Riese in Ketten
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ALLIANZ GROUP Journal Deutsche Ausgabe 2 | 2014 Riese in Ketten Brasilien – ein Land im Reformstau Der Atem des Monsters Die Hagelflieger von Rosenheim Ibrahim 9 23 »Von Lügnern umstellt« Über die dunklen Seiten der Macht Allianz Journal 2/2014 Allianz | Shutterstock | Ibrahim | Roth Inhalt IMPRESSUM Allianz Journal 2/2014 (Juni) Zeitschrift für Mitarbeiter der Allianz Gesellschaften Herausgeber Allianz SE Verantwortlich für den Herausgeber Emilio Galli-Zugaro Chefredaktion Frank Stern Layout volk:art51 Produktion repromüller Anschrift der Redaktion Allianz SE Redaktion Allianz Journal Königinstraße 28 80802 München Tel. 089 3800 3804 [email protected] Das für die Herstellung des Allianz Journals verwendete Papier wird aus Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung hergestellt. 16 23 Alte Hasen treffen auf Newcomer: Am 17. Juli fällt in Zürich der Startschuss für die Allianz Sports Eine Frage des Glaubens: die Hagelflieger von Rosenheim im Kampf gegen die Natur KURZ BERICHTET 4 Neues aus der Allianz Welt DEUTSCHLAND 18 Leben in der Zwischenwelt Nicht Land, nicht Meer – im spröden Reich der Halligen 23 Der Atem des Monsters Die Hagelflieger von Rosenheim MEINUNGEN 9 »Von Lügnern umstellt« Managementtrainer Manfred Kets de Vries über die dunklen Seiten der Macht E U RO PA 26 In der roten Zone Wie sich die Schweizer auf Naturkatastrophen vorbereiten G LO B A L 13 Fokus Großstadt Auf dem Weg zur digitalen Versicherung 16 Fit für Zürich Die Allianz Sports vor dem Start 2 44 50 Von der Schwäbischen Alb ins Reich der Mitte – und darüber hinaus Ein Sozialprojekt der Allianz Brasilien in São Paulo gibt FavelaKindern eine Chance B R A S I L I E N S PE Z I A L 28 Riese in Ketten Brasiliens marode Infrastruktur wird zum Wachstumshemmnis 32 Jung, schwarz, tot Kampf um Menschenrechte in einem zerrissenen Land 36 »Wir hoffen auf Reformen« Helga Jung über Erwartungen und Probleme im größten Land Lateinamerikas 38 Zwischen Favela und Formel 1 Allianz Seguros – ein Spiegel Brasiliens 42 »Treffen kann es jeden« Ein Überfall und seine Folgen 44 Die Welt hinter der Mauer Chancen für Favela-Kinder AMERIK A 48 Süchtig nach der Pille Medikamentenmissbrauch in den USA ASIEN 50 Spätzle süß-sauer Von einer, die Schwaben gegen Asien tauschte GESELLSCHAFT 52 Sisyphus in Gummistiefeln Vor uns die Sintflut – Strategien für einen wirksamen Hochwasserschutz 55 Dilbert 3 Allianz Journal 2/2014 K U RZ B ERI C H T E T Allianz Weniger Piratenangriffe PERSONALIEN Die Zahl der Schiffshavarien ist im vergangenen Jahr gegenüber 2012 um 20 Prozent gesunken und bewegte sich zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Jahren unter der Marke von 100. Das geht aus dem im März veröffentlichten Report Safety and Shipping Review 2014 von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hervor, der alle weltweit gemeldeten Schiffsuntergänge ab 100 Bruttoregistertonnen untersucht. Danach gingen 2013 insgesamt 94 Schiffe verloren. Im Jahr 2012 waren es noch 117. Auch die Zahl der Piratenangriffe ging zurück. Nach Angaben des International Maritime Bureau wurden im vergangenen Jahr 264 Überfälle gemeldet, elf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Entgegen dem Trend wird es rund um Indonesien dagegen immer unsicherer. In den letzten fünf Jahren stieg die Zahl der Übergriffe dort von 15 auf 106 an. Eine Besorgnis erregende Entwicklung zeigt sich auch im Golf von Guinea. Vor der Küste Somalias, der einstigen Pirateriehochburg, dagegen gingen die Überfälle nicht zuletzt wegen der verstärkten Schutzmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft erheblich zurück. Kam es 2011 noch zu 160 Angriffen, lag die Zahl 2013 nur noch bei sieben. AU S G E ZEI C HN E T Die Allianz Island gehört zu den finanzstärksten Unternehmen des Landes. Laut einer Untersuchung des Branchendienstes Creditinfo zählt die Allianz Tochter zu dem einen Prozent, die die Liste der rund 33 000 in Island registrierten Firmen anführen. Allianz Capital Partners (ACP) ist vom Fachmagazin »Infrastructure Investor« mit dem Preis für das weltweit beste Infrastrukturgeschäft des Jahres ausgezeichnet worden. Das Blatt würdigte damit die Übernahme des tschechischen Gasnetzbetreibers NET4GAS, die zusammen mit ACPs Konsortiumpartner Borealis im August 2013 abgeschlossen wurde. Global Innovation Awards 2014 Auf dem Allianz International in Brüssel sind die Gewinner des Innovationswettbewerbs Global Innovation Awards 2014 bekanntgegeben worden. Die Preise wurden in den Kategorien Digitalisierung, Kooperation auf globaler und lokaler Ebene sowie für außergewöhnliches Mitarbeiterengagement vergeben. Sieger in der Kategorie Digitalisierung, für die 27 Bewerbungen aus 23 Ländern eingingen, wurde Bajaj Allianz General. Die indische Allianz Gesellschaft wurde für ihre innovative Mobilentwicklung EEZEE TAB ausgezeichnet, die die Policenverwaltung erheblich vereinfacht und auch die Möglichkeit der sicheren Onlinebezahlung beinhaltet. Der Preis für die beste übergreifende Zusammenarbeit wurde für das Lebensversicherungskonzept »Perspektive« der Allianz Deutschland vergeben, das in enger Kooperation mit Group Actuarial, Group Risk, AIM und Global Life & Health entwickelt wurde. Für diese Kategorie lagen 13 Bewerbungen aus zehn Ländern vor. Für ihre Leistungen bei der Verbesserung des Mitarbeiterengagements wurden in diesem Jahr gleich drei Gruppengesellschaften ausgezeichnet. Hier standen die Allianz Ungarn, Allianz Taiwan Life und Allianz Worldwide Care gemeinsam auf dem Siegertreppchen (unser Foto, v.l.). W W W. AG C S . A L L I A N Z .C O M Amerika Afrika Indien Südostasien Ferner Osten 18 79 26 128 13 Verlagerung der Piraterie-Aktivitäten in den Golf von Guinea Mit 106 Überfällen führte Indonesien im Jahr 2013 die globale Hitliste der Piratenangriffe an 7 Angriffe vor Somalia im Jahr 2013. Zwei Jahre zuvor waren es noch Anstieg der Piratenangriffe in indonesischen Gewässern um 700% 160 Allianz Nord-Süd-Dialog in Alexandria Die Bibliothek von Alexandria Identität im Widerstreit kultureller und religiöser Prägungen war das Thema einer Konferenz, die die Allianz Kulturstiftung im April gemeinsam mit der ägyptischen DOUM Foundation in der Bibliothek von Alexandria veranstaltet hat. Als Titel für die Tagung hatten die ägyptischen Partner den Titel »Identitäten in Bewegung« (Identities in Motion) gewählt und dazu rund 80 arabische und europäische Journalisten, Schriftsteller und Wissenschaftler zu Workshops eingeladen. Die Ergebnisse wurden anschließend in einer öffentlichen Veranstaltung diskutiert. Gestartet war die Reihe von Nord-Süd-Dialogen im östlichen Mittelmeer 2012 in Triest, gefolgt von einem Symposium in der albanischen Hauptstadt Tirana. Den nächsten Nord-Süd-Dialog, dessen Zusammenhalt zunehmend durch blutige Konflikte gefährdet ist, plant die Allianz Kulturstiftung für das kommende Frühjahr in Thessaloniki. H T T P S ://K U LT U R S T I F T U N G . A L L I A N Z . D E 4 innerhalb von fünf Jahren (2009: 15 Angriffe) Quellen: International Maritime Bureau (IMB), AGCS Preis für Mitarbeitergeschäft Beim nächsten Allianz International (AZI) wird erstmals ein Preis für besonders innovative Aktionen im Mitarbeitergeschäft verliehen. Gesucht werden Initiativen, die in besonderer Weise Mitarbeiter als Kunden ansprechen und dazu beitragen, die Identifikation mit der Allianz und ihren Produkten zu stärken. Bewerbungen müssen bis Dezember dieses Jahres eingereicht werden. In die Beurteilung fließen drei Kriterien ein: Ausbau des Mitarbeitergeschäfts, Kundennutzen und Resonanz bei den Mitarbeitern, wozu die Erhöhung von Identifikation und Empfehlungsbereitschaft zählen. Manfred Knof, zuvor Vorstandsmitglied der Allianz Deutschland AG verantwortlich für das Ressort Operations, hat im April die Nachfolge von Bruce Bowers als Leiter der Allianz in Mittel- und Osteuropa und dem Nahen Osten (CEEMA) angetreten. Bowers hat die Allianz Gruppe verlassen, wird ihr aber als Berater weiter zur Verfügung stehen. Nachfolger von Manfred Knof wurde Andree Moschner, zuvor im Vorstand der Allianz Deutschland AG verantwortlich für das Ressort Vertrieb und Vorstandsvorsitzender der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG. Moschner ist weiterhin für das Allianz Banking zuständig. Joachim Müller ist seit 1. April neuer Vorstands vorsitzender der Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG und zugleich im Vorstand der Allianz Deutschland AG für das Ressort Vertrieb verantwortlich. Manfred Knof, Solmaz Altin, CEO der Allianz Sigorta in der Türkei, Robert Franssen, CEO von Allianz Benelux, Doug Hodge, CEO von PIMCO, und Severin Moser, CEO der Allianz Suisse, werden zudem Mitglieder des International Executive Committee (IEC) der Allianz. Mohamed ElErian gehört dem Gremium weiter an. 5 Allianz Journal 2/2014 Allianz K U RZ B ERI C H T E T Allianz vor AXA Am Ball Die Allianz hat im Februar für 110 Millionen Euro 8,33 Prozent am FC Bayern München erworben und baut ihre Partnerschaft mit dem deutschen Fußballrekordmeister damit weiter aus. So soll die Präsenz in der weltberühmten Allianz Arena und im Markenauftritt des FC Bayern verstärkt und über die Webseite des Clubs Versicherungsprodukte für Fans angeboten werden. Darüber hinaus will die Allianz im Stadion neue Dienstleistungen anbieten, um die Attraktivität insbesondere für Familien zu erhöhen. Die 2005 eröffnete Allianz Arena ist mit ihren jährlich 3,2 Millionen Besuchern mittlerweile die unangefochtene Nummer eins unter Bayerns Attraktionen, noch vor Schloss Neuschwanstein, das es pro Jahr auf 1,4 Millionen Gäste bringt. Markenschutz in Hongkong Über 8500 Markenrechtsexperten aus aller Welt sind im Mai zur Jahreskonferenz der International Trademark Association (INTA) in Hongkong zusammengekommen. Auch die Allianz, die seit Jahren aktiv in dem Verband mitwirkt, war wieder vertreten. Zu den Themen, die in diesem Jahr auf der Tagesordnung standen, gehörten unter anderem erfolgreiche Strategien zum Markenschutz in der digitalen Welt und Möglichkeiten zur Durchsetzung von Markenrechten in Schwellenländern. Die Allianz nutzte die Gelegenheit und lud vor Ort 30 internationale Markenrechtler zum »Allianz Trademark Workshop« in die Gebäude von Allianz Global Investors ein. Tobias Unterguggenberger und Steffen Drögsler, bei der Allianz Gruppe für das Thema Markenschutz zuständig, diskutierten mit den Markenanwälten erfolgreiche Strategien zum Markenschutz und konkrete Fragen zur Umfirmierung von Einheiten der MondialGruppe zu Allianz Global Assistance. G I N > L E G A L &C O M P L I A N C E > T R A D E M A R K C O R N E R W W W. F C B AY E R N . D E Shutterstock Marke 1 Telekom 30,6 2 BMW 29,0 3 Volkswagen 27,1 4 Mercedes-Benz 24,2 Markenwert 2014 (Mrd. USD) 5 Allianz 20,4 6 Siemens 20,4 7 Deutsche Bank 13,5 8 SAP 13,4 9 ALDI 12,9 10 Porsche 11,4 11 DHL 11,2 12 E.ON 9,6 13 Bosch 9,2 14 Adidas 7,8 15 Audi 7,1 16 BASF 6,4 17 Nivea 6,1 18 Munich Re 5,7 19 Bayer 5,2 20 Daimler 5,1 Wert von fast 105 Milliarden Dollar unangefochten an der Spitze der erfolgreichsten Marken. Es folgen Samsung (75 Milliarden), Google (68 Milliarden) und Microsoft (62 Milliarden). W W W. B R A N D F I N A N C E .C O M Mitarbeiter werben Mitarbeiter Die Allianz hat für 440 Millionen Euro einen Teil des Sachversicherungsgeschäft des italienischen Versicherungsunternehmens Unipol Sai übernommen und baut damit ihren Marktanteil in diesem Segment erheblich aus. Das Geschäft umfasst über 700 Agenturen, 500 Mitarbeiter, 1,5 Millionen Kunden und ein Prämienvolumen von 1,1 Milliarden Euro. Die Allianz Italien zählt mit ihren 5000 Mitarbeitern und über sechs Millionen Kunden zu den größten Versicherungen Italiens. Hinzu kommen rund 2000 Versicherungsvertreter, 1600 Finanzberater, ein Netz von 1500 Filialen von Bankpartnern sowie der Direktversicherer Genialloyd. 2013 erwirtschaftete die Allianz Italien Bruttoprämien von knapp 12,5 Milliarden Euro, vier Milliarden davon in der Schadenund Unfallversicherung. Mit einer landesweiten Kampagne in eigener Sache ist Allianz Bajaj in Indien ins neue Jahr gestartet. Unter dem Motto »I’m the Brand Ambassador« (Ich bin Markenbotschafter) wurde unter der Belegschaft zwischen Januar und März intensiv für Allianz Policen geworben. Auf Postern und im Intranet priesen Mitarbeiter, Geschäftsstellenleiter, Vertriebsmanager, Marketingexperten und der Vorstandschef selbst die Vorzüge der Hausprodukte an. Auf Schauspieler wurde bewusst verzichtet. Während der Zeit der Kampagne konnten Mitarbeiter für sich und ihre Kinder, Ehepartner und Eltern Versicherungen mit attraktiven Rabatten abschließen. Danach wurden die Sonderkonditionen wieder auf die Belegschaft beschränkt. Im Laufe der Kampagne stieg die Zahl der Mitarbeiter mit Allianz Policen von 44 Prozent auf über 96 Prozent. W W W. A L L I A N Z . I T W W W. B A J A J A L L I A N Z .C O M Allianz baut Marktanteil in Italien aus 6 Die Allianz hat die französische Versicherungsgruppe AXA von der Spitzenposition unter den wertvollsten Versicherungsmarken der Welt verdrängt. Beim Ranking »Brand Finance Global 500« kommt die Allianz in diesem Jahr auf einen Markenwert von gut 20 Milliarden Dollar, AXA wurde mit 19 Milliarden Dollar bewertet. Dass die Allianz ihren Markenwert gegenüber dem Vorjahr um 62 Prozent steigern konnte, führten die Autoren von Brand Finance unter anderem auf den gestiegenen Bekanntheitsgrad der Marke, die große Treue ihrer Kunden und öffentlichkeitswirksame Sponsoring-Maßnahmen wie der Allianz Arena in München zurück. Unter den deutschen Marken insgesamt führt die Telekom mit 30 Milliarden Dollar Markenwert vor BMW (29 Milliarden), Volkswagen (27 Milliarden) und MercedesBenz (24 Milliarden). Wie schon im Vorjahr liegt Apple im globalen Ranking mit einem Rang D 2014 Eine sichere Bank Euler Hermes baut bei der Erweiterung seines Geschäfts in Malaysia auf die Hongkong and Shanghai Banking Corporation (HSBC). Wie beide Seiten im Februar bekanntgaben, wird Euler Hermes exklusiver Anbieter von Kreditversicherungen für Firmenkunden der Großbank. Die entsprechenden Policen werden über die lokale Allianz Gesellschaft, Allianz General, vertrieben. HSBC und Allianz Tochter Euler Hermes arbeiten bereits seit 2008 in Brasilien, Mexiko, den USA und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen, im vergangenen Jahr wurde die Partnerschaft auf Frankreich, Hongkong, Singapur, die Türkei und Großbritannien ausgedehnt. Euler Hermes, größter Kreditversicherer der Welt, ist seit dem Jahr 2000 in Asien und dem pazifischen Raum aktiv und heute über Niederlassungen oder lokale Partner in Australien, China, Hongkong, Indien, Indonesien, Japan, Korea, Malaysia, Neuseeland, Singapur, Taiwan und Thailand vertreten. W W W. E U L E R H E R M E S .C O M 7 Allianz Journal 2/2014 K U RZ B ERI C H T E T Meinungen Nur für Frauen Allianz Versicherung auf Rädern Näher am Kunden: Anuj Agarwal (re.), Chef von Allianz Bajaj Life, beim Start des ersten Allianz Mobils Allianz Bajaj Life macht mobil: Die indische Lebensversicherungstochter der Allianz Gruppe hat seit Januar ein Fahrzeug im Einsatz, das in Poona und Umgebung Hilfe und Beratung zu allen Versicherungsfragen bis an die Haustür bringt. Mit »Service auf Rädern« kann von der Adressänderung über die Vertragsverlängerung bis zur Beitrags- zahlung alles bequem zu Hause erledigt werden. Allianz Bajaj Life reagierte mit dem Angebot auf Klagen von Kunden, die Probleme haben, die nächste Allianz Niederlassung zu erreichen. Das Allianz Mobil fährt nun regelmäßig Siedlungen an, die bis zu 30 Kilometer von der nächsten Filiale entfernt sind. W W W. B A J A J A L L I A N Z .C O M Bajaj Allianz hat Anfang des Jahres in Poona die erste nur mit Frauen besetzte Niederlassung ins Leben gerufen – ein Novum in Indiens Versicherungsindustrie. Damit soll für weibliche Beschäftigte und Vermittler ein förderliches Arbeitsumfeld geschaffen werden, teilte das Unternehmen in einer Pressemitteilung mit. Die Frauenniederlassung soll insbesondere weiblichen Fachkräften eine Arbeitsmöglichkeit bieten, die zuvor aus familiären Gründen aus dem Berufsleben ausscheiden mussten, hieß es weiter. »Wir möchten diesen Frauen die Möglichkeit geben, ihre professionelle Laufbahn wieder aufzunehmen, ohne dabei familiäre Prioritäten zu gefährden«, erklärte Bajaj Allianz-Chef Tapan Singhel bei der Eröffnung. Krippenplätze, Abholservice, Heimarbeitsplätze und flexible Arbeitszeiten gehören mit zum Angebot im Frauenbüro. Zusätzlich zur Anfangsbesetzung von fünf Mitarbeiterinnen wurden zehn Vertreterinnen rekrutiert. Bis Ende des Jahres soll die Zahl auf 60 erhöht werden. Bajaj Allianz hat angekündigt, ähnliche Niederlassungen auch in anderen Großstädten Indiens zu eröffnen. W W W. B A J A J A L L I A N Z .C O M Korrektur Grüne Allianz Im Beitrag über das Mitarbeitergeschäft im letzten Allianz Journal (»Botschafter in eigener Sache«) wurde die Zahl der Mitarbeiter, die bei der Allianz Irland mindestens eine Allianz Versicherung abgeschlossen haben, mit etwa 40 Prozent angegeben (2012). Korrekt hätte die Zahl 86 Prozent lauten müssen. 2013 waren es bereits 89 Prozent der irischen Mitarbeiter, die sich für Produkte der Allianz entschieden hatten. Die Weiterempfehlungsbereitschaft liegt mittlerweile bei 95 Prozent. Die Allianz hat im Februar die Prinzipien der Vereinten Nationen für nachhaltige Versicherungen (UN Principles for Sustainable Insurance/ PSI) unterzeichnet und sich damit verpflichtet, in ihrer Geschäftstätigkeit soziale und Umweltbelange zu beachten und den Regeln guter Unternehmensführung zu folgen. »Dies ist ein wichtiger Schritt auf unserem Weg zum nachhaltigsten Versicherer und Vermögensverwalter«, so Allianz Chef Michael Diekmann. Seit Anfang des Jahres gelten bei der Allianz strengere Kriterien für das Versicherungsgeschäft, insbesondere in so sensiblen Bereichen wie Rüstungsindustrie, Infrastruktur, Bergbau, Öl und Gas sowie Landwirtschaft. »Von Lügnern umstellt« Shutterstock Was macht gute Manager aus? Was ist ihr Antrieb im Leben, was motiviert sie, jeden Morgen aufzustehen? Wir sprachen mit Manfred Kets de Vries, Professor für Führungskräfteentwicklung an der Wirtschaftshochschule INSEAD, über Sex, Geld und Glück. INTERVIEW: FRANK STERN W W W. A L L I A N Z . I E W W W. A L L I A N Z .C O M 8 9 INSEAD M EI NUN G E N Herr Professor, Sie unterrichten die Managerelite von Weltkonzernen. Was können Sie denen beibringen, was sie nicht schon wissen? Ein Großteil der leitenden Führungskräfte nutzt sein Potenzial nicht annähernd aus. Viele Manager, insbesondere solche in höchsten Positionen, entwickeln sogar selbstzerstörerische Tendenzen, weil sie dem Hybrisfaktor erliegen. Zweitens holen sie nicht das Beste aus ihren Leuten heraus. Drittens arbeiten die meisten Führungsteams nicht effektiv, weil ihre Leistungen durch unterschwellige Konflikte gebremst werden. Und schließlich ähneln viele Organisationen einem Gulag. Kein Platz, wo man gern arbeiten möchte. All diese Fehlfunktionen können ziemlich teuer werden. Ich versuche, Wege aufzuzeigen, wie Menschen das Beste aus sich herausholen können und wie sich bessere Arbeitsorganisationen schaffen lassen. Was ist unter Hybrisfaktor zu verstehen? Der Begriff kommt aus dem Griechischen und beschreibt einen Zustand von übertriebenem Stolz und Arroganz. Unter leitenden Managern ist das ein ziemlich verbreitetes Phänomen. Hybris und Narzissmus sind wie Zwillinge. Natürlich braucht man etwas Narzissmus, wenn man ganz nach oben will. Er fördert das Selbstbewusstsein. Aber Narzissmus kann auch außer Kontrolle geraten. Gefährlich wird es dann, wenn Position und Charakter nicht zusammenpassen, denn das kann das Leben vieler Menschen beeinträchtigen. Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut, wusste schon Lord Acton. Manche Top-Manager verlieren die Verbindung zur Realität. Sie leben wie in einem Spiegelsaal und hören nur noch das, was sie hören wollen. Und die Gemeinde der Ja-Sager bestärkt sie darin. Wir sollten immer daran denken, dass Unternehmen keine demokratischen Institutionen sind. 10 Allianz Journal 2/2014 Man braucht funktionierende Kontrollmechanismen. Zum Beispiel? Aufsichtsräte können helfen, aber häufig funktionieren sie nicht gut. Dann gibt es die Presse, die als ausgleichende Macht ebenfalls eine große Rolle spielt. Doch das Entscheidende ist eine Kultur der gesunden Respektlosigkeit gegenüber dem Chef. Führungskräfte müssen eine Kultur schaffen, in der ihre Leute eine Stimme haben. Es gibt Manager, die klug genug sind, eine solche Kultur in ihrer Organisation zu etablieren. Das ist deshalb so wichtig, weil Menschen die Neigung haben, Vorgesetzten nach dem Mund zu reden. Ich sage immer, sobald man eine leitende Position erreicht hat, ist man von Lügnern umstellt. Das offene Wort flieht die Macht. Dann sind Sie der Hofnarr, der als Einziger wagt, dem König die Wahrheit zu sagen? Ja, in der Rolle bin ich ziemlich oft. Ich bin der weise Narr. Hofnarren werden nach einer gewissen Zeit normalerweise einen Kopf kürzer gemacht. Aber ich komme recht oft damit durch. In Ihren Büchern beschäftigen Sie sich auch mit den dunklen Seiten von Führungskräften. Was unterscheidet sie vom Durchschnitt? Sie sind gefährdeter, weil sie größere Verantwortung tragen. Wie gesagt, der Hybrisfaktor kann das Leben vieler Menschen beeinflussen. Ich weiß nicht, wie das bei der Allianz ist, aber ich treffe in meiner Arbeit auf Vorstandschefs, die in einer Parallelwelt leben, mit Privatlift, eigenem WC, eigenem Esszimmer und Privatjet. Der Grad der Loslösung vom echten Leben ist beängstigend. Um aus diesem Spiegelsaal auszubrechen, müssen sie zunächst einen klaren Blick auf ZUR PERSON Manfred Kets de Vries, 1942 in den Niederlanden geboren, ist Außerordentlicher Professor für Führungskräfteentwicklung an der Wirtschaftshochschule INSEAD in Fontainebleau, Singapur und Abu Dhabi. Er hat an der McGill University und der Ecole des Haute Etudes Commerciales in Montreal, an der European School for Management and Technology (ESMT) in Berlin und an der Harvard Business School gelehrt. Kets de Vries, Vater von vier Kindern, ist Autor, Ko-Autor und Herausgeber von über 40 Büchern, darunter »Sex, Money, Happiness and Death: The Quest for Authenticity« (2009). Die Financial Times, Le Capital, die Wirtschaftswoche und The Economist bezeichneten ihn als einen der weltweit führenden Experten im Bereich Führungskräfteentwicklung. W W W. K E T S D E V R I E S .C O M sich selbst gewinnen. Sie müssen begreifen, was da mit ihnen passiert. An dieser Stelle komme ich ins Spiel. Selbstreflexion macht aus einem Narzissten noch keine verantwortungsbewusste Leitfigur. Um die Arbeit von Managern zu bewerten, befrage ich normalerweise die Menschen in ihrem Arbeitsumfeld. Doch in manchen Kulturen äußern Menschen nur sehr zögerlich ihre wahre Meinung. Das sind die Befragungen, in denen derjenige, über den ein Urteil abgegeben werden soll, Traumnoten bekommt. Ich gehe darüber hinaus und versuche, auch Partner, Familienmitglieder und Freunde in die Befragung einzubeziehen. Mir haben Manager schon erzählt, dass alle um sie herum Idioten seien, der Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen – alles Idioten. Doch wenn ich Ihnen dann entgegenhalte, dass ihre erwachsene Tochter mir gesagt hat »Mein Vater ist ein Idiot«, kann das der entscheidende Punkt sein, der eine Wende einläutet. Hört sich an, als stünde an der Spitze der Wirtschaftswelt ein Haufen mental instabiler Leute. Ich sage immer, jeder ist normal, bis man ihn besser kennt. Machen wir uns nichts vor: Sie schauen auf den ersten Blick ganz normal aus, aber meine Erfahrung sagt mir, sobald man ein wenig an der Oberfläche kratzt und danach fragt, was jemanden anmacht, was ihn motiviert, was die tiefsten Beweggründe für seine Handlungen sind, stößt man in den meisten Fällen auf einige Überraschungen. In einem Ihrer Bücher heißt es, dass wir von Sex, Geld, Streben nach Glück und Angst vor dem Tod getrieben werden. Reden wir über Sex. Sie schreiben, Frauen seien genetisch programmiert, nach Männern mit hohem Sozialstatus Ausschau zu halten, während Männer den schnellen Sex suchen. Sie müssen bei Feministinnen ja ganz groß ankommen. Ich weiß nicht, was ich auf Ihre letzte Bemerkung antworten soll, aber eines steht fest: Ich bin umgeben von Frauen. Ich bin immer vehement für Frauenrechte eingetreten, doch an einer Sache kommen wir halt nicht vorbei: Männer können nicht gebären. Es gibt bestimmte biologische Funktionen und Erfahrungen, die Männer nicht haben. Vielleicht hören Feministinnen das nicht gern, doch hier geht es darum, wie wir von der Natur programmiert wurden. Frauen werden schwanger, und in diesem Zustand sind sie keine guten Jäger. Vom evolutionsgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet suchen Frauen Männer mit athletischer Statur, weil sie das zu guten Jägern macht, und Männer, die bereit sind, die Versorgung von Mutter und Kind zu übernehmen – kinderfreundliche Männer. Und was sagen die Gene der Männer? Männer suchen gut gebaute Frauen, denn das ist ein Zeichen von Fruchtbarkeit. Es gibt in unseren Genen einen Bereich, der von der Natur her vorprogrammiert ist. Das habe ich in meinem Buch erläutert. Aber das heißt ja nicht, dass wir uns nicht über unsere primitiven Impulse erheben könnten. Hätten wir den primitiven Urzustand nicht hinter uns gelassen, wäre das heute noch eine ziemlich raue Welt. Wir mussten lernen zu kooperieren. Aufgrund des biologisch vorgeprägten Zusammenspiels von Mutter und Kind haben Frauen vielleicht die feineren Antennen, wenn es um Beziehungen geht. Aber das bedeutet ja nicht, dass Männer nicht lernfähig sind. Ich glaube, dass diese höhere Sensibilität vielleicht auch der Grund dafür sein könnte, dass Frauen zum Beispiel in vernetzten Organisationen bessere Ergebnisse erzielen. Die Managerinnen, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren im Allgemeinen kompetenter als Männer. Das scheint sich noch nicht überall rumgesprochen zu haben. Leider sind viele Organisationen nicht sehr frauenfreundlich. Dabei ist Vielfalt ungemein wichtig. Wer schnelle Entscheidungen wünscht, muss nur ein paar graue Herren in einen Konferenzraum stecken, und er bekommt sie. Wer aber nach kreativen Lösungen für eine Aufgabe sucht, braucht Vielfalt in einem Team. Nicht nur das Geschlecht spielt dabei eine Rolle, auch das Alter, die Kultur, der fachliche Hintergrund. Was nicht ganz einfach ist, denn normalerweise suchen wir unsere Kollegen danach aus, ob sie uns nah und ähnlich sind. Weniger nach ihren Fähigkeiten. Sie behaupten, dass die Bürowelt der neue Brennpunkt für Untreue sei. Hört sich nach einer Menge Ärger am Arbeitsplatz an. 11 Shutterstock M EI NUN G E N Wir alle haben unsere Wünsche und Fantasien. Noch mal, es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Ich rede über solche Faktoren wie den Wunsch nach Stabilität und nach Abwechslung. Männer haben allgemein mehr sexuelle Träume. Im Arbeitsumfeld ist es besser, das Thema zu unterdrücken, um mögliches Konfliktpotenzial zu reduzieren. Aber natürlich spielt Sexualität immer eine Rolle. Und für Manager, die meist unter Zeitdruck stehen, ist das Büro ein logischer Anbahnungsort. Und viele von ihnen leiden, so schreiben Sie jedenfalls, unter dem Wohlstandsermüdungssyndrom. Sie sind ihres Reichtums überdrüssig. Arme reiche Leute. Das ist jetzt nicht unbedingt die beste Beschreibung. Natürlich ist es besser, reich und unglücklich zu sein, als arm und unglücklich. Aber es passiert eben nicht selten, dass Menschen, die eine Menge Geld machen, auf dem Weg nach oben ihr Ziel aus den Augen verlieren. Sie werden satt und träge, ihnen fehlt der Antrieb im Leben. Ich darf Sie mal zitieren: »Menschen, die nichts besitzen, fühlen sich freier und reicher.« Die Habenichtse dieser Welt werden erfreut sein, das zu hören. An dem Satz ist dennoch etwas dran. Je mehr man besitzt, desto mehr Probleme kann man bekommen. Der reichste Mensch ist eigentlich Buddha, der jedem weltlichen Besitz entsagt hat. Allerdings sind dafür wohl nur die Wenigsten von uns geschaffen. Die anderen versuchen, die richtige Work-Life Balance hinzubekommen, den Ausgleich zwischen Beruf und Familie. Global Ich mag diesen Begriff Work-Life Balance nicht. Das klingt, als ob Arbeit und Leben zwei unterschiedliche Sphären sind. Ich glaube, Life Balance wäre der angemessenere Terminus. Arbeit macht einen großen Teil unseres Lebens aus, wobei Arbeit für verschiedene Leute durchaus etwas Unterschiedliches bedeuten kann. Doch die eigentliche Frage ist, ob man genügend Zeit hat, Beziehungen zu pflegen, die einem im Leben besonders wichtig sind. Diese Frage spielt vor allem für Menschen um die 30 eine Rolle. Es sind die Jahre, in denen man beruflich vorankommen will, aber in denen viele auch darüber nachdenken, eine Familie zu gründen. Da muss man konsequent sein und Grenzen abstecken, damit genügend Zeit bleibt für Freunde und Familie. Wäre es nicht die Aufgabe der Personalabteilungen, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter genügend Zeit für Familie und Freizeit haben? Solche Dinge sollte man nicht auf die Personalabteilungen abwälzen. Um diese Frage muss man sich ganz oben kümmern, die Haltung der Vorstandschefs ist entscheidend. Sie müssen verstehen, dass Menschen ein Privatleben brauchen, wenn sie im Beruf erfolgreich sein sollen. Diejenigen, die den Ausgleich zwischen Beruf und Familie hinbekommen, erzielen am Ende die besseren Ergebnisse. Fokus Großstadt Shutterstock Die Allianz ist in guter Verfassung, aber sie verliert Kunden. Und die, die sie hat, altern schneller als die Bevölkerung insgesamt. Auf dem Allianz International (AZI) in Brüssel kamen Ende März neben den Glanzseiten der Gruppe auch ihre Problemzonen zur Sprache. Die Zukunft der Versicherung, so die Botschaft aus Belgien, liegt in den Großstädten und in der Smartphone-Welt. FRANK STERN 12 13 Allianz Journal 2/2014 GLOBAL Noch nie in der 20-jährigen Geschichte des AZI hat die große Weltpolitik den Ablauf der Veranstaltung so direkt beeinflusst wie dieses Mal. Statt wie geplant im Juni in Sotschi zum G8-Treffen der führenden Industrienationen zusammenzukommen, trafen sich die Staatsund Regierungschefs der G7-Staaten unter dem Eindruck der Krim-Krise ohne Russland Ende März in Brüssel – zeitgleich mit dem Allianz International. Am Anreisetag der AZI-Teilnehmer war der Flughafen der belgischen Hauptstadt zeitweilig geschlossen und die Innenstadt gesperrt, so dass einige Vorstandschefs und Manager der Allianz auf ihrem Weg zum AZI erstmal steckenblieben. Die Überschneidung beider Ereignisse hatte durchaus Symbolkraft, ist die Allianz mit ihrer globalen Präsenz doch auch sonst von den politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen in der Welt unmittelbar betroffen. Ein Umstand, auf den auch Allianz Chef Michael Diekmann in Brüssel hinwies. Ob Finanzkrise oder Arabischer Frühling, ob Spannungen in Thailand oder eben die Krimkrise – nichts, das nicht auch auf die Allianz Welt ausstrahlen würde. geschäft in Westeuropa und den USA. Trotz positiver Entwicklungen in Deutschland und Italien gingen die Kundenzahlen weiterhin zurück, so Diekmann. Auch die Profitabilität des Lebensversicherungsgeschäfts sei unbefriedigend. Der will Maximilian Zimmerer, im Allianz Vorstand für das Lebensversicherungsgeschäft und die Kapitalanlagen der Gruppe zuständig, in den kommenden Monaten mit neuen Produktklassen und stärkerer Diversifizierung der Anlagen auf die Sprünge helfen. Keine leichte Aufgabe: Die niedrigen Zinsen, die die Gewinnmargen nach unten ziehen, werden nach allgemeiner Einschätzung noch längere Zeit im Keller bleiben. »Wir sind in guter Verfassung«, unterstrich Diekmann in seiner Eröffnungsrede vor den über 200 Teilnehmern mit Blick auf die Ergebnisse der Gruppe im vergangenen Jahr. Doch er kam auch sehr schnell auf die Schwachpunkte zu sprechen, mit denen die Gruppe derzeit zu kämpfen hat. Dazu zählt unter anderem das Sachversicherungs- In seiner Rede mahnte Michael Diekmann mehr Ehrgeiz im Unternehmen an. Für sein Gefühl sind viele Gruppengesellschaften bei der Formulierung ihrer Ziele zu zögerlich. »Steckt die Marken möglichst weit und nehmt die damit verbundenen Herausforderungen an«, sagte der Allianz Chef und forderte die AZI-Teilnehmer auf, nicht beide Fotos: Stern Schrumpfende Kundenzahlen Negative Marktentwicklungen und ein teilweise irrationaler Preiswettbewerb schlagen auch auf die Ergebnisse der Allianz Gruppe durch. Doch einige Probleme seien hausgemacht, hob Allianz Vorstand Oliver Bäte in Bezug auf das Firmengeschäft hervor: »In diesem Segment verlieren wir Geld. Einzige Ausnahme: Großbritannien.« Mit einem ambitionierten Programm soll der Trend umgekehrt und das Firmengeschäft in den nächsten Jahren auf den Wachstumspfad zurückgeführt werden. nur auf Vorgaben des Holdingvorstands zu warten. »Es gibt noch immer viel unternehmerische Freiheit, um Dinge selbst zu bestimmen und umzusetzen. Soll niemand behaupten, wir hätten keinen Spielraum für Wachstum. Nur in sieben von 35 großen Versicherungsmärkten gehören wir derzeit zu den Top drei.« Für das laufende Jahr stellte Diekmann einen Aufgabenkatalog vor, der neben der Aufwertung des Firmengeschäfts, der verbesserten Kooperation mit Maklerhäusern und dem Ausbau des Bankenvertriebs auch Schwerpunkte wie die größere Präsenz in Großstädten und die Entwicklung attraktiver Angebote für die »Smartphone-Welt« umfasst – der nächste Schritt hin zu einem digitalen Versicherer, wie er auch Allianz Chief Operating Officer (COO) Christof Mascher vorschwebt. Auf dem Weg zum digitalen Versicherer Mascher zufolge wird sich die Allianz der nächsten Generation durch vier Komponenten auszeichnen: digitale Produktangebote, hochentwickelte Instrumente zur Datenanalyse, flexibler Kundenzugang über verschiedene Kanäle und ein hoher Automatisierungsgrad. Manuelle Prozesse sollen weitgehend zurückgefahren werden. Mascher: »Wir müssen unsere Geschäftsmodelle von Grund auf ändern.« Das schließt nach den Worten von Allianz Vorstand Clem Booth auch die verstärkte Verknüpfung der verschiedenen Allianz Einheiten ein. Große Erwartungen setzt Booth daher in das One Allianz-Projekt, das auf die enge Kooperation zwischen den globalen Allianz Einheiten untereinander wie auch mit den lokalen Gruppengesellschaften abzielt. In Großbritannien hatte Booth das Konzept vor drei Jahren einem ersten Testlauf unterzogen. Inzwischen wird es bereits in 15 Ländern umgesetzt. Mit dem im Januar erfolgten Start von Allianz Worldwide Partners (AWP), dem Zusammenschluss von Allianz Global Assistance, Allianz Global Automotive sowie Allianz Worldwide Care und der französischen Global Health, hat die Idee auch organisatorischen Ausdruck gefunden. Allianz Chef Diekmann machte deutlich, dass die Zukunft der Allianz nicht so sehr in Zukäufen liegt, obwohl im vergangenen Jahr einige vielversprechende Übernahmen in Frankreich, Belgien und der Türkei gelungen sind. Der Schlüssel für den Erfolg der Gruppe liegt seiner Überzeugung nach im Wachstum von innen heraus. »Wir sind in all den Märkten präsent, in denen wir vertreten sein wollten«, sagte Diekmann. Jetzt komme es darauf an, die Vorteile auszuspielen, die die globale Organisation biete. Zwei Punkte sind in seinen Augen von besonderer Bedeutung: der Ausbau des Marktanteils in den Megacitys dieser Welt sowie das Andocken der Allianz an die Smartphone-Welt – nicht zuletzt, um für jüngere Kundengruppen attraktiv zu bleiben. Derzeit schreitet die Alterung der Allianz Kundenbasis schneller voran als die der Gesamtbevölkerung. Digitaler Baukasten Ein Beispiel für die Allianz der Zukunft stellten Roberto Felici und Lorella Sdrigotti von der Allianz Italien mit ihrem Projekt Allianz1 vor, das im November letzten Jahres in 200 Agenturen an den Start ging. Seit Februar wird es in Italien flächendeckend angeboten. Es erlaubt Kunden, an einem Touchpad ihre Idealversicherung aus 13 Einzelmodulen mit einer Handbewegung selbst zusammenzustellen und in Echtzeit zu verfolgen, wie sich durch Hinzufügen oder Auslassen einzelner BauMitarbeiter der Allianz Italien stellten in Brüssel Allianz1 vor, eine Versicherung, die man am Bildschirm aus 13 Einzelmodulen zusammenstellen kann steine der Preis der Kombiversicherung ändert – schnell, einfach, benutzerfreundlich. Bis Ende März waren bereits 15 000 dieser Modularpolicen verkauft. »Damit«, so Allianz Chef Diekmann, »bringt uns Italien einen großen Schritt voran.« W W W. A L L I A N Z . I T 14 15 Allianz Journal 2/2014 GLOBAL Startklar Die Sportdirektoren Thomas Reutener und Andreas Schwaller zu den Vorbereitungsarbeiten für die Allianz Sports. Herr Reutener, Herr Schwaller, die Allianz Sports in Zürich stehen unmittelbar vor der Tür. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen? Thomas Reutener: Wir sind voll auf Kurs. Mein Zuständigkeitsbereich sind die Anlagen, und da steht alles bereit. Die Bewilligungen sind erteilt. Andreas Schwaller: Auch bei der Organisation der Wettkämpfe ist die Detailplanung abgeschlossen. Jetzt können die Sportler kommen. Andreas Schwaller Thomas Reutener Sind die Allianz Sports eine Veranstaltung wie jede andere oder gibt es Besonderheiten? Andreas Schwaller: Ich war dieses Jahr bei den Olympischen Spielen in Sotschi. Natürlich sind die Allianz Sports etwas kleiner, aber im Grunde genommen geht es um das Gleiche: sich in die Athleten hinein zu versetzen und den Ablauf darauf auszurichten. Wann und wo kommen die Athleten an? Wo ziehen sie sich um? Wo können sie sich aufwärmen? Was brauchen sie während der Wettkämpfe? Was, wenn es regnet oder 35 Grad heiß ist? Was braucht es nach dem Wettkampf? Diese und viele weitere Fragen gilt es zu beantworten, um perfekte Spiele zu organisieren. Thomas Reutener: Außergewöhnlich für mich ist das internationale Organisationsteam. Während bei lokalen Sportveranstaltungen alles vor Ort besprochen wird, sind bei den Allianz Sports Leute aus München, Budapest, Mailand und Zürich beteiligt. Das macht es speziell, herausfordernd und spannend. Gibt es einen speziellen Wunsch, den Sie mit den Sports verbinden? Andreas Schwaller: Mir ist sehr wichtig, dass wir mit den Wettkampfanlagen, Schiedsrichtern und Helfern dafür sorgen, dass alle Athleten ihre beste Leistung bringen können. Thomas Reutener: Ich wünsche mir faire Spiele und eine super Stimmung. Alle Teilnehmer sollen sich als Sieger fühlen, auch wenn sie nicht auf dem Podest stehen. Allianz Fit für Zürich Kurz vor den Allianz Sports in Zürich stehen die nominierten Teilnehmer in den Startlöchern. Eine lange Vorbereitungszeit geht zu Ende, die Spannung steigt. KARIN NEAL Die Mitarbeiter der Allianz Suisse sind schon voll eingestimmt auf die Allianz Sports. Auf Bildschirmen im Gebäude läuft seit Wochen ein Trailer, der das 25-köpfige Schweizer Team für die Allianz Sports vorstellt, die am 17. Juli beginnen. Zu ihm gehört auch Allianz Suisse-Chef Severin Moser. Die so oft gepriesene Schweizer Gründlichkeit ist auch am Zustand der Sportstätten in Wallisellen und der Organisation insgesamt abzulesen. Alles ist startklar (siehe nebenstehendes Interview). In Zürich werden sich die »alten Hasen« wiedersehen und gegeneinander antreten – aber auch ein paar Neuzugänge werden dabei sein. Monika Fischer, erfolgreiche Läuferin der Allianz Sports 2006 und 2010 für Team Deutschland Süd, meint: »Wir haben immer wieder tolle Nachwuchsleute. Besonders bei den Frauen sind jedes Jahr neue Namen dabei, die überdurchschnittlich gut abschneiden.« Ein alter Hase ist Alain Decorde, seit 1972 Mitarbeiter der Allianz France. Für ihn sind die Sports schon Tradition. Bereits zum siebten Mal ist er nun dabei. Er gilt als der König des 100-Meter-Laufs und schwang auch bei den letzten Sports in Budapest stolz die französische Flagge. »Ich fühle mich echt komisch dabei, nach so vielen Jahre zu denken, dass dies vielleicht meine letzten Sports sein werden. Ich hatte so viel Spaß all die Jahre. Aber ich glaube, ich kann die jungen und vielversprechenden Athleten nicht länger ignorieren«, sagt er mit einem Augenzwinkern. für mich. Ich bin mit vielen Kollegen aus der ganzen Welt zusammengekommen. Die ganze Atmosphäre war perfekt.« Auch Joe Thom, der mit seinen Kollegen aus den USA 2002 in Mailand die Silbermedaille im Volleyballwettbewerb der Männer holte, freut sich schon sehr auf Zürich. »Deutschland Nord ist das Team, das es zu schlagen gilt«, sagt er. Dafür nimmt sein Team schwierige Trainingsbedingungen auf sich. Denn die bunt zusammengewürfelte Mannschaft muss Spieler aus Kalifornien, New York und Minnesota zusammenziehen. Ganze zweimal konnten sie zusammen trainieren. Vor der Eröffnungsfeier gehen wie jedes Mal die Halbmarathonläufer an den Start. Jörg Richter aus Leipzig vom Team Deutschland Nord war vor vier Jahren in Budapest der Überraschungssieger: »Die schönsten Siege sind immer die unerwarteten«, findet er. Allianz Suisse-Chef Severin Moser, der auch für den Halbmarathon qualifiziert ist, wird die Allianz Sports am 17. Juli eröffnen: »Ich freue mich sehr darauf, die Mitarbeiter aus aller Welt in meiner Heimat zu begrüßen«, sagt der gebürtige Schweizer. »Ich hoffe, uns gelingt eine perfekte Organisation, so dass wir gemeinsam faire und spannende Wettkämpfe erleben können.« Bereit für den Startschuss: die Sport-Welt Wallisellen bei Zürich erwartet die Allianz Athleten Auch diesmal sind wieder etwa 1000 Allianz Mitarbeiter aus aller Welt bei den Sports dabei. Mariona Costa Bonjoch, Schwimmerin aus Spanien, und mit fünf Goldmedaillen einer der Stars im Jahr 2010, erinnert sich voller Begeisterung: »Die Allianz Sports in Budapest waren ein gigantisches Ereignis Monika Fischer Allianz | Neal | Google 16 Alain Decorde 17 alle Fotos: Stern Deutschland 15 Häuser, eine Kirche, ein Leuchtturm und eine Schule außer Dienst – Oland ist die älteste von zehn Halligen, die sich seit Jahrhunderten vor SchleswigHolsteins Westküste knapp über Wasser halten. Es gab Zeiten, da lagen noch Dutzende der kleinen Marschinseln verstreut im Wattenmeer. Doch die Nordsee holte sich eine nach der anderen, zerriss die Großen und verschlang die Kleinen. Um die letzten wogt ein zäher Kampf. FRANK STERN 18 19 Allianz Journal 2/2014 D EU T S C H L A ND diesen Traum nicht mehr. Das Taufbecken in der Olander Kirche hat nur noch musealen Wert, und seit die drei Töchter der Kühn-Familie in Dänemark aufs Internat gehen, ist auch die Halligschule geschlossen. »Schreiben Sie besser: Die Schule ruht«, bittet Angelika Kühn. B I O S P H Ä R E N R E S E R VAT WAT T E N M E E R Die zehn heute noch existierenden Halligen liegen im Biosphärenreservat Wattenmeer an der Westküste Nordfrieslands in Schleswig-Holstein. Es erstreckt sich von der dänischen Grenze bis zur Elbmündung. 2009 wurde es von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt. Oland ist die älteste Hallig im Wattenmeer, sie wurde erstmals 1231 urkundlich erwähnt. W W W.U N E S C O. D E / WAT T E N M E E R _ S H . H T M L Der Himmel liegt auf dem Watt, als wollte er das Leben unter sich begraben. Das Land ringsum blass und fahl, die Farben wie ausgewaschen. Mit einer offenen Güterlore, die von den Anfängen des Eisenbahnzeitalters zu künden scheint, geht es auf dem Küstenschutzdamm hinüber ins spröde Reich der Halligen. Theodor Storm nannte sie einst »schwimmende Träume«. Die nordfriesische Tourismusbranche zehrt bis heute davon. Dagebüll, die letzte Festlandsbastion, bleibt zurück und versinkt nach und nach im Nebel. Wenn Sturmfluten die Hallig nicht gerade Landunter setzen, ist Oland knapp drei Kilometer lang und bis zu einem Kilometer breit. Kein Baum, kein Strauch, nur Wiesen und Himmel. Und mittendrin die Warft, der mit Häusern bebaute Überlebenshügel, auf den sich die Menschen bei Gefahr wie in eine Wagenburg zurückziehen. So wie im vergangenen Dezember, als das Meer über die Halligwiesen rollte, als es Welle um Welle den Wall hinaufkletterte und wütend seine Gischt über die Dammkrone schleuderte. »Der Sturm war wie ein Brüllen«, erzählt Christa Peters, eine der 20 Bewohner von Oland. »Da kann einem schon mulmig werden.« »Man braucht Menschen wie die Kühns, damit die Halligen bewohnbar bleiben«, sagt Allianz Generalvertreter Volker Prinz, der die Familie seit Jahren betreut. Auto, Traktor, Unfall und Leben, die Privathaftpflicht und noch eine für Boot und Anhänger – fast alles haben sie bei ihm versichert. Nur bei Elementarschäden hält sich die Allianz auf den Halligen zurück – wie andere Versicherer auch. »Das Risiko von Hochwasser und Überschwemmungsschäden ist dort extrem hoch«, sagt Prinz. Angelika Kühn Seit Alters her dienen die Halligen als eine Art Wellenbrecher. »Sie halten die Gewalt des Meeres vom Festland ab«, erläutert Prinz. »Deshalb wird auch so viel in ihren Erhalt gesteckt.« Nur sind es immer weniger, die die Arbeit vor Ort schultern. Seit Angelika Kühn auf die Hallig übersiedelte, ist nichts mehr im arbeitsfähigen Alter nachgekommen. Die letzten 20 Jahre nicht. Feuerwerksfreie Silvesterfeste, das Biikebrennen Ende Februar, mit dem der Winter ausgetrieben wird, und die Ringelganstage im Mai sind die Höhepunkte des Jahres. Wer sich für ein Leben auf der Hallig entscheide, sagt Christa Peters, müsse ziemlich gut mit sich selbst auskommen können. Im Hamsterrad Im Oktober letzten Jahres hat die Natur mit Orkan Christian der Versicherungsbranche im Norden dennoch einen Denkzettel verpasst. »Die Inseln hat es damals gar nicht so stark erwischt«, berichtet Prinz. »Auf dem Festland dagegen sind wir wie im Hamsterrad gelaufen.« Allein von seinen knapp 1400 Kunden meldeten 350 Schäden an Fassaden, Schornsteinen, Zäunen. Bäume wurden gleich reihenweise wie Streichhölzer geknickt. Auch die Allianz Werbetafel vor seinem Büro in Bredstedt hat sich verabschiedet. Eine von Frank Kühns Stärken. Mit 18 zog er vom Festland zu seinen Großeltern nach Oland, doch die Weichen waren lange vorher gestellt. »Ich mochte schon immer gern hier sein«, sagt er. »Schon als Kind.« Die Freiheit, die endlose Weite, die Meereseinsamkeit – Kühn hat das Hallig-Gen. Ein wenig hofft er vielleicht darauf, dass es auch einer seiner Enkel in sich tragen wird. Später mal. Dass seine Töchter zurückkehren, damit rechnet er nicht wirklich. »Ist ja auch schwer hier«, sagt er. »Und was sollten sie denn hier machen? Sind ja alles Mädchen.« Frank Kühn Als er vor 28 Jahren beim Landesbetrieb Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz anheuerte, waren sie noch zu acht. Acht Mann für eine Hallig. Haben auf Oland zusammen Dämme gebaut und Lahnungen, haben die Halligkante mit Steinbefestigungen verstärkt und die Lorengleise instandgesetzt. Jetzt sind sie noch zu zweit. Manchmal kriegen sie einen Mann von der Nachbarhallig Langeneß ausgeliehen, und wenn es ganz eng wird, kommt auch Hilfe vom Festland. Und dann fegt wieder ein Sturm übers Watt, treibt das Meer auf die Wagenburg zu und nimmt die Dämme auseinander. Es ist ein ständiger Kampf. Das Urbild eines Friesen Alle 14 Tage bringt Pastor Matthias Krämer mit der Kirchenlore geistlichen Beistand von Langeneß nach Oland herüber. Allzu viele Seelen sehnen sich an diesem Sonntag jedoch nicht nach Zuspruch. In der kleinen Kirche, die 1824 von einer inzwischen untergegangenen Warft hierher versetzt wurde, haben sich gerade mal vier Einheimische und zwei Touristen eingefunden. Krämer, der entfernt an einen schlanken Tom Jones erinnert, steht am Fenster und blickt hinaus zum Glockenstapel, wo seine Helferin Katharina vehement und ausdauernd zum Gottesdienst läutet. Später wird Fiede Nissen ihn und Gottes Wort mit dem Postschiff noch nach Gröde übersetzen. Die zweite Messe an diesem Sonntag. alle Fotos: Stern Und doch hat sie diese Zwischenwelt – nicht Land, nicht Meer – seit jeher fasziniert. Vor elf Jahren schließlich kam sie von Föhr herüber, einer richtigen Insel, keine zehn Kilometer entfernt, und blieb. »Die Hallig war immer mein Lebenstraum«, sagt die alte Dame. Allzu viele träumen Sie und ihr Mann, beide Jahrgang 1967, zählen mit zu den Jüngsten auf Oland. Im Sommer 1994 hatten sie sich auf der Nachbarhallig Gröde kennengelernt. Die gebürtige Wilhelmshavenerin war im Urlaub, Frank Kühn fuhr mit dem Boot rüber, und viel mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen. Hat es ihn große Überredungskunst gekostet, sie nach Oland zu locken? »Nö, eigentlich nicht«, sagt Kühn. »Sie hat per Telefon ihren Job gekündigt und ist gleich hiergeblieben.« Es ist ein guter Ort, um Kinder großzuziehen. Es war. »Man braucht Leute wie die Kühns«, sagt Allianz Vertreter Volker Prinz Nissen, mit Kapitänsmütze, wettergegerbtem Gesicht und grauem Bart das Urbild eines Friesen, ist eine Institution. Jahrzehntelang hat er die Halligen Langeneß, Gröde, Habel und Oland per Lore und Boot mit Post und eben auch mit Pfarrern versorgt. Bei Wind und Wetter. Nur Landunter oder 20 21 Allianz Journal 2/2014 beide Fotos: Stern D EU T S C H L A ND schwerer Eisgang konnten ihn von seiner Tour abhalten. Im Oktober geht er in Pension. Ein Nachfolger hat sich noch nicht gefunden. Es ist neblig draußen. Erst am Nachmittag wird sich die Sonne bis nach Oland durchgekämpft haben und den Blick freigeben auf das Niemandsland und die auflaufende Flut. Angelika Kühn wird dann dick eingepackt in Pullover und Jacke neben dem reetgedeckten Leuchtturm sitzen und einem erklären, dass das aufgeregte Gefiepe, das vom Watt herüberdringt, von Austernfischern stammt, die gerade ihre Trillerbalz abhalten, dass es die Silbermöwe und nicht die Lachmöwe ist, deren Stimme sich wie Gelächter anhört, und dass die tote Taube, die einer ihrer Feriengäste gefunden hat, ein Eisvogel ist. Früher habe er noch Rinder gehabt, erzählt Frank Kühn später bei einem Rundgang durch das Innere der Wagenburg mit ihren Gärtchen, den weißen Zäunen und der alten Tiertränke in der Mitte. Eigenes Vieh aber hat auf Oland schon lange keiner mehr. Kühn war der Letzte, der seine Rinder abgegeben hat. Dafür steht nun den Sommer über »Pensionsvieh« auf den Salzwiesen. Wird im Mai vom Lorenfahrt zur Warft auf Hallig Oland 22 Der Atem des Monsters Die Flutmarken zeigen an, was Landunter auf der Hallig bedeuten kann Festland her übers Watt auf die Hallig getrieben – »wie die Tagestouristen«, sagt Kühn – und im Oktober wieder zurück. Bringt etwas Geld in die Kasse. Die Besichtigungstour endet am Friedhof. Seine Großeltern sind hier begraben. Als sich die Nacht übers Watt legt und Deutschlands kleinster Leuchtturm sein gleißendes Licht wie einen Hilferuf in die Dunkelheit sendet, stellt sich plötzlich ein Gefühl des Verlorenseins ein, wie es vielleicht nur Stadtmenschen auf einer Hallig empfinden können. Draußen lauert das Meer auf einen günstigen Moment. Wie seit ewiger Zeit. Am nächsten Morgen wirkt Oland noch verletzlicher als sonst. Der Nebel hält die Sonne zäh auf Abstand, es ist kalt. Als Frank Kühn unten am Fuß der Warft den Motor der Lore anlässt, verfliegt die letzte Hoffnung auf eine weniger frostige Rückfahrt: Es ist wieder die offene. »Ist doch viel schöner als ein geschlossener Wagen«, macht Angelika Kühn zum Abschied Mut. »Man ist der Natur so viel näher.« Hat gut reden in ihrer dicken Jacke. Das Fahrzeug, das längst nicht so alt ist, wie es aussieht, setzt sich in Bewegung. Mit 25 PS geht es auf den Küstenschutzdamm zu. »Deutz-Motor«, sagt Frank Kühn. Die Hallig bleibt zurück – karg, einsam, schön. Nicht jeder ist dafür geschaffen. Shutterstock In den letzten Jahren ist Angelika Kühn zu einer passionierten Vogelkundlerin geworden. »Das ist unglaublich spannend«, versichert sie und geht hinüber zu ihrem Fangnetz, in dem sich gerade ein Rotkelchen verheddert hat. Schon in der dritten Saison beringt sie Singvögel, um zusammen mit anderen Hobby-Ornithologen zu untersuchen, wie sich die Artenzusammensetzung in der Region verändert. Vor allem aber führt sie Buch über den Bestand an Ringelgänsen, die hier im Frühjahr auf ihrem Weg nach Sibirien einige Zeit Station machen. »Bummelig 2000 Tiere« hat sie in diesem Frühjahr gezählt, sagt sie. »Vogelgucken«, nennt es ihr Mann. Sie fliegen, wenn andere ihre Maschinen in den Hangar schieben. Wenn sich am Alpenrand die Wolkenberge auftürmen und zu atmen beginnen, steigen die Hagelflieger von Rosenheim auf und jagen mitten hinein in die brodelnde Wetterküche – dahin, wo das Monster Luft holt. FRANK STERN Hagelschläge und die damit verbundenen Schäden abwenden. Theoretisch jedenfalls. Früher hätten die Leute Sturmglocken geläutet, sagen Skeptiker. Heute »impften« sie für 230 000 Euro pro Saison die Wolken. Die Wirkung sei die Gleiche. Von Amts wegen ist Georg Vogl eigentlich für den Schutz der Natur zuständig: Landratsamt Rosenheim, Zimmer 307, Sachgebiet III/3. Doch zwischen April und September führt der 55-Jährige eine Gruppe von Freiwilligen an, die rund um Rosenheim, Miesbach und Traunstein und bis hinüber nach Österreich den Kampf mit der Natur aufnehmen. Es ist eine Glaubensfrage. War es schon immer. Als das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) 1993 nach sechs Jahren akribischer Untersuchungen feststellte, dass eine Wirkung der Hagelfliegerei auf das Wettergeschehen rund um Rosenheim nicht nachzuweisen sei, ging die Bevölkerung für ihre Eispiloten auf die Barrikaden. Denn ihrer unverrückbaren Überzeugung nach retteten die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten regelmäßig Ernte, Haus und Hof. Innerhalb von Sobald sich in dieser Zeit auf dem Radar eine Gewitterfront abzeichnet, machen sie ihre beiden Propellermaschinen startklar und fliegen, bewaffnet mit Silberjodidgeneratoren, dem Unwetter entgegen. Wenn es ihnen gelingt, die Gewitterwolken rechtzeitig zu erreichen und die Generatoren punktgenau im Auftriebskanal der Wolken zu zünden, können sie schwere 23 Allianz Journal 2/2014 D EU T S C H L A ND D I E RO S E N H E I M E R H AG E L A B W E H R alle Fotos: Stern Die Rosenheimer Hagelabwehr wurde 1975 ins Leben gerufen, nachdem ein Hagelunwetter im August 1974 allein im Chiemgau Schäden von 23 Millionen D-Mark verursacht hatte. Die zuvor praktizierte Hagelbekämpfung mit Silberjodidraketen vom Boden aus musste 1973 nach einer Verschärfung des Sprengstoffgesetzes eingestellt werden. Pro Saison sind die Hagelflieger mit ihren beiden Maschinen an etwa 20 Tagen im Einsatz. Die Kleinflugzeuge sind mit jeweils zwei Tanks ausgerüstet, die unterhalb der Tragflächen angebracht sind und je 20 Liter einer Silberjodid-Acetonlösung enthalten. Damit die Abwehr erfolgreich ist, muss der Pilot direkt in den Aufwindkanal der Gewitterfront fliegen und dort das Gemisch zünden. Durch den Aufwind werden die Silberjodidteilchen dann bis zu 15 Kilometer hoch in die Wolken geschleudert. Der durch die Verbrennung entstehende Rauch enthält zahllose Kondensationskeime, die die Bildung größer Hagelkörner in einem frühen Stadium verhindern sollen. Als Antwort auf die Kritik an der Methode von Seiten der Wissenschaft wurde 1994 in Rosenheim der »Verein zur Erforschung der Wirksamkeit der Hagelbekämpfung« gegründet. Er zählt heute über 8000 Mitglieder. 14 Tagen kamen 30 000 Unterstützerunterschriften für die Fortführung der Wolkenimpfung zusammen. Ein außerordentlicher Kreistag beschloss daraufhin mit 52 zu vier Stimmen, dass die Hagelabwehr fortgesetzt wird. Wissenschaft hin oder her. Schwarzwald und Schwäbischer Alb ist ein etwa 40 Kilometer breiter Korridor vom Allgäu bis zum Chiemgau besonders häufig von Eisschlägen betroffen. Vogls Kampfzone. Im Schnitt sind er und seine fünf Kollegen – ein Berufsschullehrer, ein Polizist, ein Architekt, ein Unternehmer und ein ehemaliger Berufspilot – in der Hagelsaison an rund 20 Tagen im Einsatz, um die Wolkenungetüme zum Abregnen zu zwingen, bevor sie über das Alpenvorland herfallen. »In der physikalischen Theorie gibt es tatsächlich klare Hinweise, dass es machbar ist«, sagt Meteorologe Markus Stowasser von Allianz Re in München. »Doch es ist unheimlich schwierig, die Wirkung wissenschaftlich nachzuweisen.« Das ewige Problem der Rosenheimer Hagelflieger: Sie können nicht belegen, dass ihr Einsatz die Bildung auch nur eines Hagelkorns verhindert. »Dazu müsste man unter genau gleichen Bedingungen eine Wolke einmal impfen und einmal unbehandelt lassen und dann die Ergebnisse vergleichen«, beschreibt Stowasser das Dilemma. Doch die Natur lässt eine solche Versuchsanordnung nicht zu. Nur unter Laborbedingungen zeigt sich, dass Silberjodidpartikel zu verstärkter Kondensation führen und damit der Bildung großer Hagelkörner entgegenwirken. Zumindest die Theorie ist auf Seiten der Gläubigen. Ganz ungefährlich ist die Sache für die Hagelflieger nicht. Bei Windgeschwindigkeiten von 30 Metern pro Sekunde kommt selbst eine zwei Tonnen schwere Maschine wie die Partenavia, ein robustes Flugzeug aus italienischer Produktion, zuweilen ins Schlingern. »Ich glaube, jeder Pilot, der in Aufwindschläuche einer Gewitterwolke hineinfliegt, wird schon mal einen Adrenalinschub gespürt haben«, sagt Vogl. »Aber Situationen kurz vor knapp gab es bei uns noch nicht.« Gelegentlich passiert es, dass er in der Früh von einer Wetterwarnung aus dem Bett geholt wird, doch meist lässt der Gewittergott erst nachmittags oder am frühen Abend die Muskeln spielen. Für einen wie Vogl, der es auf dem Weg zum Flugplatz Vogtareuth um diese Zeit zunächst mit dem Rosenheimer Berufsverkehr aufnehmen muss, eher ungünstig. »Bis ich aus der Stadt bin, brauche ich manchmal eine dreiviertel Stunde«, sagt der Verwaltungsamtsrat, der schon seit über 30 Jahren gegen den Hagel anfliegt. Kampfzone Chiemgau Unter allen Schadenereignissen gehören Hagelstürme für die Versicherungswirtschaft zu den kostspieligsten. »Andreas«, ein Tief, das im Juli letzten Jahres über Baden-Württemberg und Niedersachsen hinwegzog, schlug allein bei den Versicherern nach Angaben des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit 2,7 Milliarden Euro zu Buche. Insgesamt gingen Werte in Höhe von 3,6 Milliarden Euro zu Bruch. Wintergärten, Dächer, Fassaden, Autos – es war der teuerste Hagelschaden, den Deutschland je erlebt hat. Doch selbst wenn die Piloten die Wetterfront erreichen, bevor sich eine Superzelle entwickelt, ist der Erfolg nicht garantiert. »Wir sind vor Jahren mal eine Gewitterfront angeflogen, bei der wir partout keinen Aufwindkanal fanden«, beschreibt Vogl einen dieser Fehlversuche. »Eine Stunde lang irrten wir bei äußerst schlechter Sicht in dem Wolkenbrei herum. Die Zelle Durch die Staueffekte an den Alpen ist Süddeutschland bevorzugte Einschlagszone. Neben einem Gebiet zwischen 24 W W W. H AG E L A B W E H RRO S E N H E I M . D E Georg Vogl (li.) und Andreas Kotschenreuther vor ihrer zweimotorigen Partenavia, Baujahr 1985 stand über uns, wurde auch von den Meteorologen gemeldet und vom Radar gemessen – doch wir wussten einfach nicht, in welcher Höhe diese Wolke ansaugt und wo wir unsere Generatoren zünden sollten.« Wenn es dann kracht und trotz Hagelabwehr schwere Eiskugeln Häuser und Felder und Autos zerschlagen, kommt natürlich immer wieder mal die Frage auf, ob man sich für die anfangs erwähnten 230 000 Euro nicht doch besser eine hübsche Sturmglocke zulegen sollte. »Wir bräuchten Instrumente, mit denen wir den Aufwindkanal einer Gewitterwolke gezielt ansteuern und dort unsere Ladung ausbringen können«, sagt Vogl. »Eine Art Hagel-Navi, das uns auch bei schlechter Sicht an die richtige Stelle führt.« ein Kürzel, auf das nur Techniker verfallen konnten. »Damit wollen wir den Piloten einen Röntgenblick durch die Wolken ermöglichen«, erläutert Zentgraf das Projekt. ROBERTA soll dafür sorgen, dass Vogl und seine Crew über eine spezielle Datenverbindung ständig Zugriff auf die aktuellen Informationen des Deutschen Wetterdienstes haben, die ihnen an einem Monitor im Cockpit genau das Hagelzentrum einer Wolkenformation anzeigen. Gleichzeitig werden während des Fluges meteorologische Daten und technische Messgrößen aufgezeichnet, an denen sich über eine längere Zeitdauer die Wirkung des Cloud Seeding auf die Bildung von Hagelzellen ablesen lassen soll. Auf diese Weise, so die Hoffnung, gelingt vielleicht der langersehnte Nachweis, dass die Wolkenimpfung mehr ist als bayerische Folklore. Röntgenblick durch die Wolken Vielleicht muss er nicht mehr lange darauf warten. An der Fachhochschule Rosenheim arbeitet derzeit ein Team um Professor Peter Zentgraf an einem System, das die Zielgenauigkeit der Hagelabwehr erheblich steigern könnte. Das Projekt wurde ROBERTA getauft, was für ROsenheims meteorologische Besonderheiten: Eine Regelungs-Technische Aufgabe steht – Auch wenn Vogl auf seine Methode schwört, für den Fall, dass eine Hagelwolke die Abwehrfront durchbricht oder er und seine Kollegen im Berufsverkehr stecken bleiben, hat er vorgesorgt: Haus und Auto sind bei der Allianz gegen Hagelschläge versichert. W W W. R O B E R TA . F H - R O S E N H E I M . D E 25 Shutterstock Allianz Journal 2/2014 Europa Kettenreaktion aus. »Tatsächlich können Erdrutsche als Folge dieser Ereignisse manchmal mehr Schaden anrichten als ein Hochwasser, ein Erdbeben oder eine Eruption allein.« In der roten Zone In den USA hat im März einer der größten Erdrutsche der vergangenen 30 Jahre einen ganzen Ort verschüttet. Die Katastrophe war zwar nicht zu verhindern, wohl aber vorhersagbar. Wie? Ein Blick in die Schweiz zeigt, wie sich Menschen in bergigen Regionen auf Naturkatastrophen vorbereiten. Der Erdrutsch von Oso ist nicht nur einer der schwersten in der jüngeren Geschichte der USA; er wurde von Geologen geradezu erwartet. Warum keine entsprechenden Warnsysteme installiert wurden, muss noch geklärt werden. »Fest steht, dass kleinere Rutschungen an dieser Stelle immer wieder beobachtet wurden – zuletzt 2006«, berichtet Katherine Wenigmann. Die 26 Absolute Sicherheit wird es in den Bergen nicht geben. Selbst in der Schweiz, im Musterland für den Umgang mit Naturgefahren, richten Erdrutsche nach Angaben der WSL jährlich einen Schaden von rund 20 Millionen US-Dollar an. Statistisch gesehen kommt dabei ein Mensch ums Leben. Schuld daran ist allerdings nicht unbedingt die Umwelt. »Wenn sich das Risiko erhöht, dann nicht primär wegen einer Häufung der Naturgefahren, diese Prozesse sind im Alpenraum relativ gut erkannt, sondern weil die Konzentration von Sachwerten in gefährdeten Gebieten zunimmt und wir hohe Ansprüche an die Verfügbarkeit von Infrastruktur und Verkehrswegen haben«, sagt Bründl. Fatale Kettenreaktion Die Natur zähmen, ohne sie zu zerstören – die Schweiz hat viel investiert, um diesen Weg beschreiten zu können. In Bezug auf Menschenleben haben die Schweizer ein Schutzziel definiert. Das Risiko, durch eine der Naturgefahren ums Leben zu kommen, darf im Alpenland für jeden Einzelnen pro Jahr nicht größer sein als 10-5. Grundlage für die Berechnung dieses abstrakten Werts ist das normale Sterberisiko einer bestimmten Altersgruppe. Von 100 000 fünfzehnjährigen Personen zum Beispiel sterben im Laufe eines Jahres in der Schweiz laut Statistik etwa zehn. Das ergibt eine Sterberate von 0,0001 oder anders ausgedrückt von 10-4. Im Zusammenhang mit Naturgefahren darf sich dieses Risiko um nicht mehr als zehn Prozent erhöhen, was am Ende 10-5 ergibt. Wird dieser Grenzwert von der Natur überschritten, greifen die Behörden ein. Grundsätzlich können Erdrutsche überall auf der Welt auftreten. »Zu den am meisten gefährdeten Gebieten zählen die Alpen, die Westküste der USA und Kanadas, Mittel- und Südamerika, Japan, China, Indien und Indonesien,« erklärt Wenigmann. Jährlich sterben allein in den USA bis zu 50 Menschen bei Erdrutschen. Die Schäden übersteigen dabei eine Milliarde US-Dollar. Die Auslöser sind vielfältig. Zu den üblichen Verdächtigen zählt Wenigmann aber Wasser, Erdbeben und Vulkane. Sie lösen eine fatale Bründl unterscheidet vier Maßnahme-Typen. »Die Wichtigste ist die Raumplanung«, sagt er. »Sie hat in der Schweiz eine lange Tradition.« Gefahrenkarten geben Aufschluss darüber, wo die Menschen das Feld besser der Natur überlassen. Diese Gebiete sind rot markiert. »In blau markierten Regionen ist Bauen grundsätzlich erlaubt, allerdings mit Auflagen. Das heißt zum Beispiel, dass Gebäude dort verstärkte Rückwände haben oder auf Fenster verzichten müssen«, führt Bründl weiter aus. MICHAEL GRIMM Der Hang oberhalb des Örtchens Oso im US-Bundesstaat Washington war schon zuvor für seine Instabilität berüchtigt. Am 22. März dieses Jahres kam es zu einer Katastrophe, die sich lange abgezeichnet hatte. Innerhalb weniger Sekunden stürzten etwa zehn Millionen Kubikmeter Erdreich von einem Steilhang am Ufer des Stillaguamish-Flusses ins Tal hinab. Wochenlange Regenfälle in Kombination mit der Erosionsarbeit des Flusses hatten den Hang kollabieren lassen. Das breiige Gemisch aus Lehm, Sand und Gestein begrub Dutzende Häuser unter sich, insgesamt eine Fläche von mehr als 2,5 Quadratkilometer. 45 Menschen kamen ums Leben. Deshalb spricht der Geograf Michael Bründl auch von so genannten »gravitativen Prozessketten«. Bründl ist Leiter der Forschungsgruppe Lawinendynamik und Risikomanagement am Davoser Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Mit Prozessketten meint der Forscher die Aneinanderreihung von Ereignissen, die in Summe schließlich zu katastrophalen Ausmaßen führen können. Ein Szenario: In einen Gletschersee weit oberhalb eines Tals stürzen Gesteinsmassen. Eine Art alpiner Tsunami könnte die Folge sein. Die Flutwelle bringt den See zum Überlaufen. Das Wasser setzt eine Mure in Gang, die schließlich ein Dorf verschüttet. Bauingenieurin und Hydrologin arbeitet in einem auf Naturkatastrophen spezialisierten Team der Allianz Re in München (NatCat). Im Vergleich zu Überschwemmungen oder Stürmen betreffen Erdrutsche verhältnismäßig kleine Gebiete. Doch ihre Entstehung ist nicht weniger komplex, ihre Wirkung oft verheerend. Deshalb erscheinen auch Erdrutsche auf dem Radar der Naturkatastrophen-Forschung der Allianz Re. In den gelben und weißen Flächen ist das Risiko gering bis gar nicht vorhanden. Auf diese Weise sind in der Schweiz bisher rund 80 Prozent der Gefahrengebiete erfasst. In den 1960er Jahren wurde mit der Kartierung von Gefahren begonnen. Bründl rechnet damit, dass dieser Prozess in den nächsten Jahren abgeschlossen sein wird. Auf Grundlage der Gefahrenkarten greifen die übrigen Maßnahmen. Dort, wo die Gefahr lauert, an der Grenze zwischen menschlichen Interessen und Urgewalt, greifen bautechnische Konstruktionen. Schneenetze zum Beispiel sollen die Entstehung von Lawinen verhindern. Siedlungen werden mit Dämmen geschützt, die Muren und Erdrutsche entweder ablenken oder auffangen. Drahtgitter entlang von Straßen verhindern Steinschlag. Instabile Felspakete werden mit Hilfe von Beton fixiert. An anderer Stelle wird die Natur zum Verbündeten. Wälder schützen auf natürlich Weise vor Lawinen und Erdrutschen. Auenlandschaften schützen vor Hochwasser. Sensoren im Gestein Schließlich bleibt die organisatorische Komponente. Alle Maßnahmen zusammen sind nutzlos, wenn die Bevölkerung im Notfall nicht gewarnt wird. Unterstützt werden die Krisenmanager in der Schweiz dabei von Hightech. Sensoren in Hängen oder im Gestein nehmen winzige Veränderungen wahr. Mit Hilfe der Frühwarnsysteme können Straßen rechtzeitig gesperrt oder Siedlungen evakuiert werden. Von einem derartigen Schutz können Menschen in anderen Bergregionen der Welt nur träumen. Busfahrten im Himalaya oder in den Anden sind teilweise immer noch Himmelfahrtskommandos. Sicherheit hat ihren Preis. Viele Länder haben weder die finanziellen, noch technischen Mittel. Deshalb exportieren die Eidgenossen ihr Katastrophenvorsorge-Know-how in alle Welt. In anderen Regionen wurde es schlicht versäumt, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Nach den wiederholt starken Überschwemmungen in Europa hat die EU nun die Entwicklung von Hochwasserrichtlinien angeordnet. Grundlage dafür bilden Risikokarten nach dem Schweizer Vorbild. WWW.SLF.CH/INDEX_DE Reuters Katastrophe mit Ansage: Die Steinund Schlammlawine riss 45 Einwohner von Oso in den Tod FRA N Z . G UYA N A SURIN A M G UYA N A VENEZUELA KOLUMBIEN Brasilien spezial Manaus N IE IL S A BR PERU Recife ATLANTIK Brasilia BOLIVIEN PAZIFIK CHILE PARAGUAY Rio de Janeiro São Paulo ARGENTINIEN URUGUAY Ibrahim Reuters Es hatte das Jahr Brasiliens werden sollen: Gastgeber der Welt, jung, bunt, leistungsstark. Statt dessen gingen in den vergangenen Monaten Hunderttausende Brasilianer gegen Verschwendung, Missmanagement und Korruption auf die Straße. Ein Zeichen für die Zerrissenheit des Landes, sagen manche. Ein Zeichen politischer Reife, meinen andere. Wahrscheinlich stimmt beides. TEXTE BRASILIEN SPEZIAL: FRANK STERN Lange Zeit schien es, als könnte nichts und niemand den Aufstieg des Riesen bremsen. Die Wirtschaft wuchs rasant, Investoren standen Schlange – Brasilien galt als das Land der Zukunft. Inzwischen haben Finanzexperten die größte Volkswirtschaft Südamerikas unter die »Fragilen Fünf« eingereiht – neben Indien, Indonesien, Südafrika und der Türkei. Im März stufte Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit des Landes herab. Der Motor ist ins Stocken geraten. Riese in Ketten In einer aktuellen Studie kommt Kreditversicherer Euler Hermes zu dem Schluss, dass viele der Probleme hausgemacht sind. Während die Binnennachfrage in den vergangenen Jahren von einer verbraucherfreundlichen Steuerpolitik, vom starken Reallohnzuwachs und von massiven Kapitalzuflüssen aus dem Ausland angekurbelt Die Wasserfälle von Iguazu an der Grenze zu Argentinien. 80 Prozent seines Stroms gewinnt Brasilien aus Wasserkraft 28 29 Allianz Journal 2/2014 beide Fotos: Ibrahim B RAS I L IE N S P EZI A L beide Fotos: Stern Das legendäre Maracanã in Rio de Janeiro. 1950 verlor Brasilien im damals größten Stadion der Welt das Endspiel der Fußball-WM gegen Uruguay – ein nationales Trauma Andre Saigh (li.) und Henrique Campos wurde, hinken die Investitionen in die Infrastruktur des Landes und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft seit Jahren hinterher. Korruption und Bürokratie verschärfen das Dilemma zusätzlich. Miguel Pérez Jaime. »Sie sind ein Zeichen der Reife des Landes und Ausdruck einer gesunden Demokratie.« Marode Infrastruktur Inzwischen stützt sich die Regierung vermehrt auf Kooperationen mit Privatunternehmen, so genannte Public Private Partnerships (PPP), und vergibt Betreiberkonzessionen an Industriekonsortien, um die Modernisierung der Wirtschaft zu beschleunigen. Straßen und Schienenwege, Häfen und Flughäfen, Staudämme, Stromtrassen und Kraftwerke sollen mit einem hohen Anteil an Privatinvestitionen in den nächsten Jahren neu gebaut oder erweitert werden. An vielen Vorhaben wie der Erweiterung des Internationalen Flughafens von Rio oder dem Ausbau der Ringautobahn um São Paulo sind Allianz Seguros und AGCS als Erst- und Rückversicherer beteiligt. Mit den Folgen haben nicht zuletzt Brasiliens Bauern und Viehzüchter zu kämpfen. Das Land ist einer der führenden Exporteure von Kaffee, Soja, Zucker, Fleisch, Mais und Tabak, die Landwirtschaft zählt zu den wettbewerbsfähigsten der Welt. »Nur geht der Vorteil auf unseren löchrigen Straßen und in den veralteten Häfen mit ihren zu geringen Verladekapazitäten wieder verloren«, erklärt Saighs Kollege Henrique Campos von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) in Rio de Janeiro. »Die marode Infrastruktur ist zu einem Wachstumshemmnis geworden.« Um die verstopften Routen im Süden und Südosten des Landes zu umgehen, sehen die staatlichen Planungen vor allem den Ausbau der Straßen aus den Agrarzentren im Landesinneren Richtung Norden vor. »Dort ist die Verkehrsdichte geringer, und man kann die Landwirtschaftsgüter schneller und kostengünstiger über die großen Flüsse zu den Überseehäfen an der Atlantikküste transportieren«, erläutert Henrique Campos. AGCS und Allianz Seguros wollen bei diesen Projekten eine ebenso wichtige Rolle spielen wie bereits im Energiesektor. Seit die Brasilianer zu Hunderttausenden auf die Straßen gehen und gegen die Zustände protestieren, scheinen die Planungen für viele überfällige Bauprojekte etwas schneller voranzukommen. »Die Demonstrationen haben die Defizite im Land deutlich gemacht. Man sollte sie nicht ignorieren«, unterstreicht Allianz Seguros-Chef Um seinen wachsenden Energiebedarf zu decken, setzt Brasilien vor allem auf Wasserkraft. 80 Prozent seines Stroms stammen aus dieser Quelle – eine Abhängigkeit, die sich gerade rächt. Seit Monaten herrscht im Süden und Südosten des Landes anhaltende Dürre, viele Stauseen sind fast leer. Dafür fluteten Anfang des Jahres Andre Saigh hat als Vertriebschef für das Firmen- und Industriegeschäft von Allianz Seguros einen recht guten Einblick in die Schwächen des Systems. Eigentlich habe der Markt seit geraumer Zeit mit umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur gerechnet, in Straßen, Kraftwerke, Flughäfen, erzählt der gelernte Betriebswirt in seinem Büro in São Paulo. »Doch der große Schub ist bislang ausgeblieben.« 30 schwere Regenfälle den Westen Brasiliens. Der Bundesstaat Acre war teilweise von der Außenwelt abgeschnitten, Tausende Menschen mussten evakuiert werden. Brasiliens nationaler Netzbetreiber ONS sah sich sogar gezwungen, die Turbinen des San Antonio-Kraftwerks herunterzufahren, um die sich stauenden Wassermassen schneller abfließen zu lassen. Weitere Engpässe in der Energieversorgung waren die Folge. Breiter Energiemix Seit einiger Zeit nun versucht die Regierung, die Stromversorgung des Landes breiter aufzustellen. Künftig sollen Wärmekraftwerke und Windparks stärker zum Energiemix beitragen. Auch die Allianz spürt den Strategiewechsel. »Die Regierung investiert gerade eine Menge Geld in den Bereich Windenergie«, sagt Andre Saigh. »Vor allem im Nordosten, wo die Windverhältnisse besonders günstig sind.« Allianz Seguros und AGCS sind bei etlichen Projekten als Versicherer mit von der Partie. Ist die Windenergie weitgehend unumstritten, so scheiden sich an den zwölf Fußballstadien, die zur WM neu gebaut oder modernisiert wurden, die Geister. Vier davon – das Estádio Minerão in Belo Horizonte, die Arena Fonte Nova in Salvador de Bahia, die Arena da Amazonia in Manaus und das Estádio das Dunas in Natal – sowie das Trainingscamp der deutschen Nationalmannschaft Campo Bahia sind Allianz versichert. ein wichtiger Teil des Lebens, doch angesichts der Defizite im Land fragten sich viele, ob das Geld für die WM nicht besser für andere Projekte verwendet worden wäre. Dennoch ist der Spanier optimistisch, dass die Weltmeisterschaft ein Erfolg wird. »Allerdings«, so Jaime Pérez, »hängt viel davon ab, ob es der Regierung gelingt, für Sicherheit zu sorgen und gleichzeitig den Menschen Raum zu lassen, ihre Anliegen öffentlich zu vertreten.« Was, wenn nicht? WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/GLOBAL-OFFICES/BRAZIL »Noch vor einigen Jahren galt die WM vielen hier als Chance«, sagt Allianz Seguros-Chef Pérez Jaime. »Das hat sich um einiges geändert.« Fußball sei zwar weiter 31 Allianz Journal 2/2014 B RAS I L IE N S P EZI A L Jung, schwarz, tot Seit 83 Jahren blickt Cristo Redentor – 1100 Tonnen schwer und 30 Meter hoch – auf Rio de Janeiro, auf Elend und Schönheit, auf Mord und Samba, die Arme zur Seite gestreckt, als sei er etwas ratlos. »Ich weiß doch auch nicht«, scheint er zu sagen. 32 33 »Brasilien ist eine rassistische Gesellschaft«, sagt Alexandre Ciconello von Amnesty International (AI) in Rio de Janeiro. »Es ist ein Erbe der Vergangenheit, das uns nicht loslässt.« Der Anwalt mit den italienischen Vorfahren, der früher unter anderem für die Weltbank tätig war, nimmt sich da nicht aus. Wenn ihm ein Schwarzer auf der Straße entgegenkommt, hält auch er unwillkürlich seine Brieftasche fest. »Schwarz bedeutet Armut und Kriminalität«, sagt Ciconello. »Das ist in unserem Denken tief verwurzelt.« Brasilien war 1888 das letzte Land der westlichen Welt, in dem der Sklavenhandel offiziell abgeschafft wurde. Doch auch 126 Jahre danach ist die Gesellschaft tief gespalten. Es gibt kaum ein Land, in dem der soziale Status so eng mit der Farbe der Haut verknüpft ist wie Brasilien. Schwarze verdienen weniger als Weiße, sind schlechter ausgebildet und sterben früher. Nur bei Samba und Karneval spielen sie die Hauptrolle. Mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung hat heute afrikanisches Blut in den Adern. Vor dem Büro von Amnesty International im Stadtteil Laranjeiras lungern ein paar farbige Straßenkinder herum. Passanten machen sicherheitshalber einen Bogen um sie, und irgendjemand ruft die Polizei. Die rückt mit Maschinenpistolen an. »So was gab es hier noch nie«, sagt Ciconello und lächelt ein wenig verlegen. »Das ist eigentlich eine sehr sichere Gegend.« Die Kindergang weicht der staatlichen Übermacht. Sehr wahrscheinlich, dass sie aus einer der zahllosen Favelas stammt, die sich an den Flanken der Hügel rund um Rio festklammern. Manche sagen, es gibt in der Stadt 700 dieser Armenviertel, andere meinen, es sind 1000. Genau weiß es keiner. »Brasilien ist ein wunderschönes Land«, sagt Ciconello. »Wir haben Meer und Strände, wir haben den Amazonas und den Regenwald. Wir haben riesige Ressourcen, sind bunt und kreativ. Weniger Ungleichheit, weniger Korruption, weniger Polizeigewalt – wir könnten eine bessere Gesellschaft sein.« Polizeigewalt – eines der wichtigsten Themen, mit denen sich der Jurist derzeit beschäftigt. In zehn Jahren 34 »Das ist eigentlich eine sehr sichere Gegend« – die Zentrale von Amnesty International in Rio de Janeiro AMNESTY INTERNATIONAL IN RIO 2011 eröffnete Amnesty International in Rio de Janeiro ein Landesbüro für Brasilien. Inzwischen sind 14 feste Mitarbeiter für die AI-Sektion tätig. Als Direktor wurde der brasilianische Historiker Atila Roque berufen. Hauptaktionsfelder der Organisation sind öffentliche Sicherheit und Polizeigewalt, die Rechte der indigenen Bevölkerung, die Zwangsumsiedlungen, die Platz schaffen sollen für Bauprojekte zur Fußball-WM und zur Olympiade 2016, und die ungesühnten Verbrechen während der Militärdiktatur (1964 –1985). »Menschenrechtsaktivisten sind in Brasilien in einer prekären Lage«, sagt Roque. »Menschenrechtsverletzungen werden kaum geahndet und große Teile der Bevölkerung stehen dem gleichgültig gegenüber. Sie akzeptieren Gesetzlosigkeit und Gewalt als etwas Normales.« Vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober will Amnesty verstärkt mit Vorschlägen zur Reform des Polizeiapparates an die Öffentlichkeit gehen. seien allein in Rio 10 000 Menschen von Polizisten getötet worden, sagt er. In Notwehr. Die meisten schwarz, jung und arm. »Und die Gesellschaft nimmt es hin«, sagt Ciconello. »Die Leute schert es nicht, wenn es einen Schwarzen erwischt. In weniger als fünf Prozent der Fälle wird Anklage erhoben. Verurteilt wird kaum keiner.« Ordem e progresso steht auf der brasilianischen Fahne: Ordnung und Fortschritt. Nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 sah es einige Zeit so aus, als könnte der Anspruch Wirklichkeit werden. Das fünftgrößte Land der Welt hat sich zur sechstgrößten Volkswirtschaft hochgearbeitet, und in den letzten zwölf Jahren sind über 40 Millionen Menschen aus den unteren Rängen der Klassengesellschaft in die Mittelschicht aufgestiegen. Doch ausgerechnet die Weltmeisterschaft kratzt nun am Lack des bunten Schmelztiegels, in dem alle Samba tanzen und traumhaften Fußball spielen. Brasilien gehört weiterhin zu den Ländern mit der krassesten Ungleichverteilung von Einkommen oder Vermögen. HTTP://ANISTIA.ORG.BR Und leistet sich derzeit für zehn Milliarden Euro die teuerste Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten. Mehr als die Hälfte der Brasilianer meinte vor dem Anpfiff, dass die WM dem Land mehr Schaden als Nutzen bringen wird. Hunderttausende gingen gegen Korruption und die Verschwendung öffentlicher Gelder auf die Straße. Brasilianer, die gegen die Fußball-WM im eigenen Land protestieren – hätte sich wohl auch mal keiner träumen lassen. beide Fotos: Ibrahim In Brasilien werden jedes Jahr 50 000 Menschen ermordet, 25 Tote auf 100 000 Einwohner. Fünf mal mehr als in den USA, 30 mal mehr als in Deutschland. Meist handelt es sich bei den Opfern um junge schwarze Männer. »Brasilien. Ein Land der Zukunft«, schrieb einst der Schriftsteller Stefan Zweig. Allianz Journal 2/2014 alle Fotos, auch Seite 32-33: Stern (wenn nicht anders angegeben) B RAS I L IE N S P EZI A L Atila Roque »Viele hatten gehofft, dass es im Zuge der Weltmeisterschaft einen Modernisierungsschub geben würde«, sagt AI-Mann Ciconello, »Straßen, Bahnstrecken, Flughäfen, auch Krankenhäuser und Schulen – die Infrastruktur sollte in großem Maßstab von der WM profitieren.« Alexandre Ciconello zusammen mit seinen Kolleginnen Ligia Batista (li.) und Luciana Abento Versprochen war es. 35 Allianz Journal 2/2014 Helga Jung »Wir hoffen auf Reformen« Helga Jung, im Allianz Vorstand unter anderem für das Versicherungsgeschäft in Lateinamerika zuständig, über Erwartungen und Hoffnungen und über die drängendsten Probleme im größten Markt der Region, Brasilien. INTERVIEW: FRANK STERN Frau Jung, wie sind Sie mit der Geschäftsentwicklung der Allianz in Brasilien zufrieden? Letztes Jahr sind wir – in lokaler Währung – knapp 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen und haben unser operatives Ergebnis um 14 Prozent gesteigert. In Euro sieht das Ergebnis nicht ganz so gut aus, was an der Abwertung des brasilianischen Reals liegt. Der Wirtschaftsaufschwung in Brasilien ist ins Stocken geraten. Inzwischen wird das Land neben der Türkei, Indien, Südafrika und Indonesien zu den »fragilen Fünf« gezählt. Teilen Sie die Skepsis einiger Analysten? Das Wirtschaftswachstum in Brasilien blieb 2013 in der Tat mit 2,3 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Die Inflation war höher als erwartet, und die Zentralbank hat die Zinsen seit Januar 2013 von 7,25 Prozent auf 36 10,5 Prozent erhöht. Für 2014 rechnen wir mit einer weiteren Abkühlung des Wachstums auf rund zwei Prozent – trotz FußballWeltmeisterschaft. Um die brasilianische Wirtschaft anzukurbeln, sind dringend Reformen nötig, mit denen wir jedoch nicht vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober rechnen. Mittel- und langfristig bleiben wir trotz dieser Entwicklung optimistisch und sind von den positiven Wachstumsperspektiven für Brasilien überzeugt. Investoren haben sich in letzter Zeit in Scharen zurückgezogen. Das Wachstumspotenzial des Landes ist nach wie vor groß. Brasilien ist die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einer Bevölkerung von fast 200 Millionen Menschen. Doch es sind Reformen und Investitionen nötig, beispielsweise in Bildung und Infrastruktur. Das Land verfügt über eine stark wachsende Mittelschicht, deren Konsumbedürfnisse weiter steigen werden. Dies wird sich positiv auf das Wachstum auswirken. Auch für die Versicherungsbranche sehen wir weiteres Wachstumspotenzial, denn die Versicherungsdurchdringung ist mit 1,7 Prozent etwa im Schaden-/Unfallbereich noch relativ niedrig. Im weltweiten Vergleich liegt Brasilien auf Platz 42. Seit Anfang 2011 hat die brasilianische Landeswährung gegenüber dem Dollar rund 30 Prozent an Wert verloren. In São Paulo, Rio de Janeiro und anderen Städten gab es Demonstrationen und Straßenschlachten. Was erwarten Sie für die Zukunft? Kernproblem sind die fehlenden Reformen in den Sozialsystemen, wie zum Beispiel Bildung und Gesundheit. Das erfordert Investitionen. Solange diese Schritte nicht Stern Allianz B RAS I L IE N S P EZI A L erfolgen, werden wir vermutlich weitere Proteste sehen. Darüber hinaus haben die steigenden Zinsen 2013 die Kredite für Industrie und Konsumenten weiter verteuert. Damit sich die Situation beruhigt, müssen überfällige Reformen eingeleitet werden. Wir hoffen, dass dies nach den Wahlen im Oktober passieren wird. Gegen eine Vielzahl von Kongressmitgliedern wird wegen Korruption und anderer Delikte ermittelt. Wie behält man als Unternehmen in so einem Land eine saubere Weste? Als Allianz Gruppe haben wir einen gruppenweiten Verhaltenskodex sowie klare Antikorruptions- und Compliance-Richtlinien, die alle Mitarbeiter weltweit in allen Märkten zu erfüllen haben. Das gilt auch für Brasilien. In den letzten Jahren sind Millionen Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen. Doch viele von ihnen sind hoch verschuldet. Droht ihnen der erneute Abstieg? Die Verschuldung der privaten Haushalte beträgt in Brasilien aktuell rund 45 Prozent. In Europa liegt diese Quote bei über 80 Prozent und in den USA sogar deutlich über 100 Prozent. Die Arbeitslosenquote in Brasilien befindet sich mit 4,3 Prozent auf einem Rekordtief. Aktuell herrscht ein Mangel an Arbeitskräften und die Reallöhne steigen. Auch der Blick auf die notleidenden Kredite privater Haushalte zeigt einen positiven Trend: Sie sind seit einem Höchststand von rund acht Prozent Anfang 2012 auf etwa 6,5 Prozent gesunken. Solange diese Situation anhält, sehen wir keine Konsumentenkreditkrise auf uns zukommen. 2003 hat sich die Allianz Brasilien aus dem Lebensversicherungsgeschäft verabschiedet, 2008 war sie dann wieder dabei. Warum dieses Hin und Her? Unser Angebot im Bereich Lebensversicherungen beschränkt sich auf Risikolebensversicherungen, wobei aktuell Unternehmen noch den Großteil unserer Kunden ausmachen. Unser Lebensgeschäft hat sich in den letzten Jahren erfolgreich entwickelt und ist 2013 um 65 Prozent gewachsen. Produkte im Bereich der kapitalbildenden oder fondsgebundenen Lebensversicherungen bieten wir nach wie vor nicht an. In Brasilien sind Banken mit ihren Versicherungstöchtern auch im Krankenversicherungsgeschäft unangefochtene Spitzenreiter. Wie schlägt sich die Allianz? Bradesco und Sul América sind die dominanten Wettbewerber auf dem brasilianischen Krankenversicherungsmarkt. Zusammen kontrollieren sie über 80 Prozent. Die Allianz konnte 2013 ein Wachstum von knapp 18 Prozent erzielen und liegt gegenwärtig auf Rang vier. Die große Herausforderung im Krankenversicherungsgeschäft ist die Profitabilität. Letztes Jahr lag die Inflationsrate für medizinische Leistungen bei über 15 Prozent und unsere Schaden-/Kostenquote bei 106 Prozent. Das wollen wir in diesem Jahr verbessern. Entwicklung des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts seit 2006 7,5 6,1 4,0 5,2 2,7 -0,3 2006 2007 2008 2009 2,3 0,9 2010 2011 2012 2013 2,0 2014 (Prognose) in Prozent / Quelle: Weltbank und Euler Hermes 37 Allianz Journal 2/2014 B RAS I L IE N S P EZI A L Antonio Scorza | Shutterstock.com alle Fotos: Stern (wenn nicht anders angegeben) | Allianz Millionen Brasilianer haben in den vergangenen Jahren die Armut hinter sich gelassen, doch der Aufschwung ist ins Stocken geraten Zwischen Favela und Formel 1 Ibrahim Wer etwas über Brasilien erfahren will, über Höhen und Tiefen, über Ambitionen und Rückschläge, für den ist die Allianz Seguros nicht die schlechteste Anlaufstelle: Wie kaum eine andere Institution spiegelt die brasilianische Allianz Tochter das ganze Spektrum an Entwicklungen in Südamerikas größter Volkswirtschaft wieder – zwischen Favela und Formel 1. 38 Es gibt wahrscheinlich nur wenige, die sich in den Straßen einer Favela ebenso auskennen wie in der Boxengasse beim Großen Preis von Brasilien. Ramon Gomez ist einer von ihnen. Gomez, bei Allianz Seguros für das Privatkundengeschäft zuständig, hat beide Seiten im Blick: das soziale Engagement am unteren Ende der Gesellschaft und die Möglichkeiten, die sich der Allianz als Sponsor der Formel 1 am oberen Ende bieten. Der Vertriebsmanager erlebt den Zwiespalt zwischen beiden Polen hautnah. 39 alle Fotos: Ibrahim (wenn nicht anders angegeben) Stern Miguel Pérez Jaime auf einen Schlag sieben Systeme durch eine einheitliche Plattform ersetzt. »Aber es war doch komplizierter als erwartet«, räumt Pérez Jaime ein. Felipe Gomes Und das hatte Folgen. Dass Marcelo Blay, einer der erfolgreichsten unter Brasiliens insgesamt 70 000 Versicherungsmaklern, der Allianz auch über diese Durststrecke die Treue gehalten hat, lag nicht zuletzt an dem Ruf, den sie sich in den letzten Jahren erarbeitet hat. »Die Allianz ist eine tolle Firma«, sagt der Chef von Minuto Seguros, dem Pionier unter Brasiliens Online-Maklern. »Wir können ihre Produkte verkaufen, ohne uns Sorgen darüber machen zu müssen, ob sie ihre Versprechen auch einhält.« Der 47-Jährige ist nicht der einzige, der von den Vorzügen seines Partners überzeugt ist: Im vergangenen Jahr wählte das Fachmagazin Cobertura die Allianz Seguros zur besten Versicherungsgesellschaft des Landes. São Paulo – ein Land für sich Graffiti-Künstler Eduardo Kobra schuf an einer Hochhauswand in der Avenida Paulista von São Paulo diese Hommage an den weltberühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer In diesem Spannungsfeld bewegt sich das ganze Unternehmen. Und wie Brasilien selbst macht auch die Allianz Seguros mit ihren 1400 Mitarbeitern gerade einen nicht ganz reibungslosen Wandel durch. Nicht nur, dass es mit Miguel Pérez Jaime Ende letzten Jahres einen Wechsel an der Spitze des Unternehmens gab, zeitgleich lief die Einführung einer neuen IT-Plattform an, wie sie auch schon in Spanien, Portugal und Kolumbien im Einsatz ist. »Insbesondere am Anfang gab es dabei einige Probleme«, sagt Helga Jung, die im Allianz SE-Vorstand unter anderem für Lateinamerika zuständig ist (siehe auch das Interview auf S. 36). Ganz überraschend war das nicht, schließlich wurden 40 Den Faden würde Vertriebsleiter Ramon Gomez gern möglichst schnell wieder aufnehmen. »Im Moment ist es schwierig für uns«, sagt er. »Aber die neue Plattform bringt wichtige Vorteile. Sie ist die Voraussetzung, dass wir künftig schneller wachsen als der Markt.« Darauf setzt auch Marcelo Blay, einer von 14 000 Maklern, mit denen Allianz Seguros landesweit zusammenarbeitet. Mit 90 Prozent der Prämieneinnahmen sind sie der wichtigste Vertriebskanal. Bislang macht Blay zehn Prozent seines Umsatzes mit Allianz Produkten. »Das ließe sich steigern«, meint der gelernte Maschinenbauingenieur, der erst vor knapp vier Jahren ins Maklergeschäft eingestiegen ist. »Im Moment verkaufe ich für Allianz Seguros nur Kfz-Policen. Ich habe 40 000 Kunden, da wäre noch einiges mehr drin.« Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von Millionen Brasilianern hat in den letzten Jahren auch die Nachfrage nach Versicherungen deutlich zugenommen. Während die Wirtschaft insgesamt schwächelt, verzeichnet die Assekuranz weiterhin zweistellige Zuwachsraten. »Und nun versuchen alle, Produkte für die neue Mittelschicht zu entwickeln, die sich rechnen«, erläutert Allianz Seguros-Vorstand Felipe Gomes, der vor Ramon Gomez Versicherung in grün zwölf Jahren von seiner Heimatstadt Rio nach São Paulo kam. Man merkt ihm den Schmerz darüber noch heute manchmal an. »São Paulo ist ein Land für sich«, sagt Gomes, der bei Allianz Seguros für Marktmanagement und Strategie zuständig ist. Und mit 20 Millionen Menschen, die in der Metropolregion leben, gar nicht mal ein sehr kleines. Ein Großteil der Versicherungsbeiträge in Brasilien werden hier erwirtschaftet. Seit zwei Jahren bietet Allianz Seguros als Teil ihrer Gebäude- und Hausratversicherung die fachgerechte Entsorgung von defekten oder ausrangierten Möbeln und Haushaltsgeräten an. Sind die Sachen noch funktionstüchtig, werden sie an Sozialprojekte oder Favela-Bewohner abgegeben. Sind sie kaputt, werden sie recycelt. Über 100 000 Wohnungs- und Hauseigentümer und 70 000 Firmen haben das Angebot bis Mai dieses Jahres bereits in Anspruch genommen. Dabei kamen mittlerweile fast 100 Tonnen an ausrangierten Möbeln und elektrischen Geräten zusammen. Auch Allianz Seguros testet, mit welchen Produkten sie bei neuen Kundengruppen punkten könnte. Breit angelegte Befragungen sollen helfen, deren Bedarf und Wünsche herauszufinden. Derzeit läuft ein Pilotprojekt für den Vertrieb einer speziell für die untere Mittelschicht entwickelten Unfallversicherung – Familia Segura, Sicherheit für die Familie. Auch in der Favela da Caixa D’Agua, in der die Allianz seit 20 Jahren ein Jugendprojekt unterstützt, ließ Gomes untersuchen, ob sich ein Angebot dort lohnen könnte. »Doch dafür ist es wohl noch zu früh«, fasst er das Ergebnis zusammen. »Bei vielen fehlt einfach das Wissen, wie sich auch mit wenig Geld Vorsorge betreiben lässt.« Daneben hat Allianz Seguros ein Beratungstelefon eingerichtet, über das Kunden Tipps zum Energiesparen und zur Reduzierung des Wasserverbrauchs bekommen. Das kann sich lohnen: Wegen der anhaltenden Dürre in einigen Landesteilen und der geringen Wassermenge in den Stauseen ist die Stromversorgung seit Monaten angespannt. In São Paulo bietet der Wasserversorger Sabesp Firmen und Privatpersonen 30 Prozent Rabatt auf die Wasserrechnung, wenn die Kunden ihren Verbrauch um wenigstens 20 Prozent senken. Seither erlebt Allianz Seguros einen Ansturm auf ihre Spar-Hotline. WWW.ALLIANZ.COM.BR Ein Defizit, das die Finanzbildungsinitiative My Finance Coach beheben will, die die Allianz vor einigen Jahren in Deutschland mit ins Leben gerufen hat. Mittlerweile hat sie Nachahmer in aller Welt gefunden. »Im vergangenen Jahr haben wir in Brasilien damit begonnen, an öffentlichen und privaten Schulen, 41 berichtet Ingo Dietz, Vizepräsident der deutsch-brasilianischen Handelskammer und bei Allianz Seguros für Kontakte zu Politik und Wirtschaft zuständig. »Zehn Prozent der Allianz Seguros-Mitarbeiter standen bereits vor einer Klasse«, sagt der Deutsche, der mit seiner Familie seit drei Jahren in Brasilien lebt. Auch Angelo Colombo, Chef von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) Brasilien ist mittlerweile Finance-Coach, und noch in diesem Jahr soll Mondial Assistance dazustoßen, mit ihren 2200 Beschäftigten die weltweit größte Landesgesellschaft von Allianz Global Assistance. Gemischte Gefühle Es ist nicht das einzige Gebiet, auf dem das Kooperationskonzept One Allianz funktioniert. Allianz Seguros arbeitet bei der Absicherung zahlreicher Infrastrukturprojekte eng mit AGCS als Rückversicherer zusammen, greift bei seinen Kfz-Policen auf den Pannenservice von Mondial zurück und steuert im Gegenzug Unfall- und Gepäckversicherung zu deren Reiseschutzpaket bei. Mondial wiederum entwickelt gerade gemeinsam mit Global Automotive ein erweitertes Garantieprodukt für brasilianische Autokäufer, das Ende Juli auf den Markt kommen soll. »Die Kooperation der verschiedenen Allianz Einheiten macht natürlich überall Sinn«, sagt Allianz Seguros-Chef Pérez Jaime. »In einem Land wie Brasilien aber ist sie entscheidend.« alle Fotos: Ibrahim (wenn nicht anders angegeben) B RAS I L IE N S P EZI A L Marcelo Blay Um im Marktranking weiter nach vorn zu rücken – gegenwärtig steht die Allianz Brasilien an sechster Position – setzt Pérez Jaime vor allem auf den Ausbau des Privatkundengeschäfts. Mit einer Marktdurchdringung, die 2012 laut Swiss Re im Lebensversicherungsgeschäft gerade mal zwei Prozent und in der Sachversicherung knapp 1,7 Prozent betrug, bietet Brasilien erhebliches Wachstumspotenzial. Nicht zuletzt in der Kfz-Versicherung: Manche Prognosen sagen bis 2020 einen Anstieg der Fahrzeugzahlen um bis zu 70 Prozent voraus. Bis Ende des Jahres will Miguel Pérez Jaime mit der Allianz Seguros wieder an die Form vor Einführung der neuen ITPlattform anknüpfen. »Die automatisierten Abläufe werden uns in die Lage versetzen, in Zukunft effizienter und flexibler zu agieren«, sagt er und hebt die Bemühungen seiner Mitarbeiter hervor, die Maschine möglichst schnell wieder auf Touren zu bringen. »Es ist eine sehr junge Mannschaft, im Schnitt 32 Jahre«, so Pérez Jaime. »Ihre Loyalität zur Allianz, »Treffen kann es jeden« Als Vincent Bleunven gerade ins Auto steigen wollte, standen sie plötzlich hinter ihm. Morgens um neun, mitten im Zentrum von São Paulo, keine 100 Meter von seiner Wohnung entfernt. »Ist schon ein paar Jahre her«, sagt der Chef von Mondial Assistance in Brasilien. »Aber eine Waffe am Kopf – so was vergisst man nicht.« 42 Es war nicht das erste Mal, das Vincent Bleunven Opfer eines Überfalls wurde, aber dieser hat sich besonders in sein Gedächtnis eingegraben. Auch deshalb, weil er selbst dabei so ziemlich gegen alle Regeln verstieß, die man in so einem Fall befolgen sollte. Das war nicht sonderlich klug. Sein Glück, dass auch die Räuber nicht die Hellsten waren. In Städten wie São Paulo oder Rio de Janeiro gehört Quicknapping inzwischen zu einer gängigen Methode der Geldbeschaffung. »Treffen kann es jeden«, sagt Bleunven, »egal wie umsichtig man sich verhält.« Die Opfer werden mit Waffengewalt kurzzeitig entführt, um Lösegeld zu erpressen oder um mit ihrer Kreditkarte am nächsten Bankautomaten das Konto abzuräumen. So auch in Bleunvens Fall: Die Täter zwangen ihn in den Wagen und nahmen ihm die Kreditkarte ab. Dann fuhren sie zu einer Bank. Normalerweise hätte nun einer von ihnen zum Automaten gehen und das Geld abheben müssen, während der andere im Wagen das Opfer in Schach hält. Bleunvens Entführer aber trauten sich wohl gegenseitig nicht über den Weg und machten sich Allianz | Stern E-mergency Ingo Dietz, Vizepräsident der Deutsch-Brasilianischen Handelskammer. Die Einrichtung vertritt 700 deutsche Unternehmen Zwei Drittel aller Autofahrer in Brasilien haben keine Kaskoversicherung – und damit im Notfall auch keinen automatischen Anspruch auf Pannenhilfe. Mondial ihre Lust, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen, ist schon beeindruckend. Ich habe noch nie in einer so inspirierenden Atmosphäre gearbeitet.« Assistance, die brasilianische Tochter von Allianz Global Assistance, hat daraus eine Geschäftsidee entwickelt: E-mergency, ein Angebot für den Notfall, das man per Smartphone und Internet auch vom entlegensten Ort Nur beim Thema Fußball tut sich noch eine Kluft auf. Einerseits fühlt sich Pérez Jaime zunehmend mit seiner neuen Heimat verbunden. Andererseits ist Blut eben doch dicker als Wasser. »Ich muss zugeben«, sagt der gebürtige Spanier, »was die Weltmeisterschaft angeht, habe ich gemischte Gefühle.« anfordern kann. Nur wenige Klicks und der Abschleppwagen ist auf dem Weg, die Koordinaten des liegengebliebenen Fahrzeugs werden per Smartphone übertragen, die Bezahlung erfolgt online. Gleichzeitig wird ein Jahresangebot für den Mondial-Pannenservice unterbreitet. Anfang 2015 soll E-mergency online gehen. Möglicherweise bewahrt ihn ja die deutsche Nationalmannschaft vor allzu großen Gewissensqualen. beide zur Bank um die Ecke auf. Dabei ließ einer der Täter auch noch den Autoschlüssel fallen, was Bleunven im Rückspiegel beobachtete. Nachdem sie außer Sichtweite waren, schnappte er sich den Schlüssel und fuhr davon. Am Ende gingen die Entführer leer aus: Bleunven hatte ihnen eine falsche Geheimzahl genannt. »Das war allerdings nicht sehr clever«, sagt Bleunven heute. »Wenn sie mich erwischt hätten, hätten sie mich wahrscheinlich erschossen.« Sicherheitsexperten raten im Fall eines Überfalls, den Anweisungen der Täter unbedingt Folge zu leisten. Das ist keine Garantie, dass man mit dem Leben davonkommt, erhöht aber die Chancen. Bleunven folgt seit dem Vorfall grundlegenden Sicherheitsregeln, die die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines WWW.MONDIAL-ASSISTANCE.COM.BR Raubüberfalls zu werden, senken sollen: keinen auffälligen Schmuck wie Ringe oder teure Uhren; Autotüren immer verriegeln; wann immer möglich, die mittlere Fahrspur benutzen; nachts an leeren Kreuzungen nicht bei Rot anhalten. »Und wenn mir das nächste Mal jemand eine Pistole an den Kopf hält«, sagt er, »werde ich mit Sicherheit die richtige Geheimzahl meiner Kreditkarte nennen.« Bleunven lebt schon seit vielen Jahren mit seiner brasilianischen Frau und drei Kindern in São Paulo und fühlt sich inzwischen mehr als Brasilianer denn als Franzose. »Die Menschen hier sind von Natur aus freundlich, das Leben ist voller Dynamik, es wird nie langweilig«, beschreibt er die Vorzüge des Landes. Nur dass sich die Brasilianer anscheinend so fatalistisch mit der hohen Kriminalitätsrate abfinden, damit hat er seine Probleme. »Früher bin ich abends gern spazieren gegangen. Hier nie. Nie! Für Brasilianer ist Verbrechen Teil des Lebens. Es gehört für sie dazu. Von Polizei und Regierung erwarten sie sich schon lange keine Hilfe mehr.« Und es gibt noch einen zweiten Punkt, in dem sich der Wahl-Brasilianer von seinen neuen Landsleuten unterscheidet: Sein Fußballherz schlägt weiter für Frankreich. »Auch wenn sie wohl keine Chance haben«, sagt er. Die zweite Generation hat diesen Gewissenskonflikt überwunden: Bleunvens Söhne fiebern für Brasilien. Ohne Wenn und Aber. 43 Die Welt hinter der Mauer alle Fotos: Ibrahim Jean-Marie Monteil Rose Oliveira Es ist eine Enklave, eine Insel inmitten eines Meers aus Armut und Fatalismus. Hinter einer blauen Mauer in der Avenida Alfredo Ribeiro de Castro im Nordosten von São Paulo lernen Kinder, sich in einer Welt zu behaupten, die sie eigentlich schon abgeschrieben hat. »Ich weiß, wie schwer es ist, wenn man aus armen Verhältnissen kommt«, sagt Jean-Marie Monteil und schaut hinunter auf die Häuser der Favela da Caixa d’Água, einem der zahlreichen Elendsviertel von São Paulo. Vor 20 Jahren begann Monteil damit, den Kindern der Siedlung, in der 25 000 Menschen leben, einen Ausweg zu eröffnen. Damals war er noch Chef der brasilianischen Niederlassung der Versicherungsgruppe AGF (Assurances Générales de France), die zwei Jahre später von der Allianz übernommen wurde. Die Allianz »erbte« damals auch Monteils Jugendprojekt, das heute unter dem Namen ABA (Associação Bene- 44 ficente dos Funcionários do Grupo Allianz Seguros) zu ihrer brasilianischen Tochter gehört, wie der Zuckerhut zu Rio. Der gebürtige Franzose, der vor 50 Jahren nach Brasilien kam, hat in seiner Kindheit Armut selbst kennengelernt. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie er es später in seiner Wahlheimat erlebte, aber doch genügend, um zu wissen, wie sehr sie die Psyche prägt und die Perspektive verengt. »Wenn du die Welt verändern willst, fang mit den Kindern an«, lautet ein Ausspruch Mahatma Gandhis. Monteil hat ihn zu seiner Lebensaufgabe gemacht. »Es geht darum, den Kindern eine Chance zu geben«, sagt der 78-Jährige. »Wir wollen ihnen zeigen, dass es andere Lebensentwürfe gibt.« »Wir geben ihnen eine Chance« – ABA ermöglicht den Kindern und Jugendlichen der Favela eine Start ins Leben, den ihnen ihre Familien nicht geben können und den ihnen die Gesellschaft verweigert Rakelly Canuto dos Santos 45 alle Fotos: Ibrahim B RAS I L IE N S P EZI A L 20 Jahre ABA Die Anfänge der Associação Beneficente dos Funcionários do Grupo Allianz Seguros (ABA), des Gemeinnützigen Vereins der Mitarbeiter der Allianz Seguros Gruppe, reichen bis ins Jahr 1994 zurück. Gegründet wurde er vom damaligen Chef der brasilianischen AGF-Tochter, Jean-Marie Monteil, der die Geschicke der Initiative als Vorsitzender weiterhin maßgeblich mitbestimmt. »Wir wollen den Kindern eine breit gefächerte Bildung vermitteln und vor allem ihr Selbstwertgefühl stärken«, sagt Monteil. Zuneigung, Disziplin und das offene Gespräch zählt er dabei zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren. Im Laufe der Jahre haben rund 6000 Kinder und Jugendliche der Favela da Caixa d’Água im Alter zwischen vier und 18 Jahren von dem außerschulischen Angebot, das von Tanz und Musik über Sport und Schach bis hin zu Computerkursen und Berufsberatung reicht, profitiert. Getragen wird die Initiative hauptsächlich von Allianz Mitarbeitern. »Jeder im Unternehmen steht dahinter«, sagt Allianz Seguros-Chef Miguel Pérez Jaime. »Auch viele unserer Makler unterstützen das Projekt.« Im August dieses Jahres feiert ABA seinen 20. Jahrestag. Für Rakelly Canuto dos Santos könnte das den entscheidenden Unterschied ausmachen. Wenn das Mädchen tanzt, sieht es aus wie eine kleine Prinzessin, die sich der Bürde ihrer Krone bewusst ist. Ernst, konzentriert, aufmerksam. Ihre Eltern kamen vor Jahren aus dem Nordosten Brasiliens nach São Paulo und sind mit ihren Träumen irgendwann in der Caixa d’Água gestrandet. Rakelly aber könnte es schaffen. Im November wurde die Fünfjährige bei ABA aufgenommen. Die Warteliste ist lang. Es ist eine anfangs fremde Welt, in die sie und die anderen Kinder hinter der blauen Mauer mit den Schmetterlingen eintauchen. Eine Welt, wie sie sein könnte. Musik, Malerei, Tanz – »ABA ist ein Refugium, in dem die Kinder lernen, sich durch die Kunst auszudrücken«, beschreibt es Direktorin Rose Oliveira. »Wir arbeiten mit dem Herzen.« Klingt ein wenig esoterisch, doch wer beobachtet, wie die Mädchen und Jungen einen Videoclip drehen, wie sie einen Tanz einstudieren oder ein Theaterstück proben, versteht. »Hier entwickeln sie das Selbstwertgefühl, das sie brauchen in einer Welt, die nicht auf sie wartet«, sagt die Psychologieprofessorin. Wer viel Glück hat in seinem Leben, begegnet in jungen Jahren einem Menschen wie ihr. HTTP://VIMEO.COM/55477942 46 Zwölf fest angestellte Lehrkräfte sind für die Kinder und Jugendlichen da und stellen das umfangreiche außerschulische Zusatzprogramm sicher, zu dem auch Computerkurse und für die Älteren die Berufsberatung gehören. Einer von den zwölf ist Rodrigo Motto, der den ABA-Schülern van Gogh & Co. nahebringt. Motto ist Maler und kennt das Umfeld, aus dem die Kinder kommen, aus erster Hand – er lebt selbst in der Favela und weiß aus eigener Erfahrung, welche Wirkung Kunst gerade dort haben kann. Zweimal pro Jahr veranstaltet ABA für Eltern, Allianz Mitarbeiter und Makler eine Vernissage, in der die Bilder der Schüler ausgestellt werden. Kein Künstler, der da nicht aufgeregt wäre. Viele ABA-Schüler gehen mit 18 auf die Universität. »Für sie ist es ganz natürlich, sich hohe Ziele zu setzen«, sagt Rose Oliveira nicht ohne Stolz. »Und sie können ohne Weiteres mit ihren Altersgenossen aus den besseren Schichten mithalten«, setzt ABA-Vorsitzender Monteil hinzu. Etliche von ihnen haben ihren Kommilitonen sogar etwas voraus: Letztes Jahr lud die Allianz erstmals 50 ABA-Schüler zum Großen Preis von Brasilien in die Boxengasse. Wer kann schon von sich behaupten, dass er Lewis Hamilton schon mal die Hand geschüttelt hat? Auch bei der Eröffnung des neuen Allianz Stadions in São Paulo, die für Ende August geplant ist, werden viele ABA-Kinder auf den Rängen sitzen. An einem Wochenende jedes Monats laden Jean-Marie Monteil und seine Frau eine Gruppe von ABA-Schülern auf ihre Farm ein, 300 Kilometer von São Paulo entfernt. Für viele der Kinder ist es der erste Ausflug in die Natur überhaupt. »Es ist nichts Großes, aber oft sind es die kleinen Dinge, die man in Erinnerung behält«, sagt Monteil. Und sei es nur wegen der blütenweißen Bettwäsche, die seine Frau jedes Mal aufzieht und die manche ihrer Gäste so verblüfft, dass sie es kaum wagen, sich darauf zu setzen. Auf dem Weg vom Flughafen Guarulhos in die Innenstadt fliegt in einiger Entfernung die Favela da Caixa d’Água vorbei. São Paulo empfängt seine Gäste mit einem flüchtigen Blick in seinen Hinterhof. Irgendwo dort, verborgen im Gewirr der Straßen und Gassen, steht eine blaue Mauer mit Schmetterlingen darauf. 47 Allianz Journal 2/2014 Amerika prüfungen durch freie Mediziner sowie Datenerfassung und toxikologischen Tests wichtige Hilfe, um falscher Medikation und dem Abzweigen von Medikamenten vorzubeugen. Shutterstock Opiathaltige Medikamente und die resultierende Abhängigkeit treiben die Ausgaben der amerikanischen Versicherungsbranche in die Höhe. Allianz Tochter Fireman’s Fund versucht, die Kosten unter Kontrolle zu halten und Patienten vor der Sucht zu bewahren. Eine Wunderwaffe, um die Abhängigkeitsraten und die Folgekosten zu senken, gibt es nicht. 2013 rief Fireman’s Fund ein Team ins Leben, dem Schadenexperten, Mitarbeiter der Spezialuntersuchungseinheit SIU (Special Investigations Unit), von FFIC beauftragte Labore und die Rechtsabteilung angehören. Sie sollten das Thema Opiatabhängigkeit untersuchen und einen Aktionsplan aufstellen. JESSICA BUCHLEITNER Süchtig nach der Pille Amerikaner machen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, konsumieren nach Angaben des US-Zentrums für Krankheitskontrolle (Center for Disease Control) aber 50 Prozent der Medikamente und 80 Prozent der Betäubungsmittel. Die Einzelhandelsumsätze für verschreibungspflichtige Medikamente sind in den USA in den letzten zehn Jahren von 72 Milliarden Dollar auf 250 Milliarden Dollar hochgeschnellt. Im gleichen Zeitraum hat sich der Durchschnittspreis für Pillen, Kapseln und Tropfen von 30 Dollar auf 68 Dollar mehr als verdoppelt. Die Assekuranz in den USA verzeichnet den gleichen Trend. In den letzten elf Jahren hat sich der Anteil der verschreibungspflichtigen Medikamente an den Gesamtkosten der Berufsunfallversicherung von zehn Prozent im Jahr 2000 auf 19 Prozent im Jahr 2011 fast verdoppelt. Der Grund dafür ist eine schleichende Gefahr, die für die Branche nur schwer zu gestiegen«, sagt Dan Rufenacht, Leiter des Bereichs Berufsunfallversicherung bei Fireman’s Fund (FFIC). »Wir kriegen Kostenübernahmeanträge für Behandlungen auf den Tisch, wo opiathaltige Schmerzmittel eigentlich nicht nötig gewesen wären. So erhielt zum Beispiel ein Patient gegen seine Rückenschmerzen ein starkes Betäubungsmittel, das normalerweise nur nach chirurgischen Eingriffen verwendet wird, obwohl er nie operiert wurde. Das kann zu Abhängigkeit führen.« Das Team stieß auf fünf Ursachen, die dem Problem zugrunde liegen und die Kosten in die Höhe treiben. Zum einen sind das Ärzte, die sich nicht an die Richtlinien für das Vorgehen bei bestimmten Verletzungen halten. So werden zum Beispiel Opiate verabreicht, obwohl sie für das Krankheitsbild eigentlich nicht vorgesehen sind, oder es wird eine volle Monatsdosis für ein Medikament verschrieben, das nur einige Tage eingenommen werden sollte. einzudämmen ist: die Abhängigkeit von opiathaltigen Medikamenten. Keine Wunderwaffe Dabei ist es mindestens genauso schwierig, dem Problem des Missbrauchs auf die Spur zu kommen, wie ihn zu beseitigen. Opiathaltige Schmerzmittel werden normalerweise nur nach schweren Verletzungen mit daraus resultierenden chronischen Schmerzen, nach Operationen und der nachfolgenden Schmerzkontrolle sowie zur allgemeinen Schmerzbehandlung eingesetzt. Alle drei Szenarien können zur Abhängigkeit führen. »Im vergangenen Jahrzehnt ist die Verwendung von opiathaltigen Medikamenten bei der Behandlung von Verletzungen, die unter die Berufsunfallversicherung fallen, merklich Zweitens kommt es nicht selten vor, dass Patienten mehrere Schmerzmittel verschrieben bekommen, was zu einer übermäßigen Einnahme mit entsprechendem Suchtfaktor führen kann. Der dritte Kostentreiber ist die Verschreibung von Markenmedikamenten in Fällen, in denen auch generische Arzneimittel ausreichen würden. Kritisch wird es auch, wenn Ärzte aus ihrem Vorrat Medikamente ausgeben, die die Kosten für den Versicherer in die Höhe treiben und zudem schwierig zu überwachen sind. Zu guter Letzt kommt noch hinzu, das manche Patienten ihre Schmerzmittel abzweigen und damit illegal Handel treiben. Auf Grundlage dieser fünf Faktoren erstellte das FFIC-Team eine Liste mit den häufigsten Missbrauchsszenarien und entwickelte für ihre Schadenregulierer mögliche Gegenmaßnahmen. Dabei spielt die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern und Medizinlaboren eine wichtige Rolle. Sie liefern mit ihren unabhängigen Untersuchungen, mit Fall- Der wichtigste Hebel für all diese Fragen sind laut Rufenacht die verschreibenden Ärzte. Sie erreiche man am besten über die Dienstleister und Labore, mit denen sie zusammenarbeiten. »Als Versicherer haben wir nur einen beschränkten Einfluss auf das Problem. Deshalb ist es entscheidend, mit den Ärzten ins Gespräch zu kommen«, erklärt Rufenacht. »So lässt sich zum Beispiel die Medikation abklären, die ein versicherter Patient erhält. In einigen Staaten können wir Verschreibungen sogar anfechten.« Soziale Verantwortung Debra Drake, die das FFIC-Team zusammen mit Rufenacht leitet, ist für die Programme zur Ausgabendämpfung und für den Kontakt zu Dienstleistern und freien Laboren zuständig. Um die Kosten und die Suchtgefahren im Griff zu behalten, sei es von entscheidender Bedeutung, diese mit einzubeziehen, sagt Drake. »Unsere Partner in diesem Bereich können uns bei der Datenerfassung und der Analyse der Medikamenteneinnahme unterstützen«, fügt sie hinzu. »Zudem können ihre Fachleute mit den verschreibenden Ärzten abstimmen, welche Medikamente für Patienten die richtigen sind.« Die behandelnden Ärzte stünden einer Zusammenarbeit mit FFIC offener gegenüber, wenn sie aussagekräftige Daten vorgelegt bekämen und sich mit anderen Medizinern austauschen könnten, so Drake. »Wir wollen Patienten nicht die angemessene medizinische Versorgung vorenthalten«, ergänzt Rufenacht. »Natürlich sind Medikamente oft notwendig. Doch es gab einige Fälle, da wären die Patienten heute nicht mehr am Leben, wenn wir nicht eingegriffen hätten.« Zu seiner Arbeit gehöre auch soziale Verantwortung, sagt Rufenacht, der in seiner Laufbahn schon einige verheerende Suchtfälle gesehen hat. »Wenn Patienten medikamentenabhängig werden, beeinträchtigt das ihr Leben auf Jahre«, sagt der Manager. »Unser Ziel besteht nicht nur darin, Kosten zu senken, sondern vorzubeugen und Ärzten und Patienten Behandlungsalternativen anzubieten, die für eine bessere Lebensqualität sorgen.« WWW.FFIC.COM 48 49 Allianz | Stern Roth Asien Menschen, die im Jahr des Pferdes geboren wurden, sagt man nach, besonders abenteuerlustig zu sein. Vielleicht ist am chinesischen Horoskop ja etwas dran, auf Christine Nagel trifft es jedenfalls zu: Von einer, die Schwaben gegen Asien tauschte. Das Bürogebäude der Allianz in Singapur Christine Nagel FRANK STERN Spätzle süß-sauer Metzingen. Gepflegtes Städtchen am Fuß der Schwäbischen Alb. Es ist vielleicht nicht ganz fair, die zahlreichen Firmen-Outlets als die größte Attraktion des Ortes zu bezeichnen, doch seit es hier die Marken-Schnäppchen gibt, ist die Zahl der Besucher beträchtlich gestiegen. »Hugo Boss-Stadt«, sagt Christine Nagel und lacht. Sie stammt aus Metzingen, doch wusste sie schon früh, dass es eine Welt jenseits der Schwäbischen Alb gibt: ihr Vater kam beruflich viel herum – Südamerika, Russland, China. Vor allem China, das exotischste Land von allen, weckte schon früh ihre Phantasie – und es ließ sie nicht mehr los. Eines Tages wollte sie dorthin, eintauchen in die Kultur, die Sprache, die Geschichte. »Es war das Fremdartige, das mich angezogen hat«, sagt sie im Rückblick. 1991 kommt sie als Studentin das erste Mal ins Reich der Mitte und hört an der Fudan-Universität in Shanghai Vorlesungen in Volkswirtschaft – auf Chinesisch. Sechs Jahre später wird sie zurückkehren und mit einem kleinen Team die erste Allianz Lebensversicherung in China aus der Taufe heben. Dass Asien zu ihrer zweiten Heimat werden würde, war damals noch nicht abzusehen. Inzwischen ist es 17 Jahre her, dass sie Deutschland verlassen hat. Ihre Kinder, 13 und zehn, sprechen besser Englisch als Deutsch. »Was Asien angeht, war ich die treibende Kraft«, sagt sie. Ihr Mann, ebenfalls Volkswirt- 50 Allianz Journal 2/2014 schaftler, hatte eher Amerika im Auge. Doch allzu viel Überredungskunst, die andere Richtung einzuschlagen, brauchte es offenbar nicht. Es dauerte allerdings ein knappes Jahr, bis ihm seine Firma einen Job in Shanghai bieten und er ihr folgen konnte. »Dennoch hatten wir großes Glück«, sagt Nagel. »Da gibt es ganz andere Beispiele. Oft muss sich ja ein Partner entscheiden, ob er seinen Job in der Heimat aufgibt und die eigene Karriere hintenanstellt.« In der Vergangenheit war das meist die Frau. oberflächlich, und Italiener können sich nicht von ihrem Spiegelbild losreißen. Jeder begegnet dem Anderen mit bestimmten stereotypen Vorstellungen, jeder hat seine Schubladen. Selbst diejenigen, die sich für völlig unvoreingenommen halten, hegen im tiefsten Inneren und oft unbewusst gewisse Vorurteile. Psychologen sprechen von implicit bias. Singapur, Finanzviertel. Im September letzten Jahres hat die Allianz hier ihre neue Asienniederlassung bezogen. Die rund 500 Mitarbeiter der hier versammelten elf Tochtergesellschaften kommen aus 27 Ländern. »Wer im Ausland leben und arbeiten möchte, sollte sich von Vorurteilen möglichst schnell freimachen«, sagt Nagel. »Sonst ist er fehl am Platz.« Doch abschrecken lassen sollte sich davon ihrer Ansicht nach niemand. Der Organisationsaufwand sei zwar größer, aber unüberwindliche Hürden gebe es selten. »Man sollte neugierig sein und offen gegenüber anderen Kulturen und Lebensweisen, auch offen gegenüber anderen Arbeits- und Führungsstilen«, rät sie allen, die einen Auslandsaufenthalt ins Auge fassen. Den Außeneinsatz nur als Schritt auf der Karriereleiter abzuhaken, hielte sie für eine verschenkte Gelegenheit: »Nicht alles läuft immer glatt, es wird einem viel Eigeninitiative abverlangt. Doch wer sich auf ein Land und seine Menschen einlässt, für den ist diese Erfahrung ungemein bereichernd.« Für sie zählt die Arbeit, die jemand leistet, nicht die Hautfarbe, die Religion oder das Geschlecht. Und mit ihrer Maxime »Behandle andere so, wie auch du behandelt werden möchtest« ist sie immer gut gefahren. »Letztlich sind wir alle Menschen mit relativ gleichgearteten Bedürfnissen«, sagt sie. »Ob Chinese oder Inder oder Deutscher – jeder möchte mit Respekt behandelt werden.« Vier Jahre blieben sie und ihr Mann in Shanghai, drei davon leitete sie dort das Repräsentationsbüro der Allianz. 2001 dann der Wechsel nach Singapur, damals noch die familienfreundlichere Option. »In Shanghai hat sich in der Zwischenzeit allerdings viel getan«, sagt Nagel. »Ich bin mir nicht sicher, ob diese Aussage heute noch so stimmt.« Eine Wahl zwischen beiden Städten mag sie nicht treffen. »Jede hat ihren Reiz«, antwortet sie diplomatisch auf eine entsprechende Frage. Ein Zeichen, wie sehr ihr die asiatische Art bereits zur zweiten Natur geworden ist? Vom 14. Stock der Allianz Zentrale am Marina View blickt man hinunter auf einen der größten Containerhäfen der Welt – und auf etliche Baustellen. Singapur verändert ständig sein Gesicht, nichts scheint von Dauer. Ein Spiegelbild des rasanten Wandels auf dem gesamten Kontinent, den auch Nagel und ihre drei Mitarbeiter hautnah miterleben, schließlich sind sie für die strategische Entwicklung des Sachversicherungsgeschäfts in China, Indien, Indonesien, Laos, Malaysia, Sri Lanka und Thailand zuständig. Aktuell geht es vorrangig darum, in den sieben Märkten das Privatkundengeschäft anzukurbeln. Für Christine Nagel bedeutet das nicht zuletzt: reisen. Womit wir beim Thema Vorurteile wären: Chinesen, das ist bekannt, scheuen das offene Wort, Amerikaner sind Geht man nach dem chinesischen Horoskop, kommt das ihrer Natur entgegen. Menschen, die im Jahr des Pferdes geboren wurden, sagt man nach, besonders abenteuerlustig und reisefreudig zu sein. 1966, ihr Geburtsjahr, war so ein Pferdejahr. »Ich versuche aber, die Geschäftsreisen auf ein- bis zweimal im Monat zu beschränken und dann nicht allzu lange weg zu sein«, sagt sie. Auch ihr Mann ist beruflich gelegentlich unterwegs, doch bislang hat die Koordination immer irgendwie geklappt. »Heute, wo meine Kinder größer sind, ist es natürlich leichter«, erzählt die Managerin. Schwieriger sei es mit Kleinkindern: »Da ist man manchmal zwischen Berufspflichten und Familie hin- und hergerissen.« Christine Nagel jedenfalls hat es nie bereut, sich in die Welt hinter der Schwäbischen Alb gewagt zu haben. Dass Singapur ihre letzte Station bleibt, davon ist kaum auszugehen. »Wir haben hier Fuß gefasst und möchten unseren Kindern bis zum Ende ihrer Schulausbildung ein gewisses Maß an Stabilität geben«, sagt sie. »Doch danach? Wer weiß? Neugierig bin ich jedenfalls immer noch.« Und ihr Mann? »Der auch.« 51 Snutterstock Sisyphus in Gummistiefeln Hochwasser haben die Widerstandsfähigkeit der Menschen schon immer auf die Probe gestellt. Neu ist die Dimension. Immer öfter, immer stärker – die Wassermassen spülen die Erkenntnis frei, dass sich der Mensch mit Engstirnigkeit nicht gegen die Natur behaupten kann. Bei den diesjährigen Benediktbeurer Gesprächen ging es daher nicht nur um die Erweiterung von Flussbetten, sondern auch um den Blick über den eigenen Tellerrand. MICHAEL GRIMM Die Solidarität war auch beim Hochwasser im Juni 2013 wieder riesig. Politiker in Gummistiefeln. Wiederaufbauversprechen in Milliardenhöhe. Feuerwehren aus allen Teilen der Republik. Tausende freiwillige Helfer beim Sandsackschleppen. Aber reicht das, um mit künftigen Hochwasserereignissen fertig zu werden? Flutkatastrophen haben eine magische Wirkung. Sie schmieden Koalitionen zwischen Interessengruppen, die sich in Normalpegelzeiten mit Unverständnis begegnen. Was tragisch ist, denn dieser gesellschaftliche Pakt ist das einzig Wirksame, was der Mensch der Natur entgegenzusetzen hat. Das Juni-Hochwasser im letzten Jahr wird nicht das letzte gewesen sein. Experten zufolge werden sie bis 2050 sogar zweibis dreimal häufiger auftreten. Doch vielleicht war es die letzte Flut, nach der gesagt wurde, man sei nicht vorbereitet gewesen. Diese Hoffnung durfte man zumindest haben angesichts des Mottos der diesjährigen Benediktbeurer Gespräche: »Vor uns die Sintflut – wie gehen wir mit den immer häufiger auftretenden Hochwasserereignissen um?« Dass sich hinter dieser Frage eine Aufforderung an die Gäste aus den Bereichen Landwirtschaft, Naturschutz und Politik verbarg, daraus machte der Geschäftsführer der Umweltstiftung, Lutz Spandau, keinen Hehl. »Allen Beteiligten ist bewusst, dass wir ein anderes Flächennutzungsmuster brauchen. Aber keiner will den ersten Schritt machen.« Flüsse brauchen Raum. Jeder Quadratkilometer unbebaute Überflutungsfläche mildert die Flut. Der technische Hochwasserschutz in den Städten mit Sandsäcken, Spuntwänden und Pumpwerken reicht nicht aus. So einfach ist das, und doch so schwer. Hinweis der Natur«, endlich etwas zu tun. Der Wettermann des Deutschen Fernsehens führte dem Publikum vor Augen, welchen Einfluss der Mensch auf die Umwelt und damit auch auf sein eigenes Schicksal hat – angefangen beim ungezügelten Verbrauch fossiler Rohstoffe über die Erwärmung der Meere und das Schwinden des arktischen Eises bis hin zur Schwächung des Jetstreams und die daraus resultierenden, länger andauernden Großwetterlagen. Schwindendes Interesse Die Argumentationskette hätte kaum prägnanter sein können, die Beweislast kaum erdrückender. Und trotzdem schwindet das Interesse der Bevölkerung am Thema Klimawandel. Hielten den 2006 noch 62 Prozent der Befragten für relevant, waren es laut Plöger im letzten Jahr nur noch 39 Prozent. Und das, obwohl in diesem Zeitraum allein Süd- und Ostdeutschland von drei großen Hochwasserereignissen heimgesucht wurde. Wie kann das sein? Einer, der sich von Berufs wegen regelmäßig die gleiche Frage stellt, ist Lutz Trümper, leidgeprüfter Oberbürgermeister von Magdeburg. In immer kürzeren Abständen muss er seine Stadt vor immer höheren Elbepegeln schützen. Doch sein größter Feind ist nicht etwa das Wasser, es ist vielmehr das kollektive Vergessen. »Hochwasserdemenz« nennt Trümper das eigenartige Verhalten, das die Gesellschaft in ihrer Handlungsfähigkeit lähmt. Sobald die letzten Schäden beseitigt sind, ist die letzte Flut wieder vergessen. Dann beginnt die Sisyphusarbeit von vorn. Ein Beispiel: Beim Rekordhochwasser im Juni 2013 wurden 13 Millionen Euro für Sandsackverbauungen entlang der Uferkante des Stadtteils Werder ausgegeben. Eine dauerhafte Mauer anstelle des Promenadengeländers würde nur 3,5 Millionen Euro kosten. »Doch dann erhielt ich einen Hinweis, dass das Geländer denkmalgeschützt ist.« Gut möglich also, dass die Menschen beim nächsten Sandsackbefüllen wieder ihre Solidarität beweisen können. Landwirte, die sich gegen so genannte Polder, künstlichen Überflutungsflächen, auf ihrem Grund und Boden wehren; Bürger die sich gegen Veränderungen des vertrauten Stadtbilds wehren; Naturschützer, die sich gegen Eingriffe in sensible Flusslandschaften wehren; Politiker, die sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben – die Wehrhaftigkeit wäre weitaus größer, würden alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dass sie das immer noch nicht ausreichend tun, liegt für Trümper zu einem großen Teil am Naturschutz. Aktuell kämpft der Bürgermeister dafür, den künstlich angelegten Umflutkanal der Stadt aus einem so genannten Fauna-Flora-Habitat (FFH) zu boxen. Der Schutzstatus verhindere wichtige Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen, so der Oberbürgermeister. Tatsächlich fällt dem Naturschutz beim Thema Hochwasser eine besondere Rolle zu. Und nicht immer wird sie als konstruktiv empfunden, wie zum Beispiel von Wolfgang Haber. alle Fotos: Roth (wenn nicht anders angegeben) Gesellschaft 52 Allianz Journal 2/2014 Klimawandel ist keine Modeerscheinung – TV-Meteorologe Sven Plöger rechts: Reinhard Vogt und Gerd Sonnleitner Hochwasserschutz ist deswegen eine so große Herausforderung, weil sich die Gefahr lange, bevor das Wasser wieder einmal bis zum Dachgiebel steht, zusammenbraut. TV-Meteorologe Sven Plöger rief allen Anwesenden ins Bewusstsein, dass der Klimawandel keine Modeerscheinung ist, sondern »ein freundlicher 53 Allianz Journal 2/2014 beide Fotos: Roth © 2012, Scott Adams, Inc./Distr. Universal Uclick/Distr. Bulls G ES EL LSCHAFT Lutz Trümper (linkes Foto re. zusammen mit Olaf Tschimpke) beklagte die »Hochwasserdemenz« seiner Mitbürger. Bild oben: Lutz Spandau Schonungslos legt die Natur die Schwächen des Verwaltungssystems offen. Schon 1997 hatte sich Wolfgang Haber besorgt über das Behördengerangel in Krisenzeiten gezeigt. Thema der Benediktbeurer Gespräche damals: »Schlägt die Natur zurück?« Die Antwort 17 Jahre später muss lauten: Ja. In Bezug auf Hochwasser sogar besonders heftig. Als eines der Hauptübel hatte Haber die mangelnde Kommunikation und Kooperation zwischen den einzelnen Interessengruppen ausgemacht. Hat sich das seither gebessert? Der renommierte Landschaftsökologe und ehemalige Vorsitzende des Kuratoriums der Allianz Umweltstiftung sagte am Rande der Veranstaltung zum Einfluss des Naturschutzes: »Wenn das so weitergeht, wird in 50 Jahren ein Gerichtshof für Menschenrechte entscheiden müssen, wer Vorrang hat: der Mensch oder bestimmte Teile der Natur.« Hochwasser-TÜV fürs Eigenheim Einer, der es gewohnt ist, sich gegen diese Art von Vorwürfen zu wehren, ist Olaf Tschimpke. Entsprechend offensiv ging der Präsident des Naturschutzverbands Deutschland (NABU) in die Debatte. Wer habe denn die wenigen Rückdeichungen in Deutschland bezahlt? Der Naturschutz! »Es ist leicht, den Naturschutz zum Sündenbock zu machen, wenn man sich politisch nicht gegen Landbesitzer in hochwassergefährdeten Regionen durchsetzen kann.« Die Spitze richtete sich gegen Podiumsgast Gerd Sonnleitner. Der Ehrenpräsident des Deutschen Bauernverbands hatte in seiner Rede zuvor mehr Verständnis für die Landwirte gefordert, die ihrerseits für so vieles herhalten müssten, nun auch noch für den Hochwasserschutz. Wasser braucht Fläche. Davon haben die Landwirte viel. Doch die zögern, ihren Grund für das Gemeinwohl überfluten zu lassen, so lange ihnen dafür keine Ausgleichsflächen zur Verfügung gestellt werden. Tschimpke forderte daher größere gemeinsame Anstrengungen, um Retentionsräume zu schaffen. Das schließe auch die Reform von so mancher Behörde mit ein. Die Wasserstraßenverwaltung zum Beispiel habe genug finanzielle Mittel, um Flächen zu renaturieren. Doch sie stecke das Geld immer noch in den Erhalt von Wasserstraßen, auf denen kein Verkehr mehr stattfände. 54 Eine positive Antwort darauf gab Reinhard Vogt, Leiter der Hochwasserschutzzentrale Köln. Stolz berichtete er von der Entwicklung von Hochwasserkarten, Rückhaltebecken und dem Hochwasserpass, eine Art Hochwasser-TÜV fürs Eigenheim. Doch das Wichtigste sei es, die Bevölkerung zu beteiligen. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben: Auf das Jahrhunderthochwasser im Dezember 1993 folgte 1995 noch ein schlimmeres. Trotzdem fielen die Schäden niedriger aus. Baulich habe man nicht viel verändert, nur die Bevölkerung besser vorbereitet. »Heute haben die Leute sogar die Kinderzimmer gefliest«, sagte Vogt. Die Bevölkerung habe ihre Heizungen teilweise von Öl auf Gas umgestellt, Stromverteileranlagen vom Keller in die oberen Stockwerke gelegt. Mittlerweile gibt es in Köln zehn Bürgerinitiativen, die sich für Hochwasserschutz engagieren. Und da Hochwasser keine Stadt- oder Ländergrenzen kennt, haben sich die Rhein-Anrainer auf eine enge Zusammenarbeit verständigt. So bleibt allen genug Zeit, sich auf die nächste Wasserschlacht vorzubereiten. Leser-Forum Allianz Journal im Internet Hat Ihnen das Journal gefallen? Oder ging Ihnen etwas gegen den Strich? Wenn Sie Anregungen, Hinweise oder Kritik haben – hier können Sie sie loswerden: H T T P ://K N O W L E D G E . A L L I A N Z .C O M/J O U R N A L [email protected] Redaktion Allianz Journal Königinstr. 28, 80802 München Group Intranet (GIN) → Allianz key information → Journal Riese in Ketten ALLI ANZ GROUP http://knowledge.allianz.com/journal Journal Deutsche Ausgabe 2 | 2014 Redaktionsschluss für das Allianz Journal 3/2014 ist der 20. August 2014. HTTPS://UMWELTSTIFTUNG.ALLIANZ.DE 55