Erwachsenenadoption – Einfluss der Erbschaftssteuer

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Erwachsenenadoption – Einfluss der Erbschaftssteuer
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Bundesverband der
Deutschen Standesbeamtinnen und
Standesbeamten
e.V. (BDS)
Medien-Information
Ergebnisse der Fachtagung des Bundesverbandes der Deutschen
Standesbeamtinnen und Standesbeamten e.V. (BDS) zu den Themen
- Erwachsenenadoption im Wandel
- Gesetz zur Vaterschaftsklärung
- Reform des Personenstandsrechts
21. November 2007, Bad Salzschlirf
_____________________________________________________________
Mitglied im Europäischen
Verband der Standesbeamtinen
und Standesbeamten (EVS)
Präsident:
Jürgen Büssow
Geschäftsführer:
Dieter Hahnel
Verwaltung
Bahnhofstrasse 14
36364 Bad Salzschlirf
Telefon (0 66 48) 93 14 0
Telefax (06648) 93 14 14
Erwachsenenadoption – Einfluss der Erbschaftssteuer
Vaterschaftsklärung – Bewertung des Gesetzentwurfes
Personenstandsreform – Elektronik statt Papier
Von der Wiege bis zur Bahre - Formulare, Formulare ... So beschreibt man
landläufig die Arbeit der Standesbeamtinnen und Standesbeamten in
Deutschland. Viel Papier ist derzeit noch zu bedrucken (ab 1. Januar 2009
wird die elektronische Dauerspeicherung vorgeschrieben), vielfältige
Rechtsvorgänge sind tagtäglich zu beurkunden.
„Ein Standesamt ist aber auch eine Art von Seismograph“, sagt Jürgen
Büssow, ehrenamtlicher Präsident des Bundesverbandes der Deutschen
Standesbeamtinnen und Standesbeamten e. V. (BDS), hauptberuflich als
Regierungspräsident in Düsseldorf tätig.
Im Standesamt werden gesellschaftliche Veränderungen sichtbar, oft viel
früher als in der öffentlichen Wahrnehmung. Demographische Entwicklung,
Zerbrechen
von
Ehen
und
Partnerschaften,
Entstehen
von
Patchworkfamilien, Missbrauch von Rechtsanwendungen und dergleichen
mehr treten bei den Beurkundungen zutage. Natürlich werden auch die
positiven Seiten des Lebens erkennbar, wenn glückliche Eltern im
Standesamt die Urkunden ihrer neugeborenen Kinder abholen oder
optimistische Paare den Bund fürs Leben schließen.
Schwerpunktthema „Erwachsenenadoption“
Der BDS befasst sich jedes Jahr im Herbst auf einer Fachtagung mit aktuellen Themen
des Personenstandswesens und verwandter Rechtsgebiete. Standesbeamtinnen und
Standesbeamte aus ganz Deutschland und aus dem Ausland kommen hier mit Experten
aus anderen Bereichen, mit Vertretern von Bundes- und Landesministerien sowie mit
renommierten Wissenschaftlern zusammen.
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Veranstaltungsort ist regelmäßig die „Akademie für Personenstandswesen“ am
Verbandssitz des BDS im hessischen Bad Salzschlirf bei Fulda. Schwerpunkt-Thema
der diesjährigen Fachtagung war am 16. und 17. November 2007 die
„Erwachsenenadoption“. Mit deren Rechtsproblemen befasste sich Dr. Rainer Frank,
emeritierter Professor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau und
Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des BDS.
„Die Erwachsenenadoption ist ein in der deutschen Rechtstradition tief verwurzeltes
Institut“, sagte Prof. Dr. Frank. Anders als viele ausländische Rechtsordnungen erlaube
das deutsche Recht nicht nur die Annahme Minderjähriger, sondern auch die Adoption
volljähriger Personen als Kind.
Ersparung von Erbschaftssteuern durch Volljährigenadoption
Obwohl das Bürgerliche Gesetzbuch bestimme, dass die Annahme eines Erwachsenen
nur zulässig ist, wenn sie "sittlich gerechtfertigt" und außerdem gewährleistet ist, dass
zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis entsteht,
verfahren Vormundschaftsgerichte mit der Zulassung von Volljährigenadoptionen
auffallend großzügig, stellte der Rechtswissenschaftler fest.
Prof. Dr. Frank: „Die rechtlichen Auswirkungen der Erwachsenenadoption liegen in
erster Linie auf vermögensrechtlichem Gebiet." Der Adoptierte werde gesetzlicher Erbe
des Adoptierenden und umgekehrt. Adoptierender und Adoptierter würden gegenseitig
unterhaltspflichtig.
Die Wirkungen der Adoption erstreckten sich auch auf die Abkömmlinge der
angenommenen Person. Außerdem erwerbe der Angenommene als Geburtsnamen den
Familiennamen des Annehmenden, wobei dieser Aspekt im Gegensatz zu früher
offenbar nicht mehr so stark im Vordergrund stehe.
Weitere Zunahme der Volljährigenadoptionen erwartet
Generell kann man heute nach Auffassung von Prof. Dr. Frank feststellen.
„Volljährigenadoptionen werden ganz überwiegend zum Zwecke der Ersparung von
Erbschafts- oder Schenkungssteuern angestrebt.“ Er nannte dazu ein Beispiel: „Durch
die Adoption rückt der Angenommene als Kind des Annehmenden in die begehrte
Erbschaftssteuerklasse I auf (§ 15 Erbschaftssteuergesetz).“
Mit seiner Meinung ist Prof. Dr. Frank dabei nicht alleine. Der Präsident des Deutschen
Forums für Erbrecht, Klaus Michael Groll, sagte kürzlich dem Magazin FOCUS, er
erwarte eine starke Zunahme von Adoptionen und Eheschließungen aufgrund der Pläne
der großen Koalition für eine Reform der Erbschaftssteuer (dpa vom 11. November
2007).
Bis zu 50 Prozent Erwachsenenadoptionen
Bis zu 50 Prozent aller Adoptionen sind Volljährigenadoptionen. Nach Einschätzung
von Standesbeamten steigt deren Zahl vor allem in den alten Bundesländern
kontinuierlich an. Ursache hierfür dürfte zum einen sein, dass die natürliche Scheu,
leibliche Eltern aus finanziellen Gründen gegen Adoptiveltern auszutauschen, in
jüngerer Zeit deutlich abgenommen hat, so Prof. Dr. Frank.
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Außerdem gebe es zum Beispiel keine fassbaren Kriterien, mit deren Hilfe das
Bestehen oder Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen Erwachsenen
überprüft werden kann. Die Rechtsprechung verfahre bei dem Erfordernis der
„sittlichen Rechtfertigung“ einer Erwachsenenadoption großzügig, zeigte der
Wissenschaftler anhand etlicher Beispiele auf.
Prof. Dr. Frank: „Wer nicht gerade tollpatschig familienfremde Gründe in den
Vordergrund rückt, darf damit rechnen, dass seinem Antrag auf Volljährigenadoption
stattgegeben wird.“
Prof. Dr. Frank: Der Gesetzgeber kann nicht untätig bleiben
Als Fazit hielt Prof. Dr. Frank fest: „Meines Erachtens gibt es keinen einzigen Fall, in
dem die Erwachsenenadoption unverzichtbar ist. Wer glaubt, langjährige bewährte
Pflegekindschaftsverhältnisse sollten erbschaftssteuerlich honoriert werden, möge sich
für eine Änderung des Erbschaftssteuerrechts stark machen, aber nicht zur
Volljährigenadoption aufrufen.
Wer dennoch der Meinung ist, die in Deutschland historisch gewachsene
Volljährigenadoption solle nicht gänzlich über Bord geworfen werden, muss darüber
nachdenken, ob nicht nach schweizerischem oder österreichischem Vorbild
objektivierbare Kriterien, wie etwa ein bestimmtes langjähriges Zusammenleben, als
Adoptionsvoraussetzungen normiert werden sollten.
Es scheint mir evident zu sein, dass der Gesetzgeber nicht untätig bleiben kann, wenn
die Erwachsenenadoption derzeit dabei ist, zahlenmäßig die Minderjährigenadoption zu
überholen.“
Blick in die europäischen Nachbarstaaten
Beate Anefeld, Standesbeamtin in Kaiserslautern und deutsche Vertreterin im
Fachbeirat des Europäischen Verbandes der Standesbeamtinnen und Standesbeamten
e.V. (EVS) beleuchtete die Adoptionsregelungen im europäischen Ausland. In ihrem
Statement gab sie einen Überblick, welche der zehn Mitgliedsstaaten des EVS die
Adoption von Volljährigen überhaupt vorsehen und welche familienrechtlichen
Wirkungen in Bezug auf die verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen.
Großbritannien mit den Teilrechtsgebieten England (mit Wales) und Schottland, die
Niederlande, Polen, die Slowakische Republik und Slowenien würden zu den Staaten
gehören, die keine Adoption Volljähriger kennen beziehungsweise diese ausdrücklich
gesetzlich ausschließen.
Demgegenüber ermöglichen neben Deutschland auch Belgien, Italien, Österreich und
die Schweiz die Erwachsenenadoption, berichtete Beate Anefeld. Dabei gebe es die
unterschiedlichsten Varianten, sei es bei den Rechtsbeziehungen zwischen
Adoptierendem und Adoptierten, in der Beschränkung oder der großzügigeren
Auslegung der Vorschriften und deren Anwendung,
Unterschiedliche Auswirkungen auf die Staatsangehörigkeit
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Unterschiedlich seien in allen zehn Staaten auch die staatsangehörigkeitsrechtlichen
Auswirkungen einer Erwachsenenadoption. In Österreich und Polen verbleibe eine
adoptierte Person, gleich welchen Alters, bei ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit. In
den anderen EVS-Staaten, so auch in Deutschland, würden nur minderjährige
Adoptierte die Staatsangehörigkeit des Adoptierenden erhalten und auch nur dann,
wenn es sich um eine Volladoption handle.
Soweit der Blick in die zehn Mitgliedsstaaten des Europäischen Verbandes der
Standesbeamtinnen und Standesbeamten. In den übrigen Ländern der EU ergibt sich
eine weitere vielfältige Palette der Adoptionsregelungen. Beate Anefeld informierte in
diesem Zusammenhang, dass sich die Europäische Kommission der Rechtsharmonisierung in Sachen Adoption angenommen habe.
Unabhängig von diesen Aktivitäten der EU werde derzeit auch das „Europäische
Adoptionsübereinkommen“ des Europarates überarbeitet. Es stammt aus dem Jahre
1967 und hat sich die Angleichung des materiellen Adoptionsrechts und die Förderung
des Wohles der Adoptivkinder in den Mitgliedstaaten zum Ziel gesetzt. Im November
2007 befasse sich die Parlamentarische Versammlung des Europarates mit dem
Entwurf des revidierten Übereinkommens, berichtete Beate Anefeld auf der Tagung der
Standesbeamten in Bad Salzschlirf.
Ferner verwies sie noch auf das sogenannte "Haager Adoptionsübereinkommen" vom
Jahre 1993. Es regelt die zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei der Vermittlung
grenzüberschreitender Adoption durch Schaffung entsprechender zentraler Behörden
zur Wahrung des Schutzes und der Rechte des Kindes. Außerdem enthält dieses
Abkommen spezielle Vorschriften über die umfassende Anerkennung von Adoptionen
in den einzelnen Vertragsstaaten.
Erwachsenenadoption aus Sicht des Notars
Aus der Sicht desjenigen, an den zuerst der Wunsch wegen einer „Annahme an Kindes
Statt“ herangetragen wird, behandelte der Rechtsanwalt und Notar Dr. Peter Rosbach
aus Limburg/Lahn das Thema auf der Fachtagung des BDS in Bad Salzschlirf
Dr. Peter Rosbach: „Die Erfordernisse eines notariellen Antrags auf Adoption eines
Volljährigen erzwingen eine Erforschung der Lebensumstände von Annehmenden und
Anzunehmenden durch den Notar und eine eingehende Schilderung des bisherigen
persönlichen Umgangs zwischen den Beteiligten, um dem Vormundschaftsgericht die
Prüfung der 'sittlichen Rechtfertigung' zu ermöglichen.“
Seelische-geistige Verbundenheit und soziale Familienbande erforderlich
Wesensmerkmal eines solchen, die Adoption Erwachsener sichtlich rechtfertigenden
Eltern-Kind-Verhältnisses sei eine dauernde seelische-geistige Verbundenheit, wie sie
zwischen Eltern und Kind auch nach dessen Volljährigkeit bestehen bleibe.
Erforderlich sei ein soziales Familienband, das seinem Inhalt nach dem durch die
natürliche Abstammung geschaffenen Familienband ähnelt und eine auf Dauer
angelegte Bereitschaft zum gegenseitigen Beistand einschließe, so der Notar.
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Problematische Fallgestaltungen gebe es dann, wenn der zu adoptierende Volljährige
eine ausländische Staatsangehörigkeit habe oder wenn kein natürlicher Altersabstand
gegeben sei. Die Adoption sei sittlich auch nicht gerechtfertigt, wenn die Absicht der
Beteiligten ausschließlich oder in Wahrheit von nicht familienbezogenen Motiven, wie
etwa von wirtschaftlichen Interessen, getragen sei.
Ausschließliche wirtschaftliche Interessen rechtfertigen keine Adoption
Für die Adoption könnten zwar auch nicht familienrechtliche Motive, zum Beispiel die
Ersparnis von Erbschaftssteuern, eine Rolle spielen. Als Hauptmotiv könnten sie eine
Adoption aber nicht rechtfertigen, meinte Dr. Peter Rosbach.
Die Annahme eines Volljährigen dürfe auch nicht ausgesprochen werden, wenn ihr
überwiegende Interessen der Kinder des Annehmenden oder des Anzunehmenden
entgegenstünden. Nicht erforderlich sei dabei eine formale Einwilligung der Kinder von
Annehmenden oder Anzunehmenden. Zur Feststellung der Interessen der Kinder sei
deren Anhörung dennoch zwingend erforderlich.
Ein Antrag auf eine sogenannte Volljährigenadoption mit "starker Wirkung", wodurch
insbesondere die bisherigen Verwandschaftsverhältnisse erlöschen würden, könne vom
Vormundschaftsgericht nur unter besonderen Voraussetzungen genehmigt werden,
führe dann aber zu den gleichen Wirkungen wie bei einer Minderjährigenadoption.
Im weiteren erläuterte Notar Dr. Peter Rosbach auch Verfahren, Zuständigkeiten,
erforderliche Zustimmungen und unbeachtliche Erklärungen der leiblichen Eltern,
Kosten und Rechtsfolgen der Volljährigen-Adoption.
Unterschiedliche Auffassungen im Melderecht
Hinsichtlich der Erwachsenenadoption gibt es in Deutschland keine ausdrücklichen
Regelungen in den Meldevorschriften. Darauf verwies Helmut Kruse, Leiter des
Bürgerbüros der Stadt Minden, auf der Fachtagung des BDS in Bad Salzschlirf.
In seinem Statement stellte er fest: „Die Meldebehörden haben laut geltendem Recht
die Vorgabe, das Melderegister in erster Linie nach ausgestellten
Personenstandsurkunden deutscher Standesämter zu führen. Daher werden die
Meldeämter erst dann tätig, wenn die Adoption einer erwachsenen Person durch das
Vormundschaftsgericht bestätigt und die Eintragung des sogenannten Randvermerks in
den Personenstandsbüchern erfolgt ist.
Nach Übersendung der entsprechenden Mitteilung durch die Standesbeamten hat die
zuständige Meldebehörde die Änderung des Familiennamens und zusätzlich geänderter
Vornamen der adoptierten Person vorzunehmen.“
Umstrittene Datenspeicherung im Melderegister
Umstritten ist laut Helmut Kruse die Frage, ob die Speicherung des vor der Adoption
geführten Namens der Person im Melderegister zulässig sei. Argumentiert werde, dass
das Gesetz von einer Speicherung des früheren Namens ausgehe, weil ansonsten - im
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Falle einer Löschung des Datensatzes - eine laut Gesetz angeordnete Auskunftssperre
überflüssig und sinnlos wäre.
Gegen diese Auffassung spreche jedoch die Löschungsverpflichtung der
Meldebehörden, die sich aus dem Melderechtsrahmengesetz bzw. den entsprechenden
Vorschriften der Landesmeldegesetze ergibt. Danach sind Daten, die nicht mehr zur
Erfüllung zugewiesenen Aufgaben erforderlich sind, von der Meldebehörde zu löschen.
Eine klare Regelung wäre hier angebracht und für den Vollzug der Vorschriften mehr
als sinnvoll, stellte Kruse fest.
Fachausschuss des BDS beriet umfangreiche Tagesordnung
Parallel zur Fachtagung hielt auch der Fachausschuss des Bundesverbandes der
Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten e.V. seine Herbstsitzung ab. Das
sechsköpfige Gremium behandelte und entschied eine ganze Palette von fachlichen
Anfragen aus dem Arbeitsbereich der Standesbeamten und ihrer Aufsichtsbehörden in
Deutschland.
Die Themen reichten von der Aufhebung einer in der Ukraine geschlossenen Ehe einer
sechzehnjährigen deutsch-ukrainischen Doppelstaatlerin bis hin zur Namensführung
einer aus Sri Lanka stammenden Familie nach deren Einbürgerung, berichtete der
Ausschuss-Vorsitzende Karl Krömer, im Hauptberuf Leiter des Standesamtes
Augsburg.
Vielfältige Vaterschaftsfragen
Bei mehreren Tagesordnungspunkten des Fachausschusses ging es um die Wirksamkeit
der Beurkundung von Vaterschaftsanerkennungen. Nicht selten ist der umgekehrte Fall,
dass nachträglich eine gerichtliche Klärung der Vaterschaft erfolgen soll. Im Deutschen
Bundestag wird derzeit der "Entwurf eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft
unabhängig vom Anfechtungsverfahren" beraten.
Gesetzentwurf zur "Klärung der Vaterschaft" beurteilt
Mit diesem Gesetzentwurf befasste sich Prof. Dr. Tobias Helms vom Fachbereich
Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg auf der Fachtagung des BDS in
Bad Salzschlirf.
Anlass für dieses Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ist der Streit um die
Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftsgutachten. Nach gefestigter Rechtsprechung der
Zivilgerichte ist ein genetisches Abstammungsgutachten, das ohne Wissen des
betroffenen Kindes (z.B. Verwendung eines Kaugummis oder einer Haarsträhne) und
ohne Zustimmung seiner Mutter eingeholt wurde, rechtswidrig und darf im
Abstammungsprozess nicht beachtet werden, so Prof. Dr. Helms in seinem Referat.
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Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit Urteil vom 13. Februar .2007 diese
Rechtsprechung gebilligt, gleichzeitig aber den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.
März 2008 „ein rechtsförmiges Verfahren“ zur Verwirklichung des Rechts des
rechtlichen Vaters auf Kenntnis seiner Nachkommenschaft bereitzustellen.
Inzwischen hat die Bundesregierung am 11. Juli 2007 einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der am 11. Oktober 2007 in erster Lesung im Bundestag beraten wurde. Prof. Dr.
Tobias Helms: „Der Entwurf beschränkt sich jedoch nicht auf die Einführung eines
Verfahrens zur isolierten Klärung der genetischen Abstammung des Kindes, sondern
eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit, hieraus weitreichende Folgen für den rechtlichen
Status des Kindes zu ziehen.“
„Legale“ Aufdeckung der biologischen Abstammung eines Kindes
Das Besondere an diesem geplanten Verfahren sei, dass hierdurch zwar die
biologischen Abstammungsverhältnisse aufgedeckt werden sollen, diese Feststellung
aber keine automatischen Auswirkungen auf die statusrechtliche Zuordnung eines
Kindes zu seinem Vater habe. Die Tatsache der Abstammung oder Nichtabstammung
sei daher auch nicht im Personenstandsregister einzutragen.
Auslöser für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war nach Prof. Dr.
Helms das Festhalten am Erfordernis eines sogenannten Anfangsverdachtes bei
Zweifeln an der Vaterschaft. Diese Einschränkung sei nirgendwo gesetzlich normiert,
aber von der Rechtsprechung entwickelt und vom Bundesgerichtshof in mehreren
Entscheidungen bestätigt worden.
Aus seiner Sicht hätte das BVerfG allen Grund gehabt, die Hürde des Anfangsverdachts
als verfassungswidrige Einschränkung des Rechts zur Vaterschaftsanfechtung generell
über Bord zu werfen. Zumindest hätte man die konkrete Handhabung dieses Kriterium
in dem zur Entscheidung stehenden Fall rügen können.
Doch ganz im Gegenteil blieb es beim Festhalten am Erfordernis des
Anfangsverdachts, weil sonst das „Kindesinteresse am Erhalt seiner rechtlichen und
sozialen familiären Bindungen“ vernachlässigt und das „Interesse des Vaters an der
Lösung des rechtlichen Bandes“ unangemessen bevorzugt würde.
Gleichzeitig wollte das Bundesverfassungsgericht aber auch dem Interesse des Vaters
an der Kenntnis seiner Nachkommenschaft Rechnung tragen und trug dem Gesetzgeber
das genannte Verfahren auf, das seines Wissens weltweit einmalig ist, so Prof. Dr.
Helms.
Gesetzgeber geht über Vorgaben des Verfassungsgerichtes hinaus
Entscheidend sei nun aber, dass der deutsche Gesetzgeber plane, über die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts deutlich hinauszugehen. Eine erste Ungereimtheit stelle es
dar, dass die Ergebnisse aus dem genetischen Untersuchungsverfahren verwendet
werden dürfen, um in einem anschließenden Statusverfahren vor dem Familiengericht
den für eine „richtige“ Vaterschaftsanfechtung erforderlichen Anfangsverdacht zu
begründen.
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„Umständlicher hätte man das Ganze nicht ausgestalten können“, stellte Prof. Dr.
Helms unmissverständlich fest. Nach seiner Auffassung wäre es konsequenter gewesen,
den beschriebenen Anfangsverdacht für die Vaterschaftsanfechtung durch
ausdrückliche gesetzliche Anordnung abzuschaffen.
Noch viel entscheidender sei aber nun, so Prof. Dr. Helms, dass durch die geplante
Neuregelung die bisherige zweijährige Anfechtungsfrist faktisch aufgehoben werde.
Auch wenn die „normale“ Frist für eine Vaterschaftsanfechtung abgelaufen sei, könne
nunmehr das neue Verfahren auf isolierte Feststellung der Abstammung durchgeführt
werden, für das es keine Fristen gebe, aber im Anfechtungsfalle für den Vater und das
Kind (nicht aber für die Mutter) eine neue Zweijahresfrist auslöse.
Widerspruch zum Interesse des Kindeswohls
Dies alles sei wiederum fürchterlich umständlich und entspreche im Grunde nicht den
Überlegungen des Bundesverfassungsgerichtes und dessen Interesse am Kindeswohl.
Prof. Dr. Helms: „Durch die Abschaffung der Anfechtungsfristen wird nämlich das
Interesse des Kindes am 'Erhalt seiner rechtlichen und sozialen familiären Bindungen'
viel stärker betroffen als durch den ominösen Anfangsverdacht.“
Absehbar sei auch schon jetzt, dass man bei der nun vorgeschlagenen Lösung nicht
stehen bleiben könne. Was man dem Vater und dem Kind zugestehe, das werde man
über kurz oder lang schon aus Gründen der Gleichbehandlung auch der Mutter und dem
biologischen Vater einräumen müssen.
In nicht allzu ferner Zukunft dürften wir deshalb in Deutschland der Sache nach eine
fristlose Anfechtung der Vaterschaft haben. Damit würden wir ein Konzept verfolgen,
das in Westeuropa lediglich von Norwegen geteilt werde und etwa im Gegensatz zum
österreichischen, schweizerischen, griechischen, niederländischen, italienischen,
spanischen, französischen und belgischen Recht stehe, um nur einige Rechtsordnungen
zu nennen, meinte Prof. Dr. Tobias Helms.
Fragen zum Wert auf Kenntnis der biologischen Vaterschaft
Jenseits aller Kritik am Gesetzentwurf stellte der Rechtswissenschaftler zum Schluss
seines Referates folgende Überlegung zur Debatte: „Was soll man dagegen
einzuwenden haben, wenn die unmittelbar betroffenen Personen, also Vater, Mutter,
Kind und biologischer Erzeuger, jederzeit und ohne Einschränkung die rechtliche
Vater-Kind-Zuordnung auf ihre biologische Richtigkeit überprüfen können?“
Auf der einen Seite sei zuzugeben, dass die biologische Abstammung sicherlich
regelmäßig ein gutes Fundament für die Etablierung familiärer Bande ist. Aus der Sicht
des Vaters stelle die Geburt eines von ihm biologisch abstammenden Kindes nicht nur
einen Akt der Selbstverwirklichung und der Selbstbestätigung dar. Bis zu einem
gewissen Grad vermittle die Geburt eigener Nachkommen auch das Gefühl, in seinen
Abkömmlingen „weiterzuleben“.
Auch bei Kindern entstehe regelmäßig ab einem gewissen Alter, meist während der
Pubertät, wohl nicht zuletzt wegen der Kenntnis um die Bedeutung der Vererbung
genetischer Anlagen, ein Interesse an ihren biologischen Vorfahren. Gleichzeitig
garantiere die Anknüpfung an biologische Tatsachen in modernen Gesellschaften, die
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dadurch gekennzeichnet sind, dass Männer und Frauen wechselnde und oft nur
vorübergehende Beziehungen miteinander eingehen, stabile Abstammungsverhältnisse,
die nicht immer wieder erneut durch wechselnde soziale Beziehungsstrukturen in Frage
gestellt werden.
Beim deutschen Abstammungsrecht nicht vorschnell kapitulieren
Auf der anderen Seite dienten die traditionellen Regeln, wonach juristischer Vater eines
Kindes in erster Linie der Ehemann seiner Mutter und in zweiter Linie der Mann ist,
der das Kind freiwillig anerkennt, nicht allein dazu, die Kosten für genetische
Abstammungsuntersuchungen einzusparen. Vielmehr beruhten diese Prinzipien auf der
Erkenntnis, dass der Ehemann der Mutter bzw. der Mann, der das Kind anerkennt, wohl
am ehesten geeignet sein werden, dem Kind sichere Bindungen zu vermitteln, die für
seine positive Entwicklung erforderlich sind.
Wenn man aber hiervon ausgehe, und das tue letztlich ja auch das deutsche Recht,
wenn es als Vater eines Kindes nicht einfach den Mann bestimmt, der es gezeugt hat,
dann entwerte man diese sozialen Bindungen vollkommen, wenn man sie mit der
Möglichkeit der jederzeitigen einseitigen Anfechtbarkeit belastet.
Prof. Dr. Tobias Helms: „Meiner Meinung nach sollte das Abstammungsrecht nicht
ausschließlich auf biologischen Faktoren aufbauen. Allerdings gebe ich zu, dass es
außerordentlich schwer fällt, einen überzeugenden Kompromiss zwischen dem Faktum
der biologischen Abstammung und dem Schutz sozialer Familienstrukturen zu finden.
Doch sollte nicht – wie es sich jetzt im deutschen Recht abzeichnet – das
Abstammungsrecht vor der Suche nach einem angemessenen Ausgleich einfach
vorschnell kapitulieren.“
Vorbereitung in Bund und Ländern auf neues Personenstandsrecht
Intensiv arbeiten derzeit die Innenministerien des Bundes und der Länder an der
Umsetzung des zum 1. Januar 2009 in Kraft tretenden Gesetzes zur Reform des
Personenstandsrechts (PStRG). Auch die Standesbeamtinnen und Standesbeamten in
den Gemeinden machen sich mit den zahlreichen Änderungen und Neuerungen
vertraut: am Arbeitsplatz und in den Schulungen, die von den ehrenamtlichen
Fachberaterinnen und Fachberatern der einzelnen Landesverbände des BDS abgehalten
werden.
Das Reformgesetz löst Vorschriften ab, die zum Teil bis auf das Jahr 1876
zurückgehen. Wichtigste Neuerung ist die Einführung von elektronischen Registern zur
Dauerspeicherung der Geburten, Eheschließungen, Lebenspartnerschaften und
Sterbefälle. Diese Register ersetzen die bisherigen, auf Papier gedruckten und in
Bücher gebundenen Personenstandseinträge.
Die Bundesländer erhalten darüber hinaus zusätzliche Regelungsmöglichkeiten. So
können sie unter anderem eigene Organisationsformen für die Beurkundung der
Personenstandsfälle einführen und die entsprechenden Gebühren selbst bestimmen.
Dies ist bisher dem Bund vorbehalten.
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Aus diesen Gründen stand die Personenstandsreform auch im Mittelpunkt der
Grußworte der Ministeriumsvertreter aus Bund und Ländern, die den Standesbeamten
ihre Referenz erwiesen.
Staatssekretärin dankt den Standesbeamten und ihren Verbänden
Sozusagen ein Heimspiel hatte Oda Scheibelhuber, Staatssekretärin im Hessischen
Ministerium des Innern und für Sport. Sie freute sich, die Teilnehmer der Fachtagung
des BDS in Bad Salzschlirf, der "heimlichen Hauptstadt des deutschen
Personenstandswesens" begrüßen zu können.
Es sei eine bemerkenswerte Konstellation, dass ein ganzer Zweig wie die
Standesbeamtenschaft seine Aus- und Fortbildung mit einer eigenen Organisationsform
außerhalb der Verwaltung selbst in die Hand nehme. "Damit werden die kommunalen
Dienstherren, aber auch die Aufsichtsbehörden, enorm entlast," betonte die
Staatssekretärin.
Darüber hinaus gäben der Bundesverband und die Landesverbände der Standesbeamten
sowie die Akademie für Personenstandswesen wesentliche Impulse für die Gesetze und
Ausführungsbestimmungen. Dies sei alles andere als selbstverständlich. Auch deshalb
sei das hessische Innenministerium froh, die Standesbeamten als Partner zu haben.
Standesämter bleiben bei den hessischen Kommunen
In ihrem Hause sei man derzeit dabei, die landesrechtlichen Regelungen zum
Reformgesetz des Bundes auszuarbeiten. Festhalten wolle man in Hessen an der
kommunalen Zuständigkeit für das Personenstandswesen, sagte die Staatssekretärin.
Wirkungsbereich eines Standesamtes sei somit weiterhin das Gemeindegebiet. An
diesem überkommenen Prinzip wolle man festhalten, gleichzeitig aber vor allem an
kleinere Gemeinden appellieren, die Möglichkeiten der interkommunalen
Zusammenarbeit mehr als bisher zu nutzen und ein gemeinsames Standesamt zu
betreiben.
Die Standesamtsgebühren würden künftig nicht mehr vom Bund einheitlich
vorgegeben, sondern könnten in jedem Bundesland eigens geregelt werden. Mit diesem
Vorschlag habe sich Hessen über den Bundesrat durchgesetzt. Oda Scheibelhuber:
"Föderaler Wettbewerb ist die Idee, die dahinter steckt. Vergleichen von Leistungen,
schauen, was andere besser machen, tut der Sache mit Sicherheit gut."
Letztlich ergebe sich sogar die Möglichkeit, die Gebührenregelung den Gemeinden zu
überlassen. Denkbares Ergebnis: Benchmarking, Wettbewerb auch unter den
Kommunen mit einem gewissen Druck, den Geschäftsprozess überall so ökonomisch
wie möglich zu organisieren. Die hessische Staatssekretärin kündigte intensive
Beratungen mit den Kommunalen Spitzenverbänden und mit den Länderkollegen an,
um ein einigermaßen abgestimmtes Gebührensystem zu bekommen.
Zuständigkeit für Lebenspartnerschaften regeln
Zu regeln sei in Hessen auch die Frage, welche Behörde ab 1. Januar 2009 für die
Begründung von Lebenspartnerschaften zuständig sei. Das Personenstandsreformgesetz
des Bundes ordne diese Aufgabe den Standesbeamten zu. Nach dem derzeitigen Stand
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der Meinungsbildung erscheine es durchaus möglich, dass die bisherige hessische
Sonderregelung, wonach die Lebenspartnerschaften beim sogenannten Gemeindevorstand angesiedelt sind, im Zuge der Neuregelung aufgehoben werde.
Hierfür spreche vor allem die hessische Verwaltungspraxis: In 403 der 426 Städte und
Gemeinden habe der Gemeindevorstand die Begründung der Lebenspartnerschaften
intern dem jeweiligen Standesamt übertragen. Oda Scheibelhuber: "Die kommunale
Praxis hat uns damit, wie ich finde, die landesrechtliche Entscheidung zwar nicht
abgenommen, aber doch leicht gemacht." Eine Entscheidung sei aber noch nicht
endgültig gefallen.
Daneben sei landesrechtlich noch zahlreiche Regelungen zu treffen, die nach innen in
die Verwaltung wirken: etwa die Festlegung der fachlichen Anforderungen an die
Standesbeamtinnen und Standesbeamten, die Aufbewahrung der bisherigen
Personenstandsbücher, der Akten und der neuen Sicherungsregister oder die Abgabe
von Altbeständen an die Archive.
Zentrales hessisches Personenstandsregister unter dezentraler Verantwortung
Von ganz entscheidender Bedeutung seien die rechtlichen, organisatorischen und
technischen Voraussetzungen, um die Personenstandsbücher ab dem 1. Januar 2009 auf
eine elektronische Registerführung umzustellen. Die hessischen Gemeinden werde man
mit dieser neuen Aufgabenstellung nicht alleine lassen. Das Innenministerium, und hier
ihr Staatssekretärkollege Harald Lemke, habe daher die Entwicklung eines
elektronischen Personenstandsregisters in Hessen angestoßen. Dafür sei der zentrale ITDienstleister der hessischen Kommunen, die ekom21, gewonnen worden.
Dieses "zentrale Register unter rechtlich dezentraler Verantwortung" bedeute eine
Kombination, die einerseits den derzeitigen rechtlichen und strukturellen Bedingungen
entspreche, andererseits höchsten IT-Anforderungen gerecht werde. Überdies sei diese
Lösung ökonomisch vernünftig und last but not least zum 1. Januar 2009 arbeitsfähig,
stellte die hessische Staatssekretärin abschließend fest.
Zentrale Personenstandsregister in den Ländern machbar?
Über die Arbeit, die zur Zeit in Bayern geleistet wird, informierte Walter Königbauer,
Regierungsrat im Münchner Innenministerium, auf der Fachtagung des
Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten e. V. (BDS)
in Bad Salzschlirf.
Das Personenstandswesen gehöre nach einer Entscheidung von Bund und Ländern zu
den prioritären IT-Vorhaben des Aktionsplans "Deutschland-Online" (DOL). Dessen
Ziele wären, die wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen online bereit zu stellen,
Verwaltungsportale zu vernetzen und gemeinsame Infrastrukturen zu erreichen, um den
Datenaustausch zu erleichtern. Ferner sollen Standards, Daten- und Prozessmodelle für
hoch effiziente Kommunikations- und Transaktionsstrukturen entwickelt werden.
Für das DOL-Vorhaben "Personenstandswesen" hat der
Freistaat die
Gesamtfederführung übernommen. Hauptziel sei, die Grundlagen für die Entscheidung
über die zukünftigen Strukturen in diesem Verwaltungsbereich zu schaffen. Dem
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diene insbesondere das Teilprojekt "Einführung eines landesweiten Personenstandsregisters".
Vorstudie ergab: zentrales Register grundsätzlich machbar
Eine Vorstudie des bayerischen Innenministeriums habe bereits vor drei Jahren
ergeben, dass ein zentrales elektronisches Register grundsätzlich machbar, Erfolg
versprechend und sinnvoll erscheine. Nach europaweiter Ausschreibung sei nun heuer
eine ergebnisoffene Machbarkeitsstudie an externe Unternehmen in Auftrag gegeben
worden. Begonnen wurde mit der auf vier Monate angelegten Studie Mitte Juli, die
Endabnahme sei bis Jahresende 2007 geplant, berichtete Walter Königbauer.
Die Machbarkeitsstudie beinhalte zahlreiche Leistungspakete und prüfe verschiedene
Modelle für die elektronische Registerführung im Personenstandswesen des Landes.
Beim "Modell 1" würden der derzeitige Aufwand und Finanzbedarf der Standesämter
und Aufsichtsbehörden in Bayern sowie deren einmalige und laufende Kosten nach der
Umstellung auf die elektronische Personenstandsbuchführung ermittelt.
Finanzielle Mehrbelastung für Kommunen
Stichprobenartige Erhebungen in Standesämtern verschiedener Größenklassen und in
Aufsichtsbehörden hätten folgendes ergeben: In den 1331 bayerischen Standesämtern
fallen momentan pro Jahr rund 72 Millionen Euro an Personal- und Sachkosten an, für
den Aufwand der Aufsichtsbehörden in den 71 Landratsämtern und 25 kreisfreien
Städten nochmals rund 4,4 Millionen Euro jährlich.
Die Einführung einer elektronischen Personenstandsregisterführung werde zu einer
erheblichen Mehrbelastung führen, die nicht durch Gebühreneinnahmen gedeckt
werden könnte. Man rechne mit rund 42,2 Millionen Euro an einmaligen
Umstellungskosten und mit laufenden Zusatzkosten von jährlich rund 5,5 Millionen
Euro.
Hohe Sicherheitsanforderung an elektronische Registerführung
Ganz erheblich seien die Sicherheitsanforderungen, angelehnt an die
Grundschutzkataloge des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik
(BSI). Die Registereinträge und der elektronische Mitteilungsverkehr zwischen den
Behörden müssten vor Veränderungen geschützt sowie die Authentizität der Daten
nachvollziehbar und die Vertraulichkeit gewahrt bleiben.
Ferner gelte es, die Datenhaltung dauerhaft und sicher zu gestalten, die Daten dauerhaft
lesbar zu halten, passende Datenformate zu entwickeln und den Betrieb und Support zu
gewährleisten. Walter Königbauer dazu: "All dies ist von kleineren Standesämtern
kaum erfüllbar."
Weitere Modelle untersucht
So beinhalte die Machbarkeitsstudie auch Modelle für zentrale Registerführungen. Das
"Modell 2" sehe eine zentrale Speicherstelle vor, die auch die Verarbeitungsroutinen für
die dezentrale Verarbeitung bei den Standesämtern erledige. Sämtliche Beurkundungen
aller angeschlossenen Standesämter würden auf einem zentralen Rechner erfolgen und
auch alle Mitteilungen darüber laufen. Bei den dezentralen Standesämtern müssten
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dann lediglich Personal Computer, Drucker und je nach Ausführung sogenannte ClientSoftware oder Internet-Zugang eingerichtet werden.
Beim "Modell 3" würde ebenso eine zentrale Speicherstelle eingerichtet. Die
Datenverarbeitung erfolge aber weiterhin in den dezentralen Standesämtern mit
individueller Soft- und Hardware. Dazu gebe es auch noch eine weitere technische
Variante.
Nach Abnahme und Auswertung der Machbarkeitsstudie durch das Innenministerium
solle das bayerische Kabinett Anfang 2008 über das Pilotprojekt entscheiden. Bei
einem entsprechenden Beschluss gehe es anschließend an die Umsetzung des
Vorhabens, das faktisch nicht vor dem 1. Januar 2009 beginnen könne, berichtete
Walter Königbauer.
Standesämter bleiben erhalten – Zusammenschlüsse oder Übertragungen möglich
Unabhängig von diesem Projekt müssten natürlich auch in Bayern die
Landesvorschriften zur Ausführung des Personenstandsrechtsreformgesetzes des
Bundes erarbeitet und erlassen werden.
Ähnlich wie in Hessen werde es auch im Freistaat beim Status quo für die
gemeindlichen Standesämter bleiben. Vorgesehen seien erleichterte Möglichkeiten für
die Kommunen, sich zu größeren Einheiten zusammen zu schließen. Diskutiert werde
auch die Möglichkeit, die Personenstandsaufgaben auf den jeweiligen Landkreis mit
dessen Zustimmung zu übertragen.
Elektronischer Mitteilungsdienst zu anderen Behörden
Abschließend ging der bayerische Personenstandsexperte noch auf ein weiteres
Teilprojekt von Deutschland-Online ein, das in Dortmund bearbeitet werde. Geburten,
Eheschließungen und Sterbefälle seien nicht nur in den Registern der Standesämter
einzutragen. Diese Daten müssten auch zahlreichen anderen Stellen, vor allem den
Meldebehörden, mitgeteilt werden.
Auch hier solle künftig die Elektronik eingesetzt werden, was sogenannte
medienbruchfreie Verfahren und viele weitere Technik voraussetze. Ein erstes
Modul dieses Projektes "XPersonenstand" werde bis zum 1. Januar 2009 fertiggestellt
sein, berichtete Walter Königbauer abschließend bei der Fachtagung des BDS in Bad
Salzschlirf.
Bund-Länder-Arbeitsgruppe aktiv
Mit den Veränderungen im deutschen Personenstandswesen und den
Herausforderungen durch die künftige elektronische Registerführung befasste sich Dr.
Sabine Selbig vom Bundesinnenministerium auf der Fachtagung des BDS in Bad
Salzschlirf.
Neben den Festlegungen in der Personenstandsverordnung (PStV), die an das
Reformgesetz angepasst werden müsse, sei geplant, die technischen Vorgaben in einer
separaten Vorschrift (TPStV) aufzuführen.
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Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe sei dabei, die Regelungen im Einzelnen zu entwerfen.
Bevor im Januar 2009 der erste Personenstandsfall elektronisch beurkundet werden
könne, seien allerdings noch vielfältige rechtliche und technische Fragen zu klären.
Schließlich werde mit dem elektronischen Personenstandsregister teilweise Neuland
betreten, betonte die Berliner Ministeriumsvertreterin.
Noch etliche Fragen zu klären und Aufgaben zu bewältigen
Dr. Sabine Selbig: "Das Sicherheitskonzept für das Register, die Einsichtnahme eines
Standesamtes in die Suchverzeichnisse anderer Standesämter, die Führung des
Sicherungsregisters und die Langzeitaufbewahrung sind einige der Punkte, die noch
nicht abschließend geklärt sind." Dies gelte auch für die Frage, wie man mit dem
Nebeneinander von Papierregistern und elektronischen Registern umgehe, welches
zumindest einige Jahre lang unvermeidlich sein werde.
Ein wichtiges Anliegen der Personenstandsreform sei es ferner, die Kommunikation
zwischen Standesamt und Bürger, zwischen den Standesämtern und mit anderen
Behörden merklich zu verbessern und zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang
verwies Dr. Sabine Selbig, wie auch Walter Königbauer vom bayerischen
Innenministerium, auf das in Dortmund bearbeitete Verfahren "XPersonenstand".
Dies solle ein öffentlich zugänglicher Standard zur sicheren Übermittlung von Daten im
Personenstandswesen
werden. Von einem Standesamt elektronisch versandte
Mitteilungen sollen hiermit strukturiert übermittelt werden, so dass sie in der anderen
Empfängerbehörde, z.B. Standesamt oder Meldeamt, sofort weiter verarbeitet werden
könnten und nicht wie bisher erneut in den Computer eingegeben werden müssten.
Anregungen der Standesbeamten einzubeziehen
Parallel zu all dem werde laut Dr. Sabine Selbig im Berliner Ministerium an der
"Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden (DA)"
gearbeitet, dem bis heute wichtigsten Werk für die tägliche Arbeit in den
Standesämtern. Es sei eine schwierige Gratwanderung, eine Verwaltungsvorschrift zu
erstellen, die den modernen Ansprüchen von Entbürokratisierung und Deregulierung
genüge, gleichzeitig aber nahezu jede Eventualität des standesamtlichen Alltags
berücksichtigen solle.
Dabei und auch bei aktuellen Anlässen berücksichtige man weiterhin die Anregungen
aus dem Bundesverband und den Landesverbänden der Standesbeamtinnen und
Standesbeamten, betonte die Vertreterin des Bundesinnenministeriums.
Seit 1949 Seminare für Standesbeamte in Bad Salzschlirf
Der Bundesverband der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten e. V.
(BDS) wurde am 11. August 1920 in Kassel als "Reichsverband der Standesbeamten
Deutschlands" gegründet. Seitdem ist er der Dachverband der entsprechenden
Landesverbände und Träger der Aus- und Fortbildung der deutschen
Standesbeamtinnen und Standesbeamten.
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Der spätere Verbandssitz in Berlin wurde 1940 ins hessische Bad Salzschlirf verlegt.
1949 wurden hier bereits die ersten Seminare für Standesbeamte abgehalten. Heute
betreibt der BDS an diesem Standort ein modernes Aus- und Fortbildungszentrum.
Rund 2.500 bis 3.000 Teilnehmer werden an der "Akademie für Personenstandswesen"
in Bad Salzschlirf jährlich unterrichtet.
Der Betrieb der Akademie ist auch ein gewichtiger wirtschaftlicher Faktor für den
idyllischen Badeort mit seinen 3.300 Einwohnern. Darauf wies die Beigeordnete der
Gemeinde Bad Salzschlirf, Adelheid Eurich, bei der Fachtagung des BDS hin. Der
Verband und die Tagungsstätte trügen ebenso zum Bekanntheitsgrad des seit 1838
staatlich anerkannten Heilbades bei. Auch unter diesen Gesichtspunkten freue sie sich
auf weitere positive Zusammenarbeit.
Präsident Jürgen Büssow im Amt bestätigt
Turnusgemäß wurden anlässlich der Fachtagung in Bad Salzschlirf auch die Neuwahlen
des Präsidiums durchgeführt. Jürgen Büssow, hauptberuflich Regierungspräsident in
Düsseldorf, wurde von der Mitgliederversammlung einstimmig für weitere drei Jahre
zum ehrenamtlichen Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen
Standesbeamtinnen und Standesbeamten e. V. (BDS) gewählt.
Neben Ingrid Preuß, der Verbandsvorsitzenden aus Thüringen, wurde Klaus Kaim,
Vorsitzender des Fachverbandes Westfalen-Lippe, zum weiteren Vizepräsidenten
bestimmt. Die Kontinuität bei den deutschen Standesbeamten zeigte sich auch bei der
Wahl des Vorsitzenden des Fachausschusses des BDS. Dieses Amt wurde für die
nächsten drei Jahre weiterhin Karl Krömer, Leiter des Standesamtes Augsburg,
übertragen.
Die Silberne Ehrennadel des Bundesverbandes erhielten Albert Kollnig für
siebenjähriges erfolgreiches Wirken als Vorsitzender des Fachverbandes der
Standesbeamten Baden-Württemberg, Regierungsbezirke Karlsruhe und Freiburg e.V.,
sowie Dieter Hahnel für 15jährige herausragende Tätigkeit als Geschäftsführer des
BDS. Mit einem besonderen Präsent und herzlichen Dankesworten verabschiedet
wurde Gerhard Palm, der 15 Jahre den baden-württembergischen Fachverband für die
Regierungsbezirke Stuttgart und Tübingen äußerst engagiert geführt hatte.
Gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen und aktuelle Vorhaben beleuchten
Verbandspräsident Jürgen Büssow zeigte sich zum Abschluss der Fachtagung 2007
äußerst zufrieden mit dem Ablauf und dem Ergebnis der mehrtägigen Veranstaltung.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Praxis und Wissenschaft hätten einen
intensiven Erfahrungsaustausch gepflegt, neue Erkenntnisse gewonnen und wichtige
Impulse für ihre tägliche Arbeit bekommen. Dies gelte auch für die Kolleginnen und
Kollegen der befreundeten Standesbeamten-Verbände aus Österreich, Polen, der
Schweiz und Slowenien, die zur Fachtagung nach Bad Salzschlirf gekommen waren.
Durch die Themenwahl habe der BDS auf gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam
machen und aktuelle Gesetzesvorhaben beleuchten wollen. Das PersonenstandsrechtsReformgesetz werde ab 2009 manche alten Zöpfe abschneiden und zahlreiche neue
Verfahren, insbesondere die elektronische Speicherung der Personenstandsdaten,
einführen. Der Bundesverband und die Landesverbände seien gerne bereit, auch bei der
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Erstellung der noch nötigen Ausführungsbestimmungen des Bundes und der Länder
mitzuwirken, stellte der Verbandspräsident fest.
Jürgen Büssow: "Die Stimmen aus der Praxis, die Wünsche unserer 30.000
Standesbeamtinnen und Standesbeamten, die Anregungen der Fachberater der
Landesverbände und die Vorschläge aus dem Fachausschuss sollten wahrgenommen
und ernst genommen werden, damit auch die untergesetzlichen Vorschriften
problemlos, praxisorientiert und bürgerfreundlich angewendet werden können."
Vorbildliche Aus- und Fortbildungsverpflichtungen von Bayern übernehmen
Aus Sicht der Praxis sollten beispielsweise die standesamtlichen Gebühren in allen
Bundesländern in gleicher Höhe festgesetzt oder die Höhe der Gebühren zumindest in
einer Art „Korridor“ festgelegt werden. Weiterhin sollte die Gelegenheit für eine
Regelung genutzt werden, wonach für die Bewältigung der anspruchsvollen
standesamtlichen Aufgaben grundsätzlich nur Kommunalbeamte des gehobenen
Dienstes eingesetzt werden.
Der Präsident des BDS: "Wichtig erscheinen uns auch Verfahren, mit denen die
elektronischen Erst- und Zweitbücher und Sicherungsregister zukünftig wirklich sicher
verwahrt
werden
können.
Auch
eine
Festlegung
von
Ausund
Fortbildungsverpflichtungen in Anlehnung an die vorhandenen, vorbildlichen
Regelungen im Freistaat Bayern sollte ernsthaft erwogen werden. Auf jeden Fall wird
der Bundesverband die Sicht der Praxis darstellen und gerne in den Entstehungsprozess
einbringen."
Bei Gesprächen mit Staatssekretär Karl Peter Brendel vom nordrhein-westfälischen
Innenministerium und Ministerialrat Dr. Heribert Schmitz vom Bundesinnenministerium habe er erst kürzlich feststellen können, dass die Anregungen des BDS
durchaus aufgegriffen werden, zog Jürgen Büssow abschließend eine positive Bilanz
der Verbandsarbeit im Bund und in den Ländern.
Bad Salzschlirf, 21. November 2007
Weitere Informationen für die Medien durch:
Dieter Hahnel
Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und
Standesbeamten e. V. (BDS)
Bahnhofstr. 14
36364 Bad Salzschlirf
Telefon: 06648 / 93 14 17 und 93 14-0
Telefax: 06648 / 93 14 14
E-Mail: [email protected]
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