Gegen den Trend 2004 - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen
Transcrição
Gegen den Trend 2004 - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen
GEGEN DEN TREND TRÄUME • ZUKUNFT • LEBEN AEJN • Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen Postfach 265 • 30002 Hannover •Telefon: (05 11) 12 41 – 5 72/-5 71 • Fax: (05 11) 12 41 – 4 92 [email protected] • http://www.aejn.de Redaktion: Christine Ingrid Kiem, Manfred Neubauer Satzerfassung: Christine Ingrid Kiem Layout: s •form Druck: Buchdruckwerkstätten Hannover Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier, Recycling Hannover, im Januar 2004 Autoren Ralph-Ruprecht Bartels, Pastor, Harsum Gottfried Labuhn, Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, Propsteijugenddiakon Schöppenstedt Martin Bauer, Dipl.-Religionspädagoge, Kirchenkreisjugendwart, Nienburg Harro Lange, Dipl.-Religionspädagoge, Landesjugendpfarramt Hannover Gesine Boerma, Pastorin, Landesjugendpfarramt der Evangelisch-reformierten Kirche, Leer Roger Moch, Berufsschulpastor, Rotenburg/Wümme Christian Ceconi, Pastor, Ehrenamtlicher der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands (CPD) Manfred Neubauer, Dipl.-Religionspädagoge, Dipl.-Supervisor, Jugendbildungsreferent, Landesjugendpfarramt Hannover Matthias Conrad, Kirchenkreisjugendwart, Harlingerland Thomas Schruff, Dipl.-Soz.Päd., Bildungsreferent, Landesjugendpfarramt Oldenburg Klaas Grensemann, Kirchenkreisjugendwart, Norden Christine Tergau-Harms, Pastorin, Landesjugendpfarramt Hannover Susanne Korf, Studentin für Diplom in den Erziehungswissenschaften, Schaumburg Lippe Satzerfassung Christine-Ingrid Kiem Inhaltsverzeichnis 1_ Impressum 6_ Vorwort der Nds. Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 7_ Vorwort der Redaktion Die Aktion: Manfred Neubauer 9_ Die Aktion und ihr Thema 10_ Die Arbeitshilfe und ihre Zielgruppen Sieben Themenkomplexe in sieben Schritten 1. Themenkomplex: Einmal komme ich ganz groß raus! Einmal komme ich ganz groß raus: Christian Ceconi 14_ Wirklich super, wirklich Star? – Oder lieber individuell träumen? 14_ Träume, Pläne, Wirklichkeiten von Jugendlichen 16_ „Lebe deinen Traum!“ – Die Wirklichkeit ist, was ich denke 16_ Die Story erzählen – konstruktiver Umgang mit der eigenen (potentiellen) Biografie 17_ Mit der Idee des Konstruktivismus spielen 18_ Weiterführende Fragestellungen 19_ Materialien, Literatur 2. Themenkomplex: Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Ich bin ein Unikat: Gesine Boerma 28_ I am what I am (Gloria Gaynor) 28_ I am what I am (Karen Mulder) 30_ Who am I? 31_ Du bist ein Unikat, gewollt und angenommen 31_ Auf den Blickwinkel kommt es an 34_ Was ich erreichen und weitergeben möchte 35_ Materialien, Literatur Gentechnologie: Roger Moch 36_ Gott ins Handwerk pfuschen? 36_ Gentechnik kommt auf den Markt – Leben aus der Retorte früher und heute...? 38_ Menschen sind nicht willenlose Sklaven ihrer Gene 38_ Beginnt der Mensch heute damit, seine Evolution in die eigenen Hände zu nehmen? 39_ Welche Eigenschaften braucht ein guter Zuchtbulle? TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_3 GEGEN DEN TREND ’2004 Expo yourself – Ein Praxis-Projekt zum Thema „Casting“: Matthias Conrad/Klaas Grensemann 20_ Hintergrund des Casting-Projektes – „Wie alles begann...“ 21_ Einstieg in das Projekt – „Nun aber wirklich...“ 21_ Theologische Auseinandersetzung – „Menschenbild in der Bibel und Medien“ 21_ Bibelarbeit zum Thema „Menschenbild und Medien“, 1. Mose 3:1-7 21_ Grundthesen zu „Menschenbild und Medien“,1. Mose 3:1-7 22_ Ethik- und Moraldebatte 22_ Diskussion über die Grenzbereiche in Kleingruppen 22_ Konsequenzen aus den Ergebnissen für unser Casting festhalten 24_ Projektbeschreibung „Expo yourself“ (Das „Casting-Projekt“) 26_ Gedicht „Manchmal, Gott“: Klaas Grensemann Inhaltsverzeichnis 41_ Weiterführende Fragestellungen 41_ Quellen/Material 3. Themenkomplex: Reise zum Mittelpunkt – Reise zu mir Die Reise zum Ich in Zeiten virtueller Identitäten: Thomas Schruff 44_ Wo stehen wir heute? 46_ Verkleidungsspiele 46_ Bin ich ICH? 48_ Ich bin ICH 49_ Praxisbausteine 52_ Pädagogische Herausforderungen 53_ Materialien/Literatur Reise zu mir – nicht ohne meinen Körper: Christine Tergau-Harms 54_ Um mich herum sind tausend Spiegel 54_ Mein größter Feind 54_ Die fünf Säulen der Persönlichkeit 57_ Die Gefahren 57_ Wellness à la Bibel: sieben Ideen 62_ Wo der Spaß aufhört 63_ Literatur GEGEN DEN TREND ’2004 4. Themenkomplex: Wo bitte geht's zum Paradies? Wo bitte geht’s zum Paradies?: Ralph-Ruprecht Bartels 66_ Erste Einfälle 67_ Was sagen andere? 68_ Zuspitzung - Unsere biblische Tradition 69_ Farbe bekennen - Was bedeutet „Paradies” in unserer Arbeit mit Jugendlichen 70_ Transfer, Vermittlung, Umsetzung 4_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN 73_ Weiterführende Fragestellungen 74_ Materialien - Literatur Mein persönliches Paradies/Mein Lebenstraum: Harro Lange 78_ Mein persönliches Paradies/Mein Lebenstraum (Eine Gegenstandsmeditation) 5. Themenkomplex: Mir reicht's, wie geht's weiter? Mir reichts – Wie geht´s weiter?: Susanne Korf 82_ Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt 83_ Es lohnt, sich zu ärgern und Kritik zu üben! 85_ Unzufriedenheit als Anstoß für Problembewusstsein 87_ Was passiert, wenn ich den Ärger nicht los werde? 87_ Probleme über Probleme 90_ Immer öfter – aber nicht immer! 90_ Materialien, Literatur 6. Themenkomplex: Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa: Gottfried Labuhn 94_ Themenfindung – Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa 94_ Assoziationen zu Träumen und Zielen 95_ Umfrage zu „Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa“ 96_ Ergebnisse der Umfrage 98_ Methoden für die Arbeit mit den Themen „Träume und Ziele“ Inhaltsverzeichnis 101_ Umsetzung der Ergebnisse und Fragen, die geblieben sind 102_ Literatur – weitere Informationen 7. Themenkomplex: Lebensrückblick von vorne Lebens(t)räume – warum Lebens(t)räume als Thema für junge Menschen?: Martin Bauer 104_ Träume sind Schäume? 104_ Du hast es selbst in der Hand 104_ Ich schulde meinen Träumen noch Leben 104_ Gott meint es gut mit Dir! 105_ Transfer, Vermittlung, Umsetzung 105_ Was bedeutet das für mich und mein Leben? 105_ Material Lebensrückblick: Martin Bauer 106_ FAQ – Frequently aksed questions 106_ Alles hat einen Sinn 107_ Du bist verantwortlich für dein Leben 107_ Dein roter Faden in deinem Leben 107_ Transfer, Vermittlung, Umsetzung 107_ Und wie geht es weiter? 107_ Materialien/Literatur Der rote Faden in meinem Leben: Martin Bauer 108_ Der rote Faden in meinem Leben 110_ Informationen über die Arbeit der AEJN: Manfred Neubauer TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_5 GEGEN DEN TREND ’2004 112_ Veröffentlichungen „Gegen den Trend“ Vorwort der Nds. Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit In unserer sehr schnelllebigen Zeit ist es gut, einmal innezuhalten - um Träumen und Gedanken über die eigene Zukunft Raum zu geben. Die Fastenaktion der Arbeitsgemeinschaft Evangelischen Jugend in Niedersachsen „Gegen den Trend 2004- Träume-Zukunft-Leben“ greift das Bedürfnis junger Menschen auf, den eigenen Standort in der Gesellschaft zu reflektieren und bietet Gelegenheit, eine eigene Position zu entwickeln. Die Aktion regt in gelungener Wiese dazu an, in Jugendgruppen und Schulklassen eine zeitgemäße christliche Normen- und Wertedebatte zu führen. Die vorliegende Arbeitshilfe gibt eine wertvolle Unterstützung für eine Pädagogik ohne erhobenen Zeigefinger. Es werden Möglichkeiten vorgestellt, einen Diskurs mit den Jugendlichen zu Themen zu führen, die sie selbst unmittelbar betreffen und bewegen. GEGEN DEN TREND ’2004 Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Arbeitshilfe in den Schulen sowie den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe angenommen wird und dazu beiträgt, zukunftsfähige Orientierungen für die jungen Menschen zu entwickeln. Dr. Ursula von der Leyen Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit 6_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Vorwort der Redaktion Träume - Zukunft - Leben Halt, Stopp! – ist die Sortierung richtig? Müsste nicht vielmehr eine andere Reihenfolge gewählt werden? Sollten nicht doch lieber die Zukunft und die Zukunftserwartung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt gerückt werden und somit an erster Stelle stehen? Die Redaktionsgruppe hat verschiedene Varianten durchgespielt und unterschiedliche Reihenfolgen diskutiert. Übrig geblieben ist die vorliegende Reihung, bei der sich die Begriffe sowohl aufeinander beziehen als auch für sich stehen und sprechen können „Träume - Zukunft - Leben“, und das ist auch gut so. Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski mahnte Kinder bei einer Veranstaltung zum Thema „Zukunft“ im Hamburger Audimax, an der sich tausend gespannte Kinder und viel Begleitung tummelten: Schaltet mal ab – auch das Fernsehen. Jagt nicht jeder schnellen Mode hinterher, entdeckt die Hängematte wieder, macht nicht alles auf einmal. Lasst euch Zeit, lasst die Zukunft kommen, hebt euch eure Träume auf, eure unerfüllten Wünsche. Aber ist die Zukunft für Kinder und Jugendliche momentan wirklich greifbar oder bleibt sie eher abstrakt? Wir können über unsere Lebensgewohnheiten nachdenken und vortrefflich über gesellschaftliche Prozesse philosophieren, der frische Wind des Lebens weht uns sowieso unmittelbar um die Nase: im Hier und Jetzt, im wahren Leben. Oder wie sagte doch Horst W. Opaschowski: „Die Zukunft beginnt sofort – je früher, desto besser.“ Für die Redaktionsgruppe Manfred Neubauer TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_7 GEGEN DEN TREND ’2004 Anschließend stellt er die Frage, warum Menschen eigentlich in die Zukunft sehen wollten. Er, der viele Begriffe im Bereich der Zukunftsforschung prägte – wie „Erlebnisgesellschaft“ und „EventKultur“, und der die Kaufhäuser einmal als „Kathedralen des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet hat. Er gibt die Antwort dahingehend, dass sich der Blick in die Zukunft lohnt und zieht den Vergleich zu einem Wetterbericht. Man sei schließlich, wenn z. B. ein Hurrikan kommt, nicht schutzlos den Urgewalten ausgeliefert. Doch greift dieser Gedanke bei Zukunftsvisionen nicht zu kurz? Er stellt einen anderen Vergleich her. Er arbeite manchmal mit ähnlichen Mitteln wie in der Modebranche, die immer schon im Herbst weiß, was die Konsumenten im folgenden Sommer „cool“ finden werden (und auch kaufen). Gleichzeitig wird er nachdenklich und stellt fest: „Nicht alles, was technisch machbar ist, sollte Wirklichkeit werden.“ Und er wirkt auch ratlos, wenn er gefragt wird: „Hört der Krieg irgendwann auf?“ GEGEN DEN TREND ’2004 8_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Die Aktion Sieben Themenkomplexe in sieben Schritten In der Reihe „Gegen den Trend“ wagen sich seit mehr als einem Jahrzehnt PraktikerInnen aus der außerschulischen Jugendbildung an ein Thema heran, versuchen es unter Einbezug der Perspektive von Jugendlichen zu entfalten und geben damit einen Impuls zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit einer bestimmten Thematik. Dabei wurde auf den Praxisbezug immer besonderer Wert gelegt. Die Sichtweise zu einem Thema war und ist dabei individuell: aus dem Blickwinkel der Verfasserin/ des Verfassers. In der Vergangenheit waren die Beiträge normalerweise auch in einer bestimmten Abfolge formuliert, sodass eine Wiedererkennung möglich wurde. Die damals vorgegebene Strukturierung ließ jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Gestaltungsmöglichkeiten offen. Mit dieser Ausgabe wird erstmals die Aufbereitung und Darstellung eines Themas in einem Siebener-Schritt ausprobiert, der wie folgt aussieht: Erste Einfälle zum Thema Was sagen andere? (Fundsachen, Assoziationen, Kontexte) Zuspitzung – Thema entfalten unter einem Blickwinkel Transfer, Vermittlung, Umsetzung (Projektbeschreibungen, Praxisbeispiele, Gottesdienste, Gruppenstunden, Stunden-Entwürfe) Materialien, Literatur Der Siebener-Schritt wird mit entsprechenden Symbolen dargestellt, so dass in dem jeweiligen Beitrag individuelle Zwischenüberschriften vorkommen können. Die Verfasserin bzw. der Verfasser haben den entsprechenden Beitrag mit Hilfe dieser Struktur entwickelt. Ziel hierbei ist es, für die LeserInnen einen schnelleren Zugang zum Text und der Arbeitshilfe zu schaffen und ihnen einen „Wiedererkennungswert“ zu ermöglichen. Hintergrund dafür ist beispielsweise die Erfahrung, dass einzelne Beiträge herausgenommen und für die Praxis genutzt werden – dies ist auch gut so. Mit Hilfe der Broschüre „Echt cool!“ aus dem vergangenen Jahr hat beispielsweise eine Berufsschulklasse ein halbes Jahr lang einzelne Themen bearbeitet, für sich gewichtet und bewertet. Ihre Ergebnisse wurden dann den Autoren als Rückmeldung zur Verfügung gestellt. Wir wissen, dass ein solches Vorgehen auch in anderen Arbeitsfeldern praktiziert wird, sei es für eine Projektwoche, einen Gottesdienst, bei einer Schulung zum Erwerb der JugendleiterInnen-Card (JuLeiCa), im Religionsunterricht oder bei einem thematischen Teil einer Freizeit. Die Autoren dieser Arbeitshilfe wissen, dass die ausgewählten Themen inhaltlich aneinanderreichen können und manchmal nicht ganz trennscharf zu behandeln sind. Trotzdem hat sich die Projektgruppe auf dieses Experiment eingelassen und hofft, dass das Ergebnis in ähnlicher Weise angenommen wird wie die Arbeitshilfen der vergangenen Jahre. Die Aktion und ihr Thema Fasten ist mehr als nur Verzichten. Mit dem Fasten steigen Menschen aus gewohnten Verhaltens- und TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_9 GEGEN DEN TREND ’2004 Farbe bekennen (Meinungen, Überzeugungen, Ideen aus der Sicht der Verfasserin/des Verfassers) Weiterführende Fragestellungen Die Aktion Konsumweisen aus und es eröffnen sich ihnen neue Reflexionsmöglichkeiten. Es ist eine Zeit des Innehaltens und der Besinnung auf das eigene Verhältnis zu Gott und zur Welt. Eine heilsame Leere tut sich auf und will mit Anregungen gefüllt werden. In der diesjährigen Fastenzeit will die Aktion “Gegen den Trend” der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen (AEJN) das Thema „Träume Zukunft - Leben“ in den Mittelpunkt des Nachdenkens stellen. Mit der vorliegenden Arbeitshilfe soll die Bereitschaft angestoßen werden, vorhandene Werthaltungen, Verhaltensmuster und Einstellungen, gewohnte und vielleicht sogar beliebte Gewohnheiten auf ihre Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung zu überprüfen. Die einzelnen Artikel geben Impulse zur eigenen Auseinandersetzung mit den Fragen einer individuellen Lebensplanung und Zukunftsorinentierung in unserer Gesellschaft. GEGEN DEN TREND ’2004 Über die 40 Tage der Passionszeit hinaus erhoffen wir uns gute Diskussionen in Schulklassen und Jugendgruppen, in denen Jugendliche angeregt werden, ihre persönlichen Zukunfts- und Wertekonzepte weiterzuentwickeln. Die im biologischen Vollzug oft genug praktizierte und der körperlichen Verfassung zunutze kommende Praxis des Fastens hat ihr Pendant im geistigseelischen Bereich gefunden. Selbst religiös nicht engagierte Menschen können für sich einen Sinn darin sehen, ihre Orientierung nach anderen Maßstäben zu finden als nach dem Schema “Nehmen ist seliger als Geben” (in Umkehr zu einer in der Christenheit verwurzelten Einstellung). Eine befriedigende Lebensgestaltung kann eben nicht durch Egoismus und Kosten-Nutzen-Denken gefunden werden. In der (Evangelischen) Jugend liegt das Potential zur Veränderung, zum Ausprobieren, zum Protest. Dies lässt sich auch für solch eine Fastenaktion nutzbar machen. Der biblische Anknüpfungspunkt kann z. B. mit einem Text aus der Bergpredigt benannt werden: 10_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht wird’s dir vergelten. Mth.6,16-18 Der christliche Gehalt des Fastens ist die Wendung nach innen. Wichtig ist das, was im Verborgenen, in der eigenen Person geschieht. De Reflexion über die eigene Existenz, über Träume, Zukunftswünsche und die persönliche Lebensgestaltung über das, was hält und trägt, über das, was die Beziehung zu Gott ausmacht. Dies ist oftmals von Unsicherheiten geprägt, gleichsam eine Art Suchbewegung. Träumen bedeutet ja zumeist, dass man seinen inneren Wünschen freien Lauf gibt, dass man die eigentlichen Gefühle allerdings nicht nach außen hin zeigt. Vielleicht kann Fasten auch als Befreiung zu einem „realen Traum“ verstanden werden, als Befreiung zu einem Selbstvertrauen, das sich nicht verstecken muss, sondern der Zukunft mutig ins Auge sieht. Die Arbeitshilfe (Broschüre) und ihre Zielgruppen Die Arbeitshilfe versucht die weit gestreute Bezugsgruppe “Jugendliche” in den Blick zu nehmen, für Orientierungsstufen-SchülerInnen bis hin zu AbiturientInnen sollen die Unterthemen aufgenommen, aufgegriffen, weiterentwickelt und weitergegeben werden. Die Entfaltung der Einzelthemen geschieht jedoch nicht schematisch, so dass nacheinander alle Schul- und Altersstufen gleichmäßig angesprochen werden. Zum Teil ist es auch von den zugänglichen Materialien abhängig, Die Aktion was hier dargeboten wird. Außerdem spielt eine Rolle, aus welchem Bereich der Jugendarbeit bzw. Schule der/die jeweilige Redakteur/in kommt. Das wiederum macht (hoffentlich) den Reiz dieser Arbeitshilfe aus, dass sie von verschiedenen Seiten her einen Zugang anbietet, dass sie in der Auswahl des Stoffes und der Methoden dementsprechend vielfältig ist. Einen Anspruch auf Vollständigkeit der Themen wie der Materialien kann und will die Broschüre nicht erheben. Redaktion doch noch eine Menge an Eigenarbeit, an Reflexion und an persönlicher Entscheidung darüber, was mit welchem Material gemacht wird. Manfred Neubauer Die Leserschaft wird auch feststellen, dass es den einzelnen Redakteuren nicht nur um eine sachgemäße Wiedergabe der Problematik und eine saubere Exegese der Texte geht, sondern auch darum, eigene Ansichten zur Diskussion zu stellen. Hier und da wird es gewiss Widerspruch geben – dies ist bewusst einkalkuliert und kann sicher auch zu weiterführender Bearbeitung bzw. zu Diskussionen innerhalb der jeweiligen Zielgruppe führen. Natürlich ist es die Absicht, sowohl Jugendliche in verschiedenen Jugendgruppen und Verbänden, als auch Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulstufen zu berücksichtigen. Allerdings konnte bei der jeweiligen Auswahl nicht nach Proportionen und Quantitäten entschieden werden (also keine gleiche Menge für jede Alters- und Zielgruppe). Vielmehr wird mit dem Dargebotenen die Hoffnung verbunden, dass es einen größeren Entscheidungs- und Spielraum der Verwendbarkeit zulässt, z. B., was zunächst für 13-/14-Jährige entworfen ist, mag hier auch für 11-/12-Jährige in Frage kommen usw. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_11 GEGEN DEN TREND ’2004 Diese Arbeitshilfe selbst ist vorrangig für die Hand des Gruppenleiters/der Gruppenleiterin, des Lehrers/der Lehrerin bestimmt. Natürlich werden auch interessierte Jugendliche Anregendes und Interessantes finden – hofft die Redaktion –, aber die Lektüre und Bearbeitung der jeweiligen Themen und ihrer Materialien erfordert bei aller Sorgfalt der Bearbeitung und der Darbietung auf Seiten der GEGEN DEN TREND ’2004 Die Aktion 12_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Einmal komme ich ganz groß raus Einmal komme ich ganz groß raus Wirklich super, wirklich Star? – Oder lieber individuell träumen? Erwachsenen geht das anders: Ausbildung, Beruf, Partnerschaft und Vieles mehr bestimmen die Möglichkeiten. Nicht selten entsteht das Gefühl, dass nicht mehr alles geht, nicht mehr alles offen ist. Jugendliche hingegen spielen gerne mit Möglichkeiten. Und eben auch mit der Möglichkeit, ganz groß rauszukommen. Die Frage ist dabei: WOMIT ganz groß rauskommen? – Hier werden sich die Geister scheiden (s. o.). Träume, Pläne, Wirklichkeiten von Jugendlichen „Deutschland sucht den Superstar (DSDS) II“ geht ins Rennen. Seit dem 3. September 2003 wird Deutschlands Superstar 2004 gesucht. Im ersten Jahr waren rund 10.000 Kandidatinnen und Kandidaten dabei. Nun sind es fast doppelt so viele. Im Frühjahr 2004 ist es dann soweit. Nach unzähligen Hintergrundberichten, Casting- und Auswahlshows, Jury-Statements und Michelle„Ich-hatte-351-Tage-lang-keinen-Sex“-HunzikerModerationen wird feststehen, wer Deutschlands Superstar 2004 ist. GEGEN DEN TREND ’2004 Das Verfahren ist einfach: Die Teilnehmenden müssen möglichst gut einen Popstar mimen und wer nicht vom Publikum gekickt wird, kommt weiter. Wurde nicht im alten Rom auch mit dem Daumen über das Schicksal der Gladiatoren entschieden? Aber groß rauskommen ist nicht immer so platt und vordergründig. Es gibt kaum Menschen, die nicht in ihrer Jugend fasziniert waren von ihren Träumen. Jugend ist die Lebenszeit der großen Ideale. Traum und Realität liegen nahe beieinander, die Lebensmöglichkeiten stehen (scheinbar jeder/jedem) offen, kaum etwas ist wirklich festgelegt. 14_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Im Internet gibt es seit einiger Zeit Lyrikseiten, wo Jugendliche ihr Lebensgefühl ausdrücken, ihre Lebenswirklichkeit beschreiben können. Hier kann man lesen, wovon sie träumen, worauf sie hoffen. Stärker als zuvor Lange Zeit war ich am Boden, viel zu lange war ich schwach. Doch nun spür ich plötzlich etwas, eine Kraft wird in mir wach. Und nun werd ich wieder kämpfen, ich reiß die Mauern um mich ein. Ich spreng die Ketten meiner Seele, niemals mehr mach ich mich klein. Plötzlich hab ich keine Angst mehr, ich lern wieder aufzustehn. Ich vergess die schweren Zeiten, werd nur noch nach vorne sehn. All die Tränen werden trocknen, all der Schmerz wird bald vergehn. Und die Narben werden heilen, ich werd dem Glück entgegensehn. Einmal komme ich ganz groß raus Ich fang wieder an zu leben, weiß, dass ich nicht mehr verlier. Und ich werde wieder lachen, ich lass den Schmerz weit hinter mir. Dann werden alle auf mich schauen, und sie sehen, wie stark ich bin. Ich glaub wieder an mich selber, weiß genau, ich fall nicht mehr hin. © Kitty-Blue 2002-2003 Quelle: http://www.lyrik.net Hoffnung des Lebens Das Leben eine Ansammlung aneinander gereihter Geschehnisse Ein Wirrwarr von Emotion und Gefühlen den der Mensch nie ganz zu ordnen weiß Ein Wechselbad zwischen Leid und Freude Hin und her gerissen zwischen Leidenschaft und Pflicht Immer versuchend den richtgen Weg zu gehn doch oftmals scheiternd am Unverständnis der Umgebung Auch häufig zu schnell aufgebend und viel zu oft der Verzweiflung nahe Doch niemals ohne Hoffnung... © Jacintha 2002-2003 Quelle: http://www.lyrik.net ist alles offen... bis hin zur wendung... © cangoroo 2002-2003 Quelle: http://www.lyrik.net Meine Welt Manchmal möchte ich fliehen Fliehen in eine andere Welt Eine bessere Welt Doch diese ist nur ein Traum Ein phantastischer Traum Idealbild eines Lebens Meines Lebens Diese Welt ist nicht real Wird es nie sein Doch meine Vorstellungskraft hält mich am Leben © Jacintha 2002-2003 Quelle: http://www.lyrik.net aufbruch wer hat schon den mut aus dem tal in die glückseligkeit des gipfels zu rufen? wir aber haben aufgehört mit rufen, wir sind auf dem weg. hoff - ist klar... und was ist nung...? wohl nur die endung... doch bei hoffen... Stephan Cibulka Quelle: http://www.e-stories.de/gedichtelesen.phtml?8452 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_15 GEGEN DEN TREND ’2004 ...HOFFNUNG... Einmal komme ich ganz groß raus „Lebe deinen Traum!“ – Die Wirklichkeit ist, was ich denke Lebensträume und Phantasien von der eigenen Zukunft sind ein Spiel mit den Möglichkeiten des Lebens. Sie sind ein Spiel mit Rollen, mit den eigenen Potentialen, mit den Eigenarten der eigenen Person. Sie eröffnen Lebensräume, weil sie in Spielräumen die mögliche Wirklichkeit vorwegnehmen und sie auf diese Weise „denkbarer“ machen. Ganz wie der unter Jugendlichen beliebte Spruch „Träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum“, der sich von der Phantasie hin zur Wirklichkeit bewegt. GEGEN DEN TREND ’2004 Für die Gestaltung von Lernprozessen mit Jugendlichen ist es produktiv, von den Voraussetzungen des Konstruktivismus auszugehen. Stark verkürzt ausgedrückt ist dieses der Gedanke: Es gibt keine objektive Wirklichkeit, „sondern nur Konstruktionen »erzeugter Wirklichkeiten«, die sich die Menschen in ihren Köpfen zusammenbasteln“ (B. Heckmair, Konstruktiv lernen, S. 8). Wohlgemerkt: Es geht darum, sich die eigene Wirklichkeit zusammenzubasteln. Jede/r kann nur den eigenen Traum träumen, jede/ r darf seine eigene Wirklichkeit „zusammenzimmern“, weil er/sie eine persönliche Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. Die Medien und insbesondere Fernsehshows wie DSDS bieten demgegenüber eine Art „Wirklichkeit aus zweiter Hand“. Sie versuchen pauschal zu definieren, wie Leben sinnvoll und erfolgreich wird. 16_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Demgegenüber wird es darum gehen, Jugendlichen zu helfen, Subjekt ihrer eigenen Wirklichkeitsschreibung zu werden, vor dem Hintergrund ihrer Möglichkeiten und Ideen und im Gespräch mit ihrem Umfeld. Die bewusste Konstruktion der eigenen Wirklichkeit entlarvt die Funktion von Ersatzwirklichkeiten als Masche und kann zeigen, dass der selbstverantwortete Weg der tragfähigere ist (selbst dann, wenn er – verantwortet – der Weg zum Superstar ist). Über die Konstruktion der – jetzt – eigenen Wirklichkeit kann der Weg hinausgehen in die Zukunft. Was erscheint im Hinblick auf die eigene Zukunft wirklich, was unwirklich? Die Chance diesen Weg in einer Gruppe zu gehen ist, dass die eigene Wirklichkeit mit der anderer vermittelt wird und so ein gewisses Maß an Intersubjektivität entsteht. Das heißt, ein allzu großer Realitätsverlust wird vermieden. Wichtig ist dabei, dass eventuelle „Erdungen“ durch die Gruppe nicht defizit- sondern potentialorientiert geschehen. Das Spiel mit den eigenen Möglichkeiten und die Rückmeldung anderer Jugendlicher, die wertschätzend die Potentiale der Person aufgreifen, kann dazu verhelfen, Zukunftsgestaltung und Veränderungsprozesse im eigenen Leben nicht mit Angst, sondern mit Neugier und Vertrauen anzugehen. Die Story erzählen – konstruktiver Umgang mit der eigenen (potentiellen) Biografie „Mit »Stories« kann etwas ausgedrückt werden, wofür andere Idiome ungeeignet wären. Vor allem kann durch »Stories« die Identität eines Einzelnen oder einer Gruppe artikuliert werden. (...) Wenn ich sagen soll, wer ich bin, so erzähle ich am besten meine Story. Jeder von uns hat seine unverwechselbare Story, jeder ist seine Story. Wenn einer nur Einmal komme ich ganz groß raus das ist, was andere über ihn sagen, ohne selbst seine Story erzählen zu können, so ist er nicht reif, nicht erwachsen; wenn er in konflikthaften Stories lebt, seine Story nicht akzeptieren kann, so braucht er Hilfe, Therapie. Ein Mensch ist das, was man zu und über ihn sagt und was er selbst über sich erzählen kann und was er daraus mit seinem Leben macht.“ (D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 1984) Dietrich Ritschl versteht die jüdisch-christliche Tradition als Erzählgemeinschaft, in der Menschen ihre eigene Stories mit denen der biblischen Überlieferung verweben. Indem sie die eigenen Geschichten mit denen der Überlieferung erzählen flechten sie sich ein in den großen Teppich von Geschichten und erfahren darin sowohl Halt für ihr Leben, als auch Sinn (z. B. als Teil größerer Muster), können aber genauso auch durch Nacherzählen Handlungsalternativen und Möglichkeiten für sich erschließen. Strukturell besteht hier sicher eine gewisse Nähe zum Konstruktivismus in dem Sinne, dass Wirklichkeit beim Erzählen entsteht. Die biblische Überlieferung stellt dabei einen Deutungsschatz dar, der weit über das hinausgeht, was im unmittelbaren Umfeld jedem Menschen zur Verfügung steht. Darüber hinaus reizt die Widerständigkeit und zuweilen fremde Wirklichkeit biblischer Texte zu konstruktiven Wagnissen. Sie sind Impulse, die eigene Wirklichkeit zu rekonstruieren. Sie sind Impulse, sich neue Wirklichkeiten für die Zukunft des eigenen Lebens zu erschließen. Einstieg ins Thema: Konstruktivismus verstehen „Die Landkarte ist nicht das Gebiet“ – Wenn mehrere Menschen ein bestimmtes Gebiet oder einen Diese Beobachtung reizt zum Selbstversuch. Anhand einer Weg- oder auch Situationsbeschreibung kann die Erfahrung gemacht werden, wie unterschiedlich Menschen wahrnehmen und (re)konstruieren. In der Übertragung gilt dies dann natürlich auch für Personen. Sie sind als Anschauungsbeispiel allerdings weniger geeignet, weil in der Regel die geringere Distanz als Hemmschwelle wirkt, die eigene Wirklichkeitssicht auch wirklich offenzulegen. Zukunft konstruieren: Meine Träume und Visionen ausdrücken – Anderen einen Einblick in meine Wirklichkeit gewähren 1. Schritt: Die Jugendlichen bekommen unter dem Thema „So sehe ich mich, wenn ich 40 bin“ oder zugespitzt auf die Erfolgsthematik „Einmal komme ich ganz groß raus“ die Aufgabe, ihre Vorstellungen, d. h. ihre gegenwärtige Wirklichkeitskonstruktion darzustellen. Je nach Alter der Jugendlichen kann das mit verschiedenen Techniken geschehen (z. B. Bilder malen, Symbole kneten, Collagen erstellen). Wichtig ist nur, dass die Ausdrucksform bildlich ist bzw. bildhaft ist. 2. Schritt: Eine Vernissage der entstandenen Werke wird durchgeführt. Im Rahmen dieser Vernissage hat die Gruppe die Möglichkeit, die Bilder zu betrachten und ihre Wahrnehmungen zu benennen. Der Schöpfer/die Schöpferin des TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_17 GEGEN DEN TREND ’2004 Mit der Idee des Konstruktivismus spielen Weg darin beschreiben, werden die Ergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschiedlich aussehen. Unterschiedliche Wegmarken werden als relevant oder markant angesehen, je nach Person und Erfahrungsschatz. Eine/r wird eher nach Landschaftsmarken wie Bäumen, Bergen, Bächen beschreiben, die/der Andere nennt beispielsweise Tankstellen, Ampeln oder Werbetafeln als Orientierungspunkte. Einmal komme ich ganz groß raus Werkes hört während dieser Phase nur zu. Hilfreich ist dabei, wenn diese Phase als „Tratschen“ eingeführt wird, d. h. die/der Betroffene hat die Gelegenheit zu lauschen, was andere über die Sache sagen. Das ist gerade deshalb so attraktiv, weil es diese Gelegenheit im „richtigen Leben“ nicht gibt. 3. Schritt: Die Schöpferin/der Schöpfer des Werkes hat im Anschluss an die „Tratsch“-Phase die Gelegenheit, sich selbst abschließend zu äußern. Mit Stories spielen: Eine Geschichte ist wie Klamotten, die ich anprobieren kann. Die Bibel ist voll von Erzählungen über Helden und große Gestalten: Mose, der mit dem Volk durchs Schilfmeer zieht; Elia, der mit dem Baalspriester einen Opferwettstreit ausfechtet; Petrus, der mal als Versager, mal als Chef der jungen Christenheit auftritt. All' diesen Personen ist gemeinsam, dass sie große Höhepunkte erleben und bis heute durch die Geschichten, die von ihnen erzählt werden, groß rauskommen (Natürlich kann man auch theologisch zurückhaltender sagen: Gott kommt, indem er sie in Dienst nimmt, groß raus.). GEGEN DEN TREND ’2004 Ihre Stories bieten sich als Mantel für eigene Geschichten an. Sie können dazu anregen, sie als Geschichte des eigenen Lebens zu erzählen, d. h. als Ich-Erzähler aus der Ich-Perspektive. Im Prozess des Schreibens oder auch Nachspielens werden Stärken und Defizite der Person, aber auch die mit dem „groß rauskommen“ verbundenen Gefühl erfahrbar und sichtbar. Indem die eigenen Gefühle der historischen Person als Trägerfigur beigelegt werden, können sie ohne Probleme in der Gruppe diskutiert werden. 18_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Zum Beispiel: Petrus (nach Apg 15) „Die Situation war heikel. Im Grunde war ich ja seinerzeit quasi offiziell vom Chef eingesetzt worden. „Auf dich will ich meine Kirche bauen“, hatte er gesagt und ich hatte mich breitschlagen lassen. Die anderen waren zum Teil ganz schön froh, dass es an mir hängengeblieben war. Und ehrlich gesagt: Stolz war ich schon, auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wie er damals eigentlich ausgerechnet auf mich kam. Alles hatte sich dann ganz gut angelassen. Ich wurde sicherer in meinem Job und die Leitung der Jerusalemer Gemeinde und unserer Filialgemeinden in der Umgebung klappte ganz gut. Wir hatten unseren Laden im Griff. Tja, bis dann vor ein paar Jahren dieser Paulus auftauchte. Er begann wie wild unter den Ungläubigen zu missionieren und machte eine Gemeinde nach der anderen auf, „im Dialog mit euch“, wie er sagte. Aber wenn ihr mich fragt, der reinste Wildwuchs. Der wollte doch nur groß rauskommen. Als es dann zum Schlagabtausch in Jerusalem kam, war ich fest entschlossen, nun endlich unsere Ansprüche durchzusetzen...“ Weiterführende Fragestellungen Interessant im Sinne eines medienkritischen Ansatzes wäre es sicherlich, DSDS I auf die zu Grunde liegende Wirklichkeitskonstruktion hin zu befragen. An der Person von Daniel Küblböck ließe sich untersuchen, wer dessen Leben konstruiert und welche Elemente dieser Konstruktion eindeutig Fiktion der Werbemaschine sind. Ob Daniel Küblböck sich noch als Subjekt seiner eigenen Story empfindet? Kann er seine Geschichte erzählen oder spricht er nach, was ihm vorgesprochen wird? Einmal komme ich ganz groß raus Materialien/Literatur • Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie, München 1984. • Paul Watzlawick, Die erfundene Wirklichkeit, 16. Aufl. München 2003. • B. Heckmair, Konstruktiv lernen, Beltz-Verlag, 2000. Christian Ceconi GEGEN DEN TREND ’2004 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_19 Einmal komme ich ganz groß raus „Expo-Yourself“ - ein PraxisProjekt zum Thema „Casting“ Hintergrund des Casting-Projektes „Wie alles begann...“ Ein Begriff geht seit nunmehr über fünfzehn Jahren durch die Medienlandschaft: „Casting“. Ein Begriff der im Duden einfach mit „Rollenbesetzung“ erklärt wird. Das englische Wort kommt ursprünglich aus dem technischen Bereich und bedeutet „Gussteil“ oder auch „gießen“. In unserem Sprachraum verstehen wir darunter das Vorsprechen, z. B. für die Teilnahme an Game-Shows oder Ähnlichem. bewundert zu werden, Anerkennung zu erhalten und dadurch etwas Besonderes zu sein. Die hohe BewerberInnenzahl bei den CastingShows und -Aktionen spielt genau mit den Gefühlen und Emotionen der Jugendlichen, ihre Träume auch leben zu wollen. Die Evangelische Jugend im Sprengel Ostfriesland überlegte sich im Jahre 1999, welches Projekt sie beim „Youth Camp“ in Hildesheim anlässlich der Expo 2000 in Hannover und beim Ostfriesischen Kirchentag in Esens konzipieren sollte. Im Fernsehen liefen noch nicht die „SuperstarFolgen“, aber es gab sehr viele sog. Daily-Soaps. Seit 1992 lief der „Marienhof“ (ARD) und „Gute Zeiten schlechte Zeiten“, hinzu kam 1994 „Verbotene Liebe“ (diese Liste ließe sich noch erweitern). GEGEN DEN TREND ’2004 Um „SchauspielerInnen“ für solche Daily-Soaps zu gewinnen, wurden Castings veranstaltet. Auch in kleineren Städten Ostfrieslands gab es solche Veranstaltungen. Häufig fanden diese in Autohäusern oder auch in größeren Supermärkten statt. Im letzten Jahr, mit dem großen Erfolg von „Deutschland sucht den Superstar (DSDS)“/RTL) und zahllosen weiteren vergleichbaren Showformaten („Popstars“/Pro Sieben, „Fame Academy“/ RTL2 „Deutsche Stimme“/ZDF, „Star Search“/ Sat1, um nur einige zu nennen), ist „Casting“ im Wortschatz von Teenagern ein fester Begriff. Fast jede/r Jugendliche wird sich zum Thema „Casting“ seine Gedanken machen und sich vielleicht sogar überlegen, an einem solchen teilzunehmen. Ursprünglich geht es darum, dass Menschen davon träumen „groß rauszukommen“, etwas vermeintlich Großes zu leisten und dafür von anderen 20_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Anfang 2000 erreichte diese „Casting-Welle“ ihren vorläufigen Höhepunkt. Im März 2000 startete RTL 2 die neue TV-Show „Big Brother“ (eine Real-Life-Seifenoper). Zehn Kandidaten haben 100 Tage lang in einem Wohncontainer bei Köln zusammengelebt. Dabei wurden sie von 28 Kameras und 60 Mikrofonen nahezu rund um die Uhr überwacht. Alle zwei Wochen musste ein/e Kandidat/in gehen, aus den am Ende verbliebenen drei TeilnehmerInnen sollten die Zuschauer eine/n Siegerin/Sieger küren. Die Gewinnerprämie lag bei 250.000 Mark. TV-Produzent „de Mol“ war stolz darauf, „dass es keinen Winkel gibt, der nicht überwacht wird“. Einmal komme ich ganz groß raus Die zehn KandidatInnen wurden aus über 10.000 BewerberInnen gewählt, die durch Castings ermittelt wurden. Die Serie „Big Brother“ polarisierte. Der Journalist und Fernsehautor Wolfgang Menge bezeichnete „Big Brother“ als „schwachsinnig und verantwortungslos“. Kurt Beckstein (Ministerpräsident von Baden Württemberg und medienpolitischer Sprecher der SPD erwog sogar, politische Bemühungen anzustreben, um die Serie zu verbieten (siehe Spiegel 3/2000). Psychologen warnten vor den psychischen Gefahren der Sendung. Durch folgende Schritte haben wir uns dem Thema genähert: Wir haben überregional Jugendliche eingeladen, mit uns gemeinsam an einem Projekt zum Thema „Casting“ zu arbeiten. Die inhaltliche Auseinandersetzung und Hinführung haben wir an drei Wochenenden durchgeführt. Zu Beginn haben wir einen Dokumentarfilm gesehen, der schildert, wie ein „Casting“ real funktioniert und abläuft. Kommentare der Jugendlichen zu diesem Filmbeitrag und ihre eigenen Einschätzungen, Erfahrungen und Meinungen wurden zusammengetragen und schriftlich festgehalten. Es folgte die uns wichtige... ...Theologische Auseinandersetzung - „Menschenbild in der Bibel und Medien“. Diese geschah durch eine ausführliche Bibelarbeit, in der es um das Menschenbild in der Bibel ging. Diese Bibelarbeit ist im Folgenden aufgeführt. Einstieg in das Projekt „Nun aber wirklich...“ Als Evangelischer Jugendverband wollten wir uns dieser Thematik stellen und uns damit auseinandersetzen. Dabei hatten wir zwei Ziele: Erstens einen christlich begründeten Standpunkt zu formulieren und gemeinsam zu erarbeiten sowie gleichzeitig das Thema in eine Aktion einbinden, die Jugendliche motiviert, sich mit dem Thema „Casting“ auseinanderzusetzen. 1. Lesen von 1. Mose 3 : 1-7 Jede/r bekommt den kopierten Text. Fragen zum Text: • Was dachte die Schlange? • Was wollte die Schlange? In einer stillen Meditation die Gedanken dazu aufschreiben. 2. Grundthesen zu diesem Abschnitt: I. Die Geschichte erzählt nicht von „damals“ oder „einmal“ sondern von einem „immer“. Der Mensch tritt als freies Wesen auf. Dies wiederTRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_21 GEGEN DEN TREND ’2004 Es kann nicht Ziel sein, Castings zu verteufeln oder gar zu verbieten, vielmehr soll dazu ermuntert werden, sich kritisch mit der Thematik auseinanderzusetzen. Dabei war uns klar, dass der Spaß und Reiz, sich an solchen Castings zu beteiligen, sehr groß ist. Diesen Aspekt haben wir schließlich genutzt um unser Projekt erfolgreich durchzuführen. Bibelarbeit zum Thema „Menschenbild und Medien“ Einmal komme ich ganz groß raus holt sich entwicklungspsychologisch gesehen in jeder individuellen Lebensgeschichte. II. Mit dieser Mündigkeit ist die Menschheit als Ganzes und der Einzelne konfrontiert! Dem muss sich jeder Mensch stellen. III. Aus diesem Dilemma erwächst letztlich Ethik und Moral. 3. Ethik- und Moraldebatte I. Was bedeutet Ethik und Moral? Ethik kommt aus dem Griechischen und hat zwei Bedeutungen: • Gewohnheit, Sitte, Brauch • Charakter Der Ethos-Begriff ist also stärker auf das Individuum bezogen (z. B. Berufsethos), der Moralbegriff eher auf allgemeine Normen und Sitten (für gut befundene Handlungserwartungen). GEGEN DEN TREND ’2004 II. Ethik bei Kant: Der „Kantsche Imperativ“ (vereinfacht): „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“ Bezogen auf Forschung/Wissenschaft und Mitarbeit in den Medien müsste der Satz lauten: 22_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN „Kein Experiment, keine Forschung mit und am Menschen (einschließlich des ungeborenen Menschen), keine Fernseh-Show, kein Casting sollte erwogen werden, dem der Versuchleiter/Produzent nicht auch seine nächsten Angehörigen, seine Freunde oder sich selbst unterziehen würde!“ 4. Diskussion über die Grenzbereiche in Kleingruppen • Beispiel „Big Brother“ oder aktuell „Deutschland sucht den Superstar“, „Fame Acadamy“ etc.. • Wo werden Grenzen überschritten? • Auswertung in Großgruppe vorstellen. 5. Konsequenzen aus den Ergebnissen für unser Casting festhalten • Christliches Menschenbild: Doppelgebot der Liebe (Matth 5.43/44): „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst...“ • Übertragen der Konsequenzen auf das konkrete Projekt. Bei einem Casting müsste also schon die Frage gestellt werden, was eigentlich passiert, wenn man beim Casting durchfällt... Wie ergeht es je- Einmal komme ich ganz groß raus mandem, der von Dieter Bohlen heftig und derbe kritisiert wurde? Was ist, wenn ich weiterkomme, habe ich dann etwas erreicht, auf das ich stolz sein kann? Wie lange wird dieser Erfolg anhalten? (Die Siegerin der ersten Staffel von „Big Brother“ war Alida Kurass, wer kann sich an den Namen überhaupt noch erinnern?) Sucht man im Internet unter dem Begriff „Casting“, erhält man eine unüberschaubare Masse von Casting-Agenturen, Casting-Trainern und Seminarangeboten und Berichten von Menschen die durch das Casting berühmt geworden sind. Ein Thema, zu dem es sich zu arbeiten lohnt. Als Weiterführung dieser inhaltlichen Vorarbeit haben wir gemeinsam mit Jugendlichen das Projekt „Expo Yourself“ entwickelt. In dem eigens dafür geschaffenen Logo ist das XP bei EXPO eigentlich das griechische CHI und RO, was als Initialen für CHRISTOS steht! Das Projekt kann in den Grundzügen so beschrieben werden: Ein großes Team MitarbeiterInnen schlüpft in die Rolle eines CASTING-TEAMS für die erdachte Vorabendserie „Youthpark - Die frommen Chaoten aus der Heinzelstrasse“. Das Team schleust Teilnehmende in der Innenstadt durch die einzelnen Stationen ihres „Vor-Ort-aufder-Straße-Castings“ und tut so, als würde es sich dabei um ein echtes Casting handeln. Parallel dazu befinden sich an allen Stationen des Castings deutlich sichtbar angebrachte Plakate, auf denen als Contrapunkt zu dem Geschehen kritische Kommentare zu lesen sind. Die vermeintlichen MitarbeiterInnen der Casting Agentur gehen darauf nicht ein, die TeilnehmerInnen (TN) sollen diese Texte aber dennoch zur Kenntnis nehmen und bewusst irritiert werden. TN und MitarbeiterInnen entlassen sich an der letzten Station (der AUSWERTUNG) aus ihren Rollen und reflektieren anschließend gemeinsam das soeben Erlebte. Die Stationen und das jeweilige Setting sind im Folgenden aufgeführt: (S. Tabelle „EXPO YOURSELF“) Matthias Conrad, Klaas Grensemann GEGEN DEN TREND ’2004 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_23 Einmal komme ich ganz groß raus GEGEN DEN TREND ’2004 Projektbeschreibung „Expo Yourself (Das Casting-Projekt)“ Station Inhalt Begrüßung An dieser wichtigen Station wird der Grundstock für das Gelingen des „gespielten“ Castings gelegt, auf dem aufgebaut werden kann. Die angeworbenen TeilnehmerInnen müssen hier „heiß“ gemacht werden, für das, was kommt. Dabei wird der technische Ablauf kurz umrissen, d. h. im Rahmen eines „Redeschwalls“ des „Openers“ wird vermittelt, was von den TN erwartet wird und welche Stationen in welcher Reihenfolge durchlaufen werden sollen. Es wird besonders auf die Info-Tafeln hingewiesen, die an jeder Station zu finden sind. Die TN vermuten nun natürlich, dass es sich dabei um Infos für das Casting „technischer Art“ handelt, dabei sind mit den InfoTafeln provokante Texte und dazu passende Bibelstellen gemeint, die den TN im Geschehen bewusst verwirren sollen. Fragebogen An dieser Station warten einige (ebenfalls „coole“) MitarbeiterInnen auf die Beantwortung einiger Fragen, die bewusst auch auf einige sehr persönliche Bereiche abzielen. Der Schnelligkeit zuliebe gibt es auch Fragen, die nur mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden müssen und entsprechend abgehakt werden. An dieser Station sollen die TN merken, dass sie eine Nummer unter vielen sind und nur Standards abgefragt werden. Es geht nicht um das Kennen lernen einer Person, sondern um eine sehr oberflächliche Typisierung! Maske Hier ist ein wenig „Materialschlacht“ wichtig! Mindestens drei Plätze an Tisch und Spiegel mit MaskenbildnerInnen, Utensilien wie Schminke, Teintschminke, Pinsel, Schwämme, Haarspray und Bürste werden benötigt. Alle TN werden ungefragt geschminkt. Ziel dabei ist, dass für das folgende Foto-Shooting niemand „glänzt“, also z. B. das Gesicht gepudert wird und die Lippen etwas übertrieben rot geschminkt werden, um voller zu wirken sollen, da Sepia- oder S/W-Fotos gemacht werden. Foto-Shooting Mit einer Digitalkamera auf Stativ werden die TN einzeln fotografiert. Sie werden zunächst, wie wenn man Passbilder macht, fotografiert. Dieses Foto wird dann auch ausgedruckt und mit zum Laufzettel gegeben. Danach kommen zwei bis vier Aufnahmen, wo die TN aufgefordert werden, „ein bisschen mehr aus sich rauszukommen“: „Nun lächele mal nicht so verhalten... Oh, es wäre besser, wenn du deinen Kopf etwas anhebst, damit dein Doppelkinn nicht zu Geltung kommt.“ Geschäftige Hektik und der Eindruck, dass mit den Fotos bestimmte Eigenschaften „eingefangen“ werden sollen, die den TN aber nicht wirklich mitgeteilt werden. Spontan Rollenspiel Für das Spontan-Rollenspiel sind zwei oder drei kurze Szenen vorbereitet... Jeweils zwei oder auch drei TN sollen anhand der Kärtchen in aller Kürze ein oder zwei Sätze TEXT auswendig lernen und nach kurzen Anweisungen eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin „spielen“. Die Spielszenen werden vermeintlich aufgezeichnet, d.h. eine Videokamera überträgt die Bilder direkt auf einen Bildschirm für die „Regie“ und auf einen Bildschirm im „Auswertungsbereich“, also an der letzten Station. Fernsehansage An dieser Station ist die Kulisse eines Fernsehstudios für die Programmansage aufgebaut. Die TN erhalten einen originalgetreuen ANSAGETEXT für die Ansage einer Dokumentarreihe oder eines Films... Ein Computerbildschirm unter der Kamera ersetzt den Teleprompter ... bitte bei allen Stationen keine Nonsenstexte etc. verwenden, sondern in allen Dingen ernsthaft und seriös arbeiten. Auswertung DIE AUSWERTUNG IST DAS EIGENTLICHE KERNSTÜCK des CASTING-PROJEKTES! Hier werden die TN nochmals herzlich begrüßt und TEAM und TN steigen aus ihren ROLLEN (Herzlich Willkommen. „Toll, dass ihr bei unserem CASTING-ROLLENSPIEL mitgemacht habt! Wir sind natürlich keine echte Casting-Agentur, aber wollten euch die Möglichkeit geben, in einem geschützten Rahmen mal ein Casting zu erleben. Ihr habt verschiedene Stationen erlebt: Fragebogen, Maske, Foto-Shooting, Spielszene, Fernsehansage. Das alles ist nun vorbei und wir sind jetzt auch wieder Jugendliche der Evangelischen Jugend. Bevor ihr geht, möchten wir euch bitten mit uns euer Casting-Erlebnis auszuwerten. Dazu haben wir hier Stellwände aufgebaut, an denen Fragen beantwortet werden sollen. Ihr köönt euch für die Auswertung Zeit lassen, auch könnt ihr euch hier abschminken, falls ihr das wünscht …" So in etwa sollte der Text lauten, mit dem die TN nach dem Casting-Durchgang empfangen werden. Grundsätzliches zum Abschluss als Text auf großem Plakat, oder in Gruppen von einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiter vorzulesen! Wir als Evangelische Jugend haben dieses Casting-Rollenspiel entwickelt, um dir die Möglichkeit zu geben, in einer Zeit, wo Casting-Shows und Talentwettbewerbe tagtäglich über den Bildschirm flimmern, in einem geschützten Rahmen „anzuschmecken“. Wir wollen echte Castings dadurch nicht schlecht machen oder gar verteufeln. Uns ist wichtig, allen TN weiterzugeben, dass wir es wichtig finden, sich nicht durch Casting-Shows oder Ähnliches einschüchtern zu lassen. Nicht jeder Mensch kann ein Superstar werden, kann gleichzeitig singen, tanzen, schauspielern etc. oder hat ein sog. „Fernsehgesicht“. Jeder Mensch ist gewolltes und wert- Schatzkiste In dieser Schatzkiste, eine große, edle Kiste, ist ein großer Spiegel und der Satz: „Du bist mein Schatz! Ich habe 24_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Einmal komme ich ganz groß raus Materialien/Setting Stumme Kommentare Anzahl Mitarbeiter/innen Der „Opener“ ist ein wenig „flippig“ und cool gekleidet. Er trägt, wie alle MitarbeiterInnen des Casting-Teams eine Backstage-Karte in Folie am Schlüsselband, liest seinen Text teilweise von Kärtchen ab. Er ist freundlich und gewinnend, er motiviert und nimmt den TN mögliche Ängste durch coole Sprüche. Er verteilt auch Laufzettel für das Casting an alle TN. Rolle des/der „Opener“ dreifach besetzt. Fragebogen, Stifte, Laufzettel abhaken, Personen weiterleiten DU entscheidest, wie viel du von Dir preisgibst... ein Fragebogen ist geduldig... bist Du es auch?... Drei bis vier Personen Die MaskenbildnerInnen sind fröhlich und freundlich, machen jedem (!!!) Komplimente, lassen dabei aber auch - hübsch verpackt - einige Gemeinheiten los wie z.B. „Du hast tolle Haare, aber sie wirken etwas glanzlos..., das könnte an deiner Ernährung liegen...“ Unterschwellig wird den TN deutlich gemacht, dass es superwichtig ist, das eigene Aussehen den Fernseh-Standards anzupassen... „ ...und siehe, alles (= auch der Mensch) war sehr gut...“, so heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Du bist SCHÖN, so wie du bist... vergiss das NIE! 3 Personen Zwei Personen: Der oder die engagierte Fotografin und ein/e oder ein Assistent/in „wuseln“ umher, pudern die Nase der TN nach, hantieren mit Licht, sind sehr freundlich und aufmunternd, aber unterschwellig ist diese „Aufmerksamkeit“ nur von kurzer Dauer... Die „Ecke“ oder der Raum für das Foto-Shooting ist wie im Fotostudio eingerichtet. Ein oder zwei MitarbeiterInnen sitzen an der Ausdruck-Station, die Passbilder werden in Größe 10 x 15 ausgedruckt (für die Digitalkamera ist also auch ein zweiter oder dritter Speicherchip erforderlich). Du bist ein Mensch, so voller Farben und du hast viele Gesichter. Hier wird nur EIN Foto von dir gemacht, eine Momentaufnahme, die DU sein sollst? Nur ein Foto kann DICH als Person dokumentieren? Na ja, wenn du meinst... 3 Personen An dieser Station geht es zu wie beim Film... die Darsteller werden kurz eingewiesen, jemand ruft „RUHE BITTE, KAMERA AB, TON AB, UND BITTE...“ Für die Spielszenen (immer die gleichen drei Sequenzen) ist eine kleine Kulisse aufgebaut (z. B. eine Küchenszene, Dialog/Streit zwischen Mann und Frau oder Ähnliches). Auch der Umgang mit Requisiten (z. B. Teetassen) sollte von den TN erwartet werden. JA, Spiele, lass alles raus, lass dich umherschicken, schlüpf ein eine andere Haut... aber spiele bewusst!, d.h. lass dich nicht spielen... 4 Personen Kulisse für die Ansage... Ansagetext schriftlich und auf Teleprompter, Kamera auf Stativ, Beleuchtung... Rede dich um Kopf und Kragen. Eine Ansage beim Fernsehen ist wichtig. Aber was hast du WIRKLICH ZU SAGEN? Was ist DEINE Botschaft für die Welt „da draußen“? 3 Personen Im AUSWERTUNGSBEREICH geht es um die REFLEXION des Erlebten. Genügend MitarbeiterInnen sollten sich hier der TN annehmen und etwas zu Trinken oder Knabbern anbieten. Dabei lässt sich hervorragend fragen: „Wie hat dir das Casting gefallen? Hast du die Plakate mit den „unbequemen“ Fragen bemerkt? Wie ging es dir mit diesen Fragen in deiner Rolle als CastingTeilnehmerIn?“ 5 Personen dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_25 GEGEN DEN TREND ’2004 volles Geschöpf Gottes. Gott hat uns geschaffen und angenommen, so wie wir sind. Diese Liebe gilt, auch wenn ich kein „Superstar“ bin oder werden kann. Wir wollen dir diese Zusage mit auf den Weg geben: Du bist ein Schatz Gottes! Kein Casting der Welt, weder Engel noch Gewalten oder andere Mächte können die von Gottes Liebe trennen! (siehe Römerbrief Kapitel 8). Wir bitten dich, das nie zu vergessen. Wir als Evangelische Jugend stehen in unserem Tun dafür, dass diese Zusage gilt. Nun laden wir Dich noch ein, bevor du weitergehst, in Gottes Schatzkiste zu schauen und diesen Zuspruch als Kärtchen für deine Brieftasche mitzunehmen. Einmal komme ich ganz groß raus GEGEN DEN TREND ’2004 Manchmal, Gott Wenn ich von dem besonderen Tag Träume, An dem ich Einmal auf der Bühne stehe Ein ganz Großes Licht bin Und hervorstrahle Aus allen Lichtern Ganz groß rauskomme Und spüre Wie besonders ich Bin Dann kommt mir Der Gedanke Dass dieser Traum schon Lange Wirklichkeit wurde An dem Tag Als du mich Gemacht hast Und Tränen Der Freude Über meine Geburt Von Deinem Kreuz In die Erde fielen So geliebt Zu werden Kann Kein Mensch Im Irdischen Rampenlicht Je erfahren Wie liebst Du mich Wie lieb Ich Dich, Gott Klaas Grensemann 26_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Ich bin ein Unikat „I am what I am“ „I am what I am...”, so lautet ein bekannter Song von Gloria Gaynor aus dem Jahr 1983, der im September 2002 von dem Modell Karen Mulder neu aufgelegt wurde. Dort heißt es u. a.: „Life’s not worth a dam ‘till you can shout out I am what I am” – das Leben ist nichts wert, wenn du nicht sagen kannst: Ich bin was ich bin. Können Jugendliche diesen vollmundigen Satz „I am what I am“ einfach so für sich nachsprechen? Fernsehserien (z. B. GZSZ), Jugendzeitschriften und Casting-Shows zeigen Bilder von erfolgreichen, hippen Jugendlichen und setzen damit Trends.Wie fühlen sich junge Menschen, die diesem Trend, dieser Typisierung von Jugendlichen nicht entsprechen? Junge Menschen, die Figurprobleme haben, die nicht immer die neuesten und angesagtesten Markenklamotten tragen können, die in computertechnischer Hinsicht nicht auf aktuellstem Stand sein können? Briefe an das „Dr. Sommer-Team“ und Nachmittags-Talk-Shows zeigen die Kehrseite der Typisierung von jungen Menschen und machen die Probleme deutlich. Fundsachen GEGEN DEN TREND ’2004 FUNDSACHEN Karen Mulder: I am what I am (Original von Gloria Gaynor, 1983) I am what I am I am my own special creation So come take a look Give me the hook or the ovation It’s my world That I want to have a little pride in my world And it’s not a place I have to hide in Life’s not worth a damn Till you can say I am what I am 28_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN I am what I am I don’t want praise I don’t want pity I bang my own drum Some think it’s noise I think it’s pretty And so what if I love each sparkle and each bangle Why not try to see things from a different angle Your life is a sham Till you can shout out I am what I am I am what I am And what I am needs no excuses I deal my own deck Sometimes the aces sometimes the deuces It’s one life and there’s no return and no deposit One life so it’s time to open up your closet Life’s not worth a dam till you can shout out I am what I am I am what I am I am what I am And what I am needs no excuses I deal my own deck sometimes the aces sometimes the deuces It’s one life and there’s no return and no deposit One life so it’s time to open up your closet Life’s not worth a damn till you can shout out I am what I am Oh I am Oh I am I am, I am, I am good I am, I am, I am strong I am, I am, I am worthy I am, I am, I belong I am I am Ooh ooh ooh ooh I am I am, I am, I am useful I am, I am, I am true Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! I am, I am somebody Doo doo doo doo I am I am, I am, I am I am as good as you, ah ha Ah ha, ooh ooh ooh ooh yes I am Ah ah ah ah (Text gefunden bei www.songtext.net) Fragen an das Dr.-Sommer –Team: Beispiel 2 Beispiel 1 Girl 13: Ich bin so hässlich „Kein Junge mag mich, weil sie nur auf BritneySpears-Typen stehen. Ich dagegen bin dick, hässlich und einfach zu unbeliebt. Mich macht das wirklich traurig, wenn sich alle nur für SIE interessieren. Wie soll ich einen Freund finden, wenn ich nicht seinen Idealen entspreche?“ Dr.-Sommer-Team: „Fang an, dich selbst zu mögen!“ (Beispiele gefunden im Internet unter www.bravo.de) Girl 15: Alle sehen mich nur als die Kleine „ Ich habe das Gefühl, dass mich niemand richtig ernst nimmt. Da ich kleiner bin als meine Mitschüler, nimmt mich niemand richtig ernst. Manchmal kommt es mir vor, als behandelten mich alle wie ein kleines Kind, das niemand für voll nimmt.“ Dr.-Sommer-Team: „Tu selbst was für deine Größe!“ Ich kann nicht malen wie Picasso. Ich bin nicht so schlau wie Einstein. Ich kann nicht so gut singen wie Madonna. Ich bin nicht so bekannt wie Steffi Graf. ABER ICH kann reden kann tanzen kann lachen kann weinen kann singen wie ich rede, wie ich tanze, wie ich lache, wie ich weine, wie ich singe. Ich bin nicht überragend. Ich bin nicht berühmt. Ich bin nicht reich. Ich bin etwas ganz Besonderes. Mich gibt es nur einmal. Ich bin einmalig. Gott hat mich wunderbar gemacht! (aus: Hans-Martin Lübking: Neues Kursbuch Konfirmation) TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_29 GEGEN DEN TREND ’2004 ABER Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Wer bin ich? Ich habe schon so viele Rollen gespielt, so viele Masken getragen, ich bin mir selbst fremd geworden. Anfangs fühle ich mich wohl, furchtlos, überlegen und frei, aber meistens fühle ich mich schlecht, dann verstecke ich mich in der Rolle, die Leute sollen nicht sehen, dass ich unsicher bin oder feige oder traurig. Dann sehne ich mich nach einem Menschen, der mich ansieht und erkennt, wie ich wirklich bin, dann habe ich die Hoffnung: Einmal wird eine/r kommen und ja sagen zu mir, dann bin ich frei vom Zwang der Rollen und vom Versteckspiel dann bin ich ich selbst, dann werde ich glücklich sein. Gott du kennst mich, meine innersten Gedanken, vor dir kann ich mich nicht maskieren, du schaust hinter jede Maske. Ob ich arbeite oder schlafe, ob ich froh bin oder traurig, du weißt meine Gedanken, du kennst meine Hoffnungen und Ängste. Vor dir liegt alles offen. Es gibt keinen Ort, an dem du nicht bei mir wärst, keine Minute, in der du mich nicht hältst. „Meine Mutter sagt: ‚Ach komm. Ich kenn dich doch!’ Meine Freunde sagen: ‚Komm schon, wir kennen dich!’ Wie wollen sie mich alle kennen, wenn ich mich selbst nicht einmal kenne?“ Sabine, 14, Sek-Schülerin. Abschied von der Kindheit gehört auch der Ablösungsprozess von den Eltern und damit verbunden eine Infragestellung und Auflösung von Identifikationsmöglichkeiten, die in der Kindheit von den Eltern oder von der Umwelt übernommen wurden. (Zitat nach: Fend, Helmut, Die Entdeckung des Selbst und die Verarbeitung der Pubertät, (Entwicklungspsychologie der Adoleszenz in der Moderne, Band 3) Bern 1994, 41.) GEGEN DEN TREND ’2004 Who am I? Die größte Herausforderung der Jugendzeit ist die Identitätsfindung. In der Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein werden die Identifikationsmuster und -figuren der Kindheit in Frage gestellt. Der Abschied von der Kindheit geschieht als aktive Auseinadersetzung mit der eigenen Kindheit und den bisherigen Möglichkeiten und Grenzen. Zum 30_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN (Aus: Beten. Themenheft 21/ Nr. 6.10/ Landesjugendpfarramt Hannover) Aus dem, was bisher selbstverständlich war, werden nun Fragestellungen: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Für wen hält man mich? Dabei gehen Unsicherheit, Selbstzweifel und oftmals negative Selbstwertgefühle mit der Suche nach der eigenen Identität einher. Einige Forscher sprechen deshalb auch von einer „Lebenskrise“. Bei der Suche nach der eigenen Identität und der eigenen Rolle in der Gesellschaft spielen für Jugendliche nun nicht mehr die Eltern oder erwachsenen Vorbilder die Hauptrolle, sondern sie orientieren sich mehr und mehr an den sog. Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! „Peer-Groups“, beispielsweise der Jugendclique, der besten Freundin oder dem besten Freund. Hier werden Probleme besprochen und hier wird gemeinsam nach Lebensmöglichkeiten gesucht. Problematisch wird die Orientierung an den PeerGroups allerdings dann, wenn der Konformitätsdruck der Gruppe zu groß wird, d. h., wenn die/der Einzelne dem, was in der Clique „in“ ist, nicht entsprechen kann. Der Druck auf die Jugendlichen wird außerdem noch von außen, z. B. durch die von den Medien propagierte Teenager-Kultur verstärkt. Daily-Soaps und die Musikbranche machen Vorgaben für Mode, Accessoires, Style usw., die den Aufbau einer eigenen Identität erschweren. Um Jugendliche bei der Identitätsfindung zu unterstützen, ist es notwendig, ihnen ein Experimentierfeld zu gewähren, in dem sie verschiedene Rollen ausprobieren, eigene Erfahrungen machen und das Leben erproben können, ohne dass sie darauf bereits festgelegt werden. Junge Menschen müssen ihre Träume von der Zukunft und dem Leben ausprobieren können, um ihre eigene Identität zwischen Anpassung und Abgrenzung von der Umwelt entwickeln zu können. Du bist ein Unikat, gewollt und angenommen So können Jugendliche in der Auseinandersetzung mit sich selbst und dem biblischen Glauben erfahren, dass sie nicht die Größten und Schönsten und Stärksten sein müssen, um bei Gott anerkannt zu sein. Sie sind als seine Geschöpfe einzigartig und haben als solche ihren je eigenen Wert. Weil sie von Gott unbedingt anerkannt sind, können sie ihre Stärken entdecken und auch lernen, mit ihren Schwächen umzugehen. Auf der Suche nach ihrer Identität können sie hören, von Gott angenommen zu sein, so wie sie sind. Auf den Blickwinkel kommt es an Einstieg Zum Einstieg in das Thema eignet sich gut das Vexierbild. Die Frage zu diesem Bild „Welche Person siehst du zuerst?“ kann überleiten zu einem Gespräch darüber, wie ich mich sehe und was ich glaube, wie mich die anderen sehen oder wie ich mich zeige. In dieser Lebensphase kann der biblische Glaube Orientierung bieten. Die Bibel erzählt in vielfältiger Weise von der unbedingten Annahme der MenTRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_31 GEGEN DEN TREND ’2004 Zur Suche nach eigener Identität und einem tragfähigen Lebenskonzept gehören auch Selbstzweifel und Verunsicherungen. Jugendliche möchten „in“ sein und dazugehören, erleben aber immer wieder auch das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Sie sind nicht immer die Schönsten Größten und Besten, sondern müssen auch mit dem Gefühl des Scheiterns fertig werden. schen durch Gott (Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker... , sondern weil er euch geliebt hat. Dtn 6,7). Und immer wieder werden auch die menschlichen Schwächen der großen Glaubensvorbilder (z. B. Petrus) herausgestellt. Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Meine zwei Gesichter Diese Übung eignet sich eher für miteinander vertraute Gruppen. Leitfragen Wie zeige ich mich? Wie möchte ich von anderen gesehen werden? Was zeige ich nicht von mir? Wie sehe ich mich selbst? Dauer: 45 - 60 Minuten Material Für jede/n Teilnehmer/in eine große Papiertüte (Einkaufstüte), Stifte, Klebstoff, Scheren, Zeitschriften und Illustrierte, Stoffe, Pfeifenreiniger u. a. Materialien zur Gestaltung der Papiertüten Durchführung Jede/r Teilnehmer/in erhält eine Papiertüte, die restlichen Materialen werden für alle in die Mitte gelegt. Impuls: „Wir stellen uns vor, die Außenseite der Papiertüte ist die Seite unserer Person, die anderen sichtbar ist. Die Innenseite stellt den Teil unserer Person dar, die wir nicht zeigen, die nur wir sehen.“ Dabei kann auch die „Tiefe“ der Tüte für tief unten und ganz verborgen liegende Dinge genutzt werden. Die Teilnehmer/innen gestalten die Tüten entsprechend dem gegebenen Impuls. Danach stellt jede/r Teilnehmer/in ihre/seine Tüte in der Kleingruppe (Vierergruppe oder Partnerarbeit) vor. Entweder stellt jede/r ihre/seine Tüte selbst vor oder die Tüten werden zunächst betrachtet und andere können Vermutungen und Eindrücke äußern. Dazu nimmt der/die Gestalter/ in am Schluss zu seiner/ihrer Tüte Stellung. Den Abschluss bildet ein Gespräch darüber, was die Teilnehmenden z. B. an Ähnlichkeiten entdeckt haben und ob sich ihr Bild von jemandem verändert oder bestätigt hat. Gott kennt mich Der Text „Wer bin ich“ (s. unter „Fundsachen“) oder Ps 139 aus der Bibel werden erarbeitet. Leitfrage: Wie kann die Aussage „Gott kennt mich“ für die Jugendlichen positiv gedeutet werden? GEGEN DEN TREND ’2004 Ziel: Vor Gott muss ich keine Maske aufsetzten. Er kennt mich und nimmt mich an, so wie ich bin. Mit den Augen der Liebe gesehen Ich erinnere mich an eine Geschichte aus der Sesamstraße: Ein kleiner Junge hat seine Mutter verloren und fragt nun alle möglichen Leute, ob 32_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN sie seine Mutter gesehen haben. Auf die Frage, wie denn seine Mutter aussehe, antwortet er jedes Mal: „Sie ist wunderschön, die schönste Mami der Welt.“ Es werden ihm nach und nach wunderschöne Frauen gezeigt, aber keine ist seine Mutter. Dann kommt eine unscheinbare (in der Sesamstrasse durch eine ziemlich hässliche Monsterpuppe dargestellte), gar nicht so gut aussehende Frau daher und der kleine Junge rennt ihr mit dem Schrei „Das ist doch meine Mami“ in die Arme. Diese Geschichte kann zur Verstärkung oder zur Hinführung auf Ps 139 erzählt werden. Vielleicht kann die Erzählung auch unterbrochen werden und die Teilnehmer/innen stellen Vermutungen darüber an, wie denn die Mutter des Kleinen aussehen könnte. Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Positives Feedback Auch diese Übung ist eher in Gruppen möglich, die miteinander vertraut sind. Ziel: Jede/r soll von den anderen Gruppenmitgliedern positive Dinge genannt bekommen, die ihre/seine Stärken oder positiven Eigenschaften herausstellen. Dauer: 45 Minuten bei 8 – 10 Teilnehmer/innen dort Platz und hört sich schweigend die positiven Aussagen der anderen Gruppenmitglieder an. Dabei muss darauf geachtet werden, dass nicht doch versteckte Kritik geübt wird. Die Aussagen könnten beginnen mit dem Satz: „Mir gefällt besonders an dir...“ Die Runde kann abgeschlossen werden mit einer Rückmeldung der/des auf dem Präsentationsstuhl Sitzenden: „Wie habe ich diese vielen positiven Äußerungen erlebt? Konnte ich sie gut annehmen? Habe ich Neues an mir entdeckt?“ Durchführung: Die Gruppe sitzt in Hufeisenform. Ein leerer Stuhl steht am offenen Ende. Ein/e Teilnehmer/in nimmt I am what/who I am Einstieg Was zerrt an mir? Bildbetrachtung: Fingerabdruck mit Gesicht. Jede/r Teilnehmer/in bekommt das Bild von Ivan Steiger mit der Aufgabe, in die Hände zu schreiben, wer sie beeinflussen oder bestimmen möchte. Anschließend kann der Frage nachgegangen werden, welche Marionettenfäden die Teilnehmenden am liebsten abschneiden möchten. Ziel: Jede/r ist unverwechselbar, eine ganz eigene Persönlichkeit. GEGEN DEN TREND ’2004 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_33 Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Alternativ: Wer oder was lastet auf mir? Lied: „I am what I am“ in Verbindung mit Ps 8, 5+6 Bildbetrachtung (Fingerabdruck, der mich runterdrückt) mit gleicher Fragestellung wie oben. Hier kann der Frage nachgegangen werden, wer mir ihren/seinen Fingerabdruck aufdrücken will. Auch die Frage, welche Idole ich habe, kann eine Rolle spielen oder auch: „Welche Figur (Fingerabdruck) habe ich mir aufgeladen? Wem eifere ich nach? Ich möchte gerne sein wie...“ Das Lied von Karen Mulder oder das Original von Gloria Gaynor wird angehört, der Text an alle Teilnehmenden verteilt und besprochen. Wenn das Lied in der Fassung von Karen Mulder besprochen wird, könnte auch der Lebenshintergrund der Sängerin angesprochen werden. Das Lied wird von einem Model gesungen, das immer wieder in verschieden Rollen schlüpfen und sich dem Modediktat unterwerfen musste. Gerade sie singt nun „I am what I am“! Nach Besprechung des Liedes wird das Wort aus der Bibel, Ps 8, 5+6, dazu in Beziehung gesetzt. Gott hat mich wunderbar gemacht. Ich bin etwas ganz Besonderes. Ich bin einmalig Der Text „Ich kann nicht malen wie Picasso“ (s. unter „Fundsachen“) wird als Karte gestaltet, die alle Teilnehmer/innen mitnehmen können. Dabei können die Teilnehmer/innen in die Mitte des Textes ihren Fingerabdruck aufdrucken. Was ich erreichen und weitergeben möchte GEGEN DEN TREND ’2004 Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Selbstwertgefühl bei Jugendlichen je nach Geschlecht unterschiedlich ist. Bei Befragungen von jungen Menschen im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren hat sich gezeigt, dass Jungen in der Regel ein größeres Selbstwertgefühl haben als Mädchen. Zwar nimmt bei beiden Geschlechtern die Selbstzufriedenheit mit Beginn der Pubertät ab, bei männlichen Jugendlichen scheint sie sich aber schneller wieder einzustellen als bei weiblichen Jugendlichen. Es könnte deshalb interessant sein, einige der o. g. Übungen (Was zerrt/zehrt an mir? Wer oder (Grafik aus: J. Zinnecker/I. Behnken/S. Maschke/L. Stecher: null zoff & voll busy, S. 93) 34_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! was lastet auf mir?) in reinen Jungen- oder Mädchengruppen durchzuführen und dann in einer gemischt geschlechtlichen Gruppe zu vergleichen. Ausgehend von der Frage nach den eigenen Prägungen kann weiterführend die Frage behandelt werden, welche Werte, Ideale und Prägungen die Jugendlichen an zukünftige Generationen weitergeben möchten. Im Zusammenhang damit steht auch die Frage nach den Zukunftsvisionen der jungen Menschen. Dazu könnte die Sendung “Das war ihr Leben“ nachgestellt werden: Am 80. Geburtstag besucht ein Reporter die Teilnehmenden. Sie erzählen, was sie bis dahin erreicht und erlebt haben bzw. ursprünglich erreichen und erleben wollten. • Riess, Richard/ Fiedler, Kirsten(Hg.): Die verletzlichen Jahre. Handbuch zur Beratung und Seelsorge an Kindern und Jugendlichen. Gütersloh 1993. • Zinnecker, Jürgen/ Behnken, Imke/ Maschke, Sabine/ Stecher, Ludwig: null zoff & voll busy. Die erste Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts. Ein Selbstbildnis. Zweite durchgesehene Aufl. Opladen 2002. Gesine Boerma Materialien/Literatur • aejn - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen (Hg.): Gegen den Trend - Wettstreit statt Feindschaft. Hannover 1994 • Gudjons, Herbert: Spielbuch Interaktionserziehung.185 Spiele und Übungen zum Gruppentraining in Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn/Obb. 5. Aufl. 1992. • Kohler-Spiegel, Helga: Eine sinnvoll verlorene Zeit. Jugendliche in ihrer Entwicklung begleiten. In: Theo-Web-Wissenschaft. Zeitschrift für Theorie der Religionspädagogik. 1. Jahrgang 2002. Heft. 2. S. 42-55. • Lübking, Hans-Martin: Neues Kursbuch Konfirmation. Ein Arbeitsbuch für Konfirmandinnen und Konfirmanden. Düsseldorf 2000. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_35 GEGEN DEN TREND ’2004 • Landesjugendpfarramt der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers (Hg.): Beten. Themenheft 21. 2. Aufl. Hannover 2000. Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Gentechnologie Gott ins Handwerk pfuschen? In den letzten Jahren, ja Jahrzehnten, hat sich die Gentechnologie in rasantem Tempo weiterentwickelt. Dachte man noch vor einigen Jahren, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms dauere bis zum Jahre 2005 oder 2010, so gelang dies schon im Jahr 2000 aufgrund der sich ebenfalls rasant entwickelnden Computertechnologie. Füllten noch in den 60-/70-er Jahren riesige Computeranlagen ganze Gebäudekomplexe, so kann man diese Speicherkapazitäten heute „in die Hosentasche stecken“. Ebenso scheint es sich mit der Gentechnologie zu verhalten. Es gilt das Motto: „Alles ist machbar“. Bezüglich der Gentechnologie stellt sich hier die Frage „Darf man alles machen?“ und „Wo ist die Grenze des Machbaren zu ziehen?“. Wenn sich Gene „verselbständigen“, wird man die Geister, die man rief, vielleicht nicht mehr los. Eine Vision(?), was in Forschungslaboren geschehen könnte, liefert aktuell der Roman „Beute“ von Michael Crichton. In ihm wird beschrieben, was durch computergestützte Viren bei einer Züchtung gentechnisch angerichtet werden kann. Bei allem Segen, den die Gentechnologie z. B. bei Erbkrankheiten wie Mukoviszidose und anderen Krankheiten bietet, muss man wachsam bleiben und den Forscherdrang mit strengem Auge begleiten. Wer weiß denn genau, ob nicht schon irgendwo auf unserem Planeten ein Gorillaweibchen mit menschlichem Sperma befruchtet wurde, wie dies in dem utopischen Film „Marys Baby“ dargestellt wird. Ist nicht (fast) alles, was Menschen irgendwann gedacht und erdacht haben, Realität geworden? Sollen wir also „Gott ins Handwerk pfuschen?“ GEGEN DEN TREND ’2004 Gentechnik kommt auf den Markt - Leben aus der Retorte - früher und heute...? Es war, ist und wird immer schwierig bleiben, neue Entwicklungen und ihre Gefahren ethisch zu beurteilen. So glaubte man z. B. bei der Erfindung der Eisenbahn, dass Menschen bei einer Geschwindigkeit von 35 km/h und mehr aus dem Zug gedrückt würden. Gegner wollten aus diesem Grunde die Entwicklung verhindern. Schnell merkte man dann, dass hier ein Denkfehler vorherrschte. Beim Thema Gentechnologie ist aber zu beachten, dass sie nicht mehr einfach gestoppt werden kann und im Besonderen handelt es sich hier um kein rein technisches Vorhaben, sondern hier ist der Mensch in seiner Kreatürlichkeit unmittelbar betroffen. 36_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN “Es wird ein Mensch gemacht... wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitel Possen... Es leuchtet! Seht! - Nun lässt sich wirklich hoffen, dass, wenn wir aus viel hundert Stoffen durch Mischung - denn auf die Mischung kommt es an - den Menschenstoff gemächlich komponieren, in einen Kolben verlutieren..” aus: Goethe, “Faust”, Zweiter Teil Ich bin ein Unikat, aber noch nicht fertig! Die Guten ins Töpfchen Gentechnik kommt auf den Markt - die Forscher bedienen die steigende Nachfrage der Mütter und Väter in spe Darf man Menschen züchten? Und wenn ja, wie? Schöner, größer, intelligenter? Soll es ein Leben ohne Krankheiten sein oder lieber gleich das ewige Leben? In einem frühen Teilungsstadium, wenn die einzelnen Embryonen aus nicht mehr als zwölf Zellen bestehen, werden jedem ein bis zwei Zellen entnommen. Deren Erbsubstanz wird auf chemischem Weg vermehrt. Auf diese Weise lässt sich die genetische Konstitution eines potenziellen Nachkommen feststellen, noch ehe er auf dem Weg in den Uterus ist. Und genau in diesem Augenblick ist eine folgenschwere Entscheidung fällig. Dieser Embryo soll Mensch werden, jener nicht. Egal, wie man das nennt - es ist ein Schritt Richtung Auslese. Jörg Albrecht/DIE ZEIT 1999 Nr. 38 Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms Woche für das Leben 2002 Evangelische Kirche in Deutschland Website http://www.ekd.de Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Artikel 1, Absatz 1, Satz 1 GG) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. (Artikel 2, Absatz 2, Satz 1 GG) Der Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Jeder Versuch, einschränkende Kriterien für das Menschsein aufzustellen, also dem einen Menschenwürde zuzubilligen und einem anderen Menschen abzusprechen, steht im Widerspruch zum christlichen Glauben. Menschliches Leben darf unter keinen Umständen nach einem planenden, Menschen züchterischen Willen hergestellt werden. Der Mensch “von der Stange” verstößt in tief greifender Weise gegen die Menschenwürde und stellt einen unzulässigen Eingriff in Gottes Schöpfung dar. Ehem. Präses Manfred Kock (Interview mit „Rheinischer Merkur“/“Christ und Welt“ v. 23.03.2001) TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_37 GEGEN DEN TREND ’2004 Fast täglich berichten Wissenschaftler aus aller Welt über neue Entwicklungen aus dem Bereich der Genforschung und der molekularen Medizin. Gentechnische Methoden bestimmen immer stärker die medizinische Praxis und unseren Alltag. Schwerkranke Menschen und deren Angehörige erhoffen sich von den wissenschaftlichen Ergebnissen Therapien zur Linderung oder Heilung von Krankheiten, die bislang nicht geheilt werden können. Gleichzeitig wächst die Sorge, dass sich mit den Möglichkeiten der Gentechnik die Illusion einer leidfreien Gesellschaft einstellt, in der es immer weniger Raum für Kranke und für Menschen mit Behinderung gibt. Die Genomforschung wird unser Wissen über den Menschen erweitern und sichern. Sie wirft aber auch umstrittene moralische Fragen auf: die Frage nach der Machbarkeit, der genetischen Ausforschung, der Reduzierung des Menschen auf seine Gene sowie der Diskriminierung und Stigmatisierung von Kranken und von Menschen mit Behinderung. Viele befürchten, dass der “gläserne Mensch” durch den “genetischen Fingerabdruck” in nicht allzu ferner Zukunft Wirklichkeit werden könnte. Gentechnologie Menschen sind nicht willenlose Sklaven ihrer Gene Erstens: Menschen kommen nicht als „unbeschriebene Blätter“ auf die Welt. Wir unterscheiden uns in unseren Genen und daher auch in unserem Erleben. Wir haben ein angeborenes Temperament, einen genetisch festgelegten Kern unserer Persönlichkeit. Ein und dieselbe Umwelt formt unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise. Zweitens: Menschen sind keine Spielbälle ihres “Milieus”. Wir alle suchen unsere persönliche Umweltnische. Wir gestalten unser Zuhause, unseren Freundeskreis, unsere Arbeit nach Kräften so, dass sie unseren Interessen und Bedürfnissen zupass kommen. GEGEN DEN TREND ’2004 Drittens: Menschen sind auch nicht willenlose Sklaven ihrer Gene. Als Wesen mit Bewusstsein und Verstand führen wir die Oberaufsicht über unser Temperament. Ein notorischer Wüterich kann trainieren, sich selbst zu beobachten und gegen den aufsteigenden Jähzorn anzugehen. Die neueste Forschung auf dem Gebiet der Genetik, der Molekularbiologie und der Neurowissenschaft zeigt, dass viele der persönlichkeitsbildenden Eigenschaften von Geburt an vererbt sind. Das heißt, dass viele der Unterschiede zwischen individuellen Persönlichkeiten auf Unterschiede in den Genen zurückgehen. Im Augenblick der Zeugung wurden Sie aus den Genen zweier Menschen geschaffen. Sie sind das Produkt von Generationen der Evolution - das Ergebnis zahlloser Informationen, die über Millionen Jahre hinweg gesammelt, komprimiert und verfeinert wurden. Sie sehen aus wie die Leute in ihrer Familie, und in mancher Hinsicht empfinden und agieren sie auch wie sie. Bezogen auf einige Aspekte ihrer Persönlichkeit, haben sie so viele Wahlmöglichkeiten wie im Hinblick auf die Form ihrer Nase oder auf ihre Schuhgröße, nämlich gar keine. Psychologen bezeichnen diese biologi- 38_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN sche, angeborene Dimension der Persönlichkeit als “Temperament”. Aber nur, weil eine Person mit einem bestimmten Temperament auf die Welt kommt, heißt das noch lange nicht, dass dieses Temperament durch ein paar wenige Instruktionen oder einen simplen Bauplan festgelegt ist. Auch heißt Temperament nicht, dass die Menschen zu ihrer von Geburt an bestehenden Persönlichkeit “verdammt” sind. Im Gegenteil, eine der wunderbarsten Eigenschaften des Temperaments ist eine von Anfang an bestehende Flexibilität, die es uns gestattet, uns an die Hindernisse und Herausforderungen des Lebens anzupassen. Aufwachsen bedeutet nicht nur zu lernen, wie die Welt ist, sondern auch, wie man mit sich selbst umgehen muss. Psychologen nennen diesen flexibleren Aspekt der Persönlichkeit “Charakter”. Jeder besitzt die Fähigkeit, zu wachsen und sich in jedem Stadium des Lebens zu verändern. Menschen können aus den Erfahrungen von Eltern und Freunden lernen. Der Einzelne hat die Möglichkeit, sich in seine Temperamentsschwächen zu fügen oder gegen sie anzugehen. Er kann seine Temperamentsbegabungen zu seinem Vorteil nutzen oder sie verbergen. Menschen können ihrem Bedürfnis zu rauchen, zu trinken oder zuviel zu essen nachgeben, oder sie können ihm widerstehen. Manchmal werden sie im Laufe ihres Lebens beides tun. (Psychologie Heute, 8/98, Dean Hammer, Peter Copeland, S. 20) Beginnt der Mensch heute damit, seine Evolution in die eigenen Hände zu nehmen? Chip im Kopf oder Zukunft ohne Hook und Ahab High-Tech-Prothesen im Anmarsch Die Integration technischer Mittel in den menschlichen Körper ist bereits seit Menschengedanken Gentechnologie praktiziert worden. Beispiele dafür sind Hook und Ahab, die mit Holzbeinen als Ersatzteile ausgestattet wurden, Gliedmaßen für die Arbeit als Walfänger (Ahab bzw. Hook....) Dieser Umstand zeigt, dass die technischen Hilfsmitteln schon lange verbreitet sind und allmählich in den menschlichen Körper eindringen, deren Teile werden und sich, sowohl funktionell als auch formenmäßig zum Körperteil umwandeln. 2015-2019: Ehe sich Paare für Kinder entscheiden, lassen sie ihr Erbmaterial in Computersimulationen überprüfen. 2020-2024: Alle menschlichen Organe, bis auf das Gehirn und die Augen, können durch künstliche Körperteile ersetzt werden. 2025-2030: Neue Gefriertechnologien zerstören das menschliche Nervengewebe nicht mehr. Viele lassen sich nach dem Tod statt auf Friedhöfen in Tiefkühlhäusern einlagern und hoffen auf „Wiederauferstehung“. Der Mensch beginnt heute damit, seine Evolution in die eigenen Hände zu nehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass er sich freiwillig gegen robuste Gesundheit, ewige Jugend und eine potentiell unbegrenzte Lebensspanne entscheiden wird. Denn ebenso wie Menschen immer bemüht waren, materielle und soziale Restriktionen zu überwinden, werden sie auch biologische Zwänge nicht auf Dauer akzeptieren. Ohne Zweifel sind damit gewaltige soziale Umwälzungen und ethische Probleme verbunden. Quelle: http://www.stiftung.koerber.de Mögliche Nachrichten könnten dann so lauten: • Zelle und Chip verschmolzen • Künstliches Auge bewegt sich mit • Fischgehirn steuert Roboter • Augenhornhaut aus der Petrischale • Eigene Haut aus der Tube Sieht man sich die genetischen Möglichkeiten im Tierreich an, die zur Züchtung von bestimmten Eigenschaften (Widerstandsfähigkeit von Pflanzen „das dreizehnte Kotelett beim Schwein“ u. Ä.) führen, so erscheint es nahe liegend, die Methoden und Forschungsergebnisse auch auf den Menschen zu übertragen, zumal in der medizinischen Forschung ja alles zuerst an Tieren erprobt wird. Als Einstieg in das Thema „Genethik“ bietet es sich daher an, mittels eines „Bullenkataloges“ herauszuarbeiten, welche Eigenschaften ein guter Zuchtbulle besitzen muss. Hierzu kann man z. B. den Semex-Bullenkatalog heranziehen (Download unter http://www.semex-deutschland.de/semex/ index-katalog.html oder bestellt ihn per Post). Dann bietet sich eine Gegenüberstellung an: Was ist beim Bullen wichtig, was beim Menschen? Besonderes Augenmerk sollte auf die Fachsprache gelegt werden. Welche Eigenschaften sind beim Tier sinnvoll, welche beim Menschen, wie weit darf man gehen, wo sind die Grenzen... ? TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_39 GEGEN DEN TREND ’2004 Die zukünftige Entwicklung der Gentechnologie wird hier skizziert: 2000-2004: Die Gentherapie wird bei immer mehr Krankheiten erfolgreich klinisch angewendet. 2005-2009: Künstliche Muskeln lassen sich vom körpereigenen Nervensystem steuern. 2010-2014: Viele psychische Störungen lassen sich medikamentös beheben. Es wird immer schwieriger, nicht normal zu sein. Welche Eigenschaften braucht ein guter Zuchtbulle? Gentechnologie Im Anschluss daran kann „Der synthetische Mensch“ von Erich Kästner bearbeitet werden. GEGEN DEN TREND ’2004 Beispiel aus dem Bullenkatalog: Als STORM-Sohn aus Gypsy Grand ist SPY ein Halbbruder zu FREELANZE. Seine Töchter entwickeln sich in der ersten Laktation zu starken, tiefrippigen Kühen mit sehr guten Fundamenten und ordentlichen Eutern. Sie sind genügend groß und vermitteln den Eindruck, dass sie lange gute Arbeit leisten können. SPY ist ein AllroundTalent, der in vielen verschiedenen Herden zum Einsatz kommen kann. Er sollte aber besonders bei großen, langen Kühen eingesetzt werden zur Verbesserung der Milchinhaltsstoffe, der Eutergesundheit. 40_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Professor Bumke hat neulich Menschen erfunden, die kosten zwar, laut Katalog, ziemlich viel Geld, doch ihre Herstellung dauert nur sieben Stunden, und außerdem kommen sie fix und fertig zur Welt! Man darf dergleichen Vorteile nicht unterschätzen. Professor Bumke hat mir das alles erklärt. Und ich merkte schon nach den ersten Worten und Sätzen: Die Bumkeschen Menschen sind das, was sie kosten, auch wert. Sie werden mit Bärten oder mit Busen geboren, mit allen Zubehörteilen, je nach Geschlecht. Durch Kindheit und Jugend würde nur Zeit verloren, meinte Professor Bumke. Und da hat er ja Recht. Er sagte, wer einen Sohn, der Rechtsanwalt sei, etwa benötige, brauche ihn nur zu bestellen. Man liefre ihn, frei ab Fabrik, in des Vaters Kanzlei, promoviert und vertraut mit den schwersten juristischen Fällen. Man brauche nun nicht mehr zwanzig Jahre zu warten, dass das Produkt einer unausgeschlafenen Nacht auf dem Umweg über Wiege und Kindergarten das Abitur und die übrigen Prüfungen macht. Es sei ja auch denkbar, das Kind werde dumm oder krank. Und sei für die Welt und die Eltern nicht recht zu verwenden. Oder sei musikalisch! Das gäbe nur Zank, falls seine Eltern nichts von Musik verständen. Nicht wahr, wer könne denn wirklich wissen, was später Aus einem anfangs ganz reizenden Kinde wird? Bumke sagte, er liefre auch Töchter und Väter. Und sein Verfahren habe sich selten geirrt. Nächstens vergrößre er seine Menschenfabrik. Schon heute liefre er zweihundertneunzehn Sorten. Misslungene Aufträge nähme er natürlich zurück. Die müssten dann nochmals durch die verschiednen Retorten. Gentechnologie Ich sagte: Da sei noch ein Bruch in den Fertigartikeln, in jenen Menschen aus Bumkes Geburtsinstitute. Sie seien konstant und würden sich niemals entwickeln. Da gab er zur Antwort: „Das ist ja gerade das Gute!“ Ob ich tatsächlich vom Sichentwickeln was halte? Professor Bumke sprach’s in gestrengem Ton. Auf seiner Stirn entstand eine tiefe Falte. Und dann bestellte ich mir einen vierzigjährigen Sohn Erich Kästner (1899 - 1974) Fragen dazu: 1. Firmen und Arbeitgeber suchen Arbeitskräfte, die jung und stark sind und gleichzeitig die Erfahrung eines 40-Jährigen aufweisen. Besprecht die Vor- und Nachteile, die es brächte, käme man als 40-Jähriger auf die Welt. 2. Vergleicht Charlie Chaplins Zitat „Die Jugend wäre eine noch viel schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme“ mit dem Text von Erich Kästner. Weiterführende Fragestellungen Quellen/Material • Barth, Herrmann: Wie wollen wir leben? Beiträge zur Bioethik aus evangelischer Sicht, LVH, Hannover 2003 • Ray Kurzweil: Homo S@piens. Leben 21. Jahrhundert – Was bleibt vom Menschen? Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1999 • Zeugen statt züchten Weshalb Menschen nicht Menschen klonen sollen Die Zeit Nr. 4 /15. Januar 1998 • Screening auf genetische Erkrankungen: Pro und Contra www.stiftung-behindertes-kind.de/images/ brand.pdf • Das Zarathustra-Projekt Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert eine gentechnische Revision der Menschheit http://www.genethik.de/genethics/ zarathustra.htm TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_41 GEGEN DEN TREND ’2004 „Gilt man als Rabeneltern, wenn man ohne Selektion und Manipulation Kinder haben möchte?“ Sucht Antwort darauf, wie jemand einem behinderten Kind erklären soll, dass es behindert ist, obwohl man dieses hätte vermeiden können. Wurde ich geplant oder spontan geschaffen? Wie hätten meine Eltern mich geplant? Sind Menschen, die sich ein perfektes Kind zusammengebastelt haben, die perfekten Eltern? Will ich alles wissen, oder nur meine Versicherung? Krebsrisiko 60 : 40 – wer stellt mich jetzt noch ein? Habe ich auch Angst, dass es eines Tages ein politisches Regime geben wird, das „Menschen nach Bauplan“ produziert? Genetisch veränderte Lebensmittel und Risiken in der Landwirtschaft Gefährdung des ökologischen Gleichgewichtes Erhöhtes Allergierisiko Gentechnikgesetz Missbrauch des Wissens Biologische Waffen Verwendung von geklonten Menschen als “Ersatzteillager” Beurteilung des genetischen Materials Wo sind die Grenzen des technischen Fortschrittes? Gentechnologie • Die falsche Angst, Gott zu spielen DIE ZEIT 1999 Nr. 38 • Die Guten ins Töpfchen DIE ZEIT 1999 Nr. 38 • Gentechnik kommt auf den Markt die Forscher bedienen die steigende Nachfrage der Mütter und Väter in spe Von Jörg Albrecht • Woche für das Leben 2002 Evangelische Kirche in Deutschland http://www.ekd.de • Deutsche Bischofskonferenz http://dbk.de GEGEN DEN TREND ’2004 • Ich, du und die anderen: Lehrermappe “Ich, du und die anderen” (komplett, ohne Folien und Kopiervorlagen) Kapitel 1: Einführung/anders sein Kapitel 2: Gemeinsam erkennen Kapitel 3: Miteinander leben Kapitel 4: Voneinander lernen Kapitel 5: Gegenseitig helfen Folien Kopiervorlagen Schülerheft “Ich, du und die anderen” http://www.agenturcafe.de/in-script/schule/ um/material-am.php • Mythen, Monster, Mutationen - die Gentechnik macht rasante Fortschritte. Bloß: Wohin werden sie führen? VON SUSANNE LIEDTKE DEUTSCHES ALLGEMEINES SONNTAGSBLATT, 30. April 1999 Nr. 18/1999 Roger Moch 42_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Reise zum Mittelpunkt Reise zu mir Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir „Die Reise zum ICH“ in Zeiten virtueller Identitäten Wo stehen wir heute? Fragt man junge Menschen nach dem, was sie ausmacht, von anderen unterscheidet, fallen die Antworten meist bescheiden aus. Sie reagieren mit Schulterzucken, auf Nachfragen werden Schulfächer benannt: „In Bio hab ich ´ne Eins!“ Doch fällt es uns leicht, zu sagen wer wir sind? Wer bin ich? Mit zunehmender Differenzierung der Lebensbezüge wurden die ICHs komplexer. Ich „bin“ in der Familie anders als bei der Arbeit, beim Sport anders, als im Freundskreis, und Jugendliche leben diese Unterschiedlichkeit noch stärker, sie ist fester Bestandteil ihres Lebensgefühls. GEGEN DEN TREND ’2004 Eine Tendenz, die schon Kindern erlernen. Eigneten sich Kinder ihren Lebensraum vor 30 Jahren noch in wachsenden Radien um ihre Wohnung an, erobern sie heute “Inseln“, die zueinander kaum noch einen oder gar keinen Bezug haben. Sie fahren zur Schule, werden von ihren Eltern „von A nach B“ gebracht, handeln dort und lernen früh, dass sie an jedem Ort anders sein können. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität wird nicht geübt, sie ist weniger wichtig für das Leben auf den „Inseln“. Wie soll unter diesen Umständen die Fähigkeit sich selbst zu reflektieren entwickelt und erprobt werden? Sie ist nicht einfach, „die Reise zum ICH“. Sie beginnt heute bei der Erkenntnis „ICH bin anders, wenn ich woanders bin und dazu muss ICH mICH immer wieder neu inszenieren!“ Methoden und Wege sich zu inszenieren gibt es, so lange es Menschen gibt: • Die verblüffende Wirkung von Verkleidungen nach „außen“ und nach „innen“ ist eine eindrückliche Erfahrung. Wie trete ich auf, wenn ich wie angezogen bin? Wie wirke ich auf mein Gegenüber? • Maskenspiele, die Rolle des Hofnarrs, der durch den Spiegel der Ironie Dinge sagen durfte, die andere Menschen nicht auszusprechen wagten. Wie weit kann ich mich von mir entfernen, wenn ich eine Maske trage? Was passiert dabei mit meiner Hemmschwelle? • Das Telefon und die Möglichkeit, durch dieses jemand anderes zu werden. Beinahe täglich wird dieses „Spiel“ in Radiosendungen gespielt, wer hat es nicht schon selbst ausprobiert, wie es ist, als jemand anderes am Telefon aufzutreten? Doch die klassischen Wege, sich in andere ICHs zu verwandeln, haben ihre Grenzen. Das Geschlecht, das Aussehen, die Stimme und das Alter sind Eigenschaften, die sich nur mit äußerster Mühe verändern lassen. Viel weiter gehende Möglichkeiten eröffnet das Medium „Internet“. Identitätswechsel erhalten eine völlig neue Dimension und werden nur noch durch die eigene Fantasie begrenzt: Männer können als Frauen auftreten, Frauen als Männer, Altersgrenzen verschwinden, Aussehen, Charakterzüge und Lebenseinstellungen sind beliebig wählund darstellbar. 44_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Online-Masken (ein faszinierender Begriff für virtuell geschaffene Identitäten) sind heute beinahe selbstverständlich. Welchen „Nickname“ gebe ich mir wo? Als wer kaufe ich im Internet ein, wie heiße ich in Foren oder wie lautet meine eMailAdresse? Nehme ich meinen „Namen“ oder nutze ich eine Online-Maske? Unzählige virtuelle ICHs entstehen, die wir uns geschaffen haben und mit denen wir täglich agieren. Diese ICHs umschreiben das eigentliche „ICH“, z. B. wenn „UserNamen“ dem Bereich der Hobbies entspringen oder sie sind pragmatischer Natur, wenn eine Frau bei einem Autokauf als „Mann“ auftritt. Komplexe Identitäten, wie sie z. B. in Chaträumen oder in MUDs (Multi-User Domains), virtuellen Räumen, in denen User beliebig viele Identitäten annehmen können, auftreten, bevölkern das Internet. Diese Fantasieprodukte, geschaffen zur Erweiterung der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Erfahrungshorizonts kommunizieren miteinander in Echtzeit und es ist bei den Kontakten egal, wer sich hinter den Masken verbirgt. Wer sich in offenen Chaträumen bewegt, geht nicht davon aus, dass sein Gegenüber der-/diejenige ist, für den der-/diejenige sich ausgibt. Es ist heute stillschweigender Konsens, dass Online-Masken Kunstprodukte sind. „Ich bin ICH und ICH bin anders, wenn ich wo anders bin“, diese Aussage muss in Zeiten virtueller Identitäten neu formuliert werden: „Ich bin ICH und ICH bin VIELE!“ Bei der „Reise zum ICH“ tauchen neue Fragen auf: • Was für eine Bedeutung hat das eigene ICH, wenn man ICHs beliebig produzieren, leben, anund ablegen kann? • Welche für Folgen hat es, wenn ICH unzählige andere ICHs erschaffen kann und diese, anders als vor ein paar Jahren möglich, über Monate im direkten Austausch mit anderen ICHs leben können? • Ist es möglich, mit einer Generation, die den totalen Identitätswechsel nicht verwundert zur Kenntnis nimmt, sondern ihn lebt, über ihr ICH zu reden? • Ist es möglich, sich auf die Suche nach dem „realen ICH“ zu begeben und sich dabei gerade der virtuellen ICHs zu bedienen? TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_45 GEGEN DEN TREND ’2004 Online-Masken erhalten auch eine körperliche Gestalt. Die Schöpferinnen und Schöpfer dieser Kunstprodukte legen das „reale ICH“ (an dieser Stelle wird der Ausdruck „reales ICH“ problematisch) ab und treten in der Öffentlichkeit als onli- neICH auf. Visitenkarten für diese oft mühe- und kunstvoll geschaffenen ICHs mit einer Adresse im Internet werden verteilt, die „reale Identität“ tritt dabei vollkommen zurück. Die Online-Masken werden dann lebendig, erhalten „Fleisch und Blut“ gleich einer modernen Form der Schizophrenie, einer Kunstgestalt die lebt oder wird zur beinahe logischen Weiterentwicklung des Maskenspiels in Zeiten der Online-Masken? Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir • Ist es möglich, die konstruierten ICHs ernst zu nehmen und das eigentliche ICH wieder in den Mittelpunkt zu rücken und zu stärken? Verkleidungsspiele GEGEN DEN TREND ’2004 „Ich lernte damals den Einfluss kennen, der unmittelbar von einer bestimmten Tracht ausgehen kann. Kaum hatte ich einen dieser Anzüge angelegt, musste ich mir eingestehen, dass er mich in seine Macht bekam; dass er mir meine Bewegungen, meinen Gesichtsausdruck, ja sogar meine Einfälle vorschrieb; meine Hand, über die die Spitzenmanschette fiel und wieder fiel, war durchaus nicht meine gewöhnliche Hand; sie bewegte sich wie ein Akteur, ja, ich möchte sagen, sie sah sich selber zu, so übertrieben das auch klingt. Diese Vorstellungen gingen indessen nie so weit, dass ich mich mir selber entfremdet fühlte; im Gegenteil, je vielfältiger ich mich abwandelte, desto überzeugter wurde ich von mir selbst. Ich wurde kühner und kühner; ich warf mich immer höher; denn meine Geschicklichkeit im Auffangen war über allen Zweifel. Ich merkte nicht die Versuchung in dieser rasch wachsenden Sicherheit. Zu meinem Verhängnis fehlte nur noch, dass der letzte Schrank, den ich bisher meinte nicht öffnen zu können, eines Tages nachgab, um mir, statt bestimmter Trachten, allerhand vages Maskenzeug auszuliefern, dessen phantastisches Ungefähr mir das Blut in die Wangen trieb. In ihnen erst sah ich wirklich freie und unendliche bewegliche Möglichkeiten: eine Sklavin zu sein, die verkauft wird, oder Jeanne d’Arc zu sein oder ein alter König oder ein Zauberer, das alles hatte man jetzt in der Hand, besonders, da auch Masken da waren, große drohende oder erstaunte Gesichter mit echten Bärten und vollen oder hochgezogenen Augenbrauen. Ich hatte nie Masken gesehen vorher, aber ich sah sofort ein, dass es Masken geben müsse. Ich musste lachen, als mir einfiel, dass wir einen Hund hatten, der sich ausnahm, als 46_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN trüge er eine. Ich stellte mir seine herzlichen Augen vor, die immer wie von hinten hineinsahen in das behaarte Gesicht. Ich lachte noch, während ich mich verkleidete, und ich vergaß darüber völlig, was ich eigentlich vorstellen wollte. Nun, es war neu und spannend, das erst nachträglich vor dem Spiegel zu entscheiden. ... Das war nun wirklich großartig, über aller Erwartung. Der Spiegel gab es auch augenblicklich wieder, es war zu überzeugend. Es wäre nicht nötig gewesen, sich viel zu bewegen; diese Erscheinung war vollkommen, auch wenn sie nichts tat. Aber es galt zu erfahren, was ich eigentlich sei, und so drehte ich mich ein wenig, .... .“ Ein imposanter Text über die Wirkung von Masken und Verkleidungen aus „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ (Rainer Maria Rilke, 1875 - 1926). „Es galt zu erfahren, was ich eigentlich sei ...“ Hier wird nicht nur gefragt „wer“, sondern „was“ der Maskierte geworden ist, eine Wirkung der Masken auf das ICH, die selbst virtuelle Identitäten noch nicht erreicht. Bin ich ICH? Online-Masken sind die logische Weiterentwicklung der Tendenz „anders zu sein, wenn man woanders ist“. Durch das Medium „Internet“ Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir wurde uns ein Instrument an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe sich alle Grenzen unseres ICHs überwinden lassen. ICH kann jetzt zeitgleich VIELE sein. Durch das Internet ist die Welt kleiner geworden, der/die Einzelne kann durch das Internet wachsen. Spiel lerne, VIELE zu sein und wenn ich für diese Seiten meines ICHs offen werde, lebe ich bewusster mit mir selbst. Online-Masken sind spannend, sie öffnen Türen, die sonst verschlossen blieben, sie erfüllen den Wunsch nach Spiel, nach Identitätswechsel, fördern und fordern Kreativität und Flexibilität und sind eine deutliche Erweiterung der Erlebniswelt. Online-Masken sind gefährlich, sie verleiten, verführen und lenken von der Welt, in der ich lebe, und von meinem Leben ab und indem sie mir vorspiegeln, ICH wäre Produzent, Regisseur und der Star, führen sie mICH in Identitätskrisen und Einsamkeit. Wir befinden uns inmitten einer rasanten technischen Entwicklung. Zum Vergleich: Die Gutenberg-Galaxis brauchte über 400 Jahre, bis sie alle Bevölkerungsschichten erreicht hat, das Internet hat sich in weniger als fünf Jahren von einer Spielwiese für ExpertInnen zu einem in beinahe jedem deutschen Haushalt verfügbaren Medium entwickelt. Zum Bewältigen der mit technischen Entwicklungen einhergehenden Veränderungen sind aber individuelle Kompetenzen notwendig, die uns schon vor Jahren verloren gegangen sind. Eine brisante Kombination. Gleichzeitig befinden wir uns schon wieder vor einem grundlegenden Wandel. Noch schütteln wir den Kopf, wenn Online-Masken „das Internet verlassen“. Noch ist es das „reale TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_47 GEGEN DEN TREND ’2004 Virtuelle Identitäten sind ein Teil unserer Welt geworden. Auch wenn wir nur selten über sie nachdenken, sind sie täglich präsent und als Teil der Welt weder pauschal gut noch böse, weder schwarz noch weiß. Sie sind das, was wir aus ihnen machen. Wenn Erfahrungen aus dem virtuellen Leben in das reale Leben transportiert werden, das ICH sie verarbeitet und nutzt, dann bereichert die virtuelle Realität das reale Leben. Wenn ich im Die Bedeutung virtueller Welten nimmt täglich zu, Online-Masken bevölkern das Internet (virtuelle Rathäuser, virtuelle Kirchen etc.). Die Welt geht online und Menschen entdecken zunehmend die Chancen komplexer virtueller Identitäten. Eine fortschreitende Entwicklung in einer Zeit, in der das ICH-Bewusstsein des einzelnen Menschen immer mehr zurück geht. Doch nur mit ausgeprägtem Ich-Bewusstsein lassen sich die Möglichkeiten virtueller Welten in das reale Leben integrieren. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir ICH“, das die Mitte unseres Lebens ausmacht. Wie real Online-Masken in ihrer Außenwirkung sind, wie komplex die Welt, in der sie sich bewegen auch ist und wie echt sie mit „Individuen aus Fleisch und Blut“ kommunizieren, noch besteht eine Trennlinie zwischen „virtuell“ und „real“. Noch ist die totale onlineWelt Fiktion. Tad Williams zeichnet z. B. in Otherland (Otherland, Band 1 - 4, 1996 - 2002, Klett Cotta Verlag) solch ein „virtuelles Wunderland“. Doch die Bedeutung der virtuellen Welten steigt an und dass diese Entwicklung weiter fortschreiten wird, steht außer Frage. Eine spannende Entwicklung, wenn wir einen Schlüsselgedanken im Focus behalten: Der uns von unseren Eltern bei der Taufe stellvertretend gegebene Name begleitet uns ein Leben lang, doch unsere Möglichkeiten, uns selbst Namen zu geben, sind durch das Medium Internet explosionsartig gewachsen. „ICH gebe mir Namen und lebe diese Identitäten“, ICH bleibe aber auch in Zeiten virtueller ICHs ICH. „Ich bin ICH und ICH bin VIELE!“ GEGEN DEN TREND ’2004 Ich bin ICH In Zeiten virtueller ICHs erhält „die Reise zum ICH“ eine völlig neue Notwendigkeit: Früher waren Menschen durch ihren Beruf, ihren Wohnort und die fehlende Mobilität an einen Ort und gebunden und darauf angewiesen, sich in allen Lebensbezügen „wieder erkennbar“ zu verhalten, ein schlüssiges ICH zu leben. Mit der zunehmenden Mobilität und der damit verbundenen Differenzierung der Welt begannen die ICHs zu verschwimmen, man war anders wenn man woanders war und man konnte dies sein, weil die Lebensbereiche immer weniger miteinander verzahnt waren. Heute bietet das Medium „Internet“ die Möglichkeit, zeitgleich VIELE zu sein. „ICH bin VIELE“ bezeichnet eine neue Qualität individueller Erfahrungen, die sich nur mit einem stabilen ICHBewusstsein in das reale Leben integrieren lässt. 48_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Noch ein zweiter Aspekt macht die besondere Notwendigkeit von ICH-Stärke in Zeiten virtueller Identitäten aus. Um die, in der realen Welt notwendigen sozialen Kontakte wachsen zu lassen, ist eine schlüssige Persönlichkeit notwendig. Freundschaften haben nur Bestand, wenn ich in einer Gruppe als Individuum erkennbar bin, ein Mindestmaß an Kontinuität aufweise und Konflikte aushalten kann. In der virtuellen Welt sind Konflikte bedeutungslos. Wird eine Situation belastend, wechsele ich die Identität und fange neu an. Hier hätte eine Übertragung in die reale Welt fatale Folgen. Gruppenfähigkeit ist eine Schlüsselkompetenz, die eng mit der ICH-Stärke zusammenhängt. Was sagt es über junge Menschen aus, wenn sie sich verabreden, gemeinsam etwas unternehmen wollen und als Gruppe in ein Internet-Café gehen, um dort nebeneinander zu sitzen und bei einem Glas Bier zu chatten? Für die soziale Kompetenz ist in Zeiten der Online-Masken „die Reise zum ICH“ von entscheidender Bedeutung. „Die Reise zum ICH“ stellt für an Online-Masken gewöhnte Menschen auf verschiedenen Ebenen eine besondere Herausforderung dar. Je einfacher es ist, sich der eigenen Realität durch Masken zu entziehen, je differenzierter dabei die Rollen sind und je stärker diese ausgelebt werden können, desto schwieriger lässt sich das „wahre ICH“ greifen. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Online-Masken bieten Schutz, sie machen Menschen beinahe unverletzlich, da sie beliebig abgelegt und gewechselt werden können. Die Auseinandersetzung mit dem realen ICH macht verletzlich, die Herausforderung, sich dem ICH zu stellen, wächst. setzung, ist beinahe unmöglich zu erstellen. Bei dieser sehr persönlichen Thematik sind die Gruppengröße, der Zusammenhalt unter den Gruppenmitgliedern, Gruppenstrukturen und viele andere Faktoren maßgeblich für die Wahl der Methoden. Bei der folgenden Sammlung kleiner Praxisbausteine ist deshalb bewusst nur deren jeweiliger Rahmen vorgezeichnet. Die eigentliche Konkretisierung muss für jede Gruppe individuell geleistet werden. Wichtig bei allen Schritten ist deren Reflektion in der Gruppe, das Reden über die gemachten Erfahrungen. „Ich bin ICH und ICH bin VIELE!“ Ein Ausdruck der Individualität und Einzigartigkeit unter bewusster Einbeziehung der Möglichkeiten, Erfahrungen und Chancen, die durch virtuelle Identitäten möglich werden. Diese Aussage charakterisiert, wohin „die Reise zum ICH“ heute führe sollte. Praxisbausteine Eine konkrete Vorgabe zur Umsetzung einer „Reise zum ICH“ unter der eben geschilderten Ziel- Ein Grundsatz aus der Theaterpädagogik sollte besonders bei den Elementen integriert werden, die mit Rollenspielen verbunden sind. Das „Entlassen“ der Teilnehmenden aus der Rolle, das Ablegen der geschaffenen Identität und die Rückkehr zum eigenen ICH sind wichtige Schritte, die auch das Bewusstsein für das ICH und für seine Kunstprodukte schärfen. A. Was macht mich aus? Eine Einzelarbeit Wann denken wir darüber nach, was uns ausmacht? Nur sehr selten, deshalb fällt es uns so schwer, auf Fragen nach dem ICH zu antworten. Als Einstieg in eine „Reise zum ICH“ bietet sich an, über sich selbst nachzudenken und Eigenschaften, die jedeN EinzelneN ausmachen als Einzelarbeit aufzuschreiben. Die Reflektion dieses Vorgangs selbst ist eine mögliche Vertiefung. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_49 GEGEN DEN TREND ’2004 Dazu müssen verschiedene Kompetenzen in einer jeweils individuellen Ausprägung entwickelt sein: • Ein bewusstes stabiles reales ICH, • das sich als kreativeR SchöpferIn von OnlineMasken kennt • und das die auf diesen Wegen gemachten Erfahrungen in das reale Leben integrieren kann. • Medienkompetenz bezüglich der Wirkung von virtuellen Identitäten auf das ICH und auf andere • sowie Räume, in denen Menschen geschützt ICH sein können Pädagogische Herausforderungen in Zeiten virtueller Identitäten! Die Bausteine setzen an verschiedenen Punkten an, sie decken in der Summe die eben angesprochenen Aspekte eines selbstbewussten Umgangs mit Online-Masken ab. Es geht um Erfahrungen mit dem eigenen ICH, um spielerische Wege, Rollen und Verkleidungen auszuprobieren, um das Realisieren von Online-Masken und um deren bewussten Einsatz. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir „Warum war es so schwer, das zu benennen, was dICH ausmacht?“ Ob die Ergebnisse der Gruppe mitgeteilt werden oder nicht, ist von der Gruppe abhängig, doch wenn, sollte dies grundsätzlich freiwillig geschehen. B. Masken und Verkleidungen als Einstieg (Basteln von Masken, Spiele mit Verkleidungen) E. Räume schaffen zum ICH-sein ICH verkleide mich. ICH agiere verkleidet, im geschützten Raum oder außerhalb. Die Gruppe tanzt einmal unverkleidet, einmal verkleidet. Was passiert dabei? Was verändert sich? Maskenspiele (mit selbst gebastelten Masken?) in der Fußgängerzone, dabei beobachtet ein Teil der Gruppe Passanten und Akteure. Was passiert, wenn ich ICH bin? Masken aller Art fungieren als Schutz vor Verletzungen, das Märchen vom Rumpelstilzchen mit der Aussage „Ich weiß, wie du heißt, ich habe Macht über dich“ ist ein klassisches Beispiel dafür. Ein Reiz virtueller ICHs liegt in der Erfahrung, dass ich im Schutz dieser Maske und in der Anonymität der virtuellen Welt ICH sein kann. Was macht einen nicht virtuellen Raum aus, in dem ich ICH sein, in dem ich meine Maske ablegen kann? Kann eine Gruppe einen solchen Raum schaffen? C. Eine andere Person auslosen und aufschreiben „Was macht diesen Menschen aus?“ JedeR von uns hat sie schon genutzt, die Möglichkeit, sich im Internetverkehr zu maskieren. Warum habe ich eine bestimmte eMail-Adresse gewählt? Wie wirkt mein Kundenname (z. B. bei ebay) auf (m)ein Gegenüber? Warum habe ich im Chat nicht mich beschrieben? JedeR schreibt (anonym) für eine ausgeloste Person fünf ausschließlich positive Eigenschaften auf. Die Beschreibungen werden gesammelt und an die Adressaten gegeben. In der Auswertung werden nicht nur die Einschätzungen betrachtet, sondern auch die Frage, was sich verändert, wenn ich nicht für mich, sondern für jemand anderen Eigenschaften sammle. GEGEN DEN TREND ’2004 ausmachen würde und wie sich diese Fiktion verhalten könnte. Die so gespiegelte Person versucht, das Beschriebene darzustellen. Dieses Spiel kann, wenn Möglichkeiten dazu bestehen, durch Verkleidungen verstärkt werden. Oft stellt sich heraus, dass die konträren Eigenschaften leicht zu spielen sind, weil sie auch Teil von uns sind. D. Was würde eine Person ausmachen, die das genaue Gegenteil von mir ist? (Ein Rollenspiel für fünf bis neun Personen) Ein Gruppenmitglied tritt vor, die Gruppe überlegt, was das charakterliche Gegenteil dieser Person 50_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN F. Online-Masken: Erfahrungsberichte Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Erfahrungsberichte einholen und erste Überlegungen sammeln, wann ich Online-Masken bewusst verwendet habe, um ein Ziel zu erreichen, und wann ich sie unreflektiert nutze, ohne über die Wirkungen nachzudenken. Wer hat schon welche Erfahrungen mit virtuellen Identitäten gemacht? Was machte den Reiz aus? Wo lagen die Grenzen? Wie bewusst war dieser Vorgang oder ist er eher zufällig angelaufen und hat sich verselbständigt? Wo lag die Motivation, jemand anderen darzustellen? Dieser Schritt ist ein Versuch, sich der aktiven Rolle, die das eigene ICH bei der Erschaffung von Online-Masken übernimmt, bewusst zu werden, deshalb sollte dieser Aspekt auch im Mittelpunkt der Gespräche stehen. G. Was assoziiere ich mit... ? H. Gründung eines Chats Die Einrichtung eines ausschließlich der teilnehmenden Gruppe zugänglichen Chats ist bei diver- Nach der Einrichtung des Chats und gemeinsamen Überlegungen bezüglich der Chatzeiten schaffen sich die Teilnehmenden Online-Masken, mit denen sie im Chat agieren. So sind Erfahrungen mit virtuellen Identitäten im geschützten Raum möglich. Sei bewusst du (mit anderem Namen), überzeugend jemand anderes. Wie kommst du (z. B. bei Rollenwechsel) als Mann/Frau an? Was passiert dabei mit dir? Diese sehr experimentelle Anordnung eignet sich, um erste Erfahrungen mit der Dynamik der OnlineMasken zu sammeln, ist aber nicht zu vergleichen mit dem Auftritt in einem offenen Chat. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_51 GEGEN DEN TREND ’2004 Eine kleine Übung, die uns deutlich macht, wie wir durch eine unreflektierte Nutzung von Online-Masken wirken. Im ersten Schritt werden User-Namen aus dem Internet gesucht (ebay, offene Chaträume oder eMail-Adressen sind gute Quellen) und aufgeschrieben. Die Gruppe diskutiert, was sie mit den einzelnen Namen assoziiert, was sie denkt, wer hinter dem Namen steckt. Hier wird ein Vorgang deutlich, der in der Regel unbewusst abläuft. Was assoziiere ich, wenn ich User-Namen höre? Was gibt eine Person damit bewusst oder unbewusst von sich preis oder was soll diese Bezeichnung bei uns auslösen? Als Nebeneffekte dieser Übung überprüfen die Teilnehmenden ihre Gewohnheiten bei der Wahl von User-Namen und sie werden sensibler im Umgang mit persönlichen Informationen im Internet. sen Anbietern (zumeist über die Einbindung in eine eigene Internetseiten) möglich. Falls die beteiligten Jugendlichen keine Idee für eine Plattform haben, über die ein Chat eingereichtet werden kann, besteht eine solche Möglichkeit z. B. bei: www.palace4all.de Der Palacechat existiert seit einigen Jahren und wird ständig verbessert. Er ist sehr grafik- und raumorientiert. Viele Jugendliche und junge Erwachsene nutzen ihn. www.ghost-chat.de Dieser bietet ebenfalls die Möglichkeit, eigene Chaträume anzulegen. Hier sind die administrativen Möglichkeiten, also auch bannen, kicken etc. sowie die Anleitung sehr gut. Eine Übersicht über kostenlose Chats findet man z. B. unter http://www.lightball.de/hpfeature.htm und http://www.xdial.de/weblinks/cat.asp?Cat=5 39&SubCat=102 . Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir I. Auftritt in einem offenen Chat Kleingruppen (vier bis fünf Personen) konzipieren gemeinsam eine Online-Maske, mit der sie einem Chat betreten. Die Erfahrungen und Erlebnisse protokollieren die Teilnehmenden für sich. Wichtig ist, dass die Gruppe gemeinsam die Maske mit Leben füllt. Eine Gruppe Frauen könnte z. B. als Mann auftreten oder umgekehrt. Durch die Arbeit der Gruppe wird sehr deutlich, dass virtuelle Identitäten geschaffen werden. Es war ein gemeinsamer Einigungsprozess, der das Grundmuster für die Online-Maske ergeben hat. Wie waren die Reaktionen auf das Kunstprodukt? Was ändert sich, wenn man (i. V. m. Rollenwechsel) als Frau/Mann im Chat auftritt? Auswertungen in den Kleingruppen und in der Gesamtgruppe, die den Focus auf die neuen Erfahrungen legt, die als ICH nicht möglich gewesen wären, führen einen Schritt weiter auf der „Reise zum ICH“. J. Was macht mICH aus? Eine Einzelarbeit zum Abschluss Hat sich das Bild gewandelt? Kann ich das, was mICH ausmacht, nun besser, leichter oder präziser beschreiben? GEGEN DEN TREND ’2004 Pädagogische Herausforderungen (Die Überlegungen auf diesen Seiten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es junge Menschen gibt, denen der Zugang zum Internet (z. B. finanziell) nicht möglich ist. Diese Jugendlichen laufen Gefahr „von der Entwicklung abgehängt zu werden“. Wer nicht in der Lage ist, das virtuelle Rathaus oder Arbeitsamt zu besuchen, hat heute schon deutliche Nachteile. Es ist eine pädagogische Notwendigkeit, diesen Jugendlichen den Zugang zu virtuellen Welten zu ermöglichen.) 52_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Am Ende des Abschnitts „Ich bin ICH“ sind individuelle Kompetenzen, die zum bewussten Umgang mit Online-Masken notwendig sind, aufgeführt. Deren Vermittlung stellt heute eine elementare pädagogische Herausforderung dar. Wo Inszenierung zum Motto wird und Wirkung der Maßstab ist, ist es umso wichtiger, dass bewusst agiert wird. Der unreflektierte Umgang mit Online-Masken kann zu Realitätsverlust, Selbstverleugnung oder dem Rückzug aus der „realen Welt“ führen. Der missbräuchliche Umgang mit virtuellen Identitäten kann andere schädigen. Das Verstecken hinter Online-Masken birgt die Gefahr der Enttarnung, die Folgen einer solchen Demaskierung sind bei Rumpelstilzchen („Ach, wie gut, dass niemand weiß...“) nachzulesen. Online-Masken beinhalten eine starke pädagogische Komponente: Der reflektierte Umgang mit diesen Möglichkeiten, eröffnet dem/der Einzelnen Möglichkeiten, die sonst nicht erfahrbar wären. Wie ist es als „Frau“, angebaggert zu werden? Wie wird „Mann“ im Chat behandelt? Wie werden Ausländer oder Homosexuelle angesprochen? Erfahrungen, die bisher nur „Betroffenen“ vorbehalten waren, öffnen sich, das reale Leben wird bereichert, erhält neue Facetten. Wie sich der Umgang mit Online-Masken auf uns auswirkt, ist von unser individuellen Medienkompetenz abhängig. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Die pädagogische Herausforderung liegt in der Vermittlung der Medienkompetenz. Hier bietet sich die seltene Chance des gemeinsamen Lernens. Jugendliche haben durch ihren selbstverständlichen Umgang mit dem Medium „Internet“ eine deutlich höhere Nutzungskompetenz, als die meisten PädagogInnen. Die andere Seite der Medienkompetenz, die „individuelle Medienkompetenz“ ist es, die von Pädagoginnen und Pädagogen eingebracht werden kann. Wie geht man verantwortlich mit den Möglichkeiten des Internets um? Wo bleibe ICH bei der Vermischung virtueller und realer Welten? Wie transportiere ich Erfahrungen aus der virtuellen Welt in die reale Welt? Wie verarbeite ich diese Erfahrungen? Wie schütze ich mICH im Internet? Doch in diesen Dialog mit Jugendlichen sollten Pädagoginnen und Pädagogen nur treten, wenn sie ein Mindestmaß an Nutzungskompetenz mitbringen, sie ihr Medienverhalten kennen und eine individuelle Medienkompetenz entwickelt haben. kennzeichnet. Der in diesem Satz zum Ausdruck gebrachte Facettenreichtum, wird unserem Wesen besser gerecht, als jeder Versuch, unser ICH auf eine Dimension zu reduzieren. Gottes Zusage „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ erhält durch die Beliebigkeit der Namensgebung in virtuellen Welten eine noch tiefere Bedeutung. Es muss heute pädagogische Aufgabe sein, Räume zu schaffen, in denen Menschen ICH sein können, in denen sie die Vielfalt des ICHs leben können, in denen sie nicht gezwungen sind, Masken zu tragen und sich zu inszenieren, sondern in denen die Zusage Gottes, dass jeder Mensch so angenommen ist, wie er individuell nun mal ist, gilt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, bei deinem Namen ... ich habe dich gerufen, so vielfältig wie DU bist! Materialien/Literatur • Sherry Turkle, “Leben im Netz - Identität in Zeiten des Internet” (rowolt, dt. Erstausgabe 1998),(Original: live on screen, 1995). • Das Standardwerk im Bereich der Online-Masken. Auch wenn es in der englischen Originalausgabe inzwischen 8 Jahre alt ist, bietet es spannende Einblicke in die individuellen Auswirkungen der Computernutzung. Die mehrfach angesprochene These „Ich bin viele“ steht im Zentrum des 500 Seiten starken Buchs. Thomas Schruff „Ich bin ICH und ICH bin VIELE“ ist eine Aussage, die den Menschen von heute mehr denn je TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_53 GEGEN DEN TREND ’2004 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist es möglich, mit Jugendlichen in einen echten Dialog über Medienkompetenz zu treten und einen gemeinsamen, gleichberechtigten Lernprozess zu initiieren. • “Dieses Buch beschreibt, wie sich die im Entstehen begriffene Kultur der Simulation auf unsere Vorstellungen von Bewusstsein und Persönlichkeit, Körper und Identität, Selbst und Maschine auswirkt” (Turkle, S. 10). Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Reise zu mir nicht ohne meinen Körper Um mich herum sind tausend Spiegel Jugendliche wirken manchmal so, als fühlten sie sich von aller Welt mit argwöhnischen Augen angeschaut. Diese Augen sehen alles: jedes fettige Haar, jeden Pickel, jedes Fettpölsterchen. Und sie verurteilen es scharf. Es sind nicht die Augen anderer, es sind die eigenen Augen, die kritisch bis in die hintersten Winkel blicken, als wären überall Spiegel, die alles gnadenlos zurückwerfen. Jugendliche sind manchmal unglaublich schön und scheinen diese Schönheit gar nicht genießen zu können. Sie wirken wie eingefroren. Keine natürliche, spontane Bewegung – so als könnte ein Haar verrutschen und das Spiegelbild verschlechtern. GEGEN DEN TREND ’2004 Mein größter Feind Wenn ich in einen Spiegel seh, bin ich mir immer wieder fremd. Ist das wirklich mein Gesicht, meine Stimme, die da spricht? Wenn ich mit mir alleine bin, gibt es keine Chance zu fliehn. Nichts ist mehr da von all dem Schein, von dem, was ich versuche zu sein. Das ist der Moment, in dem ich weiß: Ich selber bin mein größter Feind. Ich merke, wenn ich einsam bin, ich kann mich selber nicht ausstehn. Ich schau wieder in mein Spiegelbild. Es macht mir alles nach und verschwindet nicht. Die Toten Hosen, CD „Kauf mich!“, 1993 54_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Die fünf Säulen der Persönlichkeit Dem Körper wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Aber das führt offenbar nicht unbedingt zu einem verbesserten Körpergefühl, eher ins Gegenteil: zu einer starken Kontrolle und auch Verachtung des Körpers, die sich in Verkrampfung und Unnatürlichkeit ausdrückt. Auf dem Weg in die ZUKUNFT, in ein LEBEN, in dem TRÄUME verwirklicht werden, geht kein Weg am Körper vorbei. Gegen vieles kann man sich entscheiden und es hinter sich lassen – den Körper nicht. Andersherum ist ein gutes Gefühl im eigenen Körper die beste Voraussetzung für ein Leben, wie man es sich erträumt. Die besondere Aufmerksamkeit für den Körper in der Jugendzeit ist eine große Chance und Ressource für die Jugendarbeit. Grundlegend verändern kann man den Körper nicht, aber das eigene Gefühl im Körper kann man verändern, die Wahrnehmung dafür sensibilisieren und mit einfachen Mitteln wohltuende Körpererfahrungen ermöglichen. Die Persönlichkeitstheorie der Integrativen Therapie bzw. der Gestalttherapie geht davon aus, dass die Persönlichkeit von fünf Säulen oder Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir auf die eigene Persönlichkeit ermöglichen. Dieser Blick ist immer ressourcenorientiert. Es geht nicht um die Defizite, sondern um die vielleicht noch so kleinen Potentiale, die in jeder Säule vorhanden sind und die es zu nutzen und auszubauen gilt. Für die Entfaltung der Persönlichkeit sind alle diese Säulen gleich wichtig, so dass in der gestalttherapeutischen Arbeit darauf geachtet wird, diese Lebensbereiche im Blick zu haben. Meistens ist es so, dass ein oder zwei Säulen im Vordergrund stehen, während andere vernachlässigt werden. Klassisches Beispiel dafür ist ein Mensch, der so viel arbeitet und seinen Selbstwert über die eigene Leistung definiert, dass er keine Zeit für Beziehungen hat. Sein Körper wird nur einseitig in Anspruch genommen und gleichzeitig mit Kaffee und einem Mindestmaß an Schlaf zu Höchstleistungen angespornt. Wenn die Persönlichkeit sich nur auf eine oder zwei Säulen stützt, gerät sie in die Krise, wenn diese Säule z.B. durch Kündigung wegbricht. Zur Wahrnehmung der Säule „Körper“ fragt man nach Zeiten von Gesundheit und Krankheiten bzw. Unfällen, nach den Funktionen des Körpers (Verdauung u. Ä.) und seiner Entwicklung (Wachstum). Neben diesen äußeren Daten interessiert aber vor allem, wie sie erlebt werden und wie mit ihnen umgegangen wird, denn das kann bei gleichen Symptomen unterschiedlich sein. Es wird gefragt, wann die Person sich in ihrem Körper am wohlsten fühlt, was angenehm ist, was unangenehm, was sie an sich schätzt und in welchen Zeiten sie sich am vitalsten fühlt, auf welche Bereiche oder Organe sie besonders achtet. Die kleinen, ganz alltäglichen Umgangsweisen mit dem Körper geraten auf einmal ins Blickfeld und werden in ihrer Wirkung wertgeschätzt: das warme Duschen, der Sprint zur Bushaltestelle, der Mief im Klassenraum oder das Parfüm der Freundin. Die Wichtigkeit der Säulen verändert sich im Laufe des Lebens immer wieder: Bei Krankheit steht der Körper im Vordergrund, bei einem Verlust die sozialen Beziehungen. In gestalttherapeutischer oder -pädagogischer Arbeit verwendet man deshalb gerne das Konzept der fünf Säulen zu diagnostischen Zwecken oder auch zur Sensibilisierung der Wahrnehmung. Mit Hilfe von Fragen werden die Teilnehmenden angeregt, über diese fünf Bereiche in ihrem Leben nachzudenken und sie anschließend in einem Bild oder Diagramm darzustellen. Die bildliche Darstellung kann die fünf Säulen in unterschiedlicher Höhe oder Breite zeigen – je nach der derzeitigen Wichtigkeit, oder für jede Säule kann ein Symbol (Turm, Drahtseil, Pflanze o. Ä.) gewählt werden, welches ihre Bedeutung ausdrückt. Diese Bilder sind Momentaufnahmen, die einen Blick Die Körperweisheit der Bibel „Wenn dich deine rechte Hand zum Abfall verführt, so hau sie ab und wirf sie von dir. Es ist besser für TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_55 GEGEN DEN TREND ’2004 Stützen getragen wird: • Körper • Soziale Beziehungen • Arbeit und Leistung • Materielle Situation • Werte und Sinn Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir dich, dass eines deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle fahre.“ (Matth. 5,29) Die Entfremdung vom eigenen Körper und die Verachtung seiner Bedürfnisse ist im christlichen Abendland tief verwurzelt und wurde von biblischen Texten wesentlich mit geprägt. Mit dem Rat, die Hand abzuhacken, wollte Jesus möglicherweise einen Gedanken ad absurdum führen, um auf eine andere Denkweise hinzuleiten. Vermutlich haben aber Sätze wie diese eine traurige Wirkungsgeschichte gehabt: Nicht nur im Mittelalter war das Abhacken der Hände eine verbreitete Strafe und konnte sich geradezu auf die Bibel berufen. Auf subtilere Weise wurde auch Selbstbefriedigung mit diesem Satz geahndet und damit körperliche Bedürfnisse nicht nur missachtet, sondern auch verteufelt. „Die Hände gehören über die Bettdecke!“ GEGEN DEN TREND ’2004 Falsch wäre jedoch, dies als DIE christliche Einstellung zum Körper anzusehen. Diese Auffassung wurzelt im griechischen Denken, welches EINE der Quellen ist, aus denen sich die neutestamentliche Theologie entwickelt hat, aber eben nur eine. Die Bibel ist in einer Zeitspanne von mehr als einem Jahrtausend entstanden und durch verschiedene Denksysteme beeinflusst worden. Die Wichtigkeit von Heilungsgeschichten im Neuen Testament und ihre detaillierte Beschreibung (auf die Erde spucken, Spucke mit Sand verrühren, Brei auf blinde Augen streichen) macht deutlich, wie sehr körperliche Heilung zur Erlösung gehört und Erlösung also nicht nur ein geistiges Geschehen ist. Es geht nicht nur um das Seelenheil. Darüber hinaus findet man im Alten Testament eine Körperweisheit, die darauf hindeutet, dass die problematische Spaltung von Körper, Geist und Seele biblischen Menschen fremd war. So kann man mit Hilfe biblischer Gedanken die Verbundenheit von Körper und Seele wieder entdecken. Wird in der hebräischen Sprache ein Körperteil be- 56_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN nannt, so wird damit zugleich seine Dynamik und oft auch eine Gefühlsqualität beschrieben: Arm bedeutet Kraft, Nase meint auch Wut, in den Nieren sitzt die Gerechtigkeit und in der Gebärmutter das Erbarmen. Diese Bedeutungen hören hebräische Menschen immer mit. Eine nur äußerliche Wahrnehmung des Körpers, wie sie heute verbreitet ist, ist biblischen Menschen fremd gewesen. Wenn der Liebende im Hohenlied von den schönen, taubenähnlichen Augen der Geliebten schwärmt, schwärmt er von ihren verliebten Blicken, die lebendig und beweglich sind wie Tauben und Liebesbotschaften senden wie die Tauben als heilige Tiere einer Liebesgöttin. Auch in unserer Sprache gibt es ein verborgenes Wissen vom Zusammenhang zwischen Körperteilen oder Organen und seelischen Zuständen: Etwas schlägt auf den Magen oder geht an die Nieren, jemand verlässt wutschnaubend den Raum, vor Zorn schwellen die Adern, vor Stolz die Brust, die Galle läuft über vor Ärger, die Augen vor Trauer. Manches ist ähnlich (Nase - Wut), manches ganz anders als zu biblischen Zeiten. Während für uns das Herz der Sitz der Gefühle ist und wir das Denken im Gehirn ansiedeln, war für biblische Menschen das Herz der Sitz der Gedanken. Wenn gerade das Herz, das durch den unter- Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir schiedlichen Herzschlag so deutlich die seelische Situation (Aufregung, Ruhe) spiegelt, der Sitz der Gedanken war, dann kann es die heute übliche Trennung von (nüchternen) Gedanken und (unsachlichen) Gefühlen so nicht gegeben haben. Überraschende Einsichten gewinnt man, wenn man die dynamische und emotionale Qualität der Körperteile im hebräischen Denken entschlüsselt, und die alten biblischen Texte werden für die Entwicklung eines ganzheitlichen Körperempfindens wertvoll. Die Gefahren Rund um den Körper kann man vieles tun in der Jugendarbeit. Massagen, Körperübungen, erlebnispädagogische Spiele sind beliebt und werden gerne eingesetzt. Manchmal überrascht es, wie viel wir damit auslösen können, positiv oder negativ. Da bricht jemand bei einer besonderen Geste in Tränen aus oder versteinert, ohne dass wir uns das erklären können. Ein Grund dafür könnte sein, dass im Körper die Erinnerungen an frühere Erfahrungen gespeichert werden. Die Integrative Therapie nennt dies das „Leibgedächtnis“. Bestimmte Situationen und seelische Zustände sind mit bestimmten leiblichen Erfahrungen verbunden. Manche Gerüche rufen sofort Erinnerungen wach, Verletzungen lösen eine Schonhaltung aus, auch wenn sie längst geheilt sind. Es kann sein, dass die Situation selbst (z. B. ein Streit mit dem Bruder) nicht mehr im Gedächtnis ist, aber der leibliche Impuls (Faust ballen) oder die leibliche Empfindung (Schmerz in der Hand) noch vorhanden ist: Ich balle die Faust und weiß nicht, warum. Wellness à la Bibel: sieben Ideen Das steigende Interesse an Wellness ist Ausdruck des Bemühens, einen achtsamen Umgang mit dem eigenen Leben zu lernen, einen Ausgleich gegen Stress zu schaffen und sich körperlich und seelisch wohl zu fühlen. Aus christlicher Perspektive könnte man sagen, dass dies der verantwortliche Umgang mit dem von Gott geschenkten Leben ist. So kann Wellness ein Thema des Glaubens sein. Übrigens wird selbst von Gott erzählt, dass Gott für Ausgleich sorgte: Am siebten Tage ruhte Gott aus und ERQUICKTE SICH (2. Mose 31,17). Fragwürdig sind Wellnesstipps dann, wenn sie darauf zielen, den Körper den allgemeinen Schlankheitsnormen anzupassen und das Wohlfühlen von der Schlankheit abzuleiten. Die im Folgenden beschriebenen Ideen für einen Wellnesstag oder –abend verbinden Körpererfahrungen mit biblischer Körperweisheit. Je nach Situation kann die Reihenfolge verändert werden. Die verwendeten Zutaten werden in der Bibel erwähnt und haben meist besondere Bedeutungen. Wellness hat nicht nur eine rein körperliche Seite, sondern ein wesentlicher Aspekt davon ist, die Gedanken auf angenehme Dinge zu lenken, wohltuende Bilder vor dem inneren Auge entstehen zu lassen und damit die Körpererfahrung zu unterstützen. In diesem Fall werden biblische Bilder vom Olivenbaum o. Ä. angeboten, auf die man sich TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_57 GEGEN DEN TREND ’2004 Es ist ein wichtiger Schutz, wenn bestimmte, besonders schmerzhafte Erinnerungen vergessen werden. Mit Körperübungen können sie wachgerufen werden, ohne dass die betroffene Person damit rechnet, es will oder es steuern kann. Im therapeutischen Prozess können das wertvolle Momente in der Aufarbeitung eines Erlebnisses sein - in der Jugendarbeit kann das nicht geleistet werden. Alle Menschen haben mehr oder weniger schmerzhafte Erinnerungen im Körper gespeichert, nicht nur Erfahrungen von Gewalt, sondern auch Unfälle, medizinische Eingriffe u. Ä. Sogar Mangelernährung im Mutterleib hinterlässt seine Spuren im Körper und ist potentiell erinnerungsfähig. In vorsprachlicher Zeit werden keine Worte, sondern Atmosphären und Bildfetzen gespeichert. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir bei der Anwendung konzentrieren kann. So ist es auch möglich, Texte der Bibel aus einer anderen Blickrichtung zu verstehen. Es ist sinnvoll, diese Texte in der Mitte des Raumes auszulegen, damit man sie in Ruhephasen immer wieder lesen kann. Aufgrund der oben beschriebenen Gefahr habe ich die Anwendungen bewusst so konzipiert, dass sie jede Person an sich selbst durchführen kann. Dadurch bleibt die Körpergrenze der Person gewahrt und ermöglicht ihr das Gefühl von Selbstbestimmung, sodass unangenehme oder beängstigende Erfahrungen von Ausgeliefertsein vermieden werden können. 1. Möge Gottes Angesicht leuchten über dir: Gesichtsmassage und Gesichtsmaske In der Bibel hat das Gesicht eine besondere Bedeutung. Gottes Angesicht ist ein Symbol für Gottes Hinwendung und persönliche Beziehung zu den Menschen und leuchtet und wärmt wie die Sonne. GEGEN DEN TREND ’2004 Von einem Zeichen auf der Stirn erzählt 1. Mose 4,15: Das Kainszeichen, das Gott selbst ihm nach dem Mord an seinem Bruder auf die Stirn setzt, soll ihn schützen vor der Rache anderer. In einer Vision von Ezechiel tragen Menschen, die Reue gezeigt haben, ein kreuzförmiges Schutzzeichen auf der Stirn, das sie im Gericht verschonen wird. In der Offenbarung ist es der Christusname (oder der des Antichristen), der auf die Stirn geschrieben wird. (Hes 9,4; Offb 14,1) Anwendung: Für die Gesichtsmassage etwas Traubenkernöl in einen Eierbecher geben. Mit den beiden Ringfingern hineintupfen und in kreisförmigen Bewegung die Stirnmitte massieren und sich dabei vorstellen, dass dort ein Schutzzeichen ist. Von dort mit den Ringfingern über den Augenbrauenbögen entlang fahren, mit kreisförmigen Bewegungen die Schläfen und die anderen Vertiefungen des Gesichts 58_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN massieren: Nasenflügel, Wangen, Mundwinkel und Kinn und wieder zurück zu den Schläfen. (vgl. U. Pittroff, Wellness, S. 127; Musik: Wide Blue, CD Magic & Mystery) Für die Gesichtsmaske • 1/2 Teelöffel Traubenkernöl • 1 Teelöffel Joghurt • 1 gestrichenen Teelöffel Bierhefepulver (zum Binden) • (1 Tropfen Mandelblütenöl (synthetisch) oder Wacholderöl) mischen, die Paste auf das Gesicht auftragen, 15 Min einwirken lassen und mit klarem Wasser abspülen. Die Verwendung von Traubenkernöl nimmt Bezug auf das bekannte Jesuswort „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wenn ihr in mir bleibt und ich in euch, bringt ihr viel Frucht.“ Oft liegt der Akzent auf dem Fruchtbringen, dem Handeln. In dieser Einheit soll deutlich werden, dass die Reben nur Frucht bringen können, wenn sie sich in der warmen Sonne ausstrecken und sich vom Regen erfrischen lassen. (Joh 15,5) 2. Du salbest mein Haupt mit Öl: Olivenöl-Haarpackung Olivenöl wurde zu biblischer Zeit nicht nur zum Essen, sondern auch, gemischt mit ätherischen Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Ölen, für die Körperpflege verwendet. Nicht immer wurden Haare gewaschen, sondern sie wurden geölt. Dieser Brauch findet sich zum Beispiel in dem bekannten Vers aus Ps 23: „Du salbest mein Haupt mit Öl“. Olivenöl gilt als Schutz vor Sonneneinstrahlung und erhält dadurch die Haut jung. Der Ölbaum braucht eine Generation, bis er Früchte trägt, und wird sehr alt. In der Bibel ist er Symbol für den Menschen, der sich auf Gott verlässt, seine Kraft aus der Tiefe zieht und deshalb Dürrezeiten gut aushalten kann. (Ps 52,10, Jer 17,7.8) Anwendung: Je nach Länge der Haare ca. einige Esslöffel Olivenöl erwärmen und ins Haar massieren. Mit Frischhaltefolie abdecken, dann in Alufolie einpacken. Noch einmal mit einem Fön wärmen, dann ein Handtuch um den Kopf wickeln, um die Wärme zu erhalten. Ca. 10 - 15 Min. einwirken lassen. Danach mit Shampoo gut ausspülen. 3. Reinige zuerst das Innere des Bechers: Biblische Düfte Reinigung meint zum einen die Heilung von Hautkrankheiten, aber auch das Freiwerden von innerem Schmutz und Schuld. Gott verheißt Reinigung und ein neues weiches Herz (Vgl. Ps 51,4.7; Hes 36,25). In Matth. 23,26 sagt Jesus: Reinige zuerst das Innere des Bechers, damit auch das Äußere rein wird. Er greift das nur äußerliche Reinigen und Handeln an und macht deutlich, dass es im Wesentlichen auf das Innere und die innere Haltung ankommt, nicht nur, dass es beides gereinigt werden muss (wie ein Becher innen und außen), sondern dass das Äußere rein wird, wenn man das Innere reinigt. Dies soll mit einer Riechübung umgesetzt werden, weil das Atmen einen Austausch zwischen Innen und Außen bewirkt. Wacholder hat belebende, stimmungsaufhellende Wirkung. Sein Name (Wach-Halter) geht möglicherweise auf 1. Kön 19,4 zurück, wo erzählt wird, dass der Prophet Elia sich nach einem Verbrechen unter einen Wacholder legte und sterben wollte, von einem Engel jedoch davor bewahrt wurde. Anwendung: An einem frischen Majoranzweig schnuppern und sich dabei vorstellen, wie der Majoran innerlich reinigt. Das Gleiche mit einem anderen immergrünen Zweig (z.B. Thuja) wiederholen, der leicht mit Wacholderöl eingerieben wurde. Wer es noch biblischer mag, kann nun beide Zweige mit scharlachroter Wolle zusammen binden, in Wasser tunken (mit Wasser bestäuben) und damit Hände und Unterarme siebenmal besprengen, um die Blutzirkulation anzuregen. Danach Ohrläppchen, Daumen und große Zehen mit Wacholderöl einreiben. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_59 GEGEN DEN TREND ’2004 Mit dem Reinigen nahmen es biblische Menschen sehr genau, es gibt dazu detaillierte Vorschriften. Ein Reinigungsopfer nach einem Ausschlag wird so beschrieben: Man braucht für die Reinigung Zedernholz, scharlachfarbene Wolle und Ysop. Zeder meint hier den Phönizischen Wacholder. Ysop bezeichnet eine Majoranart, die buschig in Mauerspalten wächst (1. Kön 5,13, vgl. Nigel Hepper, Pflanzenwelt, S. 26; 64). Das Büschel aus Zeder und Ysop wird mit der roten Wolle zusammengebunden, in frisches Wasser getaucht und die zu reinigende Person damit siebenmal besprengt (Lev 14,6f; Nigel, S. 140). Der Priester gibt Öl (Olivenöl) in seine linke Hand, taucht die Finger der rechten Hand hinein und sprengt damit siebenmal „vor Gott“, den Altar vermutlich. Er taucht seinen Finger noch einmal ins Öl und bestreicht damit das rechte Ohrläppchen, den rechten Daumen und den rechten großen Zeh der zu reinigenden Person, mit dem restlichen Öl den Kopf. (Lev 14,17f.). Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir Alternativ kann man • 1 Teelöffel Mandelöl und • 2 Tropfen Weihrauchöl mit einem Zahnstocher in einem Eierbecher vermischen, die Hände damit massieren, sie dann vor der Nase zusammenlegen und den Weihrauchduft einatmen. Mandelbäume gehören zu den Pflanzen der Bibel, ihre Blütenform wurde zur Verzierung von Gewändern verwendet. Weihrauch ist das stark duftende Harz eines Strauches und wurde (und wird bis heute) zur Reinigung und Heiligung im Tempel verwendet. (Musik: Coral Sea, CD Mandala, Weltbild Verlag, Augsburg 1999) GEGEN DEN TREND ’2004 4. Sieben Gaben des gelobten Landes: Liebe geht durch den Magen Die lange Zeit der Wüstenwanderung hat das Volk Israel nur deshalb überstanden, weil es die Vision von dem Ziel hatte: dem gelobten Land, in dem Milch und Honig fließt. In 5. Mose 8,8 werden die Schätze dieses Landes ausgemalt, und es sind nicht zufällig sieben Gaumenfreuden und zugleich gesunde, nährstoffreiche Speisen. Aus diesen sieben Zutaten können zwei Speisen angeboten zubereitet werden. Sie erinnern daran, dass auch bewusste Ernährung für leibseelisches Wohlbefinden wichtig ist. Unterstützend bietet es sich an, sich die Vision vom gelobten Land vor dem inneren Auge auszumalen. 60_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Granatapfel-Trauben-Honig-Getränk mit Feigen • • • • 2 Esslöffel Joghurt mit 1Teelöffel Honig in einem 0,3l-Glas mischen 100 ml Traubensaft aufgießen 1 Esslöffel geschlagene Sahne (Land, wo Milch und Honig fließt) • 1 Teelöffel Granatapfelsirup über die Sahne gießen Minifeigenscheiben oder frische Feigen in kleinen Stücken zur Garnierung auf die Sahne geben. Mit dem Strohhalm trinken. Weizen-Gerste-Oliven-Knäckebrot • • • • • • • • • • 100 g Weizenvollkornmehl 100 g Gerstenflocken 2 Teelöffel Backpulver 1/2 Teelöffel Kräutersalz 12 schwarze Oliven, in kleine Stückchen geschnitten 250 g Magerquark 50 g Butter 3 Esslöffel Olivenöl 0,1 l Milch 1 Messerspitze Kreuzkümmel Aus den Zutaten einen Teig bereiten und eine Stunde kühl stellen. Teig ausrollen, in Rechtecke teilen und auf ein Backblech legen. Mit der Gabel mehrfach einstechen, mit wenigen Schwarzkümmelsamen bestreuen und bei 200 Grad ca. 20 Min backen. Dazu passen Oliven und Schafskäse. 5. Schöne Grüße an die Füße: Totes Meer Salz und Zedernöl Das mineralstoffhaltige Salz aus dem Toten Meer wird schon seit Jahrtausenden auch zu heilenden Zwecken verwendet. Ein Bad Salzwasser hat möglicherweise deshalb eine so wohltuende Wirkung, Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir weil das Salzwasser in seiner Zusammensetzung dem Blutplasma ähnlich ist, sodass diese Substanzen über die Haut ausgetauscht werden können. Die Zeder ist ein kräftiger, sehr hoher Baum mit stark duftendem Holz. Weil Zedernöl im Heiligtum verwendet wurde, haftet ihm ein Hauch von Heiligkeit an. Im Hohenlied der Liebe vergleicht die junge Frau die Stärke ihres Geliebten mit einer Zeder. (Hhld 5,1; Pittroff, Wellness, S. 74) Anwendung: In eine fußgroße Schale • 4 Liter warmes Wasser und • 1 Esslöffel Totes Meer Salz geben und die Füße darin baden. Für das Fußpeeling • 1 1/2 Esslöffel Olivenöl • 1 gestrichenen Esslöffel Totes Meer Salz 10 Tropfen Zedernholzöl mischen und die Füße damit abrubbeln. Durch das Entfernen abgestorbener Hautschüppchen und das Öl wird die Haut samtweich. Danach mit lauwarmem Wasser abspülen. (Musik: Langsam erwachen, CD Mystery & Meditation) 6. Auf die leichte Schulter nehmen: Nackenmassage mit Minzöl Auch in der Bibel kennt man diesen Zusammenhang zwischen Belastung und Last, und es gibt ein altes Bild dafür: das Joch. Ein hölzerner Bogen, der Auch wir benutzen dieses Bild, wenn wir davon sprechen, dass wir uns von jemandem „vor seinen Karren spannen lassen“. Erlösung wird dann auf zweierlei Weise geschildert: Gott zerbricht das Joch, und auch Menschen werden dazu aufgefordert, andere nicht unterzujochen. Jesus sagt es anders: Es bleibt ein Joch, aber es ist leicht und ermöglicht Ruhe (Matth. 11,29). Befreiung ist körperlich sichtbar am aufrechten Gang: Ich habe das Joch zerbrochen und habe euch aufrecht einhergehen lassen (3. Mose 26,13). Auch Paulus legt Wert auf den aufrechten Stand: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen (Gal 5,1) Anwendung: Etwas Minzöl in die Schultern und den Nacken reiben. Minzöl bewirkt ein erfrischendes kühles Gefühl auf der Haut. Die Schultern hängen lassen, sich allmählich aufrichten. Die angegebenen Texte dabei meditieren. Das kühle Gefühl im Nacken kann eine leibliche Erinnerung daran sein, dass Gott uns das Joch von unseren Schultern nehmen will und auch darauf achtet, dass wir aufrecht stehen und gehen können. Tipp: Hände nach dem Einreiben mit Seife waschen, damit das Minzöl nicht versehentlich an Schleimhäute gerät und brennt. Minzöl ist sehr dominant im Geruch, deshalb sollte es erst am Ende des Wellnessabends verwendet werden. Sonst sind die anderen ätherischen Öle kaum mehr wahrnehmbar. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_61 GEGEN DEN TREND ’2004 Die Muskulatur von Schultern und Nacken ist durch unsere Lebensweise (viel Sitzen, wenig Bewegung) oft besonders verspannt, die Schultern sind eingezogen oder hängen. In unserer Sprache drücken wir aus, dass auch seelische BeLASTung auf den Schultern liegt: Eine Last wird auf meinen Schultern abgeladen, ein Streit wird auf meinem Rücken ausgetragen. Dafür muss ich mal wieder den Kopf hinhalten. den Rindern auf die Schultern gelegt wird, um den Ackerpflug zu ziehen. Es ist in der Bibel auch ein Bild für die Unterdrückung von einem Volk durch ein anderes, dem Unterjochen. Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir 7. Aufrichten zwischen Himmel und Erde: Bewegungsmeditation und aus dem Himmel in den Körper aufgenommen wird. Diese Bewegungsfolge leitet hin zu aufrechtem Stehen und bewusstem Atmen. • Ausgangsposition ist im Stehen, die Füße schulterbreit auseinander, Arme hängen locker herunter. Mit dem ersten Einatmen werden die Arme seitlich bis zur Waagerechte geführt, Handflächen zeigen nach unten. • Beim ersten Ausatmen werden die Handflächen nach oben gedreht. • Einatmend werden die Arme bis über den Kopf geführt und die Handflächen zusammen gelegt. • Diese Position wird beim nächsten Ausatmen beibehalten. • Nun werden die Hände bis vor die Brust geführt, dabei einatmen. • In dieser Position verharren und ausatmen. • Beim nächsten Einatmen werden die Hände waagerecht vor der Brust übereinandergelegt, beide Handflächen zeigen nach unten. • Beim Ausatmen werden die übereinandergelegten Hände in einem Halbkreis vor dem Körper nach unten geführt, so dass sie am Ende vor dem Unterleib liegen und beide Handflächen nach oben zeigen. Man kann die Teilnehmenden dieser Übung zu diesen Bewegungen passende Sätze finden lassen oder Psalmworte vorgeben. So wird aus einer Bewegungsfolge ein Gebet. In einer Gruppe entstand folgender Text: Jung wie ein Adler, (1) fülle mich mit deiner Gnade. (2) Ich bete dich an. (3+4) Du, Gott der Liebe, (5) bist bei mir. (6) Du trägst mich (7) und hältst mich. (8) Eine Verbindung mit Psalmworten könnte so lauten: Du hast vorzeiten die Erde gegründet, (1+2) und die Himmel sind deiner Hände Werk. (3+4) Neige mein Herz zu deinen Weisungen, (5+6) und wende zu mir dein Erbarmen. (7+8) (nach Ps 102,26; 119,36; 69,17) Tipp: Man kann die Bewegungsfolge zu ruhiger Instrumentalmusik ausführen, z.B. „Blick in den Sonnenuntergang“, CD Wellness – Finde deinen Mittelpunkt, Edition Nordstern Hamburg, www.quedmusic.de GEGEN DEN TREND ’2004 Wo der Spaß aufhört Ursprünglich stammt diese Übung aus dem Tai-Chi. Man stellt sich dabei vor, dass mit den aufsteigenden Händen die Energie aus der Erde 62_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Die größten Zuwachsraten im Bereich der Medizin verzeichnet in Europa die Schönheitschirurgie: 15 - 20 %. Die Operierten sind zu ca. 80 % weiblich, werden immer jünger und sind zum Teil körperlich noch nicht ausgewachsen: Ein Viertel aller Operationen wird an Frauen zwischen 15 und 25 vorgenommen. In Deutschland sind medizinisch nicht notwendige Schönheits-OPs an Minderjährigen allerdings verboten. Prof. Mang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für ästhetische Chirurgie, Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir beobachtet den auffälligen Wunsch von Gymnasiastinnen, sich noch vor Schulabschluss einer OP zu unterziehen. Besonders beliebt bei Jüngeren: Fettabsaugen, Brustvergrößerungen, Nasenkorrekturen. „Die körperliche Schönheit, der körperliche Ausdruck, das bodyfeeling sind heute bei den jungen Menschen wichtiger denn je. Und niemand hätte ein Problem damit, würde dieses feeling nicht allzu oft bedeutender als der Rest der Persönlichkeit, interessanter als der Rest der Welt. Körper ist Kult. Längst hat dieser neue Kult auch seine kultigen Stätten. Zu ihnen zählen die Wellness-Tempel....“ (Werner Schulz in, Zivil 33/3, 2003, S. 19 ff ). Literatur • Uschka Pittroff u.a., Wellness. Die besten Ideen und Rezepte für die Wohlfühloase zu Hause, München 2003 • Dorothea Rahm u.a., Einführung in die Integrative Therapie. Grundlagen und Praxis, Paderborn, 3. Aufl. 1995 • Silvia Schroer, Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998 • CD „Kleider machen Leute“ von Ben, 2003 • Weitere Ideen in: Wellnesspaket Bibel, hrsg. Ev. Jugend Hannover, www.kirchliche-dienste.de/ jahrderbibel Christine Tergau-Harms GEGEN DEN TREND ’2004 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_63 GEGEN DEN TREND ’2004 Reise zum Mittelpunkt - Reise zu mir 64_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Wo bitte ›› Gibt es etwa geht's zum Paradies? Mobbing in der Schule? Wo bitte geht's zum Paradies? Erste Einfälle GEGEN DEN TREND ’2004 „Bier, Weiber, Fußball“ – die Vorstellungen einer Gruppe junger Herren der 10. Klasse vom Paradies waren schnell auf den Punkt gebracht. Bei anderen dauerte es länger und die Äußerungen waren differenzierter. In der Einheit über Sterben und Tod wurde auch die Frage nach dem „Danach“ thematisiert. So trivial sie auch sein mögen – Vorstellungen von diesem utopischen Ort der Glückseligkeit sind in allen Köpfen vorhanden. Meist werden sie abgeleitet aus der Überhöhung momentaner Glückserfahrungen („Bier, Weiber, Fußball“) oder aus der Umkehr von negativen Empfindungen (Streit > Harmonie, Krieg und Gewalt > Frieden, Krankheit > Gesundheit, Tod > Ewiges Leben). Lässt man Jugendliche auf einer Phantasiereise in ihr Paradies eintauchen, dann sind fast immer konkrete Vorstellungen vorhanden, wie dieser Ort aussieht und gestaltet ist: Eine Insel, ein Strand oder eine Einkaufsstraße, in der man umsonst einkaufen kann. Häufig wird das eigene Zimmer genannt – der umfriedete Raum, in dem man sich auf sich selbst zurückziehen kann. 66_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN (vgl. dazu auch die Untersuchungen von Heiner Barz zu den sog. „auratischen Orten“ Jugendlicher in seiner Studie von 1992 „Postmoderne Religion“, Opladen 1992, S. 58 ff.) All inclusive – Die Paradiese der Moderne Letztlich sind es die Vorstellungen vom sorgenfreien Aufgehobensein im Paradiesgarten, an denen die Urlaubsindustrie anknüpft. Bilder von Traumstränden in der Karibik wecken paradiesische Gefühle und das „all inclusive“ – Angebot lässt ein sorgenfreies Leben zu: Bier und Wein fließen in Strömen und die gebratenen Tauben fliegen einem zwar nicht von selbst in den Mund, aber das Büffet lässt keine Wünsche offen. Problematisch ist nur der Morgen danach: Dröhnschädel und Leberschäden zeigen, dass wir doch noch nicht reif sind für den Dauergenuss im Garten Eden. Die modernen Urlaubsparadiese sind Orte, an denen das Elend nichts zu suchen hat. Es sind abgegrenzte Bereiche, zu denen nur die Auserwählten Zugang haben. Die einheimische Bevölkerung bleibt draußen – zur gelegentlichen Besichtigung. Wo bitte geht's zum Paradies? Ab und zu braucht es den Kontrast, damit man wieder merkt, wie gut es einem selber geht. Der Genuss hat eine Feindin: die Gewohnheit. Der Dauerspaß braucht die Unterbrechung, um wieder Spaß zu machen. Man versteht plötzlich Wagners Tannhäuser wenn er mitten in den Wonnen des Venusberges singt: Nach Freude, ach! nach herrlichem Genießen verlangt’ mein Herz, es dürstete mein Sinn: das, was nur Göttern einstens du erwiesen, gab deine Gunst mir Sterblichem dahin. Doch sterblich, ach! bin ich geblieben, und übergroß ist mir dein Lieben; wenn stets ein Gott genießen kann, bin ich dem Wechsel untertan; nicht Lust allein liegt mir am Herzen, aus Freuden sehn’ ich mich nach Schmerzen. So sehr uns die Sehnsucht nach ewiger Glückseligkeit im Herzen brennt, so unfähig sind wir als Menschen, das auch ertragen zu können. Wir brauchen den Wechsel zwischen dem Wohlleben und dem Kampf ums Dasein, zwischen Entspannung und Anstrengung, zwischen Ruhe und Aufregung. Als Sterbliche sind wir anfällig für die Krankheit der Langeweile und die befällt uns, wenn ein – auch noch so paradiesischer Zustand – zu lange andauert. Was sagen andere? Worterklärungen: Paradies stammt aus dem altpersischen pairidaeza, was so viel wie „ummauerter Bezirk“ oder auch „Garten“ bedeutete. Im Althochdeutschen wird mit „gart“ ein Kreis bezeichnet. Davon sind der „Gürtel“ und das „Umgürten“ abgeleitet. Ein Garten ist also ein Bereich, der von etwas Kreisförmigem umgrenzt und geschützt wird. Prototyp für die orientalische Paradieserwartung ist der sumerische Mythos von Enki und Nichursanga, der von Tilmund berichtet, dem Land der Seligen, wo unter Menschen und Tieren Friede herrscht, Schmerz, Leid und Alter hingegen unbekannt sind. In seiner Sure 56, 12 spricht der Koran von den „Gärten der Wonne“, in denen es klares Wasser, Milch und Honig, Speisen und Wein in Hülle und Fülle gibt. Die Gärten der Hesperiden und die Elysischen Gefilde sind in der griechischen Mythologie diese Orte, an denen das Leben vollkommen wird. Auch die Vorstellung von der „Insel der Seligen“, die in Platons „Atlantis“ und keltischen Mythen auftaucht, lebt von dem Moment der Abgrenzung. Glück, Frieden und Wohlgefühl müssen geschützt werden von den Kräften der Finsternis und des Bösen. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_67 GEGEN DEN TREND ’2004 Paradies ist Sehnsucht. Menschen brauchen anscheinend einen Ort, an dem sich alles das befindet, was sie in ihrem Alltag schmerzlich vermissen oder an dem das, was ihnen lieb und teuer, nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist, sondern ewigen Bestand hat. Alle Religionen dieser Welt bedienen dieses Bedürfnis mit den unterschiedlichsten Vorstellungen und Erzählungen vom Paradies. In vielen Kulturen ist die Vorstellung eines Paradieses eng mit dem Symbol des Gartens verknüpft. Das deutsche Wort Garten meint einen eingefriedeten Bereich, einen Raum, aus dem Negatives ausgegrenzt wird, in dem der Friede wohnt. Wo bitte geht's zum Paradies? In allen Paradiesen der Menschheit sind Gerechtigkeit, Freiheit, Glückseligkeit, Harmonie und Frieden zu finden. Dazu die Aussöhnung mit der Natur, das friedliche Zusammenleben mit Flora und Fauna. In allen Paradiesen fehlen das Leiden und der Tod. GEGEN DEN TREND ’2004 Was wir in den Traditionen der Völker und ihrer Kulturen an Vorstellungen entdecken, lässt sich auch aus den Lebenserfahrungen des einzelnen Menschen erklären. Die Erfahrung der Geburt ist das wohl einschneidendste Erlebnis im Leben (vom Tod konnte noch keiner berichten). Aus der Wärme und dem Versorgtsein im Mutterleib wird man hinausgedrängt und in die kalte Welt geworfen. Fortan muss man für sich selber sorgen. Anfangs reicht ein Brüllen aus, um Nahrung und Zuwendung zu bekommen. Später wird es komplizierter. Kein Wunder, dass sich auch aus diesen Erfahrungen, die jeder Mensch gemacht hat, Mythen vom paradiesischen Urzustand der Menschheit ausgebildet haben. Das ganze Leben ist erfüllt von der Sehnsucht auf Rückkehr in die ursprüngliche Geborgenheit. Als Symbol für diese Sehnsucht haben die Menschen das Bild des Gartens gefunden. Hubertus Halbfass formuliert es so: „Die tatsächlichen Gärten des Orients geben unserer Mythe ihr symbolisches Vorbild: Gott nimmt die Menschen in einen Raum der Geborgenheit, in dem sie friedvoll leben können. Ähnliches erfährt ein Kind, wenn es gleich nach der Geburt von der Mutter umarmt und in der Folgezeit alle Stunden wieder in die Arme genommen wird. Die umfangenden Arme sind auch ein gart-Symbol. Der Wunsch, in den Armen eines anderen aufgehoben zu sein, ist aber nicht nur ein Kinderthema: Jeder Mensch träumt diesen Wunsch, wenn er sich nach Liebe sehnt – bis zu seinem Tod, ja sogar über den Tod hinaus... Die Geschichte vom Gottesgarten, der für die Menschen angelegt wird, sagt also: Ich, Gott, habe euch in meine Arme genommen. Seid euch 68_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN des Schutzes und der Geborgenheit in meinen Armen sicher. (aus: Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 7./8. Schuljahr, Düsseldorf 1990, S. 186) Zuspitzung Unsere biblische Tradition Die alttestamentliche Paradiesvorstellung knüpft an die Gartentradition altorientalischer Religionen an und führt sie weiter. In der Erzählung von Gen 2-3 wird weniger ein paradiesischer Urzustand vorgestellt, als vielmehr eine Deutung der Welterfahrungen der Gegenwart gegeben. Der Mensch, der im Garten Eden unter der Obhut Gottes sorgenfrei leben konnte, hat sich selbst aus diesem Zustand herausbewegt. Indem er das Verbot übertrat, vom Baum der Erkenntnis zu essen, ist er aus dem paradiesischen Urzustand herausgefallen und muss nun die Welt zur Kenntnis nehmen, wie sie ist: mit ihren guten und bösen Seiten. Gott wirft den Menschen aus dem Garten hinaus und verwehrt ihm eine Rückkehr. Wenn der Mensch erst einmal die Erkenntnis der Welt gewonnen hat, dann ist das ein unumkehrbarer Prozess. Es gibt keinen Weg wieder dahin zurück – das Paradies ging durch Erkenntnis, durch Bewusstsein für immer verloren. Deswegen ist die Vertreibung aus dem Paradies im Grunde genommen gar nicht mal in erster Linie ein Ortswechsel. Vielmehr ist es ein Wechsel der Wahrnehmung. Fortan wird der Garten zur Welt, die ungefiltert Wo bitte geht's zum Paradies? ins Bewusstsein dringt und verstanden wird. Der Fluch, mit dem Gott den Menschen zum Abschied belegt, ist weniger eine Verwünschung als vielmehr eine Entlassung in die Härte der Realität. Wer diese Geschichte erzählt bekommt, weiß wo er lebt und wie es um die Welt bestellt ist. Die Partnerschaft zwischen Mann und Frau ist zum Problem geworden. Die Arbeit zum Broterwerb ist um die Komponente der Mühsal erweitert worden. Es herrscht Feindschaft zwischen Mensch und Natur. Und vor allem: Die Rückkehr in den paradiesischen Urzustand wird verwehrt. Der Cherubim mit dem Flammenschwert bewacht den Eingang zum Garten Eden. Unvergessen die Filmszene in „Matrix“, in der der Rebell Cypher mit den Agenten um seine Rückkehr in die Traumwelt der Projektionen verhandelt – der geträumte Biss in das saftige Filetsteak ist ihm lieber als die Beschwernis der erkennenden Existenz. Doch in Wirklichkeit ist die Regression in den Urzustand absoluter Naivität nicht möglich. Eine Erkenntnis, ein Gedanke kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. So hält die biblische Erzählung in geschickter Weise fest, was zur Situation des Menschen unabdingbar dazugehört: Er kann die Welt erkennen und muss sie gleichzeitig bewerten – in gut und böse, in Lust und Schmerz, in Freud und Leid. Im Paradies gab es weder Erkenntnis noch Bewertung und das war gut so. 6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Am Ende wird es wieder sein wie am Anfang. Der Friede Gottes wird die Welt durchdringen und ein versöhntes Miteinanderleben ermöglichen. Farbe bekennen Was bedeutet „Paradies“ in unserer Arbeit mit Jugendlichen? Mit Paradiesen werden Jugendliche tagtäglich konfrontiert. Auf dem Weg zur Schule kommen sie an Wasser-, Bier-, Betten-, Bücher-, Bräunungs-, Fingernagel- und sonst was für Paradiesen vorbei. Mit ihren Eltern grübeln sie, in welchem Urlausparadies sie dieses Jahr die Ferien verbringen wollen. In unzähligen Werbespots sind sie den Paradiesversprechungen der Werbeindustrie ausgesetzt und müssen zusehen, dass sie ihre Wünsche unter Kontrolle behalten. Dabei träumen sie sich selbst in ihre eigenen Paradiese hinein, erdenken sich Welten in denen Friede und Gerechtigkeit herrscht und die Natur wieder intakt ist. Mit der ersten Liebe schweben sie sogar noch über das Paradies hinaus in den siebten Himmel („If paradies is half as nice as heaven you take me to – who needs paradies?“ sang dereinst die Gruppe Amen Corner). TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_69 GEGEN DEN TREND ’2004 Wenn aber die Rückkehr verwehrt ist, was bleibt dann dem Menschen, um mit der friedlosen Gegenwart fertig zu werden? Die reine Wirklichkeit ist zu wenig, um daraus Kraft und Hoffnung zu schöpfen. Deswegen werden Motive der Paradiesgeschichte auch wieder zu Hoffnungsbildern für die Zukunft. So greifen die Heilsweissagungen im Buch des Propheten Jesaja diesen Fluch Gottes wieder auf, um die Vorstellung vom zukünftigen Heil zu beschreiben: Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt. (Jesaja Kap.11, 6 – 9) Wo bitte geht's zum Paradies? Ihr Zimmer gestalten Jugendliche als einen Ort, an dem sie sich aufgehoben und geborgen fühlen – das eigene Zimmer ist ein Paradies, in das man zurückkehren kann, wenn man möchte, wenn man einmal aus der bösen Welt abtauchen muss. Auf dem Weg in die Welt scheint man einen Ort zu brauchen, an dem man aufgehoben ist mit seinen Enttäuschungen und Ängsten, einen Ort, an dem man neue Kräfte schöpfen kann. Regression ist nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, sie kann auch ein notwendiges Innehalten vor dem nächsten Schritt sein. GEGEN DEN TREND ’2004 Als Verlockung, als Traum- und Rückzugsort begegnet Jugendlichen eine Vorstellung vom Paradies. Die Frage ist, welche Vorstellungen in der religionspädagogischen Arbeit mit Jugendlichen thematisiert werden sollen. Sinnvoll wäre es, ein Gegengewicht zu den regressiven Tendenzen zu schaffen und das Paradies als einen Gedanken zu begreifen, der Zukunft eröffnet. Lange Zeit stand alles, was mit dem Thema Paradies zusammenhing – man denke hier z. B. an Ewigkeit, ewiges Leben, Reich Gottes – unter dem Verdacht der Vertröstung. Bekannt ist die These von Karl Marx, Religion (und damit die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod) sei „Opium für das Volk“. Hoffnungsbilder wie das des Paradieses sollten die Menschen von der Wirklichkeit ablenken und ihnen den Mut und die Kraft zur Veränderung der Verhältnisse nehmen. Natürlich wird man sich dem sachlichen Gehalt dieser These nicht entziehen können und in der kirchlichen Verkündigung hat es viel solches „Opium“ gegeben. Trotzdem ist zu fragen, ob solche Hoffnungsbilder nicht auch eine wichtige, ja, vielleicht sogar unentbehrliche Funktion haben. Leben in dieser Welt ist immer gefährdetes Leben. Das Wissen darum ist tief in der Menschheit verwurzelt. Die Erfahrungen von Leiden und Sterben sind umso schmerzhafter geworden, je mehr sich die Denkfähigkeit des Homo Sapiens ausgebildet hat. Die Vorstellungen 70_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN von einem „Danach“ sind ein Produkt menschlicher Intelligenz, die weiter fragt, auch über den begrenzten Horizont eines Lebens hinaus. Dass diese Vorstellungen mehr sind als nur eine Vertröstung auf ein besseres Jenseits zeigen verschiedene Religionen ganz deutlich. Der Gedanke an ein Paradies ist immer auch verbunden mit der Frage der Zulassung: Wer wird einmal durch die enge Pforte hindurch dürfen? Bei den Ägyptern war es der Gott Osiris, der die Herzen der Verstorbenen auf seine Waage legt und mit dem Gewicht der Maat (Wahrheit) wiegt. In der populären Form der christlichen Paradiesvorstellung steht Petrus vor dem himmlischen Tor und gewährt oder verweigert den Zutritt. Im offiziellen Glaubensbekenntnis ist es allerdings Jesus Christus selbst, der Lebende und Tote richten wird. Der Zugang zu den ewigen Wonnen ist geknüpft an ein entsprechendes Leben im Diesseits. Das Leben ist wie der Aufstieg auf einer steilen Leiter hin zum Himmel, wobei es gilt, den Versuchungen des Lebens bzw. des Versuchers zu widerstehen. Es ist also keineswegs so, dass die Vorstellung eines paradiesischen Ortes jenseits dieser Welt nur vertröstenden Charakter hat. Es ist auch ein Bild, das Kräfte zur Gestaltung des Lebens wach ruft. In der Hoff- Wo bitte geht's zum Paradies? nung auf Belohnung in der Ewigkeit wird sich im Leben jetzt darum bemüht, das Gute zu tun. Seit Luther hat es einen nicht unerheblichen Wandel in dieser religiösen Auffassung gegeben: Nunmehr ist nicht die Leistung des Guten die Voraussetzung für die Aufnahme ins Paradies, vielmehr wird die Zukunft bei Gott, die als Geschenk über den Menschen kommt, zum Antrieb, ein Leben zu führen, das dem zukünftigen Sein schon jetzt entspricht. Das Gute tun in der gewissen Zuversicht, dass man einmal bei Gott gut aufgehoben sein wird. Die Vorstellung des Paradieses ist zum einen also ein Trostgedanke, der dem Menschen über das Woher und Wohin des Lebens, das dem Erkennen verborgen ist, etwas zum Glauben gibt. Aus dem Paradies bist du gekommen und dorthin wirst du zurückkehren – dieser Zuspruch kann zum anderen Hoffnung wecken und damit dann auch Energien zur Gestaltung des Lebens freisetzen. Transfer, Vermittlung, Umsetzung Zum Thema „Traumort“: Phantasiereise in mein Paradies Mit einer Phantasiereise können die verborgenen Bilder und Vorstellungen von Paradiesen Jugendlichen bewusst gemacht werden. Ziel könnte dabei sein, zum einen die jeweils individuelle Prägung der Vorstellungen wahrzunehmen, zum anderen, die gemeinsamen Elemente in der Verschiedenheit zu entdecken. (Diese Phantasiereise wurde entwickelt von Sibylle Beckmann, Lehrerin am Kurt Schwitters Gymnasium, Hannover) TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_71 GEGEN DEN TREND ’2004 Wir machen uns nun auf den Weg und unternehmen eine Reise, eine Phantasiereise. Schließt die Augen - so kann man gut träumen, nicht schlafen. Setz dich möglichst bequem hin und konzentriere dich darauf, wie du deinen Körper spürst. Fühle deine Füße bis in die Fußspitzen - deine Beine - die Schultern - Arme und Hände. Du bist ganz ruhig und entspannt. Achte auf deinen Atem, das Ein- und Ausatmen. Während du so dasitzt - mit geschlossenen Augen - und deine Aufmerksamkeit ganz auf deinen Körper und deinen Atem gelenkt hast, denkst du dich weg aus dem Klassenraum, aus der Schule. Du bist an einem Ort, an dem du schon immer sein wolltest. Es ist der Ort deiner Träume, du fühlst dich wohl und nimmst deine Umgebung intensiv wahr: das Licht - die Farben – die Gerüche – die Geräusche. Mit all deinen Sinnen nimmst du diesen Ort in dir auf. Vielleicht verweilst du an einigen Einzelheiten auch etwas länger. Du bewegst dich von diesem Ort fort, nimmst Veränderungen in deiner Umgebung wahr, vielleicht begegnet dir jemand. Du empfindest eine innere Zufriedenheit und fühlst dich als Teil dieses Ortes. Tief in deinem Inneren bist du dir sicher, in deinem Paradies angekommen zu sein. Du spürst, wie du einatmest und ausatmest. Nach und nach verlässt du diesen Ort, du spürst, wie du sitzt, wie deine Füße den Boden berühren, den Stuhl, auf dem du sitzt. Du kehrst zurück in die Klasse und machst die Augen wieder auf. Du greifst - ohne zu sprechen - zu deinem Stift und schreibst auf, was du auf dieser Reise gesehen, was du erlebt hast. Wo bitte geht's zum Paradies? Nach dieser Phantasiereise können die Jugendliche entweder Texte schreiben, in denen sie ihre Phantasien ausdrücken (Vgl. unter Punkt 7 A die Textsammlung) oder sie können kreativ etwas gestalten – man kann zum Beispiel an Stelle des üblichen DIN-A-4-Bogens auch runde Papp- oder Tortenteller (im Gastronomiebedarf erhältlich) verteilen, die dann zu gestalten sind. ohne Konflikte ist, die über allen Konflikten aber eine gemeinsame Grundlage hat, die alle verbindet: die Beziehung zu Gott. Plötzlich kann auch die Erkenntnis wachsen, dass Paradies vielleicht auch etwas mit Gemeinschaft zu tun hat und weniger ein individuell-einsamer Ort der Glückseligkeit ist. Paradies ist dort, wo Gottes Friede Menschen verbindet – das kann jetzt sein und wird hoffentlich einmal dereinst sein. Weiterführende Aufgabenstellung wäre dann zunächst ein Vergleich der Ergebnisse. Welche Vorstellungen kommen bei allen vor? Welche sind ganz individuell? Welche Elemente alter Paradiestraditionen tauchen auf? Zum Thema „Vertreibung aus dem Paradies“: Den Schock der Erkenntnis erleben GEGEN DEN TREND ’2004 Zum Thema „Urlaubsparadiese“: Die Gemeinschaft der Heiligen als Schutzraum und Vorgeschmack aufs Paradies Wer kennt nicht die Abschiedsszenen bei Sommerfreizeiten der Evangelischen Jugend: Man liegt sich in den Armen, die Tränen kullern und nur mühsam kann man sich von denen trennen, die in zwei oder drei Wochen zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen sind. Manchmal wird auch der direkte Vergleich nicht gescheut: „Es war wie im Paradies!“ Fragt man, was der Grund für dieses Gefühl ist, wird in der Regel von der guten Gemeinschaft gesprochen: „Hier kann ich leben, ohne Angst haben zu müssen. Angst nicht gut anzukommen, Angst die falschen Klamotten zu haben, die falsche Meinung zu äußern. Ich bin akzeptiert von den anderen.“ So brachte es jüngst eine Teilnehmerin auf den Punkt. Christliche Gemeinschaft als Schutzraum, in dem man sich endlich einmal entfalten darf. Auch Jugendgruppen oder Religionskurse können zu solchen Schutzräumen werden, in denen die Ahnung vom Paradies wieder aufleben kann. Offene Gespräche und das gemeinsame Angewiesensein auf Vergebung lassen ein besonderes Klima entstehen, in dem gute Gemeinschaft wachsen kann. Gemeinschaft, die nicht 72_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Auf einer Sommerfreizeit inmitten der wilden schwedischen Natur behandelten wir mit den Jugendlichen die Themen der Urgeschichte. Die Vertreibung aus dem Paradies wollten wir den 45 Teilnehmenden möglichst hautnah vermitteln. Dazu ließen wir alle sich unter einen großen weißen Fallschirm setzen, den wir am Ast eines Baumes aufgehängt hatten. Unter der großen Kuppel saßen nun alle dicht gedrängt und lauschten der Erzählung von der Erschaffung des Paradiesgartens. Im Hintergrund konnte man leise die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi hören. Durch die weiße Fallschirmseide fiel ein weiches Licht - wir konnten einander wahrnehmen, aber nicht sehen, was um uns herum war. Dann kam die Stelle mit der Schlange und dem Apfel. Als es hieß „…und ihnen wurden die Augen aufgetan“ änderte sich die Musik („Titan“ von Mahler) und der Fallschirm wurde ruckartig hochgezogen. Von einem Augenblick zum anderen konnten wir die Welt bzw. Natur um uns herum sehen. Gleichzeitig spürten wir, wie ein kalter Wind uns frösteln ließ (unter dem Fallschirm war es angenehm warm gewesen). Gleichzeitig eröffnete sich ein weiter Raum, der zuließ, dass man weiter voneinander abrückte. Anhand der verschiedenen Erfahrungen konnten dann die Ambivalenz thematisiert werden, die der Verlust des Paradieses bedeutet (Erkenntnis- und Raumgewinn bei gleichzeitigem Verlust der Geborgenheit). Wo bitte geht's zum Paradies? Weiterführende Fragestellungen In vielen Mythen und Märchen wird die Zerbrechlichkeit des Paradieses betont. Menschen kommen immer wieder in paradiesische Zustände – allerdings nicht für sehr lange. Bewusst oder unbewusst werden die Gebote verletzt, die das Paradies schützen sollen. Ein schönes Beispiel dafür ist die folgende Geschichte aus dem Kulturkreis der Inuit: Die Seele des Wals und das brennende Herz Es war einmal ein dummer und gespreizter Rabe, der zum Meer flog, weit, weit hinaus. Er flog und blieb am Fliegen, weit und immer weiter, und als er müde wurde und nach Land ausspähte, da war kein Land mehr da. Zuletzt war er so müde, dass er sich nur noch etwas über der Wasseroberfläche halten konnte. Und als plötzlich ein großer Wal dicht vor ihm auftauchte, wurde er so verwirrt, dass er diesem geradewegs in den Schlund hinein flog. Einen Augenblick blieb es dunkel um ihn herum. Es sauste und plätscherte, und als er schon glaubte, sterben zu müssen, taumelte er in ein Haus hinein, in ein schönes und reizendes Haus, wo es hell und warm war. Auf der Schlafbank saß eine junge Frau und machte sich an einer brennenden Lampe zu schaffen. Sie erhob sich, ging freundlich auf den Raben zu und sagte: »Du bist mir als Gast willkommen, wenn du mir nur einen einzigen Wunsch zu erfüllen gelobst: Du darfst niemals meine Lampe anrühren.« Der Rabe, der nun zur Ruhe gekommen war und seine Angst vergessen hatte, fing an, neugierig zu werden. »Was kann das sein, dass ich die Lampe nicht anrühren darf?« dachte er; und jedes Mal, wenn die Frau hinausschlüpfte und er allein blieb, bekam er immer größere Lust, sein Versprechen zu brechen und hinzugehen, um die Lampe - nur ein ganz klein wenig - zu betasten. Zuletzt konnte er seine Neugier nicht länger zügeln, und als die Frau wieder zur Tür hinausschlüpfte, sprang er hin und berührte den Docht der Lampe. Im selben Augenblick taumelte die Frau kopfüber zur Tür hinein, fiel auf den Fußboden und blieb da liegen, während die Lampe erlosch. Zu spät bereute der Rabe, was er getan hatte; er schwankte umher in schwarzer Finsternis; das schöne, helle Haus war nicht mehr da. Er war nahe daran, zu ersticken. Er irrte zwischen Speck und Blut umher, und so heiß wurde es, dass seine Federn abfielen. Halb erstickt taumelte er im Bauch des Wals umher, und nun erst begriff er, was geschehen war. Die junge Frau war die Seele der Walin. Sie schlüpfte zur Tür hinaus in die frische Luft jedes Mal, wenn die Walin Atem schöpfen musste, und ihr Herz war eine Lampe mit großer und ruhiger Flamme. Der Rabe hatte aus bloßer Neugier das Herz der jungen Frau berührt, und darum war sie gestorben. Er wusste nicht, dass das Feine und Schöne auch zerbrechlich, vergänglich und leicht zu vernichten ist, denn er selbst war dumm und von zähem Leben. Nun aber kämpfte er um sein Leben in Finsternis und Blut. Alles, was zuvor schön und rein war, war nun TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_73 GEGEN DEN TREND ’2004 Der Rabe war glücklich, dass er sein Leben gerettet hatte, und beeilte sich, ihr zu versichern, dass er die Lampe niemals anrühren würde. Dann setzte er sich auf die Schlafbank und wunderte sich, wie fein und rein es in dem kleinen Hause war. Es war ein Haus aus Walfischknochen, gebaut wie die Wohnungen der Menschen, und alles darin war so eingerichtet wie bei den Menschen. Aber eine seltsame Unruhe lag über der jungen Frau; sie saß niemals längere Zeit still; in kurzen Zwischenräumen erhob sie sich von der Schlafbank und schlüpfte zur Tür hinaus. Es dauerte nur einen Augenblick, dann kam sie wieder herein; aber gleich danach war sie wieder fort. »Was macht dich so unruhig?« fragte der Rabe. »Das Leben«, antwortete die junge Frau, »das Leben und mein Atemzug.« Aber diese Antwort verstand er gar nicht. Wo bitte geht's zum Paradies? hässlich und übel riechend geworden. Endlich glückte es ihm, auf dem gleichen Wege hinauszuschlüpfen, auf dem er hineingekommen war, und da saß er nun, ein halbnackter Rabe, beschmiert und besudelt, auf dem Rücken eines toten Wals. Hier blieb er sitzen und lebte vom Aas, während Wind und Wellen ihn hin und her warfen. Seine Flügel waren zerbrochen durch Hitze und Blut, so konnte er nicht mehr fliegen. Ein Sturm trieb ihn endlich dem Land zu. Die Menschen sahen den toten Wal und ruderten in ihren Booten hinaus, um Speck und Fett zu bergen. Als der Rabe sie sah, verwandelte er sich augenblicklich in einen Mann, in einen kleinen, hässlichen, dunkelhäutigen und zerzausten, struppigen Mann, der oben auf dem Wale stand. Er sprach gar nicht davon, dass er aus lauter Neugier ein Herz angerührt und etwas Feines und Schönes zerstört hatte; er prahlte nur überheblich: »Ich bin es, der den Wal getötet hat! Ich bin es, der den Wal getötet hat!« Und er wurde ein großer Mann unter den Menschen. (H. Halbfas, Religionsbuch für das 7./8. Schuljahr, Düsseldorf 1990 S. 187f.) Es kann sich lohnen, mit Jugendlichen auf eine Endeckungsreise zu den in dieser Geschichte verborgenen zu gehen. Ist es doch ein merkwürdiges Paradies, das da beschrieben wird. Vielleicht kämpfen zwei Stimmen in dem Raben miteinander, bevor er zu der unheilvollen Tat schreitet. Was sagen diese Stimmen? Vielleicht denkt die Frau bei ihrem letzten Gang nach draußen noch darüber nach, ob sie den Raben wirklich allein lassen kann. Hat sie keine Möglichkeit, das Licht zu schützen? Vielleicht interviewt ein findiger Reporter den nun mehr berühmten Mann nach einigen Jahren über den Grund seines Erfolges. Inzwischen hat er einiges recherchiert. Eine weiterführende Fragestellung könnte sein, welche Beispiele es in der Geschichte und in der Gegenwart dafür gibt, wie Menschen selber paradiesische Zustände zerstören und welche geheimnisvollen Kräfte sie dazu eigentlich antreiben. Materialien – Literatur GEGEN DEN TREND ’2004 A Texte von Schülerinnen und Schülern der 10 Klasse eines Gymnasiums nach der Phantasiereise zu ihrem Traumort/ihrem Paradies (Diese Texte wurden von Sibylle Beckmann, Lehrerin am Kurt Schwitters Gymnasium in Hannover, zur Verfügung gestellt): 1 Ich war auf einer Insel irgendwo im Mittelmeer. Es war angenehm warm. Man hörte das Meer, die Tiere und die Einheimischen, die auf ihren Instrumenten Musik machten. Ich ging barfuss im lauwarmen Sand entlang und genoss die Stille, die Palmen, das gute Wetter, den blauen Himmel, die ganze Atmosphäre. Nur nette Menschen, die mich einluden mit ihnen zu tanzen. 74_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Wo bitte geht's zum Paradies? 2 Ich war in einer Art Wald, wo es weiße Blütenblätter von den Bäumen herabschneite. Die Bäume waren sehr hoch und ich konnte das Moos unter meinen Füssen spüren. Durch die Bäume hindurch schienen Lichtstrahlen, die den ganzen Wald warm und hell machten. In der Nähe war ein kleiner Wasserfall, der zu einem Bach wurde. In dem Wasser sah ich Fische und Frösche. Das Wasser war warm und angenehm kühl zugleich. Ich ging weiter den Bach entlang und kam zu einer Biegung. Ich ging weiter und entdeckte eine Lichtung, in der an großen Büschen Beeren waren. Ich sammelte welche und aß sie. Sie schmeckten süßlich. Danach war ich wieder im Klassenzimmer. 3 Ich habe zuerst an meinen bisherigen Urlaub gedacht. Ich habe nach Orten gesucht, die mir gefallen haben oder mir gefallen könnten. Ich war in Afrika am Strand, in Spanien, an unserer Promenade am Strand, wo wir immer lagen, in den Bergen. Ich merkte, keiner dieser Orte war perfekt. Dann kam ich darauf, war mir wichtig ist: Strand und Meer, warme, aber nicht heiße Temperatur. So kam ich plötzlich auf Cuxhaven. Ich sah den Strand, die Promenade, das Restaurant, die Leute vor mir. Ich sah mich in frühere Zeiten versetzt, erinnerte mich. Es war angenehm warm, aber nicht zu heiß. Es war Betrieb am Strand, aber nicht zu voll. Ich fühlte mich völlig frei, ohne Sorgen. Das Überlegen, das Suchen nach dem „Paradies“ dauerte ziemlich lange, so konnte ich nicht wirklich diesen Ort genießen. So musste ich nach kurzer Zeit schon wieder zurück. 5 6 7 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_75 GEGEN DEN TREND ’2004 4 Ich war an einem schönen kilometerlangen Strand in Australien, dem Bonday Beach. Im Hintergrund konnte ich die Metropole Sydney sehen, riechen und spüren. Ich lag einfach nur im Sand und guckte den Surfern beim Surfen zu. Ich konnte außerdem jede Menge Leute sehen die lachten, sangen und denen man anmerken konnte, dass sie sich ebenfalls wohl fühlten an diesem Ort. Als ich mich schließlich entschloss aufzustehen und den Strand entlang spazieren zu gehen, sah ich jede Menge Souvenirshops, in denen man viele nette Sachen kaufen konnte. Am Ende ging ich noch in die Innenstadt, wo man die Freundlichkeit der Menschen ebenfalls spürte. Viele grüne Plätze und Parks erinnern mich an meine Zeit als kleines Kind und die Wolkenkratzer an meine Träume als Kind. Wo bitte geht's zum Paradies? 8 Das Paradies bedeutet für mich, an einem schönen und einsamen Ort zu sein. Irgendwo, wo man ungestört nachdenken und die Ruhe genießen kann. An einem Ort, wo man frei ist und alles tun kann, was man möchte und wo es keine Schmerzen, keine Angst und auch keine Gewalt gibt. Wenn ich das Wort Paradies höre, denke ich an weite Wälder, die von Menschen unberührt sind und an das Meer. Andererseits ist das Paradies auch die Gemeinschaft mit anderen Menschen für mich, mit denen man reden und Gefühle austauschen kann. Das Paradies muss aber auch kein bestimmter Ort sein, sondern man kann es auch im Alltag finden, wenn man sehr glücklich ist zum Beispiel. GEGEN DEN TREND ’2004 9 Ich war in einem Zimmer mit zwei Fenstern. An der Wand sah ich Bilder und in einem Regal einen Stapel Zeitungen und Bücher. Es war warm und roch nach Sommer. Noch jemand war im Zimmer. Doch ich habe nur einen Schatten sehen können. Ich sah, dass der Fernseher lief, aber ich habe nichts gehört. Niemand hat gesprochen. Trotzdem habe ich mich sehr wohl gefühlt. 10 Mein Zimmer ist mein Paradies. Wenn ich die Tür hinter mir schließe, habe ich das Gefühl von Freiheit. Ich öffne alle Fenster und kann ganz tief einatmen, ohne Angst davor zu haben, dass ich mich mit irgendwelchen Abgasen vergiften könnte. Ich mache Musik an und lege mich auf den Boden. Hier kann ich die Musik nicht nur hören sondern auch spüren. Wenn ich die Augen schließe, fühle 76_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ich mich manchmal, als würde ich schweben. Mein Zimmer ist meine kleine Welt, die ich mir ganz allein geschaffen habe, mit allen Sachen, die ich liebe. In meinem Paradies bin ich gerne alleine. Aber manchmal brauche ich hier auch ein bisschen Gesellschaft. In meinem Zimmer habe ich das Sagen, ich kann tun und lassen was ich will. Das ist etwas sehr Wichtiges für mich. Ich brauche einen Raum, in den ich mich zurückziehen kann. B Eine Predigt von Dorothee Sölle über die Vertreibung als Befreiung Der Baum der Erkenntnis und der Baum des Lebens: Predigt über 1. Mose 3,13-24 Liebe Schwestern, wir stehen in einer Tradition, die uns beleidigt. Von der Rippe bis zur Hexe bis zur “Emanze” - ein Beleidigungszusammenhang. ... Gegen diese Beleidigungstradition steht die der Befreiung. Schiller hat den so genannten Sündenfall als den glücklichsten Moment der Weltgeschichte verstanden. Die Wörter Sünde und Fall erscheinen im biblischen Text nicht, wohl aber das Wort vertreiben, austreiben. Austreibung ist eine Phase des Gebärens. Die Frucht wird ausgetrieben aus dem Mutterleib, in dem alles mühelos da war, Atem und Nahrung. Aber jetzt beginnt das Leben, die Arbeit, die Mühe und die Sexualität. Adam und Eva verlassen den Garten und kommen heraus in die Kälte und Härte des Lebens. „Coming out“ ist ein Wort, das in der homosexuellen Befreiungsbewegung eine große Rolle spielt. Es bedeutet, dass Menschen ihre Sexualität nicht mehr unter erniedrigenden und zerstörerischen Umständen geheim halten müssen. Coming out - herauskommen - ist ein Befreiungswort. Lasst uns die biblische Tradition im Sinne des Coming out verstehen. Die ersten Menschen kommen heraus, sie entdecken sich selber, sie finden die Freude des Lernens, das Glück des Schönen und die Erkenntnis. Lasst uns Wo bitte geht's zum Paradies? Eva loben, die das zuwege gebracht hat! Ohne Eva säßen wir noch immer auf den Bäumen. Wir wüssten nicht, was Erkenntnis bedeutet, ohne die Neugier der Eva. ... Aus: D. Sölle, Uns ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. dtv München 1987 Fragestellung: Erkenntnis oder Geborgenheit – Adam und Eva haben ihren ersten Ehekrach und diskutieren heftig, ob sie den Rat der Schlange befolgen sollen. Ralph-Ruprecht Bartels TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_77 GEGEN DEN TREND ’2004 Unsere Situation ist, dass wir von dem Baum der Erkenntnis gegessen haben, der Baum des Lebens aber nicht erreichbar ist. Wir können erkennen, Erkenntnis gewinnen, Verantwortung tragen, aber das Leben ist nicht in unserer Hand. Das ewige Leben ist uns verwehrt und unser tiefster Wunsch, zurück ins Paradies zu kommen, geht darauf, auch von dem anderen Baum zu essen und eins mit dem Leben zu sein. Wenn Christus den Cherub, der das Paradies bewacht, vertreibt, sodass wir wieder ins Paradies können, wenn er heut wieder aufschließt die Tür, so nicht in dem Sinn, dass wir dann in einer Art adamitischer Unschuld leben, sondern damit wir mehr Anteil am Leben haben und auch von dem Lebensbaum essen. Solange wir hier sind, haben wir Erkenntnis und kein ewiges, vollkommenes Leben. ... Gibt es eine Aussöhnung zwischen den beiden Traditionen, der der Unterdrückung und der der Befreiung? Ist Gott der eifersüchtig über seine Privilegien wachende Unterdrücker oder will er unsere Stärke, unser Wachstum, unser Coming out? Sind wir schuldig, wenn wir die Freiheit wählen, das Risiko, die Erkenntnis, die Fremde? Oder sind wir fähig, Menschen, Männer und Frauen, miteinander Menschen zu werden? Die Gesamtbotschaft der Bibel sagt, dass Gott auf unserer Seite steht, auf unserer Seite in unserem Herauskommen. Er flucht nicht nur, weil wir da raus mussten. Sondern er geht mit uns. Er hilft uns auf unserem langen Weg zur Menschwerdung. Der schönste Vers dieser Geschichte für mich ist der einundzwanzigste. Da heißt es: “Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und kleidete sie.” Es war kalt auf der Erde und es ist immer noch kalt. In der jüdischen Tradition gibt es eine Lehre davon, dass Menschen Gott nachahmen sollen. Sie sollen heilig sein, wie Gott heilig ist. Sie sollen die Werke Gottes tun, das ist, Gerechtigkeit üben. Lasst uns tun, was Gott tut. Die Schlange hat nicht gelogen. Es ist möglich, auch die Nackten auf dieser Erde, dieser kalten Erde, heute zu kleiden. Dorothee Sölle, 1987 Wo bitte geht's zum Paradies? Mein persönliches Paradies/Mein Lebenstraum (Eine Gegenstandsmeditation) Zeitrahmen/Dauer: Ca. 3 Stunden, abhängig von der Gruppengröße. Tageszeit: Eher nachmittags oder abends und in jedem Fall ohne Zeitbegrenzung von außen (z. B. Essenläuten o. Ä.). Phase 2: Gruppengröße: Maximal 10 Personen, die sich bereits vertraut sein sollten. Phase 4: Phase 3: Phase 5: Material: CD-Player/Kassettenrecorder entsprechende Meditationsmusik Tuch Raum: Stuhl- oder Sitzkreis in möglichst ungestörter Lage. Eine Gegenstandsmeditation ist eine gute Möglichkeit, sich (angestoßen durch Gegenstände und Symbole) über die eigenen Einstellungen, Gedanken, Gefühle, Träume und Wünsche bewusst zu werden und darüber in einer Gruppe ins Gespräch zu kommen. GEGEN DEN TREND ’2004 Nach Darstellung der aufeinander folgenden 8 Phasen folgt die Beschreibung einer mit Jugendlichen im Rahmen eines Seminars durchgeführten Gegenstandsmeditation. Ich habe eine erzählende Darstellung gewählt, weil damit die Methode anschaulicher wird. Phasenmodell einer Gegenstandsmeditation Phase 1: Themenfindung Grundsätzlich eignet sich diese Methode für den Einstieg in Themenbereiche, 78_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Phase 6: Phase 7: Phase 8: deren Beurteilung von Erfahrungen und Werthaltungen bestimmt ist und die einen direkten Lebensbezug hat, hier: „Mein persönliches Paradies/Mein Lebenstraum“. Einstimmung und methodische Hinweise (ca. 5 Minuten) Suche nach Gegenständen, die Lebensträume symbolisieren können (ca. 1 Stunde) Eintreffen der Gruppe im Raum sowie Zeit zum Ankommen und Nachdenken (ca. 10 Minuten) Austausch über die Erfahrungen des Suchens (ca. 10 Minuten) Gespräch über die mitgebrachten Gegenstände (ca. 1,5 Stunden) Auswertung (ca. 5 Minuten) Evtl. Verabredung zur Weiterarbeit in Form von kreativer Arbeit, Sacharbeit, Andacht, Abschlussgottesdienst, Bibelarbeit o. Ä. Beschreibung: Wir hatten uns am Nachmittag zur Arbeit am Thema „Lebensträume, die Suche nach dem Paradies?!“ verabredet. Wichtig ist, zu Beginn wirklich nur das Nötigste über den Ablauf zu sagen. Zu viel nimmt etwas von der Spannung, zu wenig verunsichert und demotiviert eher. Je nach Grad der Vertrautheit in der Gruppe wird diese Einführung sicher unterschiedlich ausfallen. Ich habe wie folgt angefangen: „Ihr habt jetzt eine Stunde Zeit, um für euch allein in der Landschaft oder auf dem Gelände des Hauses, evtl. auch in eurem Zimmer, einen Gegenstand zu suchen, der eure Lebensträume, euer Bild vom Paradies symbolisiert. Diesen Gegenstand bringt bitte anschließend hierher mit. Euer Zurückkommen stelle ich mir so Wo bitte geht's zum Paradies? Musik angestellt, meinen Gegenstand auf das Tuch gelegt und gewartet. Nach und nach trudelten alle wieder ein. In Gedanken versunken legten sie ihre Gegenstände auf das Tuch, suchten sich einen Platz im Stuhlkreis und spürten dem nach, was sie in der letzten Stunde bewegt hatte. vor: Ihr werdet diesen Raum verändert vorfinden, z. B. werden die Tische weggeräumt sein... Hier in der Mitte wird ein Tuch liegen, auf das ihr dann bitte eure Gegenstände legt. Ich werde leise Meditationsmusik anstellen. Ihr setzt euch dann bitte still in den Stuhlkreis und lasst noch einmal das Erleben der letzten Stunde in euch nachklingen. Was hat euch bewegt? Was ist euch durch den Kopf gegangen? Wenn alle da sind und ich den Eindruck habe, dass wir weitermachen können, werde ich die Musik ausblenden und unseren nächsten Schritt einleiten. Sollte ich jemanden dabei in seinen Gedanken beschneiden, nehmt es mir bitte nicht übel. Eines ist noch wichtig: Wir brauchen nicht zu hetzen oder in Panik zu geraten, dass die Zeit zu knapp sehr könnte. Nach meiner Erfahrung haben wir ausreichend Zeit.“ Ja, und dann ging es los. Einige machten sich gemeinsam auf den Weg, um sich später dann doch zu trennen. Andere hingegen gingen gleich eigene Wege. Für fast alle war es seit langer Zeit wieder das erste Mal, zu erleben, mit sich selbst ganz allein zu sein, sich bewusst auf eigene Gedanken konzentriert einzulassen, über diese nachzudenken und Bilder und Gefühle in sich aufsteigen zu fühlen, Erinnerungen nachzuspüren und zu versuchen, all das mit einem einzigen Gegenstand auszudrücken. Als ich den Eindruck hatte, dass niemand mehr etwas sagen wollte, leitete ich die nächste Phase ein: Symbole haben die Eigenschaft, ganz unterschiedliche Gedanken und Gefühle auszulösen. Lasst euch in dieser Runde von den anderen Symbolen anstoßen. Jede/r kann etwas sagen, jeder Gedanke ist erlaubt. Wenn jemand den Eindruck hat, dass der/die VorgängerIn ausgeredet hat, ergreift er/sie selbst das Wort. Lasst die Gegenstände noch einmal auf euch wirken. Löst euch von eurem eigenen Gegenstand, denn ihr könnt nach und nach zu jedem Gegenstand etwas sagen und es fällt leichter, die Gegenstände dabei zu benennen. Unsere Gesprächsregel heißt, dass der Anfangswortlaut immer der gleiche sein soll, damit sich jede/r auf den Gegenstand einstellen kann. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_79 GEGEN DEN TREND ’2004 Ich habe in der Zwischenzeit den Raum verändert, die Musik vorbereitet und bin dann ebenfalls losgegangen, um selbst auch etwas zu suchen. Sicher nicht mit der neugierigen Unbefangenheit der Gruppenteilnehmerlnnen, aber ich wollte mich nicht ausschließen, bin dann zurück, habe die Das sachte Ausblenden der Musik war, wie es schien, wie ein Aufwachen. Als Einstieg haben wir uns erzählt, wie es uns ergangen ist. Es war erstaunlich und verblüffend, was so eine Phase des Alleinseins ausgelöst hat. Wo bitte geht's zum Paradies? Konkret: „Ich sehe die Zigarettenschachtel und dazu fällt mir ein... Der/Die Erste, der/die etwas sagt, legt damit den Gegenstand der ersten Runde fest und alle Assoziationen beziehen sich in dieser Runde auf die genannte Zigarrettenschachtel. Jede/r kann etwas sagen, niemand ist dazu gezwungen. Zusatz: Gegenstandsmeditation (konfrontativ) Man kann die eben beschriebene Meditation noch gut weiterführen: a) Konfrontation mit einem Kreuz Sie stellen nach der Austausch-Phase ein Kreuz mitten in die Gegenstände und eröffnen eine neue offene Gesprächsrunde mit der Frage: „Was ändert sich mit/in euch, nachdem ich das Kreuz hineingestellt habe? Wenn niemand mehr etwas sagt, hat der/die Besitzer/in der Zigarettenschachtel Gelegenheit, dazu zu sagen, was sie/er sich gedacht hat, was ihm durch den Kopf gegangen ist, was die Assoziationen der anderen in ihm/ihr ausgelöst haben und greift den Faden wieder auf: „Ich sehe den Stein und dazu fällt mir ein...“ Ihr werdet eine Menge über eure eigenen Symbole und damit über euch erfahren und ich denke, das bringt weiter und eröffnende Gedanken. Nun standen die anderen Symbole im Mittelpunkt - ein buntes Sammelsurium von Gegenständen: Ast mit trockenen Blättern - Blätter - ein Stein Abfall - ein Häufchen Sand - eine Stück Holz Alupapier - Steine - einzelne trockene Blätter GEGEN DEN TREND ’2004 Über 1,5 Stunden haben wir so Gedanken und Assoziationen ausgetauscht. Die Atmosphäre wurde durch die meditative Dichte immer offener und vertrauter und hielt sich bis in die Auswertung. So sehr hatte diese Methode etwas in Gang gesetzt und angestoßen, hatte motiviert und auf das Thema eingestimmt, dass eine ideale Ausgangslage entstand, in der wir nun intensiv weiter an und mit dem Thema: „Lebensträume/Mein persönliches Paradies“ gearbeitet haben. 80_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN b) die Gegenstände und das Tuch bleiben liegen (Neueinstieg nach einer Pause siehe oben) Sicher haben die Teilnehmenden dann schon mehr inneren Abstand, aber die Konfrontation mit dem Kreuz wird die religiöse und geistliche Dimension des Themas herausfordern. Harro Lange ›› Mir reicht's Wie geht's weiter? Mir reicht's - Wie geht's weiter? Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Mir reicht’s! Kein Wunder, denn eigentlich sollte es nur ein kurzer Aufenthalt in der Klinik sein. Seit ich im Rollstuhl sitze, gehören regelmäßige Untersuchungen zu meinem Leben. Einmal alles durchchecken lassen und gut, vielleicht vier Tage lang... Eine gute Gelegenheit zu lesen, mich aufs neue Semester vorzubereiten, Jugendarbeit weiter zu denken usw. Und dann? Aus den geplanten vier Tagen wurden geschlagene drei Wochen… Ja, sicher, natürlich bedauerten die Ärzte, dass da so einiges schief gelaufen war. Alles Kleinigkeiten, aber die genügten, um mich außer Gefecht zu setzen. Nachdem der erste Ärger verflogen war, wurde ich sarkastisch, das half mir ein wenig. GEGEN DEN TREND ’2004 Aber je länger ich lag, desto mehr grübelte ich. Die Situation, in der ich mich befand, zog mich runter, ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Zum Schluss schaffte ich kaum noch, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich konnte mich nicht einmal mehr aufregen. Ich hätte zwar allen Grund gehabt, zu Meckern, hab’s aber nicht getan. Denn was sollte das ändern? Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Und ewig werde ich ja nicht in der Klinik liegen müssen. Mit Aufregen mache ich es auch nicht besser. Oder? Mensch ärgere dich nicht! Das ist nicht nur der Name eines uns allen bekannten Spiels, sondern spiegelt auch einen Teil unserer Erziehung wider: „Es lohnt sich nicht, sich zu ärgern.“ Aufregen und was sagen? Damit würde sich auch nichts ändern. Lohnt es sich denn aber wirklich nicht? Kann man mit Ärger nicht auch anders umgehen? Muss es nicht eigentlich so sein, dass wir mit unserem Ärger so umgehen, dass er uns nicht runterzieht und dass wir ihn loswerden? Klar gibt es immer wieder Situationen, an denen man nichts ändert, egal wie sehr man sich darüber aufregt und ärgert. Doch manchmal kann man dadurch mehr bewegen, als man denkt. Diese Bitte, in ein Gebet gefasst, bringt es gut auf den Punkt: GOTT gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Woher soll ich nun aber wissen, was sich ändern lässt und was nicht? Vorhersagen sind da meist schwierig und zur Weisheit oder zu Erfahrungswerten, auf die ich zurückgreifen kann, komme ich nur, wenn ich mich immer wieder daran probiere. Nicht jede Erfahrung ist dabei positiv, deshalb gehört auch eine große Portion Mut dazu, es immer wieder neu auszuprobieren. Die Erfahrung allerdings, etwas ändern zu können, sich nicht weiter über etwas ärgern zu müssen, lohnt diesen Versuch. Denn auch dann gibt es immer noch genug Situationen, die sich nicht ändern lassen. Es dauert dann gerade bei den Dingen, die sich nicht ändern lassen, noch verflixt lange, bis einem die Gelassenheit gegeben ist, sie hinzunehmen. Beginnen wir einmal mit einer Situation, die auf den ersten Blick recht „harmlos“ erscheint, mit einer alltäglichen Kleinigkeit. 82_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Mir reicht's - Wie geht's weiter? In einer SMS simst mir Dirk diesen Satz: „Ich gehe am Samstag mit Britta auf die Fete.“ Was passiert nun? Meine Gedanken bleiben daran hängen und es gibt nichts Wichtigeres, als mir darüber Gedanken zu machen, was mich an diesem Satz so aufregt: „Hatte Dirk nicht mir versprochen, abends vorbeizukommen? Wollten wir uns nicht einen richtig gemütlichen Abend machen? Warum hat er mir nichts gesagt? Und warum ausgerechnet mit Britta? Die konnte ich noch nie leiden. Aber das ist ja auch wieder typisch für Dirk...“, usw. usw. usw. Wenn der erste Ärger verflogen ist, bleibt Zeit für ein genaueres Hingucken. Die erste Frage wäre, ob das eine Situation ist, über die sich das Aufregen überhaupt lohnt. Das hängt i. d. F. sicherlich von der Beziehung ab, die ich zu Dirk habe: „Ist er ein Kumpel oder will ich was von ihm oder... ?“ Und es hängt damit zusammen, wie ich ihn einschätze. Ist er ein vergesslicher Typ und hat einfach nicht daran gedacht, dass wir verabredet waren? Oder hat er mich schon öfter absichtlich hängen gelassen? Oder hat er noch nicht gemerkt, wie sehr ich ihn mag? Wenn ich dann feststelle, dass es mich zu Recht ärgert, ist die nächste Frage, wie ich reagiere. Zählt es zu den Dingen, die sich ändern lassen oder muss ich Dirk so hinnehmen, wie er ist? Schaffe ich es, so zu reagieren, dass wir hinterher noch immer befreundet sind? Oder falte ich ihn bei unserem nächsten Treffen so zusammen, dass es ihm richtig schlecht geht? Oder sage ich gar nichts und schlucke es runter? Ein anderes Extrem ist, dass man sich bei jeder Kleinigkeit aufregt und anfängt, sofort zu meckern, „Meckern als Hobby“ sozusagen. Das Problem dabei ist dann nur, dass das selten als Motivation genutzt wird, etwas an der Situation zu ändern. So verschallt auch angebrachte Kritik ungehört im Raum, weil die Person ja sowieso immer etwas auszusetzen hat. Als Wunschgedanken habe ich ein miteinander Umgehen im Hinterkopf, das dabei hilft, die Ärger-Situation abhaken zu können. Dass ich mit demjenigen, über den ich mich geärgert habe, anschließend wieder genauso unbelastet umgehen kann wie zuvor. Und dass ich es nahezu ausschließen kann, dass eine solche Situation wieder vorkommt. Es lohnt, sich zu ärgern und Kritik üben! Und dann gibt es da noch ganz andere Sachen, über die man sich aufregen könnte. Es vergeht sicherlich kein Schuljahr, ja wahrscheinlich nicht einmal eine Woche, in der man sich nicht z. B. über eine Lehrerin oder einen Lehrer aufregen kann. Genau wie in der Clique, der Familie, dem Verein, übers Fernsehen, beim Konfirmandenunterricht… Welche Dinge kann ich ändern, welche hingegen nicht? Wo sind mein Aufregen und mein Ärger angebracht und wie gehe ich damit um? Auch das weite Feld der Politik, sei es im In- oder Ausland, bietet ein reichhaltiges Angebot an Reibungsfläche. Bestes Beispiel dafür war der IrakTRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_83 GEGEN DEN TREND ’2004 Es gibt immer eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man auf eine Situation reagieren kann. Nicht alle Menschen nutzen die Gelegenheit, die belastende Situation zu klären und manchmal ist es auch gar nicht so leicht, eine richtige Entscheidung zu treffen. Doch alles einfach nur runterzuschlucken, ist auch keine Lösung. Spätestens, wenn man Bauchschmerzen bekommt, ist es höchste Zeit, den Ärger loszuwerden. Es fällt nicht immer leicht, solche „Aufreg-Situationen“ auszuräumen, selbst wenn ausschließlich Missverständnisse die Grundlage bilden. Mir reicht's - Wie geht's weiter? Krieg im Frühjahr 2003. Das Vorgehen der USA ist auch im Nachhinein nicht verständlich. Die vielen Menschen, die sich darüber aufregten, die ihre Kritik äußern wollten, fanden verschiedene Plattformen und Foren. Es gab etliche Veranstaltungen in allen Gesellschaftsschichten, die den Krieg zum Thema hatten, Protest-Mails wurden nach Washington geschickt und es gab weltweit große Demonstrationen. GEGEN DEN TREND ’2004 Leider war der Frust hinterher fast noch größer. Denn es befiel einen der böse Verdacht, dass das alles nichts gebracht hat. So viele Menschen, die sich berechtigt aufgeregt haben und das auch zum Ausdruck gebracht haben. Dennoch hat sich die USA davon augenscheinlich nicht beeinflussen lassen, es gab trotzdem Krieg. War damit alles umsonst? Eine Morgenandacht von Pfarrerin Annette Bassler aus Ober-Olm (Deutschlandfunk) zeigte mir einen anderen Aspekt: „Millionen von Menschen rund um den Globus sind in diesem Jahr auf die Straße gegangen und haben gewaltlos gegen den Krieg im Irak demonstriert. Doch der Krieg ist gekommen. Tausende von Männern, Frauen und vor allem Kindern sind unschuldig diesem Krieg zum Opfer gefallen. Sind getötet oder verstümmelt worden oder starben auf der Flucht vor den Bombardements. Und jetzt, nach dem Krieg, geht das Morden weiter. Vor wenigen Wochen ist eine Frau durch Deutschland gereist, die den Krieg im Irak aus nächster Nähe miterlebt hat. Seit mehr als vierzig Jahren lebt und arbeitet Ruth Pfau als Lepraärztin in Pakistan. Als die Unruhen losgingen, riet man ihr, das Land zu verlassen. Wie damals, beim Ausbruch des Krieges in Afghanistan. Aber sie blieb. „Wir waren wirklich nervös gewesen,“ erzählte Ruth Pfau an einem Abend in Mainz. „Vor dem Irak Krieg hatten 84_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN wir diese Serie von Terrorangriffen auf christliche Institutionen in Pakistan, völlig unsinnige Terrorangriffe, Todesopfer in einer Schule, einem Armenkrankenhaus, einer Menschenrechtsorganisation. Wir hatten große Angst, dass sich die Übergriffe ausweiten würden, dass die Leute in Pakistan den Islamisten glauben würden, die sagten: Alle Weißen, alle Christen wollen den Krieg, alle sind wie die Amerikaner. Die Bevölkerung in Pakistan war sehr aufgeregt, als der Krieg begann. Es gab riesige Demonstrationen mit antiamerikanischen Sprüchen. Aber nichts geschah, keine Übergriffe, keine Gewalt. Warum? Ruth Pfau wurde ganz aufgeregt, suchte den Blickkontakt zu den vielen jungen Leuten im Saal, von denen sie wusste, dass sie auf Friedensdemonstrationen waren. „In Pakistan, sagte sie, da kaufen sich die Leute – zu allererst einen Fernseher. Noch bevor sie sich eine Toilette einbauen lassen, kaufen sie sich einen Fernseher und informieren sich, was in der Welt passiert. Und als die Bombardements im Irak begannen und gleichzeitig in der ganzen Welt Menschen auf den Straßen für den Frieden demonstrierten, da hingen die Pakistani vor den Fernsehgeräten und konnten es kaum glauben. Aber sie konnten es sehen: Die Hetze der Islamisten hatte nicht gestimmt. Nicht alle Weißen wollen Krieg, nicht alle Christen sind für Gewalt gegen Muslime.“ Und dann schaute Ruth Pfau in die Runde und sagte: “Ihr habt mit Euren Demonstrationen einen historischen Bergrutsch ausgelöst! Es lohnt sich, sich für das Rechte einzusetzen - es gibt eine Kettenreaktion des Guten, wie es eine Kettenreaktion des Bösen gibt.“ Der Mut, nicht zu resignieren, sondern gewaltlos weiterzukämpfen, das ist wie eine ansteckende Gesundheit. Es macht stark, der großen Vision Jesu zu folgen. „Selig die Gewaltlosen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Auch wenn man lange Zeit nicht sieht, wofür es gut sein soll, es lohnt sich. Sagte Ruth Pfau. Es lohnt sich, es lohnt sich.“ Diese Andacht hat mir noch einmal bewusst gemacht, wie wichtig nicht nur eine Aktion ist, Mir reicht's - Wie geht's weiter? sondern sich später auch anzusehen, ob sich etwas verändert hat. Und zugegeben, meist sieht das Ergebnis anders aus, als man erwartet. Unzufriedenheit als Anstoß für Problembewusstsein Ärgern kann sich jeder. Die Unzufriedenheit kann dabei ein Anstoß sein, sich eines Problems bewusst zu werden. Der Umgang mit Ärger und Kritik wird mit ein bisschen Übung einfacher, denn es lässt sich die Erfahrung machen, dass sich etwas verändern lässt, angefangen bei zwischenmenschlichen Problemen, über Unzufriedenheit mit Organisationen und Institutionen bis hin zu sich verändernden gesellschaftlichen Strukturen. Deshalb hat das Erlernen vom Umgang mit Problemen auch einen festen Platz in der Erziehung. Erwachsene möchten den Nachwuchs zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit erziehen. Dazu gehört auch das Erlernen der Fähigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese auch vertreten zu können. Solange sich die Nachwachsenden widerspruchslos mit ihrer Meinung in das bestehende Gesellschaftssystem einreihen, kommt es auch nicht zu Schwierigkeiten. Dabei kann Veränderung, die auf neuen Sichtweisen basiert, ja durchaus positiv sein. Eine wichtige Vorrausetzung dafür ist aber die Bereitschaft zum gegenseitigen Dialog, zum Zuhören und Verstehen auf allen Seiten, die Bereitschaft sich mit den jeweils anderen Meinungen auseinander zu setzen und gemeinsam eine neue Position zu entwickeln. Ansonsten ist schon der Versuch, seine eigene Meinung einzubringen so frustrierend, dass man es das nächste Mal lieber gleich lässt. Nützlich ist eine Grundhaltung, die Ärger und Konflikt nicht ausschließt, sondern es möglich macht, Problemsituationen problemlos begegnen zu können. Gemeinsam über bestehende Probleme zu reden, beugt Stress vor. Gute Lösungsstrategien zu entwickeln, ist ein wichtiges (Lern-)Ziel für den Umgang miteinander. Es sollte im Unterricht auf jeden Fall stattfinden, auch wenn das Zeit in Anspruch nimmt. Immer Ärger mit Jesus So wie wir Jesus in der Bibel kennen lernen, scheint er zunächst mit Ärger nicht viel zu tun zu haben. Drei Stellen seien hier aber angeführt, in denen sich Jesus zum Aufregen, zum Ärgern ganz unterschiedlich verhält. In der ersten Situation (Joh 2,13-17) ist es Jesus selbst, der sich nicht nur aufregt, sondern auch TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_85 GEGEN DEN TREND ’2004 Wenn die nachwachsende Generation allerdings andere Perspektiven zu bestehenden Werten und Normen hat, tritt das auf, was man einen klassischen Generationskonflikt nennt. Die „alte“ Generation möchte ihr System erhalten, die „neue“ selbiges verändern. Wird aber die neue, andere Meinung wirklich ernst genommen, wird überhaupt danach gefragt? Es ist doch bequemer, so weiter zu machen wie immer und die Fäden nicht aus der Hand zu geben. In den 60-er Jahren führte dieser Generationskonflikt zur Studentenrevolte, bei der die damals nachwachsende Generation sich ihr Mitbestimmungsrecht erkämpft hat. Im Laufe der Zeit allerdings haben sie sich mehr oder weniger in genau das System integriert, das sie früher kritisiert hat haben. Von der heute nachwachsenden Generation wird jetzt wiederum erwartet, dass sie sich bitte ins System einreiht, am besten mit einer eigenen Meinung, die von der bestehenden nicht abweicht. Das gleiche Prinzip wiederholt sich. Mir reicht's - Wie geht's weiter? laut wird. Als er zum Passahfest nach Jerusalem kommt, befinden sich eine Reihe Händler und Geldwechsler im Tempel. „Ihr macht ja eine Räuberhöhle aus diesem Gotteshaus. Ihr habt hier nichts zu suchen!“ Es platzt ihm sozusagen der Kragen und er jagt die Händler ziemlich rabiat aus dem Tempel. Die Jünger erschrecken darüber und einem Jüngern fällt dazu ein Prophetenwort ein: „Der Eifer für dein Haus wird mir den Tod bringen.“ An anderer Stelle ist Jesus bei Simon zum Essen eingeladen (Lk 7,36-50). Eine junge Frau nähert sich Jesus. Weinend salbt sie seine Füße und trocknet sie mit ihrem Haar und küsst sie. Jesus hielt sie nicht davon ab. Sein Gastgeber sagt zwar nichts, regt sich innerlich aber doch auf. Er denkt: „Wenn Jesus wirklich ein Prophet wäre, wüsste er auch, dass diese Frau eine Sünderin ist. Dann würde er sich auch nicht mit ihr abgeben.“ Das passt nun gar nicht in sein Bild von ihm. GEGEN DEN TREND ’2004 Jesus bemerkt den Unmut sehr wohl und erzählt Simon ein Gleichnis: „Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er’s beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?“ Simons Antwort: „Ich denke der, dem er am meisten geschenkt hat.“ Daraufhin erklärt Jesus Simon, wie hoch er schätzt, dass die Frau seine Füße gesalbt hat, mit ihren Haaren getrocknet und geküsst hat. Simon hatte zum Empfang ja weder sein Haupt, noch seine Füße gesalbt. Für Jesus war klar: „Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ In diesem Abschnitt wird deutlich, dass Jesus in Ärger-Situationen gerne als Vermittler auftritt. Er schafft es, durch seine Art Verständnis zu wecken. Er schafft es, demjenigen, der sich ärgert, einen 86_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Spiegel vorzuhalten. Außerdem kommt bei ihm noch eine weitere Dimension zu tragen: Vergebung. Die dritte Stelle soll deutlich machen, wie sehr sich Jesus selbst zum Ärgernis macht. Er hatte ein Talent, an den Sichtweisen der Menschen beständig zu rütteln, die zur damaligen Zeit das Sagen hatten. Er versuchte in Erinnerung zu bringen, dass Gott es gut mit allen Menschen meint, die an ihn glauben: ohne Vor- oder Gegenleistung. Ob bei ihm am Anfang auch das Aufregen stand, erfahren wir nicht, ein großes Stück Unzufriedenheit war anfangs jedoch bestimmt dabei. Doch wenn er anfängt zu reden, stellt sich das Gefühl ein, dass er genau weiß, wovon er redet. Viele beeindruckt er damit zutiefst. In den Seligpreisungen bringt er auf den Punkt, wer sich glücklich nennen darf. Sie kommen in der Bergpredigt bei Matthäus 5, 3-12 vor, aber auch in der Feldpredigt bei Lukas 6,20-23. Hier sind aber zusätzlich diejenigen nachgeschoben, denen es nicht so gehen wird (24-26). Glücklich seid ihr Armen, denn ihr werdet Gottes Reich besitzen. Glücklich seid ihr, die ihr jetzt hungern müsst, denn Gott wird euren Hunger stillen. Glücklich seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet bald vor Freude jubeln! Glücklich seid ihr, wenn euch die Menschen hassen; wenn sie von euch nichts wissen wollen und euch verachten; wenn sie euch beschimpfen und Schlechtes über euch erzählen, nur weil ihr zu mir gehört.[…] Doch wehe euch, ihr Reichen! Ihr habt euer Glück schon auf Erden genossen. Wehe euch, ihr Satten! Ihr werdet Hunger leiden. Wehe euch, die ihr jetzt sorglos lacht! Ihr werdet weinen und jammern. Wehe euch, die ihr jetzt von allen umschmeichelt werdet, denn die falschen Propheten waren schon immer beliebt.» Mir reicht's - Wie geht's weiter? So verwundert es vielleicht auch nicht, dass die Letzteren, die hier genannt werden, ungern hörten, welch tiefen Eindruck Jesus damit bei großen Teilen der Bevölkerung hinterließ. Sein wachsender Einfluss wurde Grund für seine Kreuzigung, doch auch diese konnte nicht verhindern, dass seine Worte nicht nur gehört wurden, sondern etwas in Bewegung setzten. Bei der Konfrontation mit seinem Wort kommt man auch heute nicht umhin, Stellung zu beziehen. Was passiert, wenn ich den Ärger nicht los werde? Wie wichtig es ist, rechtzeitig zu lernen mit dem eigenen Ärger umzugehen, merkt man besonders oft erst dann, wenn es schon zu spät ist. Je älter man wird, desto mehr Erfahrungen sammelt man darin, dass Situationen so verbaut sind, dass sie sich nicht mehr ändern lassen: Freundschaften, die zerbrochen sind, Orte, die man meidet und mit dem einen oder anderen möchte man vielleicht sogar gar nichts mehr zu tun haben… Und das sind nur die „ganz normalen“ Fälle. Außerdem zähle ich notorische Nörgler dazu, also diejenigen, denen man deswegen nicht richtig zuhört, weil sie immer etwas zu meckern haben, damit aber nicht wirklich etwas bewegen möchten. Die andere Seite ist die Aggression. Doch auch hier ist so, dass ein Wort von außen nötig ist. Wenn man Glück hat, reicht es zu sagen: „Ich verstehe, dass du so wütend bist. Aber dein um dich schlagen, löst dein Problem nicht.“ Doch denjenigen einfach „nur“ zu verstehen, hilft selten weiter, er muss es selber verstehen. Sein harter aggressiver Abwehrpanzer muss geknackt werden. Inzwischen gibt es dazu interessante Konzepte. Eins davon nennt sich AAT: Anti-Aggressivitäts-Training. Es bezieht sich auf jugendliche Gewalttäter. Unter diesem Stichwort gibt es im Internet jede Menge Infos. Probleme über Probleme Bei den Ideen für die Umsetzung beziehe ich mich nicht ausdrücklich auf „Schule“ oder „Gemeinde“. Es sind generelle Ideen, die sich sicher gut ausbauen und erweitern lassen. Wichtig ist mir nur, dass ausgehend von der Frage „Wie reagiere ich?“ (auf die Beispiele, über die man sich aufregen kann) bis hin zur Aktion möglichst alle Schritte vorkommen. Es wird auch vermutlich nicht so sein, dass jede Schülerin und jeder Schüler just bei diesem Thema einen Grund hat, sich aufzuregen. Je besser der Gruppenzusammenhalt ist, desto leichter fällt auch der Überblick über Spannungen; der Ärger lässt sich geradezu riechen. Nicht immer ist im Stundenplan Zeit dafür eingeplant. Eine schnelle Reaktion kann aber Schlimmeres verhindern. I. Einstieg Als Einstieg bringt das Lied „Kein Zurück“ von Wolfsheim (2003) viele Aspekte auf den Punkt. Das Lied ist zumindest hervorragend geeignet, eine nachdenkliche Atmosphäre zu erzeugen. Und TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_87 GEGEN DEN TREND ’2004 Auch Depression kann das Ergebnis sein, wenn man Ärger nicht los wird. Man sieht keine Möglichkeit, mit dem Problem umzugehen, zieht sich zurück und lässt niemanden mehr an sich heran. Erlebte Enttäuschungen machen es noch schlimmer, es ist erforderlich, dass Hilfe von außen kommt. Deshalb ist es so nötig, gerade diejenigen im Auge zu behalten, die nicht laut mitdiskutieren, die sich dorthin zurückgezogen haben, wo ihnen nichts mehr weh tut. Dietrich Bonhoeffer drückt das so aus: „Das Wort, das hilft, kann man sich nicht selber sagen.“ Mir reicht's - Wie geht's weiter? es spiegelt die Enttäuschung wider, dass man so oft das Gefühl hat, es ließe sich nichts ändern. (Text s. unter 7. Material/Literatur) GEGEN DEN TREND ’2004 II. Zum Warmwerden Stell dir vor: Du musst dich über jemanden ärgern und regst dich richtig heftig auf. Du sagst: Mir reicht’s! Wie geht es dir dann damit? Wie gehst du damit um? Damit es ein bisschen konkreter wird, ist ein Beispiel wie das von Dirk und Britta ganz hilfreich. Oder eben ein anderes, mit dem die Gruppe etwas anfangen kann. Die Liste an möglichen Reaktionen könnte wie folgt aussehen: • Ich ärgere mich bis zum Umfallen. • Ich werde so richtig sauer und gereizt. • Ich erzähle jedem, den ich zufällig treffe, wie doof ich das fand. • Das nächste Mal, wenn ich sie/ihn sehe, mache ich sie/ihn rund. • Ich fresse das Ganze in mich rein und werde unausstehlich. • Ich nehme mir das sehr zu Herzen und werde traurig. • Ich bekomme Bauchschmerzen davon und verkrieche mich. • Ich mache gar nichts, denn das bringt ja sowieso nichts. • Ich bespreche mit meiner besten Freundin ausführlich, was das soll. • Ich schlafe erstmal eine Nacht drüber, damit ich mich abreagiere. • Ich beschließe, dass es mir egal sein kann. • Ich greife zum Telefonhörer und frage nach. • … III. Arbeitsphase In einem Stationslauf mit Beispielen verschiedener Situationen oder auch anhand der erarbeiteten 88_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Liste soll darüber nachgedacht werden soll, was Auslöser der Aufregung ist, wie man darauf reagieren kann und ob das eine Situation darstellt, die sich durch Aufgebrachtheit überhaupt ändern lässt. Die unterschiedlichen Sprüche (Aphorismen) sollen einladen, verschiedene Sichtweisen über Ärger-Situationen einzunehmen und zu durchdenken. Beispiel 1: Die große Klassenfahrt nach Berlin steht vor der Tür. Lara, Sabine und Nicole freuen sich darauf schon lange. Kurz vor der Fahrt entscheiden sich Nicoles Eltern gegen ihre Teilnahme. Als Lara und Sabine wiederkommen, hängen sie nur noch miteinander rum und erzählen sich gegenseitig ihre Geheimnisse. Nicole lassen sie links liegen. Beispiel 2: Peter will in Ruhe für seine Klassenarbeit lernen. Er weiß, dass er eine gute Note braucht. Seine kleine Schwester kann es aber nicht lassen, laut Musik zu hören, den Fernseher einzuschalten und ins Zimmer zu stürmen, weil sie irgendwas Wichtiges braucht. Beispiel 3: Der Kühlschrank im Gemeindehaus ist für alle Gruppen zugänglich. Doch immer, wenn der Kühlschrank dreckig ist, weil z. B. jemand Milch verschüttet hat oder Lebensmittel schimmelig geworden sind, wird ausschließlich dein Jugendkreis dafür verantwortlich gemacht und soll den Kühlschrank säubern. Beispiel 4: Beim letzten Kaffeeklatsch kam das Gespräch auf die neuen Vorkonfirmanden und wie sie sich daneben benom- Mir reicht's - Wie geht's weiter? men hätten. Patricks ist einer von ihnen. Als seine Mutter nach Hause kommt und ihn deswegen zur Rede stellt, ärgert er sich. So stimmt das doch gar nicht. • • Beispiel 5: Du bist einkaufen und hast gerade ein tolles Geschenk gefunden. Du bist sicher, dass du genau dieses haben willst. Als du Geld von deinem Konto abheben möchtest, streikt der Automat, da du nicht genug Geld auf dem Konto hast. Dir fehlen genau drei Euro. • • • Beispiel 6: Mit dem alten Klassenlehrer seid ihr prima klar gekommen. Er hat sich für euch so richtig eingesetzt. Der neue ist immer nur am Motzen und ihr habt das Gefühl, ihm gar nichts recht machen zu können. Bespiel 7: Der neue Jugendkreis läuft prima an und es macht dir Spaß hinzugehen. Wenn nur Steffi nicht wäre. Die ist so richtig altklug, meint immer, alles besser wissen zu müssen und besteht auch noch darauf, dass das gemacht wird, was sie will. … IV. Arbeitsphase II In der nächsten Phase soll es darum gehen, eigene Situationen zu sammeln, über die man sich aufregt. Daran ließe sich ein Gedankenaustausch anknüpfen, wie sich darauf reagieren lässt, so dass es sich zum Guten wendet. V. Aktionsphase Je nachdem, um welche Situation es gehen soll und ob man mit der ganzen Klasse arbeitet oder in Gruppen, ist die Liste der Möglichkeiten lang. Nicht alles davon kann im Unterricht passieren, die Anfänge jedoch allemal: • Texte verfassen, in denen ausgedrückt wird, worüber man sich ärgert und wie man reagiert (z. B. in Form von Gedichten, Tagebucheinträgen, Demo-Schildern, eines Theaterstücks, Songtextes oder Hörspiels) • zu Gesprächen einladen • Gottesdienste selbst gestalten • eine Talkshow besuchen • Räume umgestalten • eine Protestveranstaltung organisieren usw. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_89 GEGEN DEN TREND ’2004 Sprüche und Weisheiten • Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man ein schönes Muster legen! • Chancen präsentieren sich mit Vorliebe in der Maske von Unannehmlichkeiten. • Das Kriegsbeil ist erst begraben, wenn man nicht mehr weiß, wo es liegt. • Alles nun, was euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! (Mt. 7,12) • Der Mensch ist nur dann wahrhaft Mensch, wenn er der Selbstbeherrschung fähig ist • und auch dann nur, wenn er sie ausübt. (Ghandi) Wir mögen Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken – falls sie dasselbe denken wie wir. (Mark Twain) Wer sich nicht verändert, hat nicht gelebt. (Chinesisches Sprichwort) Die Bibel gebietet uns, unsere Nächsten zu lieben und auch die Feinde zu lieben; wahrscheinlich deshalb, weil es in der Regel dieselben Leute sind. (G. Chesterton) Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung. (Antoine de Saint-Exupéry) Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber eines ist gewiss: es muss anders werden, wenn es gut werden soll. (Lichtenberg) Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? (Mt. 7,3) Mir reicht's - Wie geht's weiter? Gremienarbeit Mitarbeit in Gremien. Da kann zum Einsatz kommen, was ich an Problemlösungsstrategien ausgeknobelt habe, sei es in der Schule als Klassensprecher/in oder in kirchlichen Gremien (z. B. Landesjugendkammer). Hier wird man mit Tatsachen konfrontiert, über die es sich aufregen lässt. Es sind aber auch andere da, mit denen man sich darüber austauschen und aktiv werden kann. Es bleibt dabei auch immer spannend, sich mit den Meinungen anderer auseinander zu setzen und dabei zu erleben wie aus unterschiedlichen Meinungen etwas Effektives erwächst, worauf man stolz sein kann. Aber es können eben auch Situationen dabei sein, bei denen aus dem Ärger leider nichts Positives erwächst. Diese Fälle machen aber auch deutlich, dass der Versuch immens wichtig ist, über einen Konflikt ins Gespräch zu kommen und ihn (wenn es irgend geht) auch auszuräumen. Alles andere kann verheerende Auswirkungen haben, womit niemandem gedient ist. GEGEN DEN TREND ’2004 Immer öfter aber nicht immer! Lernen, mit „Aufreg-Situationen“ so umzugehen, dass etwas Gutes daraus erwächst, ist das eine. Aber das geht nicht ständig. Es muss auch Zeiten geben, in denen kein Problem gelöst werden will. Woher aber die Gelassenheit nehmen, manches als unfertig oder unveränderbar hinzunehmen? Ich selbst bin bemüht, an dieser Stelle zu arbeiten. Ich bemerke, wie ich auf eine Rückzugsmöglichkeit angewiesen bin, auf Zeiten im Leben, in denen ich nicht in der Verantwortung stehe, an einem Problem arbeiten zu müssen. In denen ich beruhigt sagen kann: heute nicht! In denen ich darauf vertrauen darf, unter Gottes Schutz zu stehen und Luft zu holen. Das ist Thema vieler Meditati- 90_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN onen und Bücher. Für mich ist das „Loccumer Brevier – Verstehen durch Stille“ ein hilfreiches Buch. Es ist eine Zusammenstellung von Erfahrungsberichten, Gedichten, Gebeten und Gedanken, die mir helfen, zur Ruhe zu kommen und meine Gedanken zu ordnen. Für jede/n sind es jedoch ganz eigene, persönliche Texte, die dieses fördern können, hier ein Beispiel von Sören Kierkegaard, S. 47: „Alles, was in einem Menschen gut ist, ist von Anfang an Stille, und so wie Gott im Verborgenen wohnt, so wohnt auch das Gute bei einem Menschen im Verborgenen. Jede Entscheidung, die in ihrer tiefsten Bedeutung gut ist, ist still, denn sie hat Gott als Mitwisser.“ Materialien, Literatur KEIN ZURÜCK (Wolfsheim, 2003) Es geht kein Weg zurück... Weißt du noch, wie’s war? Kinderzeit... wunderbar... Die Welt ist bunt und schön Bis du irgendwann begreifst Dass nicht jeder Abschied heißt Es gibt auch ein Wiedersehen Immer vorwärts, Schritt um Schritt... Es geht kein Weg zurück! Was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen Die Zeit läuft uns davon Was getan ist, ist getan Was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen Es geht kein Weg zurück... Es geht kein Weg zurück... Ein Wort zuviel im Zorn gesagt ‘N Schritt zu weit nach vorn gewagt Mir reicht's - Wie geht's weiter? Schon ist es vorbei Was auch immer jetzt getan Was ich gesagt hab’, ist gesagt Und was wie ewig schien, ist schon Vergangenheit Immer vorwärts, Schritt um Schritt Es geht kein Weg zurück Was jetzt ist, wird nie mehr ungescheh’n Die Zeit läuft uns davon Was getan ist, ist getan Was jetzt ist, wird nie mehr so gescheh’n Ach und könnt’ ich doch nur ein einz’ges Mal Die Uhren rückwärts drehen Denn wieviel von dem, was ich heute weiß Hätt’ ich lieber nie gesehen! Es geht kein Weg zurück... Es geht kein Weg zurück... Es geht kein Weg zurück... Dein Leben dreht sich nur im Kreis So voll von weggeworfener Zeit Deine Träume schiebst Du endlos vor Dir her Du willst noch leben irgendwann Doch wenn nicht heute, wann denn dann...? Denn irgendwann ist auch ein Traum zu lange her Immer vorwärts, Schritt um Schritt Es geht kein Weg zurück Was jetzt ist, wird nie mehr ungeschehen Die Zeit läuft uns davon Was getan ist, ist getan Was jetzt ist, wird nie mehr so geschehen REVOLUTIONÄRE BOTSCHAFT aus: Zukunft wagen. Neue Texte und Gebete für junge Menschen. GTB, 1982 Endlich einer, der sagt: „Selig sind die Armen!“ und nicht: Wer Geld hat, ist glücklich! Endlich einer, der sagt: „Liebe deine Feinde!“ und nicht: Passt euch jeder Lage an! Endlich einer, der sagt: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt!“ und nicht: Hauptsache vorwärts kommen! Endlich einer, der sagt: „Wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit!“ und nicht: Was tot ist, ist tot. GEBET herr hilf mir meinen großen mund zu halten bis ich weiß was ich sagen will amen Susanne Korf Text: Peter Heppner TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_91 GEGEN DEN TREND ’2004 Gleichzeitig mit Refrain: Ach, und könnt’ ich doch nur ein einz’ges Mal Die Uhren rückwärts drehen Denn wie viel von dem, was ich heute weiß Hätt’ ich lieber nie gesehen! GEGEN DEN TREND ’2004 Mir reicht's - Wie geht's weiter? 92_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Ergebnisse, Methoden und Erkenntnisse aus einem Deutsch-Polnischen Projekt Es gibt Menschen, die den ganzen Tag arbeiten, andere, die den ganzen Tag träumen, und schließlich diejenigen, die eine Stunde träumen, die Ärmel hochkrempeln und sich ihre Träume erfüllen In den Jahren 2000 bis 2002 hat eine Gruppe der Ev. Jugend der Propstei Schöppenstedt gemeinsam mit einer Partnergruppe vom Fellowship of orthodox youth in Poland ein Projekt mit dem Titel „Ziele und Träume der Jugend im vereinten Europa“ durchgeführt. In diesem Beitrag werden Ergebnisse beschrieben, die Einstellungen und Meinungen von Jugendlichen zu diesen Themen wiedergeben. Außerdem wird über das Projekt berichtet. Themenfindung Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa GEGEN DEN TREND ’2004 Es ist nicht immer leicht, junge Menschen zu motivieren, sich mit einem abstrakten Thema auseinander zu setzen. Neben den methodischen und didaktischen Ansprüchen ist die Auswahl des Themas von großer Bedeutung für die Motivation. Je näher das Thema an der Realität der Jugendlichen liegt, umso leichter wird es angenommen. Die Beschäftigung mit den eigenen Zielen ist, ob bewusst oder unbewusst, für alle Jugendlichen schon allein deshalb ein Thema weil die persönliche Berufswahl zum Nachdenken über die persönlichen Ziele führt. 94_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Träume können sehr schnell dazu kommen, wenn die Ziele sehr hoch sind und unrealistisch erscheinen. Es geht hierbei weniger um das nächtliche Traumgeschehen, sondern um die eigenen Lebensträume. Das Projekt wurde gefördert von der RobertBosch-Stiftung aus Mitteln des Förderprogramms „Junge Wege in Europa“. Bei dem Titel liegt nah, dass auch Europa im Projektthema Platz finden musste. Europa ist eine sehr wichtige Realität sowohl für Deutsche als auch für unsere polnischen Nachbarn. Auch deshalb ist die Kombination von Zielen und Träumen mit Europa sinnvoll, allerdings nicht immer einfach zu bearbeiten. Im Projektverlauf wurde der Bereich „Europa“ immer kleiner. Das wird auch an den hier beschriebenen Ergebnissen deutlich. Assoziationen zu Träumen und Zielen Welche Assoziationen haben Jugendliche zu Träumen und Zielen? Bei einer spontanen Sammlung von Ideen und Assoziationen unter Jugendlichen ab 15 Jahren im November 2003 ergaben sich folgende Ergebnisse: Was fällt mir zum Thema Träume ein? Meine Träume • ein glückliches Leben • ein Jahr im Ausland • Neuseeland oder Kanada • Ägyptologie • eine Insel • Abitur • Ich finde es total doof, wenn jemand sagt, Träume sind Schäume • Australien, Kanada, Neuseeland • Ferrari-Modena 360 Spider • Superkräfte • Einen tollen Job • der Beginn einer neuen Wirklichkeit Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa • • • • • • • • • BMW Z3, Lamborghini oder Bugatti schönes Leben meine Ziele verwirklichen viel Geld und schönes Leben einen netten Mann kennen lernen guter Beruf ein Basketballstar zu werden ein langes Leben eine Familie Was fällt mir zum Thema Ziele ein? - Meine Ziele • Beruf und Familie • Abitur und Studium • gutes Abi • neue Freunde kennen lernen • Schulabschluss und Führerschein • glückliches, zufriedenes und fröhliches Leben zu haben • meine Träume zu verwirklichen Spaß haben • Zufrieden und glücklich sein • in möglichst viele verschiedene Länder reisen • viel lernen Führerschein bestehen gute Karriere nicht sitzen bleiben schönes Leben disziplinierter zu werden meine Träume zu erfüllen das Beste aus jeder Situation zu machen mein Berufsziel zu verwirklichen interessanter Beruf, mit dem man viel Geld verdienen kann einen Job kriegen Vor der ersten gemeinsamen Begegnung aller Projektmitglieder gab es wenig gemeinsame Vorgaben. Klar war nur, dass das Projekt eine Umfrage enthalten sollte und dass es eine Veröffentlichung im Internet geben sollte. Die Methode „Umfrage“ hat für ein internationales Projekt mehrere Vorteile: 1. Sprachbarrieren werden überwindbar. Gleichlautenden Fragebögen in unterschiedlichen Sprachen ermöglichen es polnischen Teilnehmern, deutsche Fragebögen auszuwerten und umgekehrt. 2. Es gibt auf jeden Fall ein Ergebnis. 3. Teilnehmende mit weniger ausgeprägten kommunikativen Fähigkeiten können gut in die Projektarbeit integriert werden. Entscheidend für die Beschreibung der Projektarbeit in dieser Arbeitshilfe ist, dass hier ganz konkret Meinungen von Jugendlichen zum Themenbereich der Arbeitshilfe genannt werden können. Die Basis hat hier also eine Stimme. Das erscheint bei so einem eher theoretischen Thema sehr wichtig. Die Projektgruppe „Umfrage“ hatte es sich zum Ziel gemacht, Jugendliche in Deutschland und in Polen über ihre Träume und Ziele hinsichtlich ihrer gemeinsamen europäischen Zukunft zu befragen. Im ersten Projektabschnitt wurde ein Fragebogen mit 18 Fragen zu den Themen „Ziele...“, „Träume...“ und „Zukunft in Europa“ entwickelt. Dieser Fragebogen wurde an ca. 50 deutsche und 38 polnische Jugendliche verteilt und von ihnen ausgefüllt. Im zweiten Projektabschnitt im Februar wurden die ersten Fragebögen ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass die Summe der Informationen viel zu hoch war. Die Auswertung wurde TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_95 GEGEN DEN TREND ’2004 Bei diesen Ergebnissen wird deutlich, dass Ziele und Träume von jungen Menschen sehr viel miteinander zu tun haben und sich zum Teil aufeinander beziehen. Es fällt auch auf, dass Abitur/ Beruf z. T. bei Träumen genannt wird, obwohl es doch eher ein selbstverständliches Ziel sein sollte. Umfrage zum Thema „Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa“ Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa im dritten Projektabschnitt fortgeführt. Aus den vorliegenden Daten wurden einige Fragen gefiltert, zu denen eine Arbeitsgruppe den Versuch unternommen hat, Ergebnisse zu gewinnen. Natürlich ist es im Verlauf eines solchen Projekts nicht möglich, eine wissenschaftlich-empirische Umfrage zu erstellen. Dies war jedoch auch nicht beabsichtigt. Beim Blick auf die Ergebnisse sollte klar sein: Die Ergebnisse sind nicht wissenschaftlich. Sie können nicht als Spiegel der Meinung der Jugend in beiden Ländern gewertet werden. Allerdings lassen sich Tendenzen aufzeigen, die meines Erachtens auch für eine breitere Masse zutreffen. Die Umfrage-Ergebnisse können z. T. mit Daten verglichen werden, die in der Shell-Studie erhoben wurden. Bei Fragen zur persönlichen Berufsausbil- GEGEN DEN TREND ’2004 Was sind Deine persönlichen Ziele 96_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN dung, den Werteorientierungen und zu Europa gibt es m. E. keinen Widerspruch zu den Ergebnissen dieser Umfrage. Es bleibt noch anzumerken, dass dieses Projekt, bei der die Umfrage erarbeitetet wurde, von der Robert-Bosch-Stiftung eine besondere Auszeichnung für den Verlauf und die Ergebnisse erhalten hat: Es gehörte zu den 15 besten Projekten. Ergebnisse der Umfrage Die drei wichtigsten Ziele der Deutschen sind: glücklich werden, die Welt kennen lernen und einen Schulabschluss machen. Die drei wichtigsten Ziele der Polen sind: glücklich werden, die Welt kennen lernen und Wissen haben. Auffällig ist, dass 37 % der Polen den Glauben stärken wollen, hingegen nur 6 % der Deutschen. Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Glaubst Du, dass es realistisch ist, diese Ziele zu erreichen? Bei beiden Gruppen ist der Anteil derer, die glauben, dass es realistisch ist, ihre Ziele zu erreichen, erfreulicherweise relativ hoch. Im Folgenden sind Visionen für ein vereintes Europa aufgeführt. Teilst Du eine Vision oder wie sieht Deine Vision aus? lichen wurde das Verschwinden der Grenzen und das nähere Zusammenrücken aller Menschen in Europa häufigste Vision ist. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_97 GEGEN DEN TREND ’2004 Die Visionen der deutschen Jugendlichen für ein vereintes Europa sind das Verschwinden der Grenzen und der Vorurteile. Bei den polnischen Jugend- Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Glaubst Du, dass Du durch ein vereintes Europa Vorteile bei der Verwirklichung Deiner Ziele hast? Bei dieser Frage wird deutlich, dass sowohl polnische als auch deutsche Jugendliche Vorteile durch ein vereintes Europa bei der Verwirklichung der eigenen Ziele sehen. Allerdings fällt diese positive Sicht bei den polnischen Jugendlichen sehr viel deutlicher aus. GEGEN DEN TREND ’2004 Methoden für die Arbeit mit den Themen „Träume und Ziele" Zu Beginn der Projektarbeit zum Thema „Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa“ gab es mit allen Projektbeteiligten ein Brainstorming zu Inhalten und Arbeitsgruppen, die sich für die Arbeit an diesem Thema eignen. Dabei kam eine Vielzahl von Vorschlägen zusammen: • Zeitung erstellen • Theaterstück erstellen • Gesprächsrunde mit Deutschen und Polen • Internetseite über Projekt • Diskussionsforum im Internet • Umfrage-Fragebogen (Meinungen über „Träume, Ziele und Wünsche in Europa“) • Interview • Fotoausstellung • gemeinsame Traumreisen • Fotoausstellung im Internet • Kunst: Bild/Plakat, Collage, Plastik Skulptur • Comic erstellen • Quiz - Wissen über Europa • Film (see and make) • Manifest (schreiben und veröffentlichen) • Das Wort „Traum“ (und/oder „Ziel“) in alle Sprachen Europas übersetzen 98_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN • Buch, Berichte, Artikel zum Thema sammeln • Eine Liste, auf der Jede/r einen Traum, ein Ziel aufschreibt • kurzer Film – „Gehen meine Träume und Ziele zusammen?” • Lied dichten • Zeichnen, Sticker herstellen • Traumbäume/Zeitkapsel Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa • Aufsätze und Gedichte schreiben • Fest feiern Zwei während des Projekts angewandte Methoden, die sich gut für die Gruppenarbeit oder als Einstig in das Thema eignen: Lautlose Thesendiskussion zum Thema: „Ziele und Träume“ Diese Methode eignet sich sowohl für kleinere als auch für größere Gruppen. Dreizehn zum Teil widersprüchliche Thesen werden auf Din-A-4-Zetteln aufgeschrieben und an eine Leine gehängt. Beim Vorbeigehen soll jeder Teilnehmer/jede Teilnehmerin seine/ihre Meinung zu der entsprechenden These schreiben und auf die Meinungen der anderen Gruppenmitglieder eingehen. Bei der Auswertung im Gruppengespräch können die kontrovers diskutierten Thesen noch einmal genannt und die unterschiedlichen Standpunkte von den Gruppenmitgliedern erläutert werden. Bei großen Gruppen bietet es sich an, Thesen jeweils mehrfach aufzuhängen und die Gruppe bei einer Auswertung in Kleingruppen aufzuteilen. Durch diese Methode kommen die Gruppenmitglieder dem Thema näher. Sie lernen unterschiedliche Standpunkte kennen und haben es leichter, sich eine eigene Meinung zu bilden. Traumreise zum Thema: Träume Zum Einstieg in das Thema „Ziele und Träume“ kann eine Traumreise durchgeführt werden. Dabei sollte, wie bei allen Meditationen und Traumreisen, auf die richtigen Rahmenbedingungen geachtet werden (Freiwilligkeit, Raumgröße, Stimmung und Atmosphäre in der Gruppe, Tageszeit, Akzeptanz und Bereitschaft sich auf die Traumreise einzulassen). Eine weiche Unterlage und meditative Begleitmusik sind ebenfalls sehr hilfreich. Bei einer Traumreise liest eine Person den Text laut und deutlich vor und achtet dabei auf ausreichende Pausen zwischen den Sätzen und Absätzen. Nach Beendigung einer Traumreise bietet sich eine Programmpause an, damit die Teilnehmenden ausreichend Zeit haben, wieder ganz in die Ausgangssituation zurück zu kommen. Am besten eignen sich Traumreisen für längere Aktionen, Freizeiten oder Fahrten. Text zu einer Traumreise: Ich möchte dich zu einer Reise einladen. Dazu ist es gut, wenn du dich ganz bequem hinlegst. Spüre, wie dein Körper den Boden berührt. TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_99 GEGEN DEN TREND ’2004 Die Thesen: • Das Wichtigste im Leben ist, dass man Arbeit hat, egal welche! • Wer keinen Mut zum Träumen hat, der hat auch keine Kraft für eine bessere Welt zu kämpfen! • Wichtig für ein zufriedenes Leben ist, dass du das, was du tust, auch gerne tust. • Jemand ohne Ziel ist wie ein Schiff ohne Hafen. • Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. • Ohne Geld läuft im Leben gar nichts. Deshalb ist das Allerwichtigste, dass du ein großes Einkommen erwirtschaftest. • Der Weg ist das Ziel. • Ein erfülltes Leben hat wenig mit Geld zu tun. • Wozu Ziele setzen, wenn schon klar ist, dass die Verwirklichung eine Utopie bleibt? • Sorge dich nicht um das was kommt, denn der Herr (Gott) wird dir helfen. • Das Leben besteht aus Arbeit und Mühsal. Auch Träume helfen nicht. • Im Leben sind Ziele wichtiger als Träume! • Wer seine Träume verwirklichen will, sollte zunächst lernen, einmal aus ihnen zu erwachen. (André Siegfried) GEGEN DEN TREND ’2004 Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Nimm wahr, wie schwer dein Körper auf dem Boden liegt. Spüre zuerst deine Hände und Arme, dann deine Beine und Füße, deinen Po und Oberkörper und zum Schluss deinen Kopf. Spüre deinen Atem. Atme einmal ganz bewusst tief ein und wieder aus. Wiederhole das ein paar Mal. Du fühlst, wie dein Körper immer leichter wird. Schon berührst du nicht mehr den Boden und verlässt schwebend diesen Raum. Die Schwerelosigkeit nimmt dich mit. Du wirst immer leichter und steigst immer höher. Du siehst die Häuser unter dir immer kleiner werden, bis du sie kaum noch wahrnimmst. Dafür siehst du nun ganz deutlich die unterschiedlichen Landschaften, Wiesen, Felder, Wälder und Seen. Gelegentlich siehst du Häuser, klein wie Streichholzschachteln. Doch die Dörfer werden immer seltener. Du kommst in eine unbewohnte Gegend. Die Sonne taucht alles in ein goldenes Licht. Du siehst einen großen Baum und beschließt, ihn dir genauer anzusehen. Unter dem Baum steht ein Haus, das du von weitem gar nicht gesehen hast. Die Haustür ist offen und deine Neugier ist geweckt. Du stehst wieder auf dem Boden und betrittst das Haus. Die große Diele ist hell erleuchtet und einladend. Es gibt nur eine Tür. Auf dieser Tür steht in großen Buchstaben MEINE TRÄUME. Die Tür lässt sich leicht öffnen und schon stehst du im nächsten Raum. Er ist eine Galerie mit vielen Bildern. Du trittst auf das erste Bild zu. Darüber steht in großen Buchstaben TRÄUME FÜR MEIN LAND. 100_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Du betrachtest das Bild. Schließlich gehst du weiter. Das nächste Bild hat die Überschrift TRÄUME FÜR MEINE KIRCHE. Auch hier bleibst du eine Weile stehen und betrachtest das Bild. Das nächste Bild, das du dir anschaust hat den Titel TRÄUME FÜR MEINE FAMILIE. Am Ende der Galerie hängt ein sehr großes Bild unter dem MEINE EIGENEN TRÄUME zu lesen ist. Dieses Bild betrachtest du sehr gründlich. Nach dem du alles auf dem Bild gesehen hast, siehst du dich nochmals in der Galerie um. Du bemerkst den Ausgang und trittst in den Sonnenschein. Ein leichter Wind ist aufgekommen. Er zieht an deinen Kleidern und du beginnst wieder zu schweben. Langsam steigst du höher und höher. Mit einem letzten Blick nimmst du Abschied von dem großen Baum und dem Haus. Wieder siehst du die unterschiedlichen Landschaften unter dir dahinziehen. Allmählich wird die Landschaft immer bekannter, Häuser tauchen in deinem Blickfeld auf. Du siehst das Haus, von dem aus du zu deiner Reise aufgebrochen bist. Ein Fenster steht offen. Du schwebst hindurch und lässt dich langsam auf dem Boden nieder. Du spürst wie dein Körper Kontakt mit dem Boden aufnimmt. Du fühlst unter deinen Armen und Beinen, deinem Po und Oberkörper, den Teppich auf dem du liegst. Du spürst Deinen Atem. Du atmest langsam ein und aus. Langsam wirst du wacher. Du beginnst, Finger und Zehen zu bewegen. Während du dich streckst, spürst du noch einmal deinen Körper ganz deutlich. Du öffnest die Augen. Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Umsetzung der Ergebnisse und Fragen, die geblieben sind Nachdem die Ergebnisse der Umfrage zusammengetragen wurden, stellt sich natürlich die Frage der Umsetzung. Eine Fragebogenaktion ist eine Bestandsaufnahme, die sich unter Umständen auch als Einstieg in die Arbeit mit dem Thema „Ziele und Träume“ eignet. Ebenso die Methoden, die oben beschrieben sind. Es sollte immer die Frage im Blick sein, wie persönliche Ziele und Träume verwirklicht werden können. Dabei bietet sich m. E. auch manchmal ein einfaches Gruppengespräch an, wenn die Gruppe dazu in der Lage ist und das Setting stimmt. Weitere gute Methoden, um über Wünsche, Ziele und Träume zu sprechen, finden sich im Internet in einem Unterrichtsvorschlag für Religionslehrer in Bayern unter: www.zum.de/Faecher/evR2/ BAYreal/9/9.4/zieleich.htm. Im Projekt haben wir uns in anderen Arbeitsgruppen, in thematischen Einheiten für alle Projektteilnehmer und in Gruppengesprächen auch mit der Frage auseinander gesetzt, wie Ziele und Träume erreicht werden können. Die Frage nach Gott Was bedeutet die Verwirklichung von Zielen im Hinblick auf unterschiedliche finanzielle Hintergründe? Die Richtung der persönlichen Träume ist schon sehr stark abhängig von der persönlichen und auch von der finanziellen Lebenssituation. Das wurde in dem Projekt mit deutschen Jugendlichen aus einem reichen Land und polnischen Jugendlichen aus einem eher armen Land an verschiedenen Stellen deutlich. Auch innerhalb Deutschlands, wenn man nicht mit so einer homogenen Projektgruppe arbeitet, können die Ergebnisse (abhängig von der sozialen Situation) sehr unterschiedlich sein. Die Beschäftigung mit Zielen und Träumen von Jugendlichen in aller Welt könnte aber auch ein Ansatz sein, sich über Ungleichheit und Ungerechtigkeit auseinander zu setzen und für die Überwindung der Ungerechtigkeit zu arbeiten (z. B. Eine-Welt-Arbeit). Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen/ Frauen und Männern Natürlich spielt auch das Geschlecht bei der Festlegung der Ziele und Träume eine Rolle. Bei der Auswertung der Fragebögen der deutschen Befragten haben wir auch nach Geschlechtern getrennt. Dieser Weg wurde leider zwischendurch verlassen, weil die Fülle der Informationen uns erschlagen hat und die polnischen Daten leider nicht geschlechtsspezifisch eingegeben wurden. Bei der Beschäftigung mit dem Thema „Ziele und Träume“ sollte aber auf jeden Fall die Geschlechtlichkeit berücksichtigt werden (Gender Mainstreaming). TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_101 GEGEN DEN TREND ’2004 Der Glaube an Gott und an Jesus Christus kommt bei den befragten Jugendlichen aus Deutschland im Zusammenhang mit Träumen und Zielen im Unterschied zu den polnischen Jugendlichen kaum vor. Obwohl der Fragebogen schon auf die reale Zukunft ausgerichtet war, macht mich diese Tatsache stutzig. Entweder waren die Fragen so gestellt, dass der Glaube (obwohl für den Einzelne/die Einzelne wichtig) nicht abgefragt wurde oder der Glaube ist insgesamt nicht so wichtig im Leben von Jugendlichen in Deutschland. In der Shell-Studie (S. 143) sehen immerhin 38 % der befragten Jugendlichen den Gottesglauben als wichtig an. Das bedeutet, dass auf jeden Fall noch einmal nachgehakt werden kann. In thematischer Arbeit mit Jugendlichen über „Ziele“ und „Träume“ sollte der Blick auch auf die Frage des Glaubens gerichtet werden. Ziele und Träume von Jugendlichen in Europa Literatur/ Weitere Informationen Weitere Informationen über das Projekt finden sich auf der Webpage: www.togetherineurope.org. Weitere ausführlichere Informationen (z. B. Umfrageergebnisse) sind leider nicht publiziert, können aber bei der Ev. Jugend der Propstei Schöppenstedt [email protected] abgefragt werden. Dieser Beitrag wurde unter zur Hilfenahme des Projektberichts verfasst: • Projektbericht - Ziele und Träume der Jugend im vereinten Europa in Deutschland und in Polen, U. Heuser, G. Labuhn Schöppenstedt, 2002 • Jugend 2002 – 14. Shell Jugendstudie M. Albert, Prof. K. Hurrelmann Frankfurt/Main, 2002 Interesierte an deutschen/osteuropäischen Gruppen finden weitere Informationen bei der RobertBosch-Stiftung: Förderprogramm Junge Wege in Europa www.bosch-stiftung.de/foerderung/ und beim Deutsch-Polnischen Jugendwerk www.dpjw.de GEGEN DEN TREND ’2004 Gottfried Labuhn 102_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN ›› Lebensrückblick von vorne Lebensrückblick von vorne Lebens(t)räume Warum Lebens(t)räume als Thema für junge Menschen? Junge Menschen sollen eigentlich gerade in der Zeit des Erwachsenwerdens die Realität kennen lernen und festen Boden unter den Füßen gewinnen. Spinnerte Ideen haben sie eh genug, diese müssen nicht noch gefördert werden. Aber es geht nicht darum, irgendwelche „Wolkenkuckusheime“ zu bauen oder Jugendlichen mit dem schnellen Schuss auf den nächsten wilden Trip zu verhelfen. Das Thema „Lebens(t)räume“ ist in doppelter Hinsicht für Jugendliche relevant. Zum einen geht es darum, dass Jugendliche sich in einem Entwicklungsstadium befinden, in dem sie Lebensräume abschreiten, sich aneignen sollen und müssen. Ihr Leben wird zu einer persönlichen „Landnahme“, dazu will das Thema sie ermutigen und begleiten. GEGEN DEN TREND ’2004 Gleichzeitig ist das Thema aber auch so etwas wie eine persönliche Haltung und Einstellung zum Leben. Es geht um eine persönliche Rollenfindung. Heraus aus Zweifel und Neid den anderen gegenüber, weg von Größenwahn und Rollenfixierung, hin zu einem Leben in gesellschaftlicher und kirchlicher Verantwortung. Träume sind Wegweiser zu „Not–wendenden“ Veränderungen/Kurskorrekturen. Lebensträume öffnen jungen Menschen Perspektiven über den bisherigen Erfahrungshorizont hinaus. Sie erweitern das „platte“ und vordergründige Leben um eine weitere Dimension. Sie können Verschlossenes öffnen und Festgefahrenes verändern. Menschen können weiten Lebensraum erahnen, wenn sie einmal die Botschaft ergreift, die da sagt, dass sie nicht so bleiben müssen, wie sie bis heute geworden sind. 104_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN Träume sind Schäume? • Welche Träume habe ich von meinem Leben? • Welche Ideale/Vorbilder habe ich? • Woher bekomme ich meine Lebensentwürfe (Eltern, Großeltern, Freunde, Medien...)? • Was tue ich dafür, dass meine Träume Wirklichkeit werden? • Was kann ich real daran tun? Habe ich es selbst in der Hand? • Was passiert, wenn Lebensträume zerplatzen wie Seifenblasen? • Wie werde ich dann mit dem „Versagen“ fertig? Du hast es selbst in der Hand • • • • • • Jede/r ist seines Glückes Schmied. Jede/r hat das Leben selbst in der Hand. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Man muss sich durchsetzten im Leben. Nur nicht auf der Looser-Seite stehen. Hauptsache Spaß - ich lebe jetzt! Ich schulde meinen Träumen noch Leben • Meine Träume sind für uns und unser Leben wichtig, weil sie die Umsetzung, unseren Antrieb und unsere eigene Lebensenergie stärken. • Träume erhalten mich am Leben. • Etwas erreichen, aber nicht um jeden Preis. • Scheitern einplanen und an mögliche Alternativen denken. • Leben unter den Schutz/Segen Gottes stellen und die Ziele nicht verbissen aus eigenem Antrieb heraus erreichen wollen. • Vertrauen darauf, dass Gott es gut mit mir meint. Gott meint es gut mit Dir! Im ersten Kapitel der Bibel wird uns in der Schöpfungsgeschichte berichtet, wie Gott die Welt und Lebensrückblick von vorne die Menschen sieht. Dort wird uns berichtet, wie Gott sich das Verhältnis zu den Menschen vorstellt und was daraus geworden ist. Die erste menschliche Tat in der Bibel ist eine Gewalttat. Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Diese Geschichte gibt Auskunft darüber, was geschieht, wenn sich der Mensch dem Bedürfnis nach Aneignung von Lebensraum ungehindert hingibt. Es endet im Streit untereinander. Es entstehen Neid und Zweifel, bis hin zur Verzweiflung. Zweifel entsteht dort, wo es mehr als eine Möglichkeit zu leben gibt. Ich bin gefordert mich zu entscheiden, wie mein Leben verlaufen soll: ein Leben mit oder ohne Gott. Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist, heißt es an anderer Stelle der Bibel. Aus der Bibel, den Zehn Geboten und dem Gebot der Nächstenliebe heraus wissen wir genau, was wir zu tun und zu lassen haben. Transfer, Vermittlung, Umsetzung An der Decke des Raumes hängt ein Traummobile mit verschiedenen Aufschriften: Meine/Mein Traumfrau/-mann sollte...; Wenn ich meinen Traumberuf hätte, dann wäre ich...; Meine Traumreise ginge nach...; Ein Traum für mein Leben wäre, wenn ich...; Mein Traum für diese Welt wäre... usw. Einführung ins Thema Jede/r Teilnehmerin/Teilnehmer erhält Traumwolken von seinem Leben in folgenden verschiedenen zeitlichen Altersstufen: 16-18, 19-21, 22-25, 26-30 und 30-35 Jahre. Aufgabe ist es, in die jeweiligen Traumwolken eigene Vorstellungen und Träume vom eigenen Leben zu schreiben. Jede/Jeder Teilnehmerin/Teilnehmer füllt für sich alleine die Traumwolken aus. Im Hintergrund kann leise meditative Musik laufen. Die Traumwolken werden in Kleingruppen vorgestellt und untereinander abgeglichen: Gibt es ähnliche Lebensentwürfe? Worin unterscheiden sich die Lebensentwürfe von denen der anderen? Ähnlichkeiten und Unterschiede werden miteinander diskutiert bzw. nach möglichen Hintergründen für die Übereinstimmung gefragt. Was bedeutet das für mich und mein Leben? • Welche Träume haben andere? • Gibt es für mich jetzt Träume, die ich noch nicht gekannt habe? • Habe ich Alternativen für meine Träume gefunden? • Wie hoch ist der Anteil an materiellen bzw. ideellen Träumen? • Gibt es Unterschiede zwischen den Träumen von Mädchen und Jungen? Material • Ausreichend viele Traumwolken, Stifte • Rundholzstäbe und Wäscheklammern, Bindfaden für das Mobile • CD-Player/Kassettenrecorder, Hintergrundmusik die zum Träumen anregt Martin Bauer TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_105 GEGEN DEN TREND ’2004 Träume gehören zu unserem Leben dazu. Wer keine Träume, keine Illusionen mehr hat, dessen Leben ist eintönig und grau geworden. Träume wirken einerseits kompensatorisch, in dem sie Erlebtes des Tages in der Nacht verarbeiten und somit für unser seelisches Gleichgewicht sorgen. Zum anderen haben Träume eine Botschaft für uns. Sie geben/sind Wegweisung und Entscheidungshilfe für unser alltägliches Handeln. Lebensrückblick von vorne Lebensrückblick Wer sein Leben nicht nur einfach so lebt, wird sich früher oder später im Leben die Fragen nach dem „Sinn des Lebens“ stellen. Spätestens, wenn wir in unserem Leben erstmalig mit dem Tod und somit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden, stellt sich für viele von uns die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem „Wohin...“ und „Woher...“. Aber auch ohne diesen traurigen Anlass kann es von Zeit zu Zeit sinnvoll sein, sich seiner eigenen Lebensperspektiven bewusst zu werden. Was habe ich in meinem Leben bisher erreicht, was sind meine Ziele, was möchte ich in meinem Leben noch erreichen? In manchem erkenne ich erst im Rückblick auf die erlebte Situation einen Sinn und kann meine Erfahrungen daraus für mein weiteres Leben ziehen und umsetzen. Manche Dinge im Leben passieren mir immer wieder. Ich gerate immer in ähnliche Situationen, in denen ich mich immer wieder gleich verhalte. Oder ich begegne immer wieder Menschen mit einer ähnlichen Persönlichkeit. Oder ich widme mich einer bestimmten Aufgabe in meinem Leben und erkenne im Rückblick im wieder Gleiches. Manches zieht sich wie ein „roter Faden“ durch mein Leben. Häufig ist mir dieser Faden im Alltag gar nicht bewusst, sondern ich sehe ihn erst im Rückblick, in der Reflexion meiner erlebten Lebenssituationen. GEGEN DEN TREND ’2004 Die nachstehenden Übungen sollen eine Möglichkeit des Rückblicks auf unser eigenes Leben geben und die verschiedenen damit verbundenen Fragestellungen ermöglichen. FAQ - Frequently aksed questions? • Woher komme ich? • Wo gehe ich hin in meinem Leben? • Welchen Sinn hat mein Leben für mich und für andere? 106_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN • • • • • • • • Das kann doch nicht alles gewesen sein! Wo ist meine Aufgabe? Ich alleine kann ja doch nichts tun. Ich bin etwas wert, so wie ich bin! Wo finde ich in meinem Leben Orientierung? Wer oder was gibt mir in meinem Leben Halt? Wie ist mein Leben bisher verlaufen? Was möchte/kann ich ändern? Alles hat einen Sinn! Die Bibel • Du bist etwas wert. • Dein Leben soll gesegnet sein. • Du bist gerechtfertigt allein aus Gnade. • Du bist das Salz der Erde, das Licht der Welt. Meinungen • Du kannst alleine gar nichts bewirken. • Du schaffst es sowieso nicht. Lebensrückblick von vorne • Man muss das Leben eben leben wie es kommt. • Der Sinn des Lebens bleibt uns verborgen. • Der Sinn des Lebens liegt in Haus, Familie, Kinder, Arbeit, Reichtum. Du bist verantwortlich für dein Leben • • • • Du alleine kannst etwas bewirken. Du bist auf dieser Welt wichtig. Dein Leben steht unter dem Segen Gottes. Von Zeit zu Zeit innehalten und Rückschau halten auf mein Leben. • Hilfreich mein Tun und Handeln an eigenen Normen und Wertvorstellungen überprüfen. • Aus dem Segen Gottes Gutes und Schlechtes gleichermaßen annehmen können. • Sicher sein, dass mein Leben nicht umsonst gelebt wird. Dein roter Faden in deinem Leben • Lebenskurve zeichnen • Roter Faden in meinem Leben Und wie geht es weiter? • Wo entdecke ich nicht nur „rote Fäden“ in meinem Leben? • Wer webt sie? • Wo „beißt manchmal die Maus den Faden ab?“ • Wo hänge ich manchmal am „seidenen Faden?“ • Wer oder was gibt mir in meinem Leben Halt, wenn ich meinen „roten Faden“ verloren habe? • Mit Behinderungen muss man rechnen. Was ist, wenn in meinem Leben nicht alles so geradlinig verläuft? • Wo können Fäden für ein starkes Miteinander geknüpft werden? • Ist mit dem Tod alles aus? • Kann ich mein Leben ohne Gott leben? Materialien/Literatur • Helena Rimmele; Christa Straub Zwischen 18 und 30 Werkstattbuch für die Arbeit mit jungen Erwachsenen Herder Verlag Freiburg 1993 • Josef Griebseck Durchatmen Herder Verlag Freiburg 1993 • Praxisentwürfe junge Erwachsene Band 1: Lebensträume Ev. Jugendwerk in Württemberg Calwer Verlag Stuttgart 2. Auflage 1996 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_107 GEGEN DEN TREND ’2004 Mit der Taufe hat uns Gott einen „roten Faden“ in unserem Leben gegeben. Fest auf das Wort aus Jesaja 45 „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ weiß ich mein Leben fest in Gottes Hand. Gott kennt mich bei meinem Namen und er wird mein Leben nicht umsonst gelebt sein lassen, egal wie lange es dauert. Ich lebe mein Leben in der Verantwortung vor Gott, vor meinen Mitmenschen und vor mir selbst, genauso, wie es uns in den Geboten und im Leben Jesus benannt und vorgelebt worden ist. Sicher weiß ich um mein Versagen in diesem Bemühen, aber ich weiß auch um die Rechtfertigung allein aus der Gnade Gottes, der mein Leben immer wieder neu macht und mir mein Versagen und meine Verfehlungen durch und in Jesus Christus vergibt. Ich weiß mein Leben in Gottes Hand, er ist mein „roter Faden“ für mein Leben. Transfer, Vermittlung, Umsetzung Lebensrückblick von vorne Der rote Faden in meinem Leben Material • Arbeitsblatt „Der rote Faden in meinem Leben“ • Ausreichend rote Wolle für die TeilnehmerInnen • Klebstoff/Unterlagen • Biografiekarten für Lebenskurven • Lebenswegmeditation aus 18 - 30 Transfer Lebenskurve zeichnen oder mit Naturmaterial legen. GEGEN DEN TREND ’2004 Die TeilnehmerInnen erhalten die Möglichkeit, ihre Lebenskurve in Form einer Fieberkurve aufzumalen oder mit Zetteln und Naturmaterialien zu legen. Dazu kann es hilfreich sein, die TeilnehmerInnen in einer kleinen „Phantasiereise“ an die einzelnen Stationen eines, auch ihres, Lebensweges zu führen. Die Teilnehmenden liegen oder sitzen entspannt, halten die Augen geschlossen. Ich gehe die einzelnen Stationen eines Lebensweges langsam durch: Geburt - In welche Familie hinein, in welche Situation wurde ich geboren? – Meine Kindheit, die ersten Jahre – Kindergarten – Freunde/Freundinnen – Mein erster Schultag – Grundschulerlebnisse – Schulwechsel – Konfirmation – Tanzstunde – Pubertät – erste/r feste/r Freundin/Freund – Schulbildung/-abschluss – Berufswunsch/-wahl – persönliche positive, oder auch negative Erlebnisse – Personen, die auf dem Weg für mich eine Rolle gespielt haben. Welche Bilder, Personen, Erfahrungen, Erinnerungen steigen auf? Anschließend erhalten die TeilnehmerInnen ausreichend Zeit (45 Min.), ihren Lebensweg zu gestalten. Leise Musik im Hintergrund kann die Phase unterstützen. Nach einer kurzen Pause erfolgt der Austausch in der Gruppe. Je nach Gruppengröße Kleingruppen 108_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN (mit maximal vier Personen) bilden. Die TeilnehmerInnen erhalten eine Stunde Zeit um ihre Ergebnisse untereinander vorzustellen. Lebensrückblick von vorne Material: • Stifte • Blätter für die „Fieberkurve“ • Legematerial für den Lebensweg: - Verschiedenfarbige Tücher - Holzkugel, Ringe, Plättchen, Holzstäbe - Muscheln, Steine, Zapfen, Äste - Tonscherben, Spiegelscherben, Nägel - Murmeln, Wolle, Schnur, bunte Papierstreifen, Zeitungen usw. Transfer Der „rote Faden“ in meinem Leben Alle TeilnehmerInnen erhalten einen kurzen roten Faden. Die Hintergrundgeschichte zu der sprichwörtlichen Bedeutung des „roten Fadens“ wird erzählt: Die Bedeutung des „roten Fadens“ geht auf die englische Marine zurück. Die königliche Flotte hatte alle Taue und Stricke so geflochten, dass ein roter Faden durch das Ganze ging. So wurde deutlich, dass diese Taue/Stricke der königlichen Marine gehörten. Die Redensart bedeutet für uns heute, dass sich etwas wie ein „roter Faden“ durch eine Sache bzw. (i. d. F.) durch unser Leben zieht. Mit dem kurzen Stück roten Fadens“ kann ein kurzer Austausch unter folgenden Fragestellungen/ Gedanken erfolgen: Solch ein „roter Faden“ kann eine Idee bzw. Handlungsmuster in meinem Leben sein und mein Tun bestimmen. Die Farbe „rot“ ist die Farbe des Aufbruchs, die Farbe der Liebe. Die Farbe „rot“ will erobern, verändern, aufbrechen. Anschließend erhalten die TeilnehmerInnen ein DIN-A3-Blatt mit dem Schriftzug: “Der rote Faden in meinem Leben“, ausreichend rote Wolle, eine Unterlage sowie Klebstoff (am besten Uhu). Jede/r TeilnehmerIn soll nun seinen Gedanken zum „roten Faden“ seines Lebens nachgehen und ihn mit der Wolle auf dem Blatt fixieren. Man kann am Anfang und Ende den Faden etwas überstehen lassen, um zu versinnbildlichen, dass das Leben einen Anfang und ein Ende außerhalb des „roten Fadens“ hat. Material: • Kurze rote Wollfäden • Lange rote Wollfäden für den Satz • Blätter mit dem Schriftzug „Der rote Faden in meinem Leben“ • Ausreichend Klebstoff (2 TeilnehmerInnen: eine Tube Uhu) • Arbeitsunterlagen Martin Bauer GEGEN DEN TREND ’2004 TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_109 Informationen über die AEJN GEGEN DEN TREND ’2004 Zur Arbeit der aejn In der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen (aejn) haben sich 10 Jugendverbände aus den 5 Landeskirchen, den Verbänden eigener Prägung und den Freikirchen 1959 zusammengeschlossen, um u. a. gemeinsame Belange bei staatlichen, kirchlichen und sonstigen öffentlichen Stellen zu vertreten. Am 05.12.2003 kam es zur Vereinsgründung, mit dem Ziel, als gemeinnützig anerkannter Verein die Interessenvertretung wahrnehmen zu können. Wesentliche Grundlage der verbandlichen Jugendarbeit sind weiterhin Jugend-, Projekt- und Aktionsgruppen. Sie haben wechselnde inhaltliche Schwerpunkte und sind Teil der Freizeit, die Jugendliche und junge Erwachsene gemeinsam gestalten, in der sie soziale Aktionen durchführen und sich mit religiösen, politischen und gesellschaftspolitischen Fragen auseinander setzen. Hinzu kommen Seminare, Wochenendfreizeiten, Zeltlager, internationale Jugendbegegnungen, Jugendgottesdienste und offene Angebote für nicht organisierte Jugendliche. Ein nicht unerheblicher Anteil der Aktivitäten wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. 1.486 Freizeiten bzw. Bildungsmaßnahmen (davon 731 Freizeiten, 28 Internationale Begegnungen und 615 Bildungsmaßnahmen) haben die zehn Mitgliedsverbände der aejn im Jahr 2001 durchgeführt. Darüber hinaus 209 Sonderveranstaltungen wie Jugendtreffen, Projekttage oder Jugendnächte. An diesen Veranstaltungen nahmen 50.385 Personen (davon 27.268 weiblich und 23.117 männlich) teil. Mit mehr als 34.000 TeilnehmerInnen bei 731 Freizeitmaßnahmen dürften die evangelischen Jugendverbände zu den größten Anbietern im Jugendhilfebereich in Niedersachsen zählen. Dazu müssen eine Vielzahl von weiteren Freizeiten der örtlichen Ebene gerechnet werden, die von dieser Statistik nicht erfasst wurden. Bei einer Auflistung der Altersstruktur ist erkennbar, dass bei den genannten Veranstaltungen 110_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN 22.012 Jugendliche aus dem Segment der 14 bis 18-Jährigen stammen, 8.513 Personen waren zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen 19 und 26 Jahre alt, 7.385 Teilnehmende waren älter als 27 Jahre. 12.475 Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren nahmen an Freizeiten teil. Die Mitgliedsverbände zählten 17.104 Ehrenamtliche, die für die unterschiedlichsten Angebotsformen der Jugendarbeit aktiv tätig waren, 53,2 % davon sind weiblich, 46,8 % männlich. Diese Statistik weist nur ein Teilsegment der Angebotsvielfalt der Jugendverbände aus. Regelmäßig stattfindende Gruppenzusammenkünfte, Projekte oder Wochenendveranstaltungen kommen noch dazu. Fazit: Jede Mark, die den Mitgliedsverbänden der aejn vom Land Niedersachsen oder anderen öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt wird, ist gut angelegt. Verwendungsnachweise werden den zuständigen Stellen zur Überprüfung regelmäßig vorgelegt. Dazu kommen die Kinder und Jugendlichen, die sich regelmäßig in Gruppen und Projekten, häufig wöchentlich oder 14-tägig treffen. Allein im Bereich der Ev. Jugend der Hannoverschen Landeskirche gibt es mehr als 3.540 Kinder- und Jugendgruppen. Zur Arbeit Ehrenamtlicher Ehrenamtliches Engagement ist nach wie vor die tragende Säule der Jugendarbeit und insbesondere der Jugendverbandsarbeit. Jugendverbände werden seit ihrer Gründung von Ehrenamtlichen, d. h. von freiwilligen und unbezahlten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen und gestaltet. Mit ihrem Engagement sichern sie das gesamte Verbandsleben von regelmäßiger Gruppenarbeit über die Leitung von Bildungs- und Freizeitmaß- Informationen über die AEJN nahmen bis hin zur politischen Vertretung. Es sind Ehrenamtliche, die Projekte, Freizeiten und die alltäglichen Angebote erst möglich machen. Nach der oben erwähnten Aktivitätenübersicht der aejn wurden 17.104 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gezählt. Die Mitgliedsverbände der aejn haben Strukturen und Rahmenbedingungen geschaffen, damit junge Menschen • durch religiöse, allgemeine und politische Bildung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden, • ihre Interessen innerhalb ihres eigenen Jugendverbandes artikulieren, • ihre Bedürfnisse und Anliegen in der kirchlichen und politischen Öffentlichkeit vertreten. Dies wird auch in den formulierten Standards „Bildung ist mehr! –Thesen zum Bildungsbegriff der aejn“ deutlich. In ihnen wird der Bildungsauftrag der Jugendverbandsarbeit beschrieben, das Bildungsverständnis dargelegt und in sechs Thesen (Bildung als Orientierung, Bildung als Beheimatung, Bildung und Dialog, Bildung und Beteiligung, Bildung und der Erwerb von sozialer und politischer Kompetenz und Bildung gestaltet Gesellschaft) formuliert, welches Grundverständnis Ausgangspunkt ist. Als Grundlage dafür dient die Überzeugung, wie sie z. B. in der Präambel der Ordnung für die ev. Jugendarbeit in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers formuliert ist: Manfred Neubauer Evangelische Jugend in der Ev.-Luth. Landeskirche in Braunschweig Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, 38300 Wolfenbüttel Fon: 0 53 31/8 02 - 5 65, Fax: 0 53 31/8 02 - 7 15 [email protected], http://www.ajab.de Evangelische Jugend in der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers Archivstr. 3, 30169 Hannover Fon: 05 11/12 41 – 4 28, Fax: 05 11/12 41 – 9 78 [email protected], http://www.ejh.de EJO – Evangelische Jugend in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg Haareneschstr. 58, 26121 Oldenburg Fon: 04 41/77 01 – 4 06, Fax: 04 41/77 01@ – 4 99 [email protected], http://www.ejo.de Evangelische Jugend in der Ev.-Luth. Landeskirche in Schaumburg-Lippe Kirchweg 4 a, 31700 Heuerßen Fon: 0 57 25/9 13 – 5 53, Fax: 0 57 25/9 13 – 5 58 [email protected], www.laju-sl.de Ev.-Ref. Jugend in der Evangelisch-Reformierten Kirche (Synode Ev.-Reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) Saarstr. 6, 26789 Leer Fon: 04 91/91 98 – 2 10/-2 11, Fax: 04 91/91 98 - 2 40 [email protected] Länderjugendwerk Niedersachsen/Bremen der Evangelisch-methodistischen Kirche Lambertistr. 44, 26121 Oldenburg Fon: 04 41/8 85 90 85, Fax: 04 41/7 78 14 56 www.kjw-nord.de, [email protected] Gemeindejugendwerk Niedersachsen-Ostwestfalen-Sachsen-Anhalt (GJW) Hermann-Löns-Park 7, 30559 Hannover Fon: 05 11/9 54 97 40, Fax: 05 11/9 54 97 41 [email protected], http://www.gjw-nos.de CVJM in Niedersachsen Auf dem Brink 10, 26849 Filsum Fon: 0 49 57/ 82 15, [email protected] Niedersächsischer Jugendverband „Entschieden für Christus“ (EC) e. V. Archivstr. 3, 30169 Hannover Fon: 05 11/12 41 – 9 01, Fax: 05 11/12 41 – 9 78 www.ec-niedersachsen.de Kreisjugendarbeit der Freien Evangelischen Gemeinden im BFEG in Niedersachsen Neue Str. 9, 37581 Bad Gandersheim TRÄUME - ZUKUNFT - LEBEN_111 GEGEN DEN TREND ’2004 „Ev. Jugendarbeit will allen jungen Menschen das Evangelium von Jesus Christus in ihnen gemäßer Weise bezeugen, sie mit der biblischen Botschaft in ihrer Lebenswirklichkeit begleiten und sie ermutigen, in der Nachfolge Jesu Christi als mündige Christen kirchliches Leben mitzugestalten und Verantwortung in der Welt wahrzunehmen.“ Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen (AEJN) Archivstr. 3, 30169 Hannover Fon: 05 11/12 41 – 5 72/-5 71, Fax: 05 11/12 41 – 4 92 [email protected], http://www.aejn.de Veröffentlichungen „Gegen den Trend“ Gegen den Trend 2003 Echt cool! Gegen den Trend 1997 Surfen in die Zukunft Gegen den Trend 2002 Respekt Gegen den Trend 1996 Kick, Fun & Thrill Gegen den Trend 2001 Zwischen Begeisterung und Gewalt Gegen den Trend 1995 Fasten und Teilen Gegen den Trend 2000 Von Helden und anderen Lichtgestalten Gegen den Trend 1994 Wettstreit statt Feindschaft Gegen den Trend 1999 Navigation braucht Orientierung Gegen den Trend 1993 Gewalt - gewaltfrei leben Gegen den Trend 1998 Erfolgreich leben Gegen den Trend 1992 40 Tage ohne …Verzicht ein Gewinn - Cool sein - eine Annäherung Miteinander wird's cool Wir tragen zu viele Masken Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten - Umfrage: „Cool und Uncool - Was denken Jugendliche über den christlichen Glauben?” - … - Respekt! Anstößige Annäherung an das Thema Jugend ohne Respekt? Gibt es etwa Mobbing in der Schule? „Hallo, wie geht es Dir?“ - Respekt vor Menschen mit Behinderung - Was der 11. September 2001 mit Respekt zu tun hat? - … - Jugendgewalt - Wie, wo, warum? Faszinosum Gewalt Wie wirkt Musik? Die Welt zertrümmern?! Gewaltbereite Mädchen Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen Gewalt und Jungen … - Helden - Begleiter auf dem Weg zur eigenen Persönlichkeit - Filmhelden in Aktion - Star Trek - Raumschiff Enterprise - Stars - Helden in der Musikszene - Martin Luther King - Vom General zum Friedensheld - Yitzchak Rabin - … GEGEN DEN TREND ’2004 - Orientierung - Vom Gebot zur Geschichte - Orientierung als Prozeß - Innerer Kompaß und Orientierungslosigkeit - Global + Ratlosigkeit = Angst - Lebensaufgaben im Jugendalter - Wertehammer -… Erfolg, was ist das für mich - Jeder ist seines Glückes Schmied? Von Leitbildern und Idolen - Stell Dir vor, Du stellst Dich vor, und keiner stellt Dich ein! - Warum immer nur zu kurz kommen? Frauen und Erfolg - … - Alle Ausgaben sind als Kopie für einen Preis von 3 5 zzgl. Porto erhältlich. 112_TRÄUME -ZUKUNFT - LEBEN - - - Runter von der Oberfläche Ich-Styling Kreativ sein im Internet Die Computergesellschaft Kommunikation Zukunft in der Bibel von der Schiffsschaukel zum Euro-Disney Trends Tanzen ist Trumpf Beziehungskisten Erleben gegen den Trend Erlebnispädagogik - Rettungsanker in schwieriger Zeit? Option für die Schwachen Jugend und Teilen Macht teilen Zeit - teilen statt totschlagen Arbeit teilen Geld/Besitz teilen … - Die Aktion - Versuch einer Ist-Stands Beschreibung - Individuum und Gemeinschaft - Ich suche mich noch - Individuum und Gemeinschaft - „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei...” - Werte und Orientierungen -… - Die Aktion Gewalt in der Schule Gewalt in der Freizeit Gewalt in den Medien - Fasten - ein leibliches Fest und ein religiöses Ereignis - Thema Alkohol - Thema Süßigkeiten - Thema Medienkosum