Titelseite 07.07.2015 - Die Stadt der Zukunft

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Titelseite 07.07.2015 - Die Stadt der Zukunft
Die unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg
1,70 €
Dienstag, 7. Juli 2015
Nr. 153 | 28. Woche | 71. Jahrgang | E 4029
Wegducken geht
nicht mehr
Sonderthema der Stuttgarter Zeitung
Die vernetzte
Metropole
EU Nach den Griechen muss
nun auch Angela Merkel
sagen, welches Europa sie
will. Von Rainer Pörtner
E
Foto: StZ Montage: Schlösser
Die Stadt der Zukunft ist smart, attraktiv und effizient.
Auf einem von der StZ veranstalteten Kongress zum Thema
Stadtentwicklung diskutieren Experten über herausragende
Projekte sowie innovative Lösungsansätze. SEITEN 7 BIS 10
Entdecken
Kultur
Sport
Wie geht es Tieren im Labor? Ein
Rundgang an der Uni Tübingen SEITE 20
Vom Feinsten: Mark Knopfler zaubert
in der Schleyerhalle SEITE 33
Fußball: der VfB Stuttgart hat sieben
Stürmer. Das sind zwei zu viel SEITE 40
Koalition einigt sich
bei Erbschaftsteuer
Union und SPD haben ihren Streit über die
Reform der Erbschaftsteuer beigelegt und
kommen der Wirtschaft nochmals entgegen. Mit dem am Montag bekannt gewordenen Kompromiss lockert die Koalition –
vor allem auf Druck der CSU – nochmals
die Vorgaben zur steuerlichen Begünstigung von Firmenerben. Sie fallen weniger
scharf aus als zunächst geplant. Die in der
Wirtschaft umstrittene Freigrenze bis zu
einer Bedürfnisprüfung soll nun auf 26
Millionen Euro je Erbfall angehoben werden – statt der zunächst geplanten 20 Millionen Euro. Bei Familienunternehmen
mit Kapitalbindungen liegt diese Schwelle
jetzt bei 52 Millionen Euro statt 40 Millionen Euro. Der Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann
nun wie geplant an diesem Mittwoch im
Kabinett beschlossen werden.
dpa
– Einig bei Erbschaftsteuer SEITE 14
Urteil zu Privatschulen
Die Rudolf-Steiner-Schule Nürtingen hat
stellvertretend für die Privatschulen im
Land einen Teilerfolg vor dem Staatsgerichtshof errungen. Das Land muss einzelne Bestimmungen der Privatschulfinanzierung konkretisieren. SEITEN 3, 5
Kuhn will mehr Gewerbe
Stuttgarts Gewerbesteuereinnahmen sind
auch 2014 hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Vor diesem Hintergrund will OB
Fritz Kuhn die Erschließung von Gewerbegebieten und die Nutzung von Brachen für
Neuansiedlungen vorantreiben. SEITE 21
Pilotenstreiks drohen
Die Lufthansa kommt nicht zur Ruhe. Ihre
Piloten drohen wieder mit Streiks, weil das
Unternehmen nicht mit ihnen über die
künftige Billigstrategie verhandeln will.
Die verabredete Gesamtschlichtung
kommt erst gar nicht zustande. SEITE 14
Mittwoch
23°/16°
Donnerstag
22°/13°
Börse SEITEN 18, 19
Dax 10 890,63 Punkte (– 1,52 %)
Dow Jones 17 683,58 Punkte (– 0,26 %)
Euro 1,1008 Dollar (Freitag: 1,1096)
Ausführliches Inhaltsverzeichnis SEITE 2
26028
4 190402 901701
Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident
verlangen vom griechischen Premier Tsipras konkrete Vorschläge.
Schuldenstreit
N
sche Sozialist an die europäischen Partner,
die Verhandlungen fortzusetzen und den
Grexit zu verhindern. Nach dem Nein bei
dem Referendum scheint sich Hollande
Merkels Position angenähert zu haben.
In Athen hat derweil Finanzminister
Gianis Varoufakis seinen Rücktritt erklärt.
Er wolle neuen Gesprächen der Euro-Finanzminister nicht im Wege stehen, teilte
er mit. Varoufakis hatte den Gläubigern in
den vergangenen Tagen Terrorismus und
Erpressung vorgeworfen. Sein Nachfolger
ist Euklides Tsakalotos, der bisher Vizeaußenminister und ein Chefunterhändler
Griechenlands in der Euro-Krise war.
Die Führer von drei griechischen Oppositionsparteien haben sich bei einem Treffen
mit dem Staatspräsidenten auf eine gemeinsame Linie verständigt, mit der Tsipras am
Dienstag in den Eurogruppen-Sondergipfel
gehen soll. Die gemeinsamen Vorschläge der
Parteiführer betreffen die Liquiditätssicherung der griechischen Banken, weitere
Hilfskredite, Reformen und Sparmaßnahmen sowie Schuldenerleichterungen.
Die Europäische Zentralbank (EZB)
entschied am Montag, die Notfallhilfe für
griechische Banken unverändert aufrecht
zu erhalten. Damit bleibt das Programm
weiter bei knapp 90 Milliarden Euro gedeckelt. Dieser Finanzrahmen soll allerdings
fast ausgeschöpft sein.
axv/öhl/AFP
– Weitere Berichte SEITEN 2, 3, 15, 23
Unser Themenspecial im Netz unter
www.stzlinx.de/griechenlandkrise
AfD-Politiker
Kölmel tritt zurück
Der Europaabgeordnete Bernd Kölmel ist
am Montag aus der Alternative für
Deutschland (AfD) ausgetreten und hat
auch sein Amt als Vorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg niedergelegt. Damit zieht er die Konsequenzen aus
dem AfD-Parteitag in Essen. „Die Wahl von
Frauke Petry zur ersten Parteivorsitzenden
ist hierbei jedoch nur ein Beweggrund für
meinen Austritt“, sagte Kölmel. „Die Art
und Weise, wie der Parteitag abgelaufen ist,
inklusive Buhrufen gegenüber Herrn Lucke, der sich seinerseits als fairer Verlierer
gezeigt hat, zeigt mir deutlich, dass die Partei ihre Richtung und auch ihren Stil dramatisch verändert hat.“
StZ
– Endzeitstimmung bei der AfD SEITE 6
Luff
//
Letzte Ruhmestat
Anerkennung mit begrenzten Folgen
sistische Politik, deren Ziel war, die Kultur, Spraerade einmal eine Woche Zeit hatte der
Aborigines Australien
griechische Ministerpräsident Alexis arbeitet seine unschöne che, Religion und Traditionen der Aborigines zu
zerstören. 2013 erfolgte schließlich ihre offizielle
Tsipras seinem Volk gegeben, um sich
Vergangenheit auf.
Anerkennung als erste Einwohner des Landes, das
darüber Gedanken zu machen, wie ein jeder
Von Christian Gottschalk
war genau fünf Jahre nach der Entschuldigung des
beim europäischen Schicksalsreferendum abzufrüheren Regierungschefs Kevin Rudd bei den Urstimmen gedenkt. Sein australisches Pendant
Tony Abbot ermöglicht seinen Landsleuten eine deutlich länge- einwohnern für in der Vergangenheit begangenes Unrecht.
re Überlegungsfrist. Die rund 20 Millionen Australier sollen Doch trotz dieser parteiübergreifenden Initiativen gelten die
nach dem Willen des Premiers darüber entscheiden, ob die Ab- rund 400 000 noch lebenden Aborigines als die am meisten beorigines als Ureinwohner in der Verfassung anerkannt werden, nachteiligte Bevölkerungsgruppe des Kontinents. Ihre Lebensund zwar im Jahr 2017. Seit Montag verhandelt der konservati- erwartung ist rund 20 Jahre geringer als die der übrigen Austrave Premier zusammen mit Vertretern der Ureinwohner und der lier, die Kindersterblichkeit ist dafür deutlich höher.
Viele Aborigines sind mit den nun angestoßenen VerändeOpposition die Details dieses Planes.
Historisch betrachtet ist das Vorhaben eine Selbstverständ- rungen allerdings nicht sonderlich glücklich. Sie empfinden die
lichkeit. Als die ersten britischen Siedler 1788 den Kontinent über sie hereinbrechende Anerkennungspolitik als aufgezwunbetraten, lebten dort bereits rund eine Million Aborigines. Poli- gen. Lieber wäre es ihnen, wenn es zu einem Vertrag zwischen
tisch gesehen, ist das Referendum jedoch ein weiterer Schritt ihnen und der Regierung käme. Diese Tür will aber kaum ein
auf einem Weg, der lang und steinig ist. 1967 wurden die Abori- australischer Politiker öffnen – böte sie doch die rechtliche
gines zu gleichwertigen Bürgern erklärt, doch bis in die 70er Möglichkeit, Verhandlungen über Entschädigungen von geJahre hinein verfolgten die australischen Regierungen eine ras- raubtem Land auf eine völlig neue Grundlage zu stellen.
G
Wetter SEITE 12
Dienstag
34°/18°
Merkel und Hollande:
Athen muss liefern
ach dem Nein der Griechen zu den
Spar- und Reformauflagen der
Gläubiger bemühen sich Deutschland und Frankreich um eine gemeinsame
Haltung gegenüber Athen. Bei einem Krisentreffen in Paris stellten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische
Präsident François Hollande am Montagabend klar, dass die Tür für Gespräche mit
dem griechischen Premier Alexis Tsipras
weiter offenstehe. Allerdings habe Europas
Solidarität mit einer gewissen Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten einherzugehen, sagten Merkel und Hollande. An
Tsipras sei es nun, präzise, seriöse, glaubhafte Vorschläge und ein mittelfristiges
Programm vorzulegen, das Griechenland
Wachstum bringe, betonte Merkel. Die Zeit
dränge. Und Hollande präzisierte: „Es geht
um Vorschläge, die es Griechenland erlauben, in der Eurozone zu bleiben.“
An diesem Dienstag wollen erst die Finanzminister und danach die Staats- und
Regierungschefs der Eurogruppe in Brüssel
zu einem Sondergipfel zusammenkommen,
um von Tsipras angekündigte „neue Vorschläge“ zu prüfen. Im Vorfeld galt es aus
Berliner wie Pariser Sicht zu verhindern,
dass sich das europäisch-griechische Zerwürfnis um ein deutsch-französisches erweitert. Vergangene Woche war die Griechenlandpolitik Merkels und Hollandes
auseinandergedriftet. Während die deutsche Christdemokratin ein Ausscheiden
Athens aus der Eurozone als wahrscheinlich ins Auge fasste, appellierte der französi-
www.stuttgarter-zeitung.de
s gibt einige Schlüsselsätze von Angela Merkel zur Griechenland-Krise. Einer der wichtigsten lautet: „Wo
ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Es ist ein typischer Merkel-Satz. Er sagt nicht, wohin
die Kanzlerin selbst will – mit Europa, mit
den Griechen, mit Deutschland. Er sagt
nur, dass man immer miteinander reden
kann und soll und dass es unter vernünftigen Leuten stets eine Möglichkeit gibt,
einen Kompromiss hinzukriegen. Man
muss nur Geduld haben, den Dingen Zeit
geben. Dann wird sich eine Lösung finden.
Merkel hat den Satz vielfach wiederholt
in den letzten Wochen. Sie wollte damit signalisieren, dass die deutsche Regierung zu
weiteren Hilfen bereit ist und dass sie davon ausgeht, dass auch Ministerpräsident
Alexis Tsipras – trotz seiner links-nationalistischen Kampfrhetorik – am Ende den
Kompromiss will. Sie hat es nicht für möglich gehalten, dass Tsipras die Dinge bis
zum Äußersten eskalieren lässt, um seiner
Sache zu einem totalen Erfolg zu verhelfen.
Sie hat sich verkalkuliert.
Die Bundeskanzlerin neigt dazu, politische Prozesse und Debatten lange treiben
zu lassen, ehe sie sich positioniert. Dies gilt
insbesondere in der Europapolitik. Merkel
ist die Mächtigste am Tisch der Staats- und
Regierungschefs in Brüssel. Aber wer
könnte mit Gewissheit ausmalen, welches
Zukunftsbild von Europa sie hat? Wer erinnert sich an Momente, in denen sie mutig
und zielstrebig vorangegangen wäre?
Auch in der Griechenland-Krise führte
sie nicht staatsmännisch, sondern hangelte
sich von Rettungsprogramm zu Rettungsprogramm, von Krisengipfel zu Krisengipfel. Sie hat sich hinter dem IWF, der EZB,
der EU-Kommission, den Euro-Finanzministern versteckt, die als „Experten“ eine
scheinbar sachneutrale Position durchsetzen sollten. Dies muss jetzt ein Ende haben.
Tsipras hat sein Volk genötigt, sich zwischen Ja und Nein zu entscheiden. Nun
wird sich – nachdem die Griechen mit großer Mehrheit Nein gesagt haben – hoffentlich auch Merkel entscheiden.
Will sie Tspiras nachgeben, der nichts
weniger verlangt als noch mehr Solidarität
mit noch weniger Gegenleistung? Ist sie
bereit, den Griechen durch einen Schuldenschnitt über viele Milliarden Euro neuen finanziellen Spielraum zu eröffnen –
trotz der übergroßen Zweifel, ob die Regierenden in Athen willens und in der Lage
sind, ihr Land in Schuss zu bringen? Würde
sie dazu Ja sagen, hieße das auch: die Spielregeln der Eurozone, die jedes Land zur
Haushaltsdisziplin verpflichten, gelten
noch weniger als bisher. Die Gefahr, dass
der Euro seine Glaubwürdigkeit als Hartwährung verliert, wäre riesig groß.
Oder sagt Merkel klipp und klar: Wenn
die Griechen die Spielregeln nicht akzeptieren wollen, dann ist der Grexit unvermeidbar – und dass er sogar der beste Weg
für Griechenland sein kann, um mit neuer
Währung einen ökonomischen Neustart zu
versuchen. Dafür muss die Kanzlerin allerdings bereit sein, Dutzende Milliarden
Euro abzuschreiben, die als Kredite ausgereicht sind. Dann muss sie zusätzlich viele
Milliarden Euro humanitärer Nothilfe mitfinanzieren, die Griechenland im Übergang
braucht. Und sie muss das Risiko tragen,
dass die gesamte Eurozone durch den Austritt der Griechen schwer erschüttert wird
und die politischen Fliehkräfte in der gesamten europäischen Union zunehmen.
Jede der beiden Varianten birgt große
politische Risiken. Beide sind sehr, sehr
teuer. Aber Wegducken geht nicht mehr.
Am besten gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande muss
Merkel jetzt sagen, welchen Weg sie gehen
will. Wäre Helmut Kohl an ihrer Stelle, hieße die Antwort mit einiger Sicherheit: Wir
müssen alles tun, um ein Auseinanderfallen der Eurozone und der EU zu verhindern! Es darf keinen Grexit geben!
Aber wer weiß heute zu sagen, wie viel
vom Europäer Kohl in Merkel steckt?
// Paris
Fashion Week Trends der Haute Couture
// StZ
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