Staatenverantwortlichkeit
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572 AUFSÄTZE Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts Elisabeth Henn Heft 8/2011 JURA Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts durch private Militär- und Sicherheitsfirmen Von Elisabeth Henn, stud. iur., Universität Freiburg i. Br. A. Einführung I. Problemaufriss Obgleich sich Staaten schon seit Jahrhunderten spezialisierter privater Fachkräfte für ihre Kriegsführung bedienen, ist seit dem Ende des Kalten Krieges eine exponentielle Zunahme der Beteiligung von privaten Sicherheits- und Militärfirmen (PMSF) in internationalen wie innerstaatlichen bewaffneten Konflikten zu verzeichnen1. Bisweilen wird an dieser Entwicklung kritisiert, dass diese Akteure in einer rechtlichen Grauzone agieren2, fehle es doch im humanitären Völkerrecht an Normen, welche die Rechte und Pflichten dieser Beteiligten regeln. Deutlich wurde die vermeintliche Unsicherheit anlässlich der Vorfälle im irakischen Faludscha im März 2004, wo es zur brutalen Tötung vier Angestellter der Sicherheitsfirma Blackwater (heute Xe Services) kam, sowie anlässlich des Beschusses von Zivilisten durch Blackwater Mitarbeiter zum Schutze eines Konvois im September 2007 in Bagdad, und nicht zuletzt bei dem Bekanntwerden des Aufbaus eines Kinderprostitutionsrings im Rahmen der Friedenssicherungsbemühungen in Bosnien und Kroatien durch Mitarbeiter der Firma DynCorp, welche von den USA zur Unterstützung beauftragt worden war3. Auch erregten die brutalen Misshandlungen der Insassen von Abu Ghraib sowie die geplanten Aktivitäten der deutschen PMSF Asgaard zur Unterstützung des selbsternannten somalischen Präsidenten Darman im Mai 2010 die Öffentlichkeit. Aufgrund dieser rezenten Entwicklungen wird Untersuchungsgegenstand vorliegend die Frage der Verantwortlichkeit bzw. Haftung von Staaten bei »Outsourcing« ihrer militärischen Tätigkeiten für zweifelhaftes Verhalten der kontrahierten PMSF und ihrer Angestellten sein. Es wird die Rechtslage im internationalen Konflikt im Geltungsrahmen des ius in bellum, nicht hingegen des ius ad bellum4 problematisiert. Dabei soll der Fokus auf dem materiellen Anspruch auf Schadensersatz liegen. Es soll geklärt werden, inwieweit auf völkerrechtlicher Ebene der kontrahierende5 Staat der PMSF Schadensersatzforderungen bei Verletzung humanitären Völkerrechts (HVR) durch die Angestellten der kontrahierten PMSF gegen sich gelten lassen muss (B.). Es wird deutlich, dass im Rahmen der Staatenverantwortlichkeit eine Erweiterung des de lege lata bestehenden Zurechnungsbegriff notwendig ist, wenn man der nach derzeitiger Rechtslage ermöglichten willkürlichen »Haftungsflucht« Einhalt gebieten möchte. Soweit eine Zurechnung bejaht werden kann, ist derzeit auf völkerrechtlicher Ebene trotz der sich abzeichnenden Tendenz der partiellen Rechtssubjektivität lediglich der Staat des verletzen Individuums, der geschädigte Mensch selbst (noch) nicht eindeutig anspruchsberechtigt. Obgleich sich aufgrund des häufigen Ausbleibens diplomatischen Schutzes seitens des Heimatstaates der Verletzten die Frage nach einem möglichen Schadensersatzanspruch des Individuums auf nationaler Ebene aufdrängt, kann in diesem Rahmen hierauf nicht eingegangen werden. Auch wenn lediglich ein geringer Teil (wohl 20%)6 der durch PMSF abgeschlossenen Verträge mit Staaten geschlossen werden7, und selbst in diesen Fällen die Zurechnung rechtswidrigen Verhaltens häufig ausgeschlossen sein kann, wird in der vorliegenden Arbeit die Haftungsmöglichkeit der PMSF selbst nicht problematisiert. Denn auf völkerrechtlicher Ebene fehlt es den PMSF (wie multinationalen Konzernen) derzeit noch einer gesicherte Rechtssubjektivität8. Auf nationalrechtlicher Ebene müsste entweder im Sitzstaat der PMSF oder im Deliktstaat der ordentliche Rechtsweg beschritten werden9. Auch hier bestehen bedeutsame Rechtsschutzlücken. Dies bestätigt der bisherige Verlauf des Prozesses Saleh et al v. Titan et al10, welchen manche der Abu Ghraib Häftlinge auf Grundlage des Alien Tort Claim Act vor den US 1 Franklin, South African and international attempts to regulate mercenaries and 2 3 4 5 6 7 8 9 10 private military companies, in: Transnational law & contemporary problems, 17 (2008), 1, S. 239 (239). Bryden, Approaching the Privatisation of Security from a Security Governance Perspective in: Bryden/Caparini (Hrsg.), Private Actors and Security Governance, S. 3(10), Berlin 2006; Charney, Prosecuting the Lawless: Human Rights Abuses and Private Military Firms, in: George Washington Law Review, 74 (2006) S. 317 (319). Vgl. Carney, (Fn. 2), S. 326. Dazu aber Schaller, Private Militärfirmen, Friedenssicherung und Konfliktmanagement – Berührungspunkte mit dem Völkerrecht, in: Feichtinger, Walter (Hrsg. u. a.), Private Sicherheitsund Militärfirmen, Wien 2008, S. 91 (93 ff). Für die Haftungsmöglichkeiten des Sitzstaates und des Loci-Delcti-Staates siehe Krieger, Der privatisierte Krieg: Private Militärunternehmen im bewaffneten Konflikt, in: ArV, 44 (2006), S. 159 (174 ff.); Gillard, Quand l’entreprise s’en va-t-en guerre : les sociétés militaires et sociétés de sécurité privées et le droit international humanitaire, in: Revue internationale de la Croix rouge, 88 (2006), S. 173 (198 ff.). Gillard, (Fn. 5), S. 181. Cottier, Attribution de mandats aux entreprises de sécurité et militaires privées et régulation de leurs activités : éléments à considérer, in: Revue internationale de la Croix rouge, 88 (2006), S. 225 (226). Dazu Clapham, Human Rights Obligations of Non-State Actors, Oxford 2006; Clapham, Extending international criminal law beyond the individual to corporations and armed opposition groups, in: Journal of international criminal justice, 6(2008), 5, S. 899 ff.; Liberti, La responsabilité des entreprises en droit international: chimère ou réalité, in: International Law FORUM du droit international 7 (2005), 235–242; Lord, The liability of non-state actors for torture in violation of international humanitarian law – an assessment of the jurisprudence of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, in: Melbourne journal of international law, 4 (2003) 1, S. 112–138; Maffai, Accountability for private military and security company employees that engage in sex trafficking and related abuses while under contract with the United States Overseas, in: Wisconsin international law journal, 26(2009), S. 1095–1139; Mongelard, Corporate civil liability for violations of international humanitarian law, in: Revue internationale de la Croix rouge, 88 (2006), S. 665–691; Nowrot, Normative Normenstruktur und private Wirkungsmacht, Konsequenzen der Beteiligung transnationaler Unternehmen an den Rechtssetzungsprozessen im internationalen Wirtschaftssystem, Berlin 2006, S. 523 ff.; Fleck, Humanitarian Protection against Non-State Actors, in: Frowein/Scharioth/ Winkelmann/Wolfrum, Verhandeln für den Frieden/Negotiating for Peace – Liber Amicorum Tono Eitel, Berlin 2003, 69 ff. Dazu Seibert-Fohr, Die Deliktshaftung von Unternehmen für die Beteiligung an im Ausland begangenen Völkerrechtsverletzungen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 63 (2003), 195–204; Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How Can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 66 (2006), 625 ff. Die Anwendbarkeit des ATCA ablehnend: United States Court of Appeals for the district of Columbia, Entscheidung vom 11. 9. 2009, No. 08–7008, Haidar Muhsin Saleh et al. v. Titan Corporation; siehe jedoch auch Dissenting view of DOI: 10.1515/JURA.2011.111 JURA Heft 8/2011 Elisabeth Henn Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts AUFSÄTZE Gerichten gegen die PMSF angestrengt haben11. Auf dieser Ebene besteht daher eindeutig Rechtsentwicklungsbedarf. II. Begriffsbestimmung PMS In Ermangelung einer offiziellen Definition von Unternehmen der modernen Sicherheitsindustrie, bzw. gesicherten Kriterien des Begriffes, genügt es den für die vorliegende Analyse interessierenden Untersuchungsrahmen der Aktivitäten der durch Staaten oder Private eingesetzten privaten Unternehmen abzustecken. Private Unternehmen betätigen sich einerseits im Personen- und Objektschutz (sog. Sicherheitsunternehmen), andererseits bieten sie höchst spezialisierte militärische Dienste an (sog. Private Militärfirmen)12. Letztere übernehmen dabei typischerweise traditionelle Aufgaben der Armee, wie die Ausbildung nationaler Sicherheitskräfte, die strategische Planung von kriegerischen Operationen, geheimdienstliche Tätigkeiten, das Erstellen von militärischen Analysen, Tätigkeiten in Kriegsgefängnissen13 wie Abu Ghraib im Irak sowie Waffenunterhalt vor Ort14. Auch wenn dies von Fall zu Fall entschieden werden muss, ist eine planmäßige direkte Kampfteilnahme an Feindseligkeiten durch Anwerben der Kontrahenten regelmäßig nicht von den Verträgen mit den Kontrahenten erfasst15, dem entsprechend bieten nur sehr wenige Unternehmen eine direkte Kampfteilnahme an16. Im Gegensatz zu der jahrhundertealten losen Organisationsform von Söldnern17, sind private Sicherheits- und Militärfirmen (PMSF) darüber hinaus in ihren Sitzstaaten offiziell registriert und bilden geschlossene Organisationsstrukturen aus zumeist ehemaligen Angehörigen nationaler oder internationaler militärischer Einheiten18. Der Einsatz von PMSF durch Staaten im bewaffneten Konflikt stieg mit dem Ende des Kalten Krieges an, da viele Staaten wegen geringeren Bedarfs an militärischem Personal vermehrt dazu übergingen, aus Kosteneffizienzgründen die nationalen militärischen Einheiten zu reduzieren, um für andere Tätigkeiten als die Teilnahme an Feindseligkeiten auf spezialisierte Private zurückzugreifen19. Auch wenn der Einsatz Privater durch staatliche Konfliktparteien im Geringsten ein neues Phänomen darstellt, unterscheidet sich die aktuelle Entwicklung von früheren Erscheinungsformen dadurch, dass sie mit einer in staatspolitischer Hinsicht gefährlichen Erosion des staatlichen Gewaltmonopols20und in demokratischer21und rechtsstaatlicher Hinsicht mit einem Legitimations- sowie Verantwortungsund damit Haftungsvakuum einhergehen kann22. B. Schadensersatzansprüche gegen den staatlichen Kontrahenten Nach dem im Entwurf der International Law Commission on State Responsibility von 2001 (im Folgenden ILC-Entwurf) kodifizierten gewohnheitsrechtlichen Prinzip der Staatenverantwortlichkeit haftet ein Staat gegenüber den verletzen Staaten bzw. gegenüber der Staatengemeinschaft als Ganze für jedes Verhalten, d. h. Tun oder Unterlassen, welches gegen eine ihm obliegende völkerrechtliche Pflicht verstößt, wenn und soweit die Verletzung ihm zugerechnet werden kann23. Er muss gem. Art. 34 ff. ILC-Entwurf den aus der Pflichtverletzung entstandenen Schaden durch Naturalrestitution, Schadensersatz in Geld oder Genugtuung kompensieren. Es handelt sich hierbei also um Sekundärregeln, welche die Rechtsfolgen einer Verletzung von Primärregeln normieren. Dieses zwar nicht ratifizierte, doch in vielen Gesichtspunkten Gewohnheitsrecht kodifizierende Regelwerk24 kann als Grundlage für Schadens- ersatzansprüche gegen einen Staat bei Verletzung humanitären Völkerrechts dienen. Voraussetzung ist zunächst die Verletzung einer humanitär völkerrechtlichen Pflicht (1.) durch die PMSF bzw. ihre Angestellten und die Zurechenbarkeit der Pflichtverletzung zum Staat als Kontrahent dieses Unternehmens (2.). Beispielsfälle sollen die folgenden Erläuterungen verständlicher gestalten. Grundfall: In Staat B herrscht ein bewaffneter Konflikt an dem Staat A beteiligt ist. Staat A erlässt ein Gesetz, wonach die zuständigen Stellen ermächtigt werden, das Verhör von Kriegsgefangenen in von A geführten Gefängnissen in B auf Private zu übertragen. Firma X erhält den Zuschlag. Bei der Durchführung kommt es zunächst zur einmaligen, später zur systematischen Anwendung von Foltermethoden seitens der Angestellten von X, wovon A Kenntnis hat. Haftet A? Abwandlung 1: Wie wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn X vertraglich beauftragt wurde? Abwandlung 2: Nach dem Verhör vieler Insassen empfinden zwei Angestellte von X am Abend innere Leere und Langeweile. Deswegen begeben sie sich auf eine kleine Tour durch die Zellen der Insassen. Dabei treffen sie auf eine Insassin, die am Tag während des Verhörs nicht kooperativ war. Um sich zu rächen und der Langeweile entgegenzuwirken, schleppen sie diese in ihr Büro, um sie dort zum Beischlaf mit ihnen zu zwingen. Später ist die betroffene Insassin gefügiger, so dass diese Maßnahme daraufhin auch an anderen geübt wird. Ein anderer Angestellter zwingt an einem Abend bei einem Gang durch das naheliegende Viertel eine ihre Ziegen heimtreibende Einheimische zu Ähnlichem in den verbleibenden Mauern eines zerstörten Hauses. Haftet A? I. Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht: Im Rahmen des HVR gelten unter anderen Verträgen und Konventionen die vier Genfer Abkommen von 1949 (GA-IV), die dazu gehörigen Zusatzprotokolle (ZP I-II), sowie die Haager Konventionen von 1907, soweit diese von den jeweiligen Staaten ratifiziert wurden25. In den soeben skizzierten Fällen wer- 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 Judge Garland; Ryngaert, Litigating Abuses Committed by Private Military Companies, in: The European Journal of International Law, 19 (2008), 1035 ff. Bina, Private military contractor liability and accountability after Abu Ghraib, in: John Marshall Law Review, 38 (2005), S. 1237 ff.; Forcese, Deterring militarized commerce: The prospect of liability for »privatized« human rights abuses, in: Ottawa Law Review, 31 (1999/2000), S. 171 ff. Epiney/Egbuna-Joss, Zur völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit dem Verhalten privater Sicherheitsfirmen, in: Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht, 17(2007), 2, S. 215 (218). Cottier, (Fn. 7), S. 226; Epiney/Egbuna-Joss, (Fn. 12), S. 218. Für eine detailliertere Einteilung siehe Cameron, Private military companies: their status under international humanitarian law and its impact on their regulation, International Revue of the Red Cross, Cross, 88 (2006), S. 573 (576). Dies ist im Zuge des Missbrauchs im Rahmen der Dekolonisation Afrikas für die Vertragsstaaten der UN-Söldnerkonvention verboten worden. Boldt, Outsorcing War-Private Military Companies and Internatioanl Humanitarian Law, in: German Yearbook of international Law, 47 (2004), 502 (511), Fn. 69. Finke, Private Sicherheitsunternehmen im bewaffneten Konflikt, in: Beiträge zum Europa-und Völkerrecht, 2 (2009), S 1 (6). Epiney/Egbuna-Joss, (Fn. 12), S. 222. Cottier, (Fn. 7), S. 226. Wulf, Reconstructing the Public Monopoly of Legitimate Force, in: Bryden/ Caparini, (Hrsg.), Private Actors and security governance, Berlin 2005, 87 (93 ff). Finke, (Fn. 17) S. 5, m. w. N. Krieger, (Fn. 5), S. 159. Draft Articles on the Responsibility of States for internationally wrongful acts with commentaries, UN 2008, am 13. 6. 2010 online verfügbar unter http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf, S. 32 (5); Art. 1, 2 ILC-Entwurf. Herdegen, Völkerrecht, § 58, Rdn. 1. Für eine vollständige Darstellung aller geltenden Verträge siehe Haupt/Wagner/u. a., Documents on international humanitarian Law, St. Augustin 2006. 573 574 AUFSÄTZE Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts Elisabeth Henn den durch die Angestellten der PMSF Art. 75 ZP I in Verbindung mit der UN-Antifolterkonvention, Art. 14 GA III (bzgl. der Insassin) sowie Art. 3 GA I-IV (bzgl. der Einheimischen) verletzt. II. Zurechenbarkeit/Verantwortlichkeit: Eine Verletzung einer einen Staat bindenden völkerrechtlichen Pflicht gilt dann als eine Handlung dieses Staates, wenn sie von einem seiner Staatsorgane begangen worden ist oder ihm das Verhalten Dritter gem. den Vorschriften des ILC-Entwurfes zugerechnet werden kann. Für die Zurechnung eines Verhaltens kommen die Zurechnungstatbestände nach den Art. 4, 5, 7 und 8 des ILC-Entwurfs in Betracht. b. Ermächtigung nach innerstaatlichem Recht: Fraglich ist, wie die zweite Voraussetzung des Art. 5, die Form der Ermächtigung zur Ausübung der hoheitlichen Befugnis nach innerstaatlichem Recht, beschaffen sein muss. Ein privatrechtlicher Vertrag würde offensichtlich dem Erfordernis staatlichen Rechts nicht genügen39. Man könnte an eine der aus dem Verwaltungsrecht bekannten Beliehenenkonstruktion denken40. Nach dem maßgeblichen Kommentar von Crawford ist eine Betrauung durch jedes Gesetz, das staatliche Stellen in einem bestimmten Regelungsbereich ermächtigt hoheitliche Befug- 26 Artikel 4 lautet: Conduct of organs of a State (1.) The conduct of any State 1. Art. 4 ILC-Entwurf26: Nach Art. 4 soll jedes Verhalten eines Staatsorgans als eine Handlung des Staates selbst gewertet werden. Der Begriff des Staatsorgans unterliegt einem weiten Verständnis27, so dass auch Streitkräfte erfasst werden. Ob eine PMSF in die Streitkräfte integriert wurde, richtet sich gem. Art. 4 Abs. 2 ILC-Entwurf nach innerstaatlichem Recht. Dies bestätigen die Normen des HVR: Gemäß Art. 43 Abs. 1 ZP I fällt jeder, d. h. auch eine PMSF, unter die umfassende Streitkräftedefinition, wer unter der verantwortlichen Führung einer Konfliktpartei steht und einem internen Disziplinarsystem unterstehen28. Die dafür erforderliche de iure Eingliederung29 der PMSF in die regulären Streitkräfte muss nach innerstaatlichem Recht durch formalen Hoheitsakt erfolgen30. Dies wird aus Art. 4 A (1) GA III und der Souveränität der Staaten gefolgert. Damit ist es dem Staat freigestellt, ob er die PMSF, sei es langfristig oder ad hoc, in die militärische Struktur integriert31. Eine solche Eingliederung erfolgt allerdings in den wenigsten Fällen des Einsatzes privater Militärfirmen32.33 Damit sind die meisten PMSF kein Staatsorgan, so dass eine Zurechnung ihres Verhaltens nach Art. 4 ILC-Entwurf regelmäßig ausscheidet. Dies gilt auch für die im Beispielsfall skizzierten Handlungen der Angestellten der Firma X. 27 28 29 30 31 32 33 2. Art. 5 ILC-Entwurf34: Gem. Art. 5 kann das Verhalten privater Personen oder Stellen einem Staat dann zugerechnet werden, wenn sie nach innerstaatlichem Recht ermächtigt worden sind hoheitlicher Befugnisse wahrzunehmen und das Verhalten in eben dieser Eigenschaft erfolgt. a. Hoheitliche Befugnis: Wie der Begriff der hoheitlichen Befugnis verstanden wird, hängt dabei von der Tradition und der historisch geprägten Organisation des im Einzelfall kontrahierenden Staates ab35. In diesem Sinne ordnet Crawford beispielsweise die Bewachung und das Verhören von Gefangenen zweifelsfrei als hoheitliche Aufgabe ein36. Man könnte aber auch annehmen, dass jede Tätigkeit, die grundsätzlich auch von einem Privaten wahrgenommen werden kann, unter diesen Begriff fällt, solange und soweit es sich um eine offizielle Betrauung handelt. Erforderlich wäre lediglich, dass die Person für und an Stelle des Staates aktiv wird37. Nach dieser Ansicht würde sogar die Teerung einer Straße oder das Errichten irgendeines Gebäudes darunter fallen38. Diese unterschiedlichen Begriffsauffassungen werden allerdings in der Praxis auf die hier interessierenden Verletzungen humanitären Völkerrechts wegen des grundsätzlichen Gewaltmonopols des Staates im Rahmen des »Outsourcing« gemeinhin typisch hoheitlich militärischer Tätigkeiten kaum Auswirkungen haben. Heft 8/2011 JURA 34 35 36 37 38 39 40 organ shall be considered an act of that State under international law, whether the organ exercises legislative, executive, judicial or any other functions, whatever position it holds in the organization of the State, and whatever its character as an organ of the central Government or of a territorial unit of the State. (2.) An organ includes any person or entity which has that status in accordance with the internal law of the State. Crawford, The International Law Commission’s articles on state responsibility: introduction, text and commentaries, 1. Auflage, Cambridge 2002, Art. 4, Rdn. 6. Schaller, Operieren privater Sicherheits- und Militärfirmen in einer humanitärvölkerrechtlichen Grauzone?, in: Humanitäres Völkerrecht, 19 (2008), 51(52). Dazu ausführlich Ipsen, Combatants and Non-Combatants, in: Fleck, The Handbook of International Humanitarian Law, Oxford 1995, S. 70 ff; Boldt, (Fn. 16), S. 523. Buß, Der Kombattantenstatus: die kriegsrechtliche Entstehung eines Rechtsbegriffs und seine Ausgestaltung in Verträgen des 19. und 20. Jahrhunderts, 1994, S. 200 ff.; Schmitt, War, International Law, and Sovereignty: Reevaluating the Rules of the Game in A New Century – Humanitarina Law and direct Participationin Hostilities by private contractors or civilian employees, in: Chicago Journal of International Law, 5 (2005) 511 (526 ff.); Cameron, (Fn. 14), S. 583. Schaller, (Fn. 28), S. 52. Spinedi, Private contractors: responsabilité internationale des entreprises ou attribution à l’Etat de la conduite des personnes privées?, in: International Law FORUM du droit international 7 (2005), S. 273 (274); Cameron, (Fn. 14), S. 583. Eine mit der Nichtintegration in die Streitkräfte einhergehende Folge ist, dass die PMSF und ihre Angestellten den Status des Kombattanten im bewaffneten Konflikt nicht inne haben können. Aufgrund des zwingend zweigliedrigen Zuordnungssystems im HVR sind sie folglich nach der Zweifelsreglung gemäß Art. 50 II ZP I Zivilisten (auch wenn sie teilweise Söldner sein mögen, dazu u. a. Cameron, Private military companies: their status under international humanitarian law and its impact on their regulation, International Revue of the Red Cross, Cross, Vol. 88 Number 863 September 2006, S. 573–598; Schmitt, War, International Law, and Sovereignty: Reevaluating the Rules of the Game in A New Century – Humanitarina Law and direct Participationin Hostilities by private contractors or civilian employees, in: Chicago Journal of International Law, 5 (2005) 511–546.). Auch sei hier am Rande bemerkt, dass angesichts des prozentualen Anteils der von PMSF mit Staaten abgeschlossenen Verträge (lediglich 20%) im Vergleich zu den Verträgen der PMSF insgesamt, schon ein beachtlicher Anteil der besagten in bewaffneten Konflikten tätigen Firmen von dem Kombattantenstatus zweifelsfrei ausgeschlossen ist, (Gillard, (Fn. 5), S. 180), da die Einordnung einer PMSF als Kombattant zuvorderst voraussetzt, dass der Vertragspartner ein Staat oder aber eine sonstige, als Völkerrechtssubjekt anerkannte Konfliktpartei ist (Ipsen, in: Fleck, Handbuch des Humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, Rn. 304; Gillard, (Fn. 5), S. 180). Art. 5 ILC-Entwurf lautet: The conduct of a person or entity which is not an organ of the State under article 4 but which is empowered by the law of that State to exercise elements of the governmental authority shall be considered an act of the State under international law, provided the person or entity is acting in that capacity in the particular instance. Crawford, (Fn. 27), Art. 5 Rdn. 6. Crawford, (Fn. 27), Art. 5 Rdn. 2. Epiney/Egbuna-Joss, (Fn. 12), S. 223; Crawford, (Fn. 27), Art. 5 Rdn. 2. A. A. Spinedi, Private contractors: responsabilité internationale des entreprises ou attribution à l’Etat de la conduite des personnes privées?, in: International Law FORUM du droit international (2005), S. 273 (277). Gillard, (Fn. 5), S. 205. So auch Boldt, (Fn. 16), S. 525. JURA Heft 8/2011 Elisabeth Henn Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts AUFSÄTZE nisse vertraglich an Dritte zu übertragen, erforderlich41. An der Konkretisierung des Ermächtigungsmerkmals wird kritisiert, dass die genauen Beschaffenheitsvoraussetzungen dieses innerstaatlichen Gesetzes unklar bleiben42. Andererseits würde man bei der Forderung nach konkreteren Voraussetzungen an dieses innerstaatliche Gesetz die Zurechnungsmöglichkeit nach Art. 5 unnötig reduzieren, da ein Staat anstatt sich an den Beschaffenheitsvoraussetzungen zu orientieren, diese ebenso gut vermeiden könnte. Ob beispielsweise in der Praxis der Vereinigten Staaten oder Großbritaniens eine solche Ermächtigung im Rahmen des Auslagerns militärischer Tätigkeiten auf PMSF erfolgt, bleibt indes fraglich. c. Handlung in hoheitlicher Eigenschaft: Als letzte Voraussetzung wird gefordert, dass die Handlung in Eigenschaft einer hoheitlichen Person vorgenommen wird. Es muss mithin hoheitliches von privatem Verhalten abgegrenzt werden, das lediglich bei Gelegenheit im Rahmen der Erledigung der hoheitlichen Aufgabe vorgenommen wird43. Zum Beispielsfall: Soweit im Grundfall die Angestellten bei der Anwendung von Folter nicht weisungswidrig gehandelt haben, müsste sich Staat A aufgrund innerstaatlicher Ermächtigung die Verhörmethoden gem. Art. 5 zurechnen lassen. In Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigung scheidet eine Zurechnung der Handlungen der Angestellten in der ersten und zweiten Abwandlung aus. 3. Zurechung gem. Art. 7 ILC-Entwurf44: Bei Kompetenz- oder Weisungsüberschreitung ist die Zurechnung des Verhaltens zum Staat gem. Art. 5 ausgeschlossen. Allerdings ermöglicht Art. 7 unter sonst gleichen Voraussetzungen eine Haftungserweiterung des Staates für ultra vires Handlungen. Rechtswidriges Verhalten, von dessen Vorliegen in den meisten Fällen einer Verletzung humanitären Völkerrechts ausgegangen werden muss, kann dennoch lediglich dann zugerechnet werden, wenn ein Rechtsschein hoheitlichen Handelns erweckt worden ist45. Ein Indiz dafür sei (ähnlich wie bei den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht im deutschen Zivilrecht), nach dem ILC-Kommentar von Crawford, systematisches oder wiederholtes Auftreten, von welchem der Staat Kenntnis hatte oder sorgfaltsgemäß hätte haben muss und demgemäß Schritte hätte unternehmen müssen, um eine Wiederholung zu verhindern46. Indes ist die von der herrschenden Meinung vollzogene Konkretisierung des Rechtscheinerfordernisses an Hand des oben genannten Indizes problematisch. Die staatliche Kenntnis von dem im konkreten Fall streitigen, systematischen und wiederholten Verhalten wird in den seltensten Fällen nachzuweisen sein. Darüber hinaus statuiert Art. 7 damit im Grunde genommen eine Haftung für das Unterlassen von Sorgfaltspflichten des Staates, welches ohnehin schon von Art. 4 erfasst wird oder über die Grundsätze der Handlungspflicht zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt (»due diligence«)47 dem Staat direkt zugerechnet werden kann. Die eigenständige Funktion des Art. 7 läuft damit praktisch leer. Schlussendlich hat das Rechtsscheinindiz des wiederholten Tätigwerdens zur Folge, dass der erstmalige Verstoß stets nicht zugerechnet werden könnte. Dem Missbrauchsrisiko, welches mit gerade der Übertragung von Aufgaben auf PMSF einhergeht, wird damit nach derzeitiger Rechtslage nicht ausreichend Rechnung getragen48. Deswegen sollte das Rechtsscheinerfordernis weiter gefasst werden. Ein möglicher Ansatz wäre lediglich adäquate Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und der Amtsübertragung zu fordern. Schließlich ist es erst die Beauftragung bzw. Ermächtigung der PMFS, welche die Möglich- keit eines Rechtsverstoßes durch die Angestellten vor Ort eröffnet. Zum Beispielsfall: Nach derzeitiger Interpretation des Art. 7 könnte, obgleich die Folter weisungswidrig erfolgte, die ersten Folterhandlungen im Grundfall in Ermangelung wiederholter Vornahme nicht Staat A zugerechnet werden. Allerdings müsste Staat A, soweit er Kenntnis von dem darauf folgenden Vorgehen hat, aufgrund der systematischen Verwendung der Foltermethoden von weiteren Vertragsschlüssen absehen, um für die weiteren Vorfälle keinen Rechtschein zu setzen. Mit der Aufrechterhaltung der Rechtsbeziehungen zu X gibt er, soweit Kenntnis zu bejahen ist, jedoch konkludent sein Einverständnis. Daher würde das wiederholte Verhalten von X dem Staat A zugerechnet werden können. Dies gilt freilich nicht, wenn keine innerstaatliche Ermächtigung erfolgte (Abwandlung 1 und 2). 4. Zurechnung nach Art. 8 ILC-Entwurf, de facto Organe49: Möglicherweise ließe sich eine Zurechnung des Verhaltens der PMSF über Art. 8 bejahen. Danach wird das Verhalten einer Person oder Personengruppe dem Staat zugerechnet, wenn diese bei der Vornahme der Handlung (»en adoptant ce comportement«) faktisch im Auftrag tätig wird (1. Alternative) oder wenn sie unter Leitung oder Kontrolle des Staates handelt (2. Alternative). a. Erste Alternative: Ein privatrechtlicher Vertrag ist mehr als ein faktischer Auftrag, so dass dieser erst recht erfasst ist. Allerdings kann gem. dem ILC-Kommentar das Verhalten der Vorschrift nur dann zugerechnet werden, wenn die Person »dabei« im Auftrag tätig wird, d. h. das Verhalten unmittelbar in Erfüllung des konkreten Auftrags erfolgt50. Dass würde freilich bedeuten, dass die Staaten es durch eine genaue Formulierung im Vertragswerk in der Hand hätten, für welches Verhalten sie haften wollen und im Umkehrschluss für welche Handlungen sie durch die Nichtaufnahme in die Vereinbarung der Zurechnung entgehen können. Diese Möglichkeit hätte er bei Erfüllung seiner Aufgaben durch eigene Staatsorgane nicht. Rechtswidriges Verhalten einer PMSF würde dem Staat demnach nur dann zugerechnet, wenn es in der Weise auch im Vertrag vorgesehen war. Dies ist im Rahmen von militärischen Tätigkeiten höchst bedenklich. Epiney argumentiert in diesem Zusammenhang richtigerweise für eine entsprechende Anwendung der ultra vires Haftung nach Art. 7 in den Fällen, wo zwar das Verhalten den Auftrag überschreitet, sich aber im gesetzten Rahmen bewegt51. Dies entspräche der ratio der Vorschrift: Wenn ein Staat sich Privater bedient, obliegt es ihm, die geeigneten Vorkehrungen zu treffen, damit diese ihr Mandat nicht 41 Crawford, (Fn. 27), Art. 5. Rdn. 7. 42 Gillard, (Fn. 5), S. 205. 43 Crawford, (Fn. 27), Art. 7. Rdn. 7. 44 Art. 7 lautet: The conduct of an organ of a State or of a person or entity 45 46 47 48 49 50 51 empowered to exercise elements of the governmental authority shall be considered an act of the State under international law if the organ, person or entity acts in that capacity, even if it exceeds its authority or contravenes instructions. Crawford, (Fn. 27), Art. 7 Rdn. 8. Crawford, (Fn. 27), Art. 7 Rdn. 8. Epiney/Egbuna-Joss, (Fn. 12), S. 229 ff. Für eine großzügige Zurechnung auch privaten Verhaltens, Sassòli, State responsibility for violations of international humanitarian law, in: IRRC June 2002, Vol. 84 No. 846, p. 401. Art. 8 lautet: The conduct of a person or group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under the direction or control of, that State in carrying out the conduct. Crawford, (Fn. 27), Art. 8, Rdn. 8. Epiney/Egbuna-Joss, (Fn. 12), S. 227; So auch Spinedi, (Fn. 32), S. 278; Griebel, Die Zurechnungskategorie der de facto-Organe im Recht der Staatenverantwortlichkeit, S. 213 f; a. A. Crawford, (Fn. 27), Art. 7, Rdn. 9. 575 576 AUFSÄTZE Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts Elisabeth Henn überschreiten. Darüber hinaus würde eine Erweiterung des für die ultra vires Haftung nach Crawford erforderlichen Rechtsscheins auf die oben vorgeschlagene Kausalitätsbeziehung zwischen der übertragenen Aufgabe und der Pflichtverletzung einer rechtstaatlichen Risikoverteilung entsprechen. Gleichwohl geht auch diese weite Interpretation gegen die Auslegung des maßgeblichen ILC-Kommentars52. Zum Beispielsfall: Abwandlung: nach herrschender Auffassung müsste sich Staat A die Foltermaßnahmen nur zurechnen lassen, wenn und soweit dies in dem zwischen ihm und X geschlossenen Vertrag enthalten war. Durch einen klaren ablehnenden Wortlaut im Vertragswerk oder eine positive, aber vage Auftragsumschreibung könnte A eine Haftung vermeiden. Abwandlung: bzgl. der nächtlichen Vorkommisse innerhalb des Gefängnisses eine Haftung nach der Auffassung von Crawford nicht zu bejahen, da diese nicht in Erfüllung des Verhörs erfolgten. Indes würde man bei einem weiten Verständnis des für die die ultra vires Haftung erforderlichen Rechtsscheins im Sinne einer Kausalitätsbeziehung eine Zurechnung zu Staat A bejahen können. Die Übergriffe an der Ziegenhirtin hingegen entbehren jeglichen Zusammenhang zu der Aktivität des Angestellten im Gefängnis. Hier eine Zurechnung zu bejahen ginge wohl - auch angesichts der inzwischen etablierten strafrechtlichen Haftung des Individuums auf völkerrechtlicher Ebene – zu weit. b. Zweite Alternative: Für die zweite Alternative bedarf es eines Mindestmaß an effektiver53 Kontrolle oder Leitung seitens des Staates. Daran wird es im Verhältnis Staat zu PMSF meistens fehlen, wenn die Eingliederung in die Streitmächte und damit in die Kommandostruktur unterblieben ist54. Ausnahmsweise dürfte eine Kontrolle im Sinne eines »effective control« dann zu bejahen sein, wenn Staatsorgane und Angestellte einer PMSF in unmittelbarer Nähe einer Aufgabe arbeitsteilig nachkommen, aber wohl auch nur dann, wenn und soweit die Ersten die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Zweiten hat. Dies wird man für die Verhöre im Gefängnis in B im Beispielsfall bejahen können. 5. Zwischenfazit: Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass nach herrschender Auffassung das Verhalten von PMSFs grundsätzlich dem kontrahierenden Staat zugerechnet und so als ein Verhalten des Staates angesehen werden kann. Indes wird dies in den meisten Konstellationen in der Praxis nicht der Fall sein, da letztendlich das »Ob« der Zurechnung im freien Ermessen des Staates, sei es durch die Ermächtigung nach innerstaatlichen Recht – welche zumeist nicht erfolgt – oder durch die Formulierung des Vertragswerkes, liegt. Der Beispielsfall und die Abwandlungen haben dies demonstriert. Dabei liegt das Problem im Rahmen der Art. 5,7 am engen Verständnis des Indizes für das Vorliegen eines Rechtsscheins hoheitlichen Handelns im Rahmen der ultra vires Handlungen. Zur Überwindung von Haftungslücken bietet sich daher an, das Vorliegen einer adäquaten Kausalitätsbeziehung zwischen der Pflichtverletzung und der übertragenen Aufgabe als Indiz für den Rechtschein hoheitlichen Handelns genügen zu lassen. Diese Interpretation der Rechtsscheinsetzung ermöglicht im Rahmen eines Haftungsprozesses eine handhabbare und angemessene ex-post Betrachtung des Sachverhaltes. Dies jedoch stets unter der Prämisse, dass der Staat die PMSF nach innerstaatlichem Recht ermächtigt hat. Im Rahmen der de-facto Organhaftung nach Art. 8 eröffnet das geltende Verständnis der Tatbestandsvoraussetzungen dem kontrahierenden Staat die Möglichkeit durch konkrete Regelung im Vertrag eine Haftung für Rechtsverletzungen von vornherein auszuschließen. Hier bietet sich einerseits eine Haftungserweiterung auf ultra vires Handlungen an, andererseits wäre es angebracht auch hier das Verständnis für Heft 8/2011 JURA den Rechtschein hoheitlichen Handelns zu erweitern, um der Realität heutiger Kriegsführung zu entsprechen und gleichzeitig der Durchsetzung, mithin Effektivität des HVR zu dienen. III. Rechtsfolge: Kann trotz aller nach herrschender Meinung bestehender Einschränkungen eine Zurechnung des Verhaltens der PMSF nach Art. 4, 5, 7, oder 8 ILC-Entwurf bejaht werden, besteht nach Art. 31, 34 des ILC-Entwurfs die Pflicht zu Reparationen, welche in der Form der Naturalrestitution, des Schadensersatzes in Geld oder subsidiär in der Form der Genugtuung erfolgen kann. Fraglich ist aber, wer Anspruchsberechtigter wäre. IV. Anspruchsinhaber im Völkerrecht? 1. Staat als Anspruchsinhaber Traditionell gilt das im ILC-Entwurf zum Ausdruck kommende Gewohnheitsrecht zwischen Staaten, d. h. zwischen dem »Wrongdoer« Staat A und dem verletzten Staat B55. Das heißt, dass Staat B als Anspruchsberechtigter, wenn und soweit die verletzende Handlung der PMSF dem Staat A zugerechnet werden kann, für seine verletzten Staatsangehörigen soweit er willens ist und keine allgemeinen Abgeltungsvereinbarungen getroffen wurden56, im Rahmen des diplomatischen Schutzes Schadensersatzansprüche gem. Art. 34 ff. des ILC-Entwurfes gegen den kontrahierenden Staat A gelten machen könnte, wenn ein bestehender innerstaatlicher Rechtsschutz seitens des Individuums erschöpft wurde57. 2. Individuum als Anspruchsinhaber nach ILC-Entwurf? Fraglich ist jedoch, ob Individuen ohne die Mittlerfunktion ihres Nationalstaates Anspruchsinhaber sein können. Dafür spricht die Tatsache, dass der Nationalstaat oft allein schon aus sicherheits- oder wirtschaftspolitischen Gründen nicht möglich sein wird rechtlich gegen den »Wrongdoer« vorzugehen58. Die Möglichkeit eines individuellen Vorgehens wäre daher ein Ausweg. Dass die Restitutionsnormen des ILC-Entwurfs über die Kodifizierung des Gewohnheitsrechtes zwischen den Staaten als traditionelle Völkerrechtssubjekte hinaus auch Individuen berechtigen, ist abwegig. Zwar schließt der ILC-Entwurf es nicht aus, dass die völkerrechtswidrige Handlung andere rechtliche 52 Crawford, (Fn. 27), Art. 7, Rdn. 7. 53 IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua 54 55 56 57 58 v. USA), ICJ Reports 1986, 14 (Ziff. 109, 115) Ob die »overall controll«-Rprs. des ICTY (T-94-1-A, Prosecuter v. Tadic, Appeals Chamber, Urteil vom 15 Juli 1999, ILM 38 (1999), 1518 (Ziff. 117) auf die Verantwortlichkeit von Staaten übertragbar ist, bleibt unklar, dazu siehe Crawford, (Fn. 24), Art. 8, Rdn. 5.; dazu ausführlicher Sassòli, (Fn. 48), S. 407. Finke, (Fn. 17), S. 27. Alam, Is there any Right to Remedy for Victims of Violation of International Humanitarian Law, in: Humanitäres Völkerrecht, 19 (2008), 178 (179). Zu den Hindernissen der Durchsetzung siehe unter B. I., 4, c, bb. Art. 44 lit b. ILC-Entwurf. Als Beispiel sei hier das Verhältnis zwischen Spanien und Marokko genannt: Spanien hatte 1925 zur Unterdrückung von Aufständen der Rif-Kabylen im damaligen Spanisch-Marokko Lostbomben (Senfgas) bewusst gegen die zivile Bevölkerung eingesetzt. Auch wenn die Beweismaterialien erst seit kurzer Zeit an die Öffentlichkeit geraten sind, gedenkt Marokko – möglicherweise wegen der gewünschten spanischen Militärpräsenz im Süden des Landes – nicht gegen Spanien vorzugehen. Zum Vorgehen Spaniens Kunz, Der Gaskrieg gegen die Rif-Kabylen in Spanisch-Marokko 1922–1927, in: Wojak/Meinl (Hrsg.), Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Frankfurt 2004, S. 153 ff. JURA Heft 8/2011 Elisabeth Henn Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts AUFSÄTZE Konsequenzen zwischen dem Schädigerstaat und einem Individuum bzw. einer Personeneinheit zur Folge haben kann59. Rechte Dritter, die nicht Staaten sind, so stellt Art. 33 Abs. 2 klar, bleiben von den Regelungen unberührt. Daraus lässt sich zumindest ableiten, dass der Entwurf die Existenz individueller Rechte nicht ausschließt60. Dennoch stellt der ILC-Kommentar fest, dass der Entwurf selbst lediglich die zwischenstaatlichen Rechtverhältnisse regelt61. Aus den ILC-Artikeln lässt sich somit kein Anspruch für Individuen ableiten. Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf lediglich Sekundärnormen (vergleichbar mit § 280 des deutschen BGB), welche die Verletzung einer bestehenden Primärpflicht voraussetzen. Folglich müssten sich Individuen zunächst einmal auf eine Primärpflicht berufen können. 3. Individuen als Anspruchsinhaber im Völkerrecht: Dass verschiedene Menschenrechtsverträge sowohl auf materieller als auch auf prozessualer Ebene Individualrechte gewähren, ist unbestritten62. Auch haben in der Praxis verschiedene internationale Spruchkörper wegen der Verletzung von Menschenrechten Individuen bzw. ihren Nachfahren entweder Naturalrestitution oder, soweit ersteres trotz deren Anwendungsvorrang nicht mehr möglich war, Schadensersatz in Geld gewährt63. Demgegenüber ist dies bei Verletzungen des HVR nicht einstimmig anerkannt. Für die Ermittlung eines Schadensersatzanspruches muss zwischen dem materiell-rechtlichen und dem prozessualen Anspruch unterschieden werden. a. Subjektiv-rechtliche Normen des HVR, materiell-rechtlich: Individuen könnten sich in materiell-rechtlicher Hinsicht dann auf humanitär völkerrechtliche Normen berufen, wenn diese sowohl im Rahmen eines Primärrechts subjektive Rechte und Interessen schützten64 als auch im Rahmen einer Sekundärnorm einen Anspruch auf Schadensersatz vermitteln. Denn die Verletzung individualschützender Primärrechte aus dem HVR setzt keinen Mechanismus in Gang, der zur automatischen Begründung entsprechender Sekundärrechte des Individuums führen würde65. Die grundsätzliche Möglichkeit eine Individualberechtigung, sei es auf Primär- oder auf Sekundärebene, halten manche Autoren für ausgeschlossen, weil das HVR einzelne Menschen nicht direkt berechtigen, sondern nur reflexartig begünstigen würde66. Diese generell ablehnende Ansicht muss aber angesichts der Rechtsentwicklung des vergangenen Jahrhunderts revidiert werden67. Es ist bemerkenswert, dass Individuen in zahlreichen Verträgen, insbesondere menschenrechtlicher Art, völkerrechtliche Rechtspositionen eingeräumt worden sind. Auch die Eröffnung einer Rechtsschutzmöglichkeit für die auf der Terrorliste befindlichen Individuen durch das De-listing-Verfahren68 im Rahmen des sogenannten »Focal point«69 zeigt den Anstieg der Bedeutung des Individuums auf völkerrechtlicher Ebene. Im Rahmen eines international bewaffneten Konfliktes könnten beispielsweise Art. 78 GA III, Art. 30 GA IV sowie Art. 27 GA IV Primärnormen und Art. 91 ZPI sowie Art. 3 der IV. Haager Konvention (HK IV) Sekundärnormen sein. (1.) Primärrechte: Art. 78 GA III sowie Art. 30 GA IV gewährt den Gefangenen bzw. allen geschützten Personen explizit ein direktes Beschwerderecht70. Art. 78 GA III kann zwar die verletze Primärpflicht darstellen, wird aber wahrscheinlich selten Grundlage einer Klage sein. Dennoch vermittelt diese Norme ausdrücklich ein individuelles Recht. Gem. Art. 75 GA IV haben die nach dem GA IV geschützten Personen unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Familienrechte, ihrer religiösen Überzeugungen und Ge- pflogenheiten, ihrer Gewohnheiten und Gebräuche. Sie sollen jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und namentlich vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung geschützt werden. Nicht nur der Wortlaut der Vorschrift, sondern auch Sinn und Zweck vermittelt ein subjektives Recht, welches gerade die Interessen der einzelnen Personen der Zivilbevölkerung schützen. Diese Norm unterscheidet sich somit von vielen anderen Normen des HVR, welche größtenteils als bloße Ordnungsvorschriften verstanden werden können. Die Verletzung dieser Vorschrift stellt mithin einen Verstoß gegen eine Primärnorm dar, auf welche sich Individuen berufen können71. Eine solche generelle Einschätzung teilt auch das BVerfG in seinen Entscheidungen Alteigentümer und Zwangsarbeit II, wenn es darlegt, dass die Normen der HK einen zumindest primärrechtlichen Anspruch der betroffenen Personen auf Einhaltung der Verbote des humanitären Völkerrechts statuieren72. Allerdings bleibt ein Primärecht wirkungslos, wenn keine durchsetzbaren Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung normiert werden. (2.) Sekundärnormen: Als Sekundärnormen kommen Art. 3 HK IV. sowie von 1907 Art. 91 ZPI von 1977 (auch Haager Landkriegsordnung genannt) infrage. Im Bezug auf Art. 3 HK IV. sind einige Autoren der Ansicht, dass Art. 3 HK IV. von 1907 kein direktes Individualrecht vermittele73. Sie halten es aufgrund des historischen Zusammenhangs für problematisch, schon aus der HK subjektive Rechte 59 Crawford, (Fn. 27), Art. 28 Rdn. 3. 60 Sassòli, (Fn. 48), S. 418. 61 Crawford, (Fn. 27), Art. 33 Rdn. 4. 62 Zegveld, Remedies for victims of violations of international humanitarian law, in: RICR 85 (2003), 497 (497). 63 Alam, (Fn. 55), S. 180; Tomuschat, Reparation in Favour of Individual victims 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 of gross violation of human rights and international humanitarian law, in: Kohen (Hrsg.), Promotiong Justice, human rights and conflict resolution through international law, Liber Amicorum Lucius Caflisch, 2007, S. 569– (581 ff); Buyse, Lost and Regained? Restitution as a Remedy for Human Rights Violations in the Context of International Law, in: Heidelberg journal of international law, 68 (2008), 129 (132 ff.). Zegveld, (Fn. 62), S. 503. Hofmann, Vicitms of Violation of international Humanitarian Law: Do They Have an Individual Right to Reparation against States under International Law?, in: Dupuy/Fassbender/Sommermannn (Hrsg.), Völkerrecht als Wertordnung-Common values in International Law. Festschrift für Christian Tomuschat, S. 342 (357); Hofmann/Riemann, Compensation for Victims of war. A Background Report (2004), S. 31, verfügbar unter http://www.ila-hq.org/en/ committees/index.cfm/cid/1018; Zegveld, (Fn. 56), S. 507. Külpmann, Entschädigung für die Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg?, in: DÖV 2001, 417 (422); Kempen, Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland, in: Hans-Joachim Cremer u. a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, 2002, 179 (190.). Schmahl, Staatshaftung für Kriegsschäden, Zeitschrift für ausländisches und öffentliches Recht und Völkerrecht, 66 (2006), 699 (714). Eingerichtet durch die UN-Sicherheitsratsresolution 1730 (2006) vom 19. 12. 2006. Dazu Feinäugle: Die Terroristenlisten des Sicherheitsrates – Endlich Rechtsschutz des Einzelnen gegen die Vereinten Nationen?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 2007, 75–78. Zegveld, (Fn. 62), 503. So auch Woedtke, Die Verantwortlichkeit Deutschlands für seine Streitkräfte im Ausland und die sich daraus ergebenden Schadensersatzansprüche von Einzelpersonen als Opfer deutscher Militärhandlungen, Diss., Berlin 2010, S. 199–211. BVerfG, NJW 2004, 3257 (3258), Zwangsarbeit II; BVerfG, NVWZ 2005, 560 (564), Alteigentümer. Ausdrücklich abgelehnt wird hier jedoch eine sekundäre Berechtigung, iSe Schadensersatzanspruches. Tomuschat, Individual Reparation Claims in Instances of Grave Human Rights Violations, The Position under internationael Law, in: Randelzhofer/Tomuschat (Hrsg.), State and the Individual, 1999, 1(2); Schmahl, (Fn. 67), S. 702. Anders Kalshoven, State Responsbility for Warlike Acts of the Armed Forces, 577 578 AUFSÄTZE Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts Elisabeth Henn Einzelner zu entnehmen. Bei der Äußerung historischer Bedenken allerdings wird verkannt, dass nach Art. 31, 32 der Wiener Vertragsrechtkonvention (WVK) die Auslegung von völkerrechtlichen Regeln sich primär auf den Wortlaut und Zweck der Norm sowie ihr Zusammenhang mit späteren Übereinkünften stützen soll74. Erst an zweiter Stelle, d. h. wenn die Auslegung nach Art. 31 die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt, darf auf die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses zurückgriffen werden. Dem Wortlaut ist indes weder eine Individualberechtigung noch der Ausschluss derselben zu entnehmen. Bei systematischer Betrachtung vermag man eine deutliche Antwort zu bekommen: nach Art. 2 HK IV. sollen die Bestimmungen der HK IV. nur zwischen den »Vertragsmächten«, mithin den am Konflikt beteiligten Unterzeichnerstaaten Anwendung finden. Eine Individualberechtigung aus der HK abzuleiten, ist daher nicht möglich. Demgegenüber könnte jedoch in den ZPI-III die konkrete Schutzfunktion des Einzelnen deutlich hervortreten. In Art. 91 des 1977 erlassenen ZP I heißt es fast gleichlautend mit Art. 3 HK IV: Eine am Konflikt beteiligte Partei, welche die Abkommen oder dieses Protokoll verletzt, ist gegebenenfalls zum Schadenersatz verpflichtet. Sie ist für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihren Streitkräften gehörenden Personen begangen werden. (Art. 91) Dem Wortlaut ist damit abermals kein eindeutiges Ergebnis zu entnehmen. Durch eine systematische Betrachtung wird zumindest ersichtlich, dass eine mit Art. 2 HK IV. vergleichbare Regelung (ausschließliche und bedingte Bindung der Vertragstaaten untereinander) im ZP I nicht mehr enthalten ist. Demgegenüber ist Art. 1 Abs. 1 ZP I eingeführt worden, nachdem sich die Vertragsparteien verpflichten dieses Protokoll unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen. Damit ist zumindest der Adressatenkreis nicht mehr auf die Vertragsstaaten beschränkt. Eine individuelle Berechtigung ist damit nicht ausgeschlossen. Nun könnte man erwägen, dass ein solcher Rückschluss den heutigen Entwicklungsstand des Völkerrechts unterminieren würde, wenn das HVR auch heute noch lediglich das Verhältnis unter Staaten regele75. Der Kommentar der Zusatzprotokolle hingegen stellt fest, dass Art. 91 eine Schadensersatzpflicht statuiert, die nicht nur gegenüber einem Staat entstehen kann, sondern auch gegenüber einem Individuum bestehen könnte76. Dies entspricht, zieht man sekundäre Auslegungsregeln nach Art. 32 WVK heran, dem durch die Normen des nach den Umständen des 2. Weltkriegs entstandenen HVR verfolgten Zweck, durch Regelung der Art und Weise der Kriegsführung der Staaten und des Verhaltens der Individuen, die fürchterlichen Folgen kriegerischer Auseinandersetzung für die Beteiligten zu limitieren. Sie sind explizit und final für den Schutz der Kriegsopfer geschaffen worden77. Folgte man der Interpretation, müsste man die Zurechnungsklausel des S. 2 den Rechtsgedanken der Zurechnungsnormen des ILC-Entwurfes entsprechend auslegen. Dessen ungeachtet scheint eine sekundäre Berechtigung aus Art. 91 ZPI trotz der möglichen Verletzung einer Primärpflicht mit Sicherheit zumindest (noch) nicht zu bestehen78. (3.) Softlaw: Die UN Menschenrechtskommission sowie die International Law Association (ILA) haben durch die Ausarbeitung der für Staaten unverbindlichen Dokumente, den »Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Violation of International Hu- Heft 8/2011 JURA man Rights and Humanitarian Law«79 von 2005 (im Folgenden BGP) und den »Draft Declaration of International Law Principles on Compensation for Victims of War« von 2008 (ILA-Entwurf) die Notwendigkeit der Anerkennung von Individualrechten im Bereich des HVR zum Ausdruck gebracht. Die BGP in ihrer letzten Fassung von Cherif Bassiouní haben die noch in der Fassung von Rapporteur Theo van Boven enthaltene klare Differenzierung zwischen dem materiellen Anspruch und dem prozessualen Rechtsbehelf aufgegeben80 und bestätigen aufgrund ihrer schwachen Formulierung und einer stetigen Referenz zu bestehendem internationalem Recht im Grunde genommen nur die unsichere Rechtslage81. Sie schaffen weder ein generelles individuelles Recht auf Schadensersatz noch suggerieren sie dieses82. Dennoch dienen sie bereits jetzt zumindest als Richtlinie für die Praxis, wie das Beispiel der Human Rights Chamber for Bosnia and Herzegovina zeigt83. Im Gegensatz dazu suggeriert der ILA-Entwurf lediglich die gesicherte Existenz von Ansprüchen, wie Co-Rapporteur des ILAEntwurfs Hofmann in seinen einleitenden Bemerkungen betont, wobei damit das Ziel verfolgt werde, eine sich abzeichnende Tendenz zu unterstreichen84. Sie werden als Softlaw zunehmend die Praxis beeinflussen und damit ein Element für das Aufkommen von Völkergewohnheitsrecht darstellen85. b. Prozessuale Aspekte: Für die Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs auf Schadensersatz eines Individuums stellen sich aus prozessualer Sicht mannigfaltige Hindernisse in den Weg. In diesem Zusammenhang müssten die Fragen nach dem zuständigen Forum, der Beteiligten- und der Prozessfähigkeit des Klägers bzw. der Klägerin, sowie allgemeinen Durchsetzungsproblemen, wie die mögliche Immunität des beklagten Staates, die unmittelbare Anwendbarkeit der in Rede stehenden völkerrechtlichen Normen (self-executing norms) vor dem nationalen Gericht, die 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 in: International and Compartive Law Quarterly, 40 (1991), S. 827 ff.; David, Principes de droit des conflits armés, Bruxelles, 2008, S. 704–710. Vöneky, Response – The Fight against Terrorism and the Rules of International Law – Comment on Papers and Speeches of John B. Bellinger, Chief Legal Advisor to the United States State Department, S. 747 (748). So BGHZ 169, 348–364, Ziff. 9 ff; OLG Köln NJW 2005, 2860 (2862 f), wobei sich das Gericht auf die sog. Distomo-Entscheidung (BHG NJW 2003, 3488) bezieht, in welcher auf die Rechtslage am Ende des 2. Weltkriegs eingegangen wird; Tomuschat, (Fn. 57), S. 576; Wolf Heintschel von Heinegg, Entschädigung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts, BDGVR 40 (2003), 1 (25). Pilloud/Sandoz, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of August 1949, ICRC, Geneva 1987, S. 1056 ff, Rdn. 3657 ff. Schmahl, (Fn. 67), S. 714. Zwar wären Untersuchungen der Rechtsprechung hilfreich und würden die Tendenz, Individuen nicht nur im Rahmen von Menschenrechtsverletzungen, sondern auch im HVR als Anspruchsberechtigte einzuordnen, unterstreichen. In diesem Rahmen soll jedoch aufgrund des Schwerpunkts auf Fragen, die besonderes im Zusammenhang mit PMSF entstehen, von einer weitergehenden Analyse abgesehen werden, dazu: Gillard, (Fn. 5), S. 538 ff; Zegveld, (Fn. 56), S. 504; Tomuschat, (Fn. 71), S. 582 ff. Angenommen und proklamiert durch die Resolution der Generalversammlung vom 16 Dezember 2006, GA Res. 60/147. Nowak, Reparation by the Human Rights Chamber for Bosnia and Herzegovina, in: K. De Feytera.o. (eds.), Out of the Ashes. Reparation for Victims of Gross and Systematic Violations, Antwerp 2005, pp. 245 (287). Buyse, (Fn. 63), S. 139. Buyse, (Fn. 63), S. 140. Nowak, (Fn. 80), S. 287. Hofmann/Riemann, (Fn. 59), S. 2. Buyse, (Fn. 63), S. 138. JURA Heft 8/2011 Elisabeth Henn Staatenverantwortlichkeit für Verletzungen des Humanitären Völkerrechts AUFSÄTZE Wirksamkeit der abschließenden Regelung aller Ansprüche durch Vereinbarung der Konfliktparteien im Rahmen der Friedensverträge86 und nicht zuletzt die mögliche Verjährung problematisiert werden87. Von Ausführungen hierzu soll auch hier angesichts des vorliegenden Schwerpunkts - abgesehen werden. c. Ergebnis Anspruchsberechtigung von Individuen: Es lässt sich feststellen, dass die Anspruchsberechtigung für Schadensersatzforderungen von Individuen noch kein gesichertes Gewohnheitsrecht ist, sondern sich in der Phase des »progressive development of international law«88 befindet89. Angesichts des mit drohenden Schadensersatzzahlungspflichten einhergehenden wünschenswerten Abschreckungsmechanismus für die Konfliktparteien, würde damit ein größerer Anreiz bestehen das Verhalten der engagierten privaten oder staatlichen Einsatzkräfte vermehrt auf ihre Konformität mit den Regeln des HVR hin zu kontrollieren. Eine Beschränkung der Ansprüche auf nur grobe und massive Verletzungen90 oder symbolische Summen, wie beispielsweise Tomuschat sie aufgrund der drohenden finanziellen Überlastung der Staaten zu fordern scheint91, würde gerade dieser neugewonnenen Durchsetzungskraft Abbruch tun und ist deswegen abzulehnen. C. Zusammenfassung und Ausblick Nach derzeitig geltenden Völkerrecht können Staaten für ihre Staatsangehörigen Schadensersatzforderungen wegen Verletzungen humanitären Völkerrechts durch kontrahierte PMSF gegen den Schädigerstaat geltend machen, wenn diesem das Verhalten entweder aufgrund einer formalen Eingliederung der PMSF iSd des Art. 4 A (1) GA III i. V. m. Art. 43 ABs. 1 ZP I in die Streitkräfte als eigenes zugerechnet werden kann oder wenn aufgrund der Erfüllung der Voraussetzungen der Art. 5 ff ILCEntwurf das fragliche Verhalten zurechenbar ist. Allerdings werden zum heutigen Zeitpunkt die Zurechnungstatbestände derart eng ausgelegt, dass es dem Staat regelrecht überlassen bleibt nach Belieben durch die Wahl der Ermächtigungsform oder im privatrechtlichen Vertrag eine mögliche Zurechnung von vornherein auszuschließen, so dass viele Fallkonstellationen nicht erfasst werden. Somit geht der Einsatz privater Militär- und Sicherheitsfirmen im bewaffneten Konflikt durch staatliche Akteure mit der Eröffnung haftungsfreier Räume für den Staat auf völkerrechtlicher Ebene einher. Daher ist eine Zurechnungsausweitung erforderlich, um der Privatisierung militärischer Tätigkeiten einen angemessenen Rechtsrahmen im Völkerrecht zu verleihen. In den Fällen, in denen eine Zurechnung bejaht werden kann, ist es dazu nicht ausgeschlossen, dass der Staat der verletzten Staatsangehörigen aus unter anderem wirtschaftlichen oder politischen Gründen nicht willens ist, rechtliche Maßnahmen gegen den »Wrongdoer« zu ergreifen. Daher wurde die Frage einer individuellen Anspruchsberechtigung ohne ein staatliches Medium problematisiert. Hier ist zwar auf völkerrechtlicher Ebene eine fortschreitende Entwicklung zu verzeichnen, von einer gesicherten Rechtsposition kann jedoch noch nicht die Rede sein. Wem seitens seines Heimatstaates diplomatischer Schutz versagt wird, kann somit auf internationaler Ebene weder vom kontrahierenden Staat noch von der handelnden PMSF mangels Rechtssubjektivität einen Schadensausgleich verlangen. Aufgrund dessen wird das Individuum möglicherweise auf nationales Recht des jeweilig kontrahierenden Staates verwie- sen werden müssen. Obgleich die Bundesregierung bislang nicht beabsichtigte, PMSF unmittelbar in die aktive Teilnahme an einem bewaffneten Konflikt einzubeziehen92, kann dies für zukünftige Auslandseinsätze insbesondere angesichts der Entwicklung in NATO-Partnerstaaten93 nicht ausgeschlossen werden. Schließlich hat sich das Phänomen der Privatisierung militärischer Aufgaben zu einem allgemeinen Trend entwickelt. Zumindest hat bis dato und wird möglicherweise zunehmend auch die Bundeswehr manche ihrer Aufgaben auf Private übertragen94. Im Falle von Verletzungen humanitären Völkerrechts durch Mitglieder der deutschen Streitkräfte bietet sich in der deutschen Rechtsordnung ein individueller Amtshaftungsanspruch gegen den Bund an95. Dies wird man grds. auch bei Verletzung durch im Rahmen einer Vollzugsprivatisierung vom Bund eingestellte PMSF bejahen müssen. Grundsätzlich käme auch eine zivilrechtliche Inanspruchnahme der PMSF im Sitzstaat der PMSF, im Loci-Delicti-Staat oder aber, bei weiter Auslegung des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO innerhalb der Europäischen Union möglicherweise auch im Kontrahentenstaat in Betracht. Ob beispielsweise die US-amerikanische Rechtsordnungen durch den Alien Tort Claim Act dies gewährleisten, ist noch ungewiss. Dies wäre von besonderer Praxisrelevanz, da viele der PMSF ihren Sitz dort haben. Angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Verträge von PMSF mit nicht-staatlichen Akteuren geschlossen werden96, wird es in Zukunft erforderlich sein, die Einhaltung des HVR auch durch PMSF sowie die zivilrechtliche Haftung dieser Unternehmen sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene zu gewährleisten. Dies kann durch die Entwicklung von Verhaltenskodize, internationaler Vereinbarungen wie das Dokument von Montreux97 und die Basic Guidelines and Principles on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Violation of International Human Rights and Humanitarian Law und von Regelungen nationaler und völkerrechtlicher Art erfolgen und würde den Privatisierungstendenzen bewaffneter Konflikte angemessen entgegentreten. 86 Ob solche Abgeltungsverträge wirksam sind, hängt von der Disponibilität der 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 Rechte der Individuen ab, welche zumindest bei Verletzung von ius cogens ernsthaft zu bezweifeln sein wird. Dazu Zegveld, (Fn. 62), S. 505 ff.; Gillard, (Fn. 5), S. 536; Buyse, (Fn. 63), S. 139 ff.; D’Argent, Des règlements collectifs aux règlements individuels (collectivisés) ? La question des réparations en cas de violation massive des droits de l’homme, in: International Law FORUM du droit international, 5 (2003), 10 (17 ff); Alam, (Fn. 55), S. 182. Art. 13 Abs. 1 UN-Charta. So i. E. auch Hofmann, Reparation for victims of war and non-state actors?, in: South African yearbook of international law, 32 (2007), S. 291–311. So auch Gillard, (Fn. 5), S. 534. Tomuschat, (Fn. 63), S. 583 ff. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer u. a., Auslagerung spezifischer Sicherheits- und Militäraufgaben an nichtstaatliche Stellen; BT-Drs. 15/5824 v. 24. Juni 2005, S. 12/15. Krieger, (Fn. 5), S. 182. Gramm, Privatisierung bei der Bundeswehr, in: Unterrichtsblätter der Bundeswehrverwaltung 3/2004, S. 81 ff. Für die Haftung der Streitkräfte siehe Dutta, Amtshaftungsanspruch wegen Völkerrechtsverstößen bei bewaffneten Auslandseinsätzen deutscher Streitkräfte, AöR, 133 (2008), S. 191(213); Johann, Amtshaftung und humanitäres Völkerrecht – Zur Möglichkeit eines Anspruches auf Schadensersatz bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, in: Humanitäres – Völkerrecht Informationsschriften, 2/2004 S. 86 ff. Gillard, (Fn. 5), S. 181. Dazu Odendahl, Die Bindung privater Militär- und Sicherheitsfirmen an das humanitäre Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung des Dokuments von Montreux, in: AVR 48 (2/2010). 579