Zeitschrift für Verkehrsrecht

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Zeitschrift für Verkehrsrecht
www.manz.at/zvr
Zeitschrift für
ZVR
VERKEHRSRECHT
Karl-Heinz Danzl, Christian Huber,
Georg Kathrein, Gerhard Pürstl
Redaktion
Sonderheft
Dezember 2015
417 – 508
ZVR-Verkehrsrechtstag 2015
Themen
Straßenverkehrsrecht
Verkehrsunfall von A bis Z:
Versicherungsrecht
Autofahren der Zukunft:
IVS, Fahrerassistenzsysteme und
automatisiertes Fahren
Rettungswesen & Medizinrecht
ISSN 0044-3662
P.b.b. Verlag Manz 1230 Wien, Gutheil Schoder Gasse 17, 02Z032554 M
12a
[S T R A S S E N V E R K E H R S R E C H T ]
Rechte und Pflichten von
Straßenaufsichtsorganen
Was ist dran am Mythos des allmächtigen Straßenaufsichtsorgans?
Ziel dieses Beitrags ist es, einen strukturierten Überblick über das rechtliche Fundament des Handelns von Organen der Straßenaufsicht zu vermitteln. Im Folgenden
wird daher ua darauf einzugehen sein, wer denn überhaupt als Straßenaufsichtsorgan iwS anzusehen ist, welche Befugnisse diesen insb im Zusammenhang mit
Alkohol zukommen und welche Rechtsmittel dem Betroffenen gegen rechtswidrige
Handlungen zur Verfügung stehen. Abschließend wird noch der Sonderfall des
„agent provocateur“ im (Straßenverkehrs-) Verwaltungsstrafrecht thematisiert.
Von Lukas-Sebastian Swoboda
Inhaltsübersicht:
A. Einleitung
1. Organe der Straßenaufsicht
a) Organe der Parkraumüberwachung
b) Polizisten als Straßenaufsichtsorgane
B. Alkohol
1. Rechte und Pflichten im Rahmen einer
Alkoholkontrolle (§ 5 StVO)
a) Exkurs: Suchtgift
2. Zwangsmaßnahmen bei Alkoholisierung
(§ 5 b StVO)
3. Aufforderung zur Atemalkoholkontrolle
a) Rechtliche Qualifikation der Aufforderung
C. Der „agent provocateur“ im Straßenverkehrsrecht
1. Strafbarkeit des „agent provocateur“?
2. Strafbarkeit des Provozierten
§§ 5 ff, 89 a, 97
StVO;
§ 7 VStG
Straßenverkehrsrecht;
Straßenaufsichtsorgane;
„agent
provocateur“
cher Entscheidungen zum Thema des „agent provocateur“ im Straßenverkehrsrecht soll im Folgenden eine
praxisnahe Darstellung ausgewählter Problemfelder geboten werden.
1. Organe der Straßenaufsicht
Der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung (arg:
„insbesondere“) des § 97 StVO lässt sich unmissverständlich entnehmen, dass es sich bei den genannten
Organen der Straßenaufsicht (Organe der Bundespolizei, im Fall des § 94 c Abs 1 StVO Organe der Gemeinde und Zollorgane im Bereich ihres Amtsplatzes)
bloß um eine demonstrative Aufzählung handelt1) und
es insb den Ländern offensteht, weitere Straßenaufsichtsorgane zu bestellen.
A. Einleitung
a) Organe der Parkraumüberwachung
Der Allgegenwart von Straßenaufsichtsorganen sowie
deren unermüdlichem Einsatz ist es ua zuzuschreiben,
dass die Zahl der Verkehrstoten auf heimischen Straßen
kontinuierlich sinkt, sich die Verkehrswege weitgehend
in einem akzeptablen Zustand befinden und nicht zuletzt, dass Österreichs Landeshauptstädte – trotz stark
steigendem Verkehrsaufkommen der letzten Jahre – einem Verkehrs- und Parkplatzchaos (noch) entgehen.
Angesichts dieser Omnipräsenz von Organen der Straßenaufsicht, der mitunter schwierigen rechtlichen Qualifikation deren – zumeist hoheitlichen – Handelns und
der verschwindend geringen Anzahl höchstgerichtli-
Bei der Vollziehung der jeweiligen Parkgebührengesetze handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der
staatlichen „Straßenpolizei“. Die österreichweit höchst
unterschiedliche Vollziehung der jeweiligen Parkgebührengesetze unterliegt kompetenzrechtlich dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. So erfolgt bspw
die Parkraumüberwachung in
Ü Wien durch Bedienstete des Magistrats, die funktionell als Organe der Landespolizeidirektion Wien
anzusehen sind,
Ü
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ZVR 2015/234
1) Dazu VwGH 2006/02/0220 ZVR 2007/63.
Ü Lukas-Sebastian Swoboda Ü Rechte und Pflichten von Straßenaufsichtsorganen
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Ü Graz durch das Handeln Privater in Form der Beleihung.2) , 3)
Im Zuge ihrer Tätigkeit kommen den Organen bundesweit höchst unterschiedliche Befugnisse zu. Ua sind
sie ermächtigt:4)
Ü Organstrafverfügungen zu verteilen,
Ü eines Parkgebührenvergehens verdächtige Personen
durch deutlich sichtbare oder hörbare Zeichen anzuhalten
(Zu beachten ist, dass die Nichtbefolgung der Anhaltung ein Ungehorsamkeitsdelikt darstellt, der
Beschuldigte daher zu beweisen hat, dass ihm die
Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein
Verschulden nicht möglich gewesen ist. Pfeifsignale
und bloße Betätigung der Lichthupe gelten nach
stRsp jedenfalls, im Gegensatz zur Aufforderung
zur Anhaltung mittels roten Anhaltestabs,5) nicht
als „deutlich sichtbar oder hörbar“.),6) , 7)
Ü Identitäten festzustellen,
Ü Anzeigen auszustellen,
Ü zum Sachverhalt zu befragen,
Ü vorläufige Sicherheiten einzuheben,8) , 9)
Ü im Fall einer vorliegenden Verkehrsbehinderung
Fahrzeuge abschleppen zu lassen
Ü sowie unter gewissen, in den jeweiligen Gesetzen
genannten Voraussetzungen technische Sperren anzubringen,10) um den Lenker am Wegfahren zu hindern.11)
Das Handeln der Aufsichtsorgane ist, gleichgültig wem
diese organisatorisch unterstehen, jener Behörde zuzurechnen, welche in concreto für die Verkehrspolizei
zuständig ist, daher der LReg, BVB oder der Gemeinde
in deren eigenem Wirkungsbereich bzw der LPD bei
Gebieten einer Gemeinde, bei der die Sicherheitsbehörde 1. Instanz die LPD darstellt.
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amten durch das bloße Fehlen des formalen Erfordernisses der Ausweisung verhindert wird.
B. Alkohol15)
1. Rechte und Pflichten im Rahmen
einer Alkoholkontrolle (§ 5 StVO)
b) Polizisten als Straßenaufsichtsorgane
Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf nach § 5 StVO weder ein Fahrzeug „lenken“16) (liegt bereits beim Versuch, den Motor zu starten, vor) noch „in Betrieb nehmen“17) (Tätigkeit, die dem Lenken zumeist vorausgeht, unabhängig von deren Zweck; zB Überprüfung
der elektrischen Anlage, Einschalten der Heizung).
§ 5 Abs 1 StVO gibt zu verstehen, dass bei einem
festgestellten Blutalkoholgehalt von 0,8‰ oder mehr
bzw einem Atemalkoholgehalt von 0,4 mg/l oder darüber die unwiderlegbare Rechtsvermutung einer alkoholbedingten Beeinträchtigung vorliegt.
Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung lässt
jedoch im Umkehrschluss in Einzelfällen die Möglichkeit offen, im Fall von Werten unter den eben genannten ebenfalls eine alkoholbedingte Beeinträchtigung
anzunehmen (Minderalkoholisierung).18)
Dies ist insb im Zusammenhang mit der Einnahme
von Medikamenten relevant. Sollte die Fahruntüchtigkeit nicht primär durch den Konsum von Alkohol,
sondern durch gemeinsamen Konsum mit Medikamenten verursacht sein, so ist das Tatbild des § 5 Abs 1
StVO erfüllt und entsprechend zu bestrafen.19)
Führerscheinrechtliche Konsequenzen treten bereits ab einem Blutalkoholwert von 0,5‰ oder einem
Atemalkoholgehalt von 0,25 mg/l ein. Sollte daher im
Zuge einer Anhaltung ein Blutalkoholwert von 0,6‰
(dh zwischen 0,5 und 0,8‰) festgestellt werden, so
kommt eine Bestrafung nur nach § 14 Abs 8 iVm
§ 37 a FSG in Frage. Eine alkoholbedingte Beeinträchtigung iS der StVO ist nämlich nicht gegeben.
Was einen Polizeibeamten in diesem Zusammenhang
von Parkraumüberwachungsorganen im Speziellen
und von Straßenaufsichtsorganen generell unterscheidet, ist, dass:
Ü dem Polizeibeamten im Gegensatz zu Parkraumüberwachungsorganen grundsätzlich die Möglichkeit zukommt, Zwangsgewalt einzusetzen;
Ü dem Polizisten im Gegensatz zu allen anderen Organen der Straßenaufsicht die zuvor genannten Befugnisse und noch weitere in Zivil zukommen
(hierzu bedarf es lediglich der ausdrücklichen Erklärung12) über die „Indienststellung“);
Ü gegen ungebotene Verhaltensweisen eines Exekutivbeamten mittels RL-Beschwerde13) vorgegangen
werden kann.
Bedenklich und der Rechtssicherheit nicht zuträglich
ist der Umstand, dass es zur Indienststellung keines
„besonderen Formalakts“ bzw keiner „besonderen Formel“ bedarf.14) Die Vorlage eines Dienstausweises ist
nicht verpflichtend. Damit trägt der VwGH wohl
dem Gedanken Rechnung, dass sich Exekutivbeamte
durch bewusstes Nichtmitführen des Dienstausweises
der Indienststellung zu entziehen versuchen könnten
oder das durchaus gewünschte Einschreiten eines Be-
2) Nicht zu verwechseln mit privaten Abschleppunternehmen, die gezielte hoheitliche Teilakte im Auftrag der Behörde setzen und somit
lediglich als „Verwaltungshelfer“ anzusehen sind.
3) Nedbal-Bures, Ruhender Verkehr – Parkraumbewirtschaftung neu,
ZVR 2012/244.
4) Stolzlechner/Horvath, Sicherheitsverwaltung und Privatwirtschaft
(Teil I), SIAK-Journal 2009 H 4, 67.
5) VwGH 29. 2. 2008, 2007/02/0182.
6) Hoffer, StVO – Handkommentar zur Straßenverkehrsordnung31
§ 97.
7) Ebenso wird wohl die alleinige Betätigung der Hupe dem Erfordernis der Deutlichkeit nicht entsprechen (Anm).
8) Insb bei Ausländern, bei denen die Strafverfolgung erschwert wird,
sinnvoll (Anm).
9) Stolzlechner/Horvath, SIAK-Journal 2009 H 4, 67.
10) Dabei handelt es sich um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, welcher beim zuständigen
Verwaltungsgericht mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden kann.
11) So etwa das Gesetz v 4. 3. 1988 über die Erhebung einer Gemeindeabgabe für das Abstellen von mehrspurigen Kraftfahrzeugen in
Kurzparkzonen (Oö Parkgebührengesetz).
12) Zur ausdrücklichen Erklärung der Indienststellung s das Erk des
VwGH 201/78 VwSlg 9817/1979.
13) § 89 SPG.
14) Vgl VwGH 24. 9. 1987, 87/02/0144.
15) Hoffer, StVO31 (2013) 41 ff.
16) Näheres zum Begriff des Lenkens iS der StVO s ua VwGH
20. 4. 1988, 87/02/0154.
17) Pürstl, StVO13 (2011) §§ 5 – 5 b Anm 5.
18) Pürstl, aaO Anm 6.
19) Hoffer, StVO31 (2013) 46.
Ü Lukas-Sebastian Swoboda Ü Rechte und Pflichten von Straßenaufsichtsorganen
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Organe des amtsärztlichen Dienstes sowie dazu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt,
jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug
lenken oder in Betrieb nehmen, auch ohne Vermutung
einer Alkoholisierung zu untersuchen.
Die handelnden Organe haben – obwohl keine bestimmte Form vorgeschrieben ist – das Begehren auf
Durchführung einer Alkoholkontrolle hinreichend
deutlich zu formulieren (Näheres zur Aufforderung
unter Pkt 3).
Hinweise auf eine drohende Verweigerung (in diesem Fall wird hinsichtlich der Bestrafung eine festgestellte Alkoholbeeinträchtigung von 1,6‰ oder mehr
gleichgestellt) und deren Konsequenzen wären aus
Rechtsschutzsicht wünschenswert.
Im Zuge von bei Planquadraten vorgenommenen
Atemalkoholkontrollen kommen regelmäßig handliche Vortestgeräte zum Einsatz, die nicht der Feststellung des genauen Alkoholgehalts, sondern bloß als Indikator, dh der Verdachtsgewinnung dienen.
Ein „positiver“ Vortest zieht, ebenso wie die Verweigerung der Teilnahme an einem solchen für sich allein, keine Strafbarkeit nach sich. Die Verweigerung
oder der Verdacht einer Alkoholisierung nach durchgeführtem Vortest zieht regelmäßig eine Untersuchung der Atemluft mittels eines geeichten und somit
im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens volle Beweiskraft zukommenden Alkomaten nach sich.20)
Im Unterschied zur Atemluftuntersuchung an Ort
und Stelle ist die Vorführung zur nächstgelegenen
Dienststelle – dabei handelt es sich um keinen Akt
unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und
Zwangsgewalt (in Folge als AuVBZ bezeichnet), sofern
kein physischer Zwang angewendet oder angedroht
wurde – zum Zweck der Untersuchung des Atemalkoholgehalts nur zulässig, wenn die konkrete Vermutung
(bspw Alkoholgeruch, positiver Vortest) einer Alkoholbeeinträchtigung besteht. Sollte sich der Betroffene
weigern, den Beamten zu folgen, so wird diesem hinsichtlich des Strafrahmens ein Blutalkoholwert von
1,6‰ unterstellt.21)
Eine zwangsweise Vorführung kommt jedoch nur
dann in Betracht, wenn die in § 35 VStG normierten
Voraussetzungen einer Festnahme vorliegen.22)
Der als Verfassungsbestimmung konzipierte § 5
Abs 6 StVO besagt, dass solche Blutabnahmen vom Betroffenen an sich vorzunehmen lassen sind. Die Einbettung in den Rang des Verfassungsrechts sieht ihre
Rechtfertigung darin, dass grundsätzlich jeder gegen einen Beschuldigten gerichtete behördliche Eingriff, der
diesen unter Strafsanktionen verpflichtet, an der Wahrheitsfindung durch ein mündliches Geständnis oder in
Form der Zurverfügungstellung des Körpers für medizinische Eingriffe mitzuwirken, dem in Art 90 Abs 2
B-VG normierten Anklageprinzip widerspricht.23)
Umgekehrt hat jeder, dessen Atemalkoholgehalt
über 0,4 mg/l bei einer Atemalkoholkontrolle gelegen
ist, das Recht, dieses Ergebnis mittels Blutalkoholkontrolle durch einen Arzt überprüfen zu lassen.
Freilich ist die Blutabnahme nur im Fall der zumindest konkludenten Zustimmung des Betroffenen erlaubt. Insofern stellt die Abnahme des Bluts auch keinesfalls einen AuVBZ dar. Ein in der Praxis verbreiteter
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und von Seiten der Rsp geduldeter Weg der Umgehung
dieser Zustimmungspflicht ist die Verwertung der Ergebnisse von Blut, dessen Abnahme aus Gründen der
Heilbehandlung erfolgte. Diese sind verwertbar und fallen, wie ua im Jahre 2001 vom VwGH bestätigt,24) nicht
unter das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung.
Dass die Blutalkoholuntersuchung vom Gesetzgeber als subsidiärer Behelf der Feststellung des Alkoholisierungsgrades festgelegt wurde, darf nicht über die
grundsätzliche Gleichwertigkeit von Blut- und Atemalkoholtest hinwegtäuschen. Sinn hinter dieser Regelung
ist es wohl, dem Erfordernis des gelinderen Mittels
Rechnung zu tragen.
a) Exkurs: Suchtgift25)
Grundsätzlich werden Personen, die verdächtigt werden, ein Kfz in einem durch Suchtgift beeinträchtigten
Zustand gelenkt oder in Betrieb genommen zu haben,
wie Personen behandelt, bei denen die Vermutung einer Beeinträchtigung durch Alkohol besteht.
Besonderheit in diesem Fall ist, dass besonders geschulte und von den Behörden hierzu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht vor Ort Speichelvortests
durchführen können. Solche dienen dazu, die bestehende Vermutung einer Beeinträchtigung im Rahmen
einer Kontrolle zu erhärten oder zu entkräften. Werden Spuren vorgefunden, so ist der Betroffene einem
Arzt vorzuführen. Derzeit kommt diese Technik jedoch (noch) nicht zum Einsatz, da der Bundespolizei
weder die entsprechenden Gerätschaften zur Verfügung stehen, noch die dazu notwendige Verordnung
erlassen wurde.
Sollte im Zuge einer Blutuntersuchung festgestellt
werden, dass der Proband Suchtgift konsumiert hat,
so ist keine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen einem Delikt nach dem SMG einzubringen, sondern lediglich die BVB als Gesundheitsbehörde davon
in Kenntnis zu setzen.
2. Zwangsmaßnahmen bei Alkoholisierung
(§ 5 b StVO)26)
Um den soeben beschriebenen Bestimmungen Alkohol
und Suchtgift betreffend zur Durchsetzung zu verhelfen, werden Straßenaufsichtsorgane in § 5 b StVO ermächtigt, unter bestimmten Umständen Zwangsmaßnahmen zu setzen.
Das Gesetz nennt als Beispiele
Ü die Abnahme des Kfz-Schlüssel,
Ü das Absperren oder Einstellen des Kfz
Ü sowie die Anbringung von technischen Sperren.
Auch das Auslassen von Luft aus den Reifen wurde von
der Rsp noch als zulässig befunden.27) Die Abnahme
Hoffer, aaO 49; Pürstl, StVO13 (2011) §§ 5 – 5 b Anm 14 a – 14 c.
Hoffer, StVO31 (2013) 50; Pürstl, StVO13 (2011) §§ 5 – 5 b Anm 14.
Hoffer, aaO.
Pürstl, StVO13 (2011) §§ 5 – 5 b Anm 29.
Der VwGH bekräftigt in seinem Erk v 20. 4. 2001 (2000/02/0232),
dass „die Blutabnahme zur Heilbehandlung [. . .] mit einer durch irgendeine Vorschrift des § 5 StVO verbotenerweise erlangten Blutprobe nichts zu tun“ habe.
25) Hoffer, StVO31 (2013) 53 ff.
26) Pürstl, StVO-ON13.01 §§ 5 – 5 b StVO.
27) OGH 15 Os 56/91 ZVR 1992/74.
20)
21)
22)
23)
24)
Ü Lukas-Sebastian Swoboda Ü Rechte und Pflichten von Straßenaufsichtsorganen
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des Zulassungsscheins hingegen ist ein unzulässiges
Mittel, um die Weiterfahrt zu verhindern, da hierfür
zumindest der Verdacht der Mangelhaftigkeit des gelenkten Kfz vorliegen muss.
Sobald die Voraussetzungen weggefallen sind, sind
die Zwangsmaßnahmen unverzüglich aufzuheben.
3. Aufforderung zur Atemalkoholkontrolle
Gem § 5 Abs 2 StVO sind von der Behörde hierzu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht (insb Organe
des Wachkörpers Bundespolizei) berechtigt, jederzeit
„die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug in Betrieb
nehmen [. . .], auf den Verdacht der Beeinträchtigung
durch Alkohol zu untersuchen“. Abs 2 a leg cit ermächtigt hierzu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht, „jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu
nehmen versuchen, auf den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol zu überprüfen“. Auf den ersten Blick
sorgen die ähnlichen Formulierungen des § 5 Abs 2
und 2 a StVO zumeist für Verwirrung.28) Sieht man sich
diese Absätze jedoch genauer an, so fällt auf, dass Abs 2
den Terminus „untersuchen“, wohingegen Abs 2 a den
Begriff „überprüfen“ verwendet. Diese in § 5 Abs 2 a
StVO normierte, leicht zu verwechselnde, aber dennoch
in ihrer rechtlichen Konsequenz divergierende Formulierung wurde durch die 21. StVO-Nov geschaffen.29)
Diese schuf die rechtlichen Rahmenbedingungen für
den Einsatz von mobilen „Vortestgeräten“ zur Atemalkoholkontrolle. Dass die Überprüfung mittels „Vortests“ und somit die Bestimmung des Abs 2 a aus chronologischer Sicht vor dem eigentlichen Test mit dem
(geeichten) Alkomaten (Abs 2) anzusiedeln ist,30) ergibt
sich bereits aus dem letzten Satz des Abs 2 a, welcher im
Fall einer positiven Überprüfung die Vornahme einer
Untersuchung nach Abs 2 anordnet.31)
Problematisch im Zusammenhang mit der Aufforderung zur Atemalkoholkontrolle durch ein Straßenaufsichtsorgan ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber
weder Form, Ablauf noch Inhalt einer solchen Aufforderung konkretisiert. Der Rsp des VwGH lässt sich entnehmen,32) dass der Rechtmäßigkeit des Begehrens Genüge getan wird, „sofern die entsprechende Deutlichkeit
des Begehrens gegeben ist“.33) Zurückhaltender agiert der
VwGH bei der Frage, was als deutlich iS dieser Bestimmung anzusehen ist. Fest steht, dass das Begehren des
handelnden Straßenaufsichtsorgans zur Vornahme einer Atemalkoholkontrolle so deutlich zu sein hat, dass
es als solches vom Betroffenen verstanden werden
kann,34) dieser dieses auch tatsächlich wahrnimmt und
verstanden hat.35) Ob die Aufforderung des Organs
der Straßenaufsicht als Frage oder Befehl vorgebracht
wird, bzw wie dies im Einzelfall vom Empfänger interpretiert wird, ist jedenfalls ohne rechtliche Relevanz.36)
Aus Gründen der Praktikabilität ist es nicht erforderlich, die Aufforderung unmittelbar („von Angesicht
zu Angesicht“) an den Fahrzeuglenker zu richten.37) , 38)
Ist der Betroffene der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, so ist dem Erfordernis der Deutlichkeit
durch andere Maßnahmen zu entsprechen (bspw Vorhalten des Alkomaten).39) Sollte das handelnde Organ
im Rahmen einer Atemalkoholkontrolle seiner gesetz438
Ü Lukas-Sebastian Swoboda Ü Rechte und Pflichten von Straßenaufsichtsorganen
lichen Verpflichtung, uzw auf Aufforderung die Ermächtigungsurkunde vorzuweisen, nicht nachkommen, so führt dieses Fehlverhalten nach stRsp keinesfalls ex lege zur Rechtswidrigkeit des behördlichen
Handelns.40) Gleiches gilt konsequenterweise auch bei
Nichtvorlage der Dienstnummer.41) Dies führt insb im
Fall der Indienststellung eines Polizeibeamten zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Der Beamte hat lediglich
eine deutlich wahrnehmbare und ausdrückliche Erklärung über die erfolgte Indienststellung an den Betroffenen zu richten.42) Da es für die Indienststellung eines
Exekutivbeamten weder einer Uniform, eines Dienstausweises, noch einer Ermächtigungsurkunde bedarf,
ist es für den Betroffenen oftmals schwierig abzuschätzen, von welcher Person er nun tatsächlich in casu die
entsprechende Aufforderung erhält.43) Erwähnenswert
ist insb, dass handelnde Organe nicht verpflichtet sind,
im Zuge der durchgeführten Amtshandlung über etwaige rechtliche Konsequenzen einer (Atemalkoholtest-)Verweigerung44) aufzuklären.45) , 46)
a) Rechtliche Qualifikation der Aufforderung47)
Da die Aufforderung zur Durchführung einer Atemalkoholkontrolle nach hL und stRsp keinen AuVBZ
darstellt, ist wohl davon auszugehen, dass es sich dabei
28) „Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte
und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht
sind berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu
nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. [. . .]“ (§ 5
Abs 2 StVO); „[. . .] auf den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol zu überprüfen. Ergibt die Überprüfung der Atemluft den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol oder wird die Überprüfung verweigert, haben die genannten Organe eine Untersuchung
der Atemluft gemäß Abs 2 vorzunehmen. [. . .]“.
29) BGBl I 2005/52; Hoffer, StVO31 (2013) 49.
30) Aus legistischer Perspektive wäre eine Ansiedlung des Abs 2 a vor
der Bestimmung des Abs 2 zu begrüßen (Anm).
31) „Ergibt die Überprüfung der Atemluft den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol oder wird die Überprüfung verweigert, haben
die genannten Organe eine Untersuchung der Atemluft gemäß
Abs 2 vorzunehmen.“ (§ 5 Abs 2 a StVO).
32) VwGH 2008/02/0187 ZVR 2009/86; VwGH 27. 4. 2000, 99/02/
0292.
33) Pürstl, StVO13 (2011) §§ 5 – 5 b E 162.
34) Pürstl, aaO E 163.
35) VwGH 2010/02/0046 ZVR 2011/72.
36) VwGH 441/79 ZVR 1980/51; VwGH 7. 8. 2003, 2000/02/0089.
37) Hierzu und zum Sonderfall der Aufforderung mittels Gegensprechanlage VwGH 27. 4. 2000, 99/02/0292.
38) Zur Frage, ob eine Aufforderung übers Telefon wirksam ergehen
kann, bejahend VwGH 2006/02/0181 ZVR 2007/36.
39) VwGH 4. 7. 1980, 3337, 3338/79.
40) VwGH 14. 3. 1985, 85/02/0012.
41) VwGH 25. 11. 2004, 2003/03/0297.
42) VwGH 10. 4. 1991, 90/03/0282.
43) Abstrakter hat es der VwGH in seinem Erk v 24. 9. 1987 (87/02/
0144) formuliert, wonach es für die wirksame Indienststellung eines
Beamten keines „besonderen Formalakts“ oder einer „besonderen
Formel“ bedarf.
44) In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Verweigerung eines bloßen Vortests (§ 5 Abs 2 a StVO) für sich straflos ist.
45) VwGH 734/66 ZVR 1967/185.
46) Zum Sonderfall der Belehrung eines Radfahrers ohne Kfz-Führerschein s den Bescheid des UVS Steiermark v 29. 9. 1998, 303.31/98.
47) Adler/Fister, Die Verhaltensbeschwerde – Zum Beschwerdetypus
des Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG, ecolex 2014, 763; B. Raschauer,
„Schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln“, in FS Stolzlechner
(2013) 547; Lenzbauer, Rechtsschutz gegen schlichte Hoheitsverwaltung – Die typenfreie Beschwerde und ihre Verwandten, JAP
2014/2015/2.
ZVR [2015] 12a
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um einen Akt der schlichten Hoheitsverwaltung handelt.48) Den Eigenheiten des österr öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzsystems widersprechend, wonach
Rechtsschutz grundsätzlich nur gegen jene in der Bundesverfassung typisierten Handlungsformen der Verwaltung zur Verfügung steht, besteht gegen Akte der
schlichten Hoheitsverwaltung eine Sonderform der
Beschwerde (= „Verhaltensbeschwerde“) gem Art 130
Abs 2 Z 1 B-VG.49) Sinn dieses Beschwerdetypus ist
es, dort Rechtsschutz zu gewähren, wo dieser infolge
der Rechtstypengebundenheit des Rechtsschutzsystems
grundsätzlich nicht gegeben wäre.
C. Der „agent provocateur“ im
Straßenverkehrsrecht50) , 51) , 52)
Der „agent provocateur“, wohl am ehesten mit dem
Wort „Lockspitzel“ ins Deutsche zu übersetzen, provoziert jemanden zur Begehung einer strafbaren Handlung zum Zweck der Beweissicherung in einem späteren Strafverfahren.
1. Strafbarkeit des „agent provocateur“?
Der Formulierung des § 7 VStG ist zu entnehmen, dass
es bei der Beurteilung der Strafbarkeit des Anstifters
nicht auf dessen Motiv ankommt, wonach die Strafbarkeit des „agent provocateur“ grundsätzlich zu bejahen
ist.
Hierbei gilt es jedoch unterschiedliche zeitliche Stadien zu unterscheiden:
Ü Hat der unmittelbare Täter noch nicht einmal das
Versuchsstadium erreicht, so kann es mangels
Rechtswidrigkeit keinen Anstifter geben und der
„agent provocateur“ ist sohin straffrei.
Ü Gleiches gilt, wenn der unmittelbare Täter im Versuchsstadium stecken bleibt, es daher zu keiner Tatvollendung kommt und der Versuch der Verwaltungsübertretung nicht iSd § 8 Abs 1 VStG für
strafbar erklärt wurde.
Abgesehen davon ist nach hM im Verwaltungsstrafrecht grundsätzlich davon auszugehen, dass „Anstiftungen zum Versuch“ ebenso wie die „versuchte Anstiftung“ wegen fehlender ausdrücklicher Strafdrohung in Anbetracht des Art 7 MRK wohl nicht
strafbar ist.
Ü Sollte der unmittelbare Täter das Delikt vollendet
haben, steht der Strafbarkeit des handelnden Or-
Ü In Kürze
Straßenaufsichtsorganen kommen weitreichende Rechte
und Pflichten zu. Beginnend bei der Alkoholkontrolle im
Rahmen eines Planquadrats, bis zum Abschleppen eines
Kfz sowie dem „agent provocateur“ im Straßenverkehrsrecht bietet der Artikel über alle genannten Themen einen
kurzen und prägnanten Überblick.
Ü Zum Thema
gans als Anstifter iSd § 7 VStG grundsätzlich nichts
entgegen.
Oftmals entzieht sich der „agent provocateur“ der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit durch den
Einwand, dass sich der Vorsatz bloß auf den Versuch
gerichtet habe und nicht auf die Vollendung des Delikts. Hierbei würde dann lediglich die generell straflose Anstiftung zum Versuch vorliegen.
Insb im Hinblick darauf, dass viele Verwaltungsübertretungen Ungehorsamsdelikte sind und folglich
verglichen mit Erfolgsdelikten ein früheres Stadium
der Tatvollendung haben, scheint die Argumentation
ein wenig seicht.
2. Strafbarkeit des Provozierten53)
Der VwGH vertritt seit Jahrzehnten die stRsp, dass die
Tatprovokation durch einen Beamten an der Strafbarkeit des Provozierten nichts ändere.
Insb im Hinblick auf die zuletzt ergangene Rsp
des EGMR (ua Rs Ramanauskas; Rs Furcht/Deutschland),54) wonach dieser die Beweissicherung mittels eines „agent provocateur“ als mit dem Recht auf ein faires Verfahren iSd Art 6 MRK im Widerspruch sieht,
erscheint die Judikatur des VwGH überdenkenswert.
Der Einwand, dass die Judikatur des EGMR das
klassische Kriminalstrafrecht betrifft, darf nicht über
den Umstand hinwegtäuschen, dass das Verwaltungsstrafrecht unbestritten unter den von Art 6 MRK verwendeten Begriff des „criminal charge“ fällt,55) wonach
mE die für das gerichtliche Strafrecht judizierten
Grundsätze durchaus auch auf das Verwaltungsstrafrecht Anwendung finden.
48) Die Qualifikation als Bescheid scheidet aufgrund mangelnder Form
selbstverständlich aus (Anm).
49) Beachte in diesem Zusammenhang die Bestimmung des § 89 SPG.
50) Raschauer/Wessely, Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz
(2009) § 7 Rz 4 ff.
51) Muzak, Der „agent provocateur“ im Verwaltungsstrafrecht, in FS
Mayer (2011) 413.
52) Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger,
Verwaltungsverfahrensrecht9
(2009).
53) Ähnlich VwGH 27. 1. 1997, 94/10/0019.
54) EGMR 5. 2. 2008, 74420/01 NStZ 1999, 47 = StV 1999, 127;
EGMR 23. 10. 2014, 54648/09 NStZ 2015, 412 = NJ 2015, 201
= StV 2015, 405.
55) Die Garantien des Art 6 MRK dem Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren ebenso zusprechend Hengstschläger/Leeb, Grundrechte2 (2013) 251.
Ü Literatur-Tipp
Hengstschläger/Leeb, Grundrechte2
(2013)
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Über den Autor:
Mag. Lukas-Sebastian Swoboda ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Wien. Tel: 0660 580 94 65,
E-Mail: [email protected]
ZVR [2015] 12a
Ü Lukas-Sebastian Swoboda Ü Rechte und Pflichten von Straßenaufsichtsorganen
Ü
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