unseres Portfolios aus, derzeit sind es nur 20. Die Zahl der Börsengänge ist ebenfalls zurückgegangen – und damit auch der Absatz unserer finanziellen Absicherungen. Mark Mitchell Mr. Mitchell, Asiens Börsen haben in den letzten Monaten eine Achterbahnfahrt hingelegt, Chinas Wirtschaft schwächelt. Wie wirkt sich das auf ihr Geschäft aus? Weniger als befürchtet. China investiert weiterhin kräftig in den Ausbau seiner Infrastruktur, insbesondere im Bereich Schiene. Da sind wir gut im Geschäft. Und auch bei 42 Sie begleiten die Expansion chinesischer Unternehmen ins Ausland? Das ist derzeit unser absoluter Fokus. Wir beobachten, wo die staatlichen und privaten Investitionen erfolgen und bieten unsere globalen Versicherungsprogramme an. Für chinesische Kunden ist das ein relativ neues Konzept, und es wird einige Zeit brauchen, diese Idee im Markt zu etablieren. Die globale Reichweite aber ist einer unserer wesentlichen Vorteile gegenüber chinesischen Versicherern. Wo investieren die Chinesen vorwiegend? Im Energiebereich, in der Nahrungsmittelund Getränkeindustrie, im Infrastruktursektor. Wir begleiten viele chinesische Baufirmen, die Projekte in Afrika, im Nahen Osten und in Südasien übernehmen, in geringerem Umfang auch in den USA und Europa. Wo in Asien macht AGCS den größten Umsatz? In Singapur. Dabei handelt es sich vorwiegend um Rückversicherungsgeschäft, unter anderem aus Malaysia, Thailand, Indien, Korea und Japan. Nach Prämieneinnahmen sind wir hinter Lloyd’s der zweitgrößte Rückversicherer in Singapur. Weniger gut sieht es im Erstversicherungsgeschäft aus. Wir haben Geschäftslizenzen für Singapur, Hongkong und Japan, doch schöpfen wir die Möglichkeiten in diesen Märkten noch nicht genügend aus. Das Wachstum im letzten Jahr war etwas enttäuschend, auch wenn wir sehr profitabel waren. Unser Ziel ist es, den Gesamtumsatz der AGCS in Asien bis zum Jahr 2020 auf rund 500 Millionen Euro zu verdoppeln. Australien gehört nicht zu Ihrem Geschäftsbereich? Eine der Anomalien unserer derzeitigen Aufstellung. Die meisten unserer Wettbewerber und vor allem die meisten unserer Makler operieren in der Region Asien-Pazifik, was Australien einschließt. Wir steuern unser Geschäft getrennt: Asien von Singapur aus, Australien von London. Angesichts unsicherer Konjunkturaussichten scheint die Verdopplung der Einnahmen bis 2020 recht ambitioniert. Wie wollen Sie das schaffen? Die Rahmenbedingungen sind nicht einfach. Unser Geschäft hängt maßgeblich von der wirtschaftlichen Großwetterlage ab. Doch viele Regierungen in der Region versuchen derzeit, ihre Wirtschaft durch Infrastrukturinvestitionen anzukurbeln. Davon können wir profitieren. Trotz der aktuell verhaltenen Konjunkturprognosen stellen wir weiter Leute ein, vor allem, um unseren Kundenservice zu verbessern. Zugleich verstärken wir die Kooperation mit Allianz Gesellschaften in der Region. Mit Euler Hermes läuft die Zusammenarbeit bereits hervorragend, und seit kurzem sind wir als Rückversicherer der Allianz Malaysia für deren Transport- und Schiffsversicherungsgeschäft tätig. Gibt es Pläne, in neue Märkte zu expandieren? Im vergangenen Jahr haben wir in Myanmar (Burma) als eines der ersten ausländischen Versicherungsunternehmen ein Repräsentationsbüro eröffnet. Derzeit begleiten wir als Rückversicherer internationale Allianz Kunden, die in dem Land tätig sind. Dabei arbeiten wir mit der größten Versicherungsgesellschaft des Landes zusammen. Noch ist Myanmar weitgehend abgeschottet, doch wenn sich der Markt irgendwann öffnet, könnten wir unser Büro in Rangun in eine Geschäftsstelle umwandeln. Eine Repräsentanz zu diesem frühen Zeitpunkt ist auch ein Zeichen, dass wir es ernst meinen mit unserem langfristigen Engagement in Asien. Noch steckt der Versicherungsmarkt von Myanmar in den Kinderschuhen. Doch Fachleute gehen davon aus, dass sich die Prämieneinnahmen in 15, 20 Jahren im MultimilliardenDollar-Bereich bewegen werden. Um in Burma erfolgreich Geschäfte zu betreiben, braucht man gute Beziehungen zum Militär. Das könnte ein Reputationsrisiko darstellen. Es gibt Privatpersonen und Unternehmen, für die weiterhin Sanktionen gelten. Wir haben ein sehr gründliches Auswahlverfahren für Firmen, mit denen wir eventuell zusammenarbeiten wollen, das alle Hinderungsgründe berücksichtigt. Eine Marktanalyse hat gezeigt, dass von den 1000 Top-Firmen des Landes für uns 50 bis 60 als Geschäftspartner in Frage kommen. beide Fotos: Stern Mark Mitchell, Chef von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in Asien, über Wachstum in Zeiten schwacher Konjunktur und über Wege aus dem Schattendasein. Allianz Journal_Das Letzte Stern AS I EN Auch wenn die chinesische Wirtschaft derzeit schlingert, sieht Mark Mitchell gute Chancen für den Ausbau des Geschäfts in Asien. Im vergangenen Jahr eröffnete AGCS eine Repräsentanz in Burma AGCS in Asien Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hat in Asien insgesamt rund 300 Mitarbeiter und ist seit acht Jahren mit Geschäftsstellen in Japan, Hongkong und Singapur vertreten. Daneben sind AGCS-Mitarbeiter unter dem Dach der Da wird das nötige Wachstum für eine Verdopplung des Umsatzes bis 2020 also eher nicht herkommen. Wir haben verschiedene Eisen im Feuer. In China, wo unter dem Dach der Allianz China rund 30 AGCS-Mitarbeiter tätig sind, haben wir unsere Geschäftsziele drei Jahre in Folge übertroffen. Südkorea, wo wir derzeit nur als Rückversicherer tätig sind, wäre ein interessanter Markt fürs Erstversicherungsgeschäft. Allianz Asia Pacific (AZAP) prüft ebenfalls Möglichkeiten, neue Märkte zu erschließen. Bei einigen würden wir uns gern dranhängen. Welche? Die Philippinen zum Beispiel. Dort haben wir keine Erstversicherungslizenz, sind aber als Rückversicherer bereits sehr erfolgreich unterwegs. Darüber hinaus erleben wir derzeit eine verstärkte Nachfrage nach Spezialangeboten. Als ich 1999 nach Asien kam, war der Markt sehr übersichtlich: Normale Sachversicherungen und die Arbeiterunfallversicherung waren die gängigsten Produkte. Heute gibt es eine Vielzahl von Nischenangeboten für alle möglichen Bereiche. Da sehe ich für uns große Chancen. Was hat AGCS, was andere nicht haben? Wir arbeiten zum Beispiel gerade daran, das Fachwissen, das Fireman’s Fund über Jahrzehnte im Entertainment-Business aufgebaut hat, für Asien zu erschließen. Noch in diesem Jahr werden wir ein entsprechendes Angebot auf den Markt bringen. Da sind wir so gut wie konkurrenzlos. Denken Sie an Bollywood? Nicht nur. Fünf der zehn größten Film- und Fernsehproduktionsfirmen der Welt haben 44 ihren Sitz in Asien. Aus Indien, China, Korea, Japan und Hongkong kommt die Hälfte aller Film- und TV-Produktionen weltweit. Bisher haben wir dieses Potenzial nicht genutzt. Dann sehe ich auf dem Gebiet der Umwelthaftpflicht große Möglichkeiten. In einigen Ländern wie China oder Südkorea wird darüber diskutiert, eine Versicherungspflicht für Umweltschäden einzuführen. Das würde einen riesigen Markt eröffnen. Seit neuestem bieten wir unseren Kunden auch Unterstützung im Krisenmanagement an, wir haben Versicherungen gegen Entführung und Erpressung im Angebot oder auch den Schutz im Falle von Rückrufaktionen für fehlerhafte Produkte. Allianz China sowie von Bajaj Allianz in Indien tätig. Asienweit betreut der Industrieversicherer der Allianz Gruppe rund 7000 Unternehmen. Seit 2014 wird die Einheit von dem Australier Mark Mitchell geführt, der zuvor von Hongkong aus zwei Jahre lang das Chinageschäft der AGCS leitete. Bevor er zur Allianz wechselte, war Mitchell unter anderem für CHUBB und Royal Sun Alliance in Asien tätig. Im vergangenen Jahr lagen die Prämieneinnahmen der AGCS in Asien bei rund 250 Millionen Euro, die Gewinnmarge überstieg die Pläne um das Fünffache. Der Industrie- und Spezialversicherer ist in Asien an einer Vielzahl hochkarätiger Sehr aktuelles Thema. Lange Zeit war das Kundeninteresse an einer solchen Absicherung in Asien eher verhalten. So krass Fälle wie bei VW für das betreffende Unternehmen sind, sie sorgen zumindest dafür, dass Kunden die drohenden Gefahren stärker wahrnehmen und wir mehr Gehör für unsere Vorschläge finden. Die AGCS ist als eigenständige Einheit erst seit acht Jahren in Asien unterwegs. Ist dieser späte Einstieg ein Handicap? Wir müssen uns auf breiter Front erst noch einen Namen machen. Viele im Markt betrachten uns als eine Art schlafender Riese, auch wenn unsere Wachstumsraten – 2014 lagen sie bei über 25 Prozent – durchaus registriert werden. Die Zusammenarbeit mit internationalen Maklerhäusern läuft sehr gut. Nachlegen müssen wir bei der Kooperation mit lokalen Vermittlern. In Hongkong zum Beispiel werden 40 Prozent des Industrieversicherungsgeschäfts über Infrastrukturprojekte beteiligt, darunter am Bau der längsten Brücke der Welt von Hongkong nach Macao, am Ausbau des internationalen Flughafens in Singapur sowie an einer Reihe von U-Bahn-Bauten in Chinas Megacitys. Im letzten Jahr konzipierte Mitchells Team ein Versicherungsprogramm für die Geschäftsaktivitäten des französischen Energieversorgers Engie in Asien und im Nahen Osten. Engie ist nach Prämienvolumen der derzeit größte Kunde der AGCS Asien. W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M Gemüse auf Rundkurs globale Maklerfirmen abgewickelt, weitere 40 Prozent aber über lokale Anbieter. In der internationalen Szene kennt und vertraut man uns. Auf lokaler Ebene müssen wir dieses Vertrauen noch gewinnen. AS I EN kurs werden sie gleichmäßig mit Licht, Wasser und Nährstoffen versorgt. Die Vertikalmethode erzielt im Vergleich zum traditionellen Landbau bis zu zehnmal höhere Erträge. 90 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs deckt Singapur über Importe ab. Was die Versorgung seiner 5,5 Millionen Einwohner mit Gemüse angeht, ließe sich die Abhängigkeit deutlich reduzieren, sagt Ngiam Tong Tau, Vorsitzender von Sky Urban Solutions, der Muttergesellschaft von Sky Greens. »Wir könnten die Selbstversorgung auf diesem Gebiet leicht von derzeit sieben auf 30 Prozent steigern. Die Regierung müsste uns nur mehr Land zur Verfügung stellen.« Land aber ist das Einzige, woran es in Singapur mangelt. Stern Nach Berechnungen der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 auf der Erde knapp zehn Milliarden Menschen leben, fast sieben Milliarden davon in Städten. Um alle versorgen zu können, müsste die Nahrungsmittelproduktion bis dahin um 70 Prozent steigen, sagen Experten. Singapur zeigt, wie es geht. F RAN K ST E R N Unschlagbar niedrig Singapur gilt in vielen Bereichen als Vorreiter; als Trendsetter in Sachen Landbau dürften den Stadtstaat bislang die Wenigsten auf dem Schirm gehabt haben. Und doch läuft im Schatten der berühmten Skyline gerade ein Feldversuch ab, der die Landwirtschaft revolutionieren könnte. Im August erhielt das Projekt den mit 100 000 Euro dotierten Index Award, dem wichtigsten Design-Preis der Welt. Während London in den Untergrund geht und in alten Luftschutzanlagen aus dem 2. Weltkrieg tief unter der Stadt Gemüse züchtet, strebt man in Singapur eher himmelwärts. Auf einem 3,65 Hektar großen Areal im Nordwesten der Insel startete Jack Ng vor sechs Jahren unter dem Namen Sky Greens die erste vertikale Farm der Welt. Deren Herzstück sind neun Meter hohe Aluminiumgestelle, auf denen Wannen mit Gemüsepflanzen rotieren. Auf ihrem gemächlichen Rund- 20 Mitarbeiter ernten derzeit pro Tag rund eine Tonne Gemüse Das Problem haben andere Staaten nicht. Dort fehlt es eher an guten Böden oder an ausreichend Wasser – oder an beidem. Für sie könnte das Modell von Sky Greens die Lösung sein. Für den Betrieb der Gemüsetürme, die immerhin 1,7 Tonnen wiegen, wird lediglich die Energie einer 60-Watt-Birne benötigt; der Wasserverbrauch liegt mit fünf Prozent im Vergleich zum traditionellen Landbau unschlagbar niedrig. Und die Technik ist so genial wie einfach. Saudi-Arabien und Ghana haben bereits Interesse angemeldet. China hat schon gekauft, genauso wie Frankreich, das das System in Polynesien einsetzen will. Der Weg in die Verkaufsregale ist kurz, die Nachfrage groß. Bis Ende dieses Jahres soll die Tagesproduktion auf fünf Tonnen gesteigert und die Zahl der Türme auf 2000 verdoppelt werden. wird schon mit Plattformen experimentiert, die im Wasser verankert oder auf Hausdächern und Parkdecks installiert werden können. Schrebergarten auf Abruf Auch wenn Singapur mit seiner Einwohnerzahl nicht an die zehn Millionen einer Megacity heranreicht, so orientieren sich doch viele an seinen urbanen Lösungen, zum Beispiel im Nahverkehr. Auch der Ende letzten Jahres erschienene Allianz Report zum Thema Megacitys stellt den Stadtstaat als Modell einer idealen Metropole vor. Doch in vielen Regionen schreitet die Urbanisierung weit weniger geordnet voran als auf der südostasiatischen Insel. Geht es nach Jack Ng und Ngiam Tong Tau, ist das Potenzial von Sky Greens auch in Singapur noch längst nicht ausgeschöpft. Derzeit ernten die 20 Mitarbeiter der Firma pro Tag über eine Tonne an verschiedenen Salat- und Gemüsesorten, die über Singapurs größte Supermarktkette vertrieben werden. Gab es 1950 mit New York und Tokio gerade zwei Megacitys auf der Welt, werden es 2030 über 40 sein. Vor allem in Schwellenländern Asiens und Afrikas entwickeln sich immer mehr Ballungsräume – viele davon weit entfernt von der Gartenstadt, in die sich Singapur gerade mit viel Aufwand verwandelt. Stattdessen schießen immer mehr chaotische Konglomerate aus dem Boden – mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Slums, Verkehrskollaps und mangelhafter Wasserversorgung. 46 Sky Greens (auch Seite 45) Die Gemüsetürme sind neun Meter hoch und verbrauchen wenig Energie und Wasser. Bis Ende des Jahres soll ihre Zahl auf 2000 verdoppelt werden Jack Ng, der als Sohn von Kleinbauern die Knochenarbeit auf dem Feld noch selbst kennengelernt hat, beschäftigte bei der Entwicklung des Vertikalsystems noch ein anderer Gedanke: Statt den Rücken beim Pflanzen und Ernten krumm machen zu müssen, lässt sich die Arbeit am Rotationsbeet im Stehen oder sogar im Sitzen erledigen. Damit ist sie auch für ältere und behinderte Städter geeignet – die Pflanzenwannen werden einfach auf die gewünschte Höhe hochgefahren. Da freilich endet die Sky Greens-Vision noch längst nicht. »Unser Traum ist es, zusammen mit Architekten und Stadtplanern Apartmenthäuser zu entwickeln, an deren Außenwänden unsere vertikalen Gärten angebracht sind«, sagt Ngiam Tong Tau. »Stellen Sie sich das vor: Bei Bedarf fahren Sie eines der Beete vor Ihrem Küchenfenster hoch und ernten, was Sie gerade zum Kochen brauchen.« Der Schrebergarten auf Abruf. Derweil bastelt Jack Ng zusammen mit Wissenschaftlern der Universität von Singapur und der Polytechnischen Hochschule weiter an Verbesserungen seines Vertikalsystems. Mittlerweile ist er bei Version 14 angelangt. Mag die Gartenstadt für viele ein ferner Traum bleiben, so könnte das Konzept des vertikalen Landbaus jedoch auch ärmeren Ländern helfen, den Druck zur Erschließung neuer Agrarflächen zu mindern. »Mit unseren Pflanzentürmen kann die Gemüseproduktion an die Peripherie der Städte rücken oder sogar in ihre Mitte«, erklärt Ngiam Tong Tau. Flächen dafür gebe es – auch in Singapur. Bei Sky Greens W W W. A L L I A NZ .C O M/D E /P R E S S E /N E W S/S T U D I E N/ 15113 0 _ D I E - M E G A S TA D T- D E R-Z U K U N F T- I S T- S M A R T/ Allianz Journal_Das Letzte AS I EN Ece Berkün – Türkin und Weltbürgerin, Mathematikerin, alleinerziehende Mutter. Über die ungewöhnliche Karriere einer ungewöhnlichen Frau. Zwischen den Welten F RA N K ST ERN Über ihr erstes graues Haar habe sie sich gefreut, sagt Ece Berkün. Sie liebt solche Sätze. Sätze, bei denen man sich fragt, wie jemand nur auf so was kommt? Ein graues Haar ist kein Grund zur Freude, es ist der deprimierende Vorbote des Alters, von hier an geht’s bergab. Nicht in ihren Augen. »Die Perspektive ändert sich, wenn man sich die Alternative vor Augen führt«, sagt sie. »Und die Alternative wäre, jung zu sterben. Ein graues Haar zeigt, dass man etwas erlebt hat, dass man eine Geschichte erzählen kann. Ich kann eine Menge Geschichten erzählen.« Über die Geburt ihrer Tochter zum Beispiel und das, was sie auslöste. Wie sie ihr durchorganisiertes Leben auf den Kopf stellte und ihre Prioritäten verschob. Als Allianz Projektberaterin war Ece Berkün damals ständig zwischen München und Mailand unterwegs, am Wochenende fuhr sie nach Heidelberg zu ihrem Mann. »Es war eine hektische Zeit«, sagt sie. Familienzuwachs war da eigentlich nicht vorgesehen, zumal sie gerade befördert worden war. »Ich erinnere mich, wie mein Mann und ich im Auto saßen und darüber sprachen, noch ein, zwei Jahre zu warten«, erzählt Berkün. Doch Planung ist das eine, das Leben das andere – zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits schwanger. Das Kind veränderte ihre Welt von Grund auf. »Es war ein kleines Lebens-Beben«, sagt sie. Ein Beben, das die Schwerpunkte in ihrem Leben verschob und sie ihre Erwartungen an die Zukunft neu justieren ließ. Als sich der Staub legt, beginnt Berkün, für sich und ihre Tochter die Puzzleteile zu ordnen. Als Mathematikerin hat sie gelernt, dass es für alles eine Lösung gibt. Im Reich der Zahlen und Formeln wie im richtigen Leben. Manche sind schmerzlich. Altmodisch und verstaubt Mathematik war in der Schule nicht unbedingt ihr Lieblingsfach. Sie mag Literatur, kann gut formulieren und schreiben. Das wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Doch Berkün denkt vom Ende her, logisch, nüchtern, analytisch. Ein Zug, der ihr in ihrer späteren Rolle als Projektberaterin zugute kommen wird. Mathematik, so die Rechnung, eröffnet vielfältige berufliche Optionen – und es ist nie langweilig. Mit diesem tröstlichen Gedanken stand sie das Studium durch und machte an der Uni in Istanbul ihren Abschluss. »Ich erinnere mich heute an keine der Theorien mehr, mit denen wir uns damals herumschlugen«, sagt die 40-Jährige, »doch ich verließ die Uni mit einem anderen Bewusstsein, mit einer anderen Art zu denken.« Und dann landet sie ihren ersten Job bei einer Versicherung – ein Fehlgriff, wie es scheint. Altmodisch und verstaubt kam ihr die Branche vor, sagt Berkün, nichts, wo sie es auf Dauer würde aushalten können. Stern In der Welt der globalen Konzerne ebenso zu Hause wie im Familienbetrieb – Ece Berkün 48 »Ich kam von einer der Top-Universitäten des Landes und hatte Größeres, Aufregenderes im Sinn«, blendet sie zurück. Als etwas in die Jahre gekommenes Sprungbrett mochte der Laden wohl dienen – ein bisschen Geld verdienen, ein paar Sachen kaufen, und sich dann was Vernünftiges suchen, das war der Plan. Wer sich heute mit Ece Berkün unterhält, könnte den Eindruck gewinnen, es gäbe kaum etwas Spannenderes als die Assekuranz. Allianz Journal_Das Letzte Einer ihrer ersten Chefs hatte sie damals gewarnt. Das Versicherungsgeschäft sei wie ein Virus – einmal angesteckt, komme man nicht mehr davon los. Ein ansteckendes Virus? denkt man ungläubig. Im Ernst? Doch was es auch war, das sie fasziniert hat, mittlerweile ist Ece Berkün seit 17 Jahren dabei, 13 davon bei der Allianz. Sie kann zuhören – für einen Berater keine schlechte Eigenschaft. Doch die zierliche Frau mit dem entwaffnenden Lächeln kann auch argumentieren. Klar, überzeugend. Sie schafft es, die eigenen Prämissen, die unverrückbar scheinen, zumindest zu hinterfragen. Wer mit ihr diskutieren will, sollte jedenfalls gut vorbereitet sein. © 2013, Scott Adams, Inc./Distr. Universal Uclick/Distr. Bulls privat AS I EN Blick von außen Für ihr erstes Projekt zieht sie 2003 für ein Jahr nach Thailand. Das nächste führt sie für ein Jahr nach Kanada, 2005 ist sie für sechs Monate in Brasilien. Ein Leben zwischen den Welten. Die Geburt ihrer Tochter 2009 aber verändert alles. »Sie ist das Beste, was mir je passiert ist«, sagt die alleinerziehende Mutter heute. München wird für die kleine Familie zur Heimat, doch als das Mädchen beginnt, auf türkische Fragen deutsch zu antworten, entscheidet sich Berkün für eine Kehrtwende: Sie bricht ihre Zelte in Deutschland ab und geht mit ihrer Tochter zurück in die Türkei. »Ich wollte nicht, dass sie ihre Muttersprache vergisst.« Wurzeln sind ihr wichtig. »Sie ist das Beste, was mir je passiert ist« – Ece Berkün mit ihrer Tochter Zeren Der andere Grund, zurückzugehen, war ihr Vater. »Ich hatte mir immer gewünscht, einmal mit ihm zusammenzuarbeiten. Er ist der geborene Unternehmer«, sagt sie. »Ich wusste, ich kann eine Menge von ihm lernen.« Für drei Jahre steigt Berkün als Managerin in der Firma ihres Vaters in Izmir ein, einer Druckerei mit 40 Angestellten. Es ist das Gegenstück zum globalen Konzern: keine Lenkungsausschüsse, keine Abstimmungsorgien, keine Meeting-Marathons. »Stößt man irgendwo auf ein Problem, entwickelt man eine Lösung und am nächsten Tag setzt man sie um«, beschreibt Berkün den Alltag im Familienbetrieb. »Du sagst, wo es langgeht.« Der Allianz bleibt sie jedoch auch während dieser Phase erhalten – einen Teil ihrer Zeit ist sie als Beraterin mit dem Blick von außen weiter für ihren alten Arbeitgeber tätig. Letztes Jahr hat der ihr ein Angebot unterbreitet, das ihre Abenteuerlust neu geweckt hat. Heute lebt Ece Berkün mit ihrem Kind in Singapur, wo sie das Beratungsteam Allianz Consulting Asia leitet. Bevor sie zusagte, reiste sie mit der Tochter nach Singapur. Sie zeigte ihr die Stadt, sie sahen sich Schulen und Wohnungen an. Dem Mädchen gefiel der Gedanke an das Abenteuer, und so stand der Entschluss fest. Der Start in Singapur verlief dann allerdings holpriger als erwartet: Die Umzugsfirma, die sich für den Aufbau der Möbel nicht zuständig fühlte; die neue Wohnung, in der die Lichtschalter nur gelegentlich funktionierten und in der sich das Fenster im Kinderzimmer nicht verriegeln ließ, was im zehnten Stock durchaus Grund zur Sorge ist; der Anfahrtsweg zum Büro, der sich als zeitaufwändiger herausstellt als vom Wohnungsmakler dargestellt. »Es sind die vielen kleinen Haken, die unglaublich viel Zeit und Energie kosten«, sagt Berkün. Glücklicherweise hatte sie Kollegen und Freunde, die ihr halfen, die kleinen und größeren Probleme zu lösen. Mittlerweile haben sich Mutter und Tochter in der neuen Umgebung eingelebt. Berküns Arbeitspensum ist hoch, noch ist sie dabei, eine gesunde Balance zwischen Job und Kind zu finden. Wenn sie heute junge berufstätige Frauen sieht, die vor der Frage »Kind oder Karriere« stehen, kann sie deren Zweifel gut nachvollziehen. Sie hatte sie ja auch. Doch die Entscheidung für ihr Kind, sagt sie, habe sie nie bereut. »Ein Kinderlachen lässt jeden Zweifel verschwinden.« Das Allianz Journal im Internet: W W W. A LLI A NZ .C O M/J O U R N A L Zeit der Drohnen Das Militär ließ sie als Erste aufsteigen, inzwischen aber dringen unbemannte Flugobjekte zunehmend auch in den zivilen Sektor vor. Das Zeitalter der Drohnen hat begonnen. Mehr lesen… Ab April finden Sie Noch macht ihr das Nomadenleben Spaß, das sie alle paar Jahre an eine andere Ecke der Welt führt. Doch irgendwann, sagt sie, wolle sie zurück in ihre Heimat. Wurzeln sind ihr wichtig. 50 uns dann unter fol W W W .W O R LD - gender Web-Adresse O F- A LL I A N Z .C O : M