Harry Rowohlt
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Harry Rowohlt
20 MAGAZIN Frankfurter Rundschau Dienstag, 13. November 2012 68. Jahrgang Nr. 265 D/SB/R1/R2/R3/R4/R5/S MAGAZIN 21 Dienstag, 13. November 2012 68. Jahrgang Nr. 265 D/SB/R1/R2/R3/R4/R5/S Frankfurter Rundschau „Ich gehöre keiner Generation an!“ Herr Rowohlt, mögen Sie Ihre Stimme? Ich glaube nicht. Ich höre mir auch nie meine eigenen Hörbücher an. ZUR PERSON Harry Rowohlt, 67, ist der Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt und der Schauspielerin Maria Pierenkämper. Er erbte 49 Prozent des Verlags von seinem Vater, lehnte es aber ab, in das Verlagsgeschäft einzusteigen. Seit 1971 hat Rowohlt 176 Bücher aus dem Englischen übersetzt, er ist für seine Leistung vielfach ausgezeichnet worden. Daneben wurde er bekannt als Vorleser der von ihm übersetzten Werke, als Autor der Kolumne Pooh's Corner in der „Zeit“ sowie als Darsteller des Obdachlosen Harry in der Fernsehserie Lindenstraße. Rowohlt ist bekannt für seine exzessiven SoloBühnenauftritte, die selten weniger als vier Stunden dauern und früher von viel Whisky begleitet waren. Wie schade. Finde ich nicht. Ich habe mir mal meinen Pu der Bär angehört, aber nach 80 Sekunden dachte ich mir: Nee, das kenne ich ja alles. Vor Kurzem sind zwei neue Hörbücher mit ihm erschienen: „Stories“ von Kurt Vonnegut (Kein & Aber) sowie „Meine geheime Biografie“ von Mark Twain (Random House Audio). Wie gehen Sie im Alltag mit Ihrer Stimme um? Ich sage das, was man halt so sagen muss: „Kann ich bitte drei Seehechtfilets und zweihundert Gramm Kunstlachsersatzimitat mit Farbstoff und Konservierungsmittel haben?“ Aber ich pflege meine Stimme nicht und mache auch keine Übungen. Schriftstellers Kurt Vonnegut erschienen. Zuvor haben Sie mehrere Bücher von ihm übersetzt. Welchen Bezug haben Sie zu Vonnegut? 1978, als ich zum ersten Mal ein Buch von ihm übersetzte, war er für mich noch das Idol. Ich habe ihn wie jeder Hippie mit Begeisterung gelesen. Später war ich dann mit Begeisterung auf einer kurzen Lesereise mit ihm. Im Verlauf dieser zauberischen Reise wurde ein Idol zum Freund. Zwei Monate später hat Vonnegut mir geschrieben, dass er durchschnittlich zwei Mal pro Woche aufwacht mit dem Gedanken: Schade, dass Harry hier nicht in der Nähe wohnt, sonst würden wir uns heute gepflegt die Kante geben. So wünscht man sich seine Kundschaft. Müssen Sie im Freundeskreis viel vorlesen? Nee, das fehlte noch. Aber wenn ich einen Brief geschrieben habe, lese ich den natürlich meiner Frau mit Betonung vor. Gab es einen bestimmten Moment, in dem Ihnen klar wurde, dass Sie einmal mit Ihrer Stimme Geld verdienen könnten? Ich erinnere mich nur an einen Moment in einem Griechenland-Urlaub vor vielen Jahren. Ich war dort mit einem befreundeten Ehepaar, wir saßen auf dem Dach und soffen. Damals habe ich den beiden „Die Vollidioten“ von Eckhard Henscheid vorgelesen. Und die zu dem Paar gehörende Frau sagte, ich läse so schön vor. Der habe ich es aber nicht geglaubt, weil die sowieso immer nett zu mir ist. Doch ihr Mann, der mir das Schwarze unter dem Fingernagel nicht gönnt, hat das bestätigt. Da dachte ich mir: Na, dann muss da ja was dran sein. Wie würden Sie einem Tauben Ihre Stimme beschreiben? Ganz laut! Denn der hört mich doch nicht, das müsste ich ihm ja hinschreiben. Gregor Gysi hat mir mal erzählt, dass seine Tochter ständig die sechs Pu-der-Bär-CDs rauf und runter hört und er sich als geplagter Vater das immer alles mit anhören musste. Er meinte, man habe den Eindruck, dass neben der Stimme des Bären und der Erzählerstimme fünf grundverschiedene Sprecher mitwirken. Ich fragte ihn daraufhin: „Erinnern Sie sich an das letzte Mal, dass Sie Lothar Bisky angerufen hat?“ Gysi: „Ja, ich erinnere mich, au Backe!“ Und ich sagte: „Das war ich!“ Darauf Gysi wieder: „Da fällt mir ja ein Stein vom Herzen!“ Jüngst ist Ihr Hörbuch mit Kurzgeschichten des 2007 verstorbenen US- Fiel es Ihnen leicht, Vonnegut zu übersetzen? Das stellte keinerlei Schwierigkeiten dar. Wenn der Autor noch lebt, kann ich ja alles, was ich nicht durch Nachschlagen oder Recherche herausfinde, den Autor selbst fragen. Das war auch bei Vonnegut so, als ich in einem Buch drei Fragen fand, die er seinen Lesern stellte, aber nicht beantwortete. Nämlich: 1. Warum wurde George Washington in einem Hügel beigesetzt? 2. Warum tragen Feuerwehrleute rote Hosenträger? 3. Was ist das Weiße in Vogelscheiße? Ich fragte ihn nach den Antworten, und er schrieb völlig entgeistert zurück: Wie kann man denn so was nicht wissen, wie schwachsinnig bist Du denn? Es ist ja entsetzlich, was für einen ahnungslosen deutschen Übersetzer ich abgekriegt habe, das weiß doch wirklich jeder! Aber Sie wussten es nicht? Nein. Sie etwa? Nein. Sehen Sie. Aber Vonnegut verriet mir die Antworten: 1. George Washington wurde in einem Hügel beigesetzt, weil er tot war. 2. Feuerwehrleute tragen rote Hosenträger, damit ihnen die Hosen nicht rutschen, und 3. Das Weiße in Vogelscheiße ist ebenfalls Vogelscheiße. Klingt, als hätten Sie einen ähnlichen Humor gehabt. Ja, wir haben wunderbar dummes Zeug quatschen können. Und das ist für mich Glück: In den Eingeweiden einer Kneipe zu sitzen und mit klugen Freunden dummes Zeug zu schwätzen. Sie haben 176 Bücher übersetzt. Waren und sind Sie mit allen Autoren befreundet? Vielleicht nicht mit allen, sondern nur mit denen, die ich kenne. Aber im Idealfall sollte der Übersetzer mit dem Originalautor so wesensgleich sein wie nur möglich, weshalb ich ja auch keine Frauen übersetze, weil dadurch schon mal eine Barriere entfällt. Woran liegt es, dass man Sie trotz Ihrer politischen Meinung zu mögen scheint? Weil mich niemand ernst nimmt, glaube ich. Einer meiner besten Freunde und Genossen, Laiki, wurde nach dem Abstinken der griechischen Junta in seinem Kaff Bürgermeister. Laikis Bruder ist Nea Dimokratia, seine Mutter ist Sozi, und sein Vater ist monarchistischer Faschist – und die streiten sich nie! Das ist die mediterrane Herangehensweise: Du kannst ja durchaus was anderes wählen, und deswegen bist du für mich trotzdem noch ein Mensch. Der Übersetzer und Vortragskünstler Harry Rowohlt über Sauftouren mit Kurt Vonnegut, seine markante Stimme, Mark Twains Biografie und den Umgang mit Sozialisten Unangepasst, kritisch und widerspruchsfreudig – so beschreibt man Sie oft. Sehen Sie sich selbst genauso? Nein, denn ich bin eigentlich ein ziemliches Lämmerschwänzchen, schüchtern und rücksichtsvoll. Beschäftigen Sie sich vor dem Übersetzen mit der Dramaturgie der Geschichten und den Entwicklungen der einzelnen Figuren? Nein. Ich hab keinen Schwimmer, was in den Büchern, die ich übersetze, passiert. Ich lebe nur von Punkt zu Punkt, von Satz zu Satz. Und da kann ich nicht auch noch auf die Handlung achten. Wie ich immer sage: Ein gutes Buch braucht keine Handlung. Wer eine Handlung will, soll zum Catchen gehen. Wenn ich so was wüsste, wäre ich Literaturwissenschaftler oder Kritiker geworden. Das ist nicht ihr Ernst. Doch. Und vor allem der Ernst meiner Frau, die immer zu mir sagt: Da siehst du mal, wohin du mit deiner Rücksichtnahme kommst: Nirgendwohin! Ich gehe in Hamburg in der Eppendorfer Landstraße immer in Schlangenlinien, aber nicht weil ich besoffen wäre, sondern weil ich den blinden Geradeausgehern ausweiche, und das mache ich auch sonst immer. Das heißt, Sie halten sich beim Übersetzen grundsätzlich zurück und beschränken sich aufs Handwerk? Nein, aber ich mache es so gut, wie ich irgend kann. Und dabei achte ich eben nicht auf mögliche Exegese. Trotzdem werden Sie in den Medien gelegentlich als ruppig oder unbequem bezeichnet. Ja, neun Mal verkneife ich es mir, und einmal sage ich was. Und die neun Mal, die ich nichts sage, werden naturgemäß nicht wahrgenommen. So ist das. Für Ihre Übersetzungen sind Sie vielfach ausgezeichnet worden. Sie gelten als Sprachpfleger und -bewahrer … … ja, man sagt auch, ich sei sprachversessen und sprachverliebt. Schon allein durch Ihr Aussehen und Auftreten fallen Sie auf. Macht es Ihnen Spaß, anders zu sein als die meisten Menschen Ihrer Generation? Ich gehöre keiner Generation an! Ich bin Jahrgang 1945, und da hatten die Deutschen Besseres zu tun, als Kinder zu kriegen. Wir sind die Wespentaille in der Bevölkerungspyramide gewesen, noch drastischer als danach der Pillenknick. Und weil bei uns natürlich die Zutaten fehlten, sind die meisten von uns einer gigantischen Rückrufaktion zum Opfer gefallen. Weshalb ich immer sage: „Generation? Ich und wer noch?“ Und, sind Sie es? Nö, ich bin nur alt und auf diese Weise altmodisch. Aber das nützt mir ja nichts, denn jede Sprache verändert sich. Das empfindet jeder in seiner Lebenszeit als so schlimm wie nie zuvor. Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich damals richtig geweint hätte, als nicht mehr alles mit th geschrieben wurde. Heute ärgere ich mich über die Anglizismen, weil sie so ubiquitär sind. Früher haben sie mich amüsiert, weil ich sie erkannt habe. Das einzige, was man als Übersetzer machen kann, ist, dass man es selbst eben nicht macht. Sie haben sich einmal als „altes Kind“ bezeichnet. Würde es mehr Erwachsenen guttun, wieder Kind zu sein? Die meisten Menschen sind doch sowieso noch Kinder, sie merken es nur nicht, wenn sie aufdringlich in der Eisenbahn mit ihrem Handy telefonieren. Das ist doch Vorschulreife, was die da so anstellen: „Ich bin jetzt kurz hinter Paderborn!“, rufen sie in ihre Handys. Ich bin dann immer versucht zu sagen: „Ich auch!“ Gibt es bestimmte Wörter, die Sie besonders gerne übersetzen? Nein. Aber Padgett Powell, von dem ich drei Bücher übersetzt habe, verdanke ich einen meiner größten übersetzerischen Triumphe. Da hieß es im Original: „What you know about the Nam is not good enough for a good dingleberry in your BVDs. – Was Du über Vietnam weißt, reicht nicht für eine gute Klabusterbeere in der Feinripp-Unterhose.“ Da brauchte ich nichts nachzuschlagen, das habe ich gleich so verstanden, was natürlich auch Bände spricht, was meine Sozialisation in der englischen Sprache betrifft. Im Vergleich zu anderen Sozialisten werden Sie meist mit Respekt behandelt. In der Öffentlichkeit und an den Stammtischen geht man sonst nicht so freundlich mit Linken um. Beim Stammtisch durchaus! Verallgemeinern sie mir den Stammtisch nicht! Verhalten sich Kinder erwachsener? Vielleicht schon. Aber nur, solange sie kein Handy haben. DAPD/HERMANN J. KNIPPERTZ E r kann tatsächlich genauso grimmig gucken wie auf Pressefotos. Zur Begrüßung ruft Harry Rowohlt allerdings freundlich „Moin!“ Schüttelt kurz und kräftig die Hand, mustert interessiert sein Gegenüber. Dann: die Andeutung eines Lächelns. Und los geht’s. Dass Menschen vorbeihetzen, dass der Lärmpegel eigentlich unerträglich ist, scheint Rowohlt nicht zu stören. Er lehnt sich stoisch auf seinem Stuhl zurück, antwortet schnell, konzentriert und druckreif. Er ist Schauspieler, Sprecher, Übersetzer und Vortragskünstler und als 67-Jähriger gefragter denn je. Sie haben die Autobiografie von Mark Twain vertont. Was verbindet Sie mit Twain? Meine Grabesstimme. Twain hat sich ja hundert Jahre zurückgehalten und schreibt im Vorwort: Ich spreche nun aus dem Grabe. Ich find’ so toll, dass Twain wie selbstverständlich davon ausging, dass sich hundert Jahre nach seinem Tod noch jemand um ihn schert. Und das ist tatsächlich der Fall! Denken Sie an Paul Heyse, der war mal deutscher Literaturnobelpreisträger, den kennt aber keiner mehr. Hemingway hat gesagt, Huckleberry Finn sei der erste moderne amerikanische Roman, und von dem kommt alles her. Da ist was dran. Was halten Sie von Twains Schreibstil? An der Autobiografie mag ich besonders, dass Twain so modern schreibt. Dieses Buch ist völlig konfus, er schweift von aktuellen Ereignissen zu seiner Autobiografie ab. So wie Sie bei Ihren Auftritten. Ja. Und wenn ich mich selbst noch loben darf: Ich fand es an mir ganz gut, dass ich glaubwürdig vorgetragen habe, was Twain in seiner Jugend auf der Farm alles an Fleisch gegessen hat. Ich mag selbst kein Fleisch und unterdrückte beim Aufsagen meinen Brechreiz. Aber das hört man mir nicht an, im Gegenteil, man lobt mich, wie genüsslich ich das vorgetragen habe. Was war so schlimm an dem Fleisch, von dem Twain schreibt? Es war unter anderem Eichhörnchenfleisch! Das haben Mark Twain und Elvis Presley gemeinsam: Die Presleys waren so arm, dass sie in einer schwarzen Gegend wohnten, und das war das einzige Fleisch, das es dort gab. Selbstgeschossene Eichhörnchen! Es gibt in den USA, vor allem im Süden, eine typisch weiße Unterschichtskrankheit, so eine Art Rinderwahn, die kommt vom Verzehr des Hirns vom Eichhörnchen. Deswegen war Elvis so fresssüchtig, das war das einzige Fleisch, mit dem er aufgewachsen ist. Sie treten pro Jahr rund hundert Mal auf. Was reizt Sie an Lesungen? Unter anderem die Bahnfahrt. Ich habe den New Yorker abonniert und komme nur in der Eisenbahn dazu, den zu lesen. Ohne Eisenbahnfahren hätte ich längst das Abo kündigen müssen. Früher habe ich immer den Spiegel gelesen, dann aber festgestellt, dass die ohne Quellenangabe immer genau das gleiche schrieben wie der New Yorker, nur zwei bis drei Wochen später. Da dachte ich mir: Ich muss nicht alles zweimal lesen! Brauchen Sie Applaus? Natürlich freue ich mich, wenn die Leute das mögen, was ich mache. Das macht mir Spaß, und dass es mir Spaß macht, macht wieder den Leuten Spaß. Seit einiger Zeit gehe ich vorher nicht in die Künstlergarderobe, sondern stelle mich vor die Tür, um Passanten den Arm umzudrehen. Nur so kriegt man die Hütte voll! Und dabei lernt man auch die Leute kennen, die in die Lesung kommen. Außerdem gehe ich bei Auftritten durchschnittlich einmal pro Jahr mit Mann und Maus unter, dadurch lernt man zu schätzen, wenn man nicht mit Mann und Maus untergegangen ist. In Solingen zum Beispiel wurden während der ganzen Lesung warme Speisen serviert. „Wer war das Eisbein?“, brüllt ständig jemand dazwischen. Dagegen kann man nicht an, dieses Charisma besitzt niemand. Da wäre sogar Jesus mit seiner Bergpredigt baden gegangen. Interview: Günter Keil