Druckausgleich im Fallrohr

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Druckausgleich im Fallrohr
Haustechnik
Druckausgleich im Fallrohr
Belüftungsventile für Entwässerungsleitungen
Welcher Handwerker hat sie noch nicht eingesetzt –
die Belüftungsventile für Schmutzwasserleitungen
unter Dach? Kein Problempunkt beim Blowerdoortest, keine Wärmebrücke und damit kein Schwitzwasser, keine undichten Stellen am Dach, denn
die Dachisolierung bleibt intakt. Aber sind die
„Durgo’s“, die „Studor’s“ und die „ventilair’s“
denn zulässig?
Autor:
Armin Grebe
Belüftungsventile wurden
schon immer in Abwasserleitungen eingesetzt – wenn
auch mit schlechtem Gewissen. Denn bis vor wenigen Jahren waren diese
Lösungen unzulässig. Die
neue Abwassernorm (DIN
EN 12056) macht die Ventile jetzt auch offiziell salonfähig. Sie regelt eindeutig,
wie Entwässerungsleitungen
zu belüften sind. Ziel dabei
ist es sicherzustellen, dass
Kanalgase nach draußen
abgeführt werden und ein
Druckausgleich im Entwässerungssystem herbeigeführt wird. Die über Dach
geführte Hauptleitung ist
und bleibt dabei ein nicht
zu umgehender Bestandteil
der Norm. Die Installation
der Nebenlüftungen ist aber
in manchen Fällen schwierig zu bewerkstelligen und
kostenintensiv, besonders
bei Umbauten, Erweiterungen und Sanierungen. Bei
unzureichender Belüftung
werden Siphons leergesaugt
und es entstehen Geruchsbelästigungen.
Bild 1: Rohrbelüfter zum
Druckausgleich für den
zweiten Fallrohrstrang
Foto: Fa. Durgo GmbH
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Haustechnik
Bild 2: Für Ein- und Zweifamilienhäuser sind Belüftungsventile als Hauptlüftungsersatz
zulässig, wenn eine Fallrohrentlüftung über Dach geführt
wird.
Grafik: Fa. Dallmer
Druckausgleich
Bei durchschnittlichen
Spülvorgängen entsteht ein
Unterdruck von ca. 0,5 bis
2,5 mbar im AbwasserRohrsystem. Dieser muss
durch eine Belüftung ausgeglichen werden. Erfolgt
das nicht in ausreichendem
Maße, sind leergesaugte
Geruchverschlüsse die Folge. Damit noch genügend
Bild 3:
Da die Belüftungsventile nur
bei Unterdruck öffnen, können
keine Kanalgase austreten
Grafik: Fa. Dallmer
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Sperrwasser im Geruchverschluss verbleibt, ist in der
DIN 1986-100 ein maximaler Sperrwasserverlust von
25 mm Höhe zulässig.
Nachströmende
Luftmenge
Die benötigte Luftmenge
Qa, die durch ein Belüftungsventil nachströmen
muss, um den Sperrwasser-
verlust kleiner als 25 mm zu
halten, lässt sich berechnen
(siehe Kasten), für das Beispiel liegt sie bei 16,4 l/sec.
Ein Blick in die Herstellertabellen zeigt, dass ein
Rohrbelüfter DN 70, 80
oder 100 eingesetzt werden
kann. Theoretisch könnte
man also im Wohnungsbau
38 WC-Anlagen, die mit
einem 6-Liter-Spülkasten
ausgestattet sind, über nur
ein einziges Belüftungsventil belüften, wenn dieses
eine Mindestluftleistung
von 35 l/s aufweist.
Kein Ersatz für
Hauptlüftung
Warum aber trotzdem das
Belüftungsventil kein Ersatz
für die Hauptlüftung eines
Entwässerungssystems ist,
hat einen guten Grund: Die
Entwässerungssysteme
müssen nicht nur belüftet,
sondern auch entlüftet werden. Ohne ausreichende
Entlüftung käme es zu
anaeroben Zersetzungsprozessen, bei denen explosible
und sehr aggressive Kanalgase entstehen würden.
Diese würden das Rohrmaterial angreifen und auch
eine Gefahr für Personen
darstellen. Da der Austritt
von Luft durch Belüftungsventile nicht möglich ist
(sie sind natürlich im Ruhezustand geschlossen und
lassen nur bei Unterdruck
Luft ins Rohrinnere), ist ihr
Einsatz immer noch kritisch.
Aber auch beim Spülen von
Rohrleitungen können innerhalb der Rohre immense
Drücke entstehen. Und
wenn hier keine Fallrohrentlüftung über Dach geführt ist, bleibt dem Druck
nichts anders übrig, als
durch den WC-Syphon zu
entweichen. Die Folgen dieser Schweinerei im Bad kann
sich jeder lebhaft vorstellen!
Vor diesem Hintergrund
haben sich die deutschen
Kanalbetreiber und Ersteller
der Norm grundsätzlich
gegen den Einsatz von
Lüftungsventilen als Alternative zum Hauptlüftungssystem ausgesprochen.
Bereits im Kommentar der
alten DIN 1986 war geregelt, dass Lüftungsventile
nur als Ersatz für Umlüftungen und indirekte
Nebenlüftungen verwendet
werden durften. Und das
auch nur, wenn alle Fallleitungen in gleicher Nennweite bis über Dach geführt
wurden.
Zulässigkeit von
Ventilen
In der DIN 1986-100
sind nun die neuen Einsatzbedingungen von Lüftungsventilen eindeutig geregelt.
Auch wer eine Hauptlüftung durch ein Lüftungsventil ersetzt, kann in folgenden Anwendungsfällen
ein ruhiges Gewissen
haben:
G Belüftungsventile können
in Entlüftungsanlagen
mit dem HauptlüftungsSystem als Ersatz für
Umlüftungen oder indirekte Nebenlüftungen,
die dem Abbau von
Unterdruck im Leitungssystem dienen, eingebaut
werden.
G In Ein- oder Zweifamilienhäusern können Belüftungsventile für Fallleitungen eingesetzt werden, wenn mindestens
eine Fallleitung im
Hauptlüftungssystem bis
übers Dach geführt wird.
G In Reihenhäusern, in
denen die Abwasserleitung an einer Sammelleitung angeschlossen ist
und nicht mehr als 3 Geschossebenen vorhanden
sind.
G Es dürfen nur Belüftungsventile eingesetzt werden, für die eine allgemeine bauaufsichtliche
Zulassung des Deutschen
Instituts für Bautechnik
vorliegt.
Besonders hervorzuheben
ist, dass die neuen Abwassernormen die Möglichkeit
eröffnen, Einzel- und Sammelanschlussleitungen
höher zu belasten, wenn sie
belüftet werden. In diesem
Fall kann ein Lüftungsventil, bei Einzelanschlussleitungen unmittelbar in
Fließrichtung nach dem
Siphon, bei Sammelanschlussleitungen nach dem
letzten anzuschließenden
Objekt, installiert werden.
Durch deren Belüftung
dürfen z. B. Einzelanschlussleitungen bis zu 10 m lang
sein, sie brauchen nur noch
ein Mindestgefälle von
Haustechnik
Bild 4 a und 4b: Rohrbelüfter in
einer Anschlussleitung zur Vermeidung von Unterdruck durch
unsachgemäßes 45°-T-Stück in
Fallrohr. Der Einbau erfolgt in
Fließrichtung vor dem letzten
Entwässerungsgegenstand.
Grafik: Fa. Abuplast
0,5 % und es können eine
unbegrenzte Anzahl von
90-Grad-Bögen eingesetzt
werden.
Einbauverbote
Es gibt aber auch einige
Einschränkungen, bei denen
keine Belüftungsventile eingesetzt werden dürfen.
G Für die Belüftung von
Hebeanlagen,
G in rückstaugefährdeten
Bereichen,
G in Gebäuden mit mehr
als 3 Geschossebenen,
an die Sanitärräume
angeschlossen sind,
G in Abwassersystemen,
die an Hauskläranlagen
(Kammergruben) angeschlossen sind.
Einbauvorschriften
Nicht nur das Wo, sondern auch das Wie, ist beim
Einsatz von Lüftungsventilen wichtig.
G Es ist auf einen absolut
senkrechten Einbau zu
achten.
G Schräg oder waagerecht
eingebaute Rohrbelüfter
haben keine Funktion.
G Der Belüfter ist beim
Einbau in eine Anschlussleitung immer höher
anzubringen als der
höchste Überlauf in diesem Strang (z.B. Überlauf
des Waschbeckens).
G Es ist immer eine Hauptlüftung über Dach vorzusehen.
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Rohrbelüfter sind zwar
wartungsfrei, müssen aber
jederzeit gut zugänglich
eingebaut werden. Bedingt
dadurch, dass die Verschlussmembrane bei sehr
geringen Unterdrücken von
ca. 0,2 bis 1,0 mbar öffnen
und schließen muss, spielt
die saubere Umgebung eine
große Rolle. In einer staubigen oder stark fetthaltigen
Umgebungsluft, hat das
Ventil folglich eine geringere Lebenserwartung. Sind
die äußeren Umstände
jedoch gut und ist die
Montage sachgerecht verlaufen, kann man von einer
jahrzehntelangen Lebenserwartung ausgehen.
Belüftungsgitter
Wird das Ventil hinter
einer Wand oder in einer
Vorwandinstallation eingesetzt, muss es zwecks Auswechselung erreichbar bleiben. Hier empfiehlt sich der
Einbau eines Revisionsrahmens. Damit dem Ventil
auch genügend Luft zur
Verfügung steht, muss dieser Rahmen natürlich eine
Zuluftöffnung mit etwa 20
cm2 erhalten.
Frostschutz
Auch wenn der Frost im
Einfamilienhaus in der
Dachabseite nicht auftreten
sollte, gibt es natürlich Einbaufälle, in denen das
Belüftungsventil der Frost-
Literaturhinweise:
DIN 1986-100 Entwässerungsanlagen für Gebäude und
Grundstücke
DIN EN 12056-2: Schwerkraftentwässerungsanlagen
innerhalb von Gebäuden, Teil 2
Pr EN 12380: Lüftungsrohrleitungen – BelüftungsventilSysteme (AVS)
Fachartikel der Firmen
Dallmer, Abuplast und Durgo
Haustechnik
gefahr ausgesetzt ist, z.B. in
der nicht beheizten Garage
oder dem nicht genutzten
Dachboden. Diese Einbausituationen sind unproblematisch, denn gegen Frost
haben die meisten der in
Deutschland verkauften
Lüftungsventile nichts einzuwenden. So vertragen die
Ventile, in Verbindung mit
dem Einbau der werkseitig
mitgelieferten wärmegedämmten Abdeckhaube,
üblicherweise Temperaturen
bis zu -20 °C.
Berechung der Luftmenge, die über ein Ventil
nachströmen muss:
Die benötigte Luftmenge Qa, die durch ein Belüftungsventil nachströmen muss, lässt sich über die folgende
Schmutzwasser-Berechnungsformel festlegen (Qww ist
die Abwasserabflussmenge, K ist eine Konstante, die
sogenannte Benutzerhäufigkeit von sanitären Entwässerungsgegenständen mit dem Wert 0,5 im Wohnungsbereich, DU ist die Summe alle Abflusswerte in l/sec):
Qa = Qww * 8 (für Fallrohre)
Qa = Qww * 2 (für waagerechte Anschlussleitungen)
Die Luftmenge, die nachströmen muss, liegt in Fallrohren
beim Faktor 8, in waagerechten Anschlussleitungen beim
Faktor 2 gegenüber der ablaufenden Wassermenge Qww.
Qww = K * √∑ DU
Ein Beispiel soll die Berechnung verdeutlichen. Zwei
Wohnungen sind jeweils mit folgenden Sanitärgegenständen ausgestattet:
2 Klosetts bis 7,5l
4,0 ( 2 x 2,0)
3 Waschbecken
1,5 ( 3 x 0,5)
1 Badewanne
0,8
1 Dusche
0,6
1 Küchenspüle
0,8
1 Waschmaschine
0,8
Gesamt je Wohnung
8,5
Insgesamt (DU)
17,0
Somit ergibt sich Qww = 0,5 * √ 17 = 0,5 * 4,1 =
2,05 l/s
Die Luftmenge, die nachströmen muss, liegt für das
Fallrohr bei 16,4 l/sec. Ein Blick
in die Herstellertabellen zeigt, dass ein Rohrbelüfter
DN 70, 80 oder 100 eingesetzt werden kann.
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