Qualitäts- journalismus - Frankfurter Presseclub

Transcrição

Qualitäts- journalismus - Frankfurter Presseclub
Ausgabe
Das Magazin
2015
des F R A N K F U R T E R P R E S S E C L U B S
SCHWERPUNKT
Q ualitätsjournalismus
Regional verankert. International agierend.
Der Helaba-Konzern.
Als europäische Regionalbank setzt sich der Helaba-Konzern
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und der Region ein. Dazu gehört auch die gezielte Förderung
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Banking auf dem Boden der Tatsachen.
1 Editorial
Werner D’Inka, Präsident des Frankfurter PresseClubs und Mitherausgeber der FAZ
Handwerk und Professionalit ä t Einen Pudding an die Wand zu nageln ist ganz
einfach. Jedenfalls verglichen mit dem Versuch, „Qualität“ im Journalismus zu definieren. Denn woher die
Maßstäbe beziehen? Die Vorstellungen darüber gehen
weit auseinander. Schnell fallen Begriffe wie Politische
Willensbildung, Den Mächtigen auf die Finger sehen, Wahrheit,
Wächteramt. Völlig zu Recht, aber so plausibel der Bezug
auf demokratietheoretische Normen ist, so hat er doch
so seine Tücken. Wer Qualität ausschließlich normativ
begründet, kommt nämlich nicht um den Rekurs auf
Prinzipien herum, die außerhalb des Journalismus liegen
und die der empirischen Prüfung nicht ohne weiteres
zugänglich sind. Und was ist zum Beispiel mit „Neon“?
Oder mit „11 Freunde“? Zur politischen Willensbildung
oder zur Partizipation tragen diese Zeitschriften so gut
wie nichts bei. Sind sie deshalb Schund? Natürlich nicht.
Hier kommen die Publikumserwartungen ins Spiel. Vom
Standpunkt ihrer Leser bieten „Neon“ und „11 Freunde“
Qualitätsware, und dagegen ist gar nichts zu sagen. Taugt
also der ganze normative Ansatz nichts? Zumindest hat
er seine Grenzen, weil er von vornherein große Segmente
aus der Qualitätsdebatte ausgrenzt. Müssen wir stattdessen also einen funktionalen Zugang wählen? Ungefähr so:
Qualität ist, was die Erwartungen des Publikums erfüllt?
Die streuen ganz erheblich, wie wir wissen. Genau darin
liegt wiederum das Elend der funktionalen Sichtweise:
Wenn alles Qualität sein kann, wenn es nur den Publikumsbedürfnissen entspricht, wird der Qualitätsbegriff
letztlich entkernt. Dann ist im äußersten Fall alles irgendwie „Qualität“.
Deshalb spricht alles für einen handwerklich-professionellen Zugang. So bekommen wir festen Boden unter
die Füße. Denn über diese Kriterien lässt sich unter
Kundigen Einvernehmen erzielen: gründliche Recherche,
Faktenprüfung, Vielfalt der Themen, der Sichtweisen und
der Darstellungsformen sowie das Bemühen, Entwicklungen in ihrem Zusammenhang verständlich zu machen –
um nur einige zu nennen. Kein Zweifel, im Journalismus
kommt es zu Nachlässigkeiten, handwerklichen Fehlern
und Fehleinschätzungen wie in anderen Berufen auch,
zumal unter dem Zeitdruck des Tagesjournalismus. Deshalb ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem, was täglich
gedruckt, gesendet und online gestellt wird, durchaus
angebracht. Wer allerdings von „Lügenpresse“ und „Systemmedien“ redet, müsste schon die Mühe aufbringen,
anhand von nachprüfbaren Kriterien zu belegen, wann
und wo gegen sie verstoßen wird. Doch das macht Arbeit.
Auf einem Marktplatz „Lügenpresse“ zu skandieren ist
viel einfacher.
2
Inhalt
Das ClubJahr
Mitglieder­
versammlung
Forum
Highlights
4
20
24
Auch 2015 heißt es „Come together“ im FPC.
Ehrengast Bernhard Vogel genießt das Gespräch
und ein kühles Bier
Titel:
Zackaria Bergadi, Samer Ghanem
und hazelnut_2630 – iStock
3
Clubreise
Baltikum
Schwerpunkt
Qualitätsjournalismus
Die
Seitenwechsler
30
44
80
Q ualitätsjournalismus
Im April reisten der FPC
und die Mitglieder des Forums
Deutscher PresseClubs
durch die baltischen Staaten
Während die einen den Qualitätsjournalismus
verteidigen, bezichtigen andere die Branche
als „Lügenpresse“. Die Medien kämpfen
an vielen Fronten
Fotos: Rainer Rüffer
4 Kommunikationsort Frankfurter PresseClub
Das Club-Jahr
Z w i s ch e n o r g a n i s i e r t e r
Kriminalität und
d e m W a h r h e i t s g e h a lt
von Social-MediaQuellen
Ein Abend mit FR-Chefredakteurin
Bascha Mika rundet das Clubjahr 2014 ab
6 Kommunikationsort Frankfurter PresseClub
Als der Frankfurter PresseClub 1980 gegründet wurde, startete
er als Treffpunkt und Impulsgeber für die Menschen und Macher
der Medienbranche. Man traf sich entspannt bei Wein und Wasser mit interessanten Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur,
debattierte und ließ sich anregen – ganz nach dem Vorbild eines
englischen Clubs. Über 30 Jahre später haben sich die Medienlandschaft und das Arbeitsleben von Journalisten gravierend geändert. Das hat sich zuletzt auch im Clubleben bemerkbar gemacht,
so dass sich der FPC 2013 zu einer Neupositionierung entschloss.
Die Neuausrichtung hat das vergangene Clubjahr geprägt. Trotzdem gab es in dieser Umbruchphase ein kleines, fein ausgewähltes
­Programm, das spannende Gäste in den Club holte und einen
Blick auf gesellschaftliche und medienrelevante Themen warf.
Thomas Roth machte den Auftakt als Ehrengast des Neujahrsempfangs. Er erzählte über seine Zeit als ARD-Korrespondent in
Südafrika, als Studioleiter in New York und seinen Job als „Mister
‚Tagesthemen‘“.
MENSCHEN IM KRIEGSGEBIET
Berichtet Roth aus der Ferne alltäglich über das gegenwärtige, oft
erschütternde Weltgeschehen, ist Rupert Neudeck die meiste Zeit
seines Lebens dort vor Ort, wo Menschen in Not sind – in Somalia,
Vietnam oder wie zuletzt an der türkisch-syrischen Grenze. Der
Philosoph, Journalist und Friedensaktivist war im April zu Gast
im Club. Er sprach mit seinem Kollegen Christoph Maria Fröhder
über Menschen, die vor Krieg und Elend flüchten, und die Pflicht,
den Notleidenden zu helfen. Die beiden Journalisten kennen sich
aus der Zeit, als sie in den 1970ern jeweils aus Vietnam berichteten: Neudeck für den Deutschlandfunk und Fröhder als Auslandskorrespondent für die ARD. In Vietnam nahm Neudecks
tiefgreifendes Engagement für Menschen in Kriegsgebieten seinen
Anfang. Die Missstände, die er dort sah, bewegten ihn sehr. Gemeinsam mit seiner Frau und einigen Freunden rief er deshalb die
Initiative Cap Anamur ins Leben, die heute – 35 Jahre später – als
gemeinnütziger Verein Cap Anamur – Deutsche Not-Ärzte e.V.
weiterhin weltweit Hilfe leistet. Damals beschloss Neudeck, einen
Frachter, die „Cap Anamur“, zu chartern und die sogenannten Boat
People im Chinesischen Meer zu retten, die vor dem brutalen Regime in Vietnam und den Folgen des chinesisch-vietnamesischen
Krieges flohen. Das war 1979.
Nicht überall stieß sein Engagement auf Zuneigung. Einige unterstellten ihm, dass sein Handeln Flüchtlinge nach Deutschland
anziehe. Die Bundesregierung beschloss sogar im Juli 1982 einen
Aufnahmestopp, der den Helfern die Hände fesselte, so dass sie
ihre Arbeit vorübergehend einstellen mussten. Durch prominente
Unterstützung aber, beispielsweise von Heinrich Böll, konnten
kurz darauf wieder Rettungsaktionen durchgeführt werden.
Der Brückenschlag zu aktuellen Krisengebieten war schnell gemacht, denn das erschütternde Leid der Menschen, die vor einem
Krieg fliehen, bleibt stets dasselbe. Doch mit dem Bürgerkrieg in
Syrien hat das damit verbundene Elend einen neuen Höhepunkt
erreicht. Als Neudeck zu Gast im FPC war, stand der Terror der
IS-Milizen noch nicht im Vordergrund. Zu diesem Zeitpunkt
allerdings war die Not der Menschen in Syrien nicht mehr zu
übertreffen. Neudeck berichtete, dass die Flüchtlingswelle so groß
sei wie bei keinem der vergangenen Konflikte der letzten 20 Jahre.
Acht Millionen Menschen seien seit 2013 auf der Flucht, die Hälfte der syrischen Bevölkerung. Wer mittellos sei oder keine reichen
Verwandten im Ausland habe, strande in 38 Lagern entlang der
türkisch-syrischen Grenze.
Mit dem Publikum diskutierte er darüber, ob die internationale
Politik nichts aus vorangegangenen Konflikten gelernt hätte. Und
wie man mit einer Diktatur umgehen könne. Denn Fakt ist, dass
unter Baschar al-Assads Regime unterschiedliche Konfessionen zusammenleben konnten. Die Religionsvielfalt war geschützt. Es war
von Anfang an klar, dass in der Opposition auch al-Qaida-Ableger
aktiv waren. Jetzt aber sagen inzwischen immer mehr Menschen
im Kriegsgebiet, dass das Überleben wichtiger sei als das, worauf
sie vorher gesetzt hätten: Demokratie, Menschenrechte, Freiheit
nach über fünfzig Jahren.
DER EURO UND DIE KRISE
Während viele Menschen in Teilen der Welt um ihr blankes Leben
fürchten müssen, beschäftigt sich die Europäische Union mit der
Krise um den Euro, die an ihren Grundfesten rüttelt. Seit der Einführung ist die gemeinsame Währung umstritten. „Einige Länder
sehen im Euro den Garanten für den Bestand der gesamten EU,
andere beklagen sich über die volkswirtschaftlichen Belastungen,
die ihnen der Euro und die Einhaltung der damit verbundenen
‚Stabilitätskriterien‘ aufbürde“, so das Forum für Qualitätsjournalismus, das gemeinsam mit der Hessischen Zentrale für politische
Bildung im April den „FQJ.salon – Der Euro in den Medien“ im
FPC ausrichtete. Auf dem Podium diskutierten Michael Best von
der Deutschen Bundesbank, Peter Ehrlich, Europäische Zentralbank, Dr. Rainer Hank, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, und Robert von Heusinger, DuMont Redaktionsgemeinschaft, über die Rolle der Medien in der Eurodiskussion.
O R G A N I S I E RT E K R I M I N A L I T Ä T
Egbert Bülles schilderte ebenfalls im April, wie sich organisierte
Kriminalität inmitten der Gesellschaft ausbreitet. Der ehemalige
Oberstaatsanwalt hatte im Oktober 2013 sein Buch „Deutschland,
Verbrecherland? Mein Einsatz gegen die organisierte Kriminalität“ herausgebracht, in dem er Insidertipps aus der Unterwelt
veröffentlichte. Über 30 Jahre hat Bülles in Köln gegen Mafia-
17 2013
»Wir sparen lieber
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8 Kommunikationsort Frankfurter PresseClub
Zu Gast im FPC:
Hessens stellvertretender Ministerpräsident
Tarek Al-Wazir
banden, Rockergangs und Drogenkartelle gekämpft und ist auch
jetzt, nach seiner Pensionierung, gegen das Verbrechen aktiv. Das
Publikum lauschte gespannt seinen lebendigen Ausführungen über
Enkeltrick, Einbruchserien oder den Frauenhandel. Prostitution,
Menschen- und Drogenhandel sind auch in Frankfurt Themen, die
unter anderem den Hells Angels zugeschrieben werden. HR-InfoPlanungschefin und FPC-Vorstandsmitglied Anke Knafla, die als
Moderatorin durch den Abend führte, hatte einen kurzen ARDEinspieler zur organisierten Kriminalität der Rockergang vorbereitet. Bülles warnte in diesem Zusammenhang, dass die kriminellen
Netzwerke längst grenzüberschreitend tätig und außerdem sehr
erfindungsreich seien. Ermittlungsbehörden hätten im Gegenzug
das Problem, dass sie mit dem Rücken zur Wand stehen.
Unter den Gästen waren auch Mitglieder vom Bund der deutschen
Kriminalbeamten, darunter Kriminalkommissare. Sie bestätigten
Bülles Schilderungen und plauderten selbst aus ihrem Alltag. Der
Abend wurde lang und endete lauschig im Garten von „Herrn
Franz“.
TA R E K A L - WA Z I R Ü B E R
D I E S C H WA R Z - G R Ü N E K O A L I T I O N
Im September war dann Tarek Al-Wazir zu Gast im Club. Gerhard
Kneier, FPC-Vizepräsident und freier Journalist, übernahm die
Rolle des Gastgebers und sprach mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten über die schwarz-grüne Koalition. Vor der gemeinsamen Regierungsarbeit gab es heiße Kontroversen zwischen CDU
und den Grünen. Jetzt zeigen beide Parteien, dass sie durchaus
harmonieren können.
Der Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung in Hessen sprach sehr offen über alle angesprochenen
Themen, darunter die schwarz-grüne Zusammenarbeit, die ersten
Monate seines Wirkens im neuen Regierungsamt, der Frankfurter
Flughafen, die Verkehrspolitik in Hessen auf Schiene und Straße.
Vieles aus dem eigenen Programm haben die Grünen durchsetzen
können. In Sachen Energiewende und Förderung der erneuerbaren
Energien streitet Al-Wazir gemeinsam mit CDU-Ministerprä-
9
Über Fakes in den Social-Media-Angeboten
referiert der Multimediajournalist Konrad Weber
sident Bouffier gegen SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel. Für die Verkehrswende in Hessen konnten die Weichen
gestellt werden. Ziel sei es, eine umweltgerechte, klimaschonende
Mobilität auszubauen und damit die Lebensqualität der Menschen
zu verbessern sowie den CO2-Ausstoß im Verkehr zu senken. Mit
Priska Hinz als Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Hessen werde der Ökolandbau
stärker fokussiert.
Ob es gelingen wird, den Fluglärm bei längerem Nachtflugverbot
zu reduzieren, wird der Sommerflugplan 2015 zeigen. Bemerkenswert war, dass Al-Wazir im FPC bereits auf die Ergebnisse des
Fraport-Gutachtens für den Bau des dritten Terminals auf dem
Frankfurter Flughafen einging, obwohl diese von Fraport erst am
nächsten Tag auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurden. Prompt
berichtete die „Frankfurter Neue Presse“ in der Ausgabe des nächsten Tages. Es gibt also auch exklusive Vorabinfos im Frankfurter
PresseClub.
V O M WA H R H E I T S G E H A LT
DER NACHRICHTEN IM NETZ
Welche Tools für Journalisten im Alltag nützlich sind, um den
Inhalt von Social-Media-Angeboten zu verifizeren, darüber gab
im Oktober Konrad Weber Auskunft. Der Multimediajournalist
arbeitet beim Schweizer Radio und Fernsehen und hat sich auf
die Verbindung von neuen Medien mit vertrauten Formen der
Berichterstattung spezialisiert. 2013 hat das Branchenmagazin
„Schweizer Journalist“ Weber zum „Newcomer des Jahres“ gekürt.
Wie Falschnachrichten in den sozialen Netzwerken ihre Runden
drehen, zeigt das Beispiel #GazaUnderAttack. Über diesen Hashtag waren in Twitter im Juli 2014 Fotos verbreitet worden, die angeblich die verheerenden Folgen israelischer Angriffe zeigten. BBC
recherchierte, dass viele Fotos nicht nur vor dieser Zeit, sondern
auch in anderen Ländern entstanden waren.
Dass Social-Media-Quellen kritisch zu überprüfen sind, steht außer
Frage. Weber zeigte in seinem Vortrag, wie es geht: Beispielswei-
10 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
se gelte es zu klären, wer hinter einem Twitter- oder FacebookAccount steckt und ob die Profile authentisch sind. Anke Knafla,
die in das Werkstattgespräch einführte, war überrascht, wie wenig
Zuspruch dieses aktuelle Thema fand. Unter den wenigen Gästen
waren es vor allem die Fotojournalisten, die sich bereits umfassender dem Sujet gewidmet hatten.
ROBOTER ALS JOURNALISTEN
Dass hinter einer Nachricht ein Mensch als Verfasser steht, ist in
Amerika seit 2010 nicht mehr sicher. Damals erzeugten erste von
Computerlinguisten programmierte Algorithmen auf Basis von
Zahlen und Daten eine einfache Meldung über ein Baseballspiel.
Mittlerweile etabliert sich Roboterjournalismus in den USA:
Finanzberichte oder Meldungen zu Erdbeben werden automatisch generiert. Auch in Deutschland wird Roboterjournalismus
Fuß fassen, das ist nur eine Frage der Zeit. Bereits jetzt sind zwei
Unternehmen intensiv damit zugange, entsprechende Angebote
auf dem deutschen Markt einzuführen. Eines davon ist „text-on“.
Geschäftsführer Cord Dreyer war Ende Oktober zu Gast im Club
und unterhielt sich mit HR-Multimediaredakteur Jan Eggers über
Möglichkeiten des automatisierten Journalismus.
Die Software von „text-on“ wurde in einem Think Tank erdacht
und gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Kommunikation
entwickelt, da die amerikanischen Systeme nicht ohne Weiteres
für den deutschen Markt adaptiert werden konnten. Cord Dreyer,
früher Chefredakteur und Geschäftsführer der Nachrichtenagentur
dpad, sagte, dass sich das System beispielsweise für einen Zahlenreport für Kliniken eigne. Die Algorithmen seien schneller in der
Lage, Zahlen in einen lesbaren Text zu verwandeln.
Bild oben: Jan Eggers, Multimediaredakteur HR
Bild unten: Cord Dreyer, Geschäftsführer „text-on“
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bei der Commerzbank besteht. Zahlung 50 € bei Nichtgefallen erst nach regelmäßiger Kontonutzung über mind. 1 Jahr (mind. 5 monatl.
Buchungen über je 25 € oder mehr) und nachfolgender Kontokündigung unter Angabe von Gründen binnen 15 Monaten nach Kontoeröffnung. Details und Voraussetzungen unter www.girokonto.commerzbank.de
Angebotsänderungen vorbehalten. Stand: März 2015.
12 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
FPC-Vorstandsmitglied Anke Knafla
im Gespräch mit FR-Chefredakteurin
Bascha Mika
Wie immer, wenn es darum geht, dass Maschinen die Arbeit von
Menschen übernehmen, wird das Interesse von ambivalenten
Gefühlen begleitet. So war es auch an diesem Abend. Das Publikum war dem Thema gegenüber aufgeschlossen und trotzdem
skeptisch. Cord Dreyer machte deutlich, dass Roboterjournalismus
nicht den Biojournalismus ersetzen werde. Denn eines könne die
Technik nicht: einen lesenswerten, überraschenden Text produzieren – zumindest noch nicht.
WEITER SO, FR
Der Abend mit Bascha Mika im November schloss das Clubprogramm für 2014 ab. Zahlreiche Gäste hatten sich eingefunden, um
die Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ zu sehen. Die
langjährige „taz“-Chefredakteurin war im Frühjahr angetreten, um
die „FR“ wieder stärker sichtbar zu machen. Eine anspruchsvolle
Aufgabe, denn die „Frankfurter Rundschau“ musste bislang einige
Krisen überstehen und landete nach der Insolvenz bei der FAZITStiftung, unter deren Ägide auch die „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“ und die „Frankfurter Neue Presse“ erscheinen.
Mika will beweisen, dass Qualitätsjournalismus eine Zukunft hat,
und die „Frankfurter Rundschau“ als traditionelle Zeitung und
universelles Medium mit Angeboten aus allen gesellschaftsrelevanten Bereichen ausrichten. Und auch die vielen langjährigen
Abonnenten, die an diesem Clubabend da waren, bestärkten sie
darin, die FR als linksliberales Blatt mit überregionalem Anspruch
und starkem regionalem Standbein weiterzuführen.
S t e ph a n i e A u r e l i a R u n g e
Freie Redakteurin für Public Relations.
[email protected]
„„Frankfurt spielt in
der Champions League
der Weltmessen. Weil
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Flughafen haben.“
Wolfgang Marzin
Vorsitzender der Geschäftsführung, Messe Frankfurt GmbH
Im vergangenen Jahr machten
rund 38.000 Aussteller und
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14 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Erinnerung an eine friedl i ch e R e v o l u t i o n 2 0 1 5
i s t e s e i n V i e rt e l j a h r h u n d e r t h e r , d a s s s i ch
d a s g e t e i l t e D e u t s ch l a n d
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Ehrengast
: Professor Dr. Bernhard Vogel
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2003
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Freistaates Thüringen
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Um-
Ministerpräsident
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p o l i t i s ch e n
Ausbau
.
„Wer die Vergangenheit nicht kennt…“
Über die Wiedervereinigung zu sprechen,
ohne auf die Geschichte davor und die demokratische Entwicklung in Deutschland
einzugehen – das ist kaum möglich. Und
so näherte sich Vogel in seiner Ansprache
dem Thema zunächst mit einem Zitat von
Golo Mann: „Wer die Vergangenheit nicht
kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen
und wird die Zukunft nicht in den Griff
bekommen.“ Er erinnerte an den Auslöser
des Ersten Weltkriegs und das Bestreben,
eine demokratische Verfassung zu schaffen. Aus Mangel an genügend Demokraten scheiterte die Bewegung, so Vogel,
letztlich an Hitler, der anders als immer
behauptet keinesfalls die Macht ergriffen
habe, sondern vielmehr freiheitlich vom
Volk gewählt wurde. Was dann kam, ist
bekannt: „Hitler wollte den Krieg und
hat ihn mutwillig vom Zaun gebrochen“,
sagte Vogel. „England und Frankreich, die
die Entwicklung hätten erkennen können,
haben zu lange gezögert.“
Dass es während der zerstörerischen Diktatur einen Freiheitswillen gegeben habe,
habe der 20. Juli 1944 gezeigt. Gemeint
war das missglückte Attentat von Claus
Schenk Graf von Stauffenberg. Das Ende
des Nationalsozialismus erfolgte doch erst
am 8. Mai 1945, „dem Tag der totalen
Niederlage – es war aber auch ein Tag der
Befreiung, wie es 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im
Bundestag ausdrückte.“
Freiheit vor Einheit –
Einheit in Freiheit
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
habe der Westen Deutschlands die zweite Chance genutz, sich mit Frankreich
auszusöhnen und eine Demokratie aufzubauen. Diese Ziele seien zunächst wichtiger
gewesen als die Wiedervereinigung mit
Ostdeutschland. Vogel erinnerte an Konrad
Adenauers Politik, die Freiheit vor Einheit
stellte. Deren Bestätigung sei gewesen,
dass letztlich durch die friedliche Revolution der ostdeutschen Bevölkerung die
Einheit in Freiheit erreicht wurde. Damit
sei auch Lenins These widerlegt worden,
dass die Deutschen zur Revolution unfähig
seien. Der sowjetische Revolutionsführer
hatte behauptet, dass die Deutschen vor
dem Sturm auf die Gleisanlagen erst eine
Bahnsteigkarte lösen würden.
Die Mauer fiel am 9. November 1989, und
ein Jahr später konnte die Wiedervereinigung gefeiert werden. „Möglich wurde dies
nur, weil Michael Gorbatschow sein Militär
zurückhielt“, vervollständigte Vogel die
geschichtlichen Ereignisse. Mit der deut-
15
schen Vereinigung sei zudem die Grundlage für das heutige Europa geschaffen
worden. „Es war die Voraussetzung, dass
nicht nur Nord-, West- und Südeuropa
zusammengefunden haben, sondern auch
Osteuropa sich anschließen konnte.“
gründen wolle, genau beobachtet werden
müsse. Eine Gründung sei zwar legitim,
„aber die Geschichte hat gezeigt, was
passiert, wenn man sich nicht rechtzeitig
zu wehren weiß“. An dieser Stelle rief er
die jüngere Generation auf, sich beherzter
politisch zu engagieren. Er schloss mit
einem Zitat von Johannes Rau: „Die junge
Generation ist nicht verantwortlich für die
deutsche Vergangenheit, aber für das, was
sie aus ihr macht.“
Nach diesem geschichtlichen Abriss des
Politikers, der den Zweiten Weltkrieg
als Kind erlebt und später die Geschichte
Deutschlands wesentlich mitgeprägt hat,
Fotos: Rainer Rüffer
Von der Planwirtschaft
zur Marktwirtschaft
Beide deutschen Teile zusammenzuführen,
sei keine leichte Aufgabe gewesen: „Es
gab zwar ein Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, ein Ministerium für
gesamtdeutsche Antworten gab es nicht“,
scherzte Vogel. Ostdeutschland und seine
Infrastruktur mussten aufgebaut werden.
Die Mehrheit des Volkes würde weiterhin
positiv über die Wiedervereinigung denken: 77 Prozent der Menschen im Osten
und 62 Prozent im Westen. 30 Prozent der
heute erwachsenen Bevölkerung wurden
nach 1980 geboren. Für sie sei die Wiedervereinigung lediglich ein Teil der Geschichte. 70 Prozent aber wurden von den
unterschiedlichen Systemen geprägt. Die
Menschen in der damaligen DDR haben
versucht, unter der Regierung eines Unrechtsstaates rechtschaffen zu leben. „Dafür
muss man diesen Menschen Hochachtung
zollen.“ Sie hätten darüber hinaus gelernt,
dass Wohlstand hart erarbeitet sein will.
Heute gebe es sie, die blühenden Land-
FPC-Geschäftsführerin Monica Weber-Nau und Clubpräsident Werner D’Inka begrüßen Bernhard Vogel und den hessischen Regierungssprecher Michael Bußer.
Bernhard Vogel beeindruckte die Gäste des Neujahrsempfangs mit seiner Rede zur Wiedervereinigung Deutschlands vor 25 Jahren
Es galt, ein Gerichtssystem nach demokratischen Grundsätzen zu schaffen und
das Bildungssystem zu ändern. „Die Leute
wollten Englisch lernen, aber es gab keine
Lehrer.“ Und ostdeutsche Politiker hätten
lernen müssen, die Bevölkerung demokratisch zu regieren.
Anders als von Günter Grass prophezeit sei
die Wiedervereinigung nicht gescheitert.
Es sei gelungen, Industrielandschaften zu
schaffen – ein Verdienst der Treuhand, so
betonte Vogel, auch wenn sie damals in
die Kritik geraten sei. „Selbstverständlich
würden wir bei einer zweiten Vereinigung
vieles besser machen.“ Fehler seien aber unvermeidbar gewesen, und er stehe zu ihnen.
schaften, wenn auch nicht überall. Aber
das sei auch im Westen so. Noch bis 2019
laufe der Solidarpakt II. Vogel plädierte für
eine weitere Verlängerung, die aber beiden
Teilen Deutschlands zukommen sollte.
Beobachten und sich engagieren
Am Ende seiner Rede ging der ehemalige
thüringische Ministerpräsident auf die aktuellen politischen Ereignisse ein. Dass sich
ausgerechnet in Dresden Pegida formiere,
dort, wo es kaum Ausländer und noch viel
weniger Muslime gebe, sei absurd. Ein
ernsthaftes Gespräch mit den Rädelsführern käme bei ihren Parolen kaum infrage.
Darüber hinaus mahnte Vogel, dass die
Partei, die sich aus dieser „Bewegung“ neu
wartete feines Fingerfood am Buffet. Bei
Wein, Bier und leckeren Spießchen hatten
die Gäste Gelegenheit, mit dem Ehrengast
persönlich zu sprechen – oder mit anderen illustren Gästen wie dem hessischen
Staatssekretär und Regierungssprecher Michael Bußer, der mit seiner Kollegin Elke
Cezanne den Neujahrsempfang besuchte.
Für den FPC bedeutete dieser Abend den
Startschuss zur nächsten Clubsaison: mit
neuem Programm, abwechslungsreichen
Formaten und spannenden Gästen.
S t e ph a n i e A u r e l i a R u n g e
Freie Redakteurin für Public Relations,
[email protected]
16 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Foto © AdrianHancu – iStockphoto.com
Je suis Charlie
– o d e r l i e b e r n i ch t ?
Anlass für die Debatte um Meinungsfreiheit und Pressefreiheit und ihre möglichen
Grenzen war der mörderische Akt gegen
die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie
Hebdo“ in Paris am 7. Januar 2015, durch
den zwölf Menschen ums Leben kamen.
Die satirischen Zeichnungen über den
Propheten Mohammed gelten als Grund
für den Terrorakt.
Doch was sind die Konsequenzen? Werden die Medien in Zukunft aus Angst
vor Fanatikern aller Couleur die Griffel
fallen lassen und nur noch Unverfängliches
bringen? Und umgekehrt: Ist es nicht mal
an der Zeit, darüber nachzudenken, dass
Menschen verschiedener Religionen und
Kulturen auch unterschiedliche Empfindungen haben? Sollte der Staat in Zukunft
Gotteslästerung und die Beleidigung
verschiedener Gruppen (Juden, Muslime,
Behinderte, Homosexuelle, Frauen . . . )
unter Strafe stellen?
Tausende waren daraufhin mit dem Ruf
„Je suis Charlie“ auf die Straßen von Paris
und anderswo gegangen, um gegen den
Anschlag auf die Redaktion und für Pressefreiheit zu demonstrieren. In der ersten
Reihe der Pariser Demonstranten die internationale Politik. Auch in Deutschland war
Alarmstimmung in den Redaktionen, vor
allem nachdem auch noch kurz danach ein
Brandanschlag auf die „Berliner Morgenpost“ verübt worden war – von wem auch
immer.
Diese und weitere Fragen standen im
Zentrum einer Veranstaltung, zu der wir
die Karikaturisten Greser & Lenz sowie die
Rechtanwältin der Satirezeitung „Titanic“,
Gabriele Rittig, geladen hatten. Moderator
war FPC-Präsident und FAZ-Mitherausgeber Werner D’Inka. „Sind Sie Charlie?“,
war seine Frage an Achim Greser, und der
antwortete prompt: „Ich bin Achim“. Auch
sein Partner Heribert Lenz verneinte und
machte klar, dass sie den „Charlie-Hype“
nicht mitgemacht hätten.
Veranstaltung
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i m
FPC
2.Februar 2015
Gabriele Rittig meinte, nun komme noch
mehr Arbeit auf Rechtsanwälte zu, denn
nun müsse jeder Witz noch gründlicher
auf mögliche Missverständnisse abgeklopft
werden. Die Angst, die aktuell bei einigen
Kollegen herrsche, nannte Greser „Hosenscheißertum“. Gabriele Rittig wiederum machte deutlich, dass die Gesetze
zum Schutz gegen Volkverhetzung und
Beleidigung ausreichten und man keinen
§ 166 StGB (Gotteslästerung) benötige.
Das Publikum beteiligte sich mit großer
Vehemenz an der Debatte. Man ging davon
aus, dass der Anschlag auf das französische
Satiremagazin keine Konsequenzen in den
Redaktionen haben würde, sicher war man
sich allerdings nicht.
MONI C A WEBER - NAU
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18 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Wer
s ch o s s a u f
Veranstaltung
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FPC
12. März 2015
Am 17. Juli 2014 wurde über der Ost­
ukraine der Malaysia-Airlines-Flug MH17
durch eine Luftabwehrrakete abgeschossen.
298 Menschen fanden dabei den Tod. Mehrere Monate trug das Berliner Recherchebüro Correctiv gemeinsam mit dem „Spiegel“ und dem niederländischen „Algemeen
Dagblad“ Fakten zusammen und wertete
Indizien aus. Maßgeblich daran beteiligt
war Macus Bensmann, der die Recherche­
arbeit und das Ergebnis Anfang März 2014
im Frankfurter PresseClub vorstellte.
Er sei ein unerschrockener Journalist,
sagte Rouven Schellenberger zur Einführung. Bensmann gehe der Wahrheit auf
den Grund und habe deshalb beinahe sein
Leben eingebüßt. Das war 2008, als er in
Kasachstan brutal zusammengeschlagen
und ausgeraubt wurde. Wenige Jahre
zuvor hatte er als einer von wenigen Augenzeugen das Massaker im usbekischen
Andischan miterlebt, als Staatschef Islam
Karimow Hunderte Menschen bei einer
Demonstration erschießen ließ.
MH17?
seitig die Schuld. Im Internet kursierten
Bilder über den Abschuss und den möglichen Hergang, darunter unglaublich
viele Fälschungen. Die Niederlande waren
mit der Aufklärung beauftragt, doch der
Bericht ließ keine Rückschlüsse zu, wer
geschossen hatte und die Schuld für den
Tod der Menschen trug.
Der Weg durch die Indizienkette
Dass es sich bei der Waffe um eine BUKRakete handelte, wurde bereits kurz nach
der Katastrophe vermutet. BUK ist ein
in der Sowjetunion entwickeltes mobiles
Flugabwehrraketensystem, mit dem vor
allem Panzer am Boden geschützt werden
sollen. Sie zerstören Flugzeuge in großer Höhe, bevor diese die Bodentruppen
angreifen können. Um sich Gewissheit
zu verschaffen, suchte das Rechercheteam
einen Militärexperten, der die Ursache für
die Schäden an den Flugzeugtrümmern
identifizierte. Danach waren Kampfflugzeuge ausgeschlossen, und es schien
eindeutig, dass eine BUK-Rakete in fast
10.000 Metern Höhe explodiert war und
das Flugzeug gezwungen hatte, durch einen tödlichen Splitterhagel zu fliegen. Wo
aber war die BUK-Rakete hergekommen?
Über 20 Jahre berichtete Bensmann aus
Zentral­asien: für die ARD, für „Financial
Times Deutschland“ und „taz“. Seit Juli
2014 war er für Correctiv unterwegs und
hat mit neuen und alten Recherchemethoden die Wahrheit über den Abschuss der
MH17 akribisch zutage befördert. Eigentlich hätten die spektakulären Ergebnisse
im Januar die Titelstory für den „Spiegel“
werden sollen. Dann aber kam „Der Anschlag auf die Freiheit“ – Charlie Hebdo
– dazwischen. Und so blieben die rekonstruierten Ereignisse in der Öffentlichkeit
kaum bemerkt.
Bensmann schilderte zunächst die Ausgangssituation, die das Rechercheteam
vorfand: Der Westen und die Ukraine
machten Russland und die Separatisten
für den Abschuss verantwortlich – und
umgekehrt. Die Kriegsparteien hatten
sich positioniert und gaben sich gegen-
Im Gespräch: Marcus Bensmann und Rouven Schellenberger
Hier kam die vorangegangene Recherche
von Bellingcat zur Hilfe. Das internationale Investigativ-Team um den englischen
Journalisten Eliot Higgins hatte durch
zahlreiche Spuren im Internet und in
sozialen Netzwerken einen Konvoi einer
BUK-Einheit ausgemacht. Vor allem waren
Fotos, Videos und Einträge interessant, die
vor dem 17. Juli veröffentlicht wurden.
Hier konnte Bensmann davon ausgehen,
dass sie nicht manipuliert worden waren.
Um aber eindeutig das Material zu verifizieren, war eine Vor-Ort-Recherche nötig.
Zwölf Tage lang suchte Bensmann die Stellen auf, an der die BUK-Einheit vorbeigekommen war, verglich Bilder mit der Situation vor Ort und befragte Zeugen. Danach
war der Konvoi in der westrussischen Stadt
Kursk gestartet. Später war die BUK-Einheit von der ostukrainischen Stadt Donetzk
über Zuhares und Tores nach Snizhne
gefahren. Menschen aus einem Vorort der
Stadt Snizhne gaben an, gehört zu haben,
wie die tödliche Rakete aufstieg, ebenso
einen lauten Knall in der Luft. Keiner der
Zeugen wollte sich zu erkennen geben.
Die Menschen seien sehr ängstlich. Tag für
Tag würden sie mit russischer Propaganda
beschallt, sagte Bensmann.
Fotos: Rainer Rüffer
19
Marcus Bensmann (Correctiv) präsentiert die Rechercheergebnisse zum Abschuss der MH 17 über der Ostukraine
Ziviler Flugverkehr als Schutzschild
Bereits im Juni hätte die NATO wissen
müssen, dass der Raum über der Ostukraine Kampfgebiet und für den zivilen
Flugverkehr zu gefährlich war, so Bensmann. Zu diesem Zeitpunkt hatte das USAußenministerium erklärt, dass russische
Panzereinheiten die Grenze zur Ukraine
überschritten hatten. Russland und die
Separatisten dementierten. Spätestens nachdem ein Kampfhubschrauber, eine Antonow-Militärmaschine und zwei Kampfjets
der Ukraine zwischen dem 12. und 16.
Juli abgeschossen worden waren, hätte der
Luftraum gesperrt werden müssen. So aber
wirkten die zivilen Flüge wie Schutzschilde. Das verdeutlichte eindrucksvoll eine
Animation, mit der das Rechercheteam die
Flugbewegung über dem Raketenabschussgebiet nachzeichnete. Daten dafür sind
im Internet frei zugänglich und basieren
auf fälschungssicheren Transpondercodes.
Noch am 17. Juli waren aus allen Himmelsrichtungen zivile Maschinen über
Flug MH17
Die Suche nach der Wahrheit
Das Correctiv versteht sich als gemeinnütziges Recherchebüro, das den Bürgern durch
innovativen, investigativen und aufklärenden Journalismus Zugang zu Informationen
geben will. Die Reportage zum Abschuss der
Malaysia-Airlines-Maschine hat das Correctiv
unter mh17.correctiv.org in vier Sprachen veröffentlicht, in Deutsch, Englisch, Französisch und
Russisch. Die Aufbereitung der Recherche und
ihrer Ergebnisse ist ein modernes Meisterstück:
multimedial, mit Animationen, Ton- und
Filmsequenzen, Fotomaterial und kunstvollen,
comicartigen Slides, die Etappen der Recherche
festhalten.
die Ostukraine geflogen – darunter auch
Linien der Lufthansa. Eine Nachfrage dort
ergab, dass die Bundesregierung bis dahin
keine Warnung herausgegeben hatte. Eine
Woche später, am 24. Juli, wurden nur
noch russische Flugzeuge registriert, die
ihre Route nicht geändert hatten. Wäre
die Ukraine für den Raketenabschuss
verantwortlich gewesen, hätte das russische
Ministerium sicher die eigenen Fluggesellschaften gewarnt – diese Vermutung liegt
zumindest nahe.
Am Ende der spannend aufgeschlüsselten
Indizienkette stand allerdings immer noch
eine Frage: Warum werden diese ermittelten Fakten fast ignoriert? Im Publikum saß
Christoph Maria Fröhder, selbst investigativer Journalist und Krisenreporter. Er berichtete, er habe sich beim Pressebüro des
Auswärtigen Amtes darüber informiert, ob
sie von diesen Ergebnissen wüssten. Dort
sei man bis zu diesem Zeitpunkt ahnungslos gewesen, hätte ihm aber versichert,
dass ein Bericht an entsprechenden Stellen
weitergeleitet werden würde. Das war zwar
keine Antwort, aber aufschlussreich.
S t e ph a n i e A u r e l i a R u n g e
Freie Redakteurin für Public Relations.
[email protected]
20 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
E i n G e n e r a t i o n s w e ch s e l
Fotos: Rainer Rüffer
b a h n t s i ch a n
Der FPC-Vorstand 2015 (v. l.): Vizepräsident Gerhard Kneier, Präsident Werner D’Inka, Anke Knafla, Michaela Schmehl, Ehrenpräsident Werner Holzer, Neuzugang Arnd Festerling,
Schriftführer Nikolaus Münster, Schatzmeister Dr. Michael Auge
Mitgliederversammlung
2015
Unruhig war diese Mitgliederversammlung. Womöglich lag es am gespannten
Interesse, wie sich der Club im vergangenen Jahr entwickelt hat – und wie er sich
weiter ausrichten wird. Vor allem die Wahl
der Beisitzer brachte Bewegung in den
Abend.Denn anstatt der erwarteten drei
gab es plötzlich fünf Kandidaten.
Entsprechend der Agenda begann die
Versammlung mit dem Bericht des Präsidenten. Werner D‘Inka präsentierte einen
Rückblick auf die gelaufenen Aktivitäten,
etwa den Neujahrsempfang 2014, als „Mr.
‚Tagesthemen‘“ Thomas Roth offen über
seine Sicht auf die Medien und ihre Rolle
bei der Affäre um Christian Wulff sprach.
Weitere prominente Gäste wie Rupert
Neudeck, Tarek Al-Wazir oder Bascha
Mika besuchten den Club. Professor Bernhard Vogel knüpfte beim Neujahrsempfang
2015 an die Tradition an. Seine Rede ist
auf der FPC-Website abrufbar. Der Club
widmete sich spannenden Branchenthemen, die das journalistische Geschäft
begleiten: darunter die Verifizierung von
Social-Media-Inhalten oder Roboterjournalismus. In diesem Zusammenhang scherzte
D’Inka, er habe kürzlich an der Tür einer
Redaktion ein Plakat gesehen mit der
Aufschrift: „Mich kann keine Maschine
ersetzen, es sei denn, sie trinkt Rotwein.“
Durch das hochwertige Programm, das
der FPC insgesamt biete, rechne sich die
Mitgliedschaft durchaus, schloss er seinen
Rückblick ab.
Neues Veranstaltungsformat
In diesem Jahr werden Gäste wie Eintracht-Trainer Thomas Schaaf und der
neue Polizeipräsident der Stadt Frankfurt,
Gerhard Bereswill, erwartet. Es wird eine
gemeinsame Reise mit anderen deutschen
Presseclubs geben, bei der junge Journalisten gefördert werden. Aktuell plant der
Club, am hessischen Jungjournalistentag
2015 mitzuwirken. Außerdem zeige der
2014 beschlossene Plan, wie der FPC in
die Zukunft geführt werden könne, erste
Ergebnisse. Mit den FPC-Netzwerkveranstaltungen wurde ein neues Format
ins Leben gerufen, das ein breiteres und
jüngeres Publikum anspricht. Erster Gast:
Sascha Lobo. Der schillernde Blogger und
Buchautor wurde im Frankfurter Exotarium empfangen. „Allein der Ort macht
neugierig, und die Gesprächsform ist
außergewöhnlich, weil sie dem Gast eine
gute Portion Spontaneität abfordert“, sagte
D’Inka.
2014 bereinigt Verluste aus 2012
Nach dem Bericht des Präsidenten folgte
der des Schatzmeisters Dr. Michael Auge.
Die präsentierten Zahlen untermauerten
die aktuellen Entwicklungstendenzen des
Clubs. Im vergangenen Jahr sanken die
Zahl der Mitglieder – sowohl der einzelnen
als auch der korporativen – und damit die
daraus generierten Einnahmen. Ebenso war
das Vermietungsgeschäft 2014 rückläufig.
Im Vergleich zu 2013 hat sich das vergangene Jahr allerdings positiv entwickelt.
Mehr noch: Rückblickend auf das Umzugsjahr 2012, das hohe Einbußen mit sich
brachte, konnten nun Verluste bereinigt
werden. Dennoch ist der Club noch nicht
aus den unruhigen Fahrwassern heraus. Es
gilt weiter, behutsam mit den Ressourcen
umzugehen. Die Kassenprüfer Barbara Nickerson und Dr. Sven Matthiesen bescheinigten dem Vorstand und der Geschäftsführung eine ordentliche Buchführung und
satzungsgemäße Mittelverwendung. Sie
empfahlen die Entlastung des Vorstands,
und die Mitglieder folgten dem Rat. Beide
Kassenprüfer stehen auch für 2015 wieder
zur Verfügung.
Akklamation und Geheimwahl
Für die Wahl des Vorstandes hatte sich
Werner Holzer, FPC-Ehrenpräsident, als
Wahlleiter zur Verfügung gestellt. Da der
21
gesamte Vorstand, außer Rouven Schellenberger, sich erneut zur Wahl gestellt
hatte, wurde mit den Mitgliedern die
Zustimmung per Akklamation vereinbart.
Schellenberger hatte sich aufgrund seiner zweiten Vaterschaft gegen eine neue
Kandidatur ausgesprochen. Er dankte den
Mitgliedern für das entgegengebrachte
Vertrauen und den Vorstandskollegen für
die gute Zusammenarbeit. Als eine der
treibenden Kräfte hinter den FPC-Netzwerkveranstaltungen würde er selbstverständlich für dieses Format weiterhin
beratend zur Seite stehen. An seiner Stelle
kandidierte der Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“ Arnd Festerling.
Die Akklamation verlief bei der Wahl des
Präsidenten, seines Vize, des Schatzmeisters
und des Schriftführers wie erwartet: Werner
D’Inka, Gerhard Kneier, Dr. Michael Auge
und Nikolaus Münster wurden einstimmig
wiedergewählt. Für die Wahl der Beisitzer
meldeten dann aber überraschend zwei weitere Mitglieder ihre Kandidatur an: Corina
Socaciu und Joachim Franz. Die 34-jährige
freie Journalistin, die aktuell bei der FR
mitarbeitet und in der Vergangenheit unter
anderem bei der Bundesbank berufliche
Erfahrung gesammelt hatte, sagte, dass die
gute Atmosphäre im Club sie zu diesem
Schritt ermuntert habe. Socaciu hatte bereits die erste FPC-Netzwerkveranstaltung
moderiert. Sie wisse, wie wichtig Netzwerke für Journalisten seien und wolle mit
ihrem Erfahrungsschatz die Zukunft des
FPC mitgestalten. Joachim Franz, Redakteur und langjähriges Mitglied, warb
damit, sich für die Belange älterer Mitglieder einzusetzen.
Die Abstimmung über die Beisitzer
­erfolgte geheim mit Stimmzetteln. Es gab
eine Enthaltung, und ein Stimmzettel war
ungültig. Mit den meisten Stimmen wurde
ZDF-Redakteurin Michaela Schmehl
wiedergewählt, gefolgt von Anke Knafla,
Planungschefin von hr-Info. Dritter im
Bunde ist künftig Arnd Festerling, der sich
letztlich mit sechs Stimmen Vorsprung
vor Corina Socaciu den Beisitz sichern
konnte. „Ein guter Start für Corina Socaciu.
Ihr Wahlergebnis hat gezeigt, dass sich
auch viele ältere Kollegen für eine junge
Zukunft entschieden haben“, sagte Monica Weber-Nau. Sie wird übrigens im
März kommenden Jahres die Leitung der
Geschäftsführung aufgeben. Den Staffelstab über den Vorsitz im Forum Deutscher
Presseclubs, den sie 16 Jahre innehatte,
hat sie bereits dem Nürnberger Presseclub
übergeben.
Wie gesagt: Die Fahrwasser sind immer
noch etwas unruhig, aber der Club ist auf
dem Weg in fruchtbares Terrain. Die 2014
angestoßene Neuausrichtung ist in vollem
Gang. Mit dem Engagement junger Journalisten und neuen Veranstaltungsformaten vollzieht sich im Club allmählich ein
Generationswechsel, den die Älteren mit
ihrem tiefgreifenden Wissen und gewachsenen Netzwerken begleiten. Es bleibt also
spannend.
S t e ph a n i e A u r e l i a R u n g e
Freie Redakteurin für Public Relations.
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Man kann auch ohne große Worte
eine der sichersten Banken der
Welt werden.
Selbst wenn es nicht jeden Tag in der Zeitung steht:
Die Rentenbank gehört zu den sichersten Banken
der Welt und verfügt über Triple-A-Ratings der drei
wichtigsten Rating-Agenturen. Gerade heutzutage
zahlt sich höchste Bonität eben aus, wenn es um die
Unterstützung von Unternehmen in einer der wichtigsten Branchen Deutschlands geht: der Land- und
Ernährungswirtschaft. Die Mittel für unsere Förderprogramme nehmen wir an den internationalen
Finanzmärkten auf – mit anhaltendem Erfolg. Deshalb
können wir sagen: Der Bulle steht uns näher als der Bär.
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22 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
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2014
Pressekonferenzen
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BHF Bank
Bundesverband Deutscher LeasingUnternehmen e.V.
Bundesverband Öffentlicher Banken
BZ.Comm GmbH
Deutsche Leasing AG
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Faktum GmbH
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Gesellschaft für das Stiftungswesen mbH
Hans-Peter Jourdan
IFM Immobilien AG
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Verband der Chemischen Industrie
Verband der Vereine Creditreform e.V.
Volks- Bau- und Sparverein FFM eG
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Better Orange IR & HV AG
Beunings LMP
Rainer Brenner Augenoptik GmbH
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CMS Hasche Sigle
Dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
Deutsches Rotes Kreuz Landesverband
Hessen e.V.
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Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft e.V.
Hering Schuppener Consulting
Hessischer Rundfunk
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Schiller Institut e.V.
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Public Communication GmbH
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27 & More e.V.
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Commerzbank AG
Deutsche Bank Alumni
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Liga Travel GmbH
Linklaters
Roche Pharma AG
Ticona GmbH
Der Frankfurter
PresseClub
im Palais Livingston
Seit Februar 2012 residiert der Frankfurter PresseClub im
Westend der Stadt. Dort, in der Ulmenstraße 20 / Ecke Kettenhofweg, hat er seine Räume im Palais Livingston, im
Volksmund „Pferdestall“ genannt. Dort vermietet der FPC
seine Räume für Pressekonferenzen, Vortragsveranstaltungen,
Workshops und andere Events. Neben namhaften Unternehmen
treffen sich hier regelmäßig Vereine, Verbände, Parteien und
Arbeitsgemeinschaften.
Raumanfragen an: [email protected].
Regelmässige Treffen
Vereine/Parteien
BPW Frankfurt
CDU Westend
Rotary Palmengarten
AG Westend
Vortrags/
B u ch v o r s t e l l u n g e n /
Weitere Events
AG DOK
ALG Fitness
Ballwanz Immobilien GmbH & Co. KG
Benner Holding
BPW Frankfurt
Business Angels e.V.
Deutsch-Britische-Gesellschaft
Deutsch-Französische Gesellschaft
FFM e.V.
Freunde Frankfurts
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
Politik
Deutsche Public Relations Gesellschaft e.V.
die medienanstalten
DJV Hessen
Forum Qualitätsjournalismus
Frauen in der Immobilienwirtschaft e.V.
Friedrich-Naumann-Stiftung
Graf von Westphalen
Instituto de Empresa S.L.
MIT Frankfurt
Novo Argumente Verlag GmbH
Schweiz Tourismus
SPD Ortsverein Westend
Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Frankfurt am Main
Vereinigung liberaler Juristen
Vereinigung türkischer Ingenieure
und Architekten e.V.
Wiley VCH Verlag GmbH & co. KGaA
Working Moms e.V.
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Geben oder Nehmen?
In guten Partnerschaften gilt: Geben und Nehmen. Die
Messe Frankfurt und die Region Rhein-Main ergänzen
sich perfekt: Wir vereinen eine hervorragende Infrastruktur
mit herzlicher Gastfreundschaft, erstklassigen Veranstaltungen und weltweiter Vernetzung. Eine attraktive
Kombination, welche die Welt zu unseren Messen und
Kongressen bringt – und so einen wichtigen Beitrag
zur Entwicklung von Stadt und Region leistet. Frankfurt
und die Messe: eine starke Partnerschaft mit Zukunft.
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24 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Forum-Highlights Im Jahr
2000 begannen die Presseclubs
D e u t s ch l a n d s , s i ch i m
F o r u m D e u t s ch e r P r e s s e ­C l u b s
zusammenz
­ u s­ ch l i e s­ s e n . 2 0 1 5 g e hören über 20 Presseclubs dazu.
U n t e r s ch i e d l i ch e r können die einzelnen Clubs
kaum sein. Da gibt es welche, die eine eigene Geschäftsstelle haben
mit Geschäftsführung, die die Belange von mehreren 100 Mitgliedern koordinieren, Veranstaltungen organisieren und ihre Räume
für Pressekonferenzen, Hintergrundgespräche oder auch Workshops
und Klausurtagungen vermieten. Da gibt es auch die Clubs mit
weniger als 200 Mitgliedern, die für ihre Veranstaltungen selbst
Räume extern anmieten müssen. Allen aber ist eines gemeinsam:
Sie wollen Plattform sein für die Kolleginnen und Kollegen vor
Ort, die Gelegenheit suchen, mit Gleichgesinnten zusammenzukommen. 2015 übernahm der Nürnberger Presseclub die Geschäftsstelle des Forums, die 15 Jahre lang vom FPC geführt wurde.
Auf den folgenden Seiten berichten einige der Forumsmitglieder
über ihre Highlights der letzten Saison.
Augsburger Presseclub Das Tempo macht den Unterschied
Fotos von Klaus Rainer Krieger
Eine Rotte Wildschweine musste herhalten, um am 12. November 2014 im Augsburger
Presseclub den Unterschied in der Arbeitsweise zwischen Print- und Onlineredaktion zu
erklären. Sascha Borowski, seit 2009 Leiter der Onlineredaktion der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ (AZ), wählte ein tagesaktuelles Beispiel.
Der 43-Jährige ist Mitglied im Deutschen Presserat und zudem Mitgründer und Betreiber
von Internethilfsportalen wie „dialerschutz.de“ und „Computerbetrug.de“. Im Clubdomizil
Georgenkeller sprach Borowski über das Thema „Online statt Print? Social Media verändern
auch die Zeitungswelt“.
Acht Wildschweine hatten in der Nacht einen Ausflug in die Stadt Augsburg unternommen
und allerlei Unheil angerichtet. Als Zeitungsjournalist hätte er seine Arbeitsweise in Sachen
Wildschweinberichterstattung gründlich und mit dem Fokus auf 18 Uhr ausgerichtet,
so Borowski. Ein ganz anderes Tempo habe das Borstenvieh ihm als Onlinejournalisten
abverlangt.
Schon kurz nach dem Erhalt einer ersten Polizeischnellmeldung per Twitter sei die Recherche auf Hochtouren gelaufen – vor allem über soziale Netzwerke. Bereits gegen 9 Uhr sei
ein erster Bericht auf der Internetseite der AZ zu lesen gewesen, der bis Mittag vier Mal
weitergedreht, aktualisiert wurde.
Es sei das Arbeitstempo, das den Unterschied zwischen Print und Online ausmache. Zur
bewährten journalistischen Recherche bei Sprechern von Polizei und Feuerwehr komme das
Arbeiten in Echtzeit, das Arbeiten mit den Usern des eigenen Onlineportals, vor allem über
Facebook und Twitter.
Schnell stand die Frage nach der journalistischen Sorgfalt „bei Online“ im Raum. Borowski
räumte ein, dass es dabei Probleme gebe. Kommunikation laufe oft über Facebook statt
übers Telefon. Es sei aufwendig, Hinweise unbekannter Mitteiler zu prüfen.
Am Ende gelte: Richtigkeit geht vor Geschwindigkeit. Borowski sieht trotz aller Vorteile
für Online eine gute Zukunft für Print. Sein Rat an junge Einsteiger in den Journalismus:
Besinnung auf journalistisches Handwerk und auf Qualität, gepaart mit Kenntnissen in
Sachen Vernetzung und soziale Netzwerke.
Alfred Schmidt und Sascha Borowski
(rechts)
Aufmerksame Zuhörer im Georgenkeller,
dem Domizil des Augsburger Presseclubs
Natürlich war die Wildschweinstory kein abendfüllendes Thema. Unter der Gesprächsführung von Alfred Schmidt, dem Leiter der Zeitungs-Stadtredaktion der AZ und stellvertretenden Vorsitzenden des Presseclubs, wurden die vielfältigen Aspekte von Online/Print
lebhaft diskutiert. Für Interessierte nachzulesen unter www.presseclub-augsburg.de/cms/website.
php?id=/de/index/rueckblick/2014/onlinezeitung.htm
Seit August 2014 hat der Augsburger Presseclub eine neue Führungsspitze. Vorsitzender ist nun Wolfgang Bublies, seine Stellvertreter sind Alfred Schmidt und Sandra Strüwing. Unter dem Motto „Neue
Zugpferde ran“ hatten die langjährigen Vorstandsmitglieder Dieter Baur und dessen Stellvertreter
Peter Richter und Charly Rauch nicht mehr kandidiert. Den Vorstand komplettieren nach wie vor
Schatzmeister Ruppert Möhler und Schriftführer Klaus Utzni, ferner zehn weitere Beisitzer.
Details zum neuen Vorstand und zum Club unter: http://www.presseclub-augsburg.de/cms/website.
php?id=/de/index/rueckblick/2014/mitgliederversammlung.htm
Michael Siegel
25
Bonner Medien-Club Wider den Stachel...
Der Neujahrsempfang, der traditionell im
Funkhaus der Deutschen Welle – gleich neben
dem Langen Eugen – stattfindet, ist nicht
nur für den BMC und seine mehr als 250 Mitglieder ein
Höhepunkt des Clublebens. Die Gästeliste liest sich wie ein
Who’s who des gesellschaftlichen und politischen Lebens
der Bundeshauptstadt a. D. Man trifft dort nicht nur ehemalige Bundesminister, Abgeordnete jedweder politischer
Coleur oder Vorstände der Bonner DAX-Giganten Post und
Telekom; auch all jene, die in Bonn „Rang und Namen“ ha-
ben (oder zu haben glauben . . . ), sind Gäste des Clubs. „Es
gibt in Bonn keine vergleichbare Veranstaltung“, sagt denn
auch ein in Protokollfragen kompetenter Experte. Dem ist
unsererseits nichts hinzuzufügen.
Dass „die Presse“ über die Preisverleihung berichtet,
versteht sich (fast) von selbst; neben den lokalen Blättern
und Rundfunk- und Fernsehanstalten berichten auch mehrere überregionale Medien. Ein „Sahnehäubchen“ im
Reigen der Veranstaltungen war – darauf sei
an dieser Stelle hingewiesen – die Verleihung
des Bröckemännchens an den CDU-Politiker
Wolfgang Bosbach, dessen Laudator „Genosse
Franz“ (Müntefering) war: Köstlich, wie die
beiden sich nahezu liebevoll neckten und
Anekdoten zum Besten gaben, die einem die Tränen vor
Lachen in die Augen trieben.
Ach so: Wissen Sie eigentlich, wer oder was das Bröckemännchen ist? Ende des vorletzten Jahrhunderts hatten die
Bonner (linksrheinisch) eine gleichnamige Steinfigur samt
nacktem Hinterteil an den Beueler Brückenkopf (rechtsrheinisch) angebracht – aus Protest gegen die Weigerung
Bremer Presse-Club Alles neu macht tatsächlich der Mai
Doch jetzt ist er da, der Clash der Generationen. Und das hat dem Club der erste Vorsitzende Theo Schlüter eingebrockt. Mit Charme und Witz und etwas Budget im Veranstaltungsportemonnaie machte er sich auf die Nachwuchssuche – und wurde fündig. Seit Mai
besteht der Vorstand des Bremer Presse-Clubs aus vier Vorstandsmitgliedern unter 50 – im
Nachfolgenden frei nach Theo Schlüter „die Jungen“ genannt – und drei alten Hasen.
Angetreten, um den alten Club in Bremens ältestem Viertel aufzumischen, haben die
Jungen eine neue Internetseite in Auftrag gegeben – was der alte Vorstand zugegebenermaßen auch schon angedacht hatte. Der Bremer Presse-Club hat jetzt ein Facebook-Profil und
einen Twitter-Account und bei Veranstaltungen mitunter eine Gruppe junger Politikstudenten im Publikum.
Diskussionen gab es, klar! Muss man denn unbedingt Veranstaltungseinladungen per Post
und umständlich die Briefe an alle Mitglieder schicken? Gibt doch E-Mails. Aber ja, man
muss. Sonst fühlt sich schnell mal ein Gründungsmitglied ausgeschlossen. Muss man einen
Neujahrsempfang machen? Ja, man muss. Aber muss man denn eigentlich twittern? Ja,
auch das muss man. Und braucht es wirklich einen eigenen Podcast, mit dem Titel „Clubgeflüster“ und einem vielleicht ein bisschen protzigen Logo (Löwe auf Salonmöbel)? Nein,
das braucht es nicht unbedingt. Aber es macht Spaß! Genauso wie die Veranstaltungen, mit
denen wir in Zukunft noch mehr Nachwuchsjournalisten und Medieninteressierte ins Haus
locken wollen.
Wir Jungen haben uns vom Schatzmeister über den korrekten Ablauf einer
Vorstandssitzung aufklären lassen (es gibt
eine Tagesordnung, an die hat man sich
zu halten; ein Protokoll bedarf zwingend
einer Anwesenheitsliste; Dinge können
vertagt werden), die alten Hasen haben von
uns im Gegenzug eine Facebook-Schulung
bekommen.
Im Oktober hat der Bremer Presse-Club all das mit einem rauschenden Fest gefeiert, mit
dabei waren Volontäre des Bremer „Weser-Kuriers“ und von Radio Bremen, Ressortleiter und Redakteure, auch einige Sympathisanten wie der ehemalige Senator Josef Hattig
wurden gesichtet. Und da zeigt es sich, dass so eine Verjüngungskur doch etwas ganz
Wunderbares ist. Nicht immer. Aber oft. Kathrin Aldenhoff
des preußischen Staates und der damals selbstständigen
Stadt Beuel, sich an den Baukosten der 1898 eröffneten
Brücke zu beteiligen.
Am 14. Mai 2015 ist es übrigens egal, ob Sie von links oder
rechts des Rheins nach Bonn kommen. Die dem Forum
angehörenden Presseclubs sind herzlich zur Jahrestagung
im Schatten des ehemaligen Parlaments- und Regierungsviertels eingeladen. Der Tagungsort liegt linksrheinisch . . .
Bernd Leyendecker
Presseklub Bremerhaven-Unterweser
Mit Riesen-Röhren im Aufwind
Foto: Wilfried Moritz
Vereine sind in den vergangenen Jahren wohl zu den letzten Orten geworden, in denen der
vielzitierte Generationenkonflikt nicht vorkommt. Schlicht und ergreifend deshalb, weil die
Mitglieder von Vereinen sich meist schon deutlich jenseits des Rentenalters befinden. Nun
war der Bremer Presse-Club in der Vergangenheit auch von diesem Phänomen betroffen:
Neujahrsempfänge liefen in ihren gewohnten Bahnen ab, altehrwürdige Institutionen hielten ihre Sitzungen in den Räumen im historischen Bremer Schnoor-Viertel ab.
Foto: Barbara Frommann
Norbert Blüm hat es, Haribo-Chef Hans Riegel hat es.
Und Johannes B. Kerner hat es auch: das Bröckemännchen.
Seit 1999 verleiht der Bonner Medien-Club (BMC) im
Rahmen seines Neujahrsempfangs eine Kopie des Kobolds
an Persönlichkeiten, die in guter rheinischer Manier
„wider den Stachel löcken“. 2014 hatte der Präsident des
Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, den Preis erhalten,
am 20. Januar 2015 bekam ihn die ehemalige
ÖTV-Vorsitzende und EU-Kommissarin Monika
Wulf-Mathies. Die Laudatio hielt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks.
Werksbesichtigung beim „Windgipfel“:
Der Presseklub Bremerhaven-Unterweser
bestaunt die erste der Riesenröhren,
die bei Steelwind Nordenham GmbH
gebaut werden
Gigantische Stahlkonstruktionen zum Bau von Windparks im Meer sind für die Mitglieder des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser ein vertrauter Anblick. Denn die OffshoreWindindustrie mit ihren riesigen Anlagen ist in der Region an der Wesermündung zu
einem neuen wirtschaftlichen Standbein geworden. Eine hoffnungsvolle Entwicklung, die
der Presseklub mit Vorträgen, Diskussionen und Betriebsbesichtigungen unter dem Motto
„Windgipfel“ begleitet. Doch die sechste Auflage dieser alljährlichen Veranstaltung im Oktober 2014 übertraf noch einmal alle Superlative. In Nordenham-Blexen auf der niedersächsischen Seite der Wesermündung konnten die „Windgipfel“-Teilnehmer eine riesige Röhre
bestaunen: den weltweit größten Gründungspfahl für Offshore-Windräder.
Im neuen Werk der Steelwind Nordenham GmbH entstehen seit Herbst 2014 fast 1000
Tonnen schwere und 71,80 Meter lange „Mega-Monopiles“ mit einem Durchmesser von
7,80 Metern. Die Ungetüme werden als Fundamente für Offshore-Kraftwerke in den Meeresgrund gerammt. Durch den Bau von 80 Stahlbeinen dieses Typs ist das Unternehmen
in den nächsten eineinhalb Jahren ausgelastet. Für die Produktionsstätte investierte der
saarländische Mutterkonzern Dillinger Hütte, Deutschlands älteste Aktiengesellschaft, rund
175 Millionen Euro. Der strukturschwache Unterweserraum ist durch die Ansiedlung dieses
„Juwels und Schlüsselunternehmens der Windenergiebranche“ (so Nordenhams Bürgermeister Hans Francksen) im Aufwind. Immerhin schafft der Jobmotor Steelwind zunächst 130
neue Arbeitsplätze, in drei Jahren sollen es 300 sein.
Im Programm des Presseklubs Bremerhaven-Unterweser ist der „Windgipfel“ seit Jahren
eine feste Größe – neben so bewährten Reihen wie „Talk maritim“ mit prominenten
Gesprächspartnern aus der Region und dem „Fischgipfel“, der die positive Entwicklung
der Fischwirtschaft beleuchtet. Der im Februar 2014 gewählte Vorstand mit der neuen
Vorsitzenden Anke Breitlauch will zudem mehr als bisher aktuelle Medienprobleme zur
Diskussion stellen. Den Anfang machte eine vielbeachtete Veranstaltung über die Zukunft
der Zeitung mit dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael
Konken, und dem Dortmunder Zeitungsforscher Horst Röper. Fazit des Abends: Trotz sinkender Printauflagen und zunehmender Onlineverbreitung muss für die gute alte gedruckte
Zeitung nicht das Totenglöckchen geläutet werden. Wilfried Moritz
26 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Internationaler PresseClub München Jährlich zwei außergewöhnliche Highlights in München
Beide sind kommunikativ und sozialethisch engagiert und blicken bei ihren Besuchen im
Club auf das vergangene Jahr zurück, geben aber auch einen Ausblick auf die anstehenden
Themen – oft mit Blick auf die globalen Probleme. So verdeutlicht Bedford-Strohm die
Auswirkungen des Klimawandels und des internationalen Waffenhandels. Mit Verweis auf
die aktuellen Unruhen in Kambodscha plädiert er auch für einen fairen Handel besonders
im Textilbereich, wo in den produzierenden Staaten die Arbeiter ausgebeutet werden.
In einem so reichen Land wie Deutschland müsse jeder in Würde altern können, betonen
Marx wie Bedford-Strohm. Weitere Schwerpunkte im immer voll besetzten Club sind die
Themen Gerechtigkeit, Rente, Energiewende, die europäische Flüchtlingspolitik und die
Christenverfolgung in der Welt – besonders in den islamischen Ländern. Überhaupt: Was
bedeutet Toleranz gegenüber anderen Religionen? Gesprächsthema ist natürlich auch der
innerkirchliche Diskurs: Welche Auswirkungen hat zum Beispiel die scharfe Kritik von
Papst Franziskus an der Römischen Kurie?
Fotos von Hans Schwepfinger
Es ist eine seit Jahrzehnten gepflegte Tradition im Internationalen PresseClub München,
das Veranstaltungsjahr mit dem Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx,
ausklingen zu lassen. Ebenso traditionell beginnen die Veranstaltungen im neuen Jahr
mit dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Und nun sind auch noch
beide Wahlmünchner jeweils zu den höchsten Repräsentanten ihrer Kirche in Deutschland gewählt worden: Seit dem Jahr 2014 ist Reinhard Marx Vorsitzender der Deutschen
Bischofskonferenz und Heinrich Bedford-Strohm Ratsvorsitzender der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD). Umso dankbarer sind wir, dass trotz noch voller werdender
Terminkalender beide Kirchenmänner diese Tradition beibehalten wollen.
Erzbischof Reinhard Marx und Ruthart
Tresselt, Vorsitzender PC München
Der evangelische Landesbischof
Heinrich Bedford-Strohm
Beim Blick auf die Vorbereitungen zum 500. Reformationsjubiläum 2017 stellt sich auch
die Frage: Welchen Fortschritt macht die Ökumene? Wird es nicht nur ein großes internationales Glaubensfest, sondern auch ein ökumenisches? Reinhard Marx hat sinngemäß
immerhin schon gesagt, “. . . auch die Katholiken können von Luther lernen … “
In den sich anschließenden Fragerunden können selbstverständlich alle noch offenen aktuellen Themen angesprochen werden. Zum Abschluss der Diskussionsrunde lädt der PresseClub noch zu persönlicher Kommunikation bei Münchner Weißwurst, Brez’n und Bier ein.
Alles in allem sind das von den 250 bis 300 Veranstaltungen im Jahr zwei außergewöhnliche Höhepunkte. Ruthart Tresselt
Presseclub Nürnberg Ein hohes Gut
Gegründet wurde der Nürnberger Presseclub am 11. April 1990, derzeit zählt er rund
360 Mitglieder. Im Jahr 2014 wurden rund 30 Veranstaltungen in eigener Regie mit den
Marken „Presseclub im Gespräch“ und „Presseclub unterwegs“ durchgeführt. Wir bieten in
der Regel zweimal im Monat ein Forum für den Gedankenaustausch zu aktuellen Themen
mit Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Sport, Kultur und Medien. Dies
ist auch ein Angebot für die lokalen und regionalen Medien. Zahlreiche Themen und Gäste
sind Anlass für die Berichterstattung.
Das Domizil unseres Clubs ist der Marmorsaal der Nürnberger Akademie, die 1892–97
als Gewerbemuseum im Stil eines neobarocken Schlosses erbaut wurde. Seit 1997 befinden
sich dort die Veranstaltungsräume unseres Clubs. In unseren Räumlichkeiten fanden 2014
knapp 200 Veranstaltungen statt, die von unserem Team betreut wurden.
Dieter Barth
Fotos von Dieter Barth
Der Nürnberger Presseclub fördert und unterstützt alle Aktivitäten zur Wahrung der
Menschenrechte, insbesondere der Meinungs- und Pressefreiheit. Dies ist auch ein vorrangiges Anliegen unserer Partnerschaft mit dem Journalistenverband Antalya. Im Jahr 2014
konnten wir den 10. Jahrestag der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde im Rahmen
eines sehr bewegenden Festaktes in Antalya feiern. Dort wurde uns sehr deutlich vor Augen
geführt, welch hohes Gut wir mit dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland haben und dass wir nicht nachlassen dürfen, dieses Recht auch wehrhaft zu verteidigen.
Auch deshalb ist der Internationale Tag der Pressefreiheit, der jährlich am 3. Mai begangen
wird, für uns ein gesetzter Termin, an dem wir das hohe Gut in den Mittelpunkt einer
eigenen Veranstaltung stellen.
Prof. Dr. Johanna Haberer am 3. Mai 2014
mit Vorstandsmitglied Alexander Jungkunz bei der Diskussion „Die Verbindung
zwischen Reformation und Pressefreiheit“
Die Delegation des Nürnberger Presseclubs
wird von Antalyas Oberbürgermeister
Menderes Türel (Mitte) im Rathaus von
Antalya empfangen
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28 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Fotos Presseclub Wiesbaden
Presseclub Wiesbaden Auch mal schön, sich selbst zu feiern
Journalisten sollten dabei sein, ohne dazuzugehören; sie sollten sich mit keiner Sache
gemein machen, nicht mal mit einer guten. Und sie sollten den Leuten nicht immer ihre
Sicht der Dinge aufzwingen, vor allem sich nicht so wichtig nehmen. Alles richtig. Und
manchmal darf es doch ein wenig anders sein.
So könnte man den Umstand interpretieren, dass der Presseclub Wiesbaden sein Jubiläum
zum zentralen Ereignis seines Programms im Jahr 2014 erklärt. Und das auch noch bei
gerade mal 25 Jahren Geschichte; Hirnforscher behaupten, dass die Pubertät da erst zu
Ende gehe – bei manchen Menschen. Bei aller Koketterie: Angesichts der zahlreichen Grauund Weißschöpfe im Konferenzsaal des Nassauer Hofs konnte man am 14. März bei den
Teilnehmern auf diese Idee nicht kommen. Immerhin befanden sich viele Mitglieder der
ersten Stunde neben zahlreichen Würdenträgern unter den 150 Gästen der Feier. Das heißt,
für Verklärung blieb wenig Raum, zu viele Zeitzeugen waren anwesend.
Klaus Bresser, Wahl-Wiesbadener und damals Chefredakteur des ZDF, hatte abgeraten.
„Das Letzte, was Journalisten brauchen, ist ein Presseclub.“ Dass er später dazustieß und
noch gerne Gast im Erdgeschoss der Villa Clementine an der Wilhelmstraße ist, belegt
die Anziehungskraft einer Idee, mit der der Mitleiter der Niederlassung Wiesbaden der
Dresdner Bank, Gustav A. Schaeling, in den späten 80er Jahren eine Gruppe Pressesprecher
und Journalisten infizierte. Die Entstehungsphase muss angesichts der vielen weinseligen
Sitzungen – meist im Entenkeller des Nassauer Hofs – so kurzweilig ausgefallen sein, dass
Schaeling den legendären Satz prägte, um diesen Spaß nicht zu beenden, dürfe man jetzt
bloß den Club nicht gründen. Es geschah aber doch. Gott sei Dank.
Die Gründer (linkes Bild, von links nach rechts): Peter Rudolph, Gustav A. Schaeling,
Monika Schwarz (damals noch Ritter), Hilmar Börsing, Wolfgang Zeller. Festredner Jan
Fleischhauer („Der Spiegel“, Bild Mitte). Der Vorsitzende Stefan Schröder vor den Gästen
der Jubiläumsfeier (rechtes Bild)
Sonst hätten ein Vierteljahrhundert später die denkwürdigen Ausführungen von „Spiegel“Autor Jan Fleischhauer, der den Festvortrag hielt, nie einen Adressaten gefunden. Launig
rechnete der Kollege mit den Hypertrends der Branche von Social Media bis Echtzeitjournalismus ab. Freudig und offenbar einsichtig applaudierten die Zuhörer, als ihnen Fleischhauer
vorwarf, dass gerade die Journalisten, und vor allem die bei Zeitungen, das eigene Produkt
schlechtschrieben. Beruhigend stellte er aber fest, dass er bei seinen Recherchen festgestallt
habe, früher sei beileibe nicht alles besser gewesen. „Oder“, fragte er rhetorisch in den Saal,
„fanden Sie diese penetrante Duzerei zwischen Politikern und Journalisten sympathisch?“
Stefan Schröder
PresseClub Regensburg Geteilte Freude über die Rückkehr als Bischof
Frisch, jugendlich, freundlich sind die Prädikate, die Stefan
Oster, dem bei seinem Auftritt im Regensburger PresseClub noch jüngsten Bischof Deutschlands, medial gesehen
vorauseilen. Für die Insider keineswegs eine Überraschung.
Er ist schließlich in Regensburg aufgewachsen. Einige kennen ihn noch von damals als dynamischen und kritischen
Radiokollegen, der in der Welterbestadt sein journalistisches Handwerk erlernt und dort auch sehr weltlich gelebt
hat, ehe er sich der geistlichen Welt zuwandte. Er ist angesichts alter Kampfesbrüder etwas zwiespältig im Umgang
mit ihnen – zwischen unkompliziert-freundschaftlich und
dem Amt geschuldeter Distanz.
Doch Oster geht mit einem offenen Lächeln darüber hinweg, zückt zum Auftakt des Gesprächs alte Insignien seiner
Radiokarriere und räumt offen ein, immer noch erstaunt
um sich zu blicken, ehe er realisiere, dass die jubelnden
Menschen ihn, den Bischof, meinen. Ja, und die Wohngemeinschaft in seinem Passauer Bischofssitz hat bundesweit
Staub aufgewirbelt. Dass er mit zwei Frauen und einem
Mann zusammenwohne, habe nichts mit fröhlichem
Studentenleben zu tun. „Meine Mitbewohner teilen mein
Interesse an einem geistlichen Leben, das allein zu pflegen
schwieriger ist als in Gemeinschaft.“ Er verschließt sich
auch nicht dem Unbill des Alltags, die Wohnung sauber
zu halten und zu kochen, wenn es die Zeit als amtierender
Bischof zulässt.
Der Bischofsbesuch im Dezember 2014 ist ohne Zweifel
ein Höhepunkt in der fast 40-jährigen Geschichte des Regensburger PresseClubs. Nicht immer sind die Mitglieder
so gespannt auf den Dialog wie beim Passauer Bischof, aber
immer interessiert, mit den Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten direkt ins Gespräch
zu kommen. Wie mit der Bayerischen Sozialministerin
Emilia Müller und dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei
Marcel Huber, die sich die PresseClub-Türklinke in die
Hand geben für die phänomenale Neuigkeit, dass man im
Zentrum bayerischer Machtfülle auch nach vielen Jahren
immer noch staunt über die wachsende Flut an Asylbewerbern. Und vor lauter Staunen immer wieder vergisst,
wenigstens Wohnungen für die Menschen bereitzustellen.
Oder ihnen schnell Klarheit über Verbleib oder Abschiebung zu verschaffen.
Für die Mitglieder des PresseClubs wie des Kunst- und
Gewerbevereins Regensburg ist es ein Segen, dass beide
Vereine sich in den letzten Jahren nähergekommen sind.
Der Club ist zwar seit 1994 Mieter in dem stattlichen Altstadthaus des Künstlervereins. Aber so richtig gemeinsam
läuft es erst kurze Zeit, seit die Künstler die Journalisten
beim Umbau der Räume unterstützen, die ihnen selbst
wieder für Vernissagen und Ausstellungen zur Verfügung
stehen. Und seit Künstler wie Alexander Stern oder Heiner
Riepl den PresseClub als Forum nutzen können, um mehr
über ihre Arbeiten zu erzählen.
Vielleicht kommt mit KUNO eine weitere Facette des
Clublebens hinzu. Die Stiftung Kinder UNi Klinik
Ostbayern hat es tatsächlich geschafft, aus dem Nichts
über zehn Millionen Euro an Spenden zu sammeln, um
Kindern in Ostbayern eine Krankenversorgung erster Güte
zu verschaffen. Damit sich das nie mehr ändert, haben die
Stiftung und der PresseClub einen Plan, der 2015 vielleicht
noch umgesetzt wird.
In den fast 40 Jahren ist der PresseClub Regensburg zu
einer Institution gereift, die aus der Region nicht mehr
wegzudenken ist. Leider haben auch Institutionen Sorgen,
weil Mitglieder generell weniger werden, junge Menschen
meinen, ohne solche Vereinigungen auszukommen, und
große wie kleine Firmen als die finanziellen Pfeiler der
Clubfinanzierung nach der Rasenmähermethode sparen,
anstatt die Netzwerke geschickt zu nutzen. Das alles wird
die PresseClubs so wenig wegrasieren, wie es das Fernsehen
bei der Zeitung erfolglos versuchte. Denn „solange man mit
einem Fernseher keine Fliege erschlagen kann, wird man
die Zeitung brauchen!“
Ludwig Faust
Fotos Tino Lex
Wer hofft, dass sich so viel persönliche Offenheit auch auf
barmherzige Lösungen einiger Probleme der Kirche überträgt, muss vorerst schlucken. „Die vor Gott geschlossene
Ehe ist unauflöslich, sogar wenn es zu Gewalt zwischen
den Partnern kommt.“ Menschen, die nach der Scheidung
wieder geheiratet haben, will er nicht vor dem Altar zum
Empfang der heiligen Kommunion sehen. Es sind nur zwei
der vielen Fragen, die Menschen bedrängen, die Bischof
Oster aber unerbittlich mit Zitaten aus der Heiligen Schrift
kontert. Dann lässt er wieder Taten sprechen, zeigt Transparenz bei den Finanzen in seinem Bistum und weist auch
Bürgermeister in ihre Schranken, die gegen Asylbewerber
wettern, denen er in einem Wallfahrtsort in kirchlichen
Gemäuern Obdach gewährt.
Der freundlich lächelnde junge Bischof von Passau Stefan Oster kennt bei Glaubensfragen kein Pardon (Bilder links). Der PresseClub Regensburg unterstützt die Kollegen bei der Wanderausstellung „World Press Photo“ mit einer Veranstaltung in den Regensburg Arcaden (Bild rechts)
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30 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Tallin
ESTLAND
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FÖDERATION
Riga
LETTLAND
LITAUEN
RUSSISCHE
FÖDERATION
Vilnius
WEISSRUSSLAND
D i e b a l t i s ch e
V i e l fa lt e r l e b e n
POLEN
I n f o r m at i o n s r e i s e d e s F P C f ü r
d i e M i t g l i e d e r d e s F o r u m s D e u t s ch e r
PresseClubs vom 23.–30.4.2014
UKRAINE
Foto © Rhoberazzi – iStockphoto.com
31
Vilnius – Litauen
l i t a u i s ch :
L i e t u va
32 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Mit einer Lufthansa-Maschine aus Frankfurt am Main landen wir,
eine Reisegruppe von 30 Erwachsenen aus verschiedenen Städten
Deutschlands und der Schweiz, gegen 14 Uhr Ortszeit auf dem
Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius (litauisch Vilniaus
oro uostas), dem größten von vier internationalen Flughäfen in
Litauen. Dort werden wir empfangen von Maija, unserer Reiseleiterin für die kommenden acht Tage. Maija ist Lettin und ganz
offensichtlich auch des Litauischen mächtig. Das Litauische gehört wie das Lettische zu den baltischen Sprachen, es gilt in vielen
Eigenschaften als besonders archaisch und daher der rekonstruierten indogermanischen Ursprache besonders nahestehend. Noch
ahnen wir nicht, um wie viele Informationen reicher wir durch die
umfassenden Kenntnisse Maijas über die drei Länder des Baltikums in gut einer Woche sein werden.
am 1.1.2015 auf dem Programm. Lettland hat den Euro, wie wir
erfahren, gerade zum 1.1.2014 eingeführt. In Estland erfolgte der
Währungswechsel schon 2011.
Erste Handlung der meisten Teilnehmer ist der Wechsel von
Euro in Litas (100 Litas sind rd. 30 Euro). Die Umstellung auf
den Euro steht für Litauen als das letzte Land des Baltikums erst
Da seit Mitte des 13. Jahrhunderts der Deutsche Orden mit seinem Expansionsdrang im Baltikum sowohl das Großfürstentum
Litauen als auch das Königreich Polen bedrohte, entschied sich
Unsere erste Busfahrt führt uns in rund 30 Minuten zum Hotel
Congress am Fluss Neris, welcher im Norden von Weißrussland
entspringt und schließlich bei Kaunas in die Memel mündet.
Anders als Estland und Lettland können die Litauer stolz auf eine
Eigenstaatlichkeit im Mittelalter zurückblicken. Ausdruck dafür
ist ihre im 14. Jahrhundert begründete neue Hauptstadt Vilnius.
Großfürst Gedeminas lud 1323 Menschen allen Glaubens in seine
junge Hauptstadt. Sie hatte über Jahrhunderte viele Namen –
die Litauer nannten sie Vilnius, die Polen Wilno, die Juden
Wilne, Russen und Deutsche Wilna.
Der Frankfurter PresseClub organisierte im April 2014 für die Forums-Mitglieder eine 10-tägige Reise durch Estland, Lettland, Litauen.
Die baltischen Staaten zeigten sich bei herrlichem Sonnenschein von ihrer besten Seite.
Reisesplitter
Inge Büttner-Vogt
In Vilnius holt uns Maija, unsere Reiseführerin, ab, und
sehr bald schon nach dem Einchecken begeben wir uns
durch Vilnius mit seiner barocken Vielfalt. Wir besichtigen
die St.-Peter-und-Paul-Kirche. Ich suche nach Maria Magdalena, die für mich eine der wichtigsten Persönlichkeiten
der Weltgeschichte und Forschungsobjekt ist. Hier komme
ich auf meine Kosten. In der St.-Kazimir-Kirche erwartet
uns dann ein kraftvolles Orgelkonzert.
In Klaipeda an der Ostsee führt uns beim abendlichen
Bummel der Weg zum Ännchen-von-Tharau-Denkmal.
Die 16 Strophen des berühmten Liedes aber kann keiner
von uns singen.
Am folgenden Morgen setzen wir dann auf einer Fähre über.
Der Weg zu unserem Ziel, der Kurischen Nehrung, die das
kurische Haff von der Ostsee trennt, führt kilometerlang
an Birken- und Kiefernwäldern entlang. Ein Gespräch mit
der Naturschutzbeauftragten Ausra Feser aber kann nicht
stattfinden. Sie muss bei der Bekämpfung eines Waldbrandes dabei sein. Wir sehen die schwarzen Rauchwolken wie
einen Riesenpilz am Himmel.
Unser nächster Halt ist das Sommerhaus der Familie
Thomas Mann in Nidden. Drei Sommer von 1930 bis 1932
hat die Familie hier verbracht. Als Thomas Mann 1932
ein Paket mit einem angekokelten Exemplar seines Romans
„Buddenbrooks“, für den er 1929 den Literatur-Nobelpreis
erhalten hatte, zugestellt wurde, verließ die Familie das
Haus in Nidden und kehrte nie wieder zurück. Die Einheimischen nannten das Domizil damals „Onkel Toms Hütte“,
Göring, der das Haus 1939 beschlagnahmte, nannte es
Jagdhaus Elchenhain. Das Haus, im Niddener Fischerstil
gebaut, reetgedeckt und in den Farben Rot, Weiß und Niddener Blau gehalten, macht einen gemütlichen Eindruck.
Von der Terrasse geht der Blick übers Meer. Seit 1996 ist
es lettisch-deutsches Kulturzentrum. Wir bummeln durch
die Mann-Ausstellung, müssen allerdings feststellen, dass
die Originaleinrichtung nicht mehr vorhanden ist.
Am nächsten Morgen geht es nach Siauliai. Unser Weg
führt uns über den Berg der Kreuze. Maija erklärt uns, dass
es Tradition sei, dass Hochzeitspaare hierherkommen, um
sich ewige Treue zu schwören. Der Berg der Kreuze mit
über 50.000 großen Exemplaren, die sich über eine Fläche
von etwa einem Hektar verteilen, ist sehr beeindruckend.
Die Zahl der Kreuze erhöhte sich vor allem nach dem
Unabhängigkeitskampf Litauens gegen Russland 1989/90.
Maija erzählt von Tod und Vertreibung, Lager und Unterdrückung und davon, dass in der Vergangenheit immer
wieder alle Kreuze vernichtet wurden. Erst nach der Wende
blieben sie stehen und erobern sich nun den Hügel und die
Umgebung und erinnern an die Toten des Unabhängigkeitskampfes der Litauer.
Wir kommen in Riga, der lettischen Hauptstadt, an,
der Heimat unserer Reiseführerin, seit 2014 Kulturhauptstadt. Die lettische Jugendstilstadt ist geprägt von den
Architekten Konstantin Peksens und Michael Eisenstein.
In der Mittagspause treffen wir Anna Muhka, Leiterin des
Bereiches internationale Kontakte/Stiftung Riga. Sie hat
deutsche Wurzeln und spricht hervorragend Deutsch. Stadt,
Staat und Gemeinde, so erfahren wir, geben viel Geld für
soziale Projekte aus. Man geht an Brennpunkte, fragt die
Bewohner nach ihren Wünschen und bringt sie dazu, ihr
Umfeld (hier Höfe) zu gestalten und zu verschönern. Durch
diese vielen gemeinsamen Projekte wird der Zusammenhalt
intensiv gefördert.
Am nächsten Tag fahren wir Richtung Estland. Maija erzählt uns auf dem Weg die Geschichten von Münchhausen,
dessen Schloss auf dem Weg liegt. In der Burgruine Turaida
hören wir die Legende vom Mädchen Rose, von Treue,
Opfer, Liebe und Tod. Wir bummeln im Skulpturenpark,
dessen Granitmonumente ebenfalls Märchen, Sagen und
Legenden darstellen. Ein lebendiger Froschkönig hüpft uns
in den Weg und wird sofort umringt: „Wer von den Mädels
noch keinen Prinzen hat, vortreten zum Küssen“, heißt es,
doch da flieht der Frosch, verfolgt von einem Blitzlichtgewitter.
Nach dem Mittagessen wandern wir durch das Hochmoor,
das bekannt ist für seine außergewöhnliche Vegetation.
Wir lernen einiges über Moltebeeren (bei uns Cranberrys)
und Moosbeeren. Dann ein letzter Blick von einem Aussichtsturm über die flache, schier unendliche Weite.
Als Nächstes erreichen wir die estnische Hauptstadt
Tallinn. Wir besuchen das 2003 gegründete MarzipanMuseum. Tallin, das einst Reval hieß, rühmt sich ebenso
wie Lübeck, Wiege des Marzipans zu sein. Beide Städte
feiern 2015 gleichzeitig 200 Jahre Marzipanherstellung.
Marzipan galt einst nicht als Süßigkeit, sondern als Medizin, unter anderem gegen Nervosität und Kopfschmerzen.
Doch nicht nur Marzipan dient der Heilung. Dies erfahren
wir in der 1422 zum ersten Mal erwähnten „RathausApotheke“. Dort finden wir neben deutschen Zertifikaten
Arzneimittel wie gepresste Heilpflanzen, eingelegte Igel
und „sonnengetrocknete Hundefäkalien“ aus dem
18. Jahrhundert.
Am Tag darauf besuchen wir das „Sängerfeld“, wo alle
fünf Jahre ein Fest mit 30.000 Sängern und 100.000
Gästen stattfindet. „Wenn der Este nicht singt, hält er den
Mund . . . “, heißt es, und wir lernen, dass es eine „Singende
Revolution“ gab. Sie ermöglichte es den Esten, letzten
Endes die Sowjetherrschaft abzuschütteln. Professor Rein
Veidemann, Freiheitskämpfer, Journalist und Buchautor, erzählt von der Menschenkette, die am 23. August 1989 von
Litauen nach Tallinn reichte. Es war auch seine Sternstunde,
als zwei Millionen Menschen eine 600 km lange Menschenkette bildeten und sein Freiheitslied sangen oder hörten.
Nach einer Woche geht es wieder nach Hause. Und wir
haben eines gelernt: Die Länder des Baltikums zusammenzufassen, ist zwar üblich, wird aber den unterschiedlichen
Ländern und ihren Bewohnern nicht gerecht. Dies hat
uns auch unsere Reiseführerin Maija Baltmane deutlich
gemacht.
I n g e B ü t t n e r - V o g t ist Mitglied im Presseclub
Wiesbaden Sie war 35 Jahre beim ZDF. Ihrer Aussage zufolge
legte sie nach ihrer Pensionierung mit dem Schreiben richtig los.
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34 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
der litauische Großfürst Jogaila, eine Allianz mit Polen einzugehen. Er heiratete die polnische Thronerbin Hedwig von Anjou,
womit die polnisch-litauische Union begründet wurde. PolenLitauen brachte dem Orden im Jahre 1410 in der Schlacht bei
Tannenberg eine schwere Niederlage bei. Das Land wurde in der
Folge reformiert und christianisiert.
Ab dem 15. Jahrhundert erlebte Vilnius eine lange wirtschaftliche
und kulturelle Blüteperiode, aber gleichzeitig fand ihre allmähliche Polonisierung statt. Im 16. Jh. entwickelte sie sich zum
Zentrum der Orgelmusik, 1579 wurde auf der Basis des JesuitenKollegiums die Universität Wilna gegründet (Alma academia et
universitas Vilnensis societatis Jesu). Damit blickt die Universität
von Vilnius auf eine mehr als 430-jährige Geschichte zurück und
gehört zu den ältesten Hochschulen Mitteleuropas. Gleichzeitig
wurde Vilnius zum wichtigsten Zentrum jüdischer Kultur in
Nordeuropa und erhielt seinen Beinamen Jerusalem des Nordens.
Italienische Baumeister schufen ab dem 16. Jahrhundert zahlreiche barocke Bauwerke. Die Kazimir-Kirche (litauisch Švento
Kazimiero bažnyčia) ist eine der bedeutendsten Kirchen der
Stadt Vilnius. Sie ist der erste Vertreter des Baustils des Barock
in der litauischen Hauptstadt, der mit den Jesuiten in den fernen
Nordosten Europas kam. Namenspatron der Kirche ist der heilige
Kazimir, der Schutzpatron Litauens. In diesem Ambiente dürfen
wir am Ankunftstag um 19 Uhr ein wunderbares privates Orgelkonzert erleben.
ARCHITEKTONISCHES GESAMTKUNSTWERK
Vilnius, die Hauptstadt Litauens, ist ein Gesamtkunstwerk der
verschiedenen architektonischen Epochen: Barock, Gotik, Renaissance, Klassizismus und Jugendstil vereinen sich hier zu einem
harmonischen Stilmix. Heute zählt die Altstadt von Vilnius zu
den größten in Osteuropa – 1994 wurde sie zum UNESCOWelterbe erklärt. Aufgrund der über 50 Kirchen der Stadt trägt
Vilnius auch den Beinamen Rom des Ostens. Man sieht von fast
jedem Ort aus in der Stadt mindestens vier Kirchtürme. Der sehenswerte Präsidentenpalast nahe der Universität von Vilnius war
vormals Bischofssitz.
Mit dem Vorstoß der deutschen Wehrmachtstruppen nach Litauen im Jahr 1941 begann das Ende der jüdischen Geschichte in
Vilnius. Das Ghetto Vilnius, damals deutsch Ghetto Wilna, war
ein nationalsozialistisches Ghetto in der Altstadt der litauischen
Hauptstadt, in das die deutschen Besatzer die jüdische Bevölkerung sperrten. Das Ghetto bestand aus zwei Teilen, dem Großen
und dem Kleinen Ghetto, die voneinander durch die Niemiecka
Straße (jiddisch Deitsche Straße, litauisch heute Vokiečių gatv)
getrennt waren. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Vilnius betrug 1931 28 Prozent bzw. 55.000 Personen. Die meisten
von ihnen wurden ermordet, zum großen Teil im nahe Vilnius
gelegenen Ponar, heute ein Vorort der Stadt. Mit dem Abriss der
ältesten Synagoge Wilnas 1949 verschwand ein jüdisches Kapitel
der litauischen Hauptstadt. Nur noch Reste des jüdischen Viertels
im nahen Umkreis der Zydu gatve, der Judengasse, sind erhalten
geblieben.
Nach dem Orgelkonzert in der Kazimir-Kirche steht ein gemeinsames Abendessen im Lokal „Prie katedros“ nahe dem Nationalen
Drama Theater auf dem Plan. Wir haben alle Hunger und nutzen
das Abendessen, um uns in der Reisegruppe gegenseitig bekannt
zu machen. Die Philologin Nida Matiukaite der Universität
Vilnius hat es angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit und des
langen Tagesprogramms schwer, die verdiente Aufmerksamkeit
zu erhalten. Wir lernen eine Besonderheit der litauischen Sprache
kennen: -aite, die litauische Namensendung für unverheiratete
Frauen.
V O N H A U P T S TA D T Z U H A U P T S TA D T
Am nächsten Morgen beginnt nach dem Frühstück unsere baltische Rundreise: Nur 30 Kilometer von Vilnius entfernt liegt
die alte Hauptstadt des Landes: Trakai mit ihrer Inselburg als
Wahrzeichen Litauens. Die Festung im Galve-See wurde nie von
den Feinden eingenommen. In den Gemäuern der Wasserburg ist
heute eine historische Ausstellung über die Großfürsten und die
Geschichte Trakais zu sehen.
Von Trakai fährt uns der Bus vorbei an Kaunas – von 1920 bis
1940 die provisorische Hauptstadt Litauens – in die litauische
Hafenstadt Klaipėda, bis 1920 die nördlichste Stadt Deutschlands. Klaipėda ist zugleich die älteste Stadt Litauens. Gegründet
wurde die drittgrößte Stadt des Landes im Jahre 1252 unter dem
deutschen Namen Memel. Der gleichnamige Fluss, in antiker
Zeit Teil des Handelswegs Bernsteinstraße von der Ostsee zum
Mittelmeer, mündet in einem Delta in das zur Ostsee gehörende
Kurische Haff. Der Name leitet sich her von dem zur indogermanischen Sprachfamilie gehörenden Volksstamm der Kuren, deren
Name „Schnell zu See“ bedeutet.
„ÄNNCHEN“ SINGEN,
BIERCHEN TRINKEN
Bei unserer Ankunft in der Hafenstadt klappt die Zimmervergabe
im Hotel Amberton Klaipėda Hotel wieder hervorragend. Unsere
Zimmer in diesem ungewöhnlichen K-förmigen Hochhaus sind
eher futuristisch kühl, bieten aber eine grandiose Aussicht über
das Hafengelände auf die Kurische Nehrung (Neringa). An die
Flucht Königin Luises vor Napoleon über die Kurische Nehrung
nach Memel, 1807, erinnert eine Tafel am ehemaligen Rathaus.
Das historische Gebäude wurde während der Napoleonkriege,
von 1807–1808, vorläufig vom König von Preußen, Friedrich
Willhelm III, und seiner Frau Luise bewohnt. Das Wahrzeichen
der Stadt ist in der Mitte des Theaterplatzes ein Springbrunnen
mit einer Skulptur von „Ännchen von Tharau“. Das Denkmal
mit dem kleinen Mädchen wurde 1912 zum Gedenken an den
in Klaipėda geborenen deutschen Dichter und Schriftsteller
Simon Dach errichtet. Ann war das Mädchen, in das er sich auf
den ersten Blick verliebte. Obwohl sie mit einem anderen Mann
verlobt war, widmete ihr Simon Dach das Gedicht „Ännchen von
Tharau“ und ein gleichnamiges Lied, welche beide noch heute in
Deutschland, der Schweiz und Österreich bekannt sind. Während
des Zweiten Weltkrieges verschwand die Skulptur auf mysteriöse
Weise und wurde 1990 durch eine Initiative der Bevölkerung und
der Gäste rekonstruiert.
Fotos: Roswitha Haager-Fischer, Rainer Rüffer
35
Erinnerung an die Toten des litauischen Unabhängigkeitskampfes:
Berg der Kreuze bei Siauliai
In Klaipėda/Memel befinden sich außerdem zwei historische
Postämter – das eine in einem kleinen Altstadthaus, das andere
(Jugendstil und mit einem bekannten Glockenspiel) in der Neustadt. Der Skulpturenpark ist sehenswert und dem Anschein nach
ein beliebter Aufenthaltsort. Diesen und auch den drauffolgenden
Abend verbringen wir in einigen der zahlreichen Lokale in der
Friedricho Pasažas (Friedrich-Passage). Das doch recht touristische
Ambiente wird aufgewogen durch die Tatsache, dass wir bei angenehmen Temperaturen im Freien sitzen können. Auch das Bier
leistet für die meisten Teilnehmer unserer Gruppe einen guten
Beitrag zu einem entspannten, schönen Abend.
W E LT E R B E U N D T H O M A S M A N N
Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Bus zur Autofähre, die
uns von Klaipėda über das Haff auf die Kurische Nehrung bringt.
Die Landzunge misst insgesamt 98 km, 52 km befinden sich
auf litauischem Gebiet und 46 km in der Kaliningrader Oblast.
Eingeschlossen wird die Nehrung im Westen von der Ostsee und
an der östlichen Küste vom Kurischen Haff, die breiteste Stelle beträgt knapp vier Kilometer. Der Nationalpark gehört zum
UNESCO-Welterbe. Vogelschwärme fliegen über uns – hier in
der Gegend befindet sich die größte Kormorankolonie des Landes,
die leider den Wald stark in Mitleidenschaft zieht. Überwiegend
tote Bäume ragen hier in den Himmel. Von Maija hören wir über
die Bemühungen der Naturschutzbehörden, die Kormoranpopulation in Zaum zu halten, indem die Vögel in der Brutzeit durch
Lärm von ihren Nestern ferngehalten werden. Auch Elche sind
noch auf der Nehrung beheimatet, wir haben das Glück, einen
dieser scheuen Vertreter zu Gesicht zu bekommen. Maija erzählt
die Geschichte, wonach Elche aussehen wie Pferd, Esel, Hirsch
und Kuh gleichzeitig. Bei Nida besuchen wir das Thomas-MannHaus. In diesem hoch gelegenen Anwesen hielt sich der Nobelpreisträger während der Sommermonate der Jahre 1930 bis 1932
auf. Kurz darauf ist Juodkrantė (Schwarzort) erreicht. Diese sehr
ursprünglich gebliebene Naturlandschaft aus Kiefernwäldern
und Sanddünen auf dem schmalen Landstreifen, der das Kurische
Haff von der Ostsee trennt, ist einzigartig. Die mächtigen weißen
Wanderdünen zählen zu den größten Europas, die Hohe Düne von
Nida etwa hat ein 60 m hohes Plateau. Die barocke Altstadt von
Vilnius ist ein UNESCO-Weltkulturerbe, ebenso wie die Dünen
auf der Halbinsel Kurische Nehrung.
Das Restaurant „Nidos seklycia“ befindet sich auf der Kurischen
Nehrung am Ende des Fischerdörfchens Nida in traumhafter Lage
zwischen den einzigartigen Parnidzio-Dünen und dem Kurischen
Haff. Die Rote-Bete-Suppe ist so lecker, dass wir sie gern zur
Nachahmung empfehlen. Leider kommt es während unseres Aufenthalts auf der Nehrung zu einem Waldbrand, dem viele Hektar
Wald zum Opfer fallen. Das geplante Treffen mit einer Vertreterin der Naturschutzbehörde muss daher leider entfallen.
AUF NACH LETTLAND!
Der Berg der Kreuze (lit. Kryžių Kalnas), Litauens Nationalheiligtum und der wichtigste Wallfahrtsort des Landes, erhebt sich
am Fluss Kulpe bei der Stadt Siauliai (dt. Schaulen). Die vielen
kleinen und großen Kreuze aus Holz oder Metall symbolisieren
auch den Kampf gegen Sowjetmacht und Okkupation und sind
ein beeindruckender Anblick. Der Großteil der Litauer (80 Prozent) ist, wie Maija erläutert, römisch-katholisch und gehört der
Katholischen Kirche in Litauen an.
Anschließend passieren wir fast unbemerkt die lettische Grenze.
Wir besichtigen das Schloss Rundāle (auch: Schloss Ruhenthal,
lettisch Rundāles pils), ein seit 1920 im Staatsbesitz befindliches
Barockschloss in der lettischen Region Semgallen nahe der Stadt
Bauska. Nach dem Vorbild des französischen Schlosses Versailles
gestaltet, wird es oft als das „Versailles des Baltikum“ bezeichnet.
Das dreiflüglige und zweistöckige Schloss beherbergt auf fast
7000 Quadratmetern 138 Zimmer und Säle und verbindet die
einmalige Architektur des Barock mit den Einflüssen des Rokoko. Der Schlosspark ist ebenfalls im französischen Stil angelegt,
der Besuch der Parkanlage lohnt sich. Wir stärken uns stilvoll im
Schlossrestaurant, bevor wir die Weiterfahrt antreten. Am frühen
Abend erreichen wir Lettlands Hauptstadt Riga, die europäische
Kulturhauptstadt 2014. Der Check-in im Albert (Einstein) Hotel
ist einmal mehr sehr gut organisiert.
Foto © Leonardo Patrizi – iStockphoto.com
36 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Riga – Lettland
l e t t i s ch :
L at v i j a
37
Sogleich erkunden einige von uns auf eigene Faust die Umgebung. Es herrscht ein lebhaftes Treiben in den breiten Straßen
und auf den großzügigen Plätzen der Altstadt (Vecriga), in die
wir von der Neustadt aus über grüne Parkanlagen mit Stadtkanal
gelangen. Zahlreiche Cafés und Restaurants laden hier auch im
Freien zum Verweilen ein, und wir genießen bei sonnigem Wetter
und angenehm frühsommerlichen Temperaturen das südländische
Flair der Hauptstadt. Wir essen in der Nähe des Marktplatzes
(Rātslaukums) zu Abend. Offensichtlich bereitet die Rechnung
mit dem noch ungewohnten Euro (hier eingeführt am 1.1.2014)
einige Schwierigkeiten, denn die Abrechnung verlangt uns viel
Geduld ab.
Rīga ist ein kulturelles Kleinod, was wir am folgenden Morgen erleben. Staunend durchstreifen wir ganze Straßenzüge, die sich im
Glanz des Jugendstils präsentieren. In der lettischen Hauptstadt
gibt es ca. 800 Jugendstilgebäude. Die meisten befinden sich in
der Neustadt von Riga, in der Alberta iela und im sogenannten
Stillen Zentrum beziehungsweise im Botschaftsviertel, wo jedes
Gebäude sehenswert ist. Mit Recht wird Riga die Hauptstadt des
Jugendstils genannt. Um das alles für zukünftige Generationen
zu erhalten, ist das historische Zentrum von Riga in die Liste des
Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen worden.
In Riga, der mit rund 700.000 Einwohnern größten und bevölkerungsreichsten Stadt des Baltikums, begegnen sich die Vergangenheit und das moderne Leben unmittelbar. Genau diese
Kombination macht die Stadt so lebendig und faszinierend. Die
Geschichte der Hansestadt reicht bis in das 12. Jahrhundert
zurück, und besonders die Altstadt östlich der Düna (lettisch:
Daugava) ist auch aufgrund des relativ intakt gebliebenen historischen Stadtgefüges ein Zeugnis verschiedenster Epochen. Dazu
gehören das prächtige Schloss, heute Residenz des lettischen
Staatspräsidenten, das Schwedentor, die St.-Petri-Kirche, die
Gildehäuser und gegenüber das berühmte und eigentümliche
Katzenhaus, auf dessen Dachtürmchen zwei aus Kupfer gegossene Katzen mit Buckel und aufgestellten Schwänzen stehen. Das
Gebäude – ein reicher Kaufmann hat dieses Haus errichten lassen,
und weil man ihn nicht in die Gilde aufnehmen wollte, ließ er
provokativ die Katzen, die die Ecken seines Haus begrenzen, so
drehen, dass deren Hintern in die Richtung seiner Widersacher
zeigten – war einstmals skandalös berühmt und löste sogar einen
Gerichtsprozess aus. Zum Mittagessen treffen wir uns im Restaurant „Kaļķu Vārti“ am schönen und belebten Livenplatz mit Anna
Muhka, einer Vertreterin der Stiftung Riga 2014, die das Programm für das Kulturhauptstadtjahr organisiert.
Anschließend besuchen wir die mittelalterliche Domkathedrale,
einen der ältesten sakralen Bauten Lettlands, von außen ein architektonisches Meisterwerk aus Romanik, Gotik und Barock. Der
Domplatz (Domalaukums) hat mit den vielen Straßencafés eine
wunderbar südländische Atmosphäre. Der historische Rathausplatz wird von der reich verzierten Fassade des SchwarzhäupterHauses, originalgetreu im gotischen Stil nach dem Vorbild aus
dem Jahre 1334 wieder aufgebaut, dominiert. Es diente sowohl
den Kaufleuten der Hansestadt als auch der vorwiegend deutschen
Bürgerschaft Rigas für Zusammenkünfte. Auch das Okkupationsmuseum – es ist der Zeit von 1940 bis 1991 gewidmet, als
Lettland 1939/40 von der Roten Armee, 1941–1944 von der
Wehrmacht und danach als Lettische Sozialistische Sowjetrepublik
wieder von der Sowjetunion besetzt war – und der große Markt
nahe der Daugava stehen auf unserem Programm. Während des
Ersten Weltkrieges dienten die Gebäude des Zentralmarktes als
Flugzeughallen für die Luftschiffe der kaiserlichen deutschen
Armee, woher die Bezeichnung Zeppelin- bzw. Luftschiffhallen
stammt. 1998 wurde die Fläche des Zentralmarktes Riga in die
Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Am Abend haben wir Karten für „Three Meetings“ (Trīs tikšanās),
ein Ballett in der Lettischen Nationaloper. Das weiße Haus mit
dem griechisch anmutenden Säulenentrée ist schon seit 1923 in
Betrieb, durchschnittlich werden hier pro Saison sechs Neuinszenierungen einstudiert, die das Gleichgewicht zwischen den beiden
Genres Oper und Ballett wahren. Die Anfänge der Oper in Riga
sind bereits im 18. Jahrhundert zu suchen, als im Herzogtum
Kurland die ersten musikalischen Aufführungen stattfanden und
die erste reisende Operntruppe auftauchte. Im Jahr 1782 wurde
das Gebäude als das Städtische Deutsche Theater eingeweiht, wo
sowohl Theater- als auch Opern- und Ballettaufführungen stattfanden. Einige Jahre arbeitete hier auch der berühmte deutsche
Komponist Richard Wagner. Im Unterschied zu Litauen ist seit
der Reformation die evangelisch-lutherische die wichtigste Konfession im westlichen und im zentralen Teil Lettlands, wie auch in
Estland.
BEGEGNUNG MIT MÜNCHHAUSEN
Von Riga geht die Reise zunächst in das Landesinnere in Richtung Gauja-Nationalpark. Nahe der Stadt Sigulda – auch bekannt
durch eine olympische Bobbahn – besichtigen wir die aus roten
Ziegeln rekonstruierte Burgruine Turaida (das Wort bedeutet in
der Sprache des alten Volkes der Liven „Gottesgarten“) und den
zum Museumsreservat gehörenden weitläufigen Skulpturengarten.
Von der Burg genießen wir einen spektakulären Ausblick auf das
Gauja-Tal. In besonderer Erinnerung bleibt uns der Laden mit
den feinen lettischen Leinenwaren. Einige Schals und Ponchos in
wunderbaren Farben und guter Qualität treten von hier die Reise
nach Deutschland an. Eine willkommene Abwechslung bietet
nachfolgend der Abstecher an den feinsandigen, aber muschelarmen Ostseestrand von Lauču Akmens. Die oft fotografierten
Findlinge haben gigantische Ausmaße und hätten ganz gewiss
Obelix erfreut.
Auf unserem weiteren Weg nach Estland staunen wir bei Dunte
über die Begegnung mit Baron von Münchhausen auf seiner Kanonenkugel. Der Ort entstand um das ehemalige Landgut (lett.:
Duntes muiža) des livländischen Adelsgeschlechts von Dunten,
aus dem Jacobine von Dunten hervorging. Sie heiratete im Jahre
1744 in der Kirche zu Pernigel (heute: Liepupe) den Baron
Münchhausen. Mit ihm lebte sie hier bis 1750. Aus dieser Zeit
stammen einige seiner abenteuerlichen Geschichten. 1750 zogen
sie auf sein Gut in Bodenwerder, wo Jacobine 1790 und der Baron
1797 starb.
Foto © Sean Pavone – iStockphoto.com
38 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Tallinn – Estland
e s t n i s ch :
Eesti
39
Die Reisegruppe auf Besichtigungstour
Entlang der Bernsteinküste passieren wir die estnische Grenze
und erreichen am frühen Nachmittag die Dünen von Rannametsa.
Auf Holzstegen laufen wir über den Lehrpfad durch einen Dünenkieferwald und das Moor Tolkuse bis zum Turm. Hier zeigt uns
Maija die zu dünnen Fäden reduzierten „Stämme“ der vitaminreichen Moosbeere, mit denen die Pflanze flach über Torfmoospolster
rankt. Danach geht die Fahrt weiter nach Pärnu, der heimlichen
Sommerhauptstadt Estlands am Golf von Riga. Da wir die Stadt
aber nur passieren, bleiben uns die Strandpromenade, der lange
Sandstrand und der dem Ort nachgesagte südländische Charme
leider verborgen. Im Vorbeifahren: Holzhäuser und die orthodoxe
Kathedrale von Pärnu.
Nach Ankunft in Tallinn und Einchecken im Kreutzwald Hotel
am frühen Abend unternehmen wir einen ersten Bummel durch
die mittelalterliche Stadt. Hier in Estland, wo eine finno-ugrische
Sprache gesprochen wird, die dem Finnischen und dem Ungarischen verwandt ist, gelangt auch Maija an ihre sprachlichen Grenzen. Dies gilt jedoch keineswegs für ihr unerschöpfliches Wissens
über die interessanten Details und Besonderheiten der jeweiligen
Region. Estland, das sich selbst Eesti nennt, ist der nördlichste
Staat des Baltikums. Das Land wird deshalb bereits zu Nordeuropa gezählt. Estland hat Zugang zur Ostsee und knapp 4.000 km
Küstenlinie sowie rund 1.500 vorgelagerte Inseln und Inselchen.
Bedingt durch den Finnischen Meerbusen gibt es enge Beziehungen zu Finnland. Durch die Hanse gab es auch kulturelle Verbindungen zu Deutschland. Das Land ist wie auch die beiden anderen
baltischen Republiken sehr waldreich. Mehr als 40 Prozent des
estnischen Staatsgebietes sind von Wald bedeckt. Der häufigste
Laubbaum ist die Birke, ein vielbesungenes Motiv in estnischen
Volksliedern und Gedichten. In Estlands Wäldern gibt es neben
Hirschen und Rehen auch noch Braunbär, Luchs und Wolf.
STRASSE AUS EIS
Ein einzigartiges saisonales Highlight Estlands ist die Eisstraße
westlich von Tallinn, die 26 km über die gefrorene Ostsee vom
Festlandhafen Rohuküla auf die Insel Hiiumaa führt. Die Verbindung über die in kalten Wintern zugefrorene Ostsee darf von Autofahrern genutzt werden, wenn die Eisschicht mindestens 25 cm
dick ist. Die Eröffnung der Eisstraße ist immer ein großes Ereignis, vor allem für die circa 10.000 Bewohner der Insel ­Hiiumaa.
Die temporäre Ostsee-Autostraße hat vor allem einen großen
praktischen Vorteil: Statt zweieinhalb Stunden mit der Fähre
braucht man mit dem Auto nur eine halbe Stunde. Die Bewohner
der Insel Hiiumaa benutzen diese natürliche Brücke insbesondere
am Wochenende gerne.
Aufbruch und Modernität können dem Charme der im 10. Jahrhundert gegründeten und gleichfalls dem Weltkulturerbe zuzurechnenden Hauptstadt Tallinn (ehemals Reval) glücklicherweise
nichts anhaben. Am folgenden Tag erkunden wir mit Maija den
Domberg, die orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale – nicht
zuletzt ein Symbol der Unterdrückung –, die Nikolaikirche und
die Gildehäuser und erreichen schließlich das historische Rathaus.
Der Rathausplatz, ohne Zweifel der Mittelpunkt des städtischen
Lebens, ist gepflastert mit stilechten Bürgerhäusern, netten Cafés,
originellen Restaurants und schönen Geschäften. Wir tauchen ein
ins Mittelalter, indem wir das einzige noch erhaltene im gotischen
Stil gebaute Rathaus Nordeuropas besuchen, 1404 erbaut in der
heutigen Form. Der „Alte Thomas“,die Männchen-Wetterfahne
auf dem Rathaus, wude zum Symbol der Stadt. Die ehemalige
Stadtmauer ist fast vollständig erhalten und teilweise begehbar.
Die massiven Türme mit ihren roten Dächern sind gut sichtbar,
insbesondere die „Dicke Margarete“ und der „Lange Herrmann“
überragen die Altstadt.
40 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Das Ferienhaus der Familie Mann
in Nida (Litauen), im Volksmund
„Onkel Toms Hütte“ genannt
Den letzten gemeinsamen Abend verbringen wir mit einer Vertreterin der Tourismuszentrale Estlands an langen Tischen im
spärlich beleuchteten Lokal „Olde Hansa“ inmitten der Altstadt.
Das Essen, welches nach und nach in verschiedenen Schüsseln
die Tische erreicht, ist nicht sofort eindeutig identifizierbar, aber
wohlschmeckend. Den späteren Abend verbringen die Fußballfans
unter uns in einem der mit TV ausgestatteten Lokale. Wir erleben
leider das Champions-League-Aus des FC Bayern im Heimspiel
gegen Real Madrid.
An unserem letzten Tag steuern wir morgens außerhalb Tallinns
das Katharinental mit dem prächtigen Barockschloss an, das
Peter der Große 1718 für seine Frau Katharina I. erbauen ließ.
Wir sehen die Hafen- und Olympiaregion Tallinns, 1980 wurden
im Rahmen der Sommerspiele in Moskau die Segelwettbewerbe
ausgelagert, sowie stadtnahe Strände mit Blick auf die estnische
Hauptstadt. Das Sängerfeld mit der berühmtesten Bühne Estlands
gilt seit der „Singenden Revolution“, als musikalisch gegen die
Sowjetmacht demonstriert wurde, als Symbol der Würde und der
Freiheit Estlands. Die Bezeichnung „Singende Revolution“ drückt
die Stimmung aus, als sich das kleine Land von der Sowjetunion zu lösen versuchte, und wurde von westlichen Journalisten
übernommen. Sie wird bis heute von den Historikern verwendet,
wenn sie die Periode der nationalen Bewegungen im Baltikum
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in Bernstein aus Estland
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42 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
St.-Peter-und-Paul-Kirche in Vilnius
1987 bis 1991 und den Kampf um Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit charakterisieren. Wir treffen den in Pärnu
geborenen Literaturwissenschaftler, Journalisten, Autor, Dozenten und Politiker Rein Veidemann, der diese Periode politisch
aktiv mitgestaltet hat, und lassen uns diese Form des Widerstands erklären. Von 1988 bis 1992 war Veidemann Mitglied des
Vorstands der estnischen Volksfront und Mitglied des estnischen
Obersten Rates von 1990 bis 1992. In Erinnerung bleibt uns
sicher der von ihm beschriebene Baltische Weg – eine Menschenkette, die die drei Staaten in ihrem Wunsch nach Freiheit verbindet und im UNESCO-Weltdokumentenerbe bewahrt ist. Mit dem
endgültigen Zerfall der UdSSR 1991 rief Estland seine Unabhängigkeit aus. Heute lehrt der Professor für Literatur und Kultur an
der Universität von Tallinn. Nach diesem Treffen geht es weiter
nach Saku, auf den traditionellen Hof Esko. Dabei handelt es sich
um einen Betrieb mit ökologischem Anbau, und wir dürfen den
selbst produzierten estnischen Käse und ein sehr wohlschmeckendes Milchgetränk kosten.
Unsere Reise durch die baltischen Staaten geht zu Ende, und wir
alle sind voll von interessanten Erlebnissen und Eindrücken. Mit
besonderer Dankbarkeit verabschieden wir uns von unserer wunderbar kommunikativen und wissensreichen Reiseleiterin Maija,
die uns während der gesamten Zeit in unterhaltsamer Weise mit
Informationen über Länder und Menschen des Baltikums versorgt
hat. Der Abschied fällt schwer. Wir hatten eine sonnenverwöhnte,
vielfältige und spannende Reise, die uns einen tiefen Einblick, sowohl in die wechselvolle Geschichte der drei baltischen Länder als
auch in die Gegenwart und Zukunftsperspektiven dieser Region,
vermittelt hat. Die Speicherkarten der zahlreich mitgeführten Kameras sind gut gefüllt. Zweifellos sind sowohl die Natur- als auch
die Kulturliebhaber in den mit Natur- und Weltkulturgütern so
reich ausgestatteten Ländern des Baltikums voll auf ihre Kosten
gekommen. Von Tallinn treten wir schließlich am frühen Abend
den Heimflug nach Frankfurt an. Nun können wir die Uhren
wieder eine Stunde zurückstellen.
Auf Wiedersehen!
Nägemiseni (
Uz redzesanos (
Iki pasimatymo (
e s t n i s ch )
l e t t i s ch )
l i t a u i s ch )
H i l d e R i ch t e r - D i k k a y a
Stadt Frankfurt.
[email protected]
Baltikumabend
Blühende Landschaften...
Das Baltikum bleibt auch jetzt, rund ein Jahr nach der Reise des Frankfurter PresseClubs und des Forums Deutscher PresseClubs, eine spannende Region.
Dies wurde bei der Clubveranstaltung deutlich, in deren
Verlauf man die Reise noch einmal Revue passieren ließ.
Der seit Monaten anhaltende Ukraine-Konflikt hat einmal
mehr den Blick auf die drei baltischen Staaten Estland,
Lettland und Litauen geschärft. Jasper von Altenbockum,
FAZ-Nachrichtenchef Innenpolitik, der für die FAZ von
Skandinavien aus auch über die baltische Region berichtete,
zog Bilanz. Die größte Minderheit der Länder sei die der
Russen, die 30 Prozent der Bevölkerung stellen. Schon
2004, als die drei baltischen Staaten der EU und der NATO
beitraten, kam von Russland immer wieder politisches
Sperrfeuer. So wird die Normalisierung der baltisch-russischen Beziehung wesentlich von der Fähigkeit der Länder
abhängen, mit ihren sozialen und regionalen Ungleichheiten fertigzuwerden.
Doch es besteht Hoffnung. Denn in den letzten Jahren
haben die Länder eine rasante wirtschaftliche Entwick­
lung erlebt. War zunächst die Wirtschaft binnen eines
Jahres um zwei Prozente eingebrochen, stehen die Länder
heute durch eine radikale Sparpolitik besser da als viele
europäische Staaten. Dies bestätigte auch Rüdiger von
Rosen, Honorarkonsul von Lettland. In seinem Beitrag zur
wirtschaftlichen Situation zeigte er, dass Lettland durch
einen schnellen und harten Schnitt heute, im Gegensatz
zu Griechenland, mit einem wirtschaftlichen Aufschwung
punkten könne. Griechenland, so Wirtschaftsexperte von
Rosen, habe sechs Jahre zögerlich die Sparmaßnahmen
durchgezogen, und die EU habe es geduldet. Das Ergebnis
sei bekannt. Lettland hat als letzter der drei Staaten den
Euro eingeführt.
Dass die drei Länder nicht nur mit guten Wirtschaftsdaten
punkten können, sondern auch mit ihren Landschaften, den
sorgsam restaurierten Städten und ihrer Kultur, demonstrierte der FPC mit einem Fotobeitrag, der unterlegt mit
baltischer Musik den Daheimgebliebenen große Lust auf
eine Reise durch die drei Staaten machte.
MONI C A WEBER - NAU
Geschäftsführerin FPC.
[email protected]
www.facebook.com/FrankfurterSparkasse
Unser Leben, unsere Stadtkultur,
unsere Frankfurter Sparkasse
„Sich um das Gemeinwohl der Mitbürger zu kümmern fordert viel private Initiative
und Unterstützung. Und die bekommen wir von der Frankfurter Sparkasse.“
Die Stiftung der Frankfurter Sparkasse zeigt ebenfalls Engagement –
in Kultur, Kunst und Bildung.
Clemens Greve | Geschäftsführer der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlößchen
Kundenverbindung seit 1989
44
Qualtätsjournalismus
Schwerpunkt Qualitätsjournalismus
Die Redak­tion des FPC-Magazins widmet sich in dieser Ausgabe dem Qualitätsjournalismus, dem
Begriff der Lügenpresse und der Tatsache, dass seit Jahren über die Krise der Medien diskutiert
wird. Das Internet hat dafür gesorgt, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen spielen nun über
die sozialen Plattformen auch solche Menschen mit, die zwar keine Journalisten sind, aber sich
dennoch berufen fühlen, ihre Meinung zu allen erdenklichen Themen kundzutun. Zum anderen
haben die traditionellen Medien durch die Digitalisierung der Branche einen massiven Einbruch ihrer
Einnahmen zu verzeichnen, denn Anzeigenkunden sind längst abgewandert in diesen Bereich. Den
Trend konnten die traditionellen Medien nicht auffangen, denn sie sahen nicht früh genug, dass die
Zukunft der Informationsbranche im Netz stattfindet. Entsprechend bauten sie viel zu spät ihre Onlineredaktionen aus, und, was fast noch schlimmer war und ist: da die Netzgemeinde es gewohnt
ist, Informationen im Netz kostenlos zu erhalten, geht nun viel Kraft und Geld in die Rolle rückwärts.
Ein Zugewinn durch die Nutzer der Onlineportale war und ist zurzeit nicht in Sicht. Parallel verlieren
die tradi­tio­nellen Medien – vor allem die Printmedien, aber auch das öffentlich-recht­liche Fernsehen
– Leser und Zuschauer.
Auf eine andere Weise problematisch sind die Meinungen, die inzwischen von Hinz und Kunz im
Netz gepostet, getwittert, also herausposaunt werden. Besserwisser, ja Hetzer nehmen einen immer
größer werdenden Raum ein und sorgen dafür, dass die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Gefahr gerät. Das Unwort „Lügenpresse“ aus der Nazizeit feiert seine Wiedergeburt, und das Ver­trauen
in die tradi­tionelle Berichterstattung, die inzwischen auch von einzelnen Journalisten niedergeschrieben wird, stirbt einen schrillen Tod.
Allerdings sind nicht alle Journalisten der Auffassung, dass das Internet den Beruf bedroht, „sondern die Journalisten selbst sind es, die zunehmend jegliche Seriosität im Umgang mit politisch oder
gesellschaftlich relevanten Themen verweigern“. Das ist die Meinung des Journalisten C h r i s t i a n
B o m m a r i u s . In seinem Beitrag für das FPC-Magazin geht er weit zurück in die Vergangenheit,
um das zu belegen.
S t e p h a n H e b e l , der unter anderem als politischer Autor für die „Frankfurter Rundschau“
schreibt und als Jurymitglied mitverantwortlich ist, dass das Wort „Lügenpresse“ zum Unwort des
Jahres 2014 gekürt wurde, wirft ebenfalls einen kritischen Blick auf die Zunft. Jenseits aller Keulen,
die hüben wie drüben geschwungen werden, also jenseits von allen pauschalen Verunglimpfungen,
ließen sich aufseiten der Berichterstatter durchaus Gründe zur Selbstkritik finden, meint der Autor.
Beide Artikel geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder, aber sie sind wichtige
Diskussionsbeiträge zur Lage der Medien in Zeiten der Digitalisierung, der Meinungsvielfalt in einer
SCHWERPUNKT
Demokratie und ihren zwangsläufigen Verwerfungen.
Weitere Beiträge unseres Themenschwer­punkts Qualitätsjournalismus beleuchten alternative Finanzierungsmöglichkeiten, etwa durch Stiftungen ( T h o m a s G e h r i n g e r ) oder durch Crowdfunding ( C h r i s t i a n S ä l z e r ), die Bedingungen eines nachhaltigen Journalismus ( J o a c h i m
W i l l e ) und neue journalistische Darstellungsformen im Netz ( J u l i a n B e c k ).
MONI C A WEBER - NAU
Qualtätsjournalismus
Foto © micha360 – iStockphoto.com
46
Gründe zur
Selbstkritik
Der Vorwurf der „Lügenpresse“ ist absurd.
Andererseits besteht für Journalisten und Journalistinnen
durchaus Anlass, sich an die eigene Nase zu fassen.
Von S t e ph a n H e b e l
47
A m A n f a n g d e s J a h r e s 2 0 1 5 erklärte eine
unabhängige Jury, der vier Sprachwissenschaftler sowie eine Journalistin und ein Journalist angehörten, den Begriff „Lügenpresse“
zum Unwort des Jahres 2014. In ihrer Begründung verwies die
Jury nicht nur darauf, dass es sich um einen „Kampfbegriff“ handle, der nicht zuletzt „auch den Nationalsozialisten zur pauschalen
Diffamierung unabhängiger Medien“ diente. Sie betonte auch:
„Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht
alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel.“
Aber gerade eine „fundierte Medienkritik“ werde durch Pauschalurteile wie „Lügenpresse“ erschwert.
Die Reaktionen kamen prompt, und sie kamen keineswegs nur
aus jenen Kreisen, die mit den „Halt die Fresse, Lügenpresse“
schreienden Pegida-Demonstranten sympathisieren. Die folgenden
Zitate stammen allesamt von Nutzern des Internetportals „NachDenkSeiten“, das sich – gegründet von zwei langjährigen Sozialdemokraten – als aufgeklärt linke, medienkritische Stimme versteht.
Dort konnte man – neben einer sachlich vorgetragenen Kritik von
Mitherausgeber Albrecht Müller an der Unwort-Entscheidung –
unter anderem Folgendes lesen:
„Die Entscheidung für Lügenpresse als Unwort stellt sich schützend vor eine abgehobene und arrogante Journalistenkaste, die es
eigentlich hart zu kritisieren gilt. Die offenbare Gleichschaltung
auf Natokurs, das Unterdrücken von Informationen, bewusste
Falschmeldungen und Übertreibungen – es ist unübersehbar das
die Presse ihre Aufgabe in der Gesellschaft vergessen und verraten
hat.“
Oder:
„Es beweist etlichen wieder einmal, dass ,die Presse‘ zu keinem
Dialog bereit ist, sondern sich mit Nazi-Keulen einmauert – sehr
traurig!“
Oder kürzer:
„Es geht jetzt wohl um den Endsieg der Meinungsmacher.“
Pauschale Absprechung der Wächter-Aufgabe
Interessant ist an diesen Reaktionen nicht nur, dass inzwischen
auch auf der linken Seite des politischen Spektrums manch einer
die „Nazi-Keule“ zu spüren glaubt, wenn er sich mit historischen Tatsachen konfrontiert sieht. Interessant ist vor allem auch
zweierlei: Da ist erstens die Bereitschaft, der Presse die Fähigkeit
zur Erfüllung ihrer Wächter-Aufgabe pauschal und vollständig
abzusprechen. Und zweitens der Hauch von Verschwörungstheorie,
der da mitschwingt. Der Journalist und Medienkritiker Walter
von Rossum hat dieser Logik des Verdachts erschreckend deutlich
Ausdruck gegeben: „Wenn man in dieser Situation ,Lügenpresse‘
zum Unwort des Jahres erhebt, dann klärt man nichts, sondern
trägt weiter zur Verunklärung der Lage bei. Aber vielleicht ging es
darum ja.“
Eine fantasievolle Vorstellung ist das: Nicht nur, dass die NATO,
die Bundesregierung, die Banken oder wer auch immer die Medien
zur „Verunklärung der Lage“ verdonnert. Auch die Sprachwissenschaft stellt sich, in Komplizenschaft mit „Lohnschreibern“ wie
der diesjährigen Gastjurorin Christine Westermann, in den Dienst
der Volksverdummung.
Das ist absurd. Aber fatal ist auch die unter manchen Journalistinnen und Journalisten verbreitete Neigung, die Sache unter Verweis auf skurrile Wutausbrüche auf sich beruhen zu lassen. Wenig
nützlich ist es auch, einfach nur väterlich besorgt zu reagieren,
wie zum Beispiel Bernd Ulrich in der „Zeit“: „Wenn die Umfragen nicht täuschen, dann stehen zurzeit zwei Drittel der Bürger,
Wähler, Leser gegen vier Fünftel der politischen Klasse, also gegen
die Regierung, gegen die überwältigende Mehrheit des Parlaments
und gegen die meisten Zeitungen und Sender. Aber was heißt
stehen? Viele laufen geradezu Sturm.“
Es ging damals um den Ukraine-Konflikt, und Ulrich fiel als
Antwort auf den Ärger nichts Besseres ein, als genau das zu wiederholen, was manche Leserinnen und Leser offenbar erst auf den
Plan gerufen hatte: „Was mich daran am meisten irritiert, das sind
jedoch nicht die Mehrheitsverhältnisse, sondern die Argumente.
Schließlich geht es hier nicht um das Für und Wider von Mindestlohn oder Atomkraft, es geht um den Konflikt zwischen einem
aggressiven Autokraten und den westlichen Demokratien.“
Genau so wollen es, um beim Ukraine-Beispiel zu bleiben, offensichtlich viele Menschen nicht sehen. Und das sind keineswegs
nur solche, die sich darauf verlegt haben, sowohl den demokratischen Charakter der westlichen Länder als auch den autokratischen
Charakter des Putin-Regimes rundweg zu bestreiten. Unzufrieden
waren mit der Ukraine-Berichterstattung – und sind mit vielem
anderen in den Medien – auch differenziert denkende Zeitgenossen.
Zumindest sie, die Nachdenklichen, sollten uns dazu veranlassen,
uns an die eigene Nase zu fassen. Jenseits pauschaler Verunglimpfungen lassen sich Gründe zur Selbstkritik nämlich durchaus
48 Q u a l t ä t s j o u r n a l i s m u s
finden. Drei Aspekte sollen hier kurz beschrieben werden: die teils
problematische Nähe zwischen Politikbetrieb und Korrespondenten im politisch-medialen Komplex Berlins; die organisatorische
und ökonomische Verfasstheit unserer Medien; und schließlich die
Rolle der digitalen Kommunikation.
stellt, seit die SPD sie in der großen Koalition hat verschwinden
lassen. Und häufig entsteht mit all dem nicht nur bei böswilligen
Mediennutzern der Eindruck, der Journalismus decke vielleicht
das im etablierten Politikbetrieb gerade vorhandene, nicht aber das
gesellschaftliche Meinungsspektrum ab.
Anpassung und Herdenverhalten
Wer es aus besonders berufenem Munde braucht, sei an Richard
von Weizsäcker erinnert, der schon 1992 sagte: „Zu beobachten ist
nun doch, dass die Medien sich der durch die Parteien … vorgegebenen Rangordnung der Fragestellungen immer mehr anpassen.
… Ob Kandidaten gegeneinander kämpfen oder ob da ein Außenseiter es gewagt hat, gegen das öffentlich bekundete Interesse
seiner Partei aufzustehen, das findet immer große Beachtung. …
Wenn es dagegen um eines der großen Probleme unserer Zeit geht,
muss man sich gehörig anstrengen, um die Aufmerksamkeit der
berichtenden und kommentierenden Medien dafür zu gewinnen.“
Erstens:
Der Ort, an dem Politikberichterstattung in Deutschland entsteht,
lässt sich als eine Art Kontakthof beschreiben, in dem Regierende und Volksvertreter ihre Geschäfte mit denjenigen anbahnen,
von denen sie eigentlich kontrolliert werden sollten. „Geschäfte“,
das heißt nicht, dass da jemand mit Geld bestochen würde. Die
Leistung der einen besteht darin, Informationen zu ­liefern. Die
anderen garantieren im Gegenzug die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit. Sie, die Korrespondentinnen und Korrespondenten,
können sich wiederum einen Vorteil im immer härter werdenden
Konkurrenzkampf ihrer Medien erhoffen, wenn ihnen immer mal
wieder jemand etwas steckt oder in aller Verschwiegenheit einen
„Hintergrund“ liefert, an dem sich recherchieren lässt.
Wer sich beim Lesen dieser Beschreibung dabei ertappt hat, all das
für das Normalste der Welt zu halten, ist in Gefahr, das eigentlich
wichtigste „Kapital“ des Journalismus zu vernachlässigen: die
Distanz zum Gegenstand seiner Berichterstattung. Niemand stellt
in Zweifel, dass die Kolleginnen und Kollegen in Berlin ihr Bestes
tun, diese Distanz zu wahren. Aber von außen scheint doch nicht
zu übersehen, dass sich im ständigen, oft vertrauten Austausch
bestimmte Gewohnheiten, Routinen und ungeschriebene Regeln
bilden. Dass Sichtweisen auf die Berichterstattung abfärben, die
eigentlich keine journalistischen sind. Jedenfalls solange es nicht
darum geht, jemanden über eine Affäre stürzen zu lassen.
So entsteht eine Art Herdenverhalten. Mal geben Journalisten
Politikern Ratschläge, wie sie das Wahlvolk am besten betrügen –
so zum Beispiel Markus Feldenkirchen während des Wahlkampfes
2013 im „Spiegel“ der SPD: „Die große, erfolgreiche Illusion des
98er-Wahlkampfs bestand darin, dass Lafontaine und Schröder den
Wählern einredeten, mit ihnen bekämen sie beides auf einmal:
soziale Gerechtigkeit und Innovation, Tradition und Moderne.
Steinbrück und Gabriel hätten das Spiel wiederholen können.“ Mal
herrscht erstaunlich weitgehende Einigkeit zu einzelnen politischen Forderungen, wie etwa bei der Frage nach Steuererhöhungen
für Spitzenverdiener und Vermögende, die kaum jemand mehr
Darauf hätte Bernd Ulrich in seinem schon zitierten Beitrag
eingehen können. Tatsächlich herrschte vor allem zum Beginn
der Ukraine-Krise – und herrscht teilweise bis heute – medial ein
konfrontativer Ton vor. Die wenigen Politiker, die den Westen zur
unermüdlichen Entspannungsarbeit ermunterten, wurden sozusagen wortreich belächelt. Und selbst Außenminister Frank-Walter
Steinmeier dürfte sich gewundert haben, wie spät manche Medien
den deeskalierenden Teil seiner Politik wenigstens zur Kenntnis
nahmen.
Noch einmal:
Der oder die Einzelne hat es unter den herrschenden Konkurrenzbedingungen schwer, zumal man im politisch-medialen Komplex
auch schnell zum Außenseiter werden kann. Aber die Auseinandersetzung mit der Frage, wie journalistische Distanz zu halten oder
wieder zu gewinnen sei, dürfen wir uns alle nicht ersparen.
Was spricht gegen von der Gesellschaft getragene Medien?
Das Stichwort „Konkurrenzbedingungen“ führt zum zweiten
Punkt. Er betrifft direkt nur die Medien in Privatbesitz, strahlt
allerdings auf die Qualität des Journalismus insgesamt aus. Es geht
um die privatwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse der meisten
Zeitungen und eines großen Teils der elektronischen Medien.
Es kann immer wieder erstaunen, auf wie viel Ablehnung schon
vorsichtige Überlegungen stoßen, die „Vierte Gewalt“ durch öffentliche Unterstützung abzusichern. So gibt es für Heribert Prantl
an dieser Stelle nichts zu diskutieren: „Die deutschen Zeitungen
49
brauchen kein Staatsgeld. Sie brauchen aber Journalisten und Verleger, die ihre Arbeit ordentlich machen.“
Tatsächlich hat ja schon der Begriff „Staatsgeld“ – siehe die
Anmerkungen zum ideologischen Herdenverhalten des politischen Journalismus – für die meisten einen negativen Beiklang.
Und natürlich wünscht niemand ein System, in dem „der Staat“
sich einfach als Verleger betätigt. Aber weder Prantl noch andere
Skeptiker können erklären, warum die Abhängigkeit von betriebswirtschaftlichen Kalkulationen und letztlich von der Zahlungsbereitschaft der Anzeigenkunden besser sein soll als eine öffentlichrechtliche Absicherung.
Dagegen wird gern das wenig einladende und nach Parteilogik
funktionierende Gremienwesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeführt. Aber wer sagt, dass sich von der Gesellschaft
getragene Medien nicht auch besser, ja: basisdemokratischer organisieren ließen?
Es war Jürgen Habermas, der die Risiken der privatwirtschaftlichen Organisationsform schon zu seiner Frankfurter Zeit treffend
beschrieb: Im Zeitalter der bürgerlichen Emanzipation seien zwar
„die Einrichtungen des räsonnierenden Publikums gegenüber Eingriffen der öffentlichen Gewalt dadurch gesichert (gewesen), dass
sie sich in der Hand von Privatleuten befanden. Im Maße ihrer
Kommerzialisierung und der ökonomischen, technologischen wie
organisatorischen Konzentration sind sie aber während der letzten
hundert Jahre zu Komplexen gesellschaftlicher Macht geronnen, so
dass gerade der Verbleib in privater Hand die kritischen Funktionen der Publizistik vielfach bedrohte.“
45 Jahre später, im Jahr 2007, skizzierte Habermas dann die naheliegende Konsequenz: „Wenn es um Gas, Elektrizität oder Wasser
geht, ist der Staat verpflichtet, die Energieversorgung der Bevölkerung sicherzustellen“, schrieb er 2007 in der „Süddeutschen
Zeitung“. „Sollte er dazu nicht ebenso verpflichtet sein, wenn es
um jene andere Art von ,Energie‘ geht, ohne deren Zufluss Störun-
Die Energiewende.
Der Schlüssel für eine bessere Zukunft.
Energie für alle, ohne die Umwelt zu belasten: Das ist das Ziel
der Energiewende. Sie ist lokal, denn der Strom wird nicht besser,
wenn er über lange Leitungen kommt. Nur weniger. Grüne Netze,
grüne Produkte, grüne Erzeugung. Das muss gut ineinander greifen.
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50 Q u a l t ä t s j o u r n a l i s m u s
gen auftreten, die den demokratischen Staat selbst beschädigen?“
Als Organisationsformen brachte Habermas neben einmaligen
Subventionen „Stiftungsmodelle mit öffentlicher Beteiligung oder
Steuervergünstigungen für Familieneigentum“ ins Spiel. In Zeiten
der deutlicher werdenden Entfremdung zwischen den Medien und
großen Teilen ihres Publikums sollte man vielleicht auf den großen Vertreter der Frankfurter Schule hören.
Erweiterte Kommunikationsräume
Mit dem ökonomischen Druck, dem sich privatwirtschaftlich
organisierte Medien ausgesetzt sehen, hängt natürlich auch der
dritte Punkt zusammen; die digitale Revolution. Das Internet hat
einerseits die Verlage eines großen Teils ihrer Anzeigenerlöse beraubt (und die Verlage haben viel zu spät begriffen, was da auf sie
zukam). Andererseits stellt das Netz an den Journalismus existenzielle Fragen, bis hin zu derjenigen nach seiner Notwendigkeit.
Die anfangs zitierten Anwürfe gegen die „Lügenpresse“ stellen ja
nur den weniger appetitlichen Teil dessen dar, was mit der Ausbreitung digitaler Kanäle möglich geworden ist. Dazu gehören
neben (oft auch fundierter) Leser- oder Nutzerkritik die Entstehung alternativer Informationsquellen wie Blogs oder die Eins-zueins-Berichterstattung durch Laien auf Twitter und Co.
Autoren und Redaktionen haben noch viel zu lernen, bis sie mit
diesen erweiterten Kommunikationsräumen adäquat umgehen
können. Adäquat heißt allerdings nicht, ihnen das Feld zu überlassen. Wir müssen uns den Kritikern stellen, wenn möglich ohne
die oben zitierte Überheblichkeit der „Zeit“. Wir müssen uns auch
daraufhin überprüfen, ob wir die journalistische Distanz wirklich
ausreichend wahren. Aber wir dürfen auch so selbstbewusst sein,
darauf hinzuweisen, dass selbst die schärfsten Kritiker sich auf Recherchen und Einschätzungen professioneller Journalisten stützen,
wenn es um verlässliche und glaubwürdige Informationen geht.
Wenn der Qualitätsjournalismus sich selbstkritisch diesen Aufgaben stellt, dann ist er alles andere als überflüssig – und kann
den Vorwurf der „Lügenpresse“ umso besser entkräften. Auch hier
können wir uns an Jürgen Habermas halten:
„Ich betrachte die Einführung der digitalen Kommunikation –
nach den Erfindungen der Schrift und des Buchdrucks – als die
dritte große Medienrevolution. Mit diesen jeweils neuen Medien
haben immer mehr Personen zu immer vielfältigeren und immer
dauerhafter gespeicherten Informationen einen immer leichteren
Zugang gefunden. Mit dem letzten Schub hat auch eine Aktivierung stattgefunden – aus Lesern werden Autoren“, sagte er im
vergangenen Jahr der „Frankfurter Rundschau“. Aber: „Das Netz
… zerstreut. Denken Sie an die spontan auftauchenden Portale,
sagen wir: für hochspezialisierte Briefmarkenfreunde, Europarechtler oder anonyme Alkoholiker. … Den in sich abgeschlossenen
Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles
einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. Für diese Konzentration
braucht man die Auswahl und kenntnisreiche Kommentierung
von einschlägigen Themen, Beiträgen und Informationen. Die
nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus
sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht untergehen.“
Wir müssen sie allerdings auch sorgfältig pflegen.
S t e p h a n H e b e l schreibt als politischer Autor unter
anderem für die „Frankfurter Rundschau“ und ist ständiges
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Qualtätsjournalismus
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52
Der Mangel an
Journalismus
ist dramatisch
Die deutsche Presse fällt nicht gern aus der Rolle.
Noch weniger begreift sie die Pressefreiheit als Verpflichtung
zur Kontrolle. Und wenn es um die Rendite geht,
dann hört für manchen Verleger von heute der „Spaß“ auf,
Von C h r i s t i a n B o m m a r i u s
53
E s g i b t k a u m e i n e n J o u r n a l i s t e n in
Deutschland, der nicht jederzeit die Krise der Medien beklagt.
Aber es gab und gibt keine Krise der Medien, es gab und gibt nur
eine Krise des Journalismus. Nicht das Internet bedroht den Beruf,
sondern die Journalisten selbst sind es, die zunehmend jegliche
Seriosität im Umgang mit politisch oder gesellschaftlich relevanten Themen verweigern. Einigen ausgezeichneten, profund und
kritisch berichtenden Zeitungen und Anstalten steht die immer
größer werdende Masse der Blätter und Sender gegenüber, die den
Husten eines Fernsehquizmasters zum Tagesthema machen und
den Beitrag über eine Talkshow für politische Berichterstattung
halten. Soeben hat eine Studie der Otto Brenner Stiftung den deutschen Medien in der Berichterstattung über die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds Totalversagen vorgeworfen, weil sie
jahrelang den Angaben der Behörden gutgläubig vertraut und auf
eigene Berichterstattung verzichtet hatten. Das Ergebnis war bekanntlich, dass die Deutschen immer wieder mit Nachrichten über
die neuesten „Döner-Morde“ bei ausländerfeindlicher Laune gehalten wurden, statt von rechtsterroristischen Verbrechen zu lesen.
Wenn die Medien sich zunehmend nur noch als Nachrichtenübermittler und als Gestalter von Unterhaltungsprogrammen verstehen, dann hat das weder mit Kritik noch mit Kontrolle zu tun;
von den Journalisten verlangt das alles, nur keine eigene Haltung.
Aber das ist keine Überraschung in einem Land, in dem die Maxime eines früheren Fernsehmoderators zum Leitwort des nach ihm
benannten „Hanns-Joachim-Friedrich-Preises für Fernsehjournalismus“ werden konnte: „Einen guten Journalisten erkennt man
daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache, auch nicht
mit einer guten Sache.“ Kein Politiker und kein Wirtschaftsführer
hätten den für sie „guten Journalisten“ besser definieren können.
Es fehlt in Deutschland nicht an Medien und erst recht nicht an
Journalisten, aber der Mangel an Journalismus ist dramatisch. Und
der Ernst der Lage ist daran zu erkennen, dass der Journalismus
das keineswegs als Mangel empfindet. Selbst der Ernst der eigenen
Lage ist ihm Hekuba, wie ihm alles Ernste Hekuba ist, nur nicht
der Spaß, die Breaking News, die Gefälligkeit und die Rendite
– bei ihr hört der Spaß selbstverständlich auf. Der Journalismus
aber hat schon lange vorher aufgehört. Nichts gegen Journalismus,
der Spaß versteht, aber alles gegen einen Journalismus, der alles,
auch sich selbst nur noch als Spaß versteht und erst wieder bei der
Rendite ernst macht. Das aber ist die Lage. Sie wird bestimmt
von Verlagsmanagern, die genauso gut in Würsten, Intimspray
oder Derivaten machen könnten und entsprechend den Schutz
der Pressefreiheit für ein Wirtschaftsgrundrecht halten, sie wird
bestimmt von Chefredakteuren, deren Bildungsniveau nur als Abgrund anzusprechen ist und die von Recherche nur wissen, dass es
sich um ein Fremdwort handelt, das sie nicht in der Zeitung lesen
möchten. Sie wird folgerichtig bestimmt von immer mehr sogenannten Journalisten, die irgendwann irgendwie irgendwas „mit
Medien“ zu machen wünschten – der Erfolg ihrer Bemühungen
sollte Anlass sein, über Beschränkungen der Berufswahlfreiheit in
Deutschland nachzudenken.
Doch es wäre dreist zu behaupten, früher sei alles besser gewesen.
Nur einmal, vor gut 52 Jahren, ist die deutsche Presse so richtig aus der Rolle gefallen. Es war das erste Mal, und vermutlich
beschwören Journalisten deshalb bis heute so leidenschaftlich die
Erinnerung daran, wenn sie – was sie gerne tun – auf Podien sitzen
und öffentlich über die Ethik der Medien reflektieren. Kommt ihre
Rede auf dieses erste Mal, hellen sich die Mienen der Journalisten
auf, ihre Augen glänzen fiebrig, und den Saal, das Studio oder was
sonst auch immer sich mit Wortwolken zur Medienethik bedampfen lässt, durchweht die Stimmung von Andacht und Weihe. Und
ihre Rede kommt so unvermeidlich darauf, wie wohl auch der
senile Ex-Weltmeister im Komasaufen selbst nach Jahrzehnten
sein Publikum immer und immer wieder mit prickelnden Details
seines frühen sportiven Triumphs zu verzücken versucht.
Einmalig, rufen die Journalisten dann, einmalig, wie die Tagespresse der Bundesrepublik damals vor 52 Jahren so richtig aus der
Rolle gefallen ist, einmalig, wie Zeitungskommentatoren damals
nicht schrieben, was andere sagten, und nicht sagten, was sie woanders gelesen hatten, sondern tatsächlich kommentierten, einmalig, wie den Redakteuren damals dämmerte, dass in einer Zeitung
nicht nur Informationen stehen müssen, sondern sogar eigene
Gedanken Platz finden dürfen. Und einmalig auch, dass dieses
Geschehen von einem einmaligen Ereignis bewirkt worden ist: der
Spiegel-Affäre. Nur vergessen die erinnerungsbesoffenen Journalisten an dieser Stelle zuverlässig zu erwähnen, dass die Rolle, die
die bundesdeutsche Presse in der Spiegel-Affäre spielte, bis heute
von ihr nicht gern und darum nur sehr selten gespielt zu werden
pflegt. Denn die deutsche Presse liebt es ganz und gar nicht, aus
der Rolle zu fallen.
Deshalb hat 1962 niemand damit gerechnet, schon gar nicht die
Bundesregierung, die Bundesanwaltschaft, das Bundeskriminalamt und der Militärische Abschirmdienst. Weder Bundeskanzler
Konrad Adenauer (CDU) noch Bundesverteidigungsminister Franz
Josef Strauß (CSU), nicht einmal der Herausgeber und Chefredakteur des „Spiegel“, Rudolf Augstein, dürfte vorausgesehen haben,
welche Folgen ein Beitrag im Hamburger Nachrichtenmagazin
haben würde. Mit einem Artikel über die mangelhafte Ausstattung der Bundeswehr („Bedingt abwehrbereit“) begann nicht nur
die größte politische Affäre in der Geschichte der jungen Bundesrepublik, die Augstein und leitende Redakteure des Magazins
vorübergehend einen Gefängnisaufenthalt, dem „Spiegel“ jedoch
den Ruf eintrug, „Sturmgeschütz der Demokratie“ zu sein, und
bis heute als wahre Geburtsstunde einer selbstbewussten, kritischen, freiheitsbewussten deutschen Presse gilt. Über Nacht schien
sie erkannt zu haben, dass Redaktionen keine Filialen staatlicher
Institutionen sind, Zeitungen keine Verlautbarungsblätter der Regierung und das Wort der Presse nicht im Sold des Staates steht,
sondern im Dienst des Grundgesetzes.
54
Qualtätsjournalismus
Tageszeitungsredakteure und Verleger auf den Barrikaden – das
hatten die Deutschen lange nicht gesehen. Barrikaden hatten
deutsche Journalisten bei Gelegenheit professionell beglotzt und
beschrieben, aber von einem eigenen Aufenthalt dort vorsorglich
abgesehen. Die Gründe, warum sie dreizehn Jahre nach Gründung
der Bundesrepublik plötzlich den Mut dazu fanden und sich dem
Staat öffentlich entgegenstellten, hat Paul Sethe, nach dem Krieg
einer der Gründungsherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“, genannt: „Die besonderen Begleitumstände des Vorgehens gegen den Spiegel waren nur möglich, weil einige mächtige
Leute uns noch immer für ein Volk von geborenen Untertanen
ansehen. Sie müssen heute einsehen, dass sie sich getäuscht haben.
Offensichtlich wollen zahllose Deutsche wirklich freie und aufrechte Staatsbürger sein, und sie verlangen, dass dieser Wille
respektiert wird.“ So war es. Und eben das war der Affront. Eine
Presse, der bewusst war, dass sie nicht dem Staat, sondern der
Gesellschaft zu dienen hat, die das Wort nicht den Regierenden,
sondern der Kritik an den Regierenden zur Verfügung stellt, hatte
die Bonner Republik bis dahin nicht gekannt.
Dieses Bewusstsein war nicht neu, nur war es den deutschen Journalisten in den vergangenen hundert Jahren verloren gegangen.
Ohne das Bewusstsein hätte es vor 1848 keine politisch fungierende Öffentlichkeit in Deutschland gegeben. Sie wurde von der
Presse begründet – von Journalisten wie Johann Georg August
Wirth („Die freie Presse ist die Schutzwehr der Völker gegen die
Tyrannei der Machthaber“) und Philipp Jakob Siebenpfeiffer –, das
Bürgertum wäre auch ohne sie ausgekommen. Das gilt erst recht
für die Zeit nach der gescheiterten Revolution von 1848, als das
Bürgertum sich dem Staat unterworfen, ihm die Wahrnehmung
seiner wirtschaftlichen Interessen überlassen und im Gegenzug auf
die Durchsetzung der politischen Demokratie verzichtet hatte. Die
politisch fungierende Öffentlichkeit war damit Sache der Presse;
nicht das Bürgertum, sondern Journalisten und Publizisten wie
Johann Jacoby, Heinrich Heine und Ludwig Börne gerieten damit
in direkte Konfrontation mit dem Staat. Die Unterdrückung
der Pressefreiheit war nicht nur Symptom, sondern Synonym für
­Demokratieverweigerung.
Daran änderte sich nichts, nachdem der Reichstag 1874 im Reichspressegesetz formal die Pressefreiheit zugestanden hatte. In der
Unterdrückung der freien Presse setzten die staatlichen Instanzen
fortan weniger auf Verbote, vielmehr auf Manipulation und Vorenthalten von Informationen durch ein System staatlicher Pressestellen. Reichskanzler Bismarck, ein herausragender Stratege manipulativer Öffentlichkeitsarbeit, schloss am 10. Juni 1869 einen
Geheimvertrag mit Wolffs Telegraphischem Bureau (W. T. B.), der
ersten Nachrichtenagentur in Deutschland, mit dem er seinen Einfluss auf Nachrichtenauswahl und -gestaltung sicherte. So wurde
die deutsche Presse, so hat sie sich auch selber zugerichtet, bis ein
Schoßhund im Vergleich mit ihr wie ein Dobermann erscheinen
musste und selbst Kaiser Wilhelm II. den Mut zur Häme fand.
In einem Brief an seinen Onkel, den britischen König Edward
VII., feixte er, zwar sei die Presse in Deutschland und in England
gleichermaßen „greulich“, aber in Deutschland habe sie wenigstens nichts zu sagen. Das traf nicht ganz den Kern. Das Wenige,
das die deutsche Presse bis 1914 vielleicht noch zu sagen gehabt
hätte, kam ihr als Jubelschrei über die Lippen, als Deutschland das
neutrale Belgien überfiel und damit den Ersten Weltkrieg begann.
Selbst die renommierte, vergleichsweise selbstbewusste „Frankfurter Zeitung“ stellte sich jetzt ohne zu zögern als Verlautbarungsorgan der Reichsregierung zur Verfügung: „Wir werden siegen, denn
wir müssen siegen.“
N a ch d e m v e r l o r e n e n K r i e g , mit Gründung der Weimarer Republik und der endlich gewährleisteten
Pressefreiheit wäre eine gute Gelegenheit für Journalisten und
Verleger gewesen, sich auf die Anfänge in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zu besinnen und sich als unentbehrliches
­demokratisches Moment der jungen Republik zu begreifen. Und
natürlich hat es solche Zeitungen, solche Journalisten und solche
Verleger auch gegeben, zum Beispiel die „Weltbühne“ mit Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky oder das
„Berliner Tageblatt“ mit dem Chefredakteur Theodor Wolff, für
das unter anderem Alfred Kerr, Erich Kästner und Alfred Polgar
schrieben, oder auch die „Vossische Zeitung“, das älteste Blatt
­Berlins, in dem einst schon Theodor Fontane veröffentlicht hatte
und in den Zwanzigerjahren der berühmte Gerichtsreporter Paul
Schlesinger („Sling“) und der Feuilletonist Monty Jacobs publizierten.
Aber das waren Ausnahmen, Glanzlichter in stockdunkler Nacht,
winzige Oasen, die im Übrigen die Verwüstung und Versteppung
der Presselandschaft nur umso deutlicher hervortreten ließen.
In dieser Landschaft konnte nichts wachsen und gedeihen, kein
Widerspruch gegen Feinde der Weimarer Republik, kein Widerstand gegen die Zersetzung der Demokratie. Zutreffend resümierte
Alfred Frankenfeld, in den 20er Jahren Journalist und Politiker,
später Chefredakteur im Dienst des Axel Springer Verlags: „Der
Freiheitsanspruch der Presse… hat sich letzten Endes nur in verhältnismäßig wenig Organen bis zuletzt bewährt. Die Masse der
deutschen Zeitungen hat, innerlich schon weitgehend ausgehöhlt,
dem neuen Regime, wenn auch mit Vorbehalten, gehorcht. Eine
gewisse ‚innere‘ Gleichschaltung war der äußeren vorangegangen.“
Wenn die deutsche Presse jemals ein schlechtes Gewissen gehabt
haben sollte, dann war es nach dem Zusammenbruch der NSDiktatur 1945. Niemals waren den deutschen Journalisten die
Erinnerungen an die Anfänge der Presse und ihre demokratische
Funktion in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, niemals war
das Bewusstsein des späteren Versagens im Kaiserreich, im Ersten
Weltkrieg und schließlich in der Weimarer Republik gegenwärtiger als in den Jahren nach 1945. Der von den westlichen Alliierten
verordnete demokratische Neubeginn bot eine Gelegenheit, sich
mit sich selber auszusöhnen und endlich selbstbewusst die demokratische Aufgabe wahrzunehmen, an der man hundert Jahre lang
gescheitert war. Über Nacht waren die – von den Alliierten mit
55
Lizenz versehenen – neuen Tageszeitungen bevölkert von begeisterten Demokraten. Darunter waren viele junge Journalisten,
die nicht nationalsozialistisch vorbelastet waren, aber eben auch
etliche frühere Lohnschreiber der NS-Diktatur.
Deren bruchloser Übergang in die Demokratie verlangt eine Erklärung. Über die stupende Anpassungsfähigkeit deutscher Journalisten hat der Jurist und Journalist Sebastian Haffner Ende der Dreißigerjahre zu Protokoll gegeben: „Viele Zeitungen verschwanden
von den Kiosken – aber viel unheimlicher war, was mit den übrig
gebliebenen geschah. Man erkannte sie nicht mehr recht wieder.
Man ist gewöhnt, mit einer Zeitung wie mit einem Menschen zu
verkehren, nicht wahr, man hat im Gefühl, wie sie auf bestimmte Dinge reagieren, was sie sagen und wie sie es sagen wird. Sagt
sie plötzlich das Gegenteil von allem, was sie gestern gesagt hat,
verleugnet sie sich völlig und zeigt sie ganz entstellte Züge, so
entgeht man nicht einem Gefühl von Irrenhaus. Dies geschah.“
Niemand hat die Gelenkigkeit und Rapidität, mit der die überwältigende Mehrheit der deutschen Journalisten den Wechsel von
der Weimarer Demokratie in den Nationalsozialismus hinter sich
brachte, mehr beeindruckt als die deutschen Journalisten selbst.
Das Gefühl, diesen katastrophalen Bruch in der Geschichte dank
artistischer Flexibilität persönlich bruchlos, ja mopsfidel überstanden zu haben, war offensichtlich so beglückend, dass es nach
Wiederholung verlangte.
Sie ereignete sich nach 1945 in der Bundesrepublik, deren Entdeckung des kritischen, demokratisch eingewurzelten Journalismus
sich, von prominenten Ausnahmen abgesehen, vor allem Journalisten zuschreiben durften, die die Leser bereits als bewährte
Dienstleister der nationalsozialistischen Publizistik kannten. Dazu
zählte beispielsweise Werner Höfer, langjähriger Gastgeber des
ARD-„Frühschoppens“, der als Schreibknecht Josef Goebbels’
einem wegen Wehrkraftzersetzung hingerichteten jungen, bereits
leidlich bekannten Pianisten höhnisch nachgerufen hatte: „Gerade
Prominenz verpflichtet!“ Dazu zählte der Herausgeber und Chefredakteur des Stern, Henri Nannen, der in der Abteilung „Südstern“
der SS-Standarte Kurt Eggers erste journalistische Erfahrungen
gesammelt hatte. Dazu zählten auch die beiden früheren SS-Offiziere Georg Wolff und Horst Mahnke – beide hatte Augstein beim
„Spiegel“ eingestellt, Wolff hatte ursprünglich Chefredakteur,
Mahnke Leiter des persönlichen Büros Augsteins werden sollen.
D a s w a r d i e L a g e d e r d e u t s ch e n
P r e s s e n a ch 1 9 4 5 : In den Redaktionen saßen Seite
an Seite gewendete Nazis und unbeleckte junge Redakteure. Den
einen hatte in der Vergangenheit die Moral gefehlt, die anderen
vermissten in der Gegenwart Erfahrung. So kam man einträchtig
zusammen und begeisterte sich für den neuen demokratischen
Staat, genauer gesagt: für seine Institutionen. Die liebte die Presse
schon damals mehr als ihre Verpflichtung zur Kontrolle der Institutionen. Wenn heute von den Medien als „Vierter Gewalt“ die
Rede ist – und auf jedem einschlägigen Symposion ist von kaum
etwas anderem die Rede –, dann ist das ungewollt die bedrückende Wahrheit: Die Medien gesellen sich den drei Staatsgewalten,
zu deren Kontrolle sie verpflichtet sind, gut gelaunt als vierte
im Bunde hinzu. Sowohl vor als auch nach der „Spiegel-Affäre“
hat ein großer Teil der „Vierten Gewalt“ vor den drei anderen
Gewalten die Waffen gestreckt – die hysterische Angst vor den
Kommunisten und deren Verfolgung in den ersten Jahrzehnten
der Republik hat die Presse eher gefördert als kritisch betrachtet.
Selbst der vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterte Versuch
Adenauers, sich sein eigenes Staatsfernsehen zu schaffen und wie
einst Bismarck die Bevölkerung nach Gusto mit Nachrichten zu
beliefern, wurde mit eher wohlwollendem Desinteresse betrachtet.
Daher damals die Bestürzung der Regierenden, als es die deutsche
Presse wagte, ein Mal, ein einziges Mal, in der „Spiegel-Affäre“ aus
der Rolle zu fallen.
Als das Bundesverfassungsgericht im Sommer 1966 sein berühmtes „Spiegel-Urteil“ verkündete, lehnte es nicht nur – mit vier
zu vier Richterstimmen – die Verfassungsbeschwerde Augsteins
gegen das Vorgehen der Sicherheitsbehörden ab, zugleich bescheinigte es der Presse eine entscheidende Funktion in der Demokratie: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner
Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. … In der
repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges
Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen
gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“ Schon damals
haben nur wenige Journalisten begriffen, dass die so beschriebene
Pressefreiheit nicht nur das Recht ist, über Politik zu berichten, sie
zu moderieren und hier und dort mit einem Leitartikel zu bedenken. Sie ist die Verpflichtung zur Kontrolle. Die aber setzt Kenntnis, Unabhängigkeit und die Bereitschaft zur Kritik voraus.
Vielen gemein ist das Unvermögen, Journalismus nicht als
Dienstleistung am Kunden, sondern als Dienstleistung an der
Gesellschaft zu begreifen, die auf die Leistung nicht etwa deshalb
Anspruch hat, weil sie dafür bezahlt, sondern weil das Grundgesetz ihn ihr verschafft. Die Freiheit der Presse ist nicht deshalb
besonders geschützt, weil die Verfassung die Renditeerwartungen
von Unternehmen heben und Leistungsverweigerern ein neues
Betätigungsfeld als Chefredakteure erschließen wollte, sondern
weil die demokratische Gesellschaft ohne den freien Fluss der
Information, ohne deren professionelle Aufarbeitung und kritische
Kommentierung nicht bestehen kann. Wenn das nicht verstanden wird – und immer weniger wollen es verstehen –, dann ist es
nicht einmal mehr ein Lippenbekenntnis, sondern eine Lüge, wenn
Journalisten – wie es in diesem Jahr für ein paar Tage schauerliche
Mode war – beteuern: „Je suis Charlie.“
C h r i s t i a n B o m m a r i u s ist Chefkommentator der DuMont Redaktionsgemeinschaft und schreibt für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter
Rundschau“. 2008 erhielt er den Otto Brenner Preis.
[email protected]
Qualtätsjournalismus
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56
Wenn Themen vom
Qualitätsjournalismus hat viele Facetten. Dazu gehören
Sorgfalt, Gründlichkeit und die Bereitschaft, Themen
nicht für den Augenblick eines Trends, sondern
über einen längeren Zeitraum hinweg und von den unter­
schiedlichsten Seiten zu beackern. Kurz: Qualitätsjournalis­
mus muss auch nachhaltig sein. Das gilt erst recht,
wenn er sich mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigt.
Von J o a ch i m W i l l e
Himmel fallen
W a l d s t e r b e n ? Was war das noch einmal? Gab es das
überhaupt? War doch nur von den Medien geschürte Ökohysterie
der frühen 1980er Jahre. Katastrophenjournalismus. UmweltMedienhype. Die Bäume stehen doch noch. Der Wald ist grün
geblieben. Ja die Forstfläche in Deutschland wächst sogar, und es
kann mehr Holz geschlagen werden denn je.
erreichten, was „nachhaltigen Journalismus“ ausmacht: Sie schufen
eine breite Informationsbasis, trafen den Nerv der Zeitgenossen
– und trugen maßgeblich zu dem öffentlichen Druck bei, der bewirkte, dass die Politiker schnell konkrete politische Maßnahmen
ergriffen. Die Vierte Gewalt funktionierte. Der saure Regen wurde
eingedämmt.
Heute glauben das viele: Nicht der saure Regen ließ damals die
Bäume sterben. Es waren die Journalisten, die einigen Forstexperten und Umweltverbänden mit ihren übertriebenen Kassandra­
rufen auf den Leim gegangen waren. Doch das ist falsch. Das
Waldsterben war nicht bloß ein emotional aufgeladenes Medienereignis, eine Hysterie ohne wirkliche Faktenbasis, wie einige
Kritiker später behaupteten. Es ist zwar richtig: Die Journalisten
haben damals und danach bei diesem Thema auch Fehler gemacht.
Es gab Übertreibungen, und viele der Schreiber und Redakteure
verloren nach dem „Hype“ zu schnell wieder das Interesse. Aber sie
Waldsterben: Journalisten machten einen guten Job
Forstwissenschaftler hatten das Katastrophenszenario, dass der
Wald großräumig absterben könnte, erstmals 1979 aufgestellt.
Die Medien griffen es etwa ab Mitte 1981 auf. Sofort entbrannte
eine breite öffentlichen Debatte. Das Waldsterben war über Jahre
ständig in Presse und Rundfunk, es avancierte zum „Umweltproblem Nummer eins“, so eine dpa-Umfrage vom Sommer 1982.
Reportagen über dürre Wipfel, Baumgerippe, kahle Hügel, wo
vorher Wald gewesen war, flammende Kommentare. Das Nachbarland Tschechoslowakei mit seinen vielen schwefelspeienden
58
Qualtätsjournalismus
Super-GAU in Tschernobyl:
Mär vom „Restrisiko“
der Atomtechnologie entlarvt
Braunkohlemeilern und wegrasierten Erzgebirgswäldern lieferte
einen drastischen Blick in die Zukunft. Die Journalisten warnten
vor flächenhaft wegbrechenden Waldbeständen, vor einer drohenden „Säuresteppe“. Manche vergriffen sich auch gewaltig in den
Metaphern, wenn sie von einem „ökologischen Hiroshima“ oder
gar einem „ökologischen Holocaust“ (Zitate aus dem „Spiegel“ von
1983) schrieben.
Die Politik reagierte schnell. Für Kohlekraftwerke wurden bereits
1983, nur zwei Jahre nachdem das Problem erstmals Schlagzeilen gemacht hatte, Schwefelfilter vorgeschrieben. Autos mussten
ab 1984 sukzessive mit Katalysatoren ausgerüstet werden. Die
Schwefeldioxid-Emissionen, Hauptquelle des sauren Regens,
Ende der 1970er Jahre satte acht Millionen Tonnen pro Jahr,
sanken deutlich. Inzwischen sind es nur noch rund 0,5 Millionen
Tonnen. Dadurch wurde ein Fortschreiten der Schäden gestoppt,
das „Waldsterben“ abgewendet. Zwar weiß man heute, dass
auch waldbauliche Fehler – zu viele Monokulturen, nicht an den
Standort angepasste Baumarten – und möglicherweise bereits der
Klimawandel eine Rolle beim Waldsterben spielten, das später in
„Neuartige Waldschäden“ umgetauft wurde. Doch keine Frage:
Ohne die Maßnahmen zur Luftreinhaltung gäbe es den Wald, wie
wir ihn kennen, nicht mehr. Unter dem Strich bleibt: Die damals
aktiven Journalisten, ihre Zeitungen, Magazine und Rundfunkhäuser haben einen guten Job gemacht.
Die Anfänge des Umweltjournalismus
Das Waldsterben war der erste Öko-GAU, der zu einem solchen
Megathema avancierte. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten hatte
es „Umweltjournalismus“ im engeren Sinnen ja noch gar nicht
gegeben. Umwelt- und Naturzerstörung war ein Nischenthema.
Industriegifte im Abwasser, Schaumberge auf Flüssen, Luftverschmutzung durch Kohlemeiler und Stahlwerke – das interessierte
die Betroffenen und, wenn es gut ging, die Journalisten vor Ort.
Bundesweite Aufreger erzeugte das nicht. Die Situation änderte
sich in den 1970er Jahren. Die Initialzündung für den Umweltjournalismus kam 1972 mit der Berichterstattung über den Report
„Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome, und den Nachbrenner lieferte die erste Ölkrise, die im Jahr danach die Voraussagen zur drohenden Knappheit der Rohstoffe zu bestätigen schien.
Die Ökologie- und die Ressourcenkrise wurden so bedeutsam, weil
sie die Grundfesten des Wirtschaftens zu erodieren drohten. Es
ging nicht mehr „nur“ um Umweltprobleme, die die rasant steigende Nutzung der Rohstoffe auslösen würde, sondern auch um
ökonomische und soziale Folgen dieser Entwicklung.
Die Journalisten, die diese Themen aufgriffen, waren die Ersten,
die sich um eine „ganzheitliche Sicht“ auf die Welt bemühten. Sie
bewegten sich erstmals in dem Grenzbereich zwischen Ökonomie,
Natur, Sozialpolitik und Technik, sie übten ein Querschnittsdenken, das den Umweltjournalismus prägt und ihn bis heute auch
besonders anspruchsvoll macht. Es war bereits eine Berichterstattung über „Nachhaltigkeit“, bevor dieses inzwischen inflationär
gebrauchte Wort – durch die Brundtland-Kommission („Our
Common Future“, 1987) – überhaupt in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang fand. Eine Ausbildung für einen solchen Querschnittsjournalismus hatte niemand, wie auch. Es war „learning by
doing“, mehr oder minder erfolgreich.
Schleichender GAU
Das nachfolgende Jahrzehnt brachte die erste Hochzeit des Ökojournalismus. Das „Waldsterben“ war nur der Auftakt gewesen.
Die Themen lagen auf der Straße. Genauer: Fielen vom Himmel.
Luftverschmutzung und Wintersmog, Ozonloch und Klimakata­
strophe. Es gab einen „Rhein-GAU“ mit tonnenweise toten
­Fischen kieloben, Folge eines Brandes beim Sandoz-Konzern in
Basel. Dazu giftige Holschutzmittel und Dioxin in der Muttermilch. Und, nicht zu vergessen, den Super-GAU in Tschernobyl,
der die Mär vom „Restrisiko“ der Atomtechnologie als solche
entlarvte und der Anti-AKW-Bewegung und der Idee der „Energiewende“ zusätzlichen Schub gab.
Der Umweltjournalismus entwickelte sich, wurde Mainstream.
Er ging auch zunehmend in die Tiefe, hellte Hintergründe auf,
sah sich gefordert, Lösungen zu suchen und darzustellen. Trendsetter war Horst Sterns Umweltmagazin „Natur“, das 1980 auf den
Markt kam. Das Verbrauchermagazin „Ökotest“ folgte fünf Jahre
später. Tageszeitungen begannen, Umweltseiten mit Ratgebercharakter zu drucken, Rundfunksender richteten regelmäßige Umweltsendungen ein, teilweise wurden eigene Umweltredaktionen
gegründet. Die Voraussetzungen waren da: Die Actziger hätten zur
breiten Startrampe für einen Nachhaltigkeitsjournalismus werden
können. Wurden sie aber nicht. Denn was dann kam, bedeutete
den schleichenden GAU für das Projekt.
Es war grotesk: Die Wissenschaftler trugen in den 1990er Jahren immer mehr Erkenntnisse über die Gefahr des Klimawandels
zusammen, die Vereinten Nationen veranstalteten in Rio einen
„Erdgipfel“ zur nachhaltigen Entwicklung, und die erneuerbaren
Energien begannen, noch zaghaft, aber immerhin, ihren Siegeszug.
Doch gleichzeitig schwand das Interesse an Umweltfragen. Das
historische Großereignis Wiedervereinigung ließ wenig Spielraum
für andere Themen. Die Grünen, die Wahlkampf mit Klima statt
Einheit machten, bekamen die Quittung dafür. Sie flogen aus dem
Bundestag. Der Mainstream der Medien folgte dem Trend, steuerte nicht gegen – einmal abgesehen von Publikationen wie der
links-alternativen „taz“ oder der „Frankfurter Rundschau“. Bei der
„taz“ hieß (und heißt bis heute) das zweite Ressort nicht „Wirt-
Foto © Dragunov1981 – iStockphoto.com
60
Qualtätsjournalismus
schaft“, sondern „Wirtschaft und Umwelt“, und die FR profilierte
sich mit einer 1992 zum Rio-Gipfel neu gegründeten wöchent­
lichen Umweltseite.
Sonst aber hieß es bei den meisten Verlegern, Chefredakteuren und
vielen Journalisten am Desk: Was ist schon eine Klimakatastrophe gegen Kohls „blühende Landschaften“? Sich mit den ökologischen Langfristthemen zu beschäftigen, erschien unattraktiv.
Karrierefördernd auch nicht. Die „neuartigen Waldschäden“ lagen
zwar weiter auf hohem Niveau, aber sie mutierten zum Fall fürs
Vermischte. Wenn sie nicht gleich ganz unter den Tisch fielen.
Nachhaltiger Journalismus? Fehlanzeige. Das war der Tiefpunkt?
Nein. Noch nicht. Es ging noch schlimmer. Um wegweisende
Konzepte wie die ökologische Steuerreform (Umwelt verteuern,
Arbeit verbilligen!), die damals entwickelt wurden, kümmerte
sich nur eine Handvoll übrig gebliebener Ökospezialisten unter
den Journalisten. Als die Ökosteuer dann Politik wurde, ging es
in den Medien zwar zur Sache, aber mit dem Holzhammer. Statt
über das Konzept und seine Vorteile für Ökologie und Arbeitsmarkt aufzuklären, hämmerten die Medien den „Fünf-Mark-Sprit“
der Grünen in die Schlagzeilen. Die Ökopartei hätte es bei der
Bundestagswahl 1998 beinahe unter die Fünf-Prozent-Marke
gedrückt. Die „Benzinwut“-Kampagne der „Bild“-Zeitung folgte
später demselben Schema. Das war der Höhepunkt des Anti-­
Umwelt-Journalismus.
Erholung nach dem Tiefpunkt
Die Nullerjahre brachten eine allmähliche Erholung von diesem
Absturz in die mediale Irrelevanz, und diese hat sich, freilich mit
Schwankungen, bis heute fortgesetzt. Zwei Hauptgründe gibt es
dafür. Erstens: Themen wie Windkraft- und Solar-Boom, Atomausstieg, Stromnetzausbau, aber auch Nachhaltigkeit in Unter­
nehmen etablierten sich zunehmend in den Wirtschaftsressorts.
Es war zwingend: Wenn Solarfirmen (wenn auch nur vorübergehend) zu Börsenstars werden, die Energiewende das Geschäftsmodell der traditionellen Energiekonzerne bedroht und die Strompreise explodieren, kann eine Berichterstattung darüber gar nicht
unterbleiben.
Der zweite Grund: Mit dem Klimawandel etablierte sich ein neues
„Megathema“ (die Hamburger Journalistikprofessorin Irene Neverla), am ehesten noch vergleichbar mit dem „Waldsterben“, dieses
an Bedeutung, Komplexität und Dauerhaftigkeit aber bei weitem
übertreffend. Die Prognose ist klar: Das Thema wird für Jahrzehnte bleiben, weil die Dramatik der Folgen der Erderwärmung
unausweichlich zunimmt – durch mehr Extremwetterereignisse,
stärkere Hitzewellen, mehr Überschwemmungen, größere Flüchtlingsströme – und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darauf
reagieren müssen. Zwar wird es auch hier Aufs und Abs geben, wie
beim Klimahype 2007, der den Friedensnobelpreis für Al Gore
und den UN-Klimarat IPCC brachte, gefolgt von der Depression
nach dem Kopenhagener Klimagipfel-Flop von 2009. Doch verschwinden wird das Thema garantiert nicht.
Nachhaltigkeitsjournalismus zwischen Aufbruch
und Ressourcenknappheit
So stellt sich die Frage: Ist der heutige Journalismus ausreichend
gewappnet, um dieses Megathema, das mit fast allen anderen
Umweltaspekten von Artensterben über Energiewende bis Ressourcenschwund verknüpft ist, auch angemessen zu bearbeiten?
Die Antwort ist: Ja und nein.
Einerseits sind die Voraussetzungen derzeit besser als jemals zuvor.
Die Berichterstattung über Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit
hat unübersehbar zugenommen. So greifen die klassischen Medien, Zeitungen, Magazine, Rundfunk und TV, diese Themen heute
häufiger auf als jemals zuvor – einfach weil ökologische Umweltbezüge in fast allen Feldern auftauchen, egal ob es um Finanzmärkte, Energieversorgung, Produktinformation, Stadtplanung
oder Erziehung geht. Alte und neue Spezialpublikationen behandeln das Thema auf hohem Niveau: „Natur“, „Öko-Test“, „Zeo2“
und „Greenpeace Magazin“. Hinzu kommen die Onlineangebote,
durch die sich die Möglichkeiten zur Information gerade auch
über „grüne“ Themen gigantisch vermehrt haben. Es geht von
Hardcorejournalismus zu Klimawandel und Ökologie, wie ihn die
Redaktion von „klimaretter.info“ betreibt, über verbraucherorientierte Onlinemagazine wie „utopia.de“, Biokostportale und CO2Rechner bis hin zu den professionell gemachten Angeboten der
Umweltverbände. Der Kommunikationsforscher Professor Gerd
Michelsen von der Leuphana Universität Lüneburg verweist auf die
Chancen „neuer experimenteller Formen und Medien, die Fragen
der Gerechtigkeit, des guten Lebens, neuer Wirtschaftsformen und
ökologischer Grenzen thematisieren“. Der Umweltjournalismus ist
dadurch viel breiter, vielfältiger, bunter, interaktiver geworden.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn auf der anderen Seite
gibt es viele Defizite – alte, die nicht behoben wurden, und neue,
verursacht durch den digitalen Umbruch im Mediengeschäft. Die
Kritik trifft erstens die Journalisten selbst – wegen mangelnder
Professionalität und Kontinuität. Sie behandeln Umwelt-, Naturschutz- und Energiewendethemen vielfach immer noch so, als habe
es 20 Jahre Debatte über die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit
– Ökologie, Ökonomie und Soziales – nicht gegeben: eindimensional, zugespitzt, tendenziös. Eher auf der Suche nach „Krise“
und „Katastrophe“ statt nach Aufklärung, Hintergrund, positiven
Entwicklungen. Ein schlagendes Beispiel: Wenn Journalisten über
die „Explosion“ der Strompreise durch das EEG berichten, dabei
aber die ungedeckten Umweltkosten der konventionellen Energien
konsequent ausblenden, die durch die Energiewende verringert
werden sollen, haben sie ihren Job verfehlt.
Das immerhin ließe sich ändern, im Sinne eines nachhaltigen Journalismus. Durch einen neuen Blick auf die Themen, und, natürlich, eine bessere Aus- und Fortbildung. Vorbild sind hier Großbritannien und die USA, wo es gut etablierte Studiengänge zum
Umweltjournalismus gibt. Deutschland hat hier großen Nachholbedarf, doch immerhin geht die Entwicklung mit Angeboten an
61
Hochschulen in Lüneburg, Darmstadt und Ansbach in die richtige
Richtung. Die professionelle Herausforderung für Journalisten,
die sich den Themen Umwelt und Nachhaltigkeit widmen wollen,
ist freilich hoch. Sie müssen bereit sein, sie über lange Strecken
zu verfolgen und „dran“ zu bleiben, denn positive wie negative
Entwicklungen brauchen hier erfahrungsgemäß besonders viel
Zeit. Waldschäden entwickeln sich über Jahrzehnte, zwischen dem
Beginn des Anti-AKW-Protests und dem Atomausstieg liegt ein
halbes Jahrhundert, und Klimawandel, Klimaschutz und Energiewende sind Themen ganz ohne Verfallsdatum
Das zweite große Defizit ist umso schwieriger zu korrigieren.
Denn die aktuelle Medienkrise macht vor dem Umwelt- und
Nachhaltigkeitsjournalismus natürlich nicht halt. Die Realität
sind Redaktionen mit Minimalbesetzung, Zeitknappheit, Unterhaltungsorientierung, verringerten Recherchekapazitäten, zusammengestrichenen Reiseetats und vor allem Gehältern und Honoraren, die bei vielen „neuen“ Medien kaum noch zum Leben reichen.
Das alles ist keine gute Basis, um „nachhaltigen“ Journalismus zu
machen. Zwar gibt es alternative Medienprojekte, die ganz oder
zum großen Teil auf Crowdfunding oder Stiftungsgeldern basieren,
und Journalisten, die trotz schlechter Bezahlung hervorragende
Arbeit leisten, weil sie für „ihr“ Thema“ brennen. Es existiert eine
große Vielfalt von Ideen, um den Geldmangel und andere Knappheiten auszugleichen, bis hin zu Couchsurfing-Angeboten als ge-
zielter Hilfe für Auslandsreporter. Die Zweifel, dass das auf Dauer
gutgeht, sind groß. Denn (Selbst-)Ausbeutung von Journalisten ist
auf Dauer auch alles andere als nachhaltig.
Es geht kein Weg daran vorbei: Die Medienkrise muss gelöst
werden, wenn hochwertiger, rercherche- und analysestarker Journalismus eine Zukunft haben soll, ob durch Onlinebezahlmodelle,
stiftungsfinanzierte Publikationen, besagtes Crowdfunding oder
andere Konzepte. Doch Verlage und andere Medienhäuser, Chefredakteure und Ressortleiter sind gut beraten, nicht nur diese
Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen. Für einen zukunftsweisenden Journalismus ist auch eine neue Gewichtung der Themen
entscheidend, und die müssen sie organisieren. Sie müssen dafür
sorgen, dass die Redaktionen das Befassen mit der (nicht) nachhaltigen Entwicklung des Globus, der Staaten, Gesellschaften und
Ökonomien als Schwerpunkt begreifen. Denn ohne Expertise auf
diesem Feld werden künftige Krisen nicht erklärbar sein. Und,
genauso wichtig: Ohne sie wird die gesellschaftliche Informationsbasis fehlen für eine gute Politik und ein gutes Leben.
J o a c h i m W i l l e ist Umweltjournalist, geboren 1956. Er war fast
30 Jahre lang Redakteur, Ressortleiter und Reporter bei der „Frankfurter Rundschau“. Seit 2012 arbeitet er als freier Autor für die FR, das Onlinemagazin
klimaretter.info und andere Publikationen, darunter „Bild der Wissenschaft“ und
Fachzeitschriften. Er ist mehrfach mit Journalistenpreisen ausgezeichnet worden.
[email protected]
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62
Qualtätsjournalismus
Die Dynamik
der Schwärme
Crowdfunding ist in aller Munde. Was verbirgt sich hinter
dem alternativen Finanzierungsmodell für Projekte aller Art?
Und funktioniert es wirklich so gut?
Von C h r i s t i a n S ä l z e r
63
Martin Schmitz-Kuhl (l.)
und sein schwarmfinanziertes
Buchprojekt „Bookster“
D a s s i m A p r i l 2 0 1 5 das Buch „Bookster Frankfurt“
mit Porträts aus der hiesigen Buchbranche erschien und die Theaterinstallation „Der große Krieg und die Frauen“ Wirklichkeit
wurde, dass gleichzeitig das erste Album der Band Viola Tamm
aufgenommen wurde und im Sommer im Deutschen Filmmuseum neue Medienkompetenz-Workshops stattfinden – hinter all
dem stecken die Schwärme. Oder englisch: die Crowds. Die vier
Kulturprojekte hatten es im Herbst 2014 mit 24 anderen in die
letzte Runde der Crowdfunding-Initiative kulturMut der Aventis
Foundation geschafft. Einige Wochen lang traten 28 Projekte aus
dem Rhein-Main-Gebiet im Wettbewerb um Fördergelder gegeneinander an. Also sammelten sie Unterstützer und von diesen Geld
ein. Die Projekte, die am meisten Unterstützung fanden und den
selbst gesteckten Zielen am nächsten kamen, hatten es geschafft:
Die Aventis Stiftung legte den Fehlbetrag zur beantragten Finanzierung drauf. Die Schwärme hatten ihr Werk getan.
Demokratisches Versprechen
Der Begriff Crowdfunding und die aus den USA stammenden
Konzepte schwirren seit einigen Jahren durch die kreativen
Branchen des Landes. Die Idee: Wer für ein Projekt oder eine
Gründung Geld benötigt, macht sein Anliegen im Internet publik
und versucht, Unterstützer zu finden. Statt des einen großen
Geldgebers sollen viele Förderer gefunden werden, deren kleine
Beträge sich summieren. Das ist das Prinzip des Schwarms. Meist
erhält der Unterstützer, „Funder“ genannt, eine Gegenleistung.
Diese Gegenleistung kann, je nach Projekt, verschiedene Formen
annehmen: Wer etwa das Buch „Bookster Frankfurt“ mit 22 Euro
unterstützt hatte, erhielt ein Exemplar, sobald es erschienen ist. Er
hatte also nicht gespendet, sondern sich an einer Vorfinanzierung
beteiligt. Wer eine Band unterstützt, bekommt eine Konzertkarte,
wer die Entwicklung eines Computerspiels fördert, kann sich wünschen, dass eine Figur in dem Spiel nach seinem Vorbild gestaltet
wird. In gewisser Weise greift Crowdfunding alte Prinzipien des
Genossenschaftsmodells auf, allerdings in deutlich unverbindlicherer Form und auf der Höhe der digitalen Zeit. Denn alle
Crowdfunding-„Aktionen“ werden über das Internet abgewickelt.
Das sorgt auch für Transparenz: Auf den entsprechenden Websites
kann man sich jederzeit über den Stand der Aktion informieren,
etwa darüber, wie lange sie noch läuft, wie viel Geld bereits eingebracht wurde. Und es macht das Ganze für die Funder komfortabel. Das Handling einer solchen Aktion hingegen ist durchaus
aufwendig. Es braucht eine Präsenz im Web mit entsprechenden
Funktionen, sichere Bezahlfunktionen müssen eingerichtet sein.
Vor allem aber muss jede Aktion Aufmerksamkeit erzielen, um in
den Weiten des Internets auch wahrgenommen zu werden. Daher haben sich übergreifende Plattformen gebildet, über die eine
Vielzahl von Projekten abgewickelt wird. Manche haben sich auf
Start-ups spezialisiert, andere auf Kulturprojekte. Für kreative
Projekte läuft inzwischen die große Mehrheit der Aktionen über
StartNext, das 2010 als erste deutsche Crowdfunding-Plattform
in Dresden gegründet wurde. Ein guter Zeitpunkt, gelten doch
2010 und 2011 als die Durchbruchsjahre für Crowdfunding in
Deutschland. Einen Schub löste das „Stromberg“-Projekt aus: Um
einen geplanten Kinofilm zu der erfolgreichen TV-Serie zu drehen,
startete die Kölner Firma Brainpool das bis dato größte deutsche
Crowdfunding-Projekt: Binnen drei Monaten sollten eine Million
Euro gesammelt werden. Tatsächlich war die Summe bereits nach
einer Woche zusammen.
Inzwischen sind viele auf den Zug aufgesprungen und zahlreiche
Projekte Wirklichkeit geworden. Auch Journalisten sind von dem
Konzept angetan. Die Wucht, mit der sich die Idee verbreitet,
hat viel mit einem ideellen Mehrwert bzw. einem demokratischen
Versprechen zu tun: Der Starter kann dank der Schwärme Projekte
unabhängig vom Wohlwollen eines Chefredakteurs oder Produktionsleiters verfolgen und umsetzen. Und der Unterstützer kann
mitbestimmen. Genau darin liegt der Clou des Crowdfunding:
Der Willen der Vielen setzt sich über die Willkür der Mächtigen hinweg, es geht um Freiheit, Unabhängigkeit und Mit- bzw.
Selbstbestimmung.
Manchmal ist der Schwarm nur eine Herde
Doch ist das wirklich so? Angesichts des Hypes geraten die Schattenseiten leicht aus dem Blick. So verbirgt sich hinter den gern
zitierten Erfolgsaktionen eine enorme Zahl gescheiterter Projekte.
Auch sind Plattformen bereits wieder vom Netz gegangen oder
dümpeln vor sich hin. Einige mussten sich mit dem Vorwurf
64
Qualtätsjournalismus
auseinandersetzen, erfolglose Aktionen auf den Portalen unsichtbar
gemacht und damit den Gesamteindruck geschönt zu haben. Dass
manche Hoffnung sich als überzogen erwiesen hat, könnte auch
an dem fehlleitenden Bild des Schwarms liegen. Dieses suggeriert,
dass man nur etwas Fischfutter ins Wasser werfen muss, und schon
würde eine Masse hungriger Fischer an die Oberfläche schießen.
Im Fall des „Stromberg“-Films war das genau so. Kaum war die
Aktion gestartet, begannen die sozialen Netzwerke zu vibrieren.
Das funktionierte allerdings nur, weil die Voraussetzungen geradezu ideal waren: Die TV-Serie hat Millionen hoch identifizierter
Fans. Über eine solch große, treue und gut aktivierbare Community verfügen allerdings nur die wenigsten Projekte. In Wirklichkeit
entwickeln Aktionen nur in Ausnahmen eine solche Dynamik.
Und statt eines Schwarmes hat man es mitunter eher mit einer
Herde zu tun, die man treiben muss.
Diese Erfahrung hat auch der Journalist Martin Schmitz-Kuhl
gemacht, der sich mit dem Buchprojekt „Bookster Frankfurt“
bei der Crowdfunding-Initiative der Aventis Stiftung beteiligt
hat: „Von sich aus sind nur wenige zum Unterstützer geworden.
Vielmehr musste ich in meinen Netzwerken kräftig wirbeln und
immer weiter wirbeln.“ Tatsächlich gibt es ja nicht allzu viele
Menschen, die sich einfach mal so auf Crowdfunding-Plattformen
umschauen. Hinter den anonymen Vielen stecken oftmals eher die
eigenen Kontakte, Freunde, Bekannten oder gar Angehörige. Trotz
der angebotenen Gegenleistung kann Crowdfunding durchaus den
Charakter einer privaten Bitt- und Bettelrunde annehmen.
Ein Krisensymptom
Genau hierin zeigt sich eine strukturelle Entwicklung: Die
Digitalisierung hat die Schwarmfinanzierung möglich gemacht.
Nötig aber wurde sie durch einen Wandel der „kulturellen Produktionsbedingungen“, nämlich die Krise bisheriger Finanzierungsformen. Was früher die öffentliche Hand oder Unternehmen,
seien es Verlage oder Produktionsfirmen, bezahlt haben, sollen nun
diejenigen übernehmen, mit denen man bei Facebook oder XING
befreundet ist, einmal Visitenkarten ausgetaucht hat oder gar
früher zusammen zur Schule gegangen ist. Insofern: Nicht immer gibt die Qualität eines Projektes den Ausschlag, sondern die
Mobilisierungsfähigkeit der Netzwerke. In diesem Sinne entpuppt
sich Crowdfunding als strukturelles Outsourcing: Wo öffentliche
Gelder immer knapper sind, Kulturförderungen gekürzt werden,
Redaktionen ausgedünnt werden und aus vielen Festanstellungen
prekäre freie Tätigkeiten geworden sind – in solchen Zeiten bietet
Crowdfunding den ersehnten Strohhalm, um Projekte überhaupt
noch angehen zu können.
Hinzu kommt, dass Kreative – seien es Journalisten, Sänger oder
Autoren – beim Crowdfunding zum Gesamtunternehmer werden.
Über ihre kreative Leistung hinaus organisieren sie nun auch die
Finanzierung ihrer Arbeit und übernehmen das nötige Marketing.
Martin Schmitz-Kuhl erzählt: „Von der Darstellung des Projektes
bis zur aktiven Ansprache potenzieller Unterstützer – letztlich
habe ich mich einige Wochen nur darum gekümmert, die Aktion
zum Laufen zu bringen und am Laufen zu halten.“ Ohne Zweifel
hat das Crowdfunding eine partizipative und demokratische Note.
Indem es den Kreativen in verschärfter Form zum Manager seines
Erfolges macht, ist es jedoch auch zutiefst neoliberal. Haben früher
Redaktionen ihren beschäftigten Journalisten Recherchereisen bezahlt, sammeln heute freie Journalisten mittels Schwarmfinanzierung Geld ein, in der Hoffnung, den Beitrag dann an Redaktionen
verkaufen zu können. Das Risiko des Scheiterns trägt kein Verlagshaus, sondern der Einzelne.
Auch beim Crowdfunding ist also nicht alles Gold, was glänzt. Es
ist ein Krisensymptom und bislang ein Nischenphänomen. Das
heißt gleichwohl nicht, dass es nicht Dynamiken in Gang gesetzt
hat, die viele neue Erfahrungen, Experimente, Gründungen und
Projekte möglich gemacht haben.
C h r i s t i a n S ä l z e r ist Journalist und Gesellschafter der Frankfurter Agentur Schwarzburg.
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Foto © rotofrank – iStockphoto.com
Die Nische
macht mobil
Crowdfunding und Journalismus – eine Allianz
für mehr Qualität? Eine Zwischenbilanz.
Von C h r i s t i a n S ä l z e r
66 Q u a l t ä t s j o u r n a l i s m u s
M i t K r a u t r e p o r t e r ging es richtig los. 2013 gründete Sebastian Esser, bis dato Chefredakteur des Online-Medienmagazins „V.i.S.d.P.“, die gleichnamige Crowdfunding-Plattform,
auf der ausschließlich journalistische Projekte nach Unterstützern
suchen konnten. Getreu dem Motto „Entdecke und ermögliche
unabhängigen Journalismus“ konnten Autoren Themen für Artikel
vorschlagen und Leser entscheiden, ob sie die Erstellung des Artikels finanzieren wollten. Wurde die angegebene Finanzierungsschwelle erreicht, begann der Autor mit der Erstellung des Artikels. Die Sache lief gut, unter allen deutschsprachigen Plattformen
entwickelte sich Krautreporter am dynamischsten. Von dem Erfolg
ermutigt, haben ähnliche Portale die Netzbühne betreten. Diese
ermöglichen vor allem freien Journalisten, Themen aufzugreifen,
für die sie aus
den Verlagshäusern kein
Go bekommen
hätten. Machen
die Schwärme
mit, können sie
Geschichten un-
abhängig von Auflagen, dem vermeintlichen Zielgruppeninteresse
oder Kosten-Nutzen-Kalkül verfolgen. Im Dezember 2014 startete
auch das stiftungsfinanzierte Portal Correctiv – es präsentiert etwa
eine umfassende investigative Geschichte über die Hintergründe
des Flugzeugabschusses MH17 über der Ostukraine, die im März
2015 im FPC vorgestellt wurde) – eine Crwodfunding-Plattform,
in Zusammenarbeit mit StartNext.
Krautreporter schlug im Frühjahr 2014 einen neuen Weg ein.
Inspiriert von dem Erfolg von „De Correspondent“ aus den Niederlanden, wandelte sich Krautreporter von einer CrowdfundingPlattform zu einem mittels Crowdfunding finanzierten Onlinemagazin. Dem von den Medien vielbeachteten Projekt gelang es, bis
zum Stichtag am
13. Juni 15.000
Abonnenten zu
gewinnen, die pro
Jahr 60 Euro zahlen. 900.000 Euro
kamen so zusammen, allerdings
„Warum glauben wir, dass es Krautreporter
braucht? Weil vielen Medien Klicks wichtiger sind
als Geschichten. Weil niemand mehr
den Überblick behalten kann, wenn die Welt
nur noch in Eilmeldungen erklärt wird.
Weil Werbung nervt. Weil sich auch in seriösen
Online-Medien der Boulevard ausbreitet.“
Krautreporter
67
auch durch das Engagement einiger Großspender. Am 24. Oktober
wurde das Krautreporter-„Magazin“ freigeschaltet. Magazin in Anführungszeichen, weil Krautreporter nicht wie im Print üblich in
Ausgaben erscheint, sondern chronologisch neue Beiträge hinzugefügt werden, vorrangig lange Reportagen.
betreiben und anbieten. Statt sich von immer schmaleren Spielräumen in den Verlagsredaktionen einhegen und mit spärlichen Honoraren abspeisen zu lassen, wird das eigene Projekt gewagt. Das
journalistische Crowdfunding und die neuen Magazine sind also
nichts anderes als eine Antwort auf die allgemeine Medienkrise.
Damit steht Krautreporter keineswegs alleine, längst ist eine Reihe anderer schwarmbasierter Magazin gestartet (siehe Übersicht).
Die Konzepte sind durchaus unterschiedlich, sowohl hinsichtlich
des thematischen Zuschnitts als auch in den jeweiligen Finanzierungsmodellen. Während die Beiträge bei einigen Magazinen
kostenfrei für alle Nutzer zugänglich sind, muss man bei anderen bezahlen oder Abonnements abschließen. Gleichwohl gibt es
auffällige Gemeinsamkeiten: Alle
Magazingründer
und -macher betonen den Reiz der
Unabhängigkeit
und wollen Qualitätsjournalismus
Zentral ist hierbei die Rolle der digitalen Technik. Auf ihr basiert
die Mobilisierung und Organisierung der Schwärme. Sie ermöglicht aber auch das eigenständige Publizieren. Tatsächlich sind vor
allem Onlineprojekte auf den Weg gebracht worden. Das Spannende dabei ist, dass diese den Onlinejournalismus rehabilitieren bzw.
neu erfinden wollen. Während das Internet die journalistischen
Erzählweisen bislang beschleunigt hat, sind die Magazine bemüht,
ihm wieder Ruhe
zu verschaffen. In
bewusster Abgrenzung zum
Infojournalismus,
der in möglichst
leicht verdaulichen Häppchen
„Der aufklärende Journalismus
steht vor großartigen Zeiten.
Wir können ihn zum Nutzen
der Gesellschaft bürgernäher gestalten.“
David Schraven, Correct!v
68
Qualtätsjournalismus
Auf Crowdfunding basierende Onlinemagazine
Aus der einstigen Crowdfunding-Plattform wurde 2014 durch die bislang größte journalistische Crowdfunding-Kampagne
in Deutschland das Krautreporter-Magazin. Das Autorennetzwerk produziert jeden Tag sorgfältig recherchierte
Reportagen, Porträts und Erklärstücke, die frei zugänglich sind. Mitglieder unterstützen Krautreporter mit fünf Euro im
Monat, als Gegenleistung haben sie Zugriff auf exklusive Inhalte und ePub- oder Audioversionen. krautreporter.de
Noch über die frühere Plattform Krautreporter hat Gründer Sebastian Jasper Fabian Wenzel einen Startbetrag für das
Magazin Weeklys gesammelt, das im März 2014 gestartet ist. Unter dem Motto „Weeklys gibt der Reportage Raum im
Digitalen“ erscheint jeden Freitag eine lange Lesegeschichte von Reportern aus ganz Europa. Als Leser kann man einzelne
Volltexte kaufen oder Abos für ein bestimmtes Kontingent abschließen. Die Hälfte der Erlöse der Geschichten gehen an die
Urheber. weeklys.eu
Ebenfalls Anfang 2014 lief das Crowdfunding für das Wissenschaftsmagazin Substanz – auch hier mit Erfolg, die Aktion
brachte die erwünschte Anschubfinanzierung. Mit dem Anspruch, „Wissenschaft neu zu erzählen“, erscheint jede Woche ein
neues Feature, für den Zugang muss man zahlen. Neben den Einnahmen durch Abos finanziert sich Substanz auch durch
Werbung. www.substanzmagazin.de
In dem auf globale Reportagen konzentrierten Magazin Sieh die Welt erscheint jeden Montag eine neue Geschichte –
kostenfrei für alle Nutzer zugänglich. Finanziert wird das Ganze über Spendenabos: Wer das Magazin mit festen Beträgen
unterstützen, erhält einen Gegenwert, von der Mitgliedschaft in einem Ehrenclub bis zu einem Exemplar einer HardcoverVersion mit den besten Geschichten. siehdiewelt.com
Journalistische Crowdfunding-Plattformen
deepr journalism ging im Frühjahr 2014 an den Start. Auf der Plattform schlagen Autoren Themen für Artikel vor.
Dann entscheiden die Leser durch ihre finanzielle Unterstützung, ob aus dem Vorschlag ein Artikel wird. Die Artikel sind
nur für die Funder zugänglich, also nicht öffentlich sichtbar. Durch die Unterstützung erwirbt man quasi exklusive Leserechte. godeepr.com/de
Im Dezember 2014 startete Correctiv. Recherchen für die Gesellschaft. Der Fokus dieser von Correctiv in
Zusammenarbeit mit StartNext betriebenen Crwodfunding-Plattform liegt auf investigativem Journalismus. Erfolgreiche
Recherchen und Geschichten werden an Zeitungen, Magazine sowie Radio- und Fernsehsender weitergereicht. Da Correctiv
eine gemeinnützige Organisation ist, können Unterstützer ihre Finanzierung als Spende geltend machen. www.correctiv.org
StartNext ist die größte Crowdfunding-Plattform für kreative Projekte in Deutschland. Das Motto: „Kreativität gemeinsam finanzieren.“ Das 2010 gegründete Start-up hat heute zehn Mitarbeiter in Dresden und Berlin. Aus der Vielzahl an
gleichzeitig laufenden Aktionen kann man sich über die Kategorienauswahl alle journalistischen Projekte anzeigen lassen.
www.startnext.de
69
serviert wird, setzen sie ausnahmslos auf lange Lesetexte und Reportagen für interessierte Leserschaften. Es sind also Versuche, sich
den Raum für die Geschichten hinter den Eilmeldungen zurückzuerobern. Auffällig ist auch, dass dabei mit den Möglichkeiten des
digitalen Publizierens experimentiert wird. Wie lassen sich Nutzer
aktiv einbinden, wie können auch lange Geschichten digital funktionieren, wie werden Bilder, Videos oder Animationen eingesetzt?
Bei dem Wissenschaftsmagazin „Substanz“ etwa erscheint jeden
Freitag eine Geschichte in einem neuen Designkonzept.
Ob das gutgehen kann? Die Schwarmfinanzierung hat die Projekte
und die Veröffentlichung von Beiträgen zwar möglich gemacht,
ein tragendes Finanzierungskonzept ist sie allerdings selten. Der
Selbstausbeutungsgrad ist hoch
und angemessene
Bezahlung für die
Autoren (noch)
die Ausnahme.
Hinzu kommt,
dass Krautre-
porter mit dem Schwenk von der Plattform zum Magazin ein
ganz neues Crowdfunding-Experiment gewagt hat. „Traditionell“
basiert nicht nur die journalistische Schwarmfinanzierung darauf,
Unterstützer durch ein bestimmtes Thema zu begeistern, sei es
eine Dokumentation über die Situation in Flüchtlingsheimen, sei
es eine Reportage über die Folgen der Fußball-WM in Brasilien.
Der Inhalt war es, der zu Unterstützung bewegen sollte. Bei den
Magazinen ist das anders: Hier geht es darum, über das konkrete
Thema hinaus unabhängigen Qualitätsjournalismus zu fördern. In
der aktuellen Aufbruchsstimmung hat das ganz gut funktioniert.
Wie groß aber die Masse derjenigen ist, die guten Journalismus
so zu schätzen wissen, dass sie ihn auf Dauer tragen wollen und
können, wird sich erst noch zeigen. Das wird nicht zuletzt davon
abhängen, inwiefern es den Magazinen gelingt, den
selbst erhobenen
Ansprüchen auch
zu genügen. Die
Fallhöhe ist beträchtlich.
„Wir wollen
die Luxusschokolade sein,
von der man sich ein Stück
zum Wochenende gönnt.“
Georg Dahm, Substanz
C h r i s t i a n S ä l z e r ist Journalist und Gesellschafter der Frankfurter Agentur Schwarzburg.
[email protected]
Qualtätsjournalismus
Foto © jaminwell – iStockphoto.com
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Journalismus
In Zeiten knapper Kassen müssen andere Finanzierungs­
modelle her, wenn Qualitätsjournalismus eine Zukunft haben
soll. Wie in den USA springen auch in Deutschland verstärkt
Stiftungen in die Bresche. Was tut sich konkret auf dem
Gebiet des stiftungsfinanzierten Journalismus? Wie wichtig
ist der Aspekt der Gemeinnützigkeit? Und sind die bisher
realisierten Modelle auch langfristig tragfähig?
Ein Überblick.
Von T h o m a s G e h r i n g e r
71
fördern?
Journalismus wird privat oder
ö f f e n t l i ch - r e ch t l i ch f i n a n z i e r t ,
doch in Zeiten der Zeitungskrise nimmt die Idee einer dritten
Säule Formen an. „Gemeinnütziger Journalismus“, sagt David
Schraven, „ist extrem wichtig für die Entwicklung unserer Gesellschaft.“ Schraven leitet das Recherchebüro Correctiv in Essen und
Berlin. Der Träger ist eine gemeinnützige GmbH, die Anschubfinanzierung in Höhe von drei Millionen Euro kam im vergangenen Jahr von der Brost-Stiftung, die sich aus dem Vermögen der
ehemaligen WAZ-Gründer Anneliese und Erich Brost speist.
„Wir sind kein Gewerbebetrieb. Es ist nicht unser Ziel, möglichst
viel Umsatz zu erzielen. Gerade aus dieser Logik wollten wir raus“,
erklärt Schraven, der zuvor für das Investigativ-Ressort in der
Funke (zuvor WAZ-)Mediengruppe verantwortlich war. Die Unabhängigkeit von Correctiv sei vertraglich garantiert. Die BrostStiftung entsende einen Vertreter in den Aufsichtsrat, „der vor allem unsere Zahlen kontrollieren muss. Und das ist mir sehr recht“,
sagt Schraven. Durch Quartalsberichte werden die Geldgeber
zwar auf dem Laufenden gehalten, aber Details über Recherchen
würden darin nicht preisgegeben.
Abseits der Marktlogik
Recherche kostet Zeit und Geld, investigative Recherche ist so
teuer, dass sich das immer weniger Medienhäuser leisten wollen –
oder können. Die „Logik“ von Correctiv weicht in der Tat von den
deutschen Marktgepflogenheiten ab. Die bisher veröffentlichten
Storys wurden gemeinsam mit anderen Redaktionen recherchiert,
und die Ergebnisse danach weiteren Medienhäusern kostenlos zur
Verfügung gestellt. „Wir verstehen unsere Arbeit nicht als Konkurrenz zu etablierten Medien, sondern als Ergänzung“, heißt es im
Code of Conduct unter dem Stichwort „Selbstverständnis“. Zuletzt
waren Correctiv-Autoren an der Suche nach den Schuldigen des
Abschusses von Malaysia-Airlines-Flug MH17 über der Ukraine
beteiligt – gemeinsam mit „Spiegel“ und „Algemeen Dagblad“
aus den Niederlanden. Laut Schraven haben diese Geschichte unter
anderem Medien in den USA, in Malaysia, der Ukraine und Polen
72
Qualtätsjournalismus
über­nommen. Mit der „Zeit“, „Zeit online“ und der Funke Mediengruppe wurde eine Recherche über multiresistente Erreger in
Krankenhäusern realisiert. Correctiv veröffentlicht die Geschichten auch auf eigenen multimedial aufbereiteten Onlineseiten und
liefert interessierten Verlagen auf Abruf („Steal our Story“) Kurzfassungen.
So profitieren klassische Medien von alternativen Finanzierungsmodellen im Journalismus. Dem gemeinnützigen Verein bringt
das keinen Cent, und Werbung findet sich auf den Webseiten auch
nicht. „Ärgerlich“ findet Schraven allerdings, wenn Verlage, wie
geschehen, Texte abdrucken, ohne auf Correctiv und die andernorts
geleistete Recherche zu verweisen. Ist das die Zukunft des Journalismus? Müssen Stiftungen oder gar der Staat für die wirtschaftlich angeschlagenen Medienhäuser einspringen, weil die ihren
gesellschaftlichen Aufgaben nicht mehr in ausreichendem Maße
nachkommen wollen – oder können? Diese Vorstellung gewinnt in
Deutschland an Boden, wenn auch in einem eher mäßigen Tempo.
Der Philosoph Jürgen Habermas stellte den „Gedanken der Subventionierung von Zeitungen und Zeitschriften“ in einem Essay
im Mai 2010 in der „Süddeutschen Zeitung“ in den Raum, nannte
ihn allerdings selbst „gewöhnungsbedürftig“. Eine argwöhnische
Beobachtung des Marktes sei geboten, „weil sich keine Demokratie ein Marktversagen auf diesem Sektor leisten kann“. 2011
forderte die Medienökonomin Marie Luise Kiefer eine öffentliche
Finanzierung des Journalismus, sprich: aus Steuermitteln.
Bedeutsamer als Modellflug
Bisher gilt die Förderung von Journalismus allerdings nicht einmal als gemeinnützig. In Paragraph 52 der Abgabenordnung werden allerlei „gemeinnützige Zwecke“ aufgeführt, die den betreffenden Vereinen steuerliche Vorteile bescheren. Darunter in Punkt
23 die Förderung „des Amateurfunkens, des Modellflugs und des
Hundesports“ – eine etwas kuriose Zusammenstellung in einem
Satz. „Da muss etwas passieren“, erklärt Schraven. „Journalismus
ist gesellschaftlich bedeutsamer als Modellflug.“ Damit das Recherchebüro Correctiv, die Stuttgarter Wochenzeitung „Kontext“
oder der Autoren-Blog Carta als Non-Profit-Medien anerkannt
werden konnten, mussten die jeweiligen Vereine oder Gesellschaften zwangsläufig auf andere als gemeinnützig anerkannte Zwecke
ausweichen, auf die „Förderung von Kunst und Kultur“ etwa
oder die „Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung“.
So sagt Schraven denn auch: „Wir sind kein journalistisches Büro
im eigentlichen Sinne. Wir setzen uns für Bildung und Aufklärung ein.“ Correctiv veranstaltet Schulungen und gibt Lehrbücher
he­raus, „nicht weil wir es müssen, sondern weil wir es wollen“,
betont der gelernte Journalist Schraven.
Dass ein gemeinnütziger Journalismus die Medienlandschaft
umkrempeln oder gar zum Retter aus der Krise werden könnte, ist
nicht zu erwarten. Aber die Anerkennung könnte innovativen Projekten den Start und das Überleben erleichtern. Darauf hofft auch
der Verein Netzwerk Recherche (NR) und verweist auf „Alternativmedien, die vermutlich ohne die Krise nie entstanden wären: lokale Online-Zeitungen und Stadtteilblogs, Independent-Magazine,
Crowdfunding-Projekte, investigativ arbeitende Recherchebüros
und manches mehr“. Nach einer NR-Fachtagung im November
2014 wurde die „Initiative Nonprofit-Journalismus Deutschland“
aus der Taufe gehoben, die die steuerliche Anerkennung von journalistischen Projekten als gemeinnützig fordert. Die Unterstützung durch acht Organisationen und zwei Einzelpersonen, die den
Aufruf bisher unterschrieben haben, lässt allerdings nicht auf ein
überbordendes Interesse in der Branche schließen. Netzwerk Recherche will das Thema weiter vorantreiben, wie Geschäftsführer
Günter Bartsch bekräftigt. Zurzeit sei dies aus Kapazitätsgründen
jedoch nur „auf Sparflamme“ möglich.
Die Frage der Gemeinnützigkeit
Politischer Rückenwind könnte aus Nordrhein-Westfalen kommen:
Die FDP-Fraktion im Landtag hatte die rot-grüne Landesregierung
aufgefordert, lieber eine Bundesrats-Initiative zur Anerkennung
der Gemeinnützigkeit zu ergreifen, statt eine Stiftung zur Förderung des lokalen und regionalen Journalismus ins Leben zu rufen.
Die Stiftung wurde beschlossen, doch auch für den FDP-Vorschlag
gab es in den anderen Fraktionen Sympathie – und am 26. Februar
dazu eine Anhörung im Landtag. Derweil nimmt die unter beträchtlichen Geburtswehen im Herbst 2014 auf den Weg gebrachte
NRW-Stiftung Vielfalt und Partizipation demnächst ihre Arbeit
auf. Verleger und Verfassungsrechtler hatten gegen die ursprünglichen Pläne der Landesregierung wegen mangelnder Staatsferne
Bedenken geäußert, am Ende wurde die Stiftung unter dem Dach
der Landesanstalt für Medien (LfM) angesiedelt. Weil die LfM sich
jedoch größtenteils aus Rundfunkbeiträgen finanziert, darf die mit
jährlich 1,6 Millionen Euro ausgestattete Stiftungsarbeit keinesfalls
auf direktem Weg der Printbranche zugutekommen.
Nach dem politischen Eiertanz hat nun die Vorbereitungsphase
begonnen. Und die besteht laut LfM-Direktor Jürgen Brautmeier
erst einmal in Grundlagenarbeit: „Wir beobachten den Markt,
analysieren die bestehenden Angebote und entwickeln Handlungsempfehlungen.“ Erste Gutachten dazu seien in Auftrag gegeben
worden. „Wir drücken nicht irgendjemandem Geld in die Hand
für irgendein Projekt“, sagt Brautmeier. Inwieweit die Stiftung,
die ein Expertennetzwerk aufbauen und auch als „Think Tank“
fungieren soll, mit Förderprojekten direkt in den Markt eingreift,
ist noch nicht absehbar. Brautmeier hofft, Projekte und Wettbewerbe gemeinsam mit anderen Stiftungen anstoßen zu können, betont aber: „Wir wollen und können nicht in deren Revier wildern.“
Dieses Revier ist ohnehin überschaubar. Laut einer Untersuchung
der Uni Dortmund und der Berliner Stiftung Active Philanthropy
vom Frühjahr 2011 förderten 78 deutsche Stiftungen journalistische Programme und Projekte – 78 von insgesamt 17.372. Wie
viel Geld da insgesamt fließt, weiß niemand so genau. „Einige
Millionen, wahrscheinlich zweistellig, werden es sein“, vermutete
Volker Lilienthal, der an der Universität Hamburg die RudolfAugstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus innehat,
auf der erwähnten NR-Tagung. Nur wenige, zum Beispiel die
gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung oder die Friedrich-Ebertsowie die Konrad-Adenauer-Stiftung, widmen sich den Medien
oder der Medienpolitik in eigenen Schwerpunktprogrammen.
Man lässt forschen oder veranstaltet Tagungen. In den Genuss
73
von Fördermitteln kommen ansonsten vor allem Einzelpersonen,
über Nachwuchs-Akademien, Stipendien und Preise. Mittlerweile
werden auch Recherchebüros wie Correctiv oder andere innovative
Projekte unterstützt.
Überschaubare Stiftungsaktivitäten
Aktiv sind dabei vor allem Stiftungen, die ihren Ursprung selbst
in der Medienbranche haben. So stößt man häufig auf die RudolfAugstein-Stiftung, die auch Correctiv 35.000 Euro spendet, damit
in diesem Jahr erstmals „Fellowships für Datenjournalismus“
ausgeschrieben werden können. Auch den „Krautreportern“ war
die 2005 gegründete Stiftung behilflich. Als das CrowdfundingProjekt im vergangenen Sommer händeringend um Abonnenten warb, trug die Rudolf-Augstein-Stiftung 50.000 Euro bei,
womit sie auf einen Schlag 1000 Jahresbeiträge finanzierte. Die
„Krautreporter“-Abos gab sie kostenlos an Journalistinnen und
Journalisten in Ausbildung weiter. Geschäftsführer Sebastian Esser
bezeichnet dieses Stiftungsengagement heute als „entscheidenden
Schub“ für das ambitionierte Projekt, das dann im Herbst an den
Start gehen konnte.
Im Einzelfall kann also mit vergleichsweise bescheidenen Summen
eine beträchtliche Wirkung erzielt werden, doch dass Stiftungen
nun stärker als bisher den Fokus auf Journalismus richten würden,
lässt sich nicht erkennen. Jedenfalls scheiterte der Versuch, ein
Bündnis von Stiftungen zu schaffen, die sich gemeinsam unter
einem Dach für die Sicherung von Qualitätsjournalismus engagieren. Die Initiative der BMW Stiftung Herbert Quandt, der VWStiftung und der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik führte
immerhin zu zwei Gesprächskreisen in den Jahren 2011 und 2012.
„Es war durchaus Interesse vorhanden, aber das blieb eher diffus.
Die Initiative hat sich totgelaufen“, resümiert Christian Möller
von der Hamburger Wirtschaftsethik-Stiftung. Die Zurückhaltung
der Stiftungen habe auch „gute Gründe“, denn bei der Analyse der
Probleme sei man noch unsicher. „Funktioniert der Markt wirklich nicht mehr? Dürfen wir da überhaupt eingreifen? Und wie
regelt man zum Beispiel die Unabhängigkeit der Redaktionen? In
Deutschland fehlt im Vergleich etwa mit den USA noch die Not,
der Wille und die Konsequenz“, sagt Möller.
Aber selbst in den USA, in denen es bereits ein ganzes Netz von
investigativen Recherchebüros gibt, fällt das Engagement von
Stiftungen trotz des dramatisch eingebrochenen Printmarkts
vergleichsweise bescheiden aus. Auf jährlich 100 Millionen Dollar,
0,2 Prozent des Gesamtspendenvolumens von 44 Milliarden Dollar, schätzte die bereits zitierte Studie der Uni Dortmund und von
Active Philanthropy den dortigen Umfang der Stiftungsmittel für
Medienprojekte. Aufwind erhielt die Idee vom stiftungsfinanzierten Journalismus jedoch durch den Erfolg des 2008 gegründeten
Recherchebüros ProPublica, das ähnlich wie Correctiv gemeinnützig ist, anfangs fast ausschließlich von einer einzigen Stiftung
(Sandler) finanziert wurde und seine Storys zum Teil gemeinsam
mit anderen Medienpartnern recherchiert und kostenlos zur Verfügung stellt. 45 Männer und Frauen arbeiten zurzeit im Newsroom
an Geschichten, die bisweilen auch von renommierten Medienhäusern wie der „New York Times“ übernommen werden. Nicht
zuletzt zwei Pulitzer-Preise haben dazu beigetragen, dass Pro­
Publica die Abhängigkeit von der Sandler-Stiftung dank weiterer
Wohltäter stark reduzieren konnte.
Kombinierte Finanzierungsmodelle
Für Stephan Weichert ist ProPublica ein „role model“ mit Signalwirkung. Der Professor für Journalismus an der (privaten) Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg
rechnet mit einem Umdenken bei deutschen Stiftungen in den
nächsten Jahren. „Journalismus entwickelt sich wahrscheinlich zu
einem toten Gewerbe, mit dem nicht mehr viel Geld verdient werden kann“, sagt er. Doch Journalismus sei ein Kulturgut. Weichert
zählt seit Jahren zu den Verfechtern der Gemeinnützigkeit und
stiftungsfinanzierter Modelle. Und ging auch mit einem eigenen
Beispiel voran. 2009 gründete er gemeinsam mit anderen den gemeinnützigen Verein für Medien- und Journalismuskritik, der sich
über Spenden finanziert und seit Anfang 2012 das Debattenportal
Vocer betreibt. Auf den Webseiten findet man in verschiedenen
Dossiers zahlreiche Texte, doch als das Portal für Medienkritik
im Netz hat Vocer nicht eingeschlagen. Man habe festgestellt,
dass man sich anders aufstellen müsse, sagt Weichert. So setzt
Vocer seit 2013 mit einem „Innovation Medialab“ ebenfalls auf
Nachwuchsförderung – und damit auf eine klassische Form der
Stiftungsarbeit. Junge Frauen und Männer werden ein halbes Jahr
lang in einer digitalen Lehrredaktion ausgebildet, die Kooperation
mit Medienpartnern wie „Spiegel online“, „Meedia“ oder „Süddeutsche.de“ ermöglicht eine Anbindung an die Praxis.
Für junge Journalistinnen und Journalisten sind all die von
Stiftungen ermöglichten Stipendien und Ausbildungsangebote
wichtige Starthilfen, doch anschließend wartet ein immer kleiner werdender Stellenmarkt. Und eine Medienwelt, in der es mit
einer angemessenen Bezahlung häufig hapert. Gemeinnützige
Gesellschaften sind schon gesetzlich dazu verpflichtet, „keine
unverhältnismäßig hohen Vergütungen“ zu zahlen. Correctiv zahlt
den zurzeit 14 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach Schravens Angaben „angemessene Gehälter“, nicht nach
Tarif, sondern „eher drüber“. Schraven und seine Kollegen wollen
außerdem auch für freiberufliche Kolleginnen und Kollegen eine
Struktur schaffen, die ihnen ermöglichen soll, über einen längeren Zeitraum an großen Geschichten zu arbeiten. Correctiv hat
deshalb nach dem Vorbild von Plattformen wie StartNext (Schraven: „Bin ich Fan von“) ebenfalls begonnen, Recherchethemen per
Crowdfunding zu finanzieren. Als Zielsummen wurden für die
bisher sechs vorgeschlagenen Projekte, je nach zu erwartendem
Aufwand, zwischen 2000 und 4500 Euro angesetzt. „Die Resonanz
ist unglaublich“, sagt Schraven. Innerhalb weniger Wochen seien
insgesamt 15.000 Euro eingesammelt worden, vier Recherchen
sind finanziert. Die Kombination aus Stiftungsgeldern, Beiträgen
von Mitgliedern (bei Correctiv sind es zurzeit 200) und Crowdfunding hält Schraven für zukunftsweisend: „Auf lange Sicht wird es
nicht reichen, nur ein Modell zu verfolgen.“
T h o m a s G e h r i n g e r arbeitet als freier Journalist in Köln.
[email protected]
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Qualtätsjournalismus
Online kann mehr
Foto © rzoze19 – iStockphoto.com
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Geschichten können im Internet auf eine Art und Weise
erzählt werden, wie es sonst nirgends möglich ist. Damit
eröffnen sich auch neue Möglichkeiten für den Qualitäts­
journalismus – sowohl was die Informationstiefe betrifft
als auch in puncto Lesevergnügen. Wer Daten visualisieren,
Infografiken erstellen oder eine Reportage als Scrollytelling
umsetzen möchte, der braucht dafür entsprechende Tools.
von J u l i a n H e c k
Scrollytelling
Spätestens im Jahr 2012 fing alles an – und zwar mit „Snow Fall“
(nyti.ms/1dQ0jHo), einem Feature der „New York Times“ über ein
Lawinenunglück in den USA. Das Besondere daran ist nicht die
Geschichte selbst, sondern die technische Umsetzung. Statt auf
einer Seite einfach nur Text mit Bildern und gegebenenfalls Videos
oder Audioelementen zu mischen, verfolgt „Snow Fall“ den Ansatz
des sogenannten Scrollytellings. Geschichten, die auf diese Weise
umgesetzt werden, werden oft komplett aus der eigentlichen Umgebung des Mediums ausgelagert – zum Beispiel auf eine Subdomain
– und erhalten ein Layout, das genau zur Geschichte passt und sich
über die gesamte Breite ausdehnt, statt mit Bannern und anderen
Beitragsteasern am Rand abzulenken. Das zentrale Element ist,
dass der Nutzer nur nach unten scrollen muss (deshalb „Scrol-
76
Qualtätsjournalismus
lytelling“, die Ableitung vom Storytelling), um in dem Beitrag
fortzufahren. Dabei kommen die nachfolgenden Elemente – seien
es Texte, Bilder und Grafiken, Audio- oder Video-Elemente – auf
den Leser quasi zugeflogen und spielen teilweise auch automatisch
ab. Eine Art Zeitleiste für den Artikel bietet zusätzlich Orientierung. Selbstverständlich können all diese Beiträge auf den meisten
Geräten konsumiert werden, sie sind also mobiloptimiert beziehungsweise responsiv, das heißt technisch so gestaltet, dass sie auf
die Anforderungen des jeweiligen Endgerätes reagieren.
Scrollytelling zeigt: Onlinejournalismus kann mehr. Während
jeder Kanal seine eigenen Vorzüge hat, ist es im Internet eben die
Kombination verschiedener Medienformate. Eine Diskussion Print
versus Online – man erinnere sich an die Hoodie-JournalismusDebatte rund um Onlinespezialist Stefan Plöchinger und die
SZ-Chefredaktion – ist deshalb Quatsch. Vielmehr geht es darum,
wie auf welchen Kanälen qualitativ hochwertiger Journalismus
produziert werden kann. Und das funktioniert nun mal online
mindestens genauso gut wie auf Papier. Schließlich zählt überall
in erster Linie der Inhalt. Erst dann folgt die Darstellung, die von
den technischen Möglichkeiten im Netz profitiert – zum Beispiel
in Form von Scrollytelling.
Damit beim Scrollytelling wirklich jedes Detail passt, ist mehr
notwendig als der Journalist, der die Recherche macht und die
Geschichte journalistisch umsetzt. Hinter „Snow Fall“ steckt
die Arbeit eines 16-köpfigen Teams. Klar, dass diese Ressourcen
im Alltagsgeschäft nicht vorhanden sind. Zwar gibt es auch im
deutschsprachigen Raum erste Scrollytelling-Projekte, zum Beispiel von ZEIT Online über das 100-jährige Jubiläum der Tour de
France (bit.ly/1j4tINl). Eigenen Aussagen zufolge haben daran aber
zwei Dutzend Akteure mitgearbeitet: Reporter und Datenjournalisten, Foto-, Video- und Entwicklungsredakteure, Designer und
Programmierer. Weil sich das keine Redaktion dauerhaft leisten
kann und freie Journalisten oder Gründer kleiner Onlinemagazine
auch kein Budget für ein so großes Team besitzen, gibt es einige
Tools, mit denen solche oder ähnliche Multimediareportagen erstellt werden können. Zwei dieser Tools sind Pageflow und Aesop.
Datenjournalismus
Scrollytelling ist natürlich nicht die einzige neue Darstellungsform im Netz. Regelrecht zum Trend geworden ist Data Driven
Journalism – auf Deutsch: Datenjournalismus. Zugegeben: Der
Umgang mit Daten ist im Journalismus nicht ganz neu. Schon
immer haben Journalisten Daten in ihren Beiträgen verarbeitet.
77
Datenjournalismus allerdings nimmt Zahlen in den Fokus und
diese manchmal sogar zum Anlass, überhaupt eine Geschichte zu
finden. Zahlen können nämlich jede Menge inhaltliches Material
für einen Beitrag hergeben, sei es ein öffentlicher Haushalt oder
andere Statistiken, die beim näheren Anschauen mehr sind als eine
Zahlenwüste. Wikileaks oder die Offshore-Leaks sind da natürlich die extremsten Beispiele. Aber auch andersherum kann eine
Geschichte entstehen. Man steht vor einer bestimmten Frage oder
Thematik, deren Beantwortung eine Auseinandersetzung mit Daten – manchmal mit jeder Menge Daten – erforderlich macht. Ein
schönes Beispiel ist die Geschichte der „Berliner Morgenpost“ über
die Strecke der Buslinie M29 (bit.ly/1y8dvjm). Als User sitzt man
quasi am Steuer und fährt die gesamte als Film ablaufende Strecke
ab. Anhand verschiedener Aspekte wie Einkommen, Migration
oder Airbnb-Ferienwohnungen hat die „Morgenpost“ Haltestelle
für Haltestelle die Unterschiede innerhalb Berlins aufgezeigt –
und zusätzlich in ein Scrollytelling-Format verpackt.
Nun sind solche und ähnliche Beispiele mit hohem Aufwand
verbunden und mit geringen Ressourcen kaum zu bewerkstelligen. Es gibt aber durchaus Fälle, in denen Datenjournalismus
auch im Kleinen sinnvoll erscheint. Etwa wenn der kommunale
Haushalt in seine Einzelteile zerlegt wird oder die Top 100 der
Twitter-Persönlichkeiten an Follower-Zahlen und Tweets gemessen
grafisch dargestellt werden. Solchen kleinen wie großen datenjournalistischen Projekten liegt vor der Visualisierung in aller Regel
eine Excel-Tabelle zugrunde, die – falls nicht schon aus irgendeiner Quelle vorhanden – selbst erstellt werden muss. Diese Tabelle
kann dann mit cleveren Tools in eine Grafik umgewandelt werden.
Ob Torten- oder Balkendiagramm, Länderkarte oder auf eine andere Art und Weise – interaktive Grafiken passen Nutzer individuell
nach ihren Wünschen und Bedürfnissen an. Zum Beispiel mit
Datawrapper.
Infografiken
Wer sich im Netz bewegt, der tut das meist nicht stundenlang auf
der immer gleichen Seite. Stattdessen schnappt man überall ein
bisschen auf und hüpft von A nach B nach C.
Es ist also von hoher Bedeutung, Inhalte ansprechend und knackig
aufzubereiten, um möglichst viele Nutzer abzufangen. Neben
aufsehenerregenden Bildern oder reißerischen Überschriften sind
Infografiken – noch etwas extremer als reine Diagramme oder
Ähnliches – eine Möglichkeit, Informationen übersichtlich und
78
Qualtätsjournalismus
interessant visuell zu verpacken. Vor allem in den sozialen Netzwerken werden die oft etwas längeren Infografiken gerne geteilt
und verbreitet, weil sie leicht zu verstehen sind.
Aber wie lassen sich solche Visualisierungen technisch herstellen?
Erscheint es auf den ersten Blick so, als ob die vielen Bilder und
Grafiken, welche die Zahlen und anderen Fakten innerhalb der
Infografik schmücken, aufwendig konstruiert werden müssen, versteckt sich dahinter oft ein simpel zu bedienendes Tool. Zwar sind
erklärende Grafiken per se nichts Neues. Aber die Art und Weise,
wie sie in aller Regel ausschauen (nämlich eine lange Vertikale
mit vielen grafischen Elementen) und wie simpel sie hergestellt
werden können, machen sie zu einem beliebten Stilmittel. Thematiken mit vielen Daten und Fakten lassen sich somit verständlich
darstellen. Mit Tools wie Infogr.am oder Canva lassen sich Infografiken wie im Baukastensystem erstellen: Text- oder Bildelemente
können beliebig hin- und hergeschoben und skaliert werden. Einige Standardgrafiken zum Ausschmücken von Informationen stehen
meist schon zur freien Benutzung zur Verfügung.
terten Schlagwörtern Datenjournalismus und Multimedia-Storytelling auch immer wieder Begriffe wie Explanatory Journalism,
Augmented Reality (AR) oder Immersive Journalism (bit.ly/1figfkI)
auf. Sind das alles bloß irgendwelche Modewörter und exotische
Formen, oder spielen sie tatsächlich eine große Rolle? Und: Haben
sie eine Zukunft? Die Frage lässt sich heute noch nicht beantworten, weil es zum einen eine Frage der Verbreitung von technischen
Mitteln ist (werden etwa AR-Brillen wie die Oculus Rift der breiten Masse zugänglich sein oder nicht?) und weil es zum anderen
davon abhängen wird, welches Verständnis wir von Journalismus
haben oder entwickeln werden. Journalistische Beiträge mit Augmented Reality, also einer virtuellen Realität durch entsprechende
Brillen, und mit Immersive Journalism, am Computer nachinszensierten Nachrichten, sind streitbare journalistische Genres.
Während die einen darin innovative Aufbereitungsmöglichkeiten
sehen, können andere damit nichts Journalistisches anfangen.
Über die Qualität lässt sich hier allerdings noch gar keine Aussage
treffen, da die praktischen Beispiele noch derart überschaubar sind,
dass eine Beurteilung nie nachvollziehbar zu belegen wäre.
Neuer Journalismus
Wenn wir von einem „neuen Journalismus“ sprechen mit all den
Optionen, die dieser bietet, dann tauchen neben den schon erläu-
Anders verhält es sich beim Explanatory Journalism, also einem
erklärenden Journalismus. Dieser ist nicht wirklich neu – vor Jahrzehnten wurde eine Kategorie des Pulitzer-Preises danach benannt
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Datawrapper
Infografik-Tools
Was? Das Netzwerk Journalism++ und das Bildungswerk der Zeitungen
ABZV haben das Open-Source-Tool Datawrapper (datawrapper.de) entwickelt,
das sie als Basisversion kostenlos und mit umfangreicheren Funktionen, zum
Beispiel der Einbindung in eine Website, oder für Teams kostenpflichtig zur
Verfügung stellen. Damit sind
Grafiken jeglicher Art leicht und
anpassungsfähig erstellbar.
Was? Infografik Tools gibt es eine Menge, die sich nicht wesentlich unterscheiden und neben einem kostenfreien Basis-Account einen oder mehrere kostenpflichtige Pro-Accounts anbieten. Da wären zum Beispiel Infogr.am (infogr.am),
PiktoChart (piktochart.com), Easel.ly (easel.ly) oder Canva (canva.com).
Pro: Datenvisualisierungen
sind auf Basis einer Datentabelle
kinderleicht möglich.
Pro: Alle Tools funktionieren
nach einer Art Baukastenprinzip
und sind damit meist intuitiv
bedienbar. Frei verfügbare Grafiken und Elemente sind für den
Anfang ausreichend.
Contra: Schon die WebsiteEinbindung erfordert einen
kostenpflichtigen Account.
Kenntnisse für das Anlegen einer
Tabelle werden vorausgesetzt.
Contra: Wer regelmäßig Infografiken erstellt und mehr Icons
benötigt oder wen das Tool-Logo
stört, der braucht eine kostenpflichtige Version, die dann
teilweise richtig ins Geld geht.
Pageflow
Aesop
Was? Pageflow (pageflow.io) ist ein Tool für multimediales Storytelling bzw.
Scrollytelling. Die Agentur Codewise hat es gemeinsam mit dem WDR erstellt
und als Open Source zur freien Verfügung gestellt. Wer selbst keinen Server hat,
kann auf das kostenpflichtige Hosting zurückgreifen. Für das „Mini-CMS“ (CMS
= Content Management Sytstem)
ist es von Vorteil, ein paar Programmierkenntnisse zu haben.
Was? Aesop (aesopstoryengine.com) ist im Gegensatz zu Pageflow kein eigenes
CMS, sondern ein Plug-in für WordPress. Das Tool ist somit in die normale
WordPress-Umgebung eingegliedert und lässt sich vergleichsweise einfach
bedienen. Je nach verwendetem Theme wird der Beitrag jedoch nicht in voller
Breite dargestellt.
Pro: Das Tool ist sehr umfangreich und auch für den professionellen Einsatz ausreichend.
Contra: Ganz ohne Programmierkenntnisse kommt man
bei kostenpflichtigen Varianten
nicht aus.
–, und einige würden sagen, Journalismus ist immer erklärend. Es
existieren nun allerdings neue Medienformate abseits traditioneller
Medienhäuser, die diesen vielleicht etwas verloren gegangenen erklärenden Journalismus zu ihrer Hauptaufgabe machen. Da wären
zu nennen Vox.com von Ezra Klein, der für sein Medien-Start-up
die „Washington Post“ verlassen hat. Oder Nate Silver mit seinem
Start-up FiveThirtyEight.com. Beide haben gemeinsam, Inhalte
so aufbereiten zu wollen, dass sie von Grund auf verständlich sind.
Damit ist gemeint, dass nicht ständig nur das Update berichtet
wird, sondern der Gesamtzusammenhang dargestellt wird. Auch
Datenjournalismus oder Infografiken können hier eine Rolle
spielen. Explanatory Journalism ist ein alter Hut, der durch die
digitalen Möglichkeiten neu geformt wird.
Fazit
Onlinejournalismus kann mehr, wenn Journalisten mehr können.
Allerdings ist dafür nicht zwingend tiefes technisches Know-how
erforderlich. Stattdessen lohnt es sich, Informationen darüber
einzuholen, welche Tools der Markt bietet. Mit deren Hilfe können
sich auch Digitalanfänger in die Welt der Datenvisualisierungen,
Infografiken und des Multimedia-Storytellings begeben. Klar ist
aber auch, dass mit den Erfahrungen die Bedürfnisse und Ansprüche wachsen, denen die kostenlosen Basisversionen oft nicht mehr
Pro: Das Plug-in ist schnell
installiert und einsatzbereit. Für
Anfänger ein gutes Experimentierfeld.
Contra: Ohne ein Aesop-eigenes Theme läuft nicht alles reibungslos und ohne Fehler. Nichts
für professionelle Ansprüche.
gerecht werden. Soll es technisch einwandfrei, ohne Ecken und
Kanten, ohne fremdes Entwicklerlogo und etwas komfortabler
sein, dann ist der Griff ins Portemonnaie nicht vermeidbar. Aber
die Investitionen lohnen sich – nicht nur für das Auge. Auch mit
Blick auf Qualitätsjournalismus im Sinne von Recherchetiefe und
Informationsgehalt sowie einer neuen Lese- bzw. Rezeptionsqualität eignen sich die vorgestellten Werkzeuge prima. Sie bilden den
„alten“ Journalismus nicht bloß im Netz ab, sondern formen ihn
und passen ihn an die neue Umgebung an. Somit könnte er sogar
für junge, vermeintlich lesefeindliche Nutzer wieder interessanter
werden und einen neuen Anreiz schaffen. Bei all den Vorteilen darf
jedoch nicht verschwiegen werden, dass diese neuen Formen eine
große Herausforderung für Verlage darstellt – vor allem finanziell.
Wenn aber der Journalismus mit diesen Mitteln auf eine neue Ebene gehoben wird, dann könnten sich diese Investitionen lohnen.
Denn was wäre ein Onlinejournalismus, der mehr kann, aber nicht
mehr macht?
J u l i a n H e c k ist freier Journalist und Dozent. Er schreibt für Fachmagazine
über die Themen Medien, Technik und digitale Wirtschaft und ist bundesweit
als Trainer und Dozent tätig. 2013 wurde er vom „Medium Magazin“ unter
die „Top 30 bis 30“-Nachwuchsjournalisten gewählt. [email protected]
80 J o u r n a l i s m u s u n d P R
D i e S e i t e n w e ch s l e r
I m m e r m e h r W i r t s ch a f t s ­
journalisten verlassen
B r a n ch e u n d g e h e n
in die PR – aus unters ch i e d l i ch e n M o t i v e n
Foto: Deutsche Bundesbank
die
Ein eingespieltes Team: Bundesbankchef Jens Weidmann (l.) und sein Kommunikationschef, der frühere Wirtschaftsjournalist Michael Best, auf dem Weg zur Pressekonferenz.
81
Frank Bremser
Michael Best hat beim Hessischen Rundfunk (hr) Karriere gemacht: Vom Hörfunk- und Fernsehreporter hat er sich zum Redaktionsleiter ARD-Aktuell, zum Programmgruppenleiter Fernsehen
Wirtschaft und Fernsehen Aktuelles des hr hochgearbeitet. Zuletzt
war er Leiter der hr-Börsenredaktion und das Gesicht der ARDBörsenberichterstattung. Trotzdem hat Best den öffentlich-rechtlichen Sender im Herbst 2011 verlassen, um Kommunikationschef
der Bundesbank zu werden. „Ich wurde von der Bundesbank
persönlich angesprochen und habe Präsident Weidmann kennengelernt“, erinnert sich der 57-jährige. „Für mich war schnell klar,
dass die Chemie stimmt.“ Branchenkenner werten Bests Wechsel
als klaren Aufstieg: Best habe sich nicht nur finanziell verbessert,
sondern auch aus der Karrieresackgasse beim hr befreit und sich
mehr Einfluss und neue Gestaltungsspielräume gesichert. Best
selbst beschreibt die Anziehungskraft der neuen Position so: „Als
unabhängige Institution hat die Bundesbank ein dem öffentlichrechtlichen Rundfunk verwandtes Selbstverständnis. Ihre Themen
stehen infolge der Schuldenkrise im Brennpunkt des öffentlichen
Interesses. Das hat mich gereizt.“ Mit Jens Weidmann an der
Spitze hat sich die Zentralbank geöffnet, was auch mit Chefkommunikator Best zu tun hat, dessen Credo ist, „mit Journalisten so
umgehen, wie man es sich selbst als Journalist immer gewünscht
hat: Nicht mauern, nicht abtauchen, nicht verschleiern, sondern
offenlegen, erklären, argumentieren.“ Über eine Rückkehr in den
Journalismus denkt der frühere ARD-Börsenblogger nicht nach:
„Ich hatte eine großartige Zeit. Aber das Neue ist so interessant
und anspruchsvoll, dass ich nicht zurückblicke.“
Während Best seine Position beim hr aus freien Stücken aufgegeben hat, fiel die Entscheidung für die PR bei anderen Wirtschaftsjournalisten in den letzten Jahren eher unfreiwillig: Über 400
Journalisten hatten durch die Insolvenz der „Frankfurter Rundschau“ ihren Job verloren, gut 300 fest angestellte Journalisten
durch die beiden Pleiten der dapd. Das Aus für die G+J-Wirtschaftsmedien („FTD – Financial Times Deutschland“, „Capital“,
„Impulse“, „Business Punk“ und „Börse Online“) spülte noch
einmal 350 Kollegen auf den sogenannten „freien Markt“. Einer
von ihnen war Frank Bremser, zuletzt Redakteur Märkte im
Jochen Mörsch
FTD-Finanzressort Frankfurt: „Nach dem Ende der FTD fiel ich
erst mal in ein Loch“, erzählt der 38-Jährige. „Ich war journalistisch da angekommen, wo ich mich hundertprozentig wohlfühlte,
und nun hatte ich die Stelle verloren.“ Den ersten Impuls, aus
Angst und Verunsicherung einfach irgendeine Stelle anzunehmen,
unterdrückt Bremser, wechselt stattdessen in die Transfergesellschaft, wo er in Ruhe auch die Möglichkeiten eines Kommunikationsjobs auslotet: „Ich hatte immer schon gesagt: Irgendwann mache ich das, irgendwann probiere ich PR aus. Nun war der richtige
Zeitpunkt.“ Seit August 2013 arbeitet Bremser als Pressesprecher
bei der Deutschen Asset & Wealth Management und ist zufrieden
mit dem Job. Wenngleich die Lernkurve steil war: „Wenn man
aus der relativ freien Umgebung einer Redaktion kommt, ist die
Umstellung auf die sehr klaren, festen Strukturen einer Konzernpressestelle schon groß.“
Jochen Mörsch ist heute ebenfalls in der PR tätig: Der
frühere Leiter des Geldressorts der G+J-Wirtschaftsmedien wurde
zunächst Ressortleiter Finance & Economy und Mitglied der
erweiterten Geschäftsführung von Script Communications. In
dieser Funktion beriet er vom Standort Frankfurt aus Agenturkunden in Sachen Unternehmenskommunikation. Seit Januar dieses
Jahres wiederum ist Mörsch Leiter des Bereichs Interne & Externe
Kommunikation beim Bankhaus Sal. Oppenheim in Köln. Nach
sechs Jahren in der Mainmetropole hatte es ihn „zurück zu Familie
und Dom“ gezogen, wie er sagt. Der Kontakt zu seinem ersten
Arbeitgeber nach der journalistischen Laufbahn war damals über
einen Headhunter zustande gekommen. Die Entscheidung für die
PR fiel trotz des vorausgegangenen Stellenverlusts bewusst: „Nach
13 Jahren im Journalismus war es an der Zeit für einen Seitenwechsel. Mir war die unternehmerische Facette wichtig. Und ich
wollte auch einmal überprüfen, ob die Vorurteile, die Journalisten
gegenüber PR-Agenturen haben, zutreffen. Ergebnis: Die meisten
sind falsch.“ Journalisten, die in die PR wechseln, rät Mörsch,
nicht so zu tun, als seien sie immer noch Journalisten – weder den
Ex- noch den neuen Kollegen gegenüber: „Es heißt schließlich
nicht umsonst Seitenwechsel. Das vergessen manche, auch weil die
Unterschiede kleiner sind, als viele annehmen. Denn es geht auch
82 K o m m u n i k a t i o n s o r t F r a n k f u r t e r P r e s s e C l u b
Tim Bartz
in der PR-Arbeit um Kommunikation, gute Recherche und das
Setzen von Themen. Allerdings ist vieles naturgemäß langfristiger
angelegt als bei einer Tageszeitung.“
Einer, der nach der FTD-Pleite ebenfalls in die Kommunikation
gewechselt ist, mittlerweile aber wieder als Journalist arbeitet, ist
Tim Bartz. Der frühere Leiter des FTD-Finanzressorts war im
Mai 2013 als Director zu Hering Schuppener gegangen, nur fünf
Monate später jedoch wieder ausgestiegen, um nun als FrankfurtKorrespondent für das „manager magazin“ zu arbeiten. Den Kommunikationsjob will er dennoch nicht als Notnagel verstanden
wissen. Schließlich habe er eine Menge gelernt: „Unter anderem
dass ein PR-Job nur etwas für Leute ist, die ihr Ego hintanstellen
und sich voll auf die Mandanten einlassen können: Wer sich nicht
auf die Zunge beißen kann, sollte es lassen“, sagt der 44-Jährige. Dass viele, gerade ältere Kollegen die Seiten wechseln, findet
Bartz angesichts der fortwährend schrumpfenden Branche ein
völlig rationales Verhalten: „Je älter die Kollegen, desto eher die
Neigung, den vermeintlich sicheren Hafen anzusteuern. Wobei es
Wirtschaftsjournalisten gewiss leichter haben, einen gut bezahlten
Job in der Kommunikation zu finden als zum Beispiel Politikjournalisten.“
Vor allem Agenturen für Finanzkommunikation, Versicherungen
und Banken haben in den letzten Jahren vermehrt Wirtschaftsjournalisten in ihre Kommunikationsabteilungen geholt. So ist Michael Best nicht der erste Journalist in den Diensten der Bundesbank.
Christine Claire Graeff
Auch sein Vorgänger Benedikt Fehr kam einst als anerkannter
Bankenkorrespondent von der FAZ. Ein gutes Beispiel für „kommunikative Aufrüstung“ ist auch die Europäische Zentralbank
(EZB), die sich seit Amtsantritt der früheren Brunswick-Partnerin
Christine Claire Graeff als Generaldirektorin Kommunikation Anfang 2013 gezielt mit Topjournalisten verstärkt:
Uta Harnischfeger (früher FTD), Rolf Benders (zuvor
„Handelsblatt“) und Stefan Ruhkamp (zuletzt FAZ) sind nur
einige Beispiele. Zu den Personalien äußern mochte sich die EZB
nicht. Und auch die Exjournalisten schweigen lieber. In einem früheren Interview mit dem „prmagazin“ hatte Graeff ihre Personalauswahl jedoch so begründet: „Wir wollen aktiver kommunizieren
und uns mehr der Bevölkerung erklären. Deshalb stärken wir die
journalistische Kompetenz.“
Auch Rüdiger Scharf ist nach einer Karriere im Journalismus
(u. a. bei „Bild“ und der „Berliner MoPo“) 2002 auf die Unternehmensseite gewechselt. Heute koordiniert der 52-Jährige die
regionale Pressearbeit für die DAK-Gesundheit. Daneben arbeitet
er als Dozent in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten
und PR-Fachleuten. Sein aktuell am besten gebuchtes Seminar
heißt „Seitenwechsel: Vom Journalisten zum erfolgreichen Pressesprecher“. Den Run auf seinen Kurs erklärt sich Scharf mit der
„Zeitungskrise“ und dem Aus diverser Medien. Den Wunsch nach
einem besseren Verdienst oder mehr Verantwortung hat er bislang
von keinem seiner Kursteilnehmer als Motiv, in die PR zu gehen,
gehört: „Einige hatten gerade ihren Job verloren oder befürchteten
83
Rüdiger Scharf
Michael Inacker
einen Stellenabbau in der Redaktion. Andere wollten geregelte
Arbeitszeiten, bei denen Wochenendeinsätze nicht mehr die Regel
sind. Wieder andere wollten sich einfach über die ,andere Seite‘
informieren und herausfinden, ob auch dieser Job interessant ist.“
Freie Mitarbeiter, Redakteure, Ressortleiter, Reporter, CvD aus
allen Mediengattungen kommen in Scharfs Kurs. Hier lernen
sie in zwei Tagen die Basics der PR. Doch nicht für jeden ist ein
Wechsel ratsam, sagt der Coach: „Wer als Journalist Themen nicht
länger nur hinterherjagen, sondern sie selbst setzen will, sollte den
Seitenwechsel wagen. Wer seine Erfüllung hingegen im Schreiben
findet und schon bei der Einladung zu einer Besprechung oder
Abstimmungsrunde Pickel bekommt, sollte lieber in der Redaktion bleiben.“
Der Prototyp des Seitenwechslers ist Michael Inacker. Der
Mitgründer der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, Vizechefredakteur von „WirtschaftsWoche“ und „Handelsblatt“ war
auch schon Public-Affairs-Leiter von Daimler und Metro-Kommunikationschef. Seit einem geplatzten Wechsel zu Siemens ist er
Vorstandsmitglied der Kommunikationsberatung WMP EuroCom
von Ex-„Bild“-Chef Hans-Hermann Tiedje. Nicht alle Journalisten
sehen Inackers Seitenwechsel wie er als „Bereicherung für ein Journalistenleben“. Viele werten sie als Verrat an der journalistischen
Sache. Das sieht Inacker wiederum nicht so: Ob Journalist oder
PRler – letztlich stelle sich doch jeder in den Dienst seines Arbeitgebers, wenngleich mit einem Unterschied: „Journalisten sollten
dem Gemeinwohl verpflichtet sein, als Kommunikator vertritt
Dietrich Holler
man ein Partikularinteresse, das aber letztlich immer auch Teil der
gesamtgesellschaftlichen Debatte ist und prinzipiell und definitiv
nichts ethisch Verwerfliches darstellt. Ein Unternehmen schafft
Arbeitsplätze, zahlt Steuern – und wirkt somit an der positiven
Entwicklung der Gesellschaft eines Landes mit.“
Auch wenn es mit Michael Inacker nur einen gibt, der mehrfach „zwischen den Welten“ hin- und hergewechselt ist, sind die
Grenzen zwischen Journalismus und PR durchlässiger geworden.
„Das eiserne Gesetz, wonach es aus der PR keinen Rückkehr in den
Journalismus gibt, gilt so nicht mehr“, ist sich Dietrich Holler sicher, der nach sieben Jahren als Chefredakteur der „Agrarzeitung“ heute als Bereichsleiter Kommunikation die Interessen
der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in Frankfurt
vertritt. Für Holler (48) müssen sich Journalisten, die in die PR
wechseln, ohnehin nur über eines klarwerden: „Stehe ich mit dem
Herz und mit dem Kopf hinter dem, was ich tue – das heißt hinter
dem Thema und der Art zu kommunizieren?“ Für sein Themengebiet ist sich Holler da ganz sicher.
K at y W a lt h e r i s t f r e i e
Medienjournalistin in Frankfurt.
k a t y. w a l t h e r @ g m x . d e
84 D e r V o r s t a n d , d i e G e s c h ä f t s f ü h r u n g , d a s I m p r e s s u m
Impressum
Ausgabe
Das Magazin
2015
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