1204_Alimenta_Markenschutz

Transcrição

1204_Alimenta_Markenschutz
markt & Politik • Marché & Politique
Es wird kopiert, was das Gesetz hält
Die Migros kopiert seit Jahrzehnten Markenartikel. Und auch andere
Hersteller scheuen nicht davor zurück, gut etablierte Produkte zu
kopieren. Die Grauzone wird dabei voll und ganz ausgeschöpft.
Karin Iseli-Trösch. Die Farmer-Getreide-
riegel der Migros sind seit 40 Jahren ein
­Erfolg: Pro Jahr setzt der Detailhändler über
100 Millionen Stück ab. Doch nun fürchtet
sich die Migros vor Konkurrenz. Aldi führt
seit Kurzem ebenfalls einen Getreideriegel im
Sortiment, unter der Eigenmarke «Knusperone». Statt Farmer heisst der Aldi-Riegel
­Müesli. Bei der Migros ist man erbost: Die
­Müesli-Riegelverpackung von Aldi lehne sich
hinsichtlich der Gestaltung sehr stark an jene
der Farmer-Produkte an. Man wolle deshalb
das Gespräch mit Aldi suchen. Was genau die
Forderungen der Migros an den Discounter
sind, will man nicht sagen. «Zu laufenden
Verfahren nehmen wir grundsätzlich keine
Stellung», sagt Migros-Mediensprecherin
­Monika Weibel.
Bilder: zvg
Aldi sieht keinen Handlungsbedarf
Bei Aldi ist man auskunftsfreudiger: «Aldi hat
den Sachverhalt intern angeschaut», sagt Sven
Bradke, Sprecher der Aldi Suisse AG. «Wir
sind zum Schluss gekommen, dass unsere
Müesliriegel als eigenständiges Produkt an­
erkannt und von unseren Kunden geschätzt
werden. Insofern sehen wir keine echte Verwechslungsgefahr und somit auch keinen
Handlungsbedarf unsererseits.» Wie die
­Migros reagieren wird, ist noch unklar. Ob
Beispiele von Rufausbeutung aus der Sicht
des Berufsverbandes für die Schweizer Markenartikelindustrie Promarca.
Der Puddingstreit: zwei Kühe, ein Verkaufsargument
Kuh Paula hat ein vanille-gelbliches Fell mit
braunen Flecken. Sie trägt eine hippe Sonnenbrille. Kuh Flecki ist ein eher mageres
­E xemplar ihrer Gattung, mit schwarz geflecktem, weissem Fell. Um den Hals trägt
sie ein altmodisches Glöckchen. Gemeinsam
ist den Kühen, dass beide Werbeträgerinnen
für einen Vanille-Schokoladen-Pudding beziehungsweise für einen Schokoladen-VanillePudding sind.
Zuerst auf dem Markt der Kinderpuddings gegrast hat Kuh Paula
aus dem Stall von ­­Dr. Oet­ker. Die
Innovation am Produkt: Die Art
der Vermischung der Schokoladen- und Vanillebestandteile des
Puddings erinnert an das Fell der
Werbeträgerin – Kuh Paula. Lanciert wurde
der Pudding im August 2005. Zum Schutz vor
Nachahmungen liess Dr. Oetker das «Gemeinschaftsgeschmacksmuster» als euro­
päisches Designrecht eintragen. Das Recht
gilt sowohl für gestreifte, kreisförmige oder
rechteckige Fleckenarten. Genützt haben
­diese Schutzversuche wenig: Im November
2011 brachte Aldi in Nordrhein-Westfalen
den Flecki-Pudding auf den Markt. Gemeinsam haben die beiden Produkte nicht nur eine
Kuh als Werbeträgerin, sondern auch den ge-
eine allfällige Klage vor Gericht Sinn ergeben
würde, ist nach Ansicht von Simon Holzer,
Markenschutzexperte bei der Rechtsanwaltskanzlei Meyerlustenberger Lachenal, schwierig zu sagen. «In einem solchen Fall, wo beide
Produkte mit unterschiedlichen Marken gekennzeichnet sind, ist die Gefahr, dass die
­Abnehmer die Erzeugnisse tatsächlich verwechseln, wohl gering. Es kann deshalb nicht
von einer unmittelbaren Verwechslungsgefahr
gesprochen werden.» Die entscheidende Frage
fleckten Pudding. Dr. Oetker wollte sich dies
nicht gefallen lassen: Der Konzern klagte vor
Gericht, die Molkerei Gropper, welche den
Flecki-Pudding für Aldi herstellt, verstosse
mit ihrem Flecki-Pudding gegen das Designrecht. Das Gericht solle ein europaweites
Verkaufsverbot aussprechen, so das Be­
gehren. Ohne Erfolg. «Grundsätzlich muss es
einem Wettbewerber möglich sein, ein Milchprodukt zur kindergerechten Gestaltung in
die Nähe einer Kuh und deren
Fell zu bringen», schrieb das
Landgericht Düsseldorf in ihrer
Urteilsverkündung. Für das Gericht stellt die Gestaltung des
Flecki-Puddings keine Rechtsverletzung des eingetragenen Geschmacksmusters dar. Es gebe zwischen den beiden
Mustern «keinen übereinstimmenden Gesamteindruck». «Selbst wenn man zu dem
­Ergebnis käme, dass Flecki aufgrund seiner
ähnlichen Gestaltung und Zielgruppen­
ansprache das Puddingprodukt von Paula
­nachahme, erfolgt dies nicht in unlauterer
und damit unzulässiger Weise», so das Gericht. Man könne es Aldi nicht vorwerfen,
wenn einzelne Kunden glaubten, statt Flecki
eigentlich Paula zu erwerben. Noch ist unklar, ob Dr. Oetker in Berufung gehen wird. ki
sei allerdings, ob die Konsumenten beim Kauf
des Aldi-Riegels falsche Zusammenhänge wie
etwa gleiche Hersteller oder Lizenzverhältnisse vermuteten, obwohl sie die einzelnen
Produkte eigentlich auseinanderhalten können. «Eine weitere Frage, die ein Gericht
­allenfalls klären müsste, ist, ob sich die Aldi-­
Getreideriegel in unlauterer Weise an die
­Farmer-Produkte anlehnen. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn die Aldi-Verpackung
nur deshalb ähnlich gestaltet wurde wie jene
alimenta 07 | 2012
13
markt & Politik • Marché & Politique
Begriffserklärungen
Fälschung: Als Fälschung werden Verletzungen geschützter Marken, Designs, Herkunftsangaben oder Patente bezeichnet,
welche darauf abzielen, das Erscheinungsbild des Originalherstellers zu kopieren.
Piraterie: Unter Piraterie wird das unerlaubte Kopieren von Werken und Leistungen
verstanden, die durch ein Urheberrecht oder
ein verwandtes Schutzrecht geschützt sind.
Nachahmungen: Bei Nachahmungen nutzen
Trittbrettfahrer die Leistungen von Markenunternehmen, ohne selber zu investieren. Sie
lehnen ihre Produkte mit ähnlicher Ver­
packung, Form- und Farbgebung so stark an
die Originale an, dass sie dem Konsumenten
suggerrieren, «gleich gut» wie das Original zu
sein. (Quelle: Promarca, stop-piracy.ch)
von der Migros, um zu suggerieren, das Produkt sei ein Ersatz für die Migros-Riegel oder
mindestens gleich gut wie diese.» Könne Aldi
aber plausibel erklären, warum gerade diese
Pro­dukt­aufmachung gewählt worden sei,
habe der Discounter gemäss der jüngeren
schweizerischen Rechtsprechung weniger zu
befürchten.
Haco produziert Original und Kopie
Ironie der Getreideriegelgeschichte: Bis jetzt
war die Migros der Bösewicht im Kopiergeschäft. Die Lebensmittelindustrie der Migros
hat in der Vergangenheit etliche erfolgreiche
Markenprodukte ebenso erfolgreich kopiert.
Man denke zum Beispiel an Eimalzin als
­A lternative zu Ovomaltine, die Fertigsuppen
Bon Chef, welche in der Aufmachung stark an
die Knorrsuppe erinnert, oder die Guetzlilinie
Créa d’Or, die sich augenscheinlich an die
­Erfolgsguetzli von Kambly anlehnt. Und
laut Promarca, dem Berufsverband für die
­Schweizer Markenartikelindustrie, war nicht
mal der Farmer eine Originalidee der Migros,
sondern eine Nachahmung der Balisto-Riegel
von Mars.
Zweite Ironie der Geschichte: Der AldiRiegel stammt vom gleichen Hersteller wie der
Migros-Riegel, nämlich von der Haco – mit
günstigeren Rohstoffen und anderer Rezeptur.
14
alimenta 07 | 2012
Doch nicht nur die Migros ist Meister im
Nachahmen von beliebten Lebensmittelprodukten, wie die Statistik von Promarca zeigt.
«Im Jahr 2011 sind 57 Prozent der knapp
100 Promarca-Mitgliedsunternehmen Opfer
von Nachahmungen und 18 Prozent Opfer
von Fälschungen geworden», sagt Anastasia
Li-Treyer, Direktorin von Promarca. Der
Trend sei bei den Fälschungen sinkend. Im
Gegensatz zur weltweiten Situation, wo
­gemäss Zollstatistik bei Fälschungen und
­Pira­terie ein steigender Trend zu beobachten
sei. Nach Einschätzung des Vorsitzenden der
französischen Antifälschungseinheit seien die
Gewinne, welche mit dem Verkauf von
­Fälschungen erzielt werden, mittlerweile
­vergleichbar mit jenen des Drogenhandels.
Nicht zuletzt dank dem Internet, durch
welches das Absetzen von Fälschungen heute
einfach sei. «Fälscher werden selten erwischt,
und falls doch, sind die Strafen verhältnis-
mässig milde, weil die Verletzung von geisti­
gem Eigentum nach wie vor als Kavaliers­
delikt abgetan wird», so Anastasia Li-Treyer.
Schutz lässt zu wünschen übrig
Nachahmungen sind aber auch in der Schweiz
verbreitet, nicht zuletzt, weil hier der Schutz
vor Nachahmungsprodukten laut Promarca
zu wünschen übrig lässt. Schweizer Gerichte
täten sich mit der Rufausbeutung nach wie vor
schwer. «Da die Erfolgschancen auf dem
rechtlichen Weg hierzulande oft bescheiden
sind, wenden sich die Opfer oft aussergerichtlich an die Trittbrettfahrer», so Anastasia
­Li-Treyer. Markenschutzexperte Simon ­Holzer
bestätigt dies. Aus seiner Sicht sind die
Schweizer Gerichte tendenziell zu grosszügig
in ihrer Rechtsprechung hinsichtlich Nach­
ahmungen oder Fälschungen. Ein weiterer
Grund, warum es in der Schweiz weniger Gerichtsfälle gebe als beispielsweise in Deutsch-
Die Migros
fürchtet wegen
der Aldi-Konkurrenz um ihre
GetreideriegelVorherrschaft.
markt & Politik • Marché & Politique
land, sei, dass es im Schweizer Detailhandel
nach wie vor als unschön gelte, die Konkurrenz vor Gericht zu zerren. Zudem hätten die
Gerichte einen erheblichen Ermessensspielraum, und es könne nur schwer vorausgesagt
werden, wie sie diesen ausnutzen werden. Ein
weiterer Grund, warum es in der Schweiz
­weniger Gerichtsfälle gebe als beispielsweise in
Deutschland, sei, dass es im Schweizer Detailhandel nach wie vor als unschön gelte, die
Konkurrenz vor Gericht zu zerren.
Ist der Kopierer ein Einzelhändler, wie
etwa die Migros, sieht man bei Promarca ­einen
weiteren Grund, welcher die Opfer daran
­hindert, vor Gericht zu gehen: «Der Kopierte
will sein Originalprodukt auch weiterhin
beim Einzelhändler verkaufen können. Er ist
also in einer Zwickmühle, denn die Konkurrenz kommt von seinem eigenen Kunden», so
Der Goldhase gehört ganz und gar Lindt & Sprüngli
Der Schweizer Schokoladenhersteller Lindt
& Sprüngli hat vor rund 60 Jahren den Goldhasen erfunden. Dieser in goldener Folie eingewickelte Hase mit seinem Glöckchen um
den Hals hebt sich visuell gut von den
­sons­tigen Osterhasenexemplaren ab. Die
­österreichische Confiserie Hauswirth
wickelt ihren Hasen seit Jahren
ebenfalls in goldene Folie und
bindet ihm ein Halsband um.
Damit ist nun Schluss. Das
Oberlandesgericht in Wien
hat entschieden, dass der
Anastasia Li-Treyer. «In den meisten Fällen
hat das Opfer deshalb weder den Mut noch
die finanziellen Möglichkeiten, sich auf ein
Copies à la limite de la légalité
Quand le copieur est copié, il n’apprécie pas forcément le procédé, pourtant courant dans l’industrie alimentaire. En Suisse, les représentants
des marques souhaitent une meilleure protection dans le domaine.
Karin Iseli-Trösch. Chaque année, Migros
Roland Wyss-Aerni
Pour Migros,
Aldi menace
sa suprématie
sur la marché
des barres de
céréales.
vend plus de 100 millions de barres de céréales
Farmer. Depuis peu, Aldi propose un article
similaire appelé «Müesli», dont l’emballage
ressemblerait fort à celui de Farmer. Si Migros
se refuse à tout commentaire, Aldi assure qu’il
n’y a aucun risque de confusion entre les deux
produits.
Pour Simon Holzer, expert en protection
des marques, le succès d’une éventuelle plainte
de Migros devant un tribunal est incertain.
S’il y a peu de risque que les consommateurs
confondent les deux produits, la question
­décisive est plutôt de savoir s’ils pensent que
les articles proviennent du même fabricant.
Le tribunal devrait aussi se demander si
l’emballage d’Aldi suggère que ses barres remplacent les Farmer ou qu’elles sont au moins
aussi bonnes. Si le discounter peut justifier
pourquoi son produit est présenté ainsi, il ne
court toutefois pas un grand risque.
Hauswirther «Prachthase» die Markenrechte
von Lindt & Sprüngli verletze. Der Gerichtsstreit dauerte acht Jahre. Nach dem Entscheid muss Hauswirth die Verfahrenskosten
von 56 000 Euro übernehmen. Zudem könnten
Schadenersatzforderungen oder die
Nachzahlung von Lizenzgebühren
auf die Confiserie zukommen. Lindt &
Sprüngli betonte nach dem Gerichtsentscheid, die Firma sei nicht bestrebt, Haus­wirth zu vernichten,
man wolle aber keine Plagiate
auf dem Markt. ki
Streitverfahren gegen einen marktmächtigen
Einzelhändler einzulassen.»
[email protected]
L’ironie est que jusqu’à présent, Migros était le
grand copieur de l’industrie alimentaire.
Parmi les produits populaires imités, on peut
citer Eimalzin pour Ovomaltine, les potages
Bon Chef pour Knorr ou les biscuits Créa d’Or
pour Kambly. Même Farmer serait une copie
du Balisto de Mars.
Une protection insuffisante
Les statistiques de Promarca montrent qu’en
2011, 57% des quelque 100 entreprises membres de l’organisation ont été victimes de
­copies et 18% de contrefaçons. Une tendance à
la baisse. Au niveau mondial en revanche, les
contrefaçons et la piraterie sont en hausse et
s’avèrent être aussi lucratives que le trafic de
drogue. Promarca déplore que les articles de
marque ne soient pas suffisamment protégés
en Suisse. Les chances de l’emporter au tri­
bunal étant faibles, les parties s’arrangent
­souvent entre elles. Dans notre pays, le fait
de traîner un concurrent devant un tribunal
reste par ailleurs considéré comme peu
élégant. Enfin, lorsque le copieur est aussi un
acteur du commerce de détail, la victime
­hésite à saisir les tribunaux pour ne pas me­
nacer la vente de ses produits. Dans la plupart
des cas, elle n’a ni le courage ni les moyens
­f inanciers de se lancer dans une procédure.
alimenta 07 | 2012
15