Kovacii

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Kovacii
Phragmipedium kovachii am Naturstandort
von Harold Koopowitz
Es kommt nicht sehr oft vor, dass eine neue Orchideenspezies das Potenzial hat,
die Orchideenwelt, wie wir sie kennen, zu verändern. In meinem Leben hat es nur
sehr wenige gegeben; Paphiopedilum armeniacum, P. vietnamense und
Phragmipedium besseae sind ein paar wichtige gewesen. Jetzt kommt
Phragmipedium kovachii, eine Blüte mit der Größe, dem Beitrag und der Färbung,
die die neuweltlichen Frauenschuh-Orchideen in einem Maße umformt, das man
sich kaum vorstellen kann. Als diese besonderen Spezies erschienen, ist ihre
Bedeutung fast gleichzeitig und universell erkannt worden, und keine noch so
vielen nationalen oder internationalen Gesetzgebungen werden verhindern, dass
sie überall in den Händen von Orchideenzüchtern enden. So war es nicht
überraschend zu hören, dass die erste gefundene Population von P. kovachii
ausgeplündert worden ist und in Europa zu Preisen bis zu 1000 US$ pro Pflanze
zu haben waren. Ebenso war es nicht überraschend, dass die nächste in Peru
gefundene Population auch restlos aufgesammelt worden ist.
Es gibt wenige Orchideen-Gärtnereien in Peru, die mit dem Segen der
peruanischen Regierung arbeiten eine davon gehört Alfredo Manrique Sipan. Es
hatte ihn ein Jahr gekostet, die Erlaubnis zu bekommen, um Pflanzen von P.
kovachii zu sammeln, die die Grundlage für die künstliche Vermehrung bilden
könnten. Er durfte bis zu fünf Pflanzen sammeln. Diese würden zu den einzigen
legalen erhaltenen Pflanzen dieser Spezies gehören. Sie gaben ihm sehr wenig
Gelegenheit, die fünf Pflanzen zu sammeln. Bei dieser Gelegenheit war es, dass
mehrere Freiwillige von Orchid Digest und einige ihrer Kollegen eingeladen
wurden, nach Peru herunter zu kommen, um die Pflanzen zu fotografieren. Ich
interessierte mich besonders dafür, die Pflanzen in der Natur zu untersuchen, und
wir hofften, dass wir sie in einer unberührten Population betrachten könnten.
Die Zusammenkunft
Der Expedition gehörten Karen Muir, James Comstock, Steve Hampson und ich
vom Orchid Digest und Südkalifornien an; von der Ostküste waren es Angela
Mirro, Marc Hachadorian und Glen Decker. Einige von uns waren vorher
zusammen gereist und es war abzusehen, dass wir eine kongeniale, wenn auch
ziemlich große Gruppe bildeten. Unser furchtloser Führer, immer voller
Optimismus, war Dr. Isaias Rolando, der bekannte Orchideen-Enthusiast aus
Peru. Natürlich gab es Dinge, die wir auch tun mussten und die nichts mit
Orchideen zu tun hatten, wie z.B. der Besuch der berühmten Ruinen von Machu
Picchu. Wegen eines großen internationalen Treffens in Peru zu dieser Zeit
beschlossen wir, die Ruinen zuerst zu machen. Die Zeit war knapp. Die Kalifornier
kamen kurz nach Mitternacht in Lima an, fanden unser Hotel um 1:30 Uhr und
gaben Order für die Weckrufe um 3:30 Uhr, so dass wir um 6:00 Uhr den Flug
nach Cusco nehmen konnten. Angela und Isaias waren im gleichen Hotel, aber
wir sollten diesen Morgen auch Marc und Glen in Cusco abholen. Isaias hatte
einen Lieferwagen bestellt, um uns am Flughafen in Cusco aufzunehmen, dann
Marc und Glen zu finden und uns zum Zug zu fahren, der uns zu dem modernen
Dorf Aguas Calientes, unterhalb der Ruinen von Machu Picchu bringen würde.
Der Zug würde uns einen Fluss entlang führen mit einer unglaublichen Aussicht
auf die umliegenden Berge. Nach dem Zug brauchten wir einen Bus, der uns über
eine steile Zickzackstraße 8 km zur Spitze des Berges und zu den Ruinen bringen
würde. Wir wollten diesen Nachmittag durch die Ruinen wandern. Dies muss eine
der spektakulärsten Aussichten der ganzen Welt sein. Das Wort "überwältigend"
reicht nicht, um sie zu beschreiben. Und natürlich gibt es dort oben auch
Orchideen. Eine Pflanze von Phragmipedium caudatum grüßte uns beim Eingang
zu den Ruinen. Da sie natürlicher Weise in der Umgebung vorkommt, ist sie
hierher verpflanzt worden, und obwohl sie noch ein bisschen zerzaust war,
begrüßte sie uns freundlich. Es gab noch andere Orchideen, die wir schon vom
Bus aus gesehen hatten; ein kleines pinkfarbenes schilfstängeliges Epidendrum
und eine große Sobralia dichotoma mit lackartigen rötlichen Blüten. Unter den
Nichtorchideen-Schätzen waren pinkfarbene Begonien und das spektakuläre tief
blutrote Hippeastrum machupicchuensis, nach dem sogar die Orchideenzüchter
gierten. Ich hatte die Beschreibungen von Böschungen an den Ruinen mit
Masdevallia veitchiana gelesen, die weite scharlachrote Flächen voller Farbe
bildeten, die aber leider nicht mehr existieren. Die Ruinen werden von den
meisten Orchideen-Kümmerpflanzen frei gehalten, oder vielleicht nehmen sie die
Touristen mit.
Am folgenden Nachmittag besichtigten wir das "Orchideenheiligtum" im Garten
des Machu Picchu Pueblo Hotels. Dieser Garten versucht, Orchideen der Region
zu zeigen, wie man sie in der Natur finden könnte. Er ist eine sehr ausgedehnte
und interessante Sammlung der lokalen Orchideen. Hier war ein wunderbares
Phragmipedium caudatum, das vor mindestens 10 Jahren gepflanzt worden war.
Die Blüten waren im tadellosen Zustand. Hier war auch Masdevallia veitchiana in
Blüte. Der Garten war die Idee von Isaias Rolando und dem Hotelbesitzer Jose
Koechlin von Stein, wird aber erhalten von Moises Quispe, der sich offensichtlich
völlig seiner Aufgabe widmet. Er ist Einwohner von Aguas Calientes und stammt
aus einer alten Familie des Gebietes. Moises kennt seine Pflanzen und ist
geschickt darin, sie unter den Bedingungen des Gebietes zu kultivieren. Ein
Besuch des "Heiligtums" ist sicherlich lohnend.
Diesen Abend fuhren wir für die Nacht nach Cusco zurück. Das Hotel Monasterio
mit seinen großartigen Einrichtungen bot uns ein exquisites Abendessen. Wir
nahmen am frühen Morgen den Rückflug nach Lima und dann am Nachmittag ein
anderes Flugzeug nach Tarapoto. Ich bemerkte im Flughafen in Tarapoto ein
Plakat mit einem schlechten Foto von Phragmipedium kovachii, das es zu einer
geschützten Pflanze erklärte. In Tarapoto wartete auf uns ein Lieferwagen mit
einem Fahrer namens Pedro und Manuel Camacho Vela, einem Einheimischen
aus Pacayzapa, der mit den lokalen Orchideen und seinem 17-jährigen Sohn
Juan Camacho Sanchez sehr vertraut war. Alle drei waren sehr freundlich und
verbindlich, besonders Manuel, der über die lokalen Gegebenheiten und
Orchideen sehr gut Bescheid wusste. Wir waren froh, sie in unserem Team zu
haben. Manuel hatte schon einen Bauern kontaktiert, der behauptete, einen
Standort zu kennen, wo vielleicht an die 2000 Pflanzen von P. kovachii wuchsen.
Einige Autostunden von Tarapoto entfernt fanden wir ein angenehmes Hotel, das
wir für die mehreren Tage, die wir der Entdeckung des Phragmipedium kovachii
widmen wollten, zu unserem Hauptquartier machten. Um zu versuchen, die
Örtlichkeit geheim zu halten (in der vagen Hoffnung, die Population in der Natur
zu schützen), liefere ich keinerlei nähere Information über die Örtlichkeit. Der
Standort einer dritten Population war in der Tat kurz vor unserer Ankunft entdeckt
worden, und Manuel hatte die Möglichkeit unseres Besuchs arrangiert, um die
Pflanzen zu fotografieren. Später würde Alfredo von hier seine fünf legalen
Pflanzen auswählen. Wir sollten die ersten sein, die den Standort besichtigten,
und Alfredo sollte sich uns zu einem zweiten Besuch am folgenden Tag
anschließen.
Die Wanderung aus der Hölle
Es war eine mehrstündige Fahrt in die Berge, und wir hatten mehrere Böschungen
an Straßeneinschnitten mit Simsen passiert, die mit großen Gruppen von
Phragmipedium boissierianum überzogen waren. Juan Camacho fand eine neue
Spezies von Ophidion. Ich nahm mir vor, die Stelle noch einmal zu besuchen, um
den Fruchtansatz in der Population zu prüfen. Als wir weiter in die Berge gingen,
fing es an zu regnen. Wir hatten jetzt einige Bedenken, weil wir Jims teure
Kameraausrüstung keinem tropischen Platzregen aussetzen wollten. Optimistisch
sagte uns Isaias, es heiße, die Stelle wäre ziemlich nahe bei der Landstraße, nur
ungefähr eine bis eineinhalb Stunden zu Fuß über sanfte Hänge, so dass wir an
den beiden folgenden Tagen zurückkommen könnten, um zum Fotografieren der
Pflanzen gutes Wetter zu haben. Wir kamen bei dem kleinen Bauernhof an und
wurden Juan vorgestellt. Er war der Besitzer des Bauernhofs und anscheinend der
Mann, der diese neue Population von P. kovachii gefunden hatte. Was sollten wir
machen? In unserer kollektiven Weisheit entschieden wir uns, dass wir genau so
gut zu den Pflanzen hinüber wandern und anderntags zurückkommen könnten,
um sie zu fotografieren. Einige von uns hatten Gummistiefel mitgebracht, und es
schien angebracht, sie anzuziehen. Wir beschlossen alle, unsere Rucksäcke da
zu lassen, weil sie im Regen hinderlich sein könnten, wobei wir vergaßen, dass sie
Wasser und Imbisse enthielten. Ich beschloss, es zu riskieren und meine Kamera
mitzunehmen, was auch Glen tat. Die anderen entschieden sich, morgen zu
fotografieren. Ich habe immer zu den Menschen mit der Devise gehört: "Das
Leben ist kurz, iss das Dessert zuerst oder Du kannst das Wetter von morgen
nicht vorhersagen, fotografiere, wenn du Gelegenheit hast."
Und so machten wir weiter. Zuerst stiegen wir zu einem kleinen Grat über dem
Bauernhof, um dann auf der anderen Seite einem schlüpfrigen Steg hinunter zu
folgen. Der Steg erschien schlammig und mir gefiel, wie gut die neuen
Gummistiefel griffen und ich gratulierte mir zu meiner guten Wahl der
Fußbekleidung. Später sollte ich es bereuen. Nachdem wir den ersten Grat
geschafft hatten, setzen wir die Wanderung fort und folgten dem Pfad hinauf zu
einem etwas höheren Grat. Hier fing es an, ein bisschen schwierig zu werden.
Teile des Pfades waren wirklich steil, und in den flachen Gebieten schien der Pfad
sich in einen schlammigen Morast verwandelt zu haben. Man versuchte, auf
Steinen oder Baumstämmen voran zu schreiten, die an diesen Teilen des Pfades
strategisch ausgelegt waren. Fröhlich rief jemand aus: "Der erste, der fällt, kauft
heute Abend die Getränke für den Rest von uns!" Nachdem das Wort "fallen"
erwähnt worden war, fingen wir an, uns darüber klar zu werden, wie gefährlich der
Pfad war und ich bemerkte, dass die Frauen erhebliche Schwierigkeiten hatten.
Dieser kleine Ausflug war nicht so leicht, wie wir gedacht hatten. Nach einer
Stunde Wanderung kamen wir an einen kleinen Fluss mit schnell fließendem
Wasser, den wir zu durchqueren hätten; dieser würde der erste von vielen sein.
Wir hielten einen Kriegsrat darüber ab, ob wir weitergehen oder umkehren sollten.
Karen und Angela optierten für Rückkehr, und Isaias und Juan, Manuels Sohn,
wurden ausgewählt, mit ihnen zurückzukehren und bei den verschiedenen
Gefahren zu helfen. Tatsächlich fanden wir später heraus, dass es sie zwei
Stunden kostete, ihre Rückkehr zum Bauernhof zustande zu bringen.
Der Regen hörte auf, und wir machten mit geruhsamem Tempo weiter, immer mal
stehenbleibend, um all die hübschen Orchideen und die übrige Dschungelflora
anzuschauen. Wir passieren mehrere Nester von Maxillaria sanderiana in voller
Blüte, die massive dreieckige weiße Blüten mit kräftigen purpurnen Flecken
trugen. Es gab Mengen von kleinen unbekannten Pleurothallidinen, wie z.B.
Masdevallia lamprotyria und in einer Öffnung Horste einer zarten weißblühenden
kleinen Epidendrum-Spezies und eine blühende Pflanze von Kefersteinia
escalerensis. Ich mag Erdorchideen und bemerkte daher ein fantastisches
Stenorrhynchos mit einem Blütenstand von brillanten scharlachroten Brakteen und
Blüten. Die Köpfe waren wie ein Hirtenstab gebogen. Es gab mehrere dieser
Pflanzen und auch eine kleine Cyclopogon-Spezies mit reingrünen Blättern, aber
orangefarbenen Blüten. Auf einem Zweig in Augenhöhe thronte ein nicht
blühendes Phragmipedium wallisii zwischen kleinen Bromelien. In Blüte wäre es
der Traum eines jeden Fotografen gewesen. Im Geiste konnte ich die langen
Petalen in der Brise wehen sehen. Tiere schienen selten zu sein. Abgesehen von
ein paar Schmetterlingen gab es kaum Insekten. Man musste kein Insektenmittel
benutzen. Wir sahen eine ungewöhnliche, gelb-schwarz-scharlachrote Raupe,
und man sagte uns, dass dies eine fleischfressende Raupe sei. Ich könnte derlei
• wieder zu Hause - sicherlich in meinem Garten gebrauchen. In der Ferne waren
Papageienrufe deutlich zu hören.
Manche Teile des Pfades waren wirklich trügerisch; was wie Erdreich mit ein paar
Kräutern obenauf erschien, war in Wirklichkeit knietiefer, weicher Schlamm. Es
wurde zur Herausforderung, über einige der Strecken hinwegzukommen.
Scheiben von kleinen Baumstämmen mit 10 bis 13 cm Durchmesser waren
streckenweise auf dem Pfad ausgelegt. Man kletterte über sie in der Hoffnung,
dass man es zur nächsten Baumscheibe schaffte, bevor die, auf der man war, im
Schlamm untersank. Ich lag als erster im Schlamm, obwohl es mir gelang, meinen
Körper größtenteils herauszuhalten. Die Anderen erinnerten mich fröhlich daran,
dass ich jetzt eine Runde Getränke schuldete. Ich sagte nichts in der Erwartung,
dass ich, bevor der Tag zu Ende wäre, mehrere Runden Getränke schulden
würde. Jetzt, wo ich gefallen war, gestatteten sich die Anderen, ebenso
abzurutschen und zu fallen. Niemand entging den Gefahren. Ich nahm jetzt ein
Problem mit den Gummistiefeln wahr, sie waren eine halbe Nummer zu groß.
Wenn mir ein Stiefel im Schlamm steckte, rutschte mein ganzes Bein aus dem
Stiefel, der im Schlamm gefangen war. Nun war das Letzte, was ich wollte, dass
mein unbeschuhter Fuß in den Schlamm geriet. Es ist erstaunlich, wie gut man
auf einem Fuß balancieren kann, wenn man wirklich muss! Die anderen hielten all
dies natürlich für einen großen Spaß.
Wir kamen zu einem kleinen Anwesen und wurden von zwei Hunden begrüßt; es
gab da zwei Entenfamilien und einen kleinen Schweinestall. Wenn Leute da
waren, so mieden sie uns. Das Land rund um das Anwesen war schlammiger, als
ich es für möglich hielt. Eine Milchkuh und ein altes Maultier trugen zu dem
Hinderniskurs noch bei, indem sie entlang des Weges Kothaufen an strategischen
Stellen absetzten. Wir überquerten noch mehrere weitere Flüsse. Die
Wasserströmungen waren ziemlich stark und zerrten an den Füßen, wenn man
mehrere Zoll unter der Oberfläche auf Steinen balancierte. Ich schaute auf meine
Uhr. Es war drei Stunden her, seit wir aufgebrochen waren. Dies war alles andere
als eine leichte Wanderung gewesen. Wie weit und wie lange noch? Manuel und
Juan, der Bauer, hatten in unserer Nähe gestanden und deuteten durch
Zeichensprache auf meine Uhr und in die Richtung, die wir gingen. Manuel ließ
sich "Viente minutos" entlocken. Nur noch zwanzig Minuten. Etwa eine halbe
Stunde später entlockte ihm eine ähnliche Frage abermals "Viente minutos". Auf
weiteres Gestikulieren äußerte er etwas, das ich interpretierte als "gleich hinter der
Biegung". Der trügerische, schlammige Pfad setzte sich fort, aber das Wetter
klärte auf und die Sonne kam heraus. Es begann, warm zu werden. Niemand
hatte etwas zum Essen oder Trinken mitgenommen. Nach einer weiteren halben
Stunde war ich fast so weit aufzugeben. Ein drittes "Viente minutos" wurde uns
zugemutet. Es war jetzt vier Stunden her, seit wir das Auto verlassen hatten und
kurz vor 14 Uhr. Wir waren drauf und dran zu dehydratisieren und wurden immer
hungriger. Manuel signalisierte, dass die Zeit knapp würde. Steve sah auf seine
Uhr. Wenn wir auf der Stelle umkehrten und zurückgingen, dürften wir es nach
seinen Berechnungen nicht vor Einbruch der Dunkelheit schaffen. Es war nicht
möglich, den Weg im Dunkeln zu schaffen. In diesem Fall könnten wir uns gleich
hinlegen und sterben. Dies war fast eine attraktive Alternative.
Ungefähr 41/2 Stunden seit Beginn der Wanderung umrundeten wir eine Biegung
eines der Nebenflüsse und sahen vor uns eine steile Klippe. Dort, auf der Klippe
thronend, waren Hunderte von Phragmipedium kovachii. Irgendwie hatten wir es
geschafft.
Der Standort
Die Pflanzen wuchsen in Gruppen an einem sehr steilen Abhang. Es gab eine
dünne Schicht braunen, steinigen Erdreichs, die die Felswand überzog, und diese
wiederum war mit mehreren Zentimetern eines braunen Mooses bedeckt. An
manchen Stellen bildete das Moos kleine Hügel, und hier fanden wir die
Frauenschuh-Orchidee. Ein schneller Blick zeigte, dass es keine geöffneten
Blüten gab, und man konnte verhältnismäßig wenige alte Infloreszenzen sehen.
Ich hatte in Ecuador das Phragmipedium besseae auf Klippen über einem Fluss
gesehen, aber die Pflanzen hier hatten einen ganz unterschiedlichen Habitus.
Zunächst einmal wuchsen einige der P. kovachii in enormen Gruppen, 15 bis 20
Nester waren nichts Ungewöhnliches. Die Wurzelstöcke waren kurz, und die
Gruppen verhältnismäßig kompakt. Die Population war mehr oder weniger intakt.
Ich zählte die Pflanzen in einem kleinen Abschnitt der Klippe und schätzte dann,
dass es Alles in Allem 1000 individuelle Klone gewesen sein könnten. Ich
überblickte all die Pflanzen, die ich sehen konnte, und fand nur einen Blütenstiel
mit einer einzelnen Samenkapsel. Dies war ein bemerkenswert armer
Samenansatz, und man hoffte, dass er ein atypisches Jahr widerspiegelte. Es
schien dort eine ordentliche Anzahl sehr junger Sämlinge und eine Vielfalt an
Pflanzen verschiedenen Alters zu geben. Also gab es in der Population einigen
Nachwuchs.
Am folgenden Tag machte Manuel eine gründliche Untersuchung und konnte nur
drei Früchte, d.h. Samenkapseln finden, eine davon hatte Insektenschaden. Diese
Kapseln waren 8 - 9 mm dick und 8 bis 10,5 cm lang; viel robuster als Früchte, die
auf anderen Phragmipedium-Spezies zu sehen waren. An der Spitze der Klippe
gab es einen Sims, den ich nicht deutlich sehen konnte, aber einige der
hervorstehenden Blätter könnten auch zu P. kovachii gehört haben. Manuel
bestätigte dies später. Die Pflanzen begannen am Grunde der Klippe bei 1897 m
über dem Meeresspiegel und zogen sich Richtung Spitze hin, die 1982 m über
dem Meeresspiegel lag. Die Klippe war ungefähr 85 m hoch. Sie war nicht von
Bäumen beschattet, und somit wuchsen die Pflanzen in praller Sonne. Die Klippe
lag wahrscheinlich nach Südwesten, obwohl keiner von uns damals die
Geistesgegenwart hatte, die Richtung zu bestimmen. Es ging auch ein Gerücht,
dass eine nahegelegene Klippe auf der anderen Seite des Flusses und der
entgegengesetzten Richtung auch Pflanzen von P. kovachii hätte. Während wir an
dem Standort waren, wurde uns klar, dass der Pfad, dem wir gefolgt waren, ein
gut frequentierter Durchgangsweg war, weil in der Ferne plötzlich drei junge
Männer erschienen. Als sie sich uns näherten, ließ uns Manuel vortäuschen, dass
wir uns von der Klippe intensiv für die Vögel in den Bäumen jenseits des Flusses
interessierten. Das letzte, was wir brauchten, war, dass die lokalen Leute sich
dieser seltenen Orchideen bewusst wurden, wovon jede einzelne ein kleines, aber
reales Vermögen für die verarmten Leute bedeuten könnte. In diesem Fall würden
die Pflanzen kein Wochenende überdauern.
Am Tag darauf konnte ich die ausgewählten fünf Pflanzen genauer prüfen.
Manche ihrer Wurzeln waren fast 1 m lang, durchzogen aber nur die oberen paar
Zentimeter des Erdreichs. Manuel hatte drei Pflanzen mit Knospen gefunden.
Diese wurden unter den fünf ausgewählt in der Hoffnung, dass sich eine Knospe
entwickeln würde, damit Angela eine ganze Pflanze mit Blüte malen könnte.
Manuel brachte mir später eine Substratprobe, und ich bestimmte den pH-Wert zu
6,97 (Bereich 6,8 bis 7,1). Dies war Substrat aus dem Wurzelbereich. Man könnte
annehmen, dass die Pflanzen neutrale Substrate bevorzugen.
Die Blätter waren fest, ledrig zäh und scharf zugespitzt. Sie waren ganz anders als
die weicheren Blätter von P. besseae oder P. schlimii. Ich habe die größten Blätter
gemessen und fand, dass sie ungefähr 5 cm breit und 55 cm lang waren.
Ungewöhnlich war eine Purpurfärbung an der Basis einiger Blätter von jungen
Trieben und etwas Purpurfärbung an den Blütenstandscheiden und Brakteen. Ich
erinnere mich nicht an Purpurfärbungen an den Blattbasen oder Scheiden
irgendeiner anderen Phragmipedium-Spezies.
Die Blütenstiele waren robust und hatten von der Basis bis zu den ersten Knospen
Längen von 21, 37 und 40 cm. Ein Schaft hatte eine einzelne Knospe, ein anderer
hatte zwei und der letzte trug drei Knospen. Die Knospen waren oval, fast
pflaumenförmig und von dunkelbraun-kastanienbrauner Farbe mit grünen Stellen,
und das Ganze war dicht mit langen bronzenen Haaren bedeckt. Die Knospen
allein waren spektakulär genug, um Geräusche der Bewunderung aus der ganzen
Gruppe hervorzurufen. Jetzt soll nicht die Hauptblütezeit sein. Wir erwarteten die
Hauptblüte während der Regenzeit. Jetzt war keine Regenzeit. Es hatte an
diesem Tag nur zweimal geregnet. Wir erwarteten, dass während der richtigen
Regenzeit die Flüsse einen viel höheren und vielleicht unpassierbaren
Wasserstand haben. Vielleicht ist es das, was die Pflanzen so lange vor der
Entdeckung bewahrt hatte.
Die Einwohner glaubten, dass die meisten Blütenstände von Phragmipedium
kovachii nur eine oder zwei Knospen tragen, aber es ist schon von mehr als vier
Blüten an einem Stängel berichtet worden. Sie hielten die letztere Anzahl für
wirklich ungewöhnlich und selten. Juan, der Entdecker des Standorts, sagte, er
hätte einmal eine intensiv purpurne Blüte mit kontrastierenden, verstreuten
weißen Markierungen gesehen. Gewöhnlich ist die Lippe von einem purpurnen
Farbton und gemeinsam mit vielen anderen Phragmipedium-Spezies hat sie einen
breiten weißen Rand am Schuh. Unsere Dolmetscher waren nicht in der Lage zu
entscheiden, ob die von Juan erwähnten weißen Markierungen nur den Schuh
betrafen oder ob es zusätzlich weiße Flecken auf den Petalen geben könnte. Wir
glaubten schon, dass es erhebliche Farbvariationen der Blüten geben könnte. Ich
hatte von himbeer- oder fuchsienfarbenen Blüten gehört, und es gab eine
Beschreibung von weinroten Blüten, so dass wir hofften, es könnte einige tief
purpurne Blüten geben. Aber niemand hatte wirklich mit dem Anblick einer Blüte
gerechnet, die ein paar Tage später auftauchte, rein violette Farbe wurde nicht
gerade erwartet. Angela war dafür, eine zusätzliche Woche abzuwarten, bis sich
die Blütenknospe öffnet. Sie tat es wirklich, und Angela berichtete von einer
großartigen Blüte der natürlichen Breite von 14,5 cm. Die Farbe war ein sehr
dunkles purpur-kastanienbraun. Ist das nicht wunderbar?
Täuschung
Warum sollte eine Frauenschuh-Orchidee große purpurne Blüten produzieren? Es
gibt verschiedene Sträucher aus der Familie Melastomaceae, welche Dolden von
rundlichen Blüten in Schattierungen von Rosa bis Königspurpur und Violett tragen.
Verschiedene Tibouchina-Spezies sind in Kultur, und einige haben kräftige
purpurviolette Blüten. Wir sahen auf dem Weg zum Standort eine in Blüte, die
rosafarbene, erdbeerfarben überhauchte Blüten hatte. Es ist möglich, dass
Phragmipedium kovachii eine dieser Spezies nachahmt, und dass die zwei
Petalen einer Blüte dieser Frauenschuh-Orchidee zwei melastome Blüten darstellt
und der Schuh eine Knospe. Derartiger Betrug ist bei den Frauenschuh-Orchideen
nicht üblich.
Heimweg
Wir hatten fast eine Stunde am Standort verbracht. Steve bestand darauf, dass
wir bald gehen um zu versuchen, vor dem Dunkelwerden bis zum ersten
Bauernhof zurückzukommen. Das machte Sinn. Wir hatten auf dem Hinweg
getrödelt, aber jetzt mussten wir auf dem Rückweg Zeit gutmachen. Wir begaben
uns mit gleichmäßigem Tempo auf den Rückweg. Zuerst ging es gar nicht so
schlecht, und wir machten durch Erkennen verschiedener Pflanzen und Bäume,
die unterwegs als Wahrzeichen dienten, eine gute Zeit. Aber dann wurde der
Schlamm schlimmer. Ich beneidete jene, die Tennisschuhe oder Wanderstiefel
trugen und den Schlamm an ihren Beinen und Stiefeln einfach ignorierten und sie
an jedem Fluss abwuschen, nur um auf dem nächsten Hügel wieder von Schlamm
bedeckt zu sein. Nach ungefähr eineinhalb Stunden schien es schwieriger zu
werden. Die Pfade schienen steiler, der Schlamm tiefer und mein Atem kürzer. Ein
jeder musste oft stehen bleiben um durchzuatmen. Der arme Jim rutschte in der
Nähe einer Stelle, die das Maultier frequentiert hatte, in einer Schlammpfütze ab.
Er sagte, dass sich die Zeit verlangsamt hätte, als sich sein Gesicht der
Hinterlassenschaft des Maultiers näherte. Er hatte die Zeit zu denken und zu
reagieren, um sicher zu gehen, dass sein Mund geschlossen war! Sogar die
jüngeren Burschen, wie Marc und der junge Juan, schienen die Augenblicke zu
schätzen, wenn wir pausierten, um zu Atem zu kommen. Ich hatte mir die Nägel
an mehreren Zehen eingerissen. Steve musste mir mehrere Male helfen, die
Gummistiefel wieder anzuziehen; Ich konnte es nicht allein machen. Andere
beklagten sich, dass sie ihre Knie nicht mehr beugen konnten. Ich fragte mich
mehrmals, ob ich hier eigentlich heil herauskommen würde. Aber schließlich
schafften wir es tatsächlich. Der Heimweg dauerte nur wenig mehr als 31/2
Stunden. Die ganze Wanderung hatte 9 Stunden gedauert.
Als wir diesen Abend zum Hotel zurückfuhren, stoppten wir bei einem kleinen
Restaurant am Straßenrand, das wir vorher beauftragt hatten, unser Abendessen
zu kochen. Ich erinnere mich, wie ich am Fuße von vier kleinen Stufen stand, die
in das Cafe führten. Jede Stufe war nur ungefähr vier Zoll hoch - sie hätten
genauso gut vier Fuß hoch gewesen sein können. Mein Körper hatte genug. Er
würde sich noch tagelang beklagen. Ich bin durch viele tropische Gebiete getrekkt,
aber dies war das Kräfte zehrendste. Zuerst dachte ich, es habe mit meinem Alter
zu tun, aber jeder jammerte. Erst am nächsten Tag, als wir Alfredo dabei hatten
und Manuel zum Standort zurückging, um die fünf legalen Pflanzen zu holen, war
mir klargeworden, wie schwierig die Tour gewesen war. Manuel war sehr spät
zurück gekommen, und wir waren besorgt. Schließlich ging sein Sohn Juan
zurück, um seinen Vater zu finden und ihm beim Durchkommen zu helfen. Manuel
war erschöpft und dehydratisiert. Wenn sein Sohn nicht gewesen wäre, hätte er
ernste Probleme gehabt. Wenn schon die bestens geübten Einwohner die
Wanderung nicht zweimal machen können, ist es ein Wunder, dass die
ungeübten Besucher überhaupt in der Lage waren, einmal zu gehen. In der Tat
war nur Steve in der Lage, am zweiten Tag den Weg zurück zu gehen. Er ging
eine Stunde lang. Dem Rest von uns genügte schon der Gedanke, und wir
standen auf Manuel wartend herum.
Ich habe viele Wälder in den Tropen der ganzen Welt besucht und habe es immer
als ein Privileg angesehen, sie zu erleben. Die Bergwälder in Peru sind noch
verhältnismäßig ursprünglich, und man erwartet, dass sie noch andere
Orchideenwunder enthalten. Ich hatte die Genugtuung, Phragmipedium kovachii
in der Natur gesehen und photographiert zu haben, und unsere Gruppe war
wahrscheinlich eine der ersten Gringos, die die Gelegenheit hatten, diese
ungewöhnliche und wichtige Spezies zu sehen. Würden wir es trotz der extremen
Umstände wieder machen? Wetten dass!
Harold Koopowitz, Ökologie und Evolutionsbiologie
Universität von Kalifornien, Irvine, CA 92697
Email: [email protected]
Aus Orchid Digest, Okt - Dez. 2003,
Übersetzung H. Sorgler