West-Syndrom - Kindernetzwerk

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West-Syndrom - Kindernetzwerk
Kindernetzwerk e.V.
für Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit
chronischen Krankheiten und Behinderungen
Krankheitsübersicht
West-Syndrom
KINDERNETZWERK
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West-Syndrom
Epilepsie mit Blitz-, Nick- und Salaam-Krämpfen
(BNS-Krämpfe, infantile Spasmen)
Zusammengestellt für das Kindernetzwerk von:
Dr. med. Jürgen Seeger, Wiesbaden
2004
Kurzbeschreibung
Es handelt sich bei der BNS-Epilepsie um eine altersgebunden auftretende generalisierte
Epilepsie. Diese ist charakterisiert durch das Auftreten der folgenden Hauptsymptome:
•
•
•
Typische Blitz-, Nick-, Salaam-Krämpfe (Beschreibung s. u.)
Psychomotorische Entwicklungsverzögerung oder –rückschritte
Charakteristisches EEG-Muster einer Hypsarrhythmie (Beschreibung s. u.)
Es gibt einzelne Patienten bei denen die Entwicklungsverzögerung auch fehlt. In 90 % der
Fälle beginnt die BNS-Epilepsie im Säuglingsalter.
Es gibt symptomatische Formen (auf dem Boden einer fassbaren Ursache) und so
genannte kryptogene (ohne erkennbare Ursache) Formen.
Mit der ständigen Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten nimmt der prozentuale
Anteil der kryptogenen Formen ab (zurzeit etwa 20 bis 30 %).
Bei den symptomatischen Formen kommen zahlreiche verursachende Faktoren in Frage, die
ihren Ursprung sowohl pränatal, perinatal als auch postnatal haben können. Am häufigsten
werden
pränatale
Ursachen
gefunden
(angeborene
Hirnfehlbildungen
und
-entwicklungsstörungen, erbliche Erkrankungen wie z. B. die tuberöse Hirnsklerose und
chromosomale Anomalien).
Die BNS-Anfälle treten meist im Alter von 4 bis 9 Monaten auf und äußern sich in
charakteristischer Weise (Beschreibung s. u.). Die (medikamentöse) Therapie gestaltet sich
in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Störung zum Teil schwierig, die Prognose ist
abhängig von der Grunderkrankung und dem Ansprechen auf die Behandlung.
Häufig bleiben die Patienten in ihrer Entwicklung anhaltend retardiert und es entwickeln sich
bei einem großen Teil Nachfolgeepilepsien, die ihrerseits auch wieder oft therapieschwierig
sind.
Symptome/Formen
Die BNS-Epilepsie manifestiert sich in mehr als 90 % der Fälle innerhalb des 1.
Lebensjahres mit einem Gipfel zwischen 4 und 9 Monaten.
Es treten typische, charakteristische Anfälle auf, die der Erkrankung ihren Namen
gegeben haben.
Es kommt zu blitzartigen heftigen Kontraktionen aller Extremitäten, z. T. gefolgt von
einer mehrere Sekunden anhaltenden längeren Kontraktion.
•
Es treten Beugekrämpfe der Halsmuskulatur auf, die zum Kopfnicken führen.
•
An die generalisierte Muskelkontraktion kann sich eine Phase der symmetrischen
Rumpfbeugung mit Streckung der Arme anschließen, die ein Bild erzeugt, das dem
orientalischen Salaam-Gruß ähnelt.
An die in der Regel um die 10 Sekunden dauernden Kontraktionen schließt sich oft eine
Phase des Verharrens an mit verminderter Reagibilität, die Anfälle können in lang
dauernden Serien mit kurzen Intervallen von weniger als 1 Minute auftreten.
•
Nach dem Ende der Anfallsserien sind die Kinder dann oft verstört, weinen, sind erschöpft.
Die Anfälle sind oft verbunden mit abnormen Augenbewegungen, solche können vereinzelt
auch einmal einziger Ausdruck des Anfalles sein.
Die Anfälle können auch seitenunterschiedlich bzw. herdförmig auftreten und weisen dann
auf eine umschriebene Hirnläsion hin. Das Auftreten der Anfälle ist an den Schlaf-WachRhythmus gebunden, sie ereignen sich häufig nach dem Aufwachen oder vor dem
Einschlafen.
Ein Großteil der Kinder zeigt schon zum Zeitpunkt des Auftretens der Epilepsie eine
Entwicklungsverzögerung unterschiedlichen Ausmaßes, nur ein kleiner Teil ist
altersentsprechend entwickelt. Das Ausmaß der Entwicklungsstörung und die
Auffälligkeiten bei der klinisch-neurologischen Untersuchung hängen im Wesentlichen von
der zugrunde liegenden Störung ab.
Diagnostik
Wesentlich ist für die Stellung der Diagnose das Erkennen des klinischen Anfallsmusters.
Bei einer zum Teil sehr hohen Anfallsfrequenz gelingt in der Regel die Beobachtung der
Anfälle mit den oben beschriebenen Phänomenen im Rahmen der klinisch-neurologischen
Untersuchung bzw. einer etwas längeren Beobachtung des Kindes. Bei niedrigerer
Anfallsfrequenz, z. B. bei Beginn der Symptome, kann eine durch die Eltern durchgeführte
Videoaufzeichnung hilfreich sein.
Zum anderen wird die Diagnose aufgrund eines typischen und charakteristischen EEGBefundes gestellt. Dieser wird als Hypsarrhythmie beschrieben. Hierbei handelt es sich
um ein EEG-Muster mit generalisierten langsamen Wellen hoher Amplitude mit
eingelagerten Spikes (Spitzen). Diese Spikes verändern sich sowohl bezüglich ihrer Dauer
als auch ihrer Lokalisierung ständig. Sie können zum Teil herdförmig imponieren, dann
auch multifokal (aus mehreren Hirnregionen stammend) und gelegentlich auch
generalisieren. Das gesamte EEG-Muster ist nie rhythmisch und gut organisiert und ist in
seiner vollständigen Ausprägung praktisch nicht mit anderen EEG-Mustern zu
verwechseln. Es handelt sich hierbei um ein Muster, das zwischen den Anfällen registriert
werden kann und somit im Routine-EEG in der Regel aufgezeichnet wird. Zur sicheren
Erfassung der Hypsarrhythmie ist die Ableitung eines Schlaf-EEG häufig nötig, da die
Hypsarrhythmie
sich
manchmal
im
Wachzustand
nicht
zeigt.
Die EEG-Ableitung während eines BNS-Krampfes kann
häufig hochamplitudige generalisierte langsame
Krampfwellenkomplexe, die von einer Abflachung gefolgt
auch lediglich in einer Abflachung, evtl. mit überlagernder
unterschiedliche Muster zeigen,
Wellen bzw. generalisierte
werden. Die Anfälle können sich
schneller Aktivität äußern.
Die klinische Untersuchung kann bereits Hinweise auf die zugrunde liegende
Erkrankung geben, so weisen z. B. weiße Flecken auf der Haut in Richtung einer
tuberösen Sklerose. In diesem Fall kann die sonographische Erfassung weiterer
Organmanifestationen (z. B. am Herz und an den Nieren) die Diagnose bereits vor
Durchführung einer bildgebenden Untersuchung des Gehirns weitgehend bestätigen. Auch
bei chromosomalen Störungen oder anderen Erkrankungen mit äußeren Fehlbildungen ist
die klinische Untersuchung natürlich richtungweisend.
Bei der weiteren Diagnostik zur Ursachenforschung steht die Kernspintomographie des
Schädels an erster Stelle. Hier können angeborene oder auch peri- bzw. postpartal
erworbene Anomalien am besten erfasst werden. Es können sich Fehlbildungen der
Hirnrinde sowie Entwicklungsstörungen z. B. der langen Nervenbahnen (weiße Substanz)
darstellen.
Weitere bildgebende Untersuchungen, die auch funktionelle Aspekte miterfassen, wie z. B.
•
die
SPECT
(Single-Photon-Emissionscomputertomographie),
eine
Untersuchungs-methode mit radioaktiven Isotopen,
•
sowie PET (Positronenemissionstomographie), eine Untersuchung, die in erster
Linie den Glukosestoffwechsel mittels radioaktiver Substanzen misst,
gehören nicht zur Routine und sind bislang überwiegend Einzelfällen vorbehalten.
Ursachen
Die BNS-Epilepsien werden in symptomatische und kryptogene eingeteilt. Bei den
symptomatischen lassen sich fassbare Ursachen feststellen, bei den kryptogenen ist die
Ursache nicht bekannt.
Mit zunehmender Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten ist der Anteil der
kryptogenen BNS-Krämpfe an der Gesamtgruppe in den letzten Jahren zunehmend kleiner
geworden und liegt jetzt zwischen 20 und 30 %. Es gibt Hinweise, dass ein Teil dieser
Patienten eine genetische Disposition hat mit familiärer Häufung.
Die symptomatischen BNS-Krämpfe können ihre Ursache prä-, peri- oder postnatal haben.
Zu den pränatalen Ursachen gehören Entwicklungsstörungen bzw. Fehlbildungen der
Hirnrinde, die in der Frühschwangerschaft entstehen.
Eine weitere große Gruppe sind die neurokutanen Syndrome oder Phakomatosen, erbliche
Erkrankungen, die sich durch Symptome an unterschiedlichen Organen manifestieren.
Hierzu gehören z. B. die tuberöse Sklerose und die Neurofibromatose I.
Komplexe Hirnfehlbildungen können ebenso zu BNS-Epilepsien führen wie auch
Chromosomenanomalien, z. B. das Down-Syndrom (Trisomie 21). Angeborene
Infektionen wie die Zytomegalie oder Toxoplasmose können durch Schädigung des sich
entwickelnden Gehirnes Auslöser der BNS-Epilepsie sein ebenso wie einige
Stoffwechselkrankheiten.
Als perinatale Ursachen einer BNS-Epilepsie kommen Sauerstoffmangelzustände in
Frage, ebenso auch Hirnblutungen. Die Komplikationen im Zusammenhang mit einer
Frühgeburt spielen hier ebenso eine Rolle.
Als postnatale Ursachen kommen ebenso Schädigungen durch Sauerstoffmangel (z. B.
Herzstillstand, Unfallfolgen) in Frage wie auch entzündlich Erkrankungen des Gehirns.
Unter den angegebenen Ursachen sind die vorgeburtlichen die häufigsten mit 30 bis 45 %
der Kinder, gefolgt von den um die Geburt herum erworbenen Schädigungen mit 15 bis
25 %.
Wie alle diese unterschiedlichen Ursachen letztlich zu der relativ gleichförmigen klinischen
und elektroenzephalographischen Manifestation führen, ist bislang nicht endgültig geklärt.
Es handelt sich offensichtlich um eine unspezifische Reaktion des unreifen Gehirns auf
sehr verschiedene äußere Einflüsse. Es wird vermutet, dass eine Regulationsstörung im
Stoffwechsel einiger Neurotransmitter eine Rolle spielt. Auf dieser Ebene greift auch ein
Teil der wirksamen Medikamente ein.
Häufigkeiten
Unter allen Epilepsien bei Kindern im Alter von 0 bis 15 Jahren wird die BNS-Epilepsie mit
einer Häufigkeit von 4 bis 8 % angegeben.
Das Neuauftreten auf 1000 Lebendgeborene wird mit 0,16 bis 0,42 angegeben.
Verwandte Krankheiten/ Differentialdiagnose/Begleitfehlbildungen
Eindeutige, klinisch zu beobachtende BNS-Anfälle mit dem typischen EEG-Befund
der Hypsarrhythmie lassen die Diagnose sicher stellen.
Differentialdiagnostisch müssen epileptische und nichtepileptische Myoklonien des
Säuglingsalters abgegrenzt werden, was in der Regel durch Klinik und EEG möglich ist.
Beim gutartigen Säuglingsmyoklonus fehlen sonstige Entwicklungsauffälligkeiten und
es findet sich ein normales EEG. Bei der seltenen Epilepsieform der generalisierten
myoklonischen Anfälle des Säuglings treten die myoklonischen Anfälle in der Regel nicht
in Serien auf und es findet sich im EEG keine Hypsarrhythmie.
Dem Auftreten der typischen BNS-Epilepsie können bei schwer geschädigten Kindern
myoklonische Epilepsien vorangehen, die dann in eine BNS-Epilepsie übergehen.
Schreckreaktionen bei irritablen Säuglingen können Blitzanfälle vortäuschen. Umgekehrt
werden echte Blitzkrämpfe z. T. mit einem Zusammenschrecken verwechselt und als
harmlos fehlgedeutet. Beugekrämpfe mit Zusammenkrümmen des Kindes könnten
fehlinterpretiert werden als Bauchkoliken.
Ein Teil der Kinder mit BNS-Epilepsien entwickelt im Verlauf bei nicht ausreichendem
Ansprechen auf die medikamentösen Behandlungen eine ebenfalls prognostisch
ungünstige und therapieschwierige Epilepsieform, das Lennox-Gastaut-Syndrom. Hierbei
handelt es sich ähnlich der BNS-Epilepsie um ein altersgebundenes epileptisches
Syndrom mit vielen unterschiedlichen zugrunde liegenden Mechanismen. Es ist
gekennzeichnet durch ganz unterschiedliche Anfälle mit tonischen, astatischen,
myoklonischen, tonisch-klonischen Anfällen, z. T. auch fokaler Art und auch atypischen
Absencen.
An Begleitfehlbildungen muss vor allem bei Vorliegen einer bekannten Grunderkrankung
gedacht werden.
Bei einer tuberösen Sklerose muss nach Manifestationen an Herz und Nieren
sonographisch gesucht werden.
Ebenso muss bei einer Neurofibromatose auf die Manifestation an anderen Organen
geachtet werden.
Seltene zugrunde liegende Stoffwechselerkrankungen können sich natürlich auch
vielfältig an anderen Organsystemen manifestieren.
Ebenso
muss
bei
komplexen
Fehlbildungssyndromen
nach
behandlungsbedürftigen Veränderungen z. B. innerer Organe gesucht werden.
evtl.
Standardtherapie:
Aufgrund der sehr unterschiedlichen Ursachen, die dem Bild der BNS-Epilepsie
zugrunde liegen können, hat sich bis heute keine allgemein gültige
Standardtherapie etabliert, die für alle Fälle als günstigste Form angesehen werden
könnte.
In den letzten Jahren sind durch die zahlreichen neuen Antikonvulsiva zudem weitere
Behandlungsmethoden hinzugekommen, die bislang mehr oder weniger gut evaluiert sind.
•
Nach wie vor wird die Behandlung mit ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) bzw. mit
Kortikosteroiden als eine mögliche Standardtherapie angesehen, die allerdings mit
nicht unerheblichen Nebenwirkungen behaftet ist. Bei konnatalen Infektionen als
Ursache der Epilepsie sollten sie nicht zum Einsatz kommen.
•
Als Alternative hat sich Valproinsäure etabliert, die allerdings mit einem erhöhten
Risiko behaftet ist, falls eine bislang nicht diagnostizierte Stoffwechselerkrankung
vorliegt.
•
Vigabatrin wird nach wie vor als ein Mittel der ersten Wahl für Kinder mit tuberöser
Sklerose zur Behandlung der BNS-Epilepsie angesehen, für die anderen Indikationen
wird aufgrund der Tatsache, dass es hierunter zum Auftreten irreversibler
Gesichtsfeldeinschränkungen kommt, nicht mehr zur Behandlung mit dem Präparat
geraten.
•
Die Leitlinie der Gesellschaft für Neuropädiatrie zu diagnostischen und therapeutischen
Prinzipien bei Epilepsien im Kindesalter sieht für das West-Syndrom die Gabe von
Vigabatrin, Valproinsäure, ACTH bzw. oralen Steroiden, Vitamin B6, Sultiam und
Topiramat als sinnvoll an. Es wird darauf hingewiesen, dass für Vitamin B6, Sultiam
und Topiramat nur wenige Daten vorliegen (Stand Januar 2003).
Ein umfassender Überblick zur Behandlung der infantilen Spasmen mit Stand November
2003 (Cochrane Database) kommt zu dem Schluss, dass eine optimale Behandlung nach
wie vor nicht gesichert ist.
Bezüglich der langfristigen psychomotorischen Entwicklung bzw. dem späteren Auftreten
anderer Epilepsien konnte bislang zu keinem Medikament im Vergleich zu anderen ein
Vorteil bewiesen werden.
Unter den in der Übersicht verglichenen Medikamenten konnte nach den Kriterien der
evidenzbasierten Medizin keine Überlegenheit einer Substanz gegenüber einer anderen
bezüglich Reduktion der Anfälle, Rezidivrate oder Beendigung der Hypsarrhythmie gezeigt
werden (bewertet wurden Vigabatrin, Valproinsäure, Hydrocortison, ACTH, Prednison und
Nitrazepam, ein Benzodiazepin).
Wichtig sind die frühzeitige Diagnosestellung und die umgehende und konsequente
Therapieeinleitung mit dem Ziel der EEG-Sanierung und der Anfallsfreiheit.
Insbesondere bei den Patienten ohne zugrunde liegende Erkrankung (kryptogene BNSEpilepsie) verschlechtert wahrscheinlich ein verzögerter Behandlungsbeginn die Prognose.
Die Behandlung wird zumindest initial in der Regel unter stationären Bedingungen in einer
Kinderklinik stattfinden.
Die weitere Betreuung wird dann in einer neuropädiatrischen oder pädiatrischepileptologischen Ambulanz bzw. einer entsprechenden spezialisierten kinderärztlichen
Praxis stattfinden.
Therapieschwierige Patienten oder ungewöhnliche Verläufe können im Weiteren in einem
Epilepsie-Zentrum mitbetreut werden.
Unabhängig von der antikonvulsiven Behandlung der BNS-Epilepsie muss eine
unter Umständen diagnostizierte zugrunde liegende Erkrankung, z. B. eine
Stoffwechselkrankheit, in Abhängigkeit von den gegebenen Möglichkeiten
ursächlich oder symptomatisch behandelt werden.
Weitere Therapien, zum Teil noch in der Erforschung
•
Über die unter Standardtherapie gemachten Aussagen hinaus gibt es mittlerweile neue
Erkenntnisse über eine gute Wirksamkeit von Topiramat beim West-Syndrom, evtl.
auch in Kombination mit Vigabatrin.
•
Darüber hinaus wurde im Februar 2004 eine deutsche Studie veröffentlicht, die die
Wirksamkeit von Sultiam in der primären Therapie des West-Syndroms belegt und
diese mit der von Vigabatrin gleichsetzt. Eine Wirksamkeit von Pyridoxin (Vitamin B6)
wird hier nicht gefunden.
•
Eine Arbeit aus 2004 aus den USA berichtet von einem positiven Effekt von
Zonisamid, einem neuen Antikonvulsivum, das in Deutschland nicht zugelassen ist.
Die Erfolgsraten liegen hier im gleichen Bereich mit den bisher verwendeten
Medikamenten, sodass auch hieraus wahrscheinlich keine wesentliche Änderung des
bisherigen Vorgehens resultiert.
•
Für Einzelfälle kommt eine epilepsiechirurgische Intervention in Frage (bei
medikamentöser Therapieresistenz und einer fassbaren Läsion, z. B. im Bereich der
Hirnrinde, die bei der Anfallsentstehung führend ist). In Frage kommen hierfür z. B.
auch Patienten mit tuberöser Sklerose, bei denen unter Umständen zahlreiche
rindennahe Veränderungen vorliegen, von denen aber eine für die Anfallsentstehung
wesentlich und einer operativen Intervention zugänglich ist. Bei solchen Patienten
sollte dann auch frühzeitig an eine operative Therapiemöglichkeit gedacht werden.
Prognose
Die Prognose sowohl bezüglich des Ansprechens der Epilepsie auf die antikonvulsive
Medikation sowie auch bezüglich der motorischen und mentalen Entwicklung ist ganz
wesentlich abhängig von der zugrunde liegenden Störung.
Diese zugrunde liegenden Erkrankungen und deren symptomatische Behandelbarkeit sind
auch wesentlicher Faktor für die in größeren Untersuchungen angegebenen
Sterblichkeitsraten.
Jüngere Zahlen gehen hier von einer Gesamtsterblichkeit der Kinder mit BNS-Epilepsie bis
zum 3. Lebensjahr von etwa 5 % aus. Dabei liegt die therapiebedingte Sterblichkeit unter
einer ACTH-Therapie zum Beispiel etwa im Bereich von 1,5 %, unter der ValproatTherapie bei nur etwa 0,1 %.
Die Langzeitprognose muss leider insgesamt auch heute immer noch als ungünstig
angesehen werden, wobei es durchaus auch Kinder mit normaler oder weitgehend
normaler Entwicklung hierunter gibt.
• Langfristig werden etwa 25 bis 30 % der Patienten anfallsfrei.
• Ebenso haben etwa 25 bis 30 % eine normale oder leicht verminderte intellektuelle
Entwicklung.
• Die übrigen Kinder behalten eine bleibende Entwicklungsstörung unterschiedlichen
Ausmaßes.
• Liegt der BNS-Epilepsie keine fassbare Ursache zugrunde, so ist die Aussicht auf eine
normale Entwicklung wesentlich besser (bis etwa 40 %).
• Als prognostisch ungünstig einzuschätzen ist ein Beginn der BNS-Krämpfe vor dem
Alter von 3 Monaten oder jenseits des 1. Lebensjahres, ein schwerer Rückschritt in der
Entwicklung vor oder mit dem Beginn der Epilepsie, das Vorhandensein oder Auftreten
schwerer neurologischer Ausfälle sowie ein schlechtes Ansprechen auf die
antikonvulsive Medikation und ein Ausbleiben der Weiterentwicklung nach Ansprechen.
• Ebenso ungünstig ist ein Wiederauftreten der BNS-Krämpfe oder der Hypsarrhythmie
nach dem Absetzen der Medikamente. Bis zu 2/3 aller Kinder mit BNS-Anfällen
entwickeln später andere Anfallsformen, davon ein Großteil das oben erwähnte
Lennox-Gastaut-Syndrom, daneben treten fokale Epilepsien auf.
Beratung der Familie
Diese wird zunächst in der primär betreuenden Einrichtung, also in der Regel einer
entsprechend ausgerüsteten Kinderklinik erfolgen.
Die längerfristige Beratung und Begleitung der Familien erfolgt dann beim betreuenden
Arzt, bei dem es sich um einen Kinderarzt mit neuropädiatrischer/pädiatrischepileptologischer Zusatzqualifikation handeln sollte (z. B. um einen entsprechend
qualifizierten niedergelassenen Kinderarzt, ein sozial-pädiatrisches Zentrum oder eine
Epilepsieambulanz für Kinder und Jugendliche).
In Abhängigkeit von einer möglichen zugrunde liegenden genetischen Erkrankung sollte
evtl. auch eine humangenetische Beratung (in einer humangenetischen Praxis oder
Beratungsstelle eines humangenetischen Instituts) erfolgen.
Informationsquellen
Roland Besser, Gunter Gross-Selbeck (Hrsg.): Epilepsiesyndrome – Therapiestrategien,
3.Auflage, 2003, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, ISBN 3-13-796203-X
Hartmut Siemes, Blaise F. D. Bourgeois: Anfälle und Epilepsien bei Kindern und
Jugendlichen, 2001, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, ISBN 3-13-127031-4
Ansgar Matthes, Hansjörg Schneble: Epilepsien, 6.Auflage, 1999, Georg Thieme Verlag,
Stuttgart, ISBN 3-13-454806-2
Hermann Doose: Epilepsien im Kindes- und Jugendalter, 11.Auflage, 1998, DesitinArzneimittel GmbH, Hamburg (Email: [email protected] )
Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie: Diagnostische und therapeutische Prinzipien
bei Epilepsien im Kindesalter, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 022/007, http://leitlinien.net/
Hancock E, Osborne J, Milner P.: Treatment of infantile spasms. Cochrane Database Syst
Rev. 2003;(3):CD001770
BUNDESVERBÄNDE
Bei folgenden BUNDESWEITEN ANLAUFSTELLEN können Sie
Informationsmaterial anfordern. Fragen Sie dort auch nach Ansprechpartnern des
jeweiligen Verbandes in der Umgebung Ihres Wohnortes! Falls vorhanden, sind
auch Auslandsadressen mit aufgelistet. Bitte haben Sie dafür Verständnis, daß wir
in Bereichen, in denen bereits bundesweite Ansprechpartner existieren, primär
diesen Initiativen den Versand von Informationsmaterial und die Vermittlung
spezieller Hilfen überlassen. Bei zusätzlichen Fragen können Sie sich natürlich
jederzeit wieder an das Kindernetzwerk wenden!
Informationszentrum Epilepsie (IZE)
Deutsche Epilepsievereinigung gem. e.V.
der Dt. Gesellschaft für Epileptologie
Bundesgeschäftsstelle
Reinhardtstr. 14
Zillestraße 102
10117 Berlin
Tel.: 07 00/13 14 13 00
Fax: 07 00/13 14 13 99
10585 Berlin
Tel.: 0 30/3 42 44 14
Tel.: 01 80/1 42 42 42 Hotline / Mo + Do 12-18 Uhr
Fax: 0 30/3 42 44 66
e-mail: [email protected]; [email protected]
Internet: www.izepilepsie.de
Ansprechpartner/innen: Petra Gehle
Bürozeiten: Mo-Fr 9-12 Uhr
Datenbank für Epilepsien mit aktuellen
Informationen zu:
- Adressen von Selbsthilfegruppen
und Epilepsie-Ambulanzen
- Anfallsformen/Syndromen
- Literaturhinweisen
- Therapie/Medikamenten
LiBERO - Hilfe für das Kind mit
Krankheiten des Nervensystems e.V.
Moorhüttenweg 2 R, c/o Ulrike Putze
38104 Braunschweig
Tel.: 05 31/69 75 70
Ansprechpartner/innen: Ulrike Putze, 1. Vorsitzende
ANGEBOTE:
- Faltblatt
- Zeitung "Libero", halbjährlich
LIBERO will insbesondere Kindern mit
folgenden Krankheiten helfen:
- Epilepsie
- Hirnfehlbildungen und -entwicklungsstörungen
- Hirntumoren
- Multiple Sklerose und andere chronischentzündliche Nervenerkrankungen
- Schädel-Hirn-Verletzungen
- Angeborene Nerven- und Muskelerkrankungen
- Stoffwechselstörungen des Nervensystems
e-mail: [email protected]
Internet: www.epilepsie.sh
Ansprechpartner/innen: Andrea Lüderitz-Aue, Anne
Söhnel
Bürozeiten: Mo-Do 10-15 Uhr
MITGLIED IM KINDERNETZWERK
ANGEBOTE:
- Mitgliedszeitschrift "Einfälle"
- Informationsflyer zu bestimmten Themen
ABR (Advanced Biomechanical Rehabilitation)
Therapie
Frau Jana Neumann
Alt Eschersheim 83 A
60433 Frankfurt
e-mail: [email protected], [email protected]
Internet: www.abr-therapie.de
Selbsthilfegruppe
Selbsthilfegruppe
für Anfallkranke
für Anfallskranke
Wienerstraße 20
Otmar-Crusizstraße 24
A-8020 Graz
Tel.: 00 43/3 16/91 6714
A-9500 Villach
Tel.: 00 43/42 42/5 27 24
Ansprechpartner/innen: Elisabeth Horvath
Ansprechpartner/innen: Manfred Brandl
West Syndrome
Epilepsy Action Scotland
Support Group
8 Waddon Close
48 Govan Road
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Tel.: 0044 141 427 5225 Helpline
Tel.: 0044 141 427 4911
Fax: 0044 141 419 1709 o. 0044 427 7414
e-mail: [email protected]
e-mail: [email protected]
Internet: www.epilepsyscotland.org.uk
Anlaufstelle in Großbritannien für:
- Epilepsie
National Centre for Young People with Epilepsy
Epilepsy Foundation
St.Piers Lane
4351 Garden City Drive
GB-RH7 6PW Lingfield
Tel.: 0044 1342 8322 43
Fax: 0044 1342 8346 39
U.S.A.- Landover MD 20785
Tel.: 001 3014 5937 00
Tel.: 001 8003 3210 00
Internet: www.ncype.org.uk
Anlaufstelle in Großbritannien für:
- Epilepsie
e-mail: [email protected]
Internet: www.epilepsyfoundation.org