Lebensstufen
Transcrição
Lebensstufen
Titel: Lebensstufen Autor: Syrinx ([email protected]) Fandom: Star Trek Voyager Pairing: J, C, Tu, Doc, OC; J/m, J/Tu Typ/Kat: drama, NC, CD Zusammenfassung: Ein einschneidendes Erlebnis und dessen Folgen veranlassen Janeway dazu, ihr Leben komplett umzukrempeln, während Tuvok mit allen Mitteln versucht, sie wieder zurückzubringen. Disclaimer: Paramount gehören Janeway, Chakotay, Tuvok und alle Voyager-verwandten Personen/Konzepte, die restlichen Personen/Konzepte gehören mir. Birgitt und Gunni: Ohne euch würde diese Geschichte immer noch irgendwo herumgammeln... Vielen, vielen Dank für eure Geduld, Unterstützung und natürlich die LastMinute-Beta! Lebensstufen Teil 1: Countdown Es war mal wieder einer dieser Tage... Chakotay seufzte tief und signalisierte Sandrine, dass sie ihm noch einen Scotch bringen sollte. Er starrte dumpf auf einen getrockneten Weinrand auf dem Tresen und drehte sein leeres Glas in den Händen. Es war einer dieser Tage. Sandrine stellte ein neues Glas gefüllt mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit vor ihn. Dann entwand sie das leere Gefäß seinem Griff. Chakotay nahm das Getränk und leerte es in einem Zug. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und die Welt schien für einen Moment etwas aus den Fugen zu geraten, doch als er das Glas auf den Tresen zurückgestellt hatte, war der Schwindel vorbei. „Noch einen.“ Seine Stimme klang heiser. Sandrine betrachtete ihn besorgt. „Ich denke, Sie hatten für heute genug, Big Man.“ Chakotay betrachtete sie mit glasigen Augen. Irgendwo in seinem Gehirn, zwischen all den Alkoholmolekülen, die ihm süßes Vergessen bescheren sollten, nahm er wahr, was sie da gerade gesagt hatte. Er hatte es so satt. Spirits, er hatte es wirklich satt, ständig gesagt zu bekommen, was gut für ihn war. Konnte er das nicht selbst entscheiden? „Noch einen.“ Sandrine seufzte, holte die Scotchflasche unter dem Tresen hervor und goss genau einen Finger breit in sein Glas. „Das ist aber der letzte für heute. Endgültig.“ Chakotay griff nach dem Glas und stürzte die Flüssigkeit hinunter. Dieses Mal schien die Bar länger zu schwanken, er musste sich am Tresen festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. ‚Ich bin verweichlicht‘, dachte er erbittert. Damals, im Maquis, hätte ihn das bisschen Scotch noch lange nicht aus der Bahn geworfen. Er dachte oft wehmütig an die Abende zurück, als noch alles in Ordnung gewesen war. Als es noch keine Direktiven und Parameter gab und niemanden, der ihn herum kommandieren konnte oder es auch nur wagte, ihm vorzuschreiben, was er zu tun hatte. „Fuck Star Fleet!“ Als er die feuchte Hitze der Bar verließ und in den kühlen Korridor vor dem Holodeck trat, wurde sein Kopf wieder klarer. Langsam machte er sich auf den Weg zum Turbolift, um in sein Quartier zurückzukehren. Eigentlich hatte er gar keine Lust, dorthin zu gehen. Nachdem er die letzten 48 Stunden in seinen zwei Räumen verbracht hatte, fühlte er sich, als würde ihm dort jeden Moment die Decke auf den Kopf fallen. Und warum? Nur weil der Captain vor lauter Machtgeilheit jeglichen Blick für die Realität verloren hatte. Chakotay zuckte regelrecht zusammen bei dem Gedanken an Kathryn. Spirits, dabei war er aus genau diesem Grund ins Sandrine‘s gegangen, um Kathryn und ihre verdammte Sturheit aus seinem Kopf hinaus zu bekommen. Kathryn und ihren Egoismus, ihre Kälte , ihre Selbstzufriedenheit und vor allem ihre Uniform, hinter der sie sich zu verstecken pflegte. Wie er diese Uniform hasste! Und nun stand er hier, betrunken, und dachte immer noch an sie. Chakotay verließ den Turbolift und betrat sein Quartier. Er riss sich die Uniform vom Leib und kramte lange und unter vielen Flüchen seine alten Sachen vom Maquis heraus. Er fühlte sich gleich viel wohler darin als in dem engen Sternenflottenoverall. Dann blickte er sich unschlüssig um. Müde war er eigentlich nicht und er wollte sich auch nicht schlaflos im Bett hin- und herwälzen, Kathryns Gesicht, als sie ihn suspendierte, ständig vor Augen. Er entschloss sich, ihr einen kleinen Besuch abzustatten. Wenn er sie schon nicht aus seinem Kopf herausbekam, sollte es ihr mit ihm nicht besser ergehen. Er presste die Glocke von ihrem Quartier zweimal, ehe sie ihm öffnete. „Commander! Ein Notfall?“ Chakotay ging an ihr vorbei und ließ sich auf die Couch fallen. Die Welt hatte sich wieder zu drehen begonnen. „Kommen Sie doch herein“, murmelte sie sarkastisch. Sie ließ sich ihm gegenüber auf einem Sessel nieder und betrachtete ihn. Chakotay erwiderte ihren Blick ohne zu blinzeln. Die Stille hing schwer zwischen ihnen, ehe sie sie brach. „Haben Sie mich aus dem Bett geholt, um mich anzustarren?“ Chakotay antwortete nicht. Er wusste, dass sie wusste, dass er wusste, dass sie nicht geschlafen hatte. Niemand schlief in Sternenflottenstandardtanktop und Uniformhose, nicht einmal Kathryn Janeway. Doch wahrscheinlich gab es eine Direktive, welche vorschrieb, dass Captains nachts um halb zwei zu schlafen hatten. Oder es war einer ihrer Parameter. Chakotay wusste es nicht und es war ihm egal. Langsam dämmerte ihm, dass es eine extrem dämliche Idee gewesen war, zu ihr zu gehen. Er erhob sich wieder und schwankte leicht. Dieser verdammte Scotch! Kathryn war aufgesprungen und hatte ihn am Arm gepackt, um ihn davor zu bewahren, auf die Couch zurück zu fallen. „Sie sind betrunken.“ Chakotay blickte in ihre Augen, welche ihn energisch musterten. Er hatte das Gefühl, sie bohrten sich in seine Augäpfel, durchdrangen seinen Schädel und blickten hinunter auf seine Seele, welche nackt und schutzlos vor ihnen lag. Er senkte den Blick und verzog das Gesicht. „Was ist los?“ Er hatte ihre Worte kaum gehört. Er öffnete die Augen wieder und war überrascht, die ihren plötzlich so voller Verständnis und Wärme zu sehen. Im nächsten Moment presste er auch schon seine Lippen auf ihren Mund. Kathryn musste wohl von seiner plötzlichen Attacke genauso überrascht gewesen sein wie er es war, denn es dauerte einige Sekunden, ehe sie sich von ihm befreite und ein paar Schritte zurück trat. „Ich denke, es ist an der Zeit zu gehen, Commander.“ Chakotays alkoholumnebeltes Bewusstsein füllte sich plötzlich mit blanker Wut. „Wurde einer deiner Parameter verletzt, Kathryn? Dann sage ich dir hiermit, dass deine Parameter mich nicht die Bohne interessieren. Ich habe inzwischen meine eigenen Regeln aufgestellt. Und da du mir deine Parameter aufzwingst, werde ich meine nun auch dir aufzwingen. Das ist nur gerecht, oder?“ Kathryn wurde unsicher, wie Chakotay mit einer gewissen Genugtuung bemerkte. Er würde sie nun mit ihren eigenen Waffen schlagen. Doch sie hatte sich schon wieder gefangen. „Ihre Regeln kümmern mich nicht. Ich bin immer noch der Captain auf diesem Schiff und ich befehle Ihnen, mein Quartier sofort zu verlassen.“ „Oder was? Steckst du mich in den Arrest? Wir sind hier nicht auf der Brücke, Kathryn.“ Er ging auf sie zu, riss ihr den Kommunikator von der Brust und steckte ihn in seine Hosentasche. „Ich wäre zu enttäuscht, wenn Tuvok unsere kleine Unterhaltung unterbrechen würde.“ Kathryn starrte ihn an, vollkommen vor den Kopf geschlagen. Chakotay konnte es ihr nicht verdenken, er war selbst überrascht über sein Verhalten. Seine Maquis-Zeit schien sich einfach immer wieder auszuzahlen, selbst oder gerade auf einem Sternenflottenschiff. „Was wollen Sie von mir?“ „Was ich von dir will, Kathryn? Dass du aufhörst, vor mir davonzulaufen.“ Sie versuchte, sich von ihm loszureißen. „Hörst du mir nicht zu? Du sollst nicht davonlaufen!“ Er schob sie vor sich her hinüber in den Schlafbereich. Dort stieß er sie auf das Bett und lehnte sich gegen den Türrahmen. Kathryn sprühte nun vor Wut. Ihre Stimme zitterte. „Sie wissen, dass ich Sie für Ihr Verhalten zur Verantwortung ziehen werde. Tom Paris hat einen neuen Rekord in Einzelhaft auf diesem Schiff aufgestellt; ich bin mir allerdings sicher, das Sie ihn brechen werden.“ Chakotay ging zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand über den Mund. „Sei jetzt still, Kathryn.“ Er packte ihre Handgelenke und verschloss ihren Mund mit dem seinen. Er spürte, wie sie sich anspannte, zappelte, versuchte, freizukommen. Er griff ihre Handgelenke fester und löste seine Lippen von ihren. „Warum hörst du nicht auf zu kämpfen, Kathryn? Leg doch nur für einen Moment dein Schwert beiseite.“ „Wie hat Lessing so schön gesagt: ‚Nicht einmal in der Hölle‘.“ „Warum hängst du so sehr an deiner Hölle?“ „Was wissen Sie schon von meiner Hölle!“ „Mehr als du dir vielleicht vorstellst.“ Chakotay wunderte sich immer wieder, wie es ihr gelang, so viel Wut, Hass und Verachtung in ihren Blick zu legen. Unter normalen Umständen hätte er weiche Knie bekommen. Kathryn hatte wieder zu zappeln begonnen. Er würde sie nicht mehr lange festhalten können, vor allem nicht in seinem Zustand. Unter Aufopferung seiner letzten Kräfte drehte er sie auf den Bauch und griff nach ihrem Uniformjackett, welches neben ihnen auf dem Bett lag. Er wickelte es um ihre Handgelenke und zog es fest zusammen. Dann ließ er sich neben ihr auf das Bett nieder, heftig atmend. Sie wollte aufspringen, doch er erwischte sie gerade noch rechtzeitig, packte sie und stieß sie zurück auf das Bett. „Computer, verschließe die Türen, Autorisation Chakotay Gamma 34, und deaktiviere die Sprachsteuerung, nur auf Chakotays Stimmmuster wieder aktivieren.“ Der Computer gab ein bestätigendes Signal von sich, dann senkte sich Stille über den Raum. Nur Chakotays und Kathryns heftiges Atmen waren zu hören. Sie war von ihm weg gekrochen und lehnte an dem Kopfende des Bettes. „Sie haben nun endgültig die Grenze überschritten. Das wird Konsequenzen haben, von denen Sie noch nicht einmal träumen können!“ Chakotay seufzte resigniert. „Kannst du es nicht einmal gut sein lassen, Kathryn?“ Sie blickte ihn wild an. Er glaubte, vor einer Katze zu sitzen, über welche ein Eimer kalten Wassers ausgekippt worden war. Er meinte sogar, ein Fauchen gehört zu haben. Aber das konnte auch einfach nur an seinem Promillestand liegen. Wie auch immer, er war nun einmal hier. Und jetzt? Sollten sie die ganze Zeit hier sitzen, untätig, den anderen mit bösen Blicken durchbohrend, bis in etwa sechs Stunden Tuvok kommen würde, um nachzusehen, warum der Captain nicht zum Dienst erschienen war? ‚Nein‘, dachte Chakotay, ‚dafür werde ich nicht das nächste halbe Jahr im Arrest verbringen.‘ Er schob sich hinüber zu Kathryn, drückte ihre Schultern auf das Bett und küsste sie. Sie versuchte auf das Heftigste, sich zu wehren, doch Chakotay lag mit seinem ganzen Gewicht auf ihren Rippen, so dass sie kaum atmen konnte. Sie hatte keine Chance. Trotzdem kämpfte sie für einige Augenblicke, ehe ihre Kraft nachließ und sie aufgab. Chakotay spürte ihr Erschlaffen, nahm seine Hände von ihren Schultern und legte sie um ihr Gesicht. Er streichelte ihre Haare, ihre Schläfen, ihre Ohren. Kathryn presste ihren Kiefer und ihre Lippen fest zusammen. Sie würde ihm nicht nachgegeben, niemals. Er hielt sie fest, gegen ihren Willen, und nun verging er sich auch noch an ihr? Nein, sie, Kathryn Janeway, hatte im Gegensatz zu ihm noch ein bisschen Würde, und dieses Bisschen würde sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen! Chakotays Lippen wanderten langsam über ihr Kinn hinunter zu ihrer Kehle. Er war wie in Trance, kein klarer Gedanke schien sich durch den dicken Nebel in seinem Geist kämpfen zu können. Er fühlte sich etwas unsicher; warum, wusste er nicht. Er hatte dies schon so oft getan, damals... Das hier war auch nicht anders, oder? Seine Hände wanderten mechanisch, ohne dass er sich ihrer bewusst war, über ihren Körper. Er hatte das bereits viele Male getan. Andererseits konnte er ein Gefühl des Triumphes nicht unterdrücken. Jetzt hatte er die Oberhand und sie musste tun, was er von ihr verlangte. Jetzt würde sie sehen, wie es war, wenn man ständig herumkommandiert wurde, dass einem keine Luft mehr zum Atmen blieb. Oh, sie würde es bereuen. Denn nach dieser Nacht, das war der letzte klare Gedanke, der durch Chakotays taumelnde Seele drang, war alles, was war und was hätte sein können, zerstört. Seine Lippen wanderten weiter, über ihr Schlüsselbein und hinunter; bis zu der Kante des Tanktops. Er richtete sich auf und begann, daran zu ziehen, bis es in der Mitte auseinanderriß und er es über ihre Schultern schieben konnte, wo es in einem Knäuel über ihren Handgelenken liegen blieb. Ihren BH zu entfernen wurde schon schwieriger. Chakotay rupfte grob an den Trägern, was Kathryn vor Schmerz zusammenzucken ließ. Nach einigen langen Minuten gaben sie endlich nach und Chakotay warf das zerrissene Kleidungsstück achtlos zur Seite. Er betrachtete Kathryn einige Sekunden lang. Ihre blasse Haut schimmerte im Sternenlicht, sie zitterte leicht in der Kühle des Raumes. Er streichelte ihre Brüste, sie fühlten sich warm und weich unter seiner Berührung an. Kathryn hatte die Augen geschlossen, als er anfing, ihre Kleidung zu zerreißen. Sie war unfähig, sich zu bewegen, sich gegen ihn zu wehren. Chakotay, ihr erster Offizier! Sie hatte ihm vertraut, sie hatte ihr Leben mehr als einmal in seine Hände gelegt. Und jetzt das! Tränen der Enttäuschung stiegen in ihr auf. Sie schluckte sie wütend hinunter. Sie würde ihm die Befriedigung, sie zerbrechen zu sehen, nicht gönnen. Sie würde nicht betteln oder flehen, geschweige denn weinen. Nein, sie würde ihre Würde bewahren. Ironischer Weise musste sie in diesem Moment an ein altes chinesisches Sprichwort denken, welches sie auf der Akademie aufgeschnappt hatte: „Wenn Vergewaltigung unvermeidlich ist, lehne dich zurück und genieße es.“ Damals hatte sie nicht viele Gedanken an diese Worte verschwendet, doch jetzt fand sie sie einfach nur abstoßend. Chakotay hatte begonnen, das Tal zwischen ihren Brüsten zu küssen und arbeitete sich langsam bis zu ihrem Nabel vor. Kathryn konnte spüren, wie sich seine Erektion in ihren Oberschenkel presste, und empfand Ekel. Er war wie ein wildes Tier, das sich an seiner Beute zu schaffen machte. Chakotay öffnete nun mit fahrigen Bewegungen ihre Hose, zog sie zusammen mit ihrem Slip grob hinunter und ließ sie neben das Bett fallen. Dann zog er sich seine Hose und seine Boxershorts ebenfalls aus und legte sich auf Kathryn. In seinem Kopf hämmerte und pochte immer derselbe Gedanke. Es war nicht anders als damals, es war genau wie damals, er hatte die Kontrolle... Er holte noch einmal tief Luft und stieß zu. Kathryn konnte es nicht verhindern, dass ihr ein kleiner Schmerzensschrei entkam. Sie war nicht bereit für ihn gewesen, und als er mit roher Gewalt in sie eindrang, fühlte sie sich, als hätte ihr jemand ein Messer in die Scheide gerammt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen angesichts des brennenden Schmerzes, und sie konnte nichts dagegen tun, dass sie ihr die Wangen hinunter rollten. Chakotay begann, sich in ihr zu bewegen, und jeder Stoß sandte eine erneute Welle des Schmerzes durch ihren Körper. Obwohl ihren Lippen kein weiterer Laut entkam, schrie sie innerlich. Sie fühlte sich so gedemütigt, sie verdammte ihn und den gesamten Delta Quadranten dafür. Chakotay stieß nun immer schneller zu und Kathryn musste sich auf die Lippe beißen, um nicht vor Schmerzen zu schreien. Sie spürte, wie die Haut ihrer Lippe unter ihren Zähnen nachgab und warmes, metallisch schmeckendes Blut in ihren Mund lief. Chakotays Körper begann plötzlich zu zittern und er kam mit einem tiefen Seufzer. Dann klappte er über Kathryn zusammen und rollte zur Seite. Der Nebel in seinem Kopf wollte sich einfach nicht lichten, er konnte immer noch nicht klar denken. Eine dumpfe Müdigkeit überkam ihn. Er versuchte sie zu bekämpfen, er zwang sich, die Augen offenzuhalten. Sein Blick wanderte hoch zu Kathryn. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Gesicht war tränenverschmiert, und ein dünnes, rotes Rinnsal zog sich über ihr Kinn hinunter zu ihrer Kehle, Blut wahrscheinlich. Chakotay fühlte eine plötzlich Welle von Mitleid und Ekel. Was hatte er getan? Seine Kathryn, seine über alles geliebte Kathryn! Er wollte sie in den Arm nehmen, trösten, dass sie alles vergessen würde. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. „Es tut mir leid.“ Kathryn zuckte unter seiner Berührung zurück und öffnete die Augen. Chakotay erschrak angesichts ihres Ausdrucks. Sie waren leer. Was hätte er dafür gegeben, Wut, Verachtung oder auch Hass darin zu sehen. Das war etwas, gegen das er ankämpfen konnte. Gegen diese Leere war er jedoch machtlos. Er konnte sie nicht länger ertragen. Er wandte sich ab von ihr und drehte ihr den Rücken zu. Was der Delta Quadrant begonnen hatte, hatte er nun vollendet. Er hatte sie zerstört. Er war egoistisch gewesen, er wollte sie haben oder keiner sollte sie bekommen. Das hatte er erreicht. Doch er hätte nie gedacht, wie schwer dieser Sieg auf ihm lasten würde. Er spürte wieder bleierne Müdigkeit und gab den Kampf gegen sie schließlich auf. Kathryn lag noch lange wach. Zwischen ihren Beinen pochte weiterhin ein heller Schmerz und ihre aufgewühlte Psyche ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Der Delta Quadrant war ihr Schicksal geworden. Sie dachte an den Tag zurück, als ihr Vater und Justin in den eisigen Fluten eines unbekannten Planeten versunken waren. Sie hatte damals geglaubt, ihre Seele müsste angesichts des Schmerzes zerbrechen. In Wirklichkeit war sie nur etwas aufgerissen, der Riss wurde von ihrer Familie, von Petunia, von Mark und vor allem von der Zeit gekittet. Der Delta Quadrant hatte stetig gegen diese Narbe geklopft, hatte sie penetriert und sie fast wieder zum Bluten gebracht. Doch nur fast. Den Rest hatte Chakotay heute Nacht erledigt. Kathryn fühlte sich schmutzig, verbraucht und einsam. Was würde sie dafür geben, ihr Gesicht in Petunias Fell vergraben und vergessen zu können, wenigstens nur für einen Moment, was heute Nacht passiert war. Sie zappelte etwas und mit großer Anstrengung schaffte sie es, sich auf den Bauch zu rollen. Kathryn fand, das diese Position etwas beruhigendes hatte, sie fühlte sich nicht so ausgeliefert. Sie war erschöpft, doch Bilder von Chakotay, von New Earth, heute Nacht, von Justin und ihrem Vater ließen sie nicht los. Irgendwann musste sie trotzdem eingeschlafen sein, denn sie erwachte beim plötzlichen Ertönen der Türglocke. Da die Sprachsteuerung in ihrem Quartier abgeschaltet war und Chakotay immer noch tief und fest schlief, war es ihr nicht möglich, die Tür zu öffnen. Es dauerte einige Sekunden, ehe Tuvok sich manuell Einlass verschafft hatte. „Captain?“ „Tuvok!“ Er betrat den Schlafbereich und blieb angesichts der Szenerie stehen. Trotz seiner vulkanischen Herkunft konnte er einen Ausdruck tiefsten Ekels nicht unterdrücken. Überrascht war er nicht besonders. Er hatte nichts anderes von Chakotay erwartet, immerhin hatte er längere Zeit undercover mit ihm beim Maquis sehr eng mit ihm zusammengearbeitet und war somit einer der wenigen, denen Chakotays Umgang mit seinen weiblichen Crewmitgliedern nicht verborgen geblieben war. Er war eigentlich der Meinung gewesen, dass der ehemalige Captain des Rebellenschiffs seine alten Angewohnheiten abgelegt hatte, doch anscheinend hatte er sich getäuscht. Er ging hinüber zu Kathryn, befreite sie von ihren Fesseln und breitete eines der Laken über ihr aus. „Tuvok an Brücke. Ein Sicherheitsteam zum Quartier des Captains.“ Dann ging er zu Chakotay und rüttelte ihn grob an der Schulter. Chakotay öffnete die Augen und blickte in das emotionslose Gesicht des Vulkaniers. ‚Shit. Jetzt geht es also los.‘ Und zu allem Übel hatte er auch noch einen kräftigen Kater. „Sie sind festgenommen, Commander. Den Grund dafür werde ich Ihnen wohl kaum nennen müssen. Ziehen Sie sich an, ein Sicherheitsteam wird Sie sofort in den Arrest bringen.“ Chakotay richtete sich auf, ignorierte das Stechen und Pochen hinter seinen Schläfen und begann, nach seiner Hose zu suchen. Als er fertig war, kamen auch schon die Sicherheitsleute und führten ihn ab. Tuvok sah ihm nach, dann wandte er sich an Kathryn, welche regungslos auf dem Bett lag. Er kniete sich neben sie, dass ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren. „Kann ich noch irgend etwas für Sie tun?“ Kathryn sah ihn an und Tränen stiegen wieder in ihr auf. Sie schluchzte unwillkürlich. „Tuvok...“ Er betrachtete sie mit einer leichten Spur des Mitgefühls in seinen Augen. „Ich werde den Doktor rufen, er soll Ihnen etwas zur Beruhigung geben.“ Kathryn zögerte. Sie war sich nicht sicher, ob sie jetzt ausgerechnet dem Doktor und seiner Selbstherrlichkeit ausgesetzt sein wollte. Tuvok bemerkte ihren Widerwillen. „Ich kann bei Ihnen bleiben, wenn Sie wollen.“ Kathryn nickte. Dann wickelte sie sich in das Laken, stand auf und ging in das angrenzende Badezimmer. Den Blick in den Spiegel vermeidend betrat sie die Schalldusche, schloß die Augen und entspannte sich etwas unter dem gleichmäßigen Summen und Pulsen der Wellen. Als der Duschzyklus komplett war, verließ sie die enge Kabine und schlüpfte in ein weites, bequemes Kleid aus rotem Baumwollstoff. Der Doktor erwartete sie schon im Schlafbereich. „Captain. Setzen Sie sich bitte auf das Bett.“ Er packte seinen Scanner aus und untersuchte sie. Seine Brauen zogen sich besorgt zusammen, doch er fing sich sofort wieder. „Nichts Dramatisches, Captain. Nichts, was wir nicht heilen könnten.“ Er griff nach dem Regenerator und behandelte ihre geplatzte Lippe. Dann zückte das Hologramm ein Hypospray und injizierte ihr den Inhalt in den Hals. „Gegen die Blutergüsse an Ihren Handgelenken kann leider auch der Regenerator nichts tun, die werden spätestens in einer Woche verschwunden sein.“ Der Doktor zögerte leicht und blickte auf einen Punkt hinter Kathryns Kopf. „Ähmm... für die restliche Behandlung müsste ich Sie bitten, Ihren... Unterleib freizumachen.“ Normalerweise hätte Kathryn gekichert. Sollte es tatsächlich etwas geben, was dem guten alten Doc peinlich war? Doch in diesem Moment stand ihr der Sinn nicht gerade nach kindischem Gegacker. Tuvok hatte den Raum verlassen, als Kathryn weiter zurück auf das Bett rutschte und den Doktor seine Arbeit machen ließ. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass der Schmerz fast sofort nachließ, nur ein leichtes Prickeln blieb zurück. Als der Doktor fertig war, packte er seine Sachen zusammen und betrachtete sie besorgt. Kathryn hatte sich von dem Bett erhoben und stand vor ihm. „Ich habe nun alle Gewebeschäden behandelt. Außerdem habe ich Ihnen etwas zur Schwangerschaftsverhütung gegeben, nur... für den Fall der Fälle.“ Kathryn nickte wie vor den Kopf geschlagen. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Schon alleine der Gedanke, dass sie ein Kind von Chakotay hätte bekommen können, ließ Übelkeit in ihr aufsteigen. Dem Doktor waren keine ihrer Gefühlsregungen entgangen. „Normalerweise würde ich Sie jetzt zu einem Counselor schicken, leider verfügt dieses Schiff aber über niemanden mit den ausreichenden Qualifikationen. Falls Sie nicht wissen, mit wem Sie reden sollen... Sie haben in der Vergangenheit auch schon viel für mich getan. Ich würde mich gerne revanchieren.“ „Vielen Dank, Doktor, ich weiß Ihr Angebot zu schätzen. Ich weiß nicht, ob ich darauf zurückkomme, aber ich weiß es zu schätzen.“ Der Doktor lächelte und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Lassen Sie sich Zeit. Erholen Sie sich, Commander Tuvok wird sich so lange um die Voyager kümmern. Sie sind für mindestens eine Woche vom Dienst freigestellt, Verlängerungen behalte ich mir vor.“ Er nickte ihr noch einmal kurz zu und verließ den Raum. Sie hörte, wie er sich drüben in gedämpftem Ton mit Tuvok unterhielt. Kathryn vergrub ihr Gesicht in den Händen und ließ sich auf das Bett fallen. Und jetzt? Jetzt würde sie die Konsequenzen für Chakotay zu bestimmen haben. Doch was war angebracht in einer Situation wie dieser? Soweit sie wusste, gab es keinen Präzedenzfall. Arrest bis sie den Alpha Quadranten erreicht hatten? Degradierung? Im Moment stand ihr der Sinn eher nach Kiel holen oder hundert Schlägen mit einem Hypospanner, während er sich über die Steuerkonsole beugte. Vielleicht konnte Tuvok ihr helfen. Sie betrat den Wohnbereich und fand den Vulkanier gedankenverloren aus dem Fenster starrend. Draußen zogen die langgezogenen Sterne vorbei, verzerrt durch die hohe Geschwindigkeit des Schiffes. Sie stellte sich neben ihn und betrachtete ebenfalls die vorbeiziehenden Lichter. Sie verschoben sich leicht, offensichtlich hatte Tom an der Steuerkonsole gerade eine leichte Kursänderung vorgenommen. Doch eigentlich ging sie das alles hier gar nichts mehr an. Wenn sie ehrlich war, war es ihr auch egal, was mit Chakotay passieren würde. Sie wollte nichts mehr wissen von einer Welt, welche so grausam zu ihr war. Welche ihr alles nahm, was sie liebte und was ihr wichtig war. Am liebsten hätte sie sich in ihr Bett gelegt, zusammengerollt zu einem kleinen Ball, und wäre nie wieder aufgestanden. Und genau das würde sie auch tun. Sie wandte sich an Tuvok. „Der Doktor hat Sie wohl schon darüber informiert, dass Sie für die kommende Woche das Kommando über die Voyager übernehmen.“ Der Vulkanier nickte mit unbewegtem Gesicht. Kathryn meinte aber, seine Kiefermuskeln stärker als sonst hervortreten zu sehen. „Ich überlasse Ihnen hiermit die Entscheidungsgewalt über das Schiff. Ich bitte Sie des Weiteren, auch über das Schicksal des Commanders zu entscheiden.“ Tuvok wandte ihr, milde überrascht, endlich sein Gesicht zu. „Wollen Sie das nicht selbst in die Hand nehmen?“ „Nein. Ich befürchte, mein Urteilsvermögen in dieser Sache könnte etwas... getrübt sein. Außerdem...“ Sie zögerte. Tuvok hob eine fragende Augenbraue. „Außerdem möchte ich das alles so schnell wie möglich vergessen. Ich lege die Sache in Ihre fähigen Hände. Ich bin mir sicher, dass Sie die richtigen Maßnahmen ergreifen werden.“ Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. Die Sterne zogen noch immer daran vorbei, unwissend und sich dessen unbewusst, was passierte, was passieren würde. Kathryn beneidete sie. Tuvoks Kommunikator piepste. „Brücke an Commander Tuvok.“ Es war Harrys Stimme. Kathryns Magen verkrampfte sich, als sie an den jungen Fähnrich dachte. Armer, unschuldiger Harry. Die Welt konnte so grausam sein. Sie wünschte ihm, dass er das nie würde erfahren müssen. Sie war schon wieder auf dem Weg zurück in den Schlafbereich, als Tuvok sich verabschiedete. „Und falls Sie reden möchten, wissen Sie, wo Sie mich finden. Meine Tür steht Ihnen immer offen.“ Kathryn betrachtete ihn liebevoll. „Danke, Tuvok.“ Er warf ihr noch einen letzten Blick zu, dann verließ er ihr Quartier. Kathryn warf die schmutzigen Laken in den Recycler, replizierte sich ein paar neue und rollte sich unter ihnen in ihrem Bett zusammen. Endlich konnte sie sich etwas entspannen. Sie genoss die Wärme und das schützende Gefühl der Laken um ihren Körper. Sie würde nie wieder aus diesem Bett aufstehen. Langsam driftete sie in einen unruhigen, von wilden Träumen geprägten Schlaf. =//-\\= Chakotay saß auf der harten Bank in seiner Zelle, das Kinn in die Hände gestützt. Er starrte schon seit fast über einer Stunde auf denselben Punkt auf dem Boden, genauso wie er seit über einer Stunde denselben Gedanken dachte. Warum? Wie hatte es nur so weit kommen können? Er war sich eigentlich sicher gewesen, seine Maquis-Zeit hinter sich gelassen zu haben, ebenso wie seine „Angewohnheiten“ von damals. Verdammter Alkohol. Er hatte einfach die Kontrolle verloren. Doch war es ihm zu verdenken? Seit mehr als fünf Jahren arbeitete er nun schon mit Kathryn zusammen. Fünf Jahre war er um sie herumgetänzelt, und sie um ihn. Fünf Jahre hatte sie ihm Hoffnungen gemacht, um ihn dann wieder auf Abstand zu halten. Fünf Jahre hin und her, heiß und kalt, hü und hott. Das konnte kein Mensch aushalten. Sie hatte mit ihm gespielt, ohne ihm die Regeln zu erklären. Schlimmer noch, sie hatte sie während des Spiels verändert, ohne es ihm mitzuteilen. Sein Pech, dass er darauf eingegangen war. Er hatte es sich angemaßt, nun ebenfalls einmal die Regeln vorzugeben. Er hätte wissen müssen, dass sie sich das nicht bieten lassen würde. Sie hatte gewonnen. Und er hatte es von Anfang an gewusst, dass sie gewinnen würde. Aber hatte er eine Wahl gehabt? Er war nicht gefragt worden, ob er das Spiel überhaupt spielen wollte. Verdammt, sie hatte ihn nie irgendetwas gefragt! All die Ratschläge, die sie von ihm haben wollte. Sie hatte immer schon ihre eigene Meinung gehabt, seine Ratschläge dienten nur zur Dekoration, zur Aufrechterhaltung des schönen Scheins. Um ihn einzulullen, ihn in Sicherheit zu wiegen. Ihm vorzugaukeln, dass er Einfluss auf sie hatte. Und weil das Protokoll es so wollte. Dieses verdammte Protokoll! Chakotay erhob sich wütend von der Bank und trat mit voller Wucht gegen den Rahmen, welcher das Kraftfeld aufrechterhielt. Der Crewman hinter der Kontrollstation blickte ihn erschrocken und mahnend an. Das machte Chakotay nur noch wütender. „Fuck StarFleet!“ Er trat noch einmal gegen den Rahmen, setzte sich jedoch wieder auf die Bank, als der Crewman Anstalten machte, seinen Phaser zu zücken. Er spürte, wie ein harter Gegenstand in seiner Hosentasche gegen seinen Oberschenkel drückte. Er griff hinein und holte das kleine Objekt heraus. Ihr Kommunikator. Er fuhr mit dem Finger über das platinfarbene Sternenflottenemblem. ‚Kathryn. Warum musste es soweit kommen? Warum hast du es soweit kommen lassen?‘ Bilder von New Earth zogen plötzlich vor seinem geistigen Auge vorbei. Kathryn, wie sie aus dem Wald kam, aufgeregt über eine neue Entdeckung, die sie gemacht hatte. Es hatte sich so richtig angefühlt, ihre Zweisamkeit war harmonisch gewesen. Er hatte das Gefühl gehabt, die Ewigkeit mit ihr verbringen zu können. Aber die Voyager kam zurück und zwang sie, ihre Plätze wieder einzunehmen, in ihre Rollen zurückzukehren. Von da an lief nichts mehr, wie es eigentlich sollte. Er hatte ihr versprochen, immer an ihrer Seite zu bleiben, sie zu unterstützen. Und er hatte versucht, verzweifelt und immer wieder, dieses Versprechen zu halten. Doch es war ihm immer schwerer gefallen, ihre Entscheidungen zu verstehen, ihre Motive nachzuvollziehen. Der konstante Druck, die Verantwortung, die auf ihr lastete, hatte sie hart gemacht. Sie sah nur noch das Schiff, die Crew als ein einziges Wesen, der Blick für den Einzelnen war ihr verloren gegangen, die Menschen hinter den Offizieren nahm sie nicht mehr wahr. Er wollte ihr doch die ganze Zeit nur helfen, in all dieser Dunkelheit, im Chaos ihren Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Doch sie hatte mit ihrer Fixierung auf das Ziel vergessen, auf den Weg direkt vor ihren Füßen zu achten. Verdammt, er wollte doch immer nur das Beste für diese Frau! Und was war der Dank dafür? Ablehnung, Kälte, Parameter. Er hätte ihr helfen können, er wollte ihre Stütze und, wenn es sein musste, auch ihr Fußabtreter sein, wenn sie ihn nur in ihr Leben gelassen hätte. Statt dessen saß er nun hier, im Arrest. Zugegeben, er hatte es verdient für das, was er getan hatte. Doch keiner schien daran interessiert zu sein, warum er es getan hatte. Ja, sie war der Captain, aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, auf den Gefühlen anderer herumzutrampeln wie auf altem Targ-Mist. Und verletzte Gefühle gaben ihm kein Recht, sich einfach so an ihr zu vergehen. Chakotays Magen brannte vor Schuldgefühlen. Wie oft hatte ihm sein Vater versucht beizubringen, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten, rational zu bleiben, konzentriert, seine Gedanken zu fokussieren. Doch er hatte sich gehen lassen. Er war betrunken gewesen, was keine Entschuldigung war, sondern eher ein weiterer Vorwurf. Ehrlich gesagt, er war noch nie sehr diszipliniert gewesen. Weder in der Sternenflotte, noch beim Maquis... Bis jetzt hatte sich das auch nicht nachteilig ausgewirkt, seiner Meinung nach. Was aber, ehrlich gesagt, auch nichts rechtfertigte. Chakotay seufzte und schloß seine Hand um Kathryns Kommunikator. Er wünschte, er könnte seine Gedanken abschalten. Würden sie ihn nun bis an sein Lebensende heimsuchen? Er konnte mit einem gewissen Maß an Schuld leben, doch diese Last war selbst für seine breiten Schultern zu viel. Er verkrampfte seine Hand um das Gerät. Kathryn. Der Name allein schien sein Herz, seine Seele zu zerreißen. Er musste an ihren Gesichtsausdruck denken, an ihre Augen, als sie gefesselt auf dem Bett lag. Der dünne Querstreifen des Kommunikators brach unter seinem unnachgiebigen Druck und die scharfen Kanten schnitten tief in sein Fleisch. Blut begann von seinen Händen auf seine Hose, auf den Boden zu tropfen. Chakotay kümmerte sich nicht darum, er schloss seine Faust noch fester um das kleine elektronische Gerät. Die Spitze des Dreiecks bohrte sich tief in seinen Handballen, doch zerbrach nicht. Schweiß begann sich auf seiner Oberlippe zu bilden. Der Schmerz in Chakotays Hand nahm zu, doch war nur ein lästiges Kribbeln im Vergleich zu der Agonie in seiner Seele. Es war unerträglich... verzehrend... Chakotay blickte auf. Der Crewman, welcher normalerweise hinter der Sicherheitsstation stand, hatte den Raum verlassen. Er erhob sich langsam von der Bank und trat auf das Kraftfeld zu. Er öffnete seine Hand und betrachtete das zerbrochene Sternenflottensymbol, gebadet in Blut. ‚Es tut mir so leid, Kathryn. Ich weiß, dass du mir nie verzeihen wirst.‘ Er schloß die Faust wieder und hob den Kopf. ‚Es tut mir leid, Kathryn. Kathryn.‘ Dann trat er in das Kraftfeld hinein. =//-\\= Tuvok betrat entschlossenen Schrittes die Krankenstation und entdeckte neben dem Diagnosebett den Doktor, der etwas hilflos auf den regungslosen Körper des Commanders herabsah. „Commander, es tut mir leid. Ich konnte nichts mehr für ihn tun. Die Energiemengen, die das Kraftfeld durch seinen Körper gesandt hat, haben seine Synapsen kollabieren lassen. Er muss dem Kraftfeld einige Minuten lang ausgesetzt gewesen sein. Ist die Station im Arrest nicht normalerweise durchgehend besetzt?“ „Der Crewman, der Dienst hatte, war nur kurz in den Korridor gegangen, um zwei Offizieren bei der Installation einer neuen Energiespule zu helfen. Als er wiederkam, fand er den Commander. Sein Bericht liegt mir bereits vor.“ Tuvok betrachtete das blasse Gesicht des toten Mannes. Wäre er kein Vulkanier, hätte er wohl Verachtung und Befriedigung empfunden, aber auch einen Hauch von Mitleid. Er war sich der Spannungen zwischen dem Captain und ihrem Ersten Offizier sehr wohl bewusst gewesen, man hätte taub und blind sein müssen, hätte man das nicht mitbekommen. Doch gestern Abend musste irgend etwas passiert sein, was die so gespannte Situation hatte eskalieren lassen. Er würde den Captain über den Tod des Commanders informieren müssen. Sein Blick fiel auf Chakotays Hand und er stutzte. War das Blut? „Doktor! Was ist das für eine Verletzung an der Hand des Commanders?“ Der Doktor wandte sich wieder an Tuvok und wies auf einen Tisch neben dem Biobett, auf dem ein zerbrochener, mit Blut befleckter Kommunikator lag. „Er hielt diesen Kommunikator in der Hand, als der Crewman ihn fand. Die Verletzungen stammen eindeutig von diesem Gerät.“ Tuvok ging hinüber zu der zerstörten Kommunikationsvorrichtung und scannte mit seinem Tricorder nach der Signatur. Er hatte es sich fast gedacht, das dies der Kommunikator des Captains gewesen war. Er nahm das Tablett, auf welchem der Kommunikator lag und wandte sich an den Doktor. „Ich werde den Captain informieren.“ Der Doktor nickte und blickte dem Vulkanier hinterher. Er beneidete ihn nicht um diesen Auftrag. =//-\\= Zum zweiten Mal an diesem Tag musste sich Tuvok manuell Einlass zum Quartier des Captains verschaffen. Er stellte das Tablett auf den Couchtisch, dann ging er langsam hinüber in den Schlafbereich. Das Licht war ausgeschaltet, die einzige Beleuchtung kam von den Sternen, welche draußen vorbeizogen, und den orange leuchtenden Wandeinfassungen. Seine Augen brauchten einige Minuten, ehe sie sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Alles, was er von dem Captain sehen konnte, war ein Haufen zerknautschter Laken und ein Büschel dunkelblonder Haare. Sie schlief. Er wollte sie nicht aufwecken, also ging er zurück, zog sich einen Stuhl unter eines der Fenster und starrte hinaus zu den Sternen. Er dachte an T’Pel, an seinen Sohn, seine Tochter. Er war sich sicher, dass sie wohlauf waren, sie waren von Leuten umgeben, die sie liebten, seiner Familie und ihrer Familie. Seine Gedanken drifteten weiter, zurück in seine Jugendzeit. Als er noch von Emotionen erfüllt gewesen war, Emotionen so gewaltig, dass er das Gefühl gehabt hatte, an ihnen zu zerbrechen. Im Nachhinein konnte er seinem Vater gar nicht dankbar genug dafür sein, dass er ihn zu dem vulkanischen Lehrmeister geschickt hatte, welcher ihm beibrachte, seine Emotionen zu kontrollieren, bevor sie ihn kontrollierten. Wenn er den Lehrer damals nicht akzeptiert hätte, wäre sein Schicksal wohl ähnlich wie das des Commanders verlaufen. Plötzlich vernahm der Vulkanier leise Schritte hinter sich und wandte den Kopf. Der Captain stand unter dem Türrahmen zwischen Wohn- und Schlafbereich und betrachtete ihn aus roten, vom Schlafen verquollenen Augen. Ihre Haare waren zerzaust und standen in allen Richtungen von ihrem Kopf ab und das Rot ihrer Augen hob sich von der fast schon kränklichen Blässe ihres Gesichts ab. Sie wickelte ihren Morgenmantel enger um sich und betrachtete ihn erschöpft. „Gibt es ein Problem, Commander?“ Tuvok schüttelte den Kopf und deutete auf das Sofa neben sich. Kathryn ignorierte die Geste und blieb stehen, wo sie war. „Warum sind Sie dann hier?“ „Setzen Sie sich, Captain. Es geht um den Commander.“ Kathryn schloss die Augen und lehnte ihren Kopf gegen den kalten Türpfosten. Natürlich. Ohne die Augen zu öffnen fragte sie: „Ja?“ Tuvok ging auf sie zu und blickte auf ihren verwuschelten Schopf. „Er ist tot. Er hat sich vor etwa einer Stunde im Arrest in das Kraftfeld begeben. Der diensthabende Crewman hat ihn erst nach einigen Minuten gefunden. Der Doktor konnte nichts mehr für ihn tun.“ Kathryn hatte Tuvok nicht eines Blickes gewürdigt, als sie zum Replikator hinüber ging. „Kaffee, schwarz.“ Sie nahm die Tasse aus dem Replikator und leerte sie in einem langen Zug. Dann stellte sie sie zurück und wandte sich an Tuvok. „Er hat sich das Leben genommen?“ Der Vulkanier hatte trotz seines ausgezeichneten Gehörs Mühe, ihre Worte zu verstehen. Er nickte. „Korrekt.“ Dann deutete er auf das Tablett, welches auf dem Couchtisch stand. „Das hat der Doktor in der Hand des Commanders gefunden, als sie ihn aus dem Kraftfeld befreit haben.“ Kathryn fuhr mit dem Finger über das fleckige Metall. Ihr Kommunikator. Der Querbalken war zerbrochen und es klebte Blut auf dem geschwungenen Dreieck. Kathryn lief es kalt den Rücken hinunter, als sie sich der Symbolkraft des Geräts bewusst wurde. Doch sie fing sich gleich wieder und gab sich Mühe, rational zu bleiben. Plötzlich kehrte die Müdigkeit wieder zurück. Kathryn wollte nur noch zurück in ihr Bett, allein sein mit sich und versuchen, ihren Gedanken zu entkommen. Tuvok hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Er nahm ihren Konflikt wahr, die Zerrissenheit zwischen den letzten fünf Jahren und der vergangenen Nacht, die Frage, ob sie trauern oder hassen sollte. Er hatte gehofft, dass der Commander und der Captain eventuell die ganze Sache sogar klären konnten, doch diese Hoffnung war zunichte gemacht. Er machte sich Sorgen um sie, und zwar berechtigte, wenn er die Zeichen richtig deutete. Er hatte damals von dem tödlichen Unfall ihres Vaters und ihres Verlobten gehört und Admiral Paris hatte ihm von seinen Sorgen um Lieutenant Janeway erzählt. Er hoffte, dass es diesmal nicht so weit kommen würde. Er würde jedenfalls das Seine dazu beitragen, um dies zu verhindern. Kathryn hatte sich ihm wieder zugewandt und blickte ihn mit leeren Augen an. „Würden Sie mich allein lassen? Ich würde gerne noch etwas schlafen.“ Tuvok nickte. Er würde ihr etwas Zeit geben. Eine Woche, vielleicht zwei. Doch dann musste sie wieder auf die Brücke, in das Leben, zurück. „Captain.“ Als Tuvok ihr Quartier verlassen hatte, begab sich Kathryn wieder zurück in ihr Bett. Sie zog die Laken fest um sich und schloss die Augen. Trotz der Tasse Kaffee, die sie getrunken hatte, fiel sie sofort in einen unruhigen Schlaf. >> Sie war in ihrem Bereitschaftsraum und las die täglichen Berichte. Im Maschinenraum lief alles mit höchster Effizienz, die Frachträume der Voyager waren bis oben hin mit Vorräten angefüllt und die Crew war zufrieden. Sie lehnte sich zurück. So hatte sie ihr Schiff am liebsten. Sie blickte sich unschlüssig in dem kleinen Raum um. Alles lief perfekt, es gab nichts für sie zu tun. Sie würde hinaus auf die Brücke gehen, einen Schwatz mit Chakotay halten und Tom ein bisschen necken. Sie ging zurück zu ihrem Schreibtisch, um ihr Terminal abzuschalten. Erstaunt bemerkte sie, dass die oberste Direktive auf dem Bildschirm zu sehen war. ~ Die oberste Direktive verbietet allen Raumschiffen und Angehörigen der Sternenflotte jegliche Einmischung in die normale Entwicklung fremder Kulturen und Gesellschaften. Die Einhaltung dieser Richtlinie steht über dem Schutz von Raumschiffen und Angehörigen der Sternenflotte. Verluste werden toleriert, soweit sie zur Einhaltung dieser Direktive erforderlich sind. ~ Aus den Worten schien sich eine seltsame dunkle Flüssigkeit zu lösen, die in einem schmalen Rinnsal den Bildschirm hinablief und sich in einer kleinen Pfütze auf ihrem Schreibtisch sammelte. Kathryn beugte sich neugierig darüber. Das war Blut! Erschrocken wich sie zurück und blickte sich panisch um. Seit wann blutete die oberste Direktive? Sie wollte raus aus diesem Raum und ging auf die Tür zu, als sie bemerkte, dass unter der Tür ebenfalls ein breiter Strom Blut hindurchlief. Kathryn wollte das Zimmer verlassen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Das Blut sprudelte und schäumte um ihre Füße, um ihre Fußgelenke, hinauf bis zu ihren Waden. Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Mit schier unendlicher Kraft kämpfte sie sich vor bis an die Tür, welche sich vor ihr öffnete. Das Bild, welches sich Kathryn bot, war furchtbar. Die Brücke, ebenso wie ihr Bereitschaftsraum, schwamm in Blut. Es troff von den Wänden, von der Decke und lief in breiten Rinnsalen über den Bildschirm, auf welchem ein fremdes Schiff explodierte und ein riesiges Trümmerfeld sichtbar wurde. Toms Kopf lag auf der Steuerkonsole, aus seiner Halsschlagader floß kontinuierlich ein dünnes Rinnsal des roten Lebenssaftes und vermischte sich mit der Flüssigkeit auf dem Boden. Tuvok war hinter seiner Station zusammengebrochen, B’Elanna trieb mit dem Gesicht nach unten in den roten Fluten. Harry hing über dem Geländer der Brücke und streckte eine schwache, zitternde Hand nach ihr aus. „Captain! Helfen Sie mir! Bringen Sie mich nach Hause!“ Seine Stimme und seine Augen brachen, er erschlaffte, sein Körper fiel über das Geländer und landete mit einem lauten ‚Platsch‘ vor ihren Füßen. Kathryn glaubte, den Verstand verlieren zu müssen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie wollte weglaufen, doch ihre Beine schienen ihr nicht zu gehorchen. Sie versuchte, ihren Kommunikator zu aktivieren, doch dieser war zerbrochen und ebenfalls mit Blut befleckt. Plötzlich stand Chakotay vor ihr und sah mit einem widerwärtigen Grinsen auf sie hinab. „Das ist das Ende, Captain. Sie haben versagt. Sie haben es nicht geschafft, diese Crew nach Hause zu bringen. Sie müssen den Preis für Ihr Versagen bezahlen.“ Mit diesen Worten zückte er ein Messer und rammte es ihr in den Unterleib. Kathryn spürte keinen Schmerz, sie fühlte nur, wie ihr Blut aus ihr herauslief. Chakotays schallendes Gelächter füllte den Raum. „Wir alle zahlen einen Preis, Captain. Ich meinen und Sie Ihren.“ Er drehte sich von ihr weg und verschwand im Turbolift. Kathryn versuchte verzweifelt, ihm zu folgen, doch ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen. Sie kämpfte gegen die plötzlich zähe Masse auf dem Boden an und erreichte endlich, nach einer beinahe übermenschlichen Kraftanstrengung, den Turbolift. Die Türen öffneten sich vor ihr, doch wo normalerweise die Liftkabine war, gähnte nun ein tiefer, dunkler Schacht. Sie spürte einen gewaltigen Sog von der Tiefe ausgehen. Kathryn verlor das Gleichgewicht, ruderte wild mit den Armen und fiel schließlich in die endlose Dunkelheit. Sie fiel und fiel... << Teil 2: Tag der Trennung Mit einem Ruck erwachte Kathryn und blickte sich panisch in ihrem Quartier um, ehe sie in ihr Bett zurücksank. Gott sei Dank, dieser Horror war nur ein Traum gewesen! Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Würden solche Albträume sie jetzt regelmäßig heimsuchen? Entschlossen schlug sie die Laken zurück und betrat das Badezimmer. So konnte es nicht weitergehen. Sie starrte ihr Spiegelbild an. Sollte sie hier auf der Voyager bleiben, umgeben von Dingen, die sie ständig an ihre Pein erinnerten? Das würde sie keine Woche aushalten. Sie zog die Wascheinheit aus der Vertiefung in der Wand und hielt ihre Hände unter den warmen Wasserstrahl. Sie musste etwas tun. Sie füllte ihre Handflächen mit Wasser und wusch sich das Gesicht. Dann griff sie in das kleine Schränkchen neben dem Waschbecken, holte eines ihrer alten Haargummis heraus und band sich die Haare zu einem straffen Pferdeschwanz. Und sie wusste auch, was. =//-\\= Neelix balancierte ein Tablett beladen mit den verschiedensten Köstlichkeiten, die diese Galaxie zu bieten hatte, die Halle hinunter zu Captain Janeways Quartier. Er wusste nicht genau, was passiert war, nur, dass der Captain unpässlich war und deshalb nicht zum Essen im Kasino erscheinen konnte. Also musste das Essen eben zu ihr kommen. Er presste die Glocke ihres Quartiers und arrangierte ein letztes Mal die Leolawurzel-Sandwiches, dann setzte er sein fröhlichstes „Guten-Morgen-Captain-wie-geht-es-Ihnen-heute“-Gesicht auf. Als sie jedoch auf sein wiederholtes Klingeln nicht reagierte, wurde er unruhig. Vielleicht ging es ihr schlechter? „Computer, öffne die Türen zum Quartier des Captains.“ „Autorisation erforderlich.“ Der Thalaxianer seufzte und stellte das Tablett neben sich auf den Boden. „Computer, lokalisiere Captain Janeway.“ „Captain Janeway ist nicht an Bord dieses Schiffes.“ Neelix war froh, dass Tablett bereits vorher abgestellt zu haben. Erschrocken aktivierte er seinen Kommunikator. „Neelix an Tuvok. Der Captain hat das Schiff verlassen!“ =//-\\= Die dunkle Silhouette des Vulkaniers hob sich in seinem unbeleuchteten Quartier nur undeutlich von der Finsternis des Alls ausserhalb seines Fensters ab. Er starrte nun schon seit Stunden hinaus zu den Sternen, als könnte er Kathryn Janeway mit bloßer Willenskraft zwischen ihnen entdecken. Wo könnte sie sein? Diese Frage schwebte noch immer unbeantwortet in seinem Geist. Es gab keine logische Antwort. Er kannte den Captain besser als jeder andere auf diesem Schiff, und die Entscheidung, die Voyager zu verlassen, hatte sie wahrscheinlich spontan getroffen. Intuitiv. Was bedeutete, er würde sie allein durch logische Schlussfolgerungen nicht finden. Er bemerkte, wie sich ein Gefühl der Frustration in seinem Geist breit machte. Automatisch dämmte er die unerwünschte Emotion ein, brachte sie unter seine Kontrolle, bis sie schließlich verebbte und er sie nicht mehr wahrnahm. Doch lag nicht genau darin der Grund seiner Unfähigkeit, den Captain zu finden? Sie war keine Vulkanierin, sie folgte nicht den Gesetzen der Logik. Im Gegenteil, sie hatte in der Vergangenheit sehr oft bewiesen, dass sie ihn selbst nach jahrelanger Freundschaft noch überraschen konnte. Was sie betraf, hatte er lernen müssen, mit dem Unvorhergesehen zu rechnen. Wenn er ihrer Spur folgen wollte, musste er sich in sie hineinversetzen. Doch wie versetzte man sich in jemanden hinein, dessen Handlungen in etwa so berechenbar waren wie das Auftreten von Q? Außerdem, könnte er, Tuvok, tief verwurzelt in vulkanischen Traditionen und Dogmen, sich überhaupt in einen Menschen hineinversetzen? Menschliche Entscheidungen waren von Gefühlen, Neigungen, Launen und das plötzliche Wechseln letzterer geprägt. Was für ihn bedeutete, er müsste eben diese Emotionen zulassen, sich ihnen nicht mehr verschließen. Dieser Gedanke beunruhigte ihn. Konnte er jahrzehntelang antrainiertes Verhalten einfach so ablegen? Und was wäre die Konsequenz? Er hatte keine Erfahrung im Umgang mit Emotionen. Er erinnerte sich nur ungern an seine Jugend zurück, als er nicht in der Lage gewesen war, seine Gefühle zu kontrollieren. Damals fühlte er sich hilflos, ausgeliefert. Doch wenn die Logik versagte, musste man konsequenterweise andere Mittel und Wege finden. Er war schließlich kein unwissendes Kind mehr. Die diversen Methoden der Kontrolle hatte er verinnerlicht und er kannte einige Meditationstechniken. Er könnte seine Gefühle jederzeit wieder in seine Gewalt bekommen. Doch sollte er einfach so mit Jahrhunderte alter Tradition brechen? Seine Ideale, für deren Erreichen er hart gearbeitet und so manchen Kampf gefochten hatte, aufgeben? Er konnte doch nicht von heute auf morgen seine Überzeugungen über Bord werfen. Andererseits, was nützten seine Grundsätze, wenn Captain Janeway seine Hilfe brauchte? Denn davon war er überzeugt, niemand auf diesem Schiff kannte sie so gut wie er. Zwang ihn die Logik dann nicht dazu, sich selbst für sie zurückzustellen? Aber wie konnte ein Glaube dem Gläubigen vorschreiben, eben diese Überzeugungen aufzugeben? Das machte keinen Sinn! Tuvok spürte Verzweiflung in sich aufwallen. Draußen zogen noch immer stumm die Sterne vorbei, und schließlich fasste der dunkelhäutige Vulkanier einen Entschluss. Er musste sich aus seinem ewigen Gedankenkarussell befreien. Er schloss die Augen und ließ zu, dass die Emotion seinen Geist flutete, gegen seine Gedanken brandete und das logische Konstrukt seines Bewusstseins unterspülte. Teil 3: Beggars with knives Zufrieden verließ Kathryn den kleinen Bekleidungsladen wieder und blickte unschlüssig den langen Gang bevölkert mit unterschiedlichsten Lebewesen hinunter. Die Station am Rande eines Nebels der Mutara-Klasse war klein und unbedeutend, es gab keine Kontrollen und niemanden, der sich für etwas anderes als das eigene Geschäft interessierte. Der ideale Ort um Güter abgabenfrei zu erwerben und Kontakte zu knüpfen. Oder um ein altes Leben hinter sich zu lassen. Prüfend betrachtete sie noch einmal ihre Reflexion in dem Schaufenster des Ladens: Die schwarzen Haare straff nach hinten gezogen, zusammengehalten von einem cremefarbenen Haargummi, das exakt dieselbe Farbe wie ihr Overall hatte. Dieser war aus einem lederartigen Material gefertigt, dass sich ihrem Körper beinahe perfekt anpasste, an genau den richtigen Stellen Falten schlug und laut dem schleimigen Verkäufer „einfach wie für Sie gemacht“ war. Hochhackige Stiefel und schwarz geschminkte Augen komplettierten ihr neues Erscheinungsbild. Langsam schlenderte sie die Promenade hinunter, als die Auslage eines relativ großen Geschäftes ihr Interesse weckte. Neugierig betrachtete sie die verschiedenen Handfeuerwaffen, die in dem Schaufenster zu sehen waren, täuschte jedoch sofort Desinteresse vor, als sich der Verkäufer näherte. „Suchen Sie etwas Bestimmtes?“ „Nicht direkt.“ So einfach ließ sich der Alien jedoch nicht abschütteln. „Das hier könnte Sie interessieren. Klein und handlich. Automatische Zielerfassung, verschiedene Stärken des Phaserstrahls, Ionen-Energiezelle. Inklusive Ladegerät. Eine elegante Damenwaffe, passt in jede Handtasche.“ Kathryn blickte in das schmierig grinsende Gesicht des Verkäufers, als sich plötzlich jemand neben sie stellte und missbilligend den Kopf schüttelte. „Jerko, versuchst du schon wieder, nichtsahnenden Fremden deinen Weltraumschrott anzudrehen?“ Der Neuankömmling wandte sich an Kathryn. „Glauben Sie ihm kein Wort, wahrscheinlich hat er diese Waffe vor 20 Zyklen aus einem Schiffswrack gestohlen.“ Der Alien zog sich grummelnd in seinen Laden zurück. „Ich sehe Sie zum ersten Mal hier. Was bringt eine Frau wie Sie auf diese von den Göttern vergessene Station?“ Kathryn hatte sich abgewandt und war weiter geschlendert, doch der Fremde folgte ihr. Sie zuckte mit den Schultern. „Eine lange Geschichte. Und was machen Sie hier?“ „Ich lebe hier.“ Der Alien neigte leicht den Kopf. „Wenn ich mich vorstellen darf: Ramtza.“ Kathryn war stehengeblieben und blickte Ramtza zum ersten Mal bewusst an. Er war einen guten Kopf größer als sie und hatte schulterlange, helle Haare, die im Nacken von einem dunklen Band zusammengehalten wurden und in seltsamen Kontrast zu seiner dunklen Haut standen. Seine gelben Augen mit den senkrechten, schwarzen Pupillen waren dunkel umrandet und Kathryn fragte sich, ob dies zu den natürlichen körperlichen Merkmalen von Ramtzas Spezies gehörte. „Und mit wem habe ich die Ehre?“ Er blickte ihr auffordernd ins Gesicht. Kathryn riss ihren Blick von der langen Narbe los, die beinahe senkrecht von seiner Schläfe hinunter zum Kiefer lief, und blickte in seine fremdartigen Augen. „K-... Nell.“ Kathryn lief es kalt den Rücken hinunter. Hatte er ihr Zögern bemerkt? „Ein ungewöhnlicher Name.“ Erleichtert folgte sie Ramtza durch die dichter werdende Menschenmasse. Sie hatte sich alles zurechtgelegt, einen neuen Namen und eine Alibigeschichte, falls jemand allzu hartnäckig nach ihrem woher und wohin fragen würde. Doch sie musste vorsichtiger sein. Beinahe hätte sie sich selbst verraten, nur weil sie für einen Moment abgelenkt war! „Sie leben hier?“ Der Alien nickte. „Dann können Sie mir sicher helfen. Ich brauche Waffen für mein Schiff, Photonentorpedos und Phaser.“ Ramtza runzelte die Stirn. „Waffen dieses Kalibers sind hier nicht einfach zu finden, es ist eine sehr kleine Station und im Nachbarsektor herrscht Krieg. Es wird Sie einiges kosten.“ Kathryn nickte. Ramtza entblößte zwei Reihen spitzer Zähne und lächelte ihr zu. „Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Allerdings brauche ich noch die Spezifikationen Ihres Schiffes.“ „Andockrampe 34 Alpha.“ Im Inneren des Delta Flyers erinnerte nicht mehr viel daran, dass dies einmal ein Schiff der Sternenflotte gewesen war. Die graue Verkleidung war durch schwarzes Metall ersetzt worden, welches in der düsteren roten Beleuchtung schimmerte. Das Hellblau, Rosa und Beige, charakteristisch für die Schaltflächen eines Flottenschiffes, waren durch ein kräftiges Rot ersetzt worden. Das Cockpit hatte sich nicht verändert, nur die zusätzlichen Plätze an der Taktik, OPS und der Wissenschaftsstation waren demontiert worden. Ramtza blickte sich beeindruckt um. „Ein ansehnliches Schiff, Nell! Wie kamen Sie daran?“ „Das ist ebenfalls eine lange Geschichte. Hier sind die Spezifikationen.“ Sie reichte dem Alien ein PADD. „Wenn ich diese Daten hier richtig deute“, er wies auf eine der Anzeigen, „verfügt dieses Schiff bereits über ein funktionierendes Waffensystem.“ „Deshalb biete ich Ihnen ja auch einen Tausch an.“ Sein Blick schien sie zu durchbohren, doch Kathryn hielt ihm stand. Schließlich nickte Ramtza ihr zu. „Treffen Sie mich in zwei Stunden an der Bar auf der Promenade.“ =//-\\= Kathryn hatte bereits über eine halbe Stunde auf Ramtza gewartet und war drauf und dran gewesen, wieder zum Flyer zurückzugehen, als der dunkelhäutige Alien endlich erschien. „Sie kommen spät.“ Ramtza bleckte die Zähne, was wohl ein entschuldigendes Lächeln sein sollte. „Seien Sie mir nicht böse, Nell. Dafür habe ich Ihnen die besten Waffen für Ihr Schiff besorgt, die Sie hier kriegen können. Ich habe allerdings etwas nachgedacht. Womit verdienen Sie im Moment Ihren Lebensunterhalt?“ Kathryn zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet gewesen. „Ich war in letzter Zeit sehr... beschäftigt.“ „Sie haben ein sehr starkes Schiff, Nell. Sicher haben Sie bereits so manchen Kampf erlebt.“ „Könnte man so sagen.“ Worauf wollte Ramtza hinaus? „Nun, ich würde Sie gern mit einigen Freunden von mir bekannt machen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie interessiert wären, Sie zu treffen.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, betrat der große Alien die Bar und Kathryn eilte ihm hinterher. Er steuerte auf einen Tisch im hinteren Teil des Lokals zu, an dem eine kleine Gruppe verschiedenster Lebewesen saß, Spezien, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ramtza stellte sie vor und die einzelnen Individuen nickten ihr misstrauisch zu. Dann ließ sie sich zusammen mit ihm an dem Tisch nieder und betrachtete die Gruppe. Stirnwülste und markante Kiefer zeichneten einige der Fremden aus, sowie eine breite Palette an Hautfarben. Ein Wesen jedoch, das in der hintersten Ecke im Halbdunkel saß, schien seinen Blick auf Kathryn ruhen zu lassen. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, da es einen grünen Helm trug, der im Augenbereich schwarz gefärbt war und an dessen linker Seite eine Antenne steckte. Kathryn fragte sich, wozu sie wohl diente. Ramtza hatte währenddessen einige Worte mit seinen Freunden gewechselt und wandte sich nun wieder an Kathryn. „Also, Nell, von Lexo hier“, ein kahler, grünhäutiger Mann nickte ihr zu, „bekommen Sie Ihre Waffen. Was uns alle angeht: Wir sind Krieger. Wir kämpfen für jene, die uns gut bezahlen und stehen auf niemandes Seite als auf unserer eigenen. Und natürlich sind wir immer auf der Suche nach neuen Leuten mit starken Schiffen.“ =//-\\= Als Lexo einige Stunden später den Delta Flyer verlassen hatte und sie mit sämtlichen Neukonfigurationen des Bordcomputers fertig war, lehnte Kathryn sich im Pilotensessel zurück und ließ ihre Gedanken wandern. Sie war sich nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung gewesen war, Ramtzas Angebot anzunehmen. Doch wie hätten die Alternativen ausgesehen? Sie musste von irgendetwas leben, niemand verschenkte Antimaterie oder Rohstoffe. Es war ihre verdammte Sternenflottenausbildung, die ihr nun im Weg stand! Wütend erhob sie sich aus ihrem Sessel und ging in den Wohnbereich hinüber. Hätten all die Admiräle und Ausbilder sie nicht mit naiven Idealen gefüttert, wäre es nie soweit gekommen, müsste sie sich nicht einer Gruppe von Söldnern anschließen, um zu überleben. Die allmächtige Sternenflotte. Sie erwartete von ihren Kadetten, Fähnrichs, Lieutenants und Captains, dass sie an das Gute in jedem Lebewesen glaubten. Dass sich mit Verhandlungen und Verträgen alle Probleme lösen ließen. Und dennoch verfügte sie über Kriegsschiffe, über Waffen, deren Vernichtungsgrad das menschliche Vorstellungsvermögen sprengte. Wie konnte ein ganzer Quadrant das Offensichtliche nicht erkennen? Und sie hatte diese Organisation auch noch repräsentiert! Die Föderation, die den Leuten weismachen wollte, dass der Weltraum eine Schafherde war, mit den obligatorischen, aber vereinzelten Wölfen im Schafspelz. Doch tatsächlich war der Weltraum nichts weiter als eine riesige, schmutzige Arena, in der jeder mit allen möglichen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste um sein Überleben kämpfte. Und genau das würde sie nun auch tun. Sie war unvorbereitet und voller Illusionen in den kalten Teich des Alls geworfen worden und hatte schnell festgestellt, dass nicht einmal Schwimmkünste hier halfen. So war sie tiefer und tiefer im Raum, in sich selbst versunken. Bis jetzt. Sie würde nicht mehr aus Stolz an falschen Idealen festhalten, sie würde kämpfen mit den Waffen, die ihr zu Verfügung standen. =//-\\= „Also, Leute, wir haben einen neuen Auftrag.“ Ramtza setzte sich zu Kathryn und den anderen Söldnern, welche gemütlich an ihrem Stammplatz im hintersten Eck der Bar saßen, etwas tranken und sich unterhielten. „Was ist es diesmal, Chief?“ „Hoffentlich nicht einer dieser betagten Frachter, sonst muss Lexo hinterher wieder drei Wochen lang seine Schildmatrix reparieren.“ Der grünhäutige Alien verdrehte genervt die Augen, während der Rest der Gruppe vielsagend lachte. „Wie oft wollt ihr das noch auftischen? Wir wussten schließlich alle nicht, dass diese verdammten Händler über rotierende Chronoton-Torpedos verfügten.“ „Ich erinnere mich da an eine ganz andere Mission. Warst nicht du es, Kinam, der auf die Flirtattacke der Krenim-Dame reingefallen ist, welche dann unsere Gruppe unterwanderte, unseren Auftraggeber ausspionierte und seine Taktik an den Feind verriet, was uns fast den Kopf gekostet hat?“ Kinam wurde hellgelb und senkte betreten den Kopf. „Ach Nell, dass du auch immer diese alte Geschichte ausgraben musst...“ Ramtza hatte dem Geplänkel ruhig zugehört, doch nun riss er das Wort an sich. „Also. Bei unserem Auftrag geht es diesmal um etwas Größeres als einen einfachen Frachter. Wir sollen ein fremdes Kriegsschiff kampfunfähig machen. Nähere Angaben zu den Verteidigungssystemen und der Feuerstärke sind mir nicht bekannt. Diese Sache ist wichtig für uns, der Auftraggeber ist sehr einflussreich. Wenn wir diesmal erfolgreich sind und die richtigen Leute Wind von der Sache bekommen, werden wir uns bald vor Aufträgen nicht mehr retten können.“ „Was weißt du über dieses Schiff, Ramtza?“ „Nicht sehr viel, leider. Es ist ein Kriegsschiff, allerdings laut unserem Auftraggeber keines, welches aus dieser Region des Alls stammt. Es war in eine der Schlachten im Nachbarsektor verwickelt, und die Beteiligten berichteten, dass es über starke Waffen verfügt.“ „Wenn Nell wieder so ein Ding durchzieht wie in der Krenim-Sache, dann kann gar nichts schief gehen.“ Kathryn blickte lächelnd hinüber zu der Gestalt mit dem grünen Helm. Es hatte einige Wochen gedauert, ehe sie Yore richtig kennen gelernt hatte, doch als das Eis einmal geschmolzen war, hatte sie in ihr eine gute Freundin gefunden. „Wir müssen diesmal allerdings als ein Team arbeiten. Wir sind im Verband stärker, und Sonderaktionen sind hier nicht unbedingt wünschenswert.“ Ramtza blickte Kathryn warnend in die Augen. „Wir besprechen unsere Manöver, wir arbeiten einen Schlachtplan aus und wenn jemand während des Kampfes auf neue Ideen kommt, spricht er sie mit mir ab. Wir treffen uns morgen.“ Kathryn starrte schuldbewusst in ihr Glas. Die anderen erhoben sich und ließen sie und Ramtza allein an dem Tisch zurück. Der Gaterianer legte seine Hand auf ihre. „Sei mir nicht böse wegen der Predigt, Nell. Dein Manöver war genial und hat uns in der Situation sicher den Hals gerettet, aber in Zukunft müssen wir zusammen arbeiten. Wenn jeder einfach während des Kampfes sein Ding durchzieht, werden wir verwundbar.“ Kathryn blickte in seine fremdartigen Augen. „Ich bin dir nicht böse. Nur... Ich habe vor langer Zeit einmal etwas Ähnliches gesagt.“ „Immerhin hast du dich daran gewöhnt, Befehle anzunehmen.“ Kathryn lachte leise. Er hatte Recht, zu Beginn war ihr das wirklich schwer gefallen. Sie war zu sehr daran gewöhnt gewesen, in allen wichtigen Fragen immer das letzte Wort zu haben. „Begleitest du mich zu meinem Schiff?“ Ramtza nickte, die beiden erhoben sich und verließen die Bar. Schweigend liefen sie durch die verwinkelten Gänge der Raumstation, die Kathryn zur Heimat geworden war; sie kannte inzwischen jeden Winkel der alten Konstruktion. Bei ihrem Schiff angekommen betrachtete sie es gedankenverloren. Die graue Farbe war durch ein schnittiges, spiegelndes Schwarz ersetzt worden und auf dem Rumpf prangte in roten Buchstaben der Schriftzug „Ikarus“. Ramtza war hinter Kathryn getreten und hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt. „Woran denkst du?“ Kathryn zuckte mit den Schultern. „An nichts besonderes. Ich freue mich darauf, wieder zu kämpfen.“ „Ich kann dich verstehen. Ich habe noch nie zuvor ein so beeindruckendes Schiff wie die Ikarus gesehen.“ „Sie ist kein Vergleich zu der....“ Erschrocken brach Kathryn ab und hielt die Luft an. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie ihren letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte. Ramtza zog neugierig die Brauen zusammen. „Kein Vergleich zu was?“ „Ach, nichts. Eine lange Geschichte. Mein erstes Schiff. Eine alte Schrottmühle, aber ich hing an ihm. Es hatte Charakter, verstehst du? Leider hat ihm die Strahlung eines Protonensterns den Todesstoß versetzt.“ Kathryn lächelte Ramtza gezwungen an und wandte ihren Blick wieder ihrem kleinen Schiff zu. Es tat ihr in der Seele weh, von der Voyager als ‚alte Schrottmühle‘ zu sprechen, doch das war die einzige Erklärung, die ihr spontan eingefallen war. Der große Alien schien sich mit ihrer Antwort jedoch nicht zufrieden zu geben. „Warum erzählst du mir nicht ein bißchen von deinen Erlebnissen mit dieser alten Schrottmühle? Du bist nun schon seit mehr als drei Zyklen bei uns, und ich weiß noch immer praktisch nichts von dir.“ Kathryn hatte ihren Kopf gegen seine Schulter gelehnt und lächelte ihm zu, diesmal ehrlich erheitert aufgrund seiner Neugier und seiner ständigen, bohrenden Fragen. „Der Anführer einer Gruppe Söldner sollte nie zuviel über seine Mitstreiter wissen.“ Ramtza schob sie leicht entrüstet von sich. „Anführer? Du betrachtest mich als deinen Anführer?“ Sie blickte ihn unschuldig an. „Du holst die Aufträge für uns ein, du triffst alle wichtigen Entscheidungen. Was bist du denn, wenn du kein Anführer bist?“ „So, ich treffe also alle wichtigen Entscheidungen. Was ist mit dieser Entscheidung: wir gehen jetzt auf der Stelle in dein Schiff und überprüfen... den Status deiner Waffen. Wir haben schließlich einen Kampf zu planen.“ Kathryn zog die Augenbrauen hoch. „Das ist eine der besten Entscheidungen, die du je getroffen hast, seit ich hier bin.“ Die beiden betraten nacheinander das kleine Schiff und kletterten die Leiter in den Schlafund Essbereich hinab. Kathryn zog sich das Band aus ihren Haaren und warf es zusammen mit der Jacke, die sie über ihrem hellen Overall getragen hatte, in eine Ecke. Ramtza hatte sie nicht aus den Augen gelassen. „Nell?“ „Hmm?“ Er war auf sie zugegangen und hatte seine Hände um ihr Gesicht gelegt. „Ich hoffe, ich bin mehr für dich als nur dein Anführer.“ Sie strich ihm sanft über die lange Narbe, die seine Schläfe teilte. Seine linke Schläfe... „Wie kannst du daran noch zweifeln?“ Er runzelte unsicher die Stirn und seine katzenartigen Augen verschwanden beinahe unter ihren Lidern. „Du bist manchmal so unnahbar. Ich habe oft das Gefühl, ich würde dich gar nicht kennen.“ Kathryn schloss müde die Augen. Wie sollte er sie kennen, wenn sie sich selbst nicht kannte? War sie noch Kathryn Janeway? War sie Nell? Oder war sie keine von beiden? Sie seufzte. „Es ist nicht immer einfach für mich gewesen, Ramtza.“ Die Worte hatten ihren Mund verlassen, ehe sie reagieren konnte, und sie biss sich auf die Lippen. Was war heute nur los mit ihr? Sie war im Begriff, Terrain zu betreten, welches sie für die letzten anderthalb Jahre gemieden hatte, und sie würde auch in Zukunft dafür sorgen, dass es fein säuberlich in ihrer Seele verrottete. Doch diesmal ließ sich Ramtza nicht so leicht abwimmeln. „Es ist niemals einfach, Nell. Das Leben stellt einen ständig vor neue Hindernisse, und viele davon sind größer als man selbst. Aber gemeinsam lassen sie sich meist besser überwinden.“ Kathryn wandte sich ungeduldig von ihm ab. „Ich habe im Moment keine Hindernisse zu überwinden. Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“ Der dunkelhäutige Gaterianer packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. „Und was ist mit den Quetschungen an deinen Handgelenken, die du hattest, als du hier ankamst? Du hast mir nie erzählt, woher sie stammten. Deine Launenhaftigkeit, dein immer wieder auftretender Unwille, Zeit mit mir zu verbringen... Verdammt, Nell, ich mache mir Sorgen um dich!“ „Nimm deine Hände von meinen Schultern.“ Aus Kathryns Augen mussten Stahlpfeile geschossen sein, denn Ramtza ließ sie los, als hätte er sich verbrannt. Plötzlich schlich sich jedoch Erkenntnis in seinen verständnislosen Blick. „Ich glaube, ich fange an, zu verstehen. Wer war der Kerl?“ Kathryn hatte ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Sie bemühte sich, die alten Erinnerungen in den dunklen Abgrund hinunter zu drücken, in dem sie seit mehr als einem Jahr lagen, doch es gelang ihr nicht. Chakotay, wie er sie auf die Matratze drückte. Chakotay, lachend, mit dem Hobel die Nackenstütze für sie bearbeitend. Dunkle, verschlungene Linien auf gebräunter Haut, seine Grübchen, wenn er lachte, seine zusammengekniffenen Augen, als er in ihr kam... Unvermittelt schluchzte sie auf und Tränen rannen ihr aus den Augen. Ramtza ging auf sie zu und nahm sie nach einigem Zögern behutsam in die Arme. Sie lehnte ihr Gesicht an seine Brust und begann, langsam und stockend zu erzählen. Teil 4: Engelsblut „Wir nähern uns den angegebenen Koordinaten. Angriffsformation Delta drei.“ Kathryn gab einige Kommandos in die Steuerkonsole der Ikarus ein und das Schiff beschleunigte, bis es mit der linken Warpgondel beinahe den rechten Flügel von Ramtzas Schiff streifte. Es war nicht ungefährlich, bei Warp acht so dicht beieinander zu fliegen, doch sie hatten dieses Manöver bereits mehrere Male durchgeführt und jeder wusste, was er zu tun hatte. Rechts von der Ikarus hatte sich inzwischen Ranims Schiff positioniert und die kleine Gruppe bildete nun eine Pfeilspitze, welche mit mörderischer Geschwindigkeit durchs All raste. „Waffen bereithalten.“ Ramtzas Stimme klang ruhig, doch auch über die Interkom konnte Kathryn die kleine Spur an Aufregung ausmachen, die wohl jeder von ihnen vor einem Kampf verspürte, und ihr wurde wieder einmal bewusst, wieviel Glück sie alle gehabt hatten. Große Verluste musste die Söldnergruppe nie beklagen, doch dieser Kampf konnte, genauso wie jeder andere auch, für einen oder mehrere von ihnen der letzte sein. Kathryn schob diesen Gedanken beiseite, jetzt war nicht der richtige Augenblick, um zu philosophieren. Sie aktivierte die Waffenphalanx und erwartete Ramtzas weitere Kommandos. „Ziel erfassen bei Koordinaten 12 zu 3 zu 0. Bei drei gehen wir unter Warp und feiern.“ Kathryn gab die Koordinaten in die Zielerfassung ein und der Computer bestätigte die Existenz des fremden Schiffs. Sie hatten auf jeden Fall den Überraschungsmoment auf ihrer Seite, doch ansonsten waren sie klar im Nachteil. Das Kriegsschiff war riesig und seine Verteidigung sowie die Waffen übertrafen die ihren in ihrer Wirksamkeit. „Eins...“ Kathryn hielt ihre Hand bereit, den Warpantrieb zu deaktivieren, konnte ihren Blick jedoch nicht von den Sensoren nehmen, die ihr ständig neue Daten über das fremde Schiff lieferten. Etwa 140 Lebewesen befanden sich an Bord. „Zwei...“ Materie-Antimaterie-Antrieb, Polyduranithülle. Genau wie die... „Drei!“ Automatisch senkte sich Kathryns linker Zeigefinger auf die Steuerkonsole, während der rechte die Waffenphalanx aktivierte und die Ikarus aus allen Rohren feuern ließ. Dann hob sie den Blick von den Anzeigen. Die weiße Hülle des Kriegsschiffes füllte rasend schnell die gesamte Fensterfläche und sie schaffte es gerade noch, unter dessen Bauch hindurch zu fliegen. Kathryn starrte wie paralysiert auf die Umrisse der Captains Yacht, welche im unteren Bereich des Diskus eingelassen war. Dann war sie auch schon auf der anderen Seite der Voyager, und das charakteristische blaue Leuchten der Warp-Gondeln erhellte einen kleinen Teil des Weltraums. Eigentlich sah der Plan vor, dass sie von der anderen Seite angreifen sollte und die Söldnergruppe das Schiff somit in der Zange hatte, doch sie starrte einfach nur auf ihr altes Zuhause, unfähig, irgendetwas zu tun. Kathryns Gedanken rasten. Eigentlich war die Voyager ja nicht mehr ihre Heimat, sie gehörte jetzt zu Ramtza und den anderen. Und die würden diesen Kampf ohne sie auf jeden Fall verlieren. Das konnte sie nicht zulassen, niemals. Sie konnte nicht den Mann, den sie begonnen hatte, zu lieben, eine ihrer besten Freundinnen und all die anderen, die ihr in so manchem Kampf den Rücken gedeckt hatten, nur aufgrund nostalgischer Gefühle opfern. Entschlossen steuerte sie die Ikarus auf einen Kurs zurück zur Voyager und begann, mit voller Kraft auf sie feuern. Das Föderationsschiff erwiderte den Beschuss durch die vielen kleinen Schiffe mit aller Kraft, doch schließlich fielen die Schilde mit einem letzten Flackern aus und das Feuer erstarb. „Ramtza an alle. Wir transportieren auf das Schiff.“ Kathryn erhob sich von ihrem Pilotensessel, checkte die Handwaffen an ihrem Gürtel, griff nach ihrem Phasergewehr und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, fand sie sich im Korridor vor der Krankenstation wieder. Sie schluckte ihre erneut aufwallenden Zweifel hinunter und machte sich auf den Weg zum Turbolift. Als sie um die nächste Ecke bog, traf sie auf Ramtza. „Nell, alles klar? Du siehst blass aus.“ „Mir geht es gut. Der Korridor hier ist verlassen. Ich schlage vor, wir begeben uns zum Kommandozentrum.“ „Ich war gerade auf dem Weg dorthin.“ In diesem Moment tauchte am anderen Ende des Ganges eine junge Frau in Sternenflottenuniform auf, die ihren Phaser gezückt hatte und auf Ramtza zielte. Später konnte Kathryn nicht sagen, was in diesem Moment in ihr vorgegangen war. Sie hob reflexartig ihr Gewehr und schoss. Die Frau brach zusammen, ihr Phaser fiel ihr aus der Hand und Ramtza ging hinüber, um ihn aufzuheben. Kathryn stand noch immer stocksteif da. Clelland. Sie hatte Fähnrich Clelland erschossen. Sie erinnerte sich kaum an sie. Eine stille, zuverlässige Frau, die ihre Aufgaben gewissenhaft erfüllt hatte. Die zu ihrer, Kathryns, Crew gehört hatte. Die ihr vertraut hatte, deren Leben über Jahre in ihren Händen gelegen hatte. Kathryn wurde übel und sie musste sich an der Korridorwand abstützen. Der große Gaterianer kam mit besorgtem Gesichtsausdruck zu ihr zurück. „Fühlst du dich nicht wohl? Willst du zurück auf die Ikarus transportieren?“ Kathryn schüttelte den Kopf. „Wir brauchen jeden hier, um diesen Auftrag zu erfüllen.“ Sie schloss die Augen und versuchte, sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Langsam fühlte sie sich besser und folgte schließlich einem immer noch zweifelnd blickenden Ramtza in den Turbolift. Als sie die Brücke betrat, kehrte die Schwäche sofort wieder in ihre Knie zurück. Der Bildschirm, die Stationen, ihr Kommandosessel... Der Kommandosessel, korrigierte sie sich selbst. Ihrer war er schon lange nicht mehr. Ihre Gefolgsleute waren auch soeben eingetroffen und berichteten, dass das Schiff „gesichert“ sei. Kathryn wusste, was dies bedeutete. Immerhin musste sie sich keine Sorgen machen, dass jemand aus ihrer ehemaligen Crew in irgendeinem Gefängnis verrottete. Sie war langsam die Stufen hinunter zum Kommandozentrum der Brücke gegangen, als sie ein Geräusch aus ihrem Bereitschaftsraum wahrnahm, ein leises Stöhnen. Die anderen schienen nichts bemerkt zu haben, sie besprachen noch immer, wie nun fortzufahren war. Kurzerhand ging Kathryn auf die Türen zu, welche sich zischend vor ihr öffneten. Im ersten Moment schien alles in Ordnung zu sein. Der Raum war noch immer genauso eingerichtet wie an dem Tag, als sie die Voyager verlassen hatte. All ihre Pflanzen, ihre Sammlerstücke... Sogar ihr Teeservice stand auf dem kleinen runden Couchtisch. Sie hörte das Stöhnen wieder, es kam von ihrem Schreibtisch. Sie umrundete das Möbel, ließ ihr Gewehr fallen und ging in die Knie. „Tuvok!“ Der Vulkanier lag verkrümmt unter dem Tisch, grünes Blut tropfte aus einer klaffenden Phaserwunde. Vorsichtig strich Kathryn über seine Brust, suchte seinen Puls an seinem Hals. Sie spürte das leichte Pochen, schwach, aber konstant. Der Atem des Vulkaniers kam in rasselnden Stößen, seine Lider flatterten und sie blickte in die wohlbekannten, dunkelbraunen Augen. „Captain! Endlich! Ich habe Sie gefunden! Ich freue mich so, Sie zu sehen!“ Er hustete. Auf Kathryns Stirn hatte sich eine tiefe Falte gebildet. Das klang nicht nach dem Tuvok, den sie kannte. Doch darüber konnte sie später nachdenken, erst einmal mussten seine Verletzungen behandelt werden. Sie aktivierte Tuvoks Kommunikator. „Janeway an Krankenstation. Doktor, antworten Sie.“ Sie erhielt keine Antwort von dem Hologramm. „Computer, medizinisch-holografisches Notfallprogramm initialisieren.“ „Befehl nicht ausführbar. Das medizinisch-holografische Notfallprogramm wurde gelöscht.“ „Hast du vergessen, dass wir unsere Arbeit immer sehr gründlich machen?“ Kathryn fuhr herum und sah Ramtza in der Tür stehen. „Wie lange stehst du dort schon?“ „Lange genug.“ Ramtza hatte den Raum betreten und sah sich halb interessiert, halb gelangweilt um. „So, du warst also der Captain dieses Schiffes. Nicht schlecht, nicht schlecht, Nell. Oder doch lieber Janeway?“ Er war auf sie zugegangen und hatte sie an den Schultern gepackt. Seine Augen, welche sie sonst freundlich und mit einem humorvollen Blitzen betrachtet hatten, blickten nun kalt auf sie herunter. „Verdammt, was sollte das, Nell? War das alles ein abgekartetes Spiel? Wer hat dich hierfür bezahlt?“ Kathryn starrte ihn verständnislos an. „Wovon sprichst du?“ „Wovon ich spreche? Dies hätte die Zukunft der ganzen Gruppe verändern können, wir hätten endlich den Ruf gehabt, den wir schon seit Jahren verdient haben!“ „Wir haben die Voyager doch besiegt!“ „Aber zu welchem Preis? Nell, verdammt, wir hatten vorher schon kaum genug Leute für die richtig großen Sachen, aber jetzt, mit fünf Mann...“ Kathryn stützte sich auf den Tisch; ihre Gedanken rasten. Sie war während des Kampfes so sehr in ihren eigenen Gedanken verstrickt gewesen, dass sie gar nicht mehr auf die anderen geachtet hatte. Sollten sie etwa alle...? Vorsichtig blickte sie zu Ramtza. „Wer...?“ Dieser hatte sich auf der Couch niedergelassen und das Gesicht in den Händen vergraben. „Nur Ranim, Lexo und einer von den Neuen haben überlebt. Und wir beide.“ Kathryns Knie begannen zum wiederholten Male an diesem Tag zu zittern. „Yore...“ Der blonde Gaterianer schüttelte den Kopf. Sie ging zu ihm hinüber und nahm seine Hände von seinem Gesicht. „Ramtza, du musst mir glauben, ich habe nichts mit diesen Geschehnissen zu tun! Hätte ich gewusst, dass es sich bei diesem Auftrag um die Voyager handelt, hätte ich euch von vornherein davon abgeraten. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich euch verraten hätte!“ „Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.“ Tuvoks Stöhnen zerriss die Stille und Ramtza sprang auf, seine Waffe im Anschlag und kalten Hass in den Augen. Langsam ging er auf Kathryns alten Schreibtisch zu, um eine freie Schusslinie auf den Vulkanier zu kriegen. „Er wird bezahlen für das, was er uns angetan hat!“ Kathryn war entsetzt aufgesprungen und stellte sich zwischen Ramtza und Tuvok. „Du wirst ihm nichts tun.“ Ramtza hielt unbeirrt seine Waffe auf sie. „Es sieht so aus, als hättest du nun ein Loyalitätsproblem, Nell. Eigentlich hatte ich vor, zu vergessen, dass du einmal der Captain dieses Schiffes warst und uns einen strategischen Vorteil hättest verschaffen können, doch nun hast du einen entscheidenden Fehler begangen. Stelle dich niemals zwischen mich und meine Feinde.“ Ramtza zielte und legte den Finger an den Abzug. Kathryn war für einen Moment wie gelähmt. Würde er wirklich auf sie schießen? Doch sie wollte nicht auf die definitive Antwort auf diese Frage warten. Sie schlug Ramtza die Waffe aus der Hand und der Schuss entlud sich in der Decke. Sich nach seinem Gewehr bückend, wich sie nur knapp dem Phaserstrahl aus, der den Gaterianer mitten auf der Brust traf und leblos zusammenbrechen ließ. Vollkommen überrascht blickte sie sich um. Tuvok, seine letzten Kräfte mobilisierend, lehnte mit ihrem Phasergewehr in der Hand auf seinem Ellenbogen. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht und Kathryn glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. War Tuvok erleichtert? Teil 5: September Einsamkeit. Erst jetzt beginne ich, die volle Bedeutung dieses Wortes zu begreifen. Meinem früheren Wesen war das Konzept des Vermissens einer Person unverständlich. Doch du hast ein Loch in meine Existenz gerissen, das wohl niemand je füllen können wird. Ich habe dir soviel zu verdanken, Kathryn. Du hast mich auf eine Art und Weise verstanden, wie es kein Mensch vor dir geschafft hat. In deiner Gegenwart fühlte ich mich damals schon lebendiger, weniger als Vulkanier, sondern vielmehr als Person mit, wenn auch verdrängten, Gefühlen. Zu dieser Zeit war mir allerdings noch nicht bewusst, wie essentiell du tatsächlich für mein Leben warst. Du kannst dir vorstellen, was in mir vorgegangen ist, als du verschwandest. Ich fühlte mich leer; und nur ein Gedanke, nur ein Verlangen ließ mich weitermachen. Ich musste dich finden. Dass dies die Aufgabe meiner Prinzipien bedeutete, nun, dieser Preis ist im Rückblick ein sehr geringer gewesen. Denn ich habe dadurch soviel gewonnen. Ich habe gelernt, meine Gefühle zu verstehen, sie zu genießen und sie zu benutzen, um meine Ziele zu erreichen. Ohne dich wäre ich immer noch in dem vulkanischen Glauben gefangen, dass es, Emotionen betreffend, nur schwarz und weiß gibt. Vollkommene Kontrolle der Emotionen über den Geist oder vollkommene Kontrolle des Geistes über die Emotionen. Aber es ist nicht so einfach, es ist nie einfach. Das Universum lässt sich nicht in Gut und Böse aufteilen, sondern man findet überall noch einen weiteren Grauton, einen alternativen Weg, den man für sich wählen kann. Ich bin unendlich dankbar, dass ich durch dich meinen Weg gefunden habe. Wie erleichtert ich war, als du mich in deinem Bereitschaftsraum gefunden hast. Du weißt, dass es mir leid tut, dass ich deinen Freund erschießen musste. Es war in dieser Situation das einzig Richtige, was ich hätte tun können. Er hat dich bedroht, uns bedroht. Er hätte zwischen uns gestanden. Was darauf folgte war die pure Wonne. Unsere Beziehung vertiefte sich auf eine Weise, die ich nie für möglich gehalten hatte. Ich erlebte Gefühle, Zustände, die mein jungfräuliches Bewusstsein in einen wahren Glückstaumel stürzten. Geborgenheit, Hingabe und Leidenschaft in einer Intensität, dass mir die Worte fehlen, um sie zu beschreiben. Natürlich war es für dich am Anfang schwierig. Du hast um Chakotay und Ramtza getrauert und es tat mir weh, dass ausgerechnet ich dich ständig an deinen letzten schrecklichen Tag auf der Voyager erinnert habe. Doch mit der Zeit kam das Vergessen, deine Träume waren nicht mehr von Grauen erfüllt, und ich habe erleichtert den Platz in deinem Geist eingenommen, den die beiden vor mir so zerstört verlassen hatten. Du hast mich herzlich empfangen und langsam kam dein wahres Wesen wieder zurück an das Licht der Sterne, du wurdest wieder die Frau, die ich so respektierte und zu jener Zeit schon begonnen hatte zu lieben. Als wir das Wurmloch entdeckten, das praktisch direkt vor unsere Haustür führte, fürchtete ich schon, dass du dich wieder verlieren würdest. Du warst so zerrissen, einerseits die Freude ob der baldigen Heimkehr, andererseits die Angst, was dich dort erwarten würde. Und natürlich die Tatsache, dass es nur wir beide sein würden, die nach Hause kamen. Du hast dir einst geschworen, dass du sie alle zur Erde bringen würdest. Aber auch du konntest das Unmögliche nicht möglich machen, Kathryn. Du hattest vergessen, dass du noch ein weiteres Versprechen gegeben hast an diesem Tag. Eines, das du gehalten hast. Du hast mich zurück zu einer Familie gebracht, die nicht länger die meine ist. T’Pel hat mich nie verstanden und unsere Kinder sind inzwischen erwachsen. Ich habe die Zeit, die uns auf der Erde geschenkt worden war, sehr genossen. Die kleinen Dinge des Alltags, unsere gemeinsamen Spaziergänge, die Abendessen in kameradschaftlichem Schweigen und all die Male, die wir uns unter der alten Eiche hinter dem Haus geliebt haben. Doch ich spürte, dass deine Kraft ihrem Ende zuging. Dein Körper wirkte müde, selbst die kleinsten Anstrengungen erschöpften dich und dein Temperament, der Funke in deinen Augen, war verloschen. Deine Trauerfeier wurde in kleinem Kreise abgehalten. Admiral Paris hat eine sehr bewegende Rede gehalten und deine Mutter und Phoebe haben während der gesamten Zeremonie geweint. Sie haben dich alle so geliebt, Kathryn. Ich habe dich so geliebt. Doch für mich muss das Leben weitergehen, sagt mein Counselor. Man hat mir einen Posten angeboten, taktischer Offizier auf der Troja, das neue Schiff der Sternenflotte, und es wurde erwartet, dass ich das Angebot annehme. Morgen werden wir das Spacedock verlassen und voraussichtlich erst in einem Jahr wiederkehren. Phoebe wird sich in meiner Abwesenheit um unser Haus kümmern, täglich bei dir vorbeischauen und sich um deine geliebten Kallas kümmern. Ich weiß, dass du nicht gewollt hättest, dass ich mich in meiner Trauer selbst verlöre. Ich kann deine Stimme beinahe hören, die mich dazu drängt, in das Leben zurückzukehren. Und keine Sorge, ich werde mich selbst nicht aufgeben, auch wenn meine Gedanken ständig bei dir sind. Bis bald, t'hy'la. Finis