land der lügen - Golkonda Verlag

Transcrição

land der lügen - Golkonda Verlag
James Crumley
funny crimes
LAND DER
LÜGEN
FUNNY CRIMES bei SHAYOL
3901 – Malcolm Pryce, Aberystwyth Mon Amour
3902 – Joe R. Lansdale, Wilder Winter
3903 – Olivier Mau, Myrtille am Strand
3904 – James Crumley, Land der Lügen
3905 – Joe R. Lansdale, Rumble Tumble (Frühjahr 2007)
3906 – Lawrence Block, Everybody dies (in Vorbereitung)
James Crumley
Land der Lügen
Roman
Deutsch von Katrin Mrugalla
LESEPROBE
FUNNY CRIMES
Herausgegeben von Richard Betzenbichler
FUNNY CRIMES bei SHAYOL
»Land der Lügen«
Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel
»The Final Country« bei Warner Books, Inc.
Verantwortlich für das Programm der Reihe FUNNY CRIMES
ist Richard Betzenbichler: [email protected]
James Crumley, Land der Lügen
Erste Auflage: Februar 2007
Original © Warner Books, Inc. 2001
Übersetzung © 2006 by Richard Betzenbichler
© dieser Ausgabe: SHAYOL.NET e.V., Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Hannes Riffel und Richard Betzenbichler
Korrektur: Martin Schloßbauer
Titelbild: Fotodesign Sigrun Lenk, Freising
Umschlaggestaltung, Satz und Produktion: Ronald Hoppe
Druck: FINIDR s.r.o.
SHAYOL Verlag
Bergmannstraße 25
10961 Berlin
E-Mail: [email protected]
Internet: www.shayol-verlag.de
ISBN 978-3-926126-62-7
DIE HAUPTPERSONEN
Milton Chester Milodragovitch III., kurz: Milo ............................
............................... Barkeeper und Privatdetektiv aus Montana,
Betty Porterfield ................................................. Milos Freundin
Cathy Scoggins ............................ Freundin von Betty Porterfield
Travis Lee Wallingford ............................ Bettys Onkel, Politiker
Tom Ben Wallingford ............................... Bettys Onkel, Rancher
Enos Walker ................................................. Dealer und Mörder
Amanda Rae Quarrels, kurz: Mandy Rae, alias Amelie Fontinot ..
.......................................... frühere Komplizin von Enos Walker
Sissy Duval ............................... Witwe von Dwayne Duval, dem
....................................... ehemaligen Besitzer des Over the Line
Renfro ............................................... Sissys Friseur und Freund
Richard (Dickie) Wylie Oates .....................................................
................................... im Knast wegen Mord an Dwayne Duval
Captain James Gannon .............. Chef der Kripo in Gatlin County
Bob Culbertson .................................... Polizist in Gatlin County
Carol Jean Warren, kurz CJ .......................................................
.............................. künstliche Schönheit mit gefragten Talenten
Ty Rooke ................................ Kriminalpolizist in Gatlin County
Tobin Rooke .............................................................................
.............. Staatsanwalt in Gatlin County, Zwillingsbruder von Ty
Hangas ............................................................ Freund von Milo
Carver de Longchamps, kurz: Carver D. ............ Freund von Milo
Petey ............................................................... Freund von Milo
Phil Thursby ................................................ Milos Rechtsanwalt
Molly McBride alias Molly Molineaux ........................................
.................................. erteilt Milo einen (fast) tödlichen Auftrag
Hayden Lomax .................... Großgrundbesitzer in Gatlin County
Sylvie Lomax ....................................................... Haydens Frau
Für Martha Elizabeth, wieder einmal
Das Land ist barbarisch groß und unendlich. Es gibt viel zuviel
davon, hinterwäldlerisch und provinziell, abwechselnd düster und
strahlend schön, überwältigend und unbegreiflich. Es ist so unglaublich verschiedenartig und verwirrend – man kann sich kaum
vorstellen, wie das alles zusammenpaßt. Obwohl es zunächst ganz
einfach scheint, wie ein Teil des Ganzen.
Es beginnt, ähnlich wie das Ganze, an einem alten stehenden
Gewässer aus toten Seen und funkelnden Flußmündungen ...
Billy Lee Brammer The Gay Place
Montana scheint mir so zu sein, wie ein kleiner Junge glaubt, daß
Texas sein müsse, wenn er Texanern zuhört.
John Steinbeck Die Reise mit Charly
Anmerkung des Autors:
Es gibt in Texas kein Gatlin County
KAPITEL 1
Es war Ende November, als ich durch die Randbezirke des Hill
Country fuhr, aber ich hatte sehr schnell gelernt, daß hier unten
nie etwas wirklich so war, wie es schien. An jenem Tag hätte es
im Nordwesten von Austin genauso gut Frühling sein können. Die
dünnen Blätter der Hickorybäume hatten sich noch nicht verfärbt,
und die Leute mähten ihre Rasen nach wie vor in T-Shirts und
kurzen Hosen. Oder genauer gesagt: In diesem exklusiven Viertel
schauten sie zu, wie diverse illegale Ausländer wie Mistkäfer über
die dichten Rasenflächen von St. Augustine hin- und herhasteten
und sich dabei durch blindwütige Schwärme von Stechmücken
kämpften. Die sanften südöstlichen Winde hatten die Wolken vertrieben, und die Nachmittagssonne stand strahlend am tiefblauen
Himmel. Über mir schien ein einsamer Geier aufmerksam nach
dem Rechten zu sehen. Der Winter war wie ein vages Versprechen, das zwangsläufig gebrochen werden würde.
Daheim in Montana mußte der Herbst das Land jetzt schon fest
im Griff haben: Die Gipfel und die hochgelegenen Gebirgskämme
im Meriwether Valley wären von einer dicken Schneedecke überzogen, die Zweige der Pappeln ragten nackt wie Fingerknochen
empor, die Lärchen leuchteten goldglänzend zwischen den dunklen Pinien hindurch, und die Weiden entlang den vom Rauhreif
überzogenen Creeks stünden in flammenden Farben. Daheim würde ich mir jetzt allerdings auch den Arsch aufreißen, um zehn
Klafter Holz als Vorrat für den Winter anzulegen. Ich würde Kiefern, Fichten und Erlen fällen und zersägen und spalten, bis meine
Hände bluteten und mein Rücken schmerzte, als hätte ich einen
Herzinfarkt.
Es war mein fünfter Herbst in Texas, und ich muß zugeben, daß
meine alternden Knochen noch nicht völlig vergessen hatten, wie
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sehr man sich vor dem Winter in Montana fürchten konnte, obwohl
diese Erinnerungen inzwischen so trübe schienen wie die Sonne,
wenn im späten Frühling ein Schneesturm durchzieht. Aber als sich
die automatische Klimaanlage des Caddy einschaltete, wurde mir
mal wieder bewußt, daß es auf dieser Welt nichts umsonst gibt.
Den Preis für den Winter muß man so oder so zahlen. In den
Lüftungsschlitzen hing noch der Geruch eines üblen Wochenendes, das ich mit meiner Freundin unten im prunkvollen Strandhaus ihres Onkels nördlich von Port Aransas verbracht hatte. Es
roch immer noch intensiv nach dem Sumpfland und den Sumpfebenen der Küste, nach den aufgeschütteten Erdwällen und Gezeitentümpeln, nach jenem Ort, wo alles beginnt – oder endet –, wo
sich das Land langsam aus dem seichten Meer erhebt, so wie das
Fleisch eines Ertrunkenen allmählich die wässerige Haut aufquellen läßt. Die Jagd nach Geld und Rache hatte mich nach Texas
geführt, und wegen einer Frau, Betty Porterfield, war ich geblieben. Aber je brüchiger unsere Beziehung wurde, desto öfter ertappte ich mich dabei, daß ich mich nach Montana zurücksehnte.
An diesem Nachmittag hatte ich allerdings zu arbeiten, und so
schob ich die Gedanken an Montana beiseite. Ich fuhr in Richtung
der südlichen Grenze von Gatlin County, dahin, wo es sich zäh an
den reichen, fetten Rücken der Computerindustrie im nordwestlichen Teil des Travis County schmiegt, als wäre dies einer späten
Eingebung einiger Politiker zu verdanken. Obwohl ich eine Bar im
Südwesten des County besaß, war ich noch nie in dieser – rechtlich selbständigen – Gemeinde gewesen, die so ganz versteckt in
den Schluchten des Balcones Escarpment liegt. Eingekreist von den
unkontrollierten Auswüchsen der Stadt hatte diese Gegend nicht
einmal einen Namen. Lalo Herrera, dessen Söhne sich um meine
Bar kümmerten, hatte mir erzählt, daß die Einheimischen sie gelegentlich el Rincón Malo nannten, die Üble Ecke. Ganz egal, wie
man die Gegend auch nennen mochte, sie war nicht mehr als ein
weiterer Vorstadt-Slum, der sich ungehindert ausbreitete. Die Kalksteinhänge waren mit staubigen Zedernbüschen übersät, und die
schmale Straße voller Schlaglöcher schmückte sich an jedem Ende
mit einem Laden, der um seine Konzession für Bier, Fischköder
und überteuertes Benzin kämpfte, und einer mickrigen Metzgerei,
wo die hiesigen Jäger ihre kleinen Weißwedelhirsche in geräucherte Wurst oder stinkige, mit Haaren durchsetzte Hamburger verwan10
delten. Eine Reihe protziger, aber billig hochgezogener Apartmentkomplexe verschandelte die steilen Hänge rund um einen Wohnwagenpark, der weder nach Wohnen noch nach Park aussah.
Nicht einmal das großartige Wetter konnte hier, wo die Idylle in
die planlose Ausdehnung der Stadt umschlug, über Unordnung
und Trostlosigkeit hinwegtäuschen. Es war fast so, als könnte ich
die negativen Energien von Veränderung und Versagen riechen.
Und nicht nur die der Üblen Ecke. Ich schien mich selbst in einer
Art Sturzflug zu befinden, auf dem Weg von schlecht zu noch
schlechter, während ich durch meine Laufbahn vom Teilzeit-Detektiv zum soliden Bürger und wieder zurück stolperte. Ein paar
Jahre zuvor hatte ich mir das gestohlene Erbe meines Vaters zurückerobert, und obendrein eine nicht unerhebliche Summe Drogengeldes, das auf einer Offshore-Bank darauf wartete, gewaschen
zu werden. Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich richtig Geld.
Jede Menge Geld.
Aber es veränderte mein Leben nicht allzu sehr. Gelangweilt und
auf der Suche nach einer Möglichkeit, Bettys Ranchhaus zu entrinnen, und vielleicht auch in der Hoffnung, ein bißchen von dem
Drogengeld waschen zu können, hatte ich mich auf ein Geschäft
mit ihrem Onkel, Travis Lee Wallingford, eingelassen: Ich hatte
kurz vor Abschluß der Bauarbeiten in ein exklusives Motel, das
Blue Hollow Lodge an der südöstlichen Grenze von Gatlin County,
investiert.
Außerdem verpflichtete ich mich, Besitzer der Bar im Westflügel
des Lodge, der Low Water Crossing Bar and Grill zu werden und
sie zu betreiben. Aber mein Auftreten als seriöser Geschäftsmann
hatte seinen Reiz für mich schnell verloren. Also zog es mich wieder zu dem zurück, was ich am besten konnte: die emotionalen
Trümmer im Leben anderer Menschen durchzuforsten und mir
dabei vorzumachen, daß es doch nur ein harmloses Hobby sei,
wieder als privater Ermittler zu arbeiten, so wie Segelschiffe für
Whiskyflaschen basteln oder Bierdosen sammeln, der blödsinnige
Zeitvertreib eines Mannes, der die vierzig schon deutlich überschritten hatte. Ich besorgte mir eine Lizenz für Texas, hinterlegte
selbst die nötige Bürgschaft und vertrödelte meine freien Nachmittage nun mit Detektivarbeit. Meistens mit beschissenen Jobs,
die ein Detektiv mit ein bißchen Selbstachtung nie angenommen
hätte.
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Einer dieser Jobs hatte mich in die Üble Ecke und zu einer Spelunke aus Steinplatten und alten Holzbrettern geführt, die den Namen
Over the Line trug, auch wenn man an dem verblaßten Schild an
der Seite noch deutlich den ursprünglichen Namen Duval’s Place
erkennen konnte. Ein schüchterner Highschool-Lehrer mittleren
Alters aus dem Burnet County hatte mir fünfhundert Dollar dafür
geboten, daß ich seine junge Frau, Carol Jean, fand. Allerdings
vermutete ich, daß Joe Warren weniger auf die Rückkehr seiner
Frau erpicht war, als vielmehr etwas zum Vorzeigen haben wollte, wenn er schon den Pensionsfonds geplündert hatte, um ihre
kieferorthopädische Behandlung und ihre Brustimplantate zu bezahlen. Den Eindruck hatte ich zumindest gewonnen, als er mir
ihr Foto gezeigt hatte. Carol Jean hatte eines dieser schmalen, aber
durchaus hübschen Mädchen-vom-Land-Gesichter – große, zu auffallend geschminkte Augen und volle rote Lippen, die tapfer um
einen Überbiß herumlächelten, der nur mühsam von einer Reihe
Stacheldraht gebändigt wurde –, und das alles war wie das Osterei
eines Kindes in das zerwühlte Nest ihres fülligen, blonden Haars
eingebettet. Die Halbmonde ihrer neuen Brüste linsten schüchtern
aus dem Ausschnitt ihrer Bluse, und ihr verschmitztes, metallisches Lächeln ließ erahnen, daß ihre neuen Babys sie von einem
mageren Highschool-Mädchen in eine Frau verwandelt hatten, die
wußte, was sie wollte. In den sechs Jahren, seit Carol Jean die
Highschool beendet und Joe Warren geheiratet hatte, hatte sie –
anstatt einfach hübsch auszusehen, Pfirsiche einzukochen und
ihrem Schatz Joe ein paar Kinder zu gebären – als Friseurin, Kellnerin und Anwaltssekretärin gearbeitet und als Lehrerin für Kickboxen in einem Fitnessclub. Aber das einzige, woran ihr Herz wirklich hing, war eine schnelle Runde Poolbillard in Kneipen, die
schon nachmittags geöffnet hatten. Manchmal auch im Over the
Line. Eine Information von Carol Jeans Friseusen-Mama, die ich
mir mit sechs Margaritas und dem Ertragen einer Menge dummen
Geschwätzes erkauft hatte.
Nachdem ich den El Dorado auf dem Parkplatz neben drei Pickups und einem verbeulten Kombi eingeparkt hatte, warf ich meine
Sonnenbrille zur S&W Airweight 38 in das Handschuhfach und
sperrte es ab. Vor ein paar Jahren hatte ich eine .25er Kugel in den
Bauch bekommen und fünfundvierzig Zentimeter Darm und viel
von meiner Begeisterung für Schußwaffen eingebüßt. Seitdem hatte
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ich nur noch selten eine Waffe getragen. Wenn Carol Jean heute
hier anzutreffen war, konnte ich nur hoffen, daß sie nicht auf mich
schoß. Oder mich biß. Oder mich mit ihren neuen Titten erschlug.
Bevor ich meine miese Stimmung abschütteln und aus dem El
Dorado steigen konnte, schlitterte ein schwarzer Lincoln Town Car
mit provisorischen Oklahoma-Kennzeichen und blockierenden
Bremsen auf den Platz und wirbelte eine Staubwolke auf, die den
strahlenden Nachmittag verdunkelte. Der Schwarze, der aus dem
Town Car stieg, war nicht größer als eine Kirche und nicht auffälliger als eine Nonne mit Bart: zwei Meter oder zwei Meter fünf
groß und stahlharte 195 Kilo schwer. Oberhalb der dunklen Sonnenbrille glänzte sein rasierter Schädel kupferfarben und metallisch wie die Patronenhülse eines Präzisionsgewehrs. Seine enganliegenden schwarzen Lederhosen wirkten wie eine zweite Haut,
und sein rotes Hemd war eine Kampfansage wie der Umhang eines
Matadors. So wie er über den Parkplatz walzte, hätte er genauso
gut schreien können: Ich hab den Knast überlebt und sie alle aufgemischt, und wenn’s sein muß, überstehe ich die ganze Scheiße
auch nochmal. Der große Mann stürmte durch die Schwingtüren
der Kneipe, daß die Angeln quietschten und die Türen wie Laken
im aufkommenden Wind hin- und herflatterten. Ich fragte mich,
ob ich nicht lieber ein anderes Mal nach Carol Jean suchen sollte.
Aber üblicherweise mache ich, sobald ich einen Auftrag übernommen habe, den Fehler, mich irgendwie für die gesuchte Person
verantwortlich zu fühlen. Also stieg ich aus und ging auf die Kneipe zu. Noch bevor ich dort ankam, hörte ich jemanden in nasalem, gedehntem Tonfall schreien: »Paß bloß auf, du verdammter
Nigger!« Sekunden später kam ein kräftiger Chicanojunge, dem
das Blut aus der zu Brei geschlagenen Nase floß, aus der Kneipe
geflogen, rappelte sich auf und floh in die Sicherheit seines Pickup. In dem Moment, als ich die Türen aufstoßen wollte, stürzte
Carol Jean in meine Arme. Ihre sündhaft teuren neuen Titten waren so hart wie der Billardstock, den sie umklammert hielt. Bekleidet war sie mit hautengen Jeans und einem Tanktop, das ihr auf
den Körper hätte gemalt sein können, und ich nahm an, daß die
Aufmerksamkeit ihrer Gegner die meiste Zeit ihr und nicht dem
Billardtisch galt. Sie war größer, als ich sie nach dem Foto geschätzt hätte, und ohne Zahnspange auch hübscher, aber ihren
Charakter hatte ich ganz richtig eingeschätzt. Sie drehte sich um,
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hob den Billardstock wie eine Axt und wollte zurück in die Kneipe
stürmen.
»Wenn ich Sie wäre, würde ich das nicht tun«, sagte ich.
»Und warum nicht, verdammt nochmal?«
»Weil dann von Ihnen nicht mehr viel zum Bumsen übrigbleibt,
Süße. Außerdem halten Sie das Ding völlig verkehrt.«
Aber davon wollte Carol Jean nichts hören. Wenn Vernunft nicht
weiterhilft, versuch es mit Geld. Ich zog einen Zwanziger aus meiner Geldklammer und drückte ihn ihr in die Hand. »Wenn Sie da
drüben bei dem Cadillac warten, kriegen Sie noch einen, sobald
ich wieder draußen bin.«
Carol Jean hatte den Kopf auf die Seite gelegt wie ein halbwegs
intelligentes Huhn. Sie zögerte, bis ein Redneck-Junge durch das
Vorderfenster flog und wie ein Sack Scheiße in einem Haufen zerbrochenen Glas landete.
»Hallo Vernon«, sagte sie gelassen, aber der Junge war nicht in
der Lage, ihr zu antworten. »Na gut, Mann«, fügte sie an mich
gewandt hinzu, »ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber wenn
Sie nicht wieder rauskommen, hole ich mir den anderen von Ihrer
Leiche.« Sie lachte, schrill wie abgefahrene Bremsbeläge.
»Ihr Vertrauen ehrt mich«, sagte ich, zog meine Jeans hoch, setzte mein betörendstes Lächeln auf und schlenderte wie ein unbedarfter Tourist in die düstere Kneipe hinein.
Das Lokal war in den Hang gebaut und hatte zwei Ebenen: Vorne, auf der unteren Ebene, waren die Poolbillardtische und Sitzekken, hinten, fast einen Meter fünfzig höher, befanden sich eine
kurze Bar und ein halbes Dutzend Tische. Der große schwarze
Gentleman war noch nicht ganz bis zur oberen Ebene vorgedrungen. Ein anderer ziemlich großer Schwarzer, der einen Pullover
der Dallas Cowboys trug, hing über einem Billardtisch, Blut und
abgebrochene Zähne tropften auf den Filz – soviel zum Thema
Chancengleichheit – und ein Spelunkencowboy mit Rattengesicht
schwang, die schmalen Lippen voller Verachtung geschürzt, einen
Billardstock über dem Kopf. Als er ihn hinuntersausen ließ, blockte der Große ihn lässig mit seinem muskulösen Unterarm ab. Der
Stock knackte laut, und das Unterteil flog dem bereits angeschlagenen Cowboys-Fan mit einem Geräusch gegen die Stirn, als würde man auf dem Bürgersteig ein Ei fallen lassen. Er verschwand
hinter dem Billardtisch, als wäre auf ihn geschossen worden. Der
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Cowboy grinste mich entschuldigend an, dann hastete er an mir
vorbei, so schnell es ihm seine engen Jeans und seine hochhackigen Schuhe erlaubten.
»Benütz es nächstes Mal wie ein Bajonett«, schlug ich ihm vor,
als er vorbeistolperte, »nicht wie einen Knüppel.«
»Du bist wohl nicht aus der Gegend hier«, sagte der Große sanft.
»Die meisten von diesen texanischen Arschlöchern sind dümmer
als breitgetretene Hundescheiße.«
»Bisher hat mich noch keiner beschuldigt, aus dieser Gegend
hier zu sein«, sagte ich, trat auf ihn zu und stellte mich neben ihn.
Er türmte sich über mir auf wie eine überhängende instabile Gesteinsschicht.
»Wie auch immer«, sagte er und schlug mir so hart auf die Schulter, daß ich leicht in die Knie ging. Aber die riesige Hand auf meiner
Schulter war höflich, nicht bedrängend. »Laß uns was trinken, Opa.«
›Es muß am Haar liegen‹, dachte ich. Vor ein paar Jahren, nach
einem üblen Zusammenstoß mit einer Horde Contrabandistas,
hatte ich einige weiße Strähnen bekommen. ›Ich bin nicht so alt,
wie ich aussehe‹, wollte ich schon sagen. Aber mir war klar, daß
das den Großen nicht interessierte. Also folgte ich ihm die kurze
Treppe hinauf und lehnte mich neben ihm an die Bar. »Ich hab ja
nichts gegen ein paar Tritte in den Arsch, wenn’s einer verdient
hat«, sagte der pummelige Barkeeper und lehnte sich über den
Tresen, »und dieser Mexxen-Junge war wirklich völlig daneben.«
Er war ein sanfter Mann mit rundem Gesicht, dickem Kopf und
Glatze. »Ich will nicht die Polizei rufen müssen«, fuhr er mutig
fort. Aber ich nahm an, daß er so etwas schon öfter ohne Erfolg
gesagt hatte.
»Halt einfach die Klappe und gib uns was zu trinken«, sagte der
Große und legte seine Sonnenbrille auf den Tresen. »Seit ich heute
Morgen in Tulsa losgefahren bin, hatte ich keine Zeit mehr, in
Ruhe einen zu trinken. Wie wär’s mit zwei ordentlichen Portionen von dem Crown Royal da drüben mit ein bißchen Eis.«
Der Barkeeper nahm zwei Wassergläser und füllte sie mit Eis
und Whisky. Der Große schnüffelte einen Moment lang an seinem
Drink und stürzte ihn dann hinunter. Ich nippte nur ein bißchen
an meinem.
»Der war verdammt gut, Mann«, sagte der Große und warf einen
Blick auf mein Glas. »Na los«, sagte er lachend, und seine Hand
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krachte wie der Stiel einer Hacke auf meine Schulter. Wenn dieser
riesige Kerl nicht aufpaßte, würde er mich vor lauter Zuneigung
noch erschlagen. Jetzt, wo er die Sonnenbrille abgenommen hatte, sah ich, daß er seltsam graublaue Augen hatte, die über einer
verbogenen Nase wie kleine Glühbirnen leuchteten. »Wenn du mit
Enos Walker trinkst, Opa, dann nicht nur wie ein Vögelchen.«
Ich hätte genausogut mit einer Lawine streiten können, also kippte ich meinen Drink ebenfalls, obwohl ich ihn durchaus nicht so
genoß wie Enos Walker.
»Noch ’ne Runde «, sagte er zum Barkeeper, »und dann würde ich
gern mit jemand sprechen, der diesen Scheiß-Duval gekannt hat.«
Die Hand des Barkeepers zitterte leicht, als er uns nachschenkte.
Dann rieb er sich über den schwitzenden Kopf, als ob ihm plötzlich Haare gewachsen wären. »Tja, Mr. Duval ist schon lange nicht
mehr hier gewesen ...«
»Ich war im Knast, du Arschloch, nicht auf dem Mond«, sagte
der Große und griff nach dem großzügig gefüllten Glas. »Wer leitet
den Laden zur Zeit? Entweder einer von Duvals Kumpeln oder
dieses verdammte Miststück mit den silberweißen Haaren ...«
»Mandy Rae?« warf der Barkeeper ein und klappte dann seinen
Mund zu, als würden ihm bei dem Namen die Zähne weh tun.
»... einer von denen schuldet mir noch ’ne ganze Menge, Fettkloß.«
»Davon habe ich nicht die geringste Ahnung«, sagte der Barkeeper.
Walker lehnte sich leicht über den Tresen und vergrub seinen
Zeigefinger in der pummeligen Brust des Barkeepers. »Und wer
könnte deiner Meinung nach eine Ahnung haben, du SchwabbelArschloch?«
Der Barkeeper seufzte gequält: »Tja, vielleicht weiß Mr. Long ja
Bescheid.«
»Billy Long? An dieses Redneck-Arschloch kann ich mich noch
gut erinnern. Wo ist er?«
»Im Büro.« Der Barkeeper deutete mit dem Daumen hinter sich.
»Ich glaube aber nicht, daß er jetzt gestört werden will.«
»Ich störe ihn nicht«, sagte Enos Walker, stürzte seinen Drink
hinunter und ging um den Tresen herum.
Der Barkeeper wischte sich mit einem Handtuch über den Kopf,
genehmigte sich einen ordentlichen Schluck direkt aus der Flasche, seufzte und griff mit der rechten Hand unter den Tresen. Ich
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langte über den Tresen und kniff ihn in seine verrotzte Oberlippe.
Und zwar fest.
»Was haben Sie da unten?«
»Eine abgesägte doppelläufige .12er«, wimmerte er, während sein
angetrunkener Mut aus ihm heraussprudelte wie Welpenpisse.
»Geben Sie sie lieber her, bevor hier noch irgend jemand verletzt wird. Mit dem Griff zuerst, wenn’s recht ist.«
Der Barkeeper reichte mir die Flinte und bekam dafür seine Oberlippe zurück. Während ich die Waffe öffnete, beide Kugeln herausspringen ließ und sie ihm zurückgab, hörten wir laute Stimmen aus dem Büro, gefolgt von einem noch lauteren Schuß.
»Oh Gott«, stöhnte der Barkeeper und schob die abgesägte Flinte
tief ins Eis.
Enos Walker kam gemächlich zum Tresen zurückgeschlendert.
In seiner Hand baumelte eine riesige halbautomatische Pistole.
Vermutlich eine dieser Desert Eagle .50-Kanonen. »Ist eigentlich
jeder in diesem Scheißschuppen ein Vollidiot?« sagte er und wedelte mit Armen wie kleinen Baumstämmen. Ich glaube nicht, daß
er eine Antwort erwartete. Walker schob die Pistole in den Gürtel,
setzte seine Sonnenbrille auf und sagte: »Du bist ja immer noch
nicht fertig mit deinem Drink, Opa.«
»Ich denke, ich hatte genug«, antwortete ich. Dummerweise war
ich im Alter nicht weiser geworden.
»Werd’ ja nicht übermütig.«
»Scheiß drauf«, sagte ich und ließ den Drink auf dem Tresen
stehen.
»Vielleicht bist du doch nicht so clever, wie ich gedacht hatte,
Opa.«
»Ich nehme an, das war heute nicht deine erste Fehleinschätzung.«
Das brachte das Faß beinahe zum Überlaufen. Aber dann grinste Enos Walker plötzlich und legte mir sanft die Hände auf die
Schultern. »Du hast echt Mumm, Opa.« Dann lachte er mir seinen
bitteren, hoffnungslosen Knastatem direkt ins Gesicht, ein Atem
so stinkend wie das Winterlager eines Grizzlys. Er nahm mein Glas,
trank es langsam aus, nahm dem Barkeeper die Flasche aus der
Hand und verließ die Kneipe, ohne noch einmal zurückzuschauen. Als er aus der Tür war, atmete der Barkeeper hörbar aus, lehnte sich an das Regal hinter dem Tresen und genehmigte sich noch
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einen Drink. Ich ging nach hinten, um den Schaden abzuschätzen, der, wie ich vermutet hatte, beträchtlich war.
Long war ein großer Mann mit langen grauen Haaren gewesen
und hatte vielleicht sogar gut ausgesehen, bevor das Mündungsfeuer sein Gesicht verbrannt und das schwere Geschoß die hintere
Hälfte seines Kopfs auf der gesamten Pufftapete und dem TroyAikman-Plakat hinter ihm verteilt hatte. Von der Oberlippe des Quarterback hing jetzt ein haariger Klumpen herab wie ein Schnurrbart
im Anfangsstadium. Ich fand, der Junge sah mit ein paar Haaren
im Gesicht gleich viel besser aus.
Der Barkeeper linste um die Bürotür herum und fiel prompt in
Ohnmacht. Er lag da wie tot. Ich fühlte seinen Puls und vergewisserte mich, daß er seine Zunge nicht verschluckt hatte, dann zog
ich ihn zur Seite und legte seine Füße auf einen Stuhl. Dabei entwich ihm ein gehaltvoller Furz.
Ich ging zurück ins Büro. So wie der Schreibtisch aussah – übersät mit Waage, gefalteten und ungefalteten Kokainbriefchen, Milchzucker und einem Jack-Daniels-Barspiegel – hatte Long gerade
Kokain verschnitten und eingetütet, aber von der Quelle, die eine
Tüte mit mindestens einer Unze Kokain sein mußte, war nichts zu
sehen. Vermutlich steckte sie in Enos Walkers Lederhosentasche.
Die rechte Schublade des Schreibtisches stand ein Stück weit offen. Ich sah eine leere Geldkassette, ein Rolodex und eine halbe
Schachtel Kaliber 50-Munition für eine Magnum.
»Blöder Hund«, sagte ich, war mir aber nicht sicher, wen ich
damit meinte. Weil ich nämlich mit dem Nagel meines kleinen
Fingers den Rolodex bis zum Buchstaben D durchblätterte und
dann Telefonnummer und Adresse des einzigen verzeichneten
Duvals aufschrieb, jemand mit dem Namen Sissy. Aber das war
noch nicht das einzig Blöde, was ich tat. Ich schrieb ihn auf die
Rückseite des größten Briefchens, auf das jemand »meins« gekritzelt hatte. Vielleicht ist das ein Hinweis, dachte ich, als ich es in
meine Hemdtasche steckte.
Als ich durch die leere Kneipe ging, war der lädierte Schwarze mit
dem Cowboys-Pullover verschwunden. Ich nahm den einzigen
Geldbeutel, den ich finden konnte, und eine Queuetasche, auf der
CJW eingraviert war, und ging nach draußen. Carol Jean lehnte
am Kotflügel des El Dorado und sah mich verwirrt an. Richtig gol18
dig. Vor lauter Konzentration spitzte ihre Zunge aus dem Mundwinkel heraus, während sie ihren Billardstock hin- und herwirbelte
wie eine durchgedrehte Tambourmajorin.
»Das hat ja ganz schön lange gedauert.« Sie sah mich nicht an.
»Ich wäre ja mit dem großen schwarzen Typen mitgegangen, aber
er hat mich nicht gefragt.«
»Da haben Sie aber Glück gehabt, Süße.«
»Was zum Teufel war da drin eigentlich los? Das klang wie ’ne
Bombe oder irgendwas Ähnliches.«
»Was Ähnliches. Sind Sie mit dem Auto da?«
»Nein. Ich bin mit Vernon hergefahren, aber der ist in seinen
Porsche gesprungen und abgedüst wie ein rotarschiger Affe.«
»Wie sieht’s mit Geld aus?«
»Baby Joe hat Sie wohl geschickt, wie?« Sie ließ den Zwanziger
zwischen den purpurroten Fingernägeln knistern.
Ich nickte, holte einen weiteren Zwanziger heraus und gab ihn
ihr. »Hören Sie mal zu, Kleine, Sie bewegen Ihren Arsch jetzt zur
Telefonzelle rüber und rufen sich ein Taxi.«
»Scheiße, Mann, ich kann doch trampen.«
»Da würde ich glatt Ihren süßen Hintern drauf verwetten. Jetzt
fahren Sie jedenfalls nach Hause zu Ihrem Göttergatten und verhalten sich ruhig wie ein Navajoteppich ...«
»Navajoteppich?«
»Komplexe Muster, aber klare Strukturen, einfach, aber schön«,
erklärte ich.
»Sind Sie high, Mann?«
»Nur vom Leben, und ich bin glücklich, es noch zu haben.«
»Das sollten Sie in Ihrem Alter auch.«
»Jetzt hören Sie mal zu«, sagte ich leicht verstimmt. »Sie lassen
sich jetzt mal ein paar Monate nicht mehr hier blicken. Ich werde
den Bullen nichts von Ihnen sagen, und Sie sagen ihnen, daß Sie
zu Hause waren und Seifenopern angeschaut haben.«
»So schlimm ist es also?« Sie hörte auf, ihren Stock zu drehen
und sah mich an.
»Sagen wir mal so: Mr. Long hat den Kopf verloren.«
»Du meine Güte«, flüsterte sie. »Ist irgend jemand verletzt?«
»He, wenn Sie das nächste Mal abhauen, sagen Sie Baby Joe
wenigstens Bescheid. Er ist ein bißchen sauer wegen der Zähne
und der Titten.«
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»Die Dinge ändern sich nun mal«, sagte sie und packte ihren
Billardstock in die Tasche. »Aber leider nicht genug«, fügte sie traurig hinzu, grinste aber gleich wieder fröhlich und lebhaft wie ein
junges Huhn.
»Ist das Ihr Beruf? Leute finden?«
»Schwierigkeiten, Leute, verlorengegangene Hunde«, antwortete ich und zündete mir eine Zigarette an.
»Möchten Sie meine Möpse mal sehen, Opa?« Sie lächelte, legte
die Hände unter ihre neuen Brüste und schob sie nach oben.
»Nicht jetzt, Süße. Ich hab Kopfschmerzen.«
Carol Jean kreischte vor Lachen. Es vibrierte in meinem Kopf
wie Drahtsaiten. Sie stolzierte vom Parkplatz auf die andere Seite
des Highway und streckte den Daumen heraus. Gleich der erste
Pick-up hielt mit quietschenden Bremsen an.
Die Wahrheit ist, daß ich nichts lieber getan hätte, als mein
müdes Haupt an ihrer festen jungen Brust auszuruhen. Vielleicht
hätte mich das den Anblick des Toten vergessen lassen. Aber ich
wußte es besser. Nichts kann einen den Anblick der Toten vergessen lassen, weder Tränen, noch Zeit, noch Whisky. Als ich elf
war, habe ich meinen Vater auf dem Boden seines Arbeitszimmers
gefunden. Die obere Hälfte seinen Kopfs war von einer doppelläufigen Purdey weggerissen worden. Ein paar Jahre später – ein
paar zu wenig für meinen Geschmack –, als ich gegen Ende des
Koreakriegs an vorderster Front in einem schlammigen Schützengraben festsaß, sahen um mich herum alle tot aus. Nur daß Tote
nicht blinzeln.
Also rauchte ich die Zigarette zu Ende, trat den Stummel in den
Staub, ging über die Straße zu dem dreckigeren der beiden Läden
und verstaute das Briefchen auf der Toilette hinter dem Spülkasten. Dann kaufte ich ein paar Bier und ging zurück in die leere
Kneipe, um die Bullen anzurufen und mich innerlich auf ihre komplexen, aber klaren Strukturen einzustellen.
Natürlich war es nicht so einfach. Bisher war in Texas gar nichts
einfach gewesen. Der Barkeeper war wieder zu sich gekommen
und abgehauen, und da ich mich nicht in dem Büro aufhalten
wollte, ging ich zu der öffentlichen Telefonzelle beim Parkplatz
und wählte 911. Als sich die Frau in der Zentrale meldete, erklärte
ich ihr, daß es an einem Ort namens Over the Line eine Schießerei
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gegeben hätte. »Schon wieder«, sagte sie wie aus der Pistole geschossen, als würde sie das nicht zum erstenmal hören, dann fragte
sie nach meinem Namen und den Einzelheiten.
Ich überlegte, ob ich lügen, meine Fingerabdrücke abwischen
und nach Montana abdüsen sollte – aber die Elchsaison war vermutlich schon vorbei, und für die braunen Forellen im Oberen
Yellowstone war es auch schon zu spät – also entschied ich mich
gegen Flucht. Inzwischen hatte ich zuviel in Texas investiert.
Einige Stunden lang lief die übliche Bullen-Prozedur ab, überwiegend recht mechanisch, weil jeder wußte, daß es mit Billy Long
mal ein schlimmes Ende nehmen würde. Schließlich landete ich in
einem kleinen, grauen, mit dem unvermeidlichen Papiermüll eines Bullendaseins vollgepfropften Büro in der Kalksteinfestung des
Bezirksgerichts von Gatlin County. Mir gegenüber saß an dem vollgemüllten Schreibtisch ein großer, dickbäuchiger Mann mit müden grauen Augen und einem sogar noch schlafferen Anzug.
»Mr. Milodragovitch. Ich bin Captain James Gannon, Leiter der
Kriminalpolizei von Gatlin County«, sagte er mit rauhem Ostküstenakzent, »und ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Wir haben
den Barkeeper – einen Mann namens Leonard Wilbur – zu Hause
angetroffen, und nachdem wir ihn ein bißchen ausgenüchtert hatten, hat er Ihre Aussage bestätigt.«
»Dann kann ich jetzt gehen?«
»Ihre Aussage wird gerade getippt«, sagte er, ohne auf meine Frage zu antworten. Es war klar, daß Gannon eigentlich ein Straßenbulle war, der sich nur als Kripochef verkleidet hatte, und daß er
niemals irgendeine Frage beantworten würde. »Ein paar Dinge lassen mir noch keine Ruhe. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.«
»Ich fühle mich jetzt ein bißchen kooperativer. Ihre Männer haben mir ganz schön zugesetzt.«
»Das sind die reinsten Kinder, und in Billy Longs Kneipe haben
sie schon eine Menge seltsamer und übler Sachen erleben müssen«, sagte Gannon, aber es klang nicht einmal ansatzweise wie
eine Entschuldigung. Er rieb sich das müde Gesicht. »Tja, Sir, die
Tatsache, daß wir den Großteil des Kokains, das Long eintüten
wollte, nicht finden konnten, macht mir doch etwas Sorgen. Nicht
mal die Spürhunde hatten Erfolg. Das verschnittene Zeug haben
wir gefunden. Das andere nicht.«
»Davon weiß ich nichts, Captain.«
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»Und dann wollten Sie nicht, daß meine Jungs Ihr Auto ohne
Durchsuchungsbefehl durchsuchen ...«
»Den Sie dann ja sehr schnell bekommen haben.«
»Tja, in den kleinen Bezirken hier unten geht das alles ziemlich
schnell. Und dies ist ein sehr kleiner Bezirk, obwohl sich die Stadt
immer weiter ausdehnt. Aber wissen Sie, was mir Ihre Weigerung
verrät?«
»Nein.«
»Tja, Sir, Sie sind entweder ein ehemaliger Häftling oder ein ehemaliger Bulle.«
Gannon wußte ganz genau, wer ich war, aber es war einfacher,
sich auf sein Spiel einzulassen. »Vor vielen Jahren war ich Polizist
oben in Merywether County, Montana. Außerdem war ich dort
viele Jahre lang Privatdetektiv, und jetzt habe ich eine rechtsgültige Lizenz für den Staat Texas.«
»Ach du Scheiße.« Gannon schüttelte den Kopf, als würden ihn
meine Worte überraschen. »Dann sind Sie derjenige, dem die Bar
im Blue Hollow Lodge gehört? Wie haben Sie es bloß geschafft, mit
Ihren Vorstrafen eine Alkohollizenz zu bekommen? Zum Teufel,
der Gouverneur hat das für Sie geregelt, stimmt’s?«
»Das Motel gehört Mr. Wallingford und mir gemeinsam«, sagte
ich ruhig, »aber die Bar ist mein alleiniger Besitz.« Travis Lee
Wallingford hatte ein halbes Dutzend Legislaturperioden im Bezirksparlament von Gatlin County abgesessen, sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat, als Demokrat und auch als
Republikaner. Aber er hatte immer mehr für flammende Reden als
für Detailarbeit übriggehabt, und seine Lieblingsansprache beinhaltete die leere Drohung, als Gouverneur zu kandidieren, eine Position, die im Sumpf der texanischen Regierung normalerweise für
eine Gallionsfigur reserviert war, für reiche Männer oder erfolglose Politiker am Ende ihrer Karriere. Also nannten ihn viele Leute
Gouverneur, und das war durchaus nicht immer schmeichelhaft
gemeint. »Und egal, was für Gerüchte Sie auch gehört haben mögen, ich habe keine Vorstrafen. Weder hier unten noch sonstwo.«
»Wie auch immer«, stöhnte Gannon dramatisch, »für meinen
Geschmack haben Sie hier eindeutig zu gute Beziehungen, Mr.
Milodragovitch. Unterschreiben Sie Ihre Aussage und hauen Sie
ab.« Er hielt inne und rieb sich wieder das Gesicht. »Verdammt
nochmal«, sagte er und zerrte an seiner Krawatte, »manchmal fra22
ge ich mich, wie ich diesen Job bloß annehmen konnte ...« Er
vergrub das Gesicht in den Händen.
»Appellieren Sie jetzt an mein Mitgefühl, Captain? Guter Bulle
und böser Bulle in einer Person?« Gannon linste wie ein Kind durch
seine dicken Finger hindurch, ließ die Hände sinken und grinste
mich an. »He, das ist hier ein kleines Revier, da muß jeder zwei
oder drei Jobs übernehmen.«
»Und was zum Teufel tun Sie überhaupt hier unten?«
»Mein Schwiegersohn ist Dozent an der University of Texas.
Ich bin hier runtergezogen, um näher bei meinen Enkelkindern
zu sein ...«
»Von wo sind Sie?«
»Bayonne, New Jersey. Und was zum Teufel tun Sie hier unten?« Es klang, als würde es ihn wirklich interessieren.
Selbst der dümmste Bulle mußte ab und zu schauspielern, und
ich nahm an, daß Gannon alles andere als dumm war. »Eine Frau«,
antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Ist das nicht alles ein Scheiß?« sagte er. »Die Wahrheit ist, daß
meine Exfrau nach der Scheidung hier runtergezogen ist. Sie ist
wegen der Enkelkinder gekommen, und ich bin ihr hinterhergedackelt wie ein Stück Hundescheiße, das an ihrem Schuh klebt.
Das verdammte Weib hat mich nach sechsundzwanzig Jahren ehelicher Zweisamkeit verlassen ...«
»Verdammt, ich war fünfmal verheiratet, und alle zusammen
haben es nicht mal halb so lange mit mir ausgehalten.«
»Hören Sie«, sagte Gannon plötzlich, nahm meinen Revolver und
meine Lizenz aus der Schublade, lehnte sich über den Schreibtisch und klatschte seine fleischigen Hände zusammen, »darf ich
mal ganz offen zu Ihnen sein?«
»Erst fickt ihr mich in den Arsch, jetzt wollt ihr mir Zucker reinblasen?« Ich war mit Bullen nie sonderlich gut ausgekommen, nicht
einmal, als ich selbst noch einer war, also wappnete ich mich für
jeden Mist, den Gannon im Sinn haben mochte.
»Walker ist heute morgen aus dem McAlester Gefängnis entlassen
worden. Er hat eine lange Haftstrafe wegen Drogenbesitz, versuchtem Handel und ähnlichem Mist abgesessen. Er ist bei einer Bank
vorbeigegangen, wo er vermutlich Geld gebunkert hatte, von dem
nie jemand erfahren hat, danach bei einem Lincoln-Autohändler,
und von da ist er auf schnellstem Weg hier runtergefahren und hat
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Billy Long getötet. Wahrscheinlich aus Rache für ein Kokaingeschäft,
bei dem man ihn übers Ohr gehauen hat.«
»So kam mir das aber nicht vor.«
»Egal. Billy Long war bekanntermaßen ein mieses Schwein, aber
Walker ist trotzdem ein toter Mann hier unten, egal, was sich wirklich abgespielt hat. Verdammt, in diesem Land gibt es mehr Knarren als Kühe, und seit der Gouverneur das neue Waffengesetz unterzeichnet hat, schleppt so gut wie jeder eine Knarre mit sich rum.
Wenn ihn nicht irgendein heißblütiger Jungspund von Polizist oder
irgendein Zivilisten-Arschloch erwischt, dann eben die Nadel. Und
so riesig, wie der Kerl ist, wird er nicht schwer zu finden sein.
Wahrscheinlich hält er sich irgendwo in Travis County versteckt.
Er hat Familie in Austin. Außerdem sind das seine ehemaligen
Jagdgründe, wo er damals im großen Stil in den Kokainhandel
eingestiegen ist. Tja, ob Austin oder Travis County – die interessieren sich alle einen Scheiß für mich. Und für meinen Job.«
»Ihren Job?«
»Der Polizeichef, der damals beschlossen hatte, er bräuchte einen
Großstadtbullen, um sich gegen Großstadtkriminalität zu wappnen, und mich angestellt hat, damit ich seine Abteilung entsprechend organisiere ... tja, der ist letztes Jahr gestorben. Und dieser
neue Typ, Benson, haßt meinen Yankee-Arsch aus tiefstem Herzen. Er wird mir meinen Job nicht bis zur Rente lassen, wenn er
es irgendwie verhindern kann. Ich bin vermutlich der unbeliebteste Polizist in ganz Texas. Verdammt, wenn ich nicht im Bau ende,
werde ich wahrscheinlich Klinken putzen, bis ich fünfundsechzig
bin, und Hundefutter fressen, bis ich sterbe. Aber wenn es mir
gelingt, diesen Gangster Enos Walker einzubuchten, klebe ich auf
diesem Stuhl, bis ich meine Zeit abgesessen habe. Sie als Freiberufler, noch dazu mit Ihren Kontakten, Mr. Milodragovitch, haben
Möglichkeiten, die mir verwehrt sind, und Sie können auch dort
ermitteln, wo ich keine Befugnis habe.«
»Sie haben diesen riesigen Bastard nicht in Aktion erlebt. Ich würde meinen Lebensabend ganz gern heil und unversehrt erleben.«
»Und deshalb machen Sie diesen unterbezahlten Job? Durchgebrannte Ehefrauen? Hören Sie doch auf!« Er fuchtelte mit seinen
stämmigen Armen in der Luft herum. »Und was kommt als nächstes? Entlaufene Hunde?«
»Man möchte eben nicht aus der Übung kommen. Verdammt
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nochmal, ich hab schon mal zehn Riesen mit der Entführung eines Labradors verdient, der von einem Haufen japanischer Vogeljäger in Alberta geklaut worden war.«
»Wie auch immer«, unterbrach mich Gannon, sichtlich uninteressiert, »Sie sind im Moment nicht gerade auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere, stimmt’s?«
»Scheiß drauf, Mann«, sagte ich und versuchte zu lächeln, »ich
bin gut in meinem Job. Ich bin weltweit wahrscheinlich der einzige tolle Hecht, der jemals in einem Weizenfeld einen Mähdrescher
konfisziert hat. Ich hab das Scheißding mit fünf Kilometern pro
Stunde den ganzen Weg bis nach Hardin gefahren. An dem Tag
habe ich mehr Geld verdient, als Sie im ganzen Jahr zusammenbringen. Also hören Sie mir bloß mit diesem Karrierescheiß auf.«
»Auch gut«, sagte Gannon und zuckte mit den Schultern. »Sehen
Sie es doch mal so: Ihre Bar liegt in meinem Bezirk, nicht allzuweit die Straße runter. Vielleicht komme ich eines Tages auf einen
Drink vorbei.«
»Ich hoffe, Sie meinen das nicht als Drohung, Captain.« Das Lächeln war mir vergangen, aber ich gab mir Mühe, höflich zu bleiben. Ich wusch mein gestohlenes Drogengeld über die Bar, und
ich konnte absolut keinen Ärger brauchen.
Gannon sprang auf, riß die Arme auseinander und grinste. »Du
meine Güte. Ich will doch wirklich hoffen, daß es nicht so geklungen hat«, sagte er und kam um den Tisch herum. »So habe ich es
echt nicht gemeint. Ich dachte ja nur, wir beide sind hier unten
Fremde, und Sie stoßen vielleicht auf etwas, was mir nützt.«
»Soweit ich das beurteilen kann, Captain, ist hier unten jeder
entweder ein Fremder, oder er benimmt sich zumindest reichlich
befremdlich.« Und von Minute zu Minute befremdlicher, hätte ich
noch hinzufügen können.
»Verdammt, hören Sie, wir werden trotzdem einen zusammen
heben. Und Sie brauchen auch nicht zu warten, bis Sie Ihre Aussage unterschreiben können. Ich werde morgen einen meiner Jungs
damit bei Ihnen vorbeischicken.«
»Ich glaube, ich warte lieber.«
»Wissen Sie, ich bin da genauso. Wenn mir ein Fremder einen
Gefallen tut, macht mich das auch nervös. Aber wenn wir erstmal
ein paar Gläser miteinander getrunken haben, sind wir uns vielleicht nicht mehr so fremd.«
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Dann hielt er mir seine große, dicke Hand hin. Ich schüttelte sie,
so gut ich das konnte, während ich gleichzeitig Walker die Daumen drückte. Ich hatte immer noch seinen Knastatem im Mund,
der schäbige Gefängnismief saß mir noch in der Nase, und auf
meinen Schultern spürte ich noch den freundlichen Griff seiner
riesigen Hände.
Gegen Ende des Sommers vor meinem letzten Jahr auf der Highschool hatte ich nach dem letzten Arbeitstag am Fließband der
Sägemühle und vor dem Beginn eines Footballtrainingslagers mit
täglich zwei Trainingseinheiten ein freies Wochenende. Meine
Football-Kumpel und ich hatten die Rücksitze unserer Karren mit
Eis und kästenweise Great Falls Select beladen und waren dann
eine unbefestigte Straße tief in die Diablo Mountains hinauf zum
Grundstück meines Großvaters gefahren, um unsere paar Stunden
in Freiheit mit einem Besäufnis in der Wildnis zu feiern, eine altehrwürdige Montana-Tradition.
Wir entzündeten ein riesiges Feuer, besoffen uns gnadenlos und
tanzten halbnackt um die Flammen herum, wild und unschuldig
wie irgendein Tier, das je gelebt hatte. Bis der Bär auftauchte. Es
war etwa gegen Mitternacht, als ein neugieriges, schwarzes Bärenjunges in den Kreis um das Feuer hineinschnüffelte, angelockt vom
Lärm oder dem Geruch der verbrutzelten Elchburger. Es schniefte,
als wolle es mittanzen.
Als mein Vater und ich einmal oben am Six Mile zum Fischen
waren, war ein schwarzer Bär über den Creek und den Steilhang
hochgeklettert. Ich muß damals vier oder fünf Jahre alt gewesen
sein, alt genug, um neugierig zu sein, und jung genug, um nervös
zu werden. Mein Vater sagte zu mir, ich müßte bellen wie ein
Hund, wenn ich den Bären verscheuchen wolle. Ich bellte so laut
und so lange ich konnte. Die Bärin kletterte auf den nächstbesten
Baum. »Manchmal machen sie das«, sagte mein Dad.
Als ich nun also dies Bärenjunge sah, fing ich an zu bellen. Innerhalb von Sekunden fielen meine Kumpel mit ein, und der kleine Teufel schoß eine Ponderosa-Pinie hoch, baumelte gefährlich
an einem dicken Zweig hin und her und zischte und spuckte wie
ein Kater.
Wir lachten uns halb tot über das verängstigte Bärenjunge. Lachsalven trunkener Heiterkeit dröhnten durch die Nacht, bis mir
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schwindelig wurde und ich auf den Rücken fiel und mit weit offenem Mund am Fuß der Pinie liegen blieb. Das Bärenjunge spuckte
mir direkt in den Mund, und automatisch schluckte ich die stinktierartige Spucke, die eher fest als flüssig war. Es war ein elektrisierender Moment. Ich war schlagartig nüchtern, und das Bärenjunge tat mir leid. Aber ich konnte meine Freunde nicht davon
abbringen, weiterzulachen und zu bellen. Ich schlug und schubste sie und versuchte, sie niederzuringen, aber sie dachten, ich
wäre durchgedreht, und hörten nicht auf. Ich kämpfte weiter, bis
sie endlich Ruhe gaben. Oder bis sie keine Lust mehr hatten, sich
mit mir zu prügeln. Keine Ahnung, was zuerst kam. Dann beschlossen sie, daß sie jetzt dringend in den Puff nach Wallace,
Idaho, fahren müßten, eine weitere altehrwürdige Montana-Tradition, also fuhren sie den Berg hinunter und ließen mich mit ein
paar Bierflaschen und einem schmerzenden Kopf zurück. Ich saß
bis zum Morgengrauen am heruntergebrannten Feuer, den Gestank
des Bären in Mund, Nase und Eingeweiden. Das rasselnde Atemgeräusch des Bären hallte in meinem Kopf wider. Als die Sonne
schließlich den Bergsattel unterhalb des Hammerhead Gipfels erreicht hatte, gingen wir beide nach Hause. Seit damals habe ich
Bären mit anderen Augen betrachtet – und meine Freunde übrigens auch –, und auch nie ganz diesen wilden Geschmack aus
meinem Mund herausbekommen. Laß mich in Ruhe, du Idiot,
schien er mir zu sagen, wir sitzen doch beide in derselben Scheiße.
Noch etwas anderes hatte sich in jener Nacht verändert, aber
das habe ich erst sehr viel später begriffen. Jene Nacht bedeutete
das Ende meiner Kindheit. Nach der Footballsaison und einem
lautstarken Streit mit meiner verrückten, besoffenen Mutter – sie
hatte mir vorgeworfen, ich würde nur deshalb im Osten Montanas
auf die Jagd gehen, weil ich dann genau wie mein nichtsnutziger
Vater in Livingston rumhuren könnte, was nur zur Hälfte stimmte – sagte ich ihr, daß ich abhauen und nie mehr zurückkommen
würde, und sie antwortete: »Gott sei Dank, daß ich dich los bin.«
Drei Tage später unterschrieb sie die Papiere, in denen ich ein
falsches Alter angegeben hatte, und schon war ich beim Militär,
wo man mir eine bittere Lektion zum Thema Angst erteilte. Aber
den Geschmack der Bärenspucke bin ich nie losgeworden. Wir
waren so etwas Ähnliches wie Brüder, im Leben und im Tod.
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Widerwillig schüttelte ich Gannon die Hand. Was auch immer in
Longs Büro passiert sein mochte, und was auch immer Enos Walker getan haben mochte – er war ein Mann wie ich. Falls er so
lange überlebte, bis man ihn vor Gericht stellte, standen seine
Chancen mit meiner Aussage und der des Barkeepers gar nicht
mal so schlecht. Er konnte Notwehr geltend machen oder auf Totschlag plädieren und würde nicht durch die Gewalt eines Staates
sterben müssen, der meiner Ansicht nach die Nadel viel zu gern
einsetzte. Ich wußte, wie süß Rache schmeckte, aber es machte
mich dennoch ein bißchen nervös, an einem Ort zu leben, wo
Leute mit derart beiläufiger Gelassenheit umgebracht wurden.
Letztlich hatte die Todesstrafe auch nichts mit Rache oder Abschreckung zu tun. Sie war nur Mittel zum Zweck, damit die
Schwachköpfe auch ja gewählt wurden.
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KAPITEL 2
Den Barkeeper ausfindig zu machen, kostete mich mehr Zeit, als
herauszufinden, daß er mir nicht mal die Uhrzeit verraten würde.
Für jemanden, der nicht viel Rückgrat zu haben schien, hielt er
den Kopf auf einmal ganz schön hoch und den Mund beharrlich
geschlossen. Entweder gab es jemand anderen, vor dem er noch
mehr Angst hatte als vor mir, oder er genoß irgendeine Art von
Protektion, von wem auch immer.
Also war Sissy Duval meine einzige Spur. Sie lebte im südlichen
Teil von Town Lake in einer schicken Eigentumswohnung, die ihr
ebenso gehörte wie ein ziemlich neuer BMW der 7er-Serie, obwohl sie außer einem kleinen Treuhandfonds, den ihr Vater für
sie eingerichtet hatte, und einigen bescheidenen Unterhaltsschecks
kein feststellbares Einkommen zu haben schien. Und Sissy war ihr
richtiger Name. All das hatte Carver de Longchampe bei einer kurzen Internetrecherche herausgefunden. Carver D hatte sich, nachdem er The Dark Coast an eine alternative Kette verkauft hatte,
aus dem Geschäft mit Untergrundzeitungen zurückgezogen, aber
er war weiterhin ein neugieriger Mensch; er hatte Zugang zu jeder
legal abrufbaren Datenbank und zu einigen, die er vermutlich illegal anzapfte.
Als ich am späten Nachmittag des folgenden Tages an Sissy Duvals
Tür klingelte, öffnete mir eine gut gekleidete Schwarze mit hellbrauner Haut, feinen Gesichtszügen und eisgrauen Strähnen im glatten
Haar. Sie ließ die Tür nur ein kleines Stück aufschwingen.
»Mrs. Duval?« fragte ich. Die Schwarze sah mich an, als hätte
ich Kuhscheiße an den Stiefeln.
»Es ist doch vollkommen egal, wer ich bin«, knurrte sie mich an.
»Was auch immer Sie verkaufen, wir haben schon mindestens
zwei. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Sir. Ich bin gerade
am Gehen.«
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Bevor ich einen Schritt zurücktreten konnte, erklang von jenseits
der halbgeöffneten Tür eine Stimme. »Wer ist denn da, Eldora?«
»Tja, jedenfalls nicht dein Verehrer, mein Schatz«, sagte die
Schwarze und öffnete die Tür ganz. Irgendein Innenarchitekt hatte das Wohnzimmer während seiner beigen Strandperiode gestaltet – mit Treibholz, Glas und körnigen, hellbraunen Skizzen an
allen Wänden.
Eine große, schlaksige Weiße mit zerwühltem Haar trat in den
Raum. »Bobby Mitchell kann heute nicht kommen, mein Schatz.«
»Der alte Depp ist mindestens fünfundsiebzig und will immer
noch Bobby genannt werden«, murmelte die Schwarze. Aber ich
hatte nicht den Eindruck, daß sie mit mir redete.
»Bobby hat gesagt, daß sein Darm sich wieder aufführt«, sagte
Sissy Duval und kam zur Tür. Abgesehen von der Hautfarbe hätten die beiden Frauen Schwestern sein können.
»Tja, dieser Gentleman hier mag zwar ein Schwätzer sein, mein
Schatz, aber er macht mir nicht den Eindruck, als litte er unter
Verstopfung«, sagte die Schwarze. »Vielleicht geht er mit dir zu
der Benefizveranstaltung, nachdem er überall seinen Mist verstreut
und dir ein weiteres Aluminiumtopfset verkauft hat. Oder vielleicht
einen dieser Staubsauger, die die Hausstaubmilben aus deiner
Matratze saugen.«
»Ich bin nicht hier, um was zu verkaufen«, sagte ich, während
die Schwarze an mir vorbeirauschte.
»Mir verkaufen Sie jedenfalls nichts«, entgegnete sie.
»Bis morgen, Eldora«, sagte Mrs. Duval, heftete ihren Blick dabei aber auf mich. Und lächelte, während sie mein Vermögen bis
auf fünftausend Dollar und mein Alter auf fünf bis zehn Tage genau abschätzte. Sie war schon lange keine vierzig mehr, und niemand würde je wissen, welche der unzähligen Schattierungen wohl
ihrer ursprünglichen Haarfarbe entsprach. Sie hatte in ihrem Leben keinen einzigen Tag gearbeitet, aber sie war gut gebaut, und
die Texassonne hatte ihre Haut noch nicht in geröstete Entenkruste
verwandelt. Sie hob eine Hüfte, legte eine diamantenbesetzte Hand
darauf und lächelte mich unschuldig an. »Und was kann ich für
Sie tun, Sir?« fragte sie. Eine Frage, die vermutlich schon so mancher Mann mit Freuden umgehend beantwortet hatte.
Ich stellte mich vor, zeigte ihr meine Lizenz und sagte ihr, daß
ich mich gern mit ihr über ihren Ex-Mann unterhalten würde. Ich
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hielt das für eine gute Möglichkeit, sie zum Reden zu bringen, da
sie schon mehrmals verheiratet gewesen war.
»Ich habe nur Ex-Männer, mein Schatz, und Herrgott noch mal,
sie leben auch noch allesamt in Texas.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Irgendwo muß es jetzt fünf Uhr sein. Ich mach mir einen
Wodka. Wollen Sie auch irgendwas?«
»Vielleicht ein Bier.« Meine Eingeweide fühlten sich an, als würden sie immer noch von den gut einhundert Millilitern kanadischen Whiskys brennen, die mir Enos Walker am Tag zuvor aufgezwungen hatte. Aber die Strandatmosphäre im Zimmer schrie
nach irgend etwas Flüssigem.
»Über welchen von den Schweinehunden würden Sie denn gern
was hören?« fragte sie mich, sobald sie einen unverdünnten Wodka in der Hand hielt, mich auf eine Couch mit einem Bezug aus
naturbelassener Baumwolle bugsiert und mir ein Shiner und ein
eiskaltes Glas gereicht hatte.
»Über den, dem eine Kneipe oben in Gatlin County gehörte.«
»Ach so, Dwayne. Das ist der einzige, der nicht in Texas lebt. Er
ist tot.« Das hatte ich nicht gewußt. Sie ging zum Gasofen und
lehnte sich an den Kaminsims. »Dwayne hatte einen hübschen
Hintern. Deshalb habe ich seinen Namen und seine Asche behalten, damit sie mich immer daran erinnern, mich von Spelunkencowboys fernzuhalten.« Sie strich über einen Keramiktopf, der auf
dem Kaminsims stand, und ließ eine Träne aus dem Augenwinkel
kullern. »Der Junge konnte echt gut tanzen«, sagte sie liebevoll.
»Das tut mir leid, Mrs. Duval. Wie lange waren Sie verheiratet?«
»Solange ich hunderttausend Dollar im Jahr hatte, die er sich die
Nase hochjagen und mit denen ich seinen strammen kleinen Arsch
aus dem Gefängnis heraushalten konnte.« Sie trank ihren Wodka
aus, der sicher nicht der erste dieses Nachmittags war, und schenkte sich ein weiteres Glas ein, diesmal ohne Eis. Dann begann sie,
die Schubladen der kleinen Bar in der einen Ecke des Wohnzimmers zu durchstöbern. »Haben Sie ’ne Zigarette?« fragte sie und
beugte sich über den Tresen.
»Klar.« Ich ging zur Bar hinüber und lehnte mich auf der gegenüberliegenden Seite auf den Tresen. Nicht der schlechteste Platz
für eine ziellose Befragung.
»Verdammt«, sagte sie, als wir die Zigaretten angezündet hatten. Sie griff in die oberste Schublade und holte einen kleinen Spie31
gel, ein Rasiermesser mit einer scharfen Klinge und einen kurzen,
silbernen Strohhalm heraus. »Immer wenn ich an diesen Hurensohn denke, überkommt mich das Bedürfnis, zu rauchen oder
Kokain zu schnupfen wie eine Straßenhure aus East Austin. Ich
weiß genau, daß ich hier irgendwo noch eine Nase voll hatte ...«
Aber sie redete schon nicht mehr mit mir. Nachdem sie ein paar
Minuten herumgekramt hatte, stand sie auf, goß sich einen weiteren Wodka ein und sah mich an, als wäre ich gerade erst aufgetaucht. »Sie haben nicht zufällig was dabei?« fragte sie. »Ach du
Scheiße, Sie sind doch nicht etwa ein Bulle oder irgend so was?«
»Ich glaube, ich gehöre in die ›Irgend so was‹-Kategorie. Jedenfalls habe ich eine kleine Prise dabei.« Ich hatte Longs persönliches Briefchen am Morgen aus der Toilette des Ladens geholt und
den Inhalt auf kleinere Briefchen aufgeteilt, wobei ich mich immerhin so weit im Griff hatte, daß ich mir nur zwei winzige Linien
von dem unverschnittenen Kokain reingezogen hatte. Kokain ist
eine verdammte Schlange, genau wie Alkohol, und ich hatte mit
beiden so meine Probleme gehabt. Und die Probleme lagen auch
noch nicht allzu lange zurück. Ich schüttete ein winziges, glänzendes Häufchen auf den Spiegel und machte zwei kurze, aber
wohlgeformte Linien zurecht.
»Sie zuerst«, sagte Sissy mißtrauisch, als ich ihr den Strohhalm
reichte. Sie sah auf einmal zehn Jahre älter aus, und ihre zarte Haut
schien die wohlgeformten Knochen kaum mehr zu verhüllen.
Ich schnupfte meine Linie und hielt ihr abermals den Strohhalm
hin. Sie beugte sich über den Spiegel, seufzte so tief auf, daß das
Koks beinahe davongeflogen wäre, und machte sich über die Linie
her wie einer dieser Staubsauger, die zu verscherbeln Eldora mich
beschuldigt hatte.
Sissy Duval benetzte einen ihrer Finger, wischte damit den Rest
des Koks auf und rieb ihn auf ihr Zahnfleisch. »Verdammt«, murmelte sie, »wo haben Sie bloß diesen Stoff her?« Dann setzte mit der
Wirkung auch ihr Verstand wieder ein. »Tut mir leid«, sagte sie sanft,
»das geht mich natürlich nichts an. Heiliger Strohsack, ich weiß nicht
mal mehr, wie Sie heißen. Und was zum Teufel wollen Sie von dem
toten Mistkerl mit den hübschen Arschbacken?«
»Nennen Sie mich einfach Milo. Eigentlich bin ich auf der Suche
nach einem von seinen alten Freunden, Enos Walker.«
»Oh Gott, dem sollten Sie besser aus dem Weg gehen.« Sie
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schlang sich die Arme um den Oberkörper, als wäre ihr kalt. »Der
ist doch nicht etwa auf der Suche nach mir? Das ist ein ganz
übler Typ ... außerdem sitzt er meines Wissens oben in Oklahoma im Gefängnis.«
»Inzwischen nicht mehr.«
»Und was zum Teufel wollen Sie von ihm?«
»Er war gestern in eine Schießerei verwickelt, und mein Leben
wäre um einiges einfacher, wenn ich ihn finden könnte.«
»Aber nicht lange. Enos war immer einer von der Sorte, die keine Probleme damit haben, anderen Leuten weh zu tun. Und daran
wird das Gefängnis wohl auch nicht allzuviel geändert haben.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen. Er war auf der Suche nach
Ihrem früheren Mann. Und nach jemandem namens Mandy Rae.«
»Amanda Rae. Diese billige, kleine Nutte«, sagte sie und schaute
träumerisch in die Vergangenheit. »Sie war die Schlimmste aus
der Gruppe. Eine mittelmäßige bis gute Countrysängerin, aber ein
ausgeflipptes Redneck-Mädel. Sie war die einzige von uns, die
immer eine Waffe trug. Aber mit den Leuten habe ich schon seit
Jahren nichts mehr zu tun. Es muß zehn oder zwölf Jahre her
sein, daß ich das letzte Mal was von ihr gehört habe. Wenn nicht
noch länger.«
»Und was haben Sie damals von ihr gehört?«
»Ich hab’s irgendwo in der Zeitung gelesen. Oder vielleicht kam
es in den Nachrichten. Sie hat in einer Kneipe draußen am Bastrop
Highway ihre Pistole gezogen und auf irgend so einen alten Knaben geschossen. Soweit ich mich erinnere, hat sie ihn allerdings
nicht getroffen. Obwohl sie – zumindest mit dem Gewehr – eine
verteufelt gute Schützin war. Draußen auf der Ranch – damals, als
wir noch eine hatten – habe ich mal miterlebt, wie sie mit einem
Kaliber .30-.30 Gewehr mit offenem Visier auf zweihundert Schritt
einen fliehenden Hirschen erlegt hat. Mit einem Genickschuß. Das
kleine Luder konnte ein Haar auf einem Froscharsch treffen.«
»Darf ich fragen, warum Sie sie ein kleines Luder nennen?«
»Was glauben Sie wohl, Cowboy?« fauchte sie, lächelte aber
gleich wieder. »Sie haben nicht zufällig noch eine Linie von diesem guten Stoff?«
»Sie haben nicht zufällig ein Foto von Mandy Rae?«
»Ich glaube, Sie könnten mir gefallen.« Ihr aufgesetztes Lächeln
ließ sie fast zehn Jahre jünger wirken. »Sie machen uns ’ne Linie
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zurecht, und ich suche nach dem Foto.« Betrunken tänzelte sie
um die Bar herum und die Treppe hinauf.
Da ich schon genug intus hatte, richtete ich nur eine Linie für
Sissy her, trank mein Bier aus, schob das Briefchen unter den
Aschenbecher – ich nahm nicht an, daß sie den Tresen an dem
Nachmittag noch putzen würde – und holte mir noch ein Bier aus
dem kleinen Kühlschrank hinter der Bar. Als sie die Treppe herunterkam, schnappte ich mir den Strohhalm und tat, als würde
ich Kokain einsaugen.
»Sie konnten wohl nicht abwarten, bis ich wieder da bin«, sagte
sie und reichte mir das Studiofoto einer eleganten blonden Frau,
auf dessen Rückseite der Name des Fotografen, Albert Homer, und
eine hiesige Adresse gestempelt waren. Ich zuckte mit den Achseln wie ein Kokser, eine Angewohnheit, die ich nur zu gut kannte. »Was anderes konnte ich nicht finden«, fuhr sie fort und verschlang die lange, glänzende Linie auf dem Spiegel mit den Augen.
»Und warum war sie ein kleines Luder?« fragte ich, den Strohhalm immer noch in der Hand.
Sie seufzte. »Sie hat mit Dwayne gevögelt. Verdammt, damals –
vor AIDS – hat jeder mit jedem gevögelt. Aber ich habe sie eines
Sonntagnachmittags oben auf der Ranch erwischt. Sie war auf allen
vieren, und er hatte ihr seinen mageren Schwanz in den Arsch geschoben, und das kleine Luder hat mich über die Teddybär-Tätowierung auf ihrem Schulterblatt hinweg angegrinst. Als ob sie wüßte, daß ich so einen Scheiß nie und nimmer mit mir machen lassen
würde, und als ob sie den Schweinehund jederzeit am Schwanz
packen und abschleppen könnte.« Sissy starrte wieder auf den Strohhalm, dann schenkte sie sich noch einen Wodka ein.
»Hat diese Mandy Rae auch einen Nachnamen?«
»Falls ja, dann kannte ihn jedenfalls niemand. Sie tauchte eines
Tages zusammen mit Enos Walker und zwanzig Kilo peruanischem
Koks hier auf. Sie haben sich ein Haus oben in Gatlin County gekauft und bar bezahlt, und dann mit Collegeschülern ein Dealernetz aufgebaut. Sie bekamen regelmäßig Nachschub und standen
ganz offensichtlich unter besonderem Schutz, und so war sie eine
Zeit lang jedermanns Lieblingslady.«
»Und Sie sind sich ganz sicher, daß Sie nie ihren Nachnamen
gehört haben?« fragte ich und machte keine Anstalten, ihr den
Strohhalm zu reichen.
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Sissy starrte auf den glänzenden Strohhalm und dachte nach.
»Quarrels«, sagte sie schließlich. »Ich erinnere mich, daß jemand
sie mal so genannt hat.«
Ich hielt ihr den Strohhalm hin. »Woran ist Ihr Mann gestorben?«
»Er hat vor seiner Bar dem verkehrten Jungen eine verpaßt«,
sagte sie und griff mit zitternden Händen nach dem Strohhalm.
»Dwayne machte so etwas öfter. Der verdammte Junge holte eine
doppelläufige Flinte aus seinem Pick-up und feuerte zwei Ladungen Hühnerschrot auf Dewey – eine in den Bauch, eine ins Gesicht. Es dauerte eine ganze, lange, schmerzhafte Woche, bis er
tot war.« Sissy seufzte, schnupfte die Linie und lächelte mich an.
»Haben Sie einen Anzug und eine Krawatte, Cowboy?«
»Natürlich«, log ich. Wenn es sich als nötig erweisen sollte, würde ich schon eine Krawatte auftreiben.
»Holen Sie mich so um acht Uhr ab? Wir gehen zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten irgend so eines Politarschlochs.«
»Es ist mir ein Vergnügen«, log ich abermals, trank mein Bier
aus, ging zur Tür und lauschte dabei dem Geklapper von Eis in
einem schweren Kristallglas, das durch die leere Wüste des Wohnzimmers hallte. Ich ließ die Tür ein Stück offenstehen, wartete
eine Minute lang am Rand des Parkplatzes und ging wieder zurück. Aber ein großer, älterer Herr im Maßanzug und mit Tausendfünfhundert-Dollar-Toupet kam mir zuvor. Bobby, nahm ich an.
Der alte Mann hatte den Finger gerade auf der Türklingel, als ich
hinter ihm auftauchte. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« fragte
er in schleppendem Tonfall.
»Ich habe vergessen, Mrs. Duval meine Visitenkarte zu geben.«
Sie kam mit einem schnurlosen Telefon in der Hand an die Tür
und war offensichtlich verwirrt, uns beide dort stehen zu sehen.
»Ich ruf dich gleich zurück, mein Schatz«, sagte sie ins Telefon.
»Fest versprochen.«
»Ich lege meine Karte einfach auf die Bar, Mrs. Duval«, sagte ich
und drängte mich an Bobby vorbei, während sie das Telefonat
beendete. Ich legte eine der Visitenkarten auf den Tresen, auf denen nur mein Name und meine Handynummer standen, hob den
Aschenbecher an und schnappte mir das Briefchen. »Warten Sie«,
hörte ich sie wimmern.
»Wir sehen uns dann später, Madam«, warf ich ihr über die
Schulter zu.
35
»Bitte«, zischte sie.
»Wer war das denn?« fragte Bobby, als ich an den beiden vorbeieilte.
»Bobby, was zum Teufel willst du hier?« hörte ich sie sagen, als
ich langsam die Treppe hinunterging. Ich hörte auch, wie sie eine
Taste am Telefon drückte, und dann das Wiederwahlgeräusch.
»Mach dir einen Drink oder nimm dir ein Zäpfchen oder was auch
immer«, sagte sie, und dann, ins Telefon: »Nein, nicht du, mein
Schatz. Dieser verdammte Bobby Mitchell verunstaltet schon wieder meine Vorderveranda.« Dann hallte Sissys betrunkenes Gelächter durch die Zedernbüsche und die Flußweiden, die ihre Eigentumswohnung vom Lärm der Straße abschirmten.
Irgend etwas an der Art, wie Sissy am Telefon »mein Schatz« gesagt hatte, ging mir auf der ganzen Fahrt zum Blue Hollow nicht
aus dem Kopf, auch nicht während meiner Schicht hinter der Bar.
Meine Gedanken kreisten selbst dann noch um das Thema, als
Betty Porterfield auf ihrem Weg zu der Notfalltierklinik, in der sie
in der Nachtschicht arbeitete, auf einen Kaffee hereinschneite.
»Unser Urlaub war nicht gerade umwerfend«, sagte sie und hob
ihre Tasse. Ihre blauen Augen wirkten leicht verschwommen, als
hätte sie tagsüber nicht gut geschlafen. Ein paar Locken ihres roten, von grauen Strähnen durchzogenen Haars hingen ihr ungebärdig in die sommersprossige Stirn. Müde schob sie sie zurück.
»Umwerfend nicht, nein«, stimmte ich ihr zu. »Es macht nie so
richtig Spaß, wenn wir versuchen, was zu klären. Und wir kriegen
auch nichts so richtig geklärt.«
»Und, ist das etwa meine Schuld?«
Unser Schweigen war lauter gewesen als der anhaltende Wind
oder das Rauschen, mit dem die seichten Wellen am Strand ausliefen.
»Ist das etwa meine Schuld?« wiederholte sie.
»Ich weiß es nicht«, mußte ich zugeben, dann wechselte ich das
Thema. »Hast du gehört, was gestern passiert ist?«
»Ich hab dir ja gleich gesagt, daß du dich mit diesem Privatdetektivkram nur in Schwierigkeiten bringst.«
»Du kennst nicht zufällig eine Sissy Duval?« fragte ich und versuchte, ihre Stichelei zu ignorieren.
»Sissy Duval? Oh Gott, mit denen hatte ich nie was zu tun. Je36
denfalls nicht viel«, fügte sie schnell hinzu. »Die waren mir immer
eine Nummer zu wild. Aber ich kannte sie. Wieso fragst du?«
»Sie ist quasi meine einzige Verbindung zu Enos Walker«, sagte
ich lahm.
»Wer ist das?« fragte sie und schaute zur Seite.
»Das ist der Typ, der sich mit Billy Long gestritten hat, bevor er
ihn erschossen hat. Wenn ich ihn vor den Bullen finden könnte,
könnte ich ihm vielleicht das Leben retten. Und mir eine Menge
Kummer mit den Behörden ersparen.«
»Weißt du, Milo«, sagte sie, und ihre Mundwinkel verzogen sich
zu einem bitteren Lächeln, »du schuldest diesem Walker nichts.
Und als du noch im Ruhestand warst, lief es mit uns beiden deutlich besser.«
»Du hast das vielleicht so empfunden. Ich nicht. Ich bin noch zu
jung, um so alt zu sein.«
»Warum fährst du nicht zur Ranch raus, wenn du hier fertig
bist?« sagte sie sanft. »Ich mache uns Frühstück, wenn ich nach
Hause komme. Ich möchte gern, daß wir eine Lösung finden, mein
Schatz.«
Mir schoß durch den Kopf, daß Frauen auf eine andere Art »mein
Schatz« sagen, wenn sie mit Männern sprechen, als wenn sie es
zu einer Frau sagen. Dann fiel mir die Adresse auf der Rückseite
von Mandys Foto ein, und so sagte ich die nächtliche Fahrt zur
Ranch hinaus ein weiteres Mal ab. »Ich muß morgen früh noch
einer Spur nachgehen.«
»Ich wünschte, du könntest hören, wie albern das klingt«, sagte
sie mit zitternder Unterlippe, schlagartig wütend. »Warum gibst
du nicht einfach zu, daß du diese Gegend haßt, und bewegst deinen erbärmlichen Arsch zurück nach Montana?«
»Danke«, entgegnete ich. »Zumal ich meinen erbärmlichen Arsch
hier runter bewegt habe, um in deiner Nähe zu sein.«
»Das ist mir eindeutig zu viel Verantwortung.« Sie ließ ihren
Kaffee stehen und ging langsam aus der Bar. Ihr stocksteifer Rükken war ein eindeutiges Indiz dafür, daß unser Gespräch mal wieder gründlich schiefgelaufen war. Mit jedem Wort hatten wir uns
weiter voneinander entfernt. Genau wie unten im Strandhaus ihres Onkels.
In jener Nacht waren wir so mühelos mitten in einem Streit gelandet wie am Anfang unserer Beziehung miteinander im Bett.
37
Nach der üblichen Stille und den darauffolgenden Entschuldigungen hatte ich angefangen, ihr die Schultern zu massieren.
»Ich weiß es einfach nicht«, murmelte sie, als wir uns liebten.
»Was? Was weißt du nicht?«
»Ich weiß nicht mehr, was wir da tun«, antwortete sie sanft.
Ihre Stimme war über dem Tosen des Windes, der vom Golf heraufwehte, und dem leisen Klatschen der Wellen kaum zu hören.
»Ich weiß nicht, wo das alles hinführt, ich weiß nicht mal mehr,
ob wir uns noch lieben oder nur noch bumsen ... oder ob das
hier irgendein blöder Wettbewerb ist, um rauszufinden, wer als
letzter kommt ...«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, also schwieg ich, glitt aus
ihr heraus und in meinen Trainingsanzug hinein, verließ das Haus
über die verglaste Sonnenterrasse und die lange, leicht abschüssige Rampe, die hinunter zum Strand mit seinem festen Sand führte, und schlenderte am Wasser entlang. Die sanften, dunklen Wellen liefen mit einem schaumigen Zischen aus, das wie ein Nest
voll junger Schlangen klang. Draußen im Golf leuchteten die Lichter der Ölplattformen und der Lastkräne wie die falschen Feuer
von Strandräubern, die Schiffe an seichten Stellen ans Ufer lockten, und ölige Klumpen glänzten in der schaumigen Brandung wie
die Eier irgendwelcher Monster. Texas, mein Gott. Was hatte ich
mir bloß dabei gedacht?
Als ich zum Strandhaus ihres Onkels zurückkam, das wie eine
riesige Spinne auf Betonbeinen über dem Strand thronte, schien
sie zu schlafen, also haute ich mich in einen der Klubsessel auf
der windgeschützten oberen Sonnenterrasse. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Austin zurück, ohne ein Wort miteinander zu
reden.
Nachdem Betty die Bar verlassen hatte, war es mir richtig angenehm, den sinnlosen Sorgen meiner Gäste zu lauschen. Ich konnte
mir Lösungen für ihre Probleme überlegen, Lösungen, die manchmal nur darin bestanden, ihnen einen Drink zu spendieren und ihnen freundlich lächelnd zuzuhören. Erst als ich aufgeräumt, die
Vorräte aufgefüllt, ein bißchen illegales Geld gewaschen und die
Bar verlassen hatte, kam ich dazu nachzuschauen, ob Albert Homer noch unter der angegebenen Adresse zu erreichen war. Im Telefonbuch von Austin war er immer noch unter der Geschäftsadresse am North Loop verzeichnet.
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Homers Studio befand sich auf einem unkrautüberwucherten Grundstück am North Loop hinter einer heruntergekommenen Poolbillardhalle, in Rufweite zur I-35 Nord. Er mochte zwar noch sein Geschäft haben, aber als ich am Mittag des nächsten Tages auf die
Klingel neben der Eingangstür drückte, hatte ich nicht den Eindruck,
daß es gut lief. Ich mußte noch drei weitere Male und jedes Mal
sehr lang klingeln, bis ich schließlich eine Tür zuschlagen und eine
entfernte Stimme vom zweiten Stock her sagen hörte, sie sei auf
dem Weg. Ich nahm an, daß Albert Homer in der Dunkelkammer
gewesen war. Aber der junge Mann, der mir die Tür öffnete, trug
einen verlotterten Morgenmantel und darunter einen zerknitterten
Schlafanzug. Er selbst hatte auch schon bessere Tage gesehen. Die
langen Haarfransen, die um sein schmales Gesicht herumbaumelten,
waren schon seit mehreren Tagen nicht mehr gewaschen oder gekämmt worden. An den Mundwinkeln hing in seinem zotteligen
Schnurrbart irgend etwas Graues, so wie der Geruch des Morgenjoints in seiner Nachtwäsche, und aus seinem Mund wehte mir der
Gestank nach abgestandenem Bier entgegen. »Wir haben geschlossen«, murmelte er. Ich zeigte ihm einen Fünfzig-Dollar-Schein und
dachte an die gute alte Zeit, als ich mein Ziel auch mit einem Zwanziger erreicht hätte. »Mann, wenn Sie noch ein paar Dosen kaltes
Bier drauflegen, könnten wir vielleicht öffnen.«
»Gehen Sie nicht weg«, sagte ich und war schon unterwegs in
Richtung der erleuchteten Bierreklameschilder einer Poolbillardhalle ein kurzes Stück die Straße hinunter.
Während der Jahre, die ich in Texas gelebt hatte, hatte ich fast nie
Kokain geschnupft, nur selten einen Joint geraucht und kaum einmal einen Kater gehabt. Aber in den zwei Tagen, seit ich das Pech
gehabt hatte, Enos Walker über den Weg zu laufen, schien ich dank
meines eigenen wankelmütigen Charakters die Süchte aller möglichen Leute zu befriedigen: Sissy Duvals Staubsaugernase, Captain
Gannons Sehnsucht nach einem gemütlichen Ruhestand und jetzt
Albert Homers Kater. Alles für ein bißchen Gerechtigkeit, dachte
ich, als ich das ungemähte Grundstück überquerte, und für die vage
Möglichkeit, Enos Walkers verpfuschtes Leben zu verlängern. Man
sagt, ein Rechtsanwalt, der sich selbst vertritt, hat einen Dummkopf
zum Klienten. Aber im Volksmund findet sich nichts Entsprechendes über einen Privatdetektiv, der in eigener Sache ermittelt. Vielleicht, weil das nicht oft genug passiert, um der Rede wert zu sein.
39
Fünf Minuten später sah ich Homer dabei zu, wie er seine erste
Dose Lone Star hinunterspülte und die zweite aufriß. Nach den
gerahmten Fotos an der Wand seines Studios, dem Stapel Unterwäsche in Übergröße von Frederick’s of Hollywood und der unechten Satintagesdecke auf dem runden Bett zu urteilen, hatte Homer
sich auf erotische Fotos von fetten Frauen spezialisiert. Es war ein
bißchen gruselig, aber ich mußte zugeben, daß er kein schlechter
Fotograf war, und mir fiel auch kein vernünftiger Grund ein, warum fette Frauen weniger Spaß haben sollten als abgemagerte Models mit falschen Brüsten.
»Es ist nur eine Vermutung«, sagte ich und zog das Studiofoto
aus einem Umschlag, »aber ich nehme doch an, daß nicht Sie dieses Foto geschossen haben.«
»Sieht aus, als wäre es von meinem Vater.« Homer sah kaum
von seinem Bier hoch. »Er ist vor etwa sieben Jahren gestorben.«
»Sie haben nicht vielleicht seine Unterlagen aufbewahrt?«
»Sie liegen in einer Lagerhalle draußen in Pflugerville«, murmelte er. »So ungefähr das einzige außer diesem Loch hier, was
die Scheidung überlebt hat. Aber für ’nen Fünfziger läuft da gar
nichts.«
»Wieviel wollen Sie?«
»Vielleicht hundert«, antwortete er und lächelte so breit, daß das
graue Zeug an seinen Mundwinkeln aufplatzte. »Zweihundert,
wenn ich Ihnen dabei helfen soll.«
»Das ist ganz schön viel.«
Aber Homer lächelte nur.
Drei Stunden später war mir klar, warum. Wir hatten uns durch
eine weitere Sechserpackung Bier und Dutzende von Kartons mit
den häßlichsten pornographischen Aufnahmen gearbeitet, die mir
je zu Gesicht gekommen waren. In dem Lagerraum war es dampfig wie in einer Sauna. Das einzig Positive war, daß der Junior,
bevor wir hier rausgefahren waren, geduscht und frische Klamotten angezogen hatte. Und das Negative, daß die elegante Blondine
eine Frau namens Sharon Timmons war, die unbeschreibliche Dinge mit einer Schlange veranstaltet hatte, nachdem ihre Gesangskarriere den Bach hinuntergegangen war. Und über Amanda Rae
Quarrels gab es überhaupt keine Unterlagen.
»Wer kauft denn bloß solchen Mist?« fragte ich verwundert.
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»Sie wären überrascht. Meist sind es Leute, für deren Geschmack
das neue Zeug zu sauber und geschleckt ist.«
»Das ist jetzt alles, oder? Ihre Exfrau hat davon nichts mitgenommen?«
»Scheiße, Mann«, stöhnte er, »sie hat alles mitgenommen. Das
Haus, beide Autos und das ganze Geld, das mein Vater aus Vegas
mitgebracht hatte.«
»Vegas?«
»Ja. Er hat im Nugget einen dieser Hunderttausend-Dollar-Automaten geleert und es geschafft, nach Hause zu kommen, bevor er
die Kohle wieder los wurde. War das erste Mal, daß ihm das gelang.«
»Er war ein Spieler?«
»Trägt der Papst rote Schuhe, wenn er in den Wald scheißt?«
»Keine Ahnung, ich bin nicht katholisch.«
Junior sah mich nur an.
»Sie erinnern sich nicht zufällig an eine Frau namens Mandy
Rae Quarrels?« fragte ich.
»So aus dem Stand nicht«, antwortete er schulterzuckend. »Sie
wissen ja, wie das ist. Die Titten bleiben einem länger im Gedächtnis als der Name.«
»Woran ist Ihr Vater gestorben?« fragte ich, nur um höflich zu
sein.
»Ach verdammt. Der war vor ein paar Jahren oben am Lake
Travis zum Angeln, hat sich besoffen und ist aus dem Boot gefallen.«
Irgendwie konnte ich mir Homers Vater nach all den Fotos, die
ich gesehen hatte, nicht so richtig beim Fischen vorstellen. »Und
was ist mir Ihrer Ehe passiert?« fragte ich, weil mir sonst nichts
einfiel, und reichte ihm den Rest des Geldes.
»Weight Watchers«, antwortete er traurig.
Auf der Fahrt zurück nach Austin hätte ich mich immer wieder in
den Hintern beißen können. Ich konnte es nicht fassen, daß ich
mich von jemandem, der so betrunken und high war wie Sissy
Duval, hatte übers Ohr hauen lassen. Aber genau das war passiert, und auch wenn ich noch mal zu ihr hinfuhr, hatte ich vermutlich nicht genügend Kokain, um ihr die Wahrheit zu entlokken. Vielleicht sollte ich meine Lizenz zurückgeben und wieder
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ein Dasein als Frührentner fristen, so wie Betty es vorgeschlagen
hatte. Aber das wäre zu einfach gewesen. Ich rief Carver D vom
Handy aus an, aber niemand nahm ab, und so fuhr ich bei seinem
unverschlossenen, weitläufigen Haus in Travis Heights vorbei,
bevor ich mich auf den Heimweg machte, um den Barkeeper von
der Tagschicht abzulösen. Diabetes und eine großzügige Dosis
Tennessee Whisky hatten Carver Ds Beweglichkeit eingeschränkt.
Er war allein, was sehr ungewöhnlich war, und saß in einem antiken Rollstuhl auf der verkleideten hinteren Veranda. Petey, mein
stiller Partner bei der Wäsche meines unsauberen Geldes, kümmerte sich normalerweise um Carver D, wenn er nicht gerade für
seinen Abschluß in Informatik und Buchführung an der University
of Texas büffelte. Wenn er in einer Vorlesung war, übernahm
Carver Ds Chauffeur, ein kräftiger Ex-Hauptfeldwebel der Marines
namens Hangas, die Arbeit.
»Wo zum Teufel stecken sie denn alle?« fragte ich.
»Sie haben mich im Stich gelassen, Milo«, antwortete Carver D
und nahm einen Schluck aus der Flasche. Dann fing er an zu
lachen, wobei seine Fettpolster hin- und herschwabbelten wie
ein schlecht gewordener Wackelpudding, während seine kleinen
schwarzen Augen wie Wassermelonenkerne glänzten. »Petey ist
einkaufen«, sagte er, vor Lachen noch ganz atemlos. »Obwohl
Quarrels in diesem Teil der Welt kein seltener Name ist, kann ich
dir versichern, daß deine Amanda Rae Quarrels nicht existiert,
weder als Mensch noch als Sängerin, Liedermacherin oder Schauspielerin. Keine Geburts-, Heirats- oder Sterbeurkunde, keine Eintragungen über Steuern, Telefon oder Wasser- und Energieversorgung. Unter dem Namen ist absolut nichts zu finden. Enos Walkers
Leben ist dagegen ein offenes Buch. Er wurde am 7. Dezember
1960 in Hominy, Oklahoma, geboren. Seine Mutter war ein amtlich registriertes Mitglied des Osage-Stammes. Sein Vater war Oberfeldwebel in Fort Sill und wird in den verschiedenen Unterlagen
mal als Schwarzer, mal als Weißer, mal als Seminole geführt. Seit
dem Vietnamkrieg gilt er als vermißt, vermutlich tot. Walkers Vorstrafenregister ist länger als mein Schwanz, aber das meiste sind
kleinere Vergehen – Besitz geringer Mengen Rauschgift, Ruhestörung in Kneipen – so ein Mist eben. Es gab Gerüchte, daß er hier
unten dealen würde, aber offiziell interessierte sich niemand dafür. Bis zu dieser letzten Festnahme. Kokainschmuggel. Er wurde
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in der Nähe von Tulsa zusammen mit zwei anderen Typen verhaftet. Sie hatten einen tollen Plan, aber auch jede Menge Pech.«
»Pech?«
»Sie hatten für ein Privatflugzeug die Genehmigung für einen
Flug von Jamaika nach Tulsa eingeholt, und als der Pilot zum Landeanflug auf den Flughafen ansetzte – wer zum Teufel würde denn
schon in Tulsa mit so etwas rechnen – warf er das Kokain über
einer Weide ab. Der Pilot war echt Klasse. Traf genau ins Schwarze. Zwanzig Kilo in einem aufgeblasenen Traktorreifenschlauch
knallten direkt auf die Motorhaube des Pick-up. Hätten sie beinahe erschlagen. Der Pick-up und der Fahrer waren jedenfalls hinüber. Erschwerte ein bißchen die Flucht, als die Bullen auftauchten.«
»Was ist aus den beiden anderen geworden?«
»Sind beide im Knast umgekommen. Einer wurde mit einer
Schaufel erschlagen, der andere starb an AIDS. Pech auf der ganzen Linie. Walker war die einzige Ausnahme. Angeblich hat ihn
jemand verpfiffen und den überzeugenden, aber vor Gericht nicht
zulässigen Beweis erbracht, daß sie die Nummer nicht zum ersten
Mal abgezogen hatten. Er hatte Glück und kam nur ins Staatsgefängnis, und auch das nur für zwölf Jahre. Mann, es dauerte
fast fünf Jahre, bis sie ihn endlich verurteilt und das Strafmaß festgesetzt hatten. Pech war auch, daß er, nachdem er auf Kaution
freigekommen und verduftet war, am Flughafen von Miami bei
einer Routinekontrolle aufgegriffen wurde. Er war nicht gerade ein
Mustersträfling, aber er hat es geschafft, sich nicht in ernsthafte
Schwierigkeiten zu bringen.«
»Hat er keinen Bewährungshelfer?«
»Nein. Walker hat seine Strafe voll abgesessen. Im Moment ist
er ein freier Mann. Bis sie ihn wieder schnappen. Aber vielleicht
schnappst du ihn ja zuerst.«
»Das kommt mir allmählich ein bißchen aussichtslos vor. Ich
kenne hier unten einfach nicht genügend Kriminelle«, beschwerte
ich mich.
»Zum Teufel, Mann, das hier ist Texas, da kennst du nur Kriminelle. Alle großen Reichtümer beginnen mit einem kleinen Verbrechen.«
»Von wem ist das denn?«
»Für dich, Kumpel, ist es von mir.«
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»Vielleicht sollte ich die Suppe einfach auslöffeln.«
»Tja, in Phil Thursby hast du einen guten Anwalt, und vergiß
nicht, der Onkel deiner Freundin ist der Gouverneur.« Er lachte
dermaßen, daß seine kleinen dunklen Augen nicht mehr zu sehen
waren. »Du hast wirklich ein Talent, dir die richtigen Leute auszusuchen, Partner.«
»Ich glaube, ich kümmere mich lieber selbst um diese Scheiße.«
»Dein früherer Partner pflegte zu sagen, deine größten Probleme
seien deine störrische Weigerung, um Hilfe zu bitten, und dein
ganz offensichtliches Talent, dir immer die falschen Frauen auszusuchen.«
»Der muß es ja wissen. Er mußte erst wochenlang mit einem
Bauchschuß ans Krankenbett gefesselt sein, bevor Whitney ihn
dazu bringen konnte, mit ihr auszugehen.«
»Da wir gerade von den Turteltauben sprechen – wie geht’s ihm
denn so an der juristischen Fakultät?«
Mit den Turteltauben meinte er meinen früheren Partner und
dessen Frau.
»Ganz gut. Ich hab ihn zuletzt im September gesehen, als ich als
Ehrenmitglied in den Benewah-Stamm aufgenommen wurde. Kaum
zu glauben, daß sie über fünfzehn Jahre gebraucht haben, um sich
für das Geschenk, das ich ihnen mit der Übergabe des Landes
meines Großvaters gemacht habe, erkenntlich zu zeigen. Die Jungen, die jetzt im Stammesrat das Sagen hat, scheinen meiner Familie verziehen zu haben. Natürlich mußten sie erst noch gegen
die Regierung prozessieren, um das Land zu bekommen.«
»Scheiß-Regierung.«
»Scheiß-Regierungsanwälte.«
»Das ist doch das gleiche. Wie geht’s dem Spinner denn so?«
»Sie hat ihre Juraprüfung inzwischen abgelegt, aber er hat sich,
so weit ich weiß, für ein Semester beurlauben lassen, um an einem Fall zu arbeiten.«
»Verrückter Hund«, sagte Carver D und nahm noch einen Schluck
aus der Flasche. »Er muß da doch mit Abstand der Älteste sein.«
»Fast. Älteste Studentin ist eine kleine, alte Poststellenleiterin
aus irgendeinem Kaff im Osten von Montana. Sie haben ihre Poststelle geschlossen, also hat sie sich für Jura eingeschrieben in der
Hoffnung, die Schweine zu verklagen. Sie ist mindestens zwanzig
Jahre älter als er.«
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»Was denkt er sich eigentlich dabei?«
»Er will einen Weg finden, das Richtige zu tun. Das war alles,
was er gesagt hat.«
»Ach Gott«, seufzte Carver D und starrte auf die riesige VirginiaEiche in seinem Hinterhof, während er immer mehr in ein alkoholumnebeltes Schläfchen abglitt. »Komm Sonntag vorbei, Mann«,
murmelte er, »es kommen ein paar Leute.«
»Ich muß arbeiten«, antwortete ich. Carver D sah sogar dann
gelangweilt aus, wenn er schlief. Ich nahm mir fest vor, ihn in
Zukunft häufiger zu besuchen. Er war so ziemlich mein einziger
normaler Freund in diesem Land voller Verrückter.
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KAPITEL 3
Alles blieb ruhig, sogar das schöne Wetter – man hätte es vielleicht ›Indian Summer‹ nennen können, aber Texas hatte fast alle
Eingeborenenstämme ausgerottet, vertrieben oder deportiert –, und
so blieb es ruhig und geschäftig bis zum Sonntagabend. Ich hatte
eine Bar, um die ich mich kümmern mußte, Probleme mit einer
Frau, die ich nicht verstand, und Langeweile, mit der ich irgendwie fertig werden mußte. Ich hatte einfach nicht die Zeit oder die
Energie, Enos Walker aufzuspüren oder mir Sissy Duval zu schnappen. Aber nicht alles lief schlecht.
Da ich die Bar nicht in erster Linie betrieb, um Geld zu verdienen,
und da es – in gewisser Weise – mein Geld war, von dem ich sie
bezahlt hatte, hatte ich sie ganz nach meinem Geschmack einrichten lassen. Der sanft geschwungene Tresen bestand aus genagelten Eichendielen, und die Front war mit dem gleichen schwarzen
Lederpolster verkleidet, mit dem auch die Barhocker mit den hohen Lehnen überzogen waren. Es gab viel Platz, um an der Bar zu
stehen, und eine massive Messingquerstange, auf der die Trinker
ihre Füße ausruhen konnten. Neun runde Tische mit bequemen
schwarzen Ledersesseln standen auf drei verschiedene Ebenen
verteilt, so daß jeder Gast den Ausblick auf die Sonnenuntergänge
über dem Rand des Blue Hollow genießen konnte. Sogar von den
drei Tischen im Nichtraucherbereich, der durch eine Wand halb
aus Holz, halb aus Glas abgeteilt war und ein eigenes Belüftungssystem hatte, hatte man eine gute Aussicht. Alles, was sich hinter
dem Tresen befand, war mit zwei raschen Schritten auf dem Hartgummi-Laufbrett zu erreichen.
Mindestens ebensowichtig war das, was die Bar nicht hatte: keine Bierreklame, kein Sportbrimborium – das zog nur die verkehrte
Sorte von Säufern an –, keine Jukebox oder Musik aus der Konser46
ve, statt dessen eine Stereoanlage und eine Sammlung klassischer
und Jazzmusik; kein Fernseher bis auf einen kleinen Farbmonitor
über dem geschlossenen Ende der Bar, auf dem nur der Barkeeper
und die Gäste am Tresen etwas erkennen konnten. Er war für die
wenigen Gäste, die gelegentlich schon tagsüber am Tresen standen, und für meine einsamen Nächte gedacht. In der kleinen Grillküche hinter der Bar wurden nur Nachos, Taquitos, rotes und grünes Chili sowie belegte Brote zubereitet. Es kam der Vorstellung,
die sich ein Barkeeper vom Himmel auf Erden macht, so nah, wie
das mit gestohlenem Geld nur möglich war. Zudem hatte Petey
auf dem Computer ein Programm installiert, das nach dem Zufallsprinzip Getränke und Essen anzeigte, die in bar bezahlt worden waren. Ich mußte dann nur noch die fehlende Summe mit
Geld aus dem Safe im Küchenboden ausgleichen, und schon hatte
ich sauberes Geld. Als ich Petey das erstemal begegnete, war er
ein Skateboardpunk mit stacheligen Haaren und jeder Menge Metall im Gesicht. Jetzt war er mein stiller Yuppie-Partner. Und er
war es wert. Ich konnte das Programm sogar abschalten, wenn
keiner von uns beiden da war, um die Kassenabrechnung zu machen.
Fast alle, die in der Bar oder in der Küche arbeiteten, waren
Mitglieder der Familie Herrera. Sonntags pflegte die ganze familia
zusammenzuhocken, also arbeitete meistens ich sonntagabends,
aber keine zwei Abende waren jemals gleich. An manchen Sonntagabenden sah es in der Bar aus wie bei einer aus dem Ruder
gelaufenen Burschenschaftsfete. Die Technokraten und die Softwareverkäufer, die die nahegelegenen Computerfirmen besuchten,
tranken manchmal wie verzogene, nervöse Kinder, wobei sie mit
gummiartig herabhängenden Lippen auf ihre Taschencomputer
oder ihre gelockerten Seidenkrawatten sabberten. Und dann wieder tranken sie überhaupt nichts. Ab und zu wurde das Ganze von
einer Gruppe Japaner aufgelockert, die nach ihrem ersten Freudenausbruch höflich die Köpfe über ihren Martinis hängen ließen
wie zerbrechliche Blumen oder laut nach Karaoke schrieen, bis sie
bewußtlos zusammenklappten. Gelegentlich tauchte auch die ein
oder andere geschäftstüchtige Professionelle auf, die ihren Abscheu
hinter einem spröden Lächeln verbarg. Und dann gab es da noch
die Sonntage, an denen die Bar eher einer eleganten Leichenhalle
glich.
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So wie an diesem Abend. Drei herausgeputzte Vorstandsgattinnen ohne Ehemänner, die in riesigen Steinhäusern in den Hügeln
im Westen lebten, schlürften in der Nichtraucherabteilung genüßlich ihre Chardonnays. Ein großer, stämmiger, nicht mehr ganz junger Mann mit grauem Bürstenhaarschnitt, zerknittertem Anzug und
fleckiger Krawatte, den die meisten Paper Jack nannten, saß am
Tresen in der Mitte und kippte einen Wild Turkey on the rocks nach
dem anderen. Am Ende des Tresens nippte eine unnahbare, tief gebräunte, schöne junge Frau an einem unverdünnten Macallan Scotch
und einem Evian. Jeder ließ jeden in Frieden. Der Wind rüttelte
sanft an den Glaswänden, während die Dämmerung im Hill Country
allmählich in eine sternenklare Nacht überging.
Zwei der Strohwitwen verließen die Bar, entweder auf der Suche nach einem aufregenderen Zeitvertreib, oder um pharmazeutischen Trost in den Medizinschränkchen ihrer großen, leeren Häuser zu suchen. Die dritte, eine große Blonde namens Sherry, kam,
nicht zum erstenmal, auf einen Absolut on the rocks, drei meiner
Dunhill-Zigaretten und einen gelangweilten Annäherungsversuch
an den Tresen. Ich ignorierte ihr Angebot so höflich wie möglich,
wohl wissend, daß einmal eine kalte Sonntagnacht kommen könnte, in der ich auf ihr warmes Bett angewiesen sein würde.
Ich sah melancholisch lächelnd zu, wie Sherry hinausschlenderte, die schlanken Hüften elegant wie eine Glasharfe, dann spendierte ich Paper Jack und der hübschen jungen Frau einen Drink,
sagte der Bedienung, sie solle Schluß machen, ging in die Küche,
um den Koch früher nach Hause zu schicken, schenkte mir ein
großes Glas Rotwein ein – Betty hatte mich ziemlich erfolgreich
von doppelten Single Malt Whiskys auf Rotwein umgepolt – und
machte es mir gemütlich, um den Rest des Abends abzusitzen,
indem ich mich an die Bar lehnte, Gläser polierte und Jimmy
Stewart zusah, wie er sich durch Meuterei am Schlangenfluß zitterte und stotterte. Daher bekam ich auch nicht genau mit, wann
Paper Jack anfing, die junge Dame am Ende des Tresens mit seinen gemurmelten Aufmerksamkeiten zu belästigen.
Paper Jack, der über einen schier unerschöpflichen Vorrat an
Hundert-Dollar-Scheinen zu verfügen schien, hatte immer schon
mehr Geld als Charme besessen, aber er war einer von Travis Lee
Wallingfords alten Saufkumpanen, und einer von Jacks Neffen war
Manager des Blue Hollow Lodge, also hatte ich Jack immer eine
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Menge Narrenfreiheit gelassen, wenn er auf einer seiner Geschäftsreisen plus dazugehörigem Gelage im Lodge abstieg. Aber bei seinen ersten deutlichen Worten wurde ich aufmerksam.
»He, schöne Dame«, sagte Jack laut, »woher kenne ich Sie? Kenne ich Sie irgendwoher?«
»Es tut mir leid«, antwortete die junge Frau und zog eine hübsche
Augenbraue hoch. »Ich glaube nicht«, fügte sie hinzu. Sie hatte schön
geformte Wangenknochen und volle Lippen, und ihr Make-up verschmolz perfekt mit den sanften Ebenen ihres Gesichts.
»Verdammt noch mal, ich kenne Sie doch, Lady«, fuhr Jack fort,
und verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Ich erinnere
mich schließlich ...«
»Glauben Sie mir, Sir«, unterbrach ihn die junge Frau ruhig, »ich
habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen.« Sie nahm einen
großen Schluck von ihrem Whisky und drehte sich um, als wolle
sie gehen.
In dem Moment leuchtete Jacks betrunkenes Gesicht auf. »Hilft
Ihnen das vielleicht weiter, verdammt noch mal?« Er warf ein Bündel Dollar vor sich auf den Tresen und ließ eine seiner riesigen
Fäuste auf das Geld herunterkrachen. »Soviel hat es mich letztes
Mal gekostet, mein Schatz.«
»Okay, Jack«, sagte ich und baute mich vor ihm auf. »Das reicht.«
Ich goß seinen Drink in die Spüle, stopfte ihm die Scheine in die
Hemdtasche und sagte ihm, er solle sich schleunigst verziehen.
»Milo, sie ist eine verdammte Hure«, sagte er. »Du blödes Arschloch du. Und gib mir meinen Drink wieder, du mieser Scheißkerl.«
Er stand auf und beugte sich über den Tresen, um mich am Hemd
zu packen.
Ich hatte das schon einmal erlebt und wußte, daß Jack, obwohl
er schon fast siebzig war, immer noch Hände wie Schweinshaxen
hatte, gestählt während seiner Jahre in der Ölbranche, und daß er
zu groß, zu betrunken und zu stur war, als daß ich mit ihm hätte
fertig werden können, ohne ihm weh zu tun. Also mußte ich
schnell und leise handeln. Ich wedelte mit den Händen vor Jacks
trüben Augen hin und her, schnappte mir mit der linken Hand
seine Krawatte und schlug ihm geschickt mit dem rechten Handballen gegen die Stirn. Nicht so fest, daß er bewußtlos war. Nur
gerade so fest, daß sein whiskygetränktes Hirn hinten und vorn
gegen seine Schädelknochen schwappte. Wie betäubt rollten Jacks
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Augen nach oben. Ich fing ihn auf, bevor seine Nase auf den Tresen krachte, dann lehnte ich seine dickliche Wange sanft gegen
die gepolsterte Vorderseite.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich zu der jungen Frau und ging um
den Tresen herum, »könnten Sie bitte einen Moment auf die Bar
aufpassen? Ich bin gleich wieder da.«
Ich legte den Arm um den massigen Körper des halb ohnmächtigen alten Mannes, zog ihm den Zimmerschlüssel aus der Tasche
und lotste ihn zur Tür hinaus und den Flur hinunter zu seinem
üblichen Zimmer, wo ich ihn auf dem Bett ablud. Jack schnarchte
schon, bevor ich ihn auf die Seite gerollt und mit Kissen abgestützt hatte, damit er nicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. Ich lockerte seine Krawatte und seine Schnürsenkel und
ging dann schnell zurück zur Bar. Die junge Frau war noch dort.
»Tut mir leid, daß er Ärger gemacht hat«, sagte ich und ging
wieder hinter den Tresen. »Und danke, daß Sie auf die Bar aufgepaßt haben.«
»Ist nicht die erste, auf die ich aufgepaßt habe«, sagte sie. »Und
danke, aber ich würde nicht in fremde Kneipen gehen, wenn ich
nicht mit Besoffenen umgehen könnte.«
»Ich wollte nicht, daß Sie dem guten alten Jack was tun. Außerdem ist es mein Job, für Ruhe zu sorgen.«
»Sicher ein recht undankbarer Job«, sagte sie lächelnd. »Darf ich
Ihnen einen Drink ausgeben?«
Ach zum Teufel, Jimmy Stewart in Nackte Gewalt konnte ich mir
auch noch am nächsten Abend ansehen, und sie war eine wirklich
hübsche Frau. Volles dunkles Haar umschmeichelte in sanften Wellen ein warmherziges, gebräuntes Gesicht, das von Augen beherrscht
wurde, die so dunkelblau waren wie ein trügerisches Morgengrauen. Eine kleine, mondsichelförmige Narbe am Rand ihrer vollen Lippen und ein kleiner Knubbel auf dem Rücken ihrer gebogenen Nase
verhinderten, daß ihr Gesicht perfekt war. Aber perfekt wäre es sicher nicht so schön gewesen. Unter ihrem dunkelblauen Nadelstreifenanzug und ihrer dünnen, blauen Stehkragen-Bluse verbarg sich
ein langer, schlanker und ein wenig gefährlicher Körper. Sie trug
keinen Schmuck außer winzigen, goldenen Ohrreifen und einer langen Halskette mit Anhänger, einem runden, schwarzen Stein in einer unregelmäßig geformten Goldfassung. Der Stein ruhte schwer
zwischen ihren vollen, schönen Brüsten.
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»Was soll’s«, sagte ich, »der Laden gehört mir – warum also
nicht?«
»Und ich hätte gern auch noch einen«, sagte sie. »Ich gehe heute
nirgendwo mehr hin.« Dann lächelte sie, als würde sie sich über
das Vergnügen freuen, das mir die Gegenwart von soviel Liebenswürdigkeit bereitete.
Ich hatte seit dem Abend, an dem Betty die Bar verlassen hatte,
nicht mehr mit ihr gesprochen, was in diesen Tagen nichts Ungewöhnliches war. Zwar hatten wir so eine Art Dauerverabredung
zum gemeinsamen Frühstück auf ihrer Ranch an den Montagen,
wenn ihre arbeitsfreien Nächte begannen, aber verflucht wollte
ich sein, wenn ich als erster das Schweigen brach, also schenkte
ich der Dame und mir große Macallans auf Eis ein.
»Auf abwesende Freunde«, sagte ich, als ich mein Glas hob.
»Auf neue Freunde«, entgegnete sie lächelnd. »Molly McBride«,
fügte sie hinzu und reichte mir ihre Visitenkarte. »Rechtsanwältin.«
»Milo Milodragovitch«, sagte ich, warf einen Blick auf die Adresse in Houston, steckte die Karte in meine Hemdtasche und reichte
ihr eine von meinen. »Barkeeper«, stand darauf.
Dann gaben wir uns wie zivilisierte Menschen die Hand. Ihre
Hand lag sanft und etwas feucht in meiner, und ihre blauen Augen strahlten.
»Das war ein netter Klaps, mit dem Sie den Alten außer Gefecht
gesetzt haben, Mr. Milodragovitch,« sagte sie, ohne über meinen
Namen zu stolpern. »Aber den haben Sie nicht in einer Bar gelernt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Schauen Sie, mein Vater hat, nachdem er einen Unfall gehabt
hatte, eine Bar drüben in Lake Charles übernommen, und dort bin
ich aufgewachsen.« Ihre Worte hatten einen singenden Cajun-Tonfall angenommen. »Ich habe während des gesamten Grundstudiums und auch während meiner Zeit an der juristischen Fakultät
als Barkeeperin gearbeitet, von daher kenne ich mich aus mit Gewalt in Kneipen. Sie haben dem alten Mann eine geknallt, als würden Sie einen Diamanten schneiden. Ein bißchen härter, und Sie
hätten ihn vielleicht umgebracht. Ein bißchen sanfter, und er wäre
wie ein Wahnsinniger über Sie hergefallen.« Sie hob ihr Glas. Wir
nahmen beide einen ordentlichen Schluck. Ich liebte das warme
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Brennen des Whiskys. Molly McBride langte über den Tresen und
nahm die Zigaretten und die Streichhölzer aus meiner Brusttasche.
Ihre blutroten Fingernägel schienen an meiner Brust Funken zu
sprühen. »Sie sind ein Profi«, fügte sie hinzu und gab uns Feuer.
»Danke.« Meine glühenden Backen bauschten sich um ein spitzbübisches Grinsen. »Ich war eine Zeit lang bei der Polizei und bin
seit vielen Jahren Privatdetektiv, aber die Wahrheit ist, daß ich
das meiste, was ich über Gewalt weiß, in Kneipen gelernt habe.«
»Ich auch.« Sie lachte mich durch eine Rauchwolke hindurch
an, nahm einen Schluck Scotch und lächelte genußvoll.
»Nicht viele junge Frauen trinken Single Malt Whisky.«
»Das habe ich von meinem Daddy gelernt, Friede seiner Asche.
Er pflegte zu sagen: Die einzigen, die hellen Whisky trinken, sind
Schwuchteln oder Säufer, und die, die Bourbon trinken, sind weißer hühnerfickender Abschaum, Hochstapler und falsche konföderierte Gentlemen, und ...«
Aber bevor wir unser Gespräch fortsetzen konnten, spuckten
eine Reihe Mietwagen und der Motelbus eine Horde Vertreter aus,
die mit dem letzten Flug gekommen waren und nach der unvermeidlich harten Landung auf dem Flughafen von Austin immer
ein oder zwei Drinks brauchten. Ich ertappte mich dabei, daß ich
mir wünschte, sie würden wieder verschwinden, und daß ich hoffte, Molly McBride würde sich nicht wegen ihnen in ihr Zimmer
zurückziehen, aber sie blieb am Tresen sitzen, rauchte meine Zigaretten und nippte an ihrem Scotch, bis die nervösen Fluggäste
sich verzogen. Da ich die Bar sonntags normalerweise um zehn
Uhr schloß, bot ich ihr einen letzten Drink an.
»Ich habe in meinem Zimmer eine Flasche Single Lagavulin vom
Faß«, sagte sie und zeichnete ihre Rechnung ab. »Zwei-fünfzehn«,
fügte sie hinzu, »falls Sie Interesse haben.«
»Ich muß die Kasse abrechnen, das Geld wegschließen und die
Bestände auffüllen«, sagte ich entschuldigend, »und ich habe so
etwas wie eine feste Beziehung.«
»Wer hat das nicht?« Sie lächelte. »Lassen Sie die Tagschicht das
Auffüllen übernehmen. Ich muß erst um eins beim Gericht sein,
wir können also noch ein oder zwei Gläschen trinken. Ach und
übrigens, die Eismaschine im zweiten Stock ist kaputt.« Dann bewegte sie ihre langen, eleganten Beine auf den hohen Absätzen
Richtung Tür. Am Ausgang hielt sie inne, lächelte mich über die
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Schulter an und mit den Worten »Ich brauche etwa zehn Minuten
...« verschwand sie im Flur.
Ich beeilte mich mit der Kassenabrechnung, glich den künstlichen Fehlbetrag mit Schwarzgeld aus dem Küchensafe aus, schrieb
Mike Herrera eine kurze Entschuldigung, weil ich weder geputzt
noch die Vorräte aufgefüllt hatte, schloß den Alkohol weg, wusch
mir die Hände, schnupfte rasch zwei Linien von dem Kokain, das
ich dem Toten abgenommen hatte, klemmte mir einen Behälter
mit Eis unter den Arm und folgte Molly McBride schnell genug,
um noch den leichten Fliederduft wahrzunehmen, den sie hinterlassen hatte.
Während meiner fünf Ehen war ich nie sonderlich treu gewesen. Allerdings auch nie sonderlich untreu. Das Ganze war ein
theoretisches Problem und hatte mit der momentanen Situation
nichts zu tun. Und auch nicht mit der Tatsache, daß Ehe und Treue
erfunden worden waren, als man für Frauen noch mit Pferden,
Kühen und in manchen Gegenden auch mit Schafen bezahlen
konnte. Lüge und Betrug – das war es, worum es wirklich ging
und was auf ewig schmerzte.
Außerdem wollte diese Frau vielleicht wirklich nur einen Drink,
ein bißchen juristische Plauderei, vielleicht einen sanften, traurigen Gute-Nacht-Kuß, um die Einsamkeit ein wenig zu vertreiben.
Aber als ich die Faust hob, um an ihre Tür zu klopfen, zitterte ich
innerlich, als wäre ich wieder vierzehn und würde unten bei Sally’s
in Livingston Whisky trinken, während das dunkle, namenlose
Liebesungeheuer zwischen den stämmigen Beinen einer halbindianischen kanadischen Hure auf mich wartete, sobald ich diese lange, mit Teppich bedeckte Treppe hinaufgehen würde – eine Nacht,
für die mein toter Vater bereits gezahlt hatte, damit das Mädchen,
das übrigens nicht viel älter war als ich, für mich »Happy Birthday«
sang. Natürlich war ich, bis ich die Treppen hinaufstieg, vom
Whisky betrunken und außer mir vor Angst. Aber sie bekam das
alles in den Griff.
An meinem vierzehnten Geburtstag überreichte mir der Familienanwalt einen Umschlag, den mein Vater bei ihm hinterlegt hatte.
Darin befanden sich Fahrzeugbrief und Schlüssel für den Dodge
Power Wagon, der in der Dreifachgarage vor sich hin moderte, ein
Sparbuch und ein kurzer Brief: »Hallo, Sprößling. Falls ich nicht
mehr am Leben bin, wenn du vierzehn wirst, dann Herzlichen
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Glückwunsch. Bei Sally’s wartet eine bereits bezahlte Nacht auf
dich. Es ist schon schwierig genug, ein Teenager zu sein, da muß
man nicht auch noch Sex und Liebe miteinander verwechseln.
Beide sind herrlich, mein Sohn, aber es sind zwei verschiedene
Dinge.« Und dann stand da noch ein PS: »Sag deiner Mutter nichts
von dem Sparbuch. Über den Pick-up weiß sie Bescheid. Das mit
dem Testament tut mir leid.« Meine Mutter hatte meinen Vater
gezwungen, seinen Nachlaß in einem Treuhandfonds anzulegen,
an den ich erst mit dreiundfünfzig herankam.
Am Morgen danach, als ich über der Toilette hing und das Mädchen auf dem Bett kicherte und sagte: »Ich hoffe, das war nicht
dein erstes Mal, Kleiner«, kam mir zum erstenmal der Verdacht,
daß der Tod meines Vaters vielleicht nicht direkt ein Unfall gewesen war, aber erst zwanzig Jahre später fand ich heraus, daß er
sich umgebracht hatte.
»Herr im Himmel«, wisperte ich, als ich so vor Molly McBrides
Tür stand, »jetzt reiß dich zusammen, Alter.« Trotzdem klopfte
ich so zögerlich wie ein Teenager.
Molly McBride hatte die gläsernen Schiebetüren zum Balkon geöffnet, und der Raum glänzte im Licht des Mondes. Sie trug immer
noch ihren strengen Anzug, als wollten wir uns bei einem Drink
über ein juristisches Problem unterhalten, aber als ich ihr den Behälter mit dem Eis aus der Bar wie ein billiges Geschenk entgegenhielt, fiel mir auf, daß sie Bluse und BH ausgezogen hatte. Ich sah
es, weil sich ihre Jacke leicht öffnete, als sie die Hände in das Eis
tauchte, es über ihren Hals rieb und dann ohne ein Wort in ihre
Jacke griff und mit ihren kalten Händen das Gewicht ihrer Brüste
mit den dunklen Brustwarzen hielt. Mit ihren Stöckelschuhen war
sie auf Augenhöhe mit mir, und in dem hellen Mondlicht funkelten ihre Augen wie wahnsinnig. Ihr Lächeln wirkte eher grimmig
als verführerisch, und der schwarze Stein, der über ihrem Herzen
hing, glitzerte wie eine Klinge aus Obsidian.
»Ich bin froh, daß Sie gekommen sind«, schnurrte sie. »Ich hatte
schon Angst, Sie würden es sich anders überlegen.« Dann berührte sie meinen Hals mit ihren kalten Fingern. Das war einfach zu
viel für mich. Ich muß mich versteift und weggedreht haben.
»Es tut mir leid«, sagte ich und drückte ihr den Eisbehälter gegen die nackte Brust. »Vielleicht war es doch keine so gute Idee.
Vielleicht sollte ich lieber gehen.«
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Und vielleicht wäre ich sogar gegangen. Aber sie drückte mir
den Behälter wieder in die Hand, brach in Tränen aus, lief zu der
geschlossenen Badezimmertür, wo sie innehielt und mit einem
Gesicht zu mir zurückschaute, das von Kummer und Leid verzerrt
war, um dann die Tür schnell hinter sich zuzuschlagen. Und ich
stand da, halb im Zimmer, halb im Flur, mit dem verdammten
Eisbehälter in der Hand.
Nach dem ersten Drink beruhigte ich mich allmählich. Nach dem
zweiten war ich gegen alles gewappnet. Es war eben eine von diesen verrückten Nächten, in denen einfach alles passieren kann.
Der Westwind hatte den sternenübersäten Himmel gründlich geschrubbt, und die Mondsichel hob sich weißglühend und scharf
wie ein Schälmesser gegen das Dunkel der Nacht ab. Ich lehnte in
der sanften Brise am Geländer von Mollys Balkon und wartete.
Draußen auf einem kleinen Tisch hatte ich Gläser und Scotch entdeckt und mir eingeredet, daß ein bißchen Scotch die ganze Sache
auch nicht wesentlich verrückter machte. Trotz des Verkehrslärms,
der aus dem Tal heraufdrang, bildete ich mir ein, ich könnte den
Blue Creek hören, wie er unten über den Niedrigwasserübergang
rauschte, und sogar den lauten Schwall der artesischen Quelle,
deren Wasser am dunklen Eingang des Tals in den Creek mündete, dort, wo die Kalksteinhänge sich über das Tal wölben, die –
unglücklicherweise – wie Splitter von Billy Longs Schädelknochen
auf der Velourstapete glitzerten. Das waren mit Sicherheit die Drogen und so etwas wie der Irrsinn einer verspäteten Midlife Crisis –
hoffte ich jedenfalls – und nichts, was nun für immer meine Nächte begleiten würde.
Hinter mir hörte ich die Badezimmertür leise quietschen, gefolgt
von einem Schnüffeln und dem Klappern von Fußnägeln, und schon
kam ein tollpatschiger weißer Hund aus dem Badezimmer und über
den vom Mond beleuchteten Teppich gerannt. Molly erschien wenige Augenblicke später, barfuß, die Haare zurückgekämmt, das Makeup abgewaschen und mit einem viel zu großen Tulane-FootballPullover mit der Nummer 69 und Trainingshosen bekleidet. Der
Hund rollte sich in einer Ecke des Zimmers zusammen und fing fast
sofort an zu schnarchen. Molly schenkte sich einen Drink ein, dann
lehnte sie sich neben mir auf das Geländer.
»Ganz schön bescheuert, was?« sagte sie.
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»Ganz schön eindrucksvoll. Ich wäre beinahe ohnmächtig geworden.«
»Bitte seien Sie mir nicht böse.« Molly kicherte. »Es tut mir so
leid. Ich sollte eigentlich eine starke, erwachsene Anwältin sein,
und ich hätte Sie einfach direkt ansprechen sollen, anstatt mich in
die Bar zu hocken und Sie auszuspionieren und dann diesen blöden Annäherungsversuch zu machen. Ich komme mir vor wie eine
Idiotin.«
»Bitte nicht. Vergessen Sie nicht, daß ich der Dummkopf bin,
der beinahe darauf hereingefallen wäre. Und allmählich fühle ich
mich wie ein Idiot, weil ich nicht weiß, um was es hier verdammt
noch mal eigentlich geht.«
Sie schwieg einen Moment lang, um unsere Gläser aufzufüllen,
dann sagte sie ruhig: »Das letzte Mal, als ich hier in der Stadt war,
bin ich mit einem befreundeten Anwalt unten im Park auf dem
Weg am Creek entlanggejoggt. Wir kamen an Ihnen vorbei, und
da hat er mir ein paar üble Gerüchte über Sie erzählt ... über die
Schwierigkeiten, die es gab, als Sie und Ihr Partner vor ein paar
Jahren auf die Contrabandistas in Westtexas losgegangen sind.«
»Das gefällt mir gar nicht, was ich da höre. Wer zum Teufel hat
Ihnen das erzählt?« fragte ich ernst. Ein Banker und eine Frau, die
so habgierig wie schön war, hatten das Erbe meines Vaters gestohlen, bevor ich auch nur einen Pfennig davon hatte ausgeben können, und hatten es, zusammen mit Drogengeld, für den stümperhaften Versuch ausgeben wollen, einen Film zu drehen. Daraufhin
hatten mein Expartner und ich es mit Peteys Hilfe zurückgestohlen.
Allerdings nicht ohne erhebliches Blutvergießen und verletzte Polizisten-Egos. »Was hat er gesagt? Und wer zum Teufel war das?«
»Ich werde Ihnen den Namen nicht verraten«, sagte sie ruhig,
»aber er hat mir genügend über Sie erzählt, daß ich weiterermitteln
konnte.«
»Und?«
»Mr. Milodragovitch.« Sie drehte sich zur Seite und sah mich an.
»Ich mache überwiegend Strafrecht. Ich kenne Bullen, und ich kenne Gauner. Und die Dinge sprechen sich nun mal rum.«
»Was zum Teufel wollen Sie?« Inzwischen war ich müde und
wütend. Mehr noch als eine Antwort auf meine Frage wünschte
ich mir allerdings eine weitere Linie von dem unverschnittenen
Kokain.
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»Ich möchte, daß Sie sich hinsetzen und mir einen Moment zuhören«, sagte sie mit gesenktem Kopf. Dann hob sie ihr Gesicht
ins Mondlicht. »Das ist alles. Bitte hören Sie mir einfach zu.«
»Lassen Sie uns erst mal eines klären, okay? Sie wollen mich
nicht flachlegen, ist das richtig? Statt dessen kriege ich eine Gutenachtgeschichte? Klasse.« Aber ich setzte mich trotzdem.
»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, daß Sie sauer sind.« Sie setzte sich mir gegenüber und griff nach meinen Händen. »Bitte hören
Sie einfach nur zu.«
»Was habe ich denn schon zu verlieren? Außer Stolz, Würde
und meinen schlechten Ruf?«
»Vor vier Jahren«, begann sie und umklammerte fest meine Hände, »kam meiner kleinen Schwester der Hund abhanden, als sie
unten am Creek joggte ...«
»Verdammt, ich suche heutzutage nicht mehr nach entlaufenen
Hunden«, sagte ich, vielleicht eine Spur wütender, als ich mich
fühlte. Sie ließ meine Hände los, stand auf und stützte sich mit
dem Rücken zu mir auf die Brüstung.
»Ellie ist ein Straßenköter«, sagte sie in die Nacht hinaus, »ein
Nichts von einem Hund, aber Annette hat sie geliebt. Es war ein
schwieriges Jahr. Unser Vater war Anfang des Jahres gestorben,
und Annettes Freund hatte ... nun ja, weiße Jungen sollten nun
mal nicht Crack rauchen und in Oben-ohne-Bars rumhängen, und
ihr Lieblingsprofessor an der englischen Fakultät hatte sich umgebracht. Als Ellie verschwand, drehte Annette durch.
Sie heftete an so ziemlich jeden Baum einen Steckbrief, schaltete eine halbseitige Anzeige in der Zeitung und versuchte sogar,
sich von mir Geld zu leihen, um eine Plakatwand anzumieten ...«
Molly schwieg, als sei sie erschöpft, und seufzte voll Kummer,
den ich nicht verstehen wollte. Dann drehte sie sich um und sah
mich an.
»Schließlich rief der Mann an, der Ellie hatte«, fuhr sie zügig
fort, »und bot ihr an, ihr den Hund für einhundert Dollar zurückzuverkaufen ... Sie wollten sich an dem Aussichtspunkt über der
Quelle treffen, unten im Park. Das zumindest haben die Bullen
aus der Auswertung von Annettes Anrufbeantworter geschlossen.«
»Die Bullen?«
»Zwei Tage später wurde ihre Leiche unter einem Felsvorsprung
oberhalb der Quelle gefunden«, sagte Molly und nickte in Rich57
tung des schlafenden Hundes. »Ellie saß neben ihr. Vielleicht war
sie die ganze Zeit nur rumgestreunt. Der Drecksack hatte ... er
hatte Annette vergewaltigt und getötet ... er hatte sie mißhandelt,
vergewaltigt, getötet, und dann, oh Gott, dann hat dieser Dreckskerl ihr den Kopf abgeschnitten ... der Kopf wurde nie gefunden ...
wir mußten sie ohne den verdammten Kopf beerdigen ...« Molly
schwieg erneut, dann holte sie tief Luft und sprudelte den Rest
heraus. »Meine Mutter konnte das nicht verwinden. Sechs Wochen danach hat sie sich erhängt.«
»Mein Gott«, stammelte ich, »ich weiß gar nicht, was ich sagen
soll.« Meine Eltern hatten sich beide umgebracht, insofern hatte
ich durchaus eine Vorstellung von der Verwirrung und der Schuld,
die Selbstmord in einem auslösten.
Aber Molly bewegte sich bereits fort von mir, zurück ins Badezimmer, und ließ den Hund und mich in dem mitleidlosen Mondlicht zurück.
Als sie zurückkam, warf sie sich mir in die Arme. Nackt. Genau,
wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich hörte sie an meinem Hals flüstern: »Bitte, sag nichts.«
Letztlich weiß man nie sicher, was nur für den Augenblick existiert
und was für immer Realität bleibt. Vielleicht ist der flüchtige Augenblick das einzige, was wir je verstehen werden, die Frau, die
einladend unter dir liegt und hemmungslos lacht, oder die mit Tränen in den Augen, die wie heißes Wachs auf deine Brust fallen, auf
dir reitet. Molly war muskulös und willig und wunderbar, und es
gab Momente, in denen ich das Gefühl hatte, ich würde sterben,
und Momente, in denen ich wußte, ich würde ewig leben. Und,
schlimmer noch, einen Moment, wo ich mir einredete, daß ich das
Richtige tat, wenn ich dieser Frau irgendwie Trost und Hilfe war.
Hinterher stützten wir uns wieder auf das Geländer über den dunklen Furchen des Tals. In unseren Gläsern klingelte das Eis wie
winzige Glocken, der Mond stand wie hingegossen am Himmel,
aber der Wind hatte sich gedreht und kam nun aus Südost und
blies uns warm ins Gesicht, ohne unseren Schweiß zu trocknen.
»Ich habe nie zuvor an einem Ort gewohnt, wo man im November ins Schwitzen kommen kann«, sagte ich, »nur durch Rumstehen.«
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»Ich habe nie zuvor an einem Ort gewohnt, wo Pisse gefriert,
bevor sie am Boden auftrifft«, entgegnete sie.
»Vielleicht habe ich das nur erfunden«, gab ich zu.
»Das hatte ich mir fast gedacht.«
»Aber egal, wie kalt es ist, man kann immer noch mehr anziehen.« Ich schwieg einen Moment lang. »Aber ich habe noch keine
Möglichkeit entdeckt, genügend auszuziehen, wenn es hier unten
heiß ist.« Dann schwieg ich wieder, drehte mich zur Seite, um sie
anzuschauen, und berührte den schwarzen Stein auf ihrer Brust.
»Was ist das?«
»Das einzige, was mir meine Mutter hinterlassen hat«, sagte sie
leise. »Ein Mondhai.«
Ich sah mir den Stein genauer an. Jetzt, wo ich die Schnauzen,
Rückenflossen und Schwänze der goldenen Haie erkennen konnte, die den dunklen Teich des schwarzen Steins umrundeten, wirkte die Kette nicht mehr unregelmäßig. Undeutlich konnte ich in
der Mitte einen weiteren Hai ausmachen.
»Was zum Teufel willst du nun eigentlich von mir?«
»Glaub mir. Ich habe alles versucht. Niemand will mir helfen.
Nicht die Bullen, nicht der verzweifeltste und schäbigste Privatdetektiv. Verdammt, ich habe sogar versucht, eine Anzeige im Soldier
of Fortune aufzugeben, aber sie wollten sie nicht veröffentlichen.
Jetzt bist also du an der Reihe, Milo. Und, wie Mattie Ross sagt,
ich habe gehört, du hast echt Schneid.«
Oh Gott, dachte ich, während ich mich zu erinnern versuchte,
ob John Wayne in dem Film flachgelegt worden war, die geht aber
wirklich in die Vollen. »Das ist jetzt zwar nur geraten, aber ich
würde wetten, du möchtest eine Anzeige in die Zeitung setzen,
daß du auf der Suche nach einem im Blue Hole Park entlaufenen
Hund bist, stimmt’s? Und du hoffst, daß sich derselbe Dreckskerl
daraufhin melden wird?«
»Ich treffe ihn morgen früh um zehn Uhr, an demselben Aussichtspunkt, von dem er meine Schwester verschleppt hat ...«
»Wieso glaubst du, daß es derselbe Mann ist?«
»Ich habe es im ganzen Körper gespürt, als ich seine Stimme am
Telefon gehört habe. Ich wußte es einfach.«
»Das ist aber sehr kurzfristig.«
Sie griff in die Kommode und holte eine Glock 20 heraus.
»Weißt du was, die Frau, die hier in Texas keine Knarre dabei59
hat, die ist mir noch nicht über den Weg gelaufen«, sagte ich. »Das
Ding da hat keine Sicherung, keine Rückschlagminderung, aber
das FBI findet das alles in Ordnung.«
»Jedenfalls habe ich eine Lizenz bekommen.«
»Soweit ich das sehe, hat jeder eine Lizenz«, antwortete ich, wobei ich mich fragte, warum ich alle wirklich wichtigen Entscheidungen in meinem Leben immer dann treffen mußte, wenn ich leicht
besoffen und leicht bedröhnt war und nach Körperflüssigkeiten
stank. Aber vielleicht hatte ich dabei auch nicht nur die falschen
Entscheidungen getroffen, vielleicht waren die richtigen auch dabei
gewesen. Wie auch immer, ich konnte ihr einfach nicht widerstehen.
»Ich fahre einen schwarzen El Dorado. Sei um neun am Parkplatz. Ich muß mir die Gegend vorher anschauen.«
Sie legte mir die Arme um den Hals und sagte: »Wie kann ich
das jemals wiedergutmachen?«
»Sieh es einfach so, daß du mir schon gedankt hast, und ich
berechne dir dann den Familientarif für einen Tag als Leibwächter.«
»Familientarif?«
»Drei- statt fünfhundert.« Ich lächelte. »Im voraus und in bar.«
»Das Vögeln zählt nicht?«
»Nichts besiegelt einen Vertrag so gut wie Papiergeld. Es ändert
nicht seine Meinung und jammert am nächsten Morgen nicht über
fehlenden Respekt.«
»Da hast du recht«, sagte sie, wühlte in ihrer Tasche und reichte
mir mit einem nervösen Lachen das Geld. »Genau das sage ich
auch immer zu meinen Klienten«, fügte sie hinzu. »Zumindest denen, die schuldig sind.« Dann lachten wir beide, gaben uns die
Hand, und während ich hinausging, blieb sie in dem kalten Mondlicht stehen und lauschte auf das ferne Murmeln des Creeks.
Der Oberlauf des Blue Creek floß träge durch Bettys Ranch und
durchquerte dann eine weitere Ranch, bevor er sich durch das
Grundstück ihres anderen Onkels wand – Tom Ben Wallingford
besaß mehrere Landparzellen –, um dann als schmaler Strom vom
Balcones Escarpment hinabzustürzen und sich mit der großen artesischen Quelle am Grund des Tals zu vereinen, wo der Blue Creek
dann ein breiter, schöner Fluß wurde, dessen durchsichtiges Was60
ser über die Vorsprünge der Kalksteinfelsen glitt und nur gelegentlich innehielt, um Tümpel zu bilden, die ideal zum Schwimmen
waren. Travis Lee, der einen Job an der Universität und später
seine eigene Kanzlei hatte, hatte das meiste von seinem Anteil am
alten Familienbesitz dem Bezirk gestiftet, um daraus einen Park
zu machen, und sich damit eine große Steuerabschreibung gesichert. Behalten hatte er nur einen schmalen Streifen Land auf der
Nordseite des Creek. Die Landparzellen seines älteren Bruders bestanden überwiegend aus wertlosem Buschland, vor allem nachdem die Regierung die Mohair-Subventionen gestrichen hatte. So
hätte man das Land nur noch für die Hirschjagd verpachten können, doch davon wollte der alte Mann nichts wissen. Oder als Bauland ausweisen – Austin breitete sich vor allem nach Nordwesten
aus –, was dem alten Mann allerdings zutiefst zuwider war. Tom
Bens Parzellen waren fast gänzlich von exklusiven Baugebieten
eingeschlossen, aber der sture und kinderlose alte Cowboy schacherte mit der Gesellschaft zur Erhaltung des Blue Creek, in der
Betty Porterfield Präsidentin und vermutlich auch das finanzielle
Rückgrat war, darum, das Land einem Naturschutzamt zu unterstellen. Seine einzige Bedingung war, daß die weitere Nutzung als
Ranch vertraglich festgeschrieben wurde. Aber niemand konnte
ihm einen solchen Vertrag anbieten, und so sah es aus, als würde
Tom Ben Wallingford schachern, bis er starb. Er schien allerdings
davon auszugehen, daß er ewig leben würde.
Die Overlord Land and Cattle Company, eine hundertprozentige
Tochter der Overlord Minerals, Inc., besaß den größten Teil des
Lands rund um die Ranch – verdammt, fast alles in Gatlin County
gehörte ihr –, und der Generaldirektor, Hayden Lomax, behauptete,
der alte Mann habe ein Papier über das Vorkaufsrecht auf die Ranch
unterzeichnet, was Tom Ben Wallingford entschieden zurückwies.
Ein paar Jahre bevor ich in das Hill Country gezogen war, hatte die
ganze Sache langsam einem Gerichtstermin entgegengeköchelt.
Als Betty Porterfield mich gefragt hatte, ob ich in ihr Ranchhaus
ziehen wolle, hatte ich mir eingeredet, ich hätte meine MontanaVergangenheit begraben und würde den Rest meines Lebens im
Hill Country verbringen. Betty und ich hatten uns durch einen
angeschossenen Hund kennengelernt und uns bei Geschichten
über Verlust und Schießereien ineinander verliebt. Und ich liebte
Bettys Ranch, die im Herzland des Hill Country lag, und die ver61
krüppelten Tiere, die Betty aus der Tierklinik mitbrachte, in der
sie nachts arbeitete; ich liebte das helle Glänzen des Dielenbodens
und der selbstgebauten Zedernmöbel, den Holzherd und die zischenden Coleman-Lampen, das beruhigende Kratzen und Piepsen der Hühner im Staub des Hofs, das Gähnen der schlafenden
Katzen; ich liebte es, für Sheba, den dreibeinigen Labrador, den
Tennisball zu werfen, bis mir der Arm weh tat, und dem dahinstürmenden Wetter am weiten Himmel von Texas zuzuschauen,
während ich auf der Vorderveranda saß, sinnlos vor mich hinschnitzte und Zedernpfosten in Hobelspäne für den Herd verwandelte.
Bis es anfing, zwischen uns schief zu laufen, war ich Betty näher gewesen als jemals zuvor einer Frau. Betty hatte heilende Hände; ich hatte sie bei der Arbeit erlebt, hatte die unleugbare Hoffnung in den Augen der Tiere gesehen, wenn sie sie mit diesen
Händen berührte. Ein Blick, so nehme ich an, mit dem auch ich
sie angesehen habe, als sie mich das erstemal berührte. Also gab
ich mir wirklich alle Mühe. Zum ersten Mal in meinem Leben versuchte ich zu lernen, wie man seßhaft wird, erforschte ich jeden
Winkel und jede Ebene in Bettys Gesicht, jede Sommersprosse,
jede widerspenstige Strähne ihres roten Haars, die blasse Spur der
Narbe von einer Kugel, die sich über ihre rechte Wange zog, die
dunkle, bleifarbene Einkerbung am linken Unterkiefer, wo sie in
der dritten Klasse auf einen Bleistift gefallen war, und die man nur
gelegentlich sehen konnte, wenn sie wild und wie befreit lachte.
Und ich erforschte auch Texas, weil es Betty wichtig zu sein
schien, wichtig auf eine Art, die ich nicht verstand, aber auf jeden
Fall extrem wichtig. »Texaner sind stolze Menschen«, hatte mir
Travis Lee erklärt, »und Betty ist Texanerin.« Als ob damit alles
klar wäre. Also spazierte ich morgens, wenn sie schlief, mit Büchern über die Ranch. Zum Teufel, ich wußte mehr über die Flora
und Fauna auf ihrer Ranch, als ich über das Land meines Großvaters wußte, das ich endlich dem Benewah-Stamm hatte zurückgeben können, und das einer der wenigen Orte in Montana war, wo
ich mich jemals zu Hause gefühlt hatte. Nicht in der muffigen Villa, in der ich groß geworden war, und auch nicht in der Blockhütte, die die Ganoven von der Müllfirma abgebrannt hatten. Das
war nie mein Zuhause gewesen. Außer manchmal, wenn ich daheim auf der Veranda der Blockhütte saß und den ersten Schnee
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betrachtete, und mein großer schwarzer Kater, Eldridge Carver,
sich auf meinem Schoß zusammenrollte. Das hatte sich manchmal wie ein Zuhause angefühlt. Aber das war auch einfach gewesen. Mich auf Bettys Ranch zu Hause zu fühlen, erforderte Arbeit.
Monat für Monat wanderte ich bei jedem Wetter über Bettys
Ranch. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß ich sie besser kannte
als Betty selbst. Sie hatte sämtliche Weidezäune und Gatter rausgerissen, bis auf eine kleine Parzelle unterhalb des Hauses, wo sie
ein paar Reitpferde und manchmal auch ein oder zwei Jungtiere
hielt. Auf der Rückseite der Ranch hatte ich eine winzige Felsnase
aus Feuerstein entdeckt, nicht größer als ein Güterwagen, und am
Fuß, bedeckt mit Kalksteinstaub, einen Abfallhaufen aus Splittern
von Pfeilspitzen, vermutlich von Comanchen, denn es sah so aus,
als hätte ihnen zweihundert Jahre lang alles von dort bis nach
Süd-Colorado gehört. Und so erforschte ich auch die Indianer, die
jetzt nur noch Geister waren.
An anderen Nachmittagen sattelte ich eines von Bettys Pferden
und ritt gemächlich auf ein paar Stunden zu Tom Ben. Ich saß mit
ihm auf der Veranda, trank Eistee und sah zu, wie die Sonne die
Farben der Zedernlichtungen dämpfte, wenn sie über dem Hill
Country unterging, während er trockenen Mais schälte und ihn
Korn für Korn an die kleine Herde spanischer Ziegen verfütterte,
die er sich für seine gelegentlichen Grillfeste hielt.
Während des Koreakriegs war Tom Ben ein achtundzwanzigjähriger Reservekapitän der Marine gewesen, den man zum aktiven Dienst einberufen hatte, und ich ein sechzehnjähriger einfacher Armeesoldat, der sich mit falschen Papieren den Eintritt in
den Wehrdienst erschlichen hatte. An jenen seltenen Nachmittagen kamen wir manchmal auf diese Zeit zu sprechen, allerdings
ohne allzuviel darüber zu reden. Über den zweiten Weltkrieg sprach
er dagegen nie, außer daß er manchmal die Frage aufwarf, was
wohl passiert wäre, wenn wir in Japan hätten einmarschieren
müssen. Und wenn es um Korea ging, jammerte Tom Ben überwiegend über die Kälte und meckerte über seine Füße. Er hatte nie
geheiratet und empfand für seine Nichte so viel Zuneigung, als
wäre sie seine Tochter, und in diese Zuneigung schloß er auch
mich mit ein. Bei ihm fühlte ich mich auf eine Art zu Hause, wie
es mir bei Betty nie so ganz gelang, dennoch besuchte ich ihn viel
zu selten.
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Auf Bettys Ranch las ich all die Bücher, die ich immer schon
hatte lesen wollen, und schaute mir stundenlang Filme auf dem
batteriebetriebenen, tragbaren Fernseher mit eingebautem Videoplayer an, den in der ehemaligen Räucherkammer aufzubauen
Betty mir erlaubt hatte. Sie wollte keine Filme mit mir anschauen,
aber manchmal kam sie vorbei, stützte sich kurz auf meine Schultern und sog den alten Geruch nach Rauch und Salz ein. Dann
überließ sie mich der Gegenwart und wandte sich wieder ihren
englischen Romanen aus dem neunzehnten Jahrhundert zu, nach
denen sie süchtig war.
Ich hatte auch zum erstenmal im Leben lange einsame Phasen, in
denen ich mir Gedanken über mich selbst machen konnte. Ich versuchte, alles miteinander in Einklang zu bringen, vom Selbstmord
meines liebeskranken Vaters bis hin zu der fatalen Lüge meiner
Mutter, die mich aus irgendeinem Grund gezwungen hatte, drei
Monate schlammiger koreanischer Hölle durchzustehen, bis mich
ein gebrochenes Schlüsselbein gerade noch rechtzeitig in die Staaten zurück beförderte, um von ihrem Selbstmord im Alkoholrausch
zu hören, den sie während einer Entziehungskur in einer Rehaklinik
für Fettleibige begangen hatte. Ich ließ mir alles durch den Kopf
gehen, die schiefgelaufenen Ehen, die Säuferjahre und die langweiligen trockenen Jahre – und das alles ergab nur dann einen Sinn,
wenn ich in den Armen dieser traurigen, rothaarigen Frau lag.
Aber es gelang mir einfach nicht, sie glücklich zu machen. Egal,
wie sehr ich mich auch bemühte. Verdammt, ich wußte es doch
eigentlich besser. Ein Mann kann eine glückliche Frau traurig machen, aber letztendlich nie eine traurige Frau glücklich. Schließlich begann ich, mich mit ihrer Traurigkeit zu befassen, bis sie zu
einer Last wurde, die keiner von uns beiden tragen konnte.
Und traurige Wahrheit war auch, daß es mir einfach nicht gelang, Texas so kennen zu lernen, daß es sich wie ein Zuhause
angefühlt hätte. Für mich blieb es ein fremdes Land, eine unerforschte Dimension, viel zu groß, um es als Einheit zu verstehen,
ein Land, das von einer halb mystischen Geschichte und einem
halb hysterischen Stolz zusammengehalten wurde. Je weiter sich
die Städte ausdehnten, desto hartnäckiger beharrte es darauf, ländlich zu sein. Die Politik schien ein grausamer Streich zu sein, den
die Reichen den Armen spielten. Wenn ich Kopien der Briefe las,
die die ersten Siedler in die alte Heimat geschickt hatten, sprangen
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mir die Lügen von den Seiten entgegen wie Plakatwände, die für
die Hölle warben: keine Hitze, keine Moskitos, freies Land. Wie
überall sonst, wo ich gewesen war, drehte sich alles nur ums Geld.
Nicht mehr und nicht weniger. Und sogar mit Geld war ich immer
noch ein Außenseiter, der sich mehr bei Huren, kleinen Drogendealern, Musikern und Saufbrüdern zu Hause fühlte. Und ich war
zu alt, um mich noch zu ändern. Es war, als würde ich jeden Monat tausend Dollar für eine Mischung aus Universität, Therapie
und schwere Frustration hinblättern. Aber ich versuchte es wieder
und wieder, bis ich von den vielen Versuchen erschöpft war, und
sie nur noch schmerzten wie ein entzündeter Zahn.
Seltsamerweise war es ihr Onkel, durch den mir mein Unbehagen zum erstenmal bewußt wurde. Eines milden Herbstmorgens
fuhr Travis Lee zum Ranchhaus herauf, als ich gerade auf der Vorderveranda im Schaukelstuhl saß und Betty im Haus war und
schlief. Die Sonne schien mir warm ins Gesicht, auf meinem Schoß
lag ein Roman, den ich nicht las, und vor mir auf dem Boden lag
ein Stock, an dem ich nicht herumschnitzte.
»Was liegt an, Cowboy?« wollte Travis Lee wissen, nachdem er
das Fenster auf der Beifahrerseite des riesigen Pick-up heruntergekurbelt hatte. »Was zum Teufel liest du da gerade nicht?«
»Etwas, was ich schon immer mal lesen wollte. Anna Karenina.«
»Geht übel aus, wie ich gehört habe«, sagte Travis Lee und stieß
die Beifahrertür auf. »Komm, wir fahren runter zum Creek und
trinken ein Bier.«
Er steuerte den Wagen schweigend die Weide hinunter zu dem
winzigen Creek und der Quelle, in der ich immer einen Kasten
Coors-Dosen stehen hatte, die zwischen Flußkrebsen und Minzeblättern schön kühl blieben, und wir tranken schweigend ein Bier,
bevor er den Mund aufmachte.
»Macht’s dir was aus, wenn ich in deinen Creek pisse?« fragte er
und knöpfte seine Jeans auf. Außer bei Gericht trug Travis Lee nur
Levis-Jeans, Cowboystiefel, Westernhemden und teure Lederwesten,
einen breitkrempigen Stetson und dazu eine riesige goldene Gürtelschnalle, die mit etwas verziert war, das wie ein Schlangenkopf mit
rubinroten Augen aussah.
»Ist nicht mein Creek«, antwortete ich.
»Meiner auch nicht mehr«, gab er zurück. Ich hob eine Augenbraue. »Der Blue Creek macht hier nicht viel her«, sagte der alte
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Mann, nahm mit seinen großen Händen den Hut ab und zerwühlte die dichte Mähne weißen Haars, die kaum noch zerwühlter hätte sein können, »und da drüben, wo er in das Flüßchen mündet,
das durch die Ranch meines Bruders fließt, macht er auch nicht
viel her, aber wenn er dann zum Blue Hole hinunterstürzt, ist er
der perfekte Hill-Country-Creek.« Ich hatte nicht den Eindruck, daß
er dazu irgend etwas von mir hören wollte, jedenfalls jetzt noch
nicht, also schwieg ich und zog zwei weitere Dosen aus dem kalten Quellwasser. »Aber ich nehme an, du weißt das. Betty sagt,
daß du so was wie ein Texas-Experte geworden bist.«
»Selbstverteidigung«, räumte ich ein.
»He, ich bin in Montana gewesen. Ihr da oben redet doch auch
dauernd darüber, wie stolz ihr auf euer Land seid.«
»Schon, aber bei uns gibt es wenigstens nicht so viele, die auf
der Tanzfläche rumspringen.«
»Ich hatte schon immer den Verdacht, daß der Mensch etwas
verschroben wird, wenn er zu oft einsam ist.«
»Ich sehe eben gern die Sonne untergehen, ohne daß mir allzu
viel Menschen im Weg stehen. Hier draußen ist es schön, aber
Austin ist einfach nur eine Stadt wie alle anderen auch – die gleichen Gesichter, ein anderer Hintergrund – und mal abgesehen vom
Essen und von der Musik könnte die Stadt überall sein. Außerdem
bin ich schon verschroben auf die Welt gekommen.«
»Das glaube ich dir sofort, mein Junge«, sagte der große alte
Mann und lachte, daß es in dem kleinen Tal widerhallte.
»Ein alter Freund von mir, der hier unten aufgewachsen ist, hat
immer gesagt, Montana wäre eine ideale Gegend, wenn es weniger Februar, mehr gegrilltes Fleisch und anständiges mexikanisches
Essen gäbe.«
»Zum Teufel, mein Junge, der Tag ist viel zu schön, um Nabelschau zu betreiben. Du siehst so abgestanden aus wie ein Bierfurz
vom Vortag. Komm, wir fahren in die Stadt, feiern ein bißchen
und kippen den einen oder anderen Whisky.«
»Feiern?«
»Wieder ein Tag weniger mit dieser aalglatten sozialistischen
Arschgeige im Weißen Haus. Das macht mich immer glücklich.«
»Ich denke, du warst mal Demokrat?«
»War ist hier das entscheidende Wort. Wo stehst du in diesem
ganzen politischen Sumpf?«
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»Ich nehme an, ich bin gegen alles.«
»Ein Zyniker also.«
»Ich halte mich eher für einen Realisten.«
»Ist ja auch egal. Komm, wir gehen einen trinken.«
Aus Gründen, die mir nicht ganz klar waren – er hatte sich als
Rechtsanwalt auf Grundstücksgeschäfte spezialisiert, und das bedeutete Bauunternehmer, was sich meiner Ansicht nach auf Hundescheiße reimte –, willigte ich ein, schrieb Betty eine Notiz und
kletterte dann in Travis Lees lächerlichen Vierradantrieb-Ford Pickup von der Größe eines Gruppentaxis, das ideale Fuhrwerk für
jeden Rechtsanwalt, der sich gern auf schlammigen Feldern bewegt und Heuballen aufs Korn nimmt.
Wir starteten unsere Tour mit einem teuren Scotch in Travis Lees
Kanzlei, umgeben von seiner Sammlung von Artefakten aus dem
Angriffskrieg der Nordstaaten: Säbel, Musketen und Namenslisten
einzelner Kompanien, dazu Dutzende von Originalfotos.
»Entschuldige den ganzen Museums-Krempel«, sagte Travis Lee.
»Ganz schön beeindruckend.«
Travis Lee knallte seine handgefertigten Stiefel auf den Schreibtisch, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte: »Ich habe
meinen Krieg größtenteils verpaßt, denke ich – ich hatte mir im
letzten Moment den Knöchel gebrochen –, deshalb habe ich wahrscheinlich diesen hier adoptiert. Aber du warst in Korea, stimmt’s?«
Irgend etwas an Wallingfords Frage bereitete mir Unbehagen.
Als ob Korea wie ein Besuch im Vergnügungspark gewesen wäre.
Aber er war Bettys Onkel, also antwortete ich höflich und ehrlich:
»Ich war sechzehn und dumm, und meine Mutter wollte mich aus
dem Haus haben, nachdem mein Vater gestorben war.«
»Klingt eher, als wollte sie dich umbringen«, sagte Wallingford
mit dieser seltsam derben Offenheit, mit der die Texaner manchmal redeten, und die mir manchmal auch gefiel.
»Wer weiß? Laut meinem Vater war mein Urgroßvater, als er
1864 in der Battle of the Wilderness kämpfte, sogar noch jünger.
Vierzehn. Er wurde über neunzig Jahre alt und war bis zum Schluß
geistig fit. Mit siebzig war er noch Polizist in Meriwether County.
Bis kurz vor seinem neunzigsten Geburtstag hat er hinter dem Tresen gearbeitet.«
»Was hat er über die Schlacht erzählt?«
»Laut meinem Vater hat er behauptet, es sei auch nicht viel
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schlimmer gewesen als die Arbeit als Kind in den Minen von
Pennsylvania. Aber doch immerhin so schlimm, daß er sich, nachdem er verletzt worden war, unter einem Haufen Gestrüpp und
Knochen versteckt und sich tot gestellt hat, bis er sich eine Krücke
schnitzen und zu seiner Einheit hinter die Front zurückhumpeln
konnte.«
Ich verschwieg, daß er die Verletzung davongetragen hatte, als
einer der Rebellen, jünger als er selbst, ihn entdeckt hatte, weil er
über den Knochenhaufen gestolpert war, in dem mein Urgroßvater sich versteckt hatte. Es war mehr ein Unfall, daß der Junge ihm
sein Bajonett in die Wade stieß, während mein Urgroßvater ihm
das Bajonett in die Kehle rammte. Mein Urgroßvater brannte die
Wunde mit einem glühendheißen Ladestock aus, schnitzte sich
eine Krücke und humpelte nach Westen anstatt zurück zu seiner
Einheit. Zum Teufel, das war schließlich nicht sein Krieg – sein
Vater hatte ihn anstelle eines älteren Bruders, den er vorzog, zur
Armee geschickt –, also machte er sich in Richtung der untergehenden Sonne auf, weg vom Krieg. Er sprach nur wenig Englisch
und hatte auch sonst kaum etwas gelernt, aber er konnte Kohlenflöze mit der Spitzhacke zertrümmern und hatte eine gewisse angeborene Bereitschaft, eine Feuerwaffe ohne Zögern zu benutzen,
und alles, was er sich wünschte, war mehr Sonnenlicht und weniger Vorgesetzte, die ihn anschrien. Also humpelte er über die Great
Plains, wischte unterwegs Kneipenböden, fütterte Schweine, schaufelte Pferdescheiße und Heu und verbesserte kontinuierlich sein
Englisch. Als er in Montana ankam, war der Goldrausch fast und
der Krieg schon lange vorbei, und so wurde der erste Milodragovitch
in Montana Polizist und, wie es damals so üblich war, Kneipenbesitzer und Puffvater.
»Huren sind keine schlechten Menschen«, sagte Travis Lee, nachdem ich zu Ende erzählt hatte. »Komm, laß uns ein Gläschen mit
ihnen trinken, mit den professionellen und mit den politischen.«
Also machten wir uns auf den Weg und tranken mit seinen alten
Politkumpeln, alle verschroben wie sonst noch was, mit ehemaligen Kommilitonen von der juristischen Fakultät, außerdem mit
Bullen, Barkeepern und ehemaligen Huren. Danach fuhren wir auf
ein spätes Mittagessen zu einer winzigen Grillhütte oberhalb des
Blue Creek, dem einzigen Betrieb auf dem schmalen Gelände der
alten Familienranch, das Travis Lee nördlich des Creek noch be68
saß. Dort spielten wir Domino, tranken Shiner Bier und aßen geräucherte Rinderbrust, die so zart war wie ein frisches Brötchen.
»Milo«, sagte er in seinem überzeugendsten Tonfall und schob
seinen großen, struppigen Kopf über den Tisch, »du bist zu jung,
um schon wie ein Rentner zu leben. Du kaust an deinem Arsch
rum wie ein räudiger Hund, wenn du da draußen auf der Ranch
sitzt und nichts tust. Du brauchst irgendeine Arbeit.« Dann lehnte
er sich noch weiter über den Tisch und flüsterte: »Ich habe gehört,
du verstehst was von Kneipen ...«
»Das kannst du laut sagen.«
»... und daß du einen Haufen Geld hat, das auf den Cayman Inseln vor sich hin schimmelt. Ich kann von Freunden ein bißchen
Geld zusammenkratzen, deins und meins zusammenschmeißen und
es dann durch eine Offshore-Anleihe schleusen, und schon haben
wir eine saubere und ganz legale Goldmine.«
Und so wurde ich sein Partner im Blue Hollow Lodge. Jedenfalls
sobald ich mich vergewissert hatte, daß ‚sauber und ganz legal’ wirklich funktionierte. Aber ich bestand darauf, alleiniger Besitzer der
Bar zu werden, was Travis Lee ohne großes Getue akzeptierte. Betty war zunächst dagegen, vor allem wollte sie nicht, daß ich ihrem
Onkel einen Teil des Startkapitals vorstreckte, und überhaupt war
sie fest davon überzeugt, daß ich nur nach einer Entschuldigung
gesucht hatte, um aus dem Haus zu kommen. Dann änderte sie
plötzlich ihre Meinung, ohne zu sagen, warum. Ich besaß mehr
Geld, als ich sogar in zwei Leben hätte ausgeben können, selbst
wenn ich so alt wie mein Urgroßvater werden sollte, und es klang
auch wirklich nach einer guten Möglichkeit, ab und zu aus dem
Haus zu kommen. Oder vielleicht hatte ich es einfach satt – wie ich
einmal im Streit zu Betty gesagt hatte –, nur ihr Liebhaber zu sein.
Natürlich holte ich mir einige Zeit später, weil mich die Arbeit in
der Bar bald langweilte, eine Privatdetektivlizenz für Texas, und
sechs Wochen danach zog ich aus Bettys Ranchhaus aus ...
... und in eine große, anonyme Motelsuite im Erdgeschoß ein,
die sich, abgesehen von dem Schlagsack und den Gewichten, überall hätte befinden können. Wahrscheinlich hätte sie eher ein trauriger Ort sein sollen, aber jetzt, wo ich gerade aus Molly McBrides
Bett kam und vor mir ein Tag lag, an dem vielleicht wirklich einmal etwas passieren würde, das die tägliche Routine durchbrach,
schien sie gar nicht so schlecht zu sein.
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Ich rief Betty in der Klinik an, um ihr zu sagen, daß ich nicht
zum Frühstück zur Ranch hinausfahren würde. Als sie mich fragte, warum, antwortete ich, fast schon ehrlich: »Ich habe einen
Klienten.«
»Kreuzteufel, Milo, hast du Drogen genommen? Oder bist du total besoffen?«
»Weder noch, jedenfalls nicht erwähnenswert.«
»Ach verdammt, ich weiß es nicht«, sagte sie seufzend, und ich
sah vor meinem inneren Auge, wie sie mit dem Unterarm die Haare aus dem Gesicht strich, »vor lauter Bar und deinen verdammten
Klienten scheinen wir uns so gut wie gar nicht mehr zu sehen ...«
»Lady«, unterbrach ich sie, »vor lauter Arbeit in der Klinik und
deinem Engagement zur Rettung des Blue Creek sehen wir uns
überhaupt nicht mehr.«
Also legte sie einfach den Hörer auf. Auch das passierte nicht zum
erstenmal. Ich hatte miterlebt, wie Montana trotz seiner schrecklichen Winter von Gier, Bergarbeitern, Bauunternehmern und holzverarbeitenden Unternehmen zerstört worden war. Mein Gott, Hayden
Lomax’ Unternehmen besaß sogar eine lecke, ausgelaugte CyanidMine im Osten Montanas, die der Staat seit Jahren vergeblich stillzulegen versuchte. Ebenso wie ein noch unerschlossenes, oberflächennahes Erdgasfeld am Fuß der Crazies – von daher konnte ich Bettys
Hoffnung, den Blue Creek zu retten, nicht teilen.
Kurz nachdem ich meine Lizenz als Privatdetektiv bekommen
hatte, fragte mich Betty eines Morgens, als wir auf der Vorderveranda saßen, warum ich nicht Nachforschungen über Hayden
Lomax und sein Unternehmen anstellen wolle, das ihrem Onkel
die Ranch stehlen, die Gegend um den südlichen Arm des Blue
Creek mit dem Bau von Country Clubs verschandeln und den Fluß
mit Phosphaten, Drainage-Abwässern und Golfbällen verseuchen
wolle.
»Niemand kann mir soviel Geld zahlen, daß ich gegen richtig
großes Geld ermittle«, gab ich zu. »Da könntest du mich genausogut bitten, gegen die Mafia zu ermitteln.«
»Ich weiß nicht, ob es an der Bar oder an deinem sogenannten
Job liegt, aber ich hasse es, wenn du dich wie ein zynisches Arschloch aufführst. Verlaß sofort mein Grundstück.«
»Schön zu wissen, daß unter all den Leuten wenigstens du noch
Grundstücksrechte hast.«
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»Du hast diesen Monat noch nicht deine Miete gezahlt.«
An dem Tag schrieb ich ihr einen Scheck über die übliche Summe aus, tausend Dollar, packte das Nötigste zusammen und verdrückte mich. Wir sprachen einen Monat lang nicht miteinander,
und es dauerte sechs Wochen, bis ich wieder bei ihr einzog.
Und wer weiß, wie lange das Schweigen diesmal andauern wird,
wenn ich ihr von Molly McBride erzähle, dachte ich, als das Telefon klingelte. Beinahe hätte ich es klingeln lassen, aber dann ging
ich doch dran.
»Milo«, sagte Betty sanft, »wir müssen uns zusammensetzen und
reden, bevor alles endgültig den Bach runtergeht. Kannst du nicht
doch morgen mit mir frühstücken? Und das, was immer du tun
wolltest, wenigstens so lange aufschieben? Bitte.«
»Verdammt noch mal«, knurrte ich in ihre Bitte hinein, »wenn
du einen Hund mit einer Schußwunde auf dem Tisch hättest, und
ich bräuchte jemanden, der mir mein schmerzendes Herz wieder
zusammenflickt, dann würde ich auch nicht verlangen, daß du
deine Arbeit stehen- und liegenläßt. Also verlange es auch nicht
von mir.«
Dann hängte ich auf, duschte lang und heiß und verschlief wie
ein Baby den Rest dessen, was von dieser verrückten Nacht noch
übrig war.
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