Verbands-Management (VM)

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Verbands-Management (VM)
Verbands-Management (VM)
Fachzeitschrift für Verbands- und Nonprofit-Management
VM 3/03
Beccarelli, Claudio
«Visions and Roles of Foundations in Europe»
Verbands-Mangement, 29. Jahrgang, Ausgabe 3 (2003), S. 6-9.
Herausgeber:
Redaktion:
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Fotomaterial:
ISSN:
Kontakt:
Verbandsmanagement Institut (VMI) www.vmi.ch,
Universität Freiburg/CH
Claudio Beccarelli/Guido Kaufmann
Claudio Beccarelli/Maxomedia, Bern
Peter Leuenberger, Bern
1424-9189
[email protected]
Die Zeitschrift VM erscheint dreimal jährlich in den Monaten April, August und
November.
Abdruck und Vervielfältigung von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise oder in
Abschnitten, nur mit Genehmigung des Herausgebers.
Schwerpunkt
Das Projekt
«Visions and Roles
of Foundations in Europe»
Der Dritte Sektor ist weltweit auf Wachstumskurs
und hat in den Ländern der Europäischen Union sowohl in wirtschaftlicher als auch gesellschaftspolitischer Hinsicht stark an Bedeutung gewonnen.
Gleichzeitig gerät der Staat bei der Bereitstellung von
öffentlichen Gütern immer mehr in finanzielle
Schwierigkeiten. Die Rolle des Staates verändert sich,
was zur wachsenden Bedeutung des Dritten Sektors
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in der Gesellschaft beiträgt. Obwohl das Stiftungswesen bisher noch weitgehend unerforscht ist, werden private Stiftungen im Zuge eines veränderten
Staatsverständnisses von Parteien jeglicher Couleur
gerne als politisches Allheilmittel gepriesen. Unter
der Federführung des Centre for Civil Society (CCS)
der London School of Economics and Political Science (LSE) sollten im Rahmen eines internationalen
Forschungsprojektes erstmals die Rolle und Visionen
des Stiftungssektors in den Ländern der Europäischen Union sowie der Schweiz, Norwegen, den Vereinigten Staaten und Israel untersucht und im Rahmen einer komparativen Länderstudie verglichen
werden.
Grantmaking
Community
foundations
Operating Corporate
Free, countryspecific
Older «established» foundations
Free selection criteria;
countryspecific
Ziel und Aufbau des Projektes
Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, zu einem besseren Verständnis des politischen Umfeldes von Stiftungen in Europa beizutragen. Dabei geht es in ers2
ter Linie darum:
die Rolle der Stiftungen sowie deren strategische
Ausrichtung und Visionen zu analysieren
die Stärken und Schwächen solcher Visionen zu
evaluieren
ein Forum für einen kontinuierlichen Dialog über
die zukünftige Rolle von Stiftungen zu kreieren.
Dem Projekt steht ein hochkarätiges Advisory-Committee zur Seite (vgl. Kasten 1). Finanziert wurde das
Projekt von 18 Stiftungen aus 13 Ländern. Die vom
VMI erstellte Länderstudie Schweiz wurde durch
SwissFoundations, dem Verein der Vergabestiftungen
in der Schweiz, finanziell unterstützt.
Abbildung 1: Die Untersuchungsmatrix (Quelle: CCS 2002a, S. 3)
Das Untersuchungsdesign
Die vorliegende Studie basiert auf einem qualitativen Forschungsdesign, welches in einem ersten
Schritt von der Projektleitung in London vorgegeben und anschliessend unter den Teilnehmern
diskutiert und modifiziert wurde. Neben Experteninterviews mit Stiftungsvertretern dienten Fallstudien einzelner Stiftungen sowie das Studium von
Jahresberichten und Broschüren der Erkenntnisgewinnung. Bei der Auswahl von Stiftungen für die
Sample-Matrix galten als internationale Richtwerte:
– 25 bis 30 Stiftungen für Länder mit einem grossen
Stiftungssektor und
– 10 bis 15 Stiftungen für Länder mit einem kleinen
Stiftungssektor
International Advisory Committee
– Gian Paolo Barbetta, Catholic University of Milan
– Lord Ralf Dahrendorf, LSE, House of Lords, UK
– Nicole Fontaine, former President
of the European Parlament, French Government
– Stanley Katz, Princeton University
1. Definition: Um die Resultate der einzelnen Länderstudien international vergleichen zu können,
galt es, eine einheitliche Definition zu finden. Unter
einer Stiftung wird im Rahmen dieses Projektes ein
Vermögen mit den folgenden Eigenschaften ver3
standen:
2. Auswahlkriterien: Für die Zusammenstellung der
Untersuchungsmatrix in den einzelnen Ländern
waren drei Auswahlkriterien entscheidend (vgl. Abbildung 1). Als erstes Kriterium wurde die Art der
Stiftung resp. ihre strategische Ausrichtung gewählt.
In der Literatur unterscheidet man gemeinhin drei
verschiedene Formen von Stiftungen: Vergabestiftungen (Grant-making Foundations), operative
Stiftungen (Operating Foundations) oder eine
Mischform (Mixed Foundations). Das zweite Auswahlkriterium richtete sich nach den jeweiligen
Gründern von Stiftungen. So entstehen Stiftungen
auf Initiative von einem Individuum, einer Guppe
von Individuen oder einer Familie (Individual). Bei
den sog. «Corporate Foundations» stellt sich die
Frage, wie eng ihre Verbindungen zum Stifterunternehmen in Bezug auf Kontrolle und Management
4
bleiben. Stiftungen, welche obiger Definition entsprechen, aber von der öffentlichen Hand gegründet
wurden, werden als sog. «Government-created
Foundations» oder «Government-sponsored Foundations» bezeichnet. Eine letzte Differenzierung
wurde zwischen alten «etablierten» und neuen «jungen» Stiftungen gemacht.
– Eva Kuti, Central Statistical Office, Hungary
– eine nicht auf Mitgliedschaft beruhende Organisation mit einem Ursprungsvermögen
– John Richardson/Emmanuelle Faure,
European Foundation Center
– privat
Die Visionen
– James Allen Smith, Paul Getty Trust, University
of California, Georgetown University, USA
– nicht fremdbestimmt, eigenständige Rechtspersönlichkeit
– Volker Then, Bertelsmann Foundation
– keine Gewinnausschüttung
Visionen und Rollen sind eng miteinander verknüpft. Der Begriff der Vision bezieht sich jedoch auf
den Zweck, die Oberziele und das politische Umfeld,
in welches Stiftungen eingebettet sind und ihre Rollen ausüben. «By vision, we refer to the wider objec-
– dient einem öffentlichen Zweck
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Specific Types (optional)
Younger, «new» foundations
Claudio Beccarelli
Ein starkes Wachstum und eine zunehmende
gesellschaftliche Bedeutung prägen das
Stiftungswesen in zahlreichen europäischen
Ländern. Demgegenüber steht noch immer
ein akutes Forschungs- und Wissensdefizit.
Im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes «Visions and Roles of Foundations
in Europe» wurde das Stiftungswesen und
dessen politisches Umfeld in 23 Ländern
analysiert. Die forschungsleitenden Fragen
konzentrieren sich dabei auf die Rolle der
Stiftungen und deren strategische Ausrichtungen.
Foundation Type (required)
Verbands-Management, 29. Jg., 3 / 2003
7
Schwerpunkt
tives, purpose and context in which foundation
roles are cast. Visions encompass both models based
on political and cultural preferences (forms of liberalism or social democracy), and projection toward
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what is seen as desirable in terms of realpolitik, …»
In Weiterführung der Kategorisierung, welche Anheier 2001 bereits in seiner Studie «Foundations in
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Europe» verwendet hatte , wurden die dem Stiftungswesen zugrundeliegenden Visionen in sechs
stark vereinfachte Grundtypen unterteilt (vgl. Abbildung 2):
das sozialstaatliche Modell: In diesem Modell entfalten Stiftungen ihre Aktivitäten in einem hochentwickelten Wohlfahrtsstaat. Sie verfügen dabei
über sehr enge Beziehungen zum Staat, dessen
Aktivitäten sie ergänzen und unterstützen.
das Modell der Staatskontrolle: Der Stiftungssektor steht in diesem Modell unter einer rigorosen staatlichen Aufsicht. Restriktive Gesetze und
komplizierte administrative Prozesse schränken
den Handlungsspielraum der Stiftungen ein.
das korporatistische Modell: Die Stiftungen befinden sich dabei in einer subsidiären Beziehung
zum Staat. Operative Stiftungen sind Teil des
Erziehungssystems und des Gesundheitswesens
eines Staates und kombinieren diese Tätigkeit
oftmals mit der Vergabe von Geldern.
das liberale Modell: Im liberalen Modell bilden
Stiftungen ein Parallelsystem zum Staat. Dabei
bilden sie eine Alternative zum gesellschaftlichen
Mainstream und verstehen sich als Bewahrer von
nicht mehrheitsfähigen Anliegen und Interessen.
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Rolle von Stiftungen in der Gesellschaft
ROLES / VISIONS
Es stellt sich nun die Frage, welche Ziele und Visionen die Stifter mit ihrem Engagement verfolgen,
resp. welche gesellschaftlichen Funktionen das Stiftungswesen in den einzelnen Ländern erfüllt. Diese
Rollen bieten auch mögliche Erklärungsansätze für
die Existenz von Stiftungen überhaupt. Im Rahmen
dieses Projektes wurden die folgenden Rollen unter7
sucht:
Umverteilung: Stiftungen werden in dieser Sichtweise als ein Instrument betrachtet, Reichtum und
ökonomische Ressourcen von höheren an niedrigere Einkommensschichten umzuverteilen.
Sozialer und politischer Wandel: Stiftungen
betätigen sich demzufolge als Initiatoren von
sozialem und politischem Wandel, fördern strukturelle Veränderungen und streben nach einer gerechteren Gesellschaft.
Förderung des Pluralismus: Stiftungen fördern
neben Staat und Markt die Vielfalt in der Gesellschaft und ermöglichen damit eine pluralistische,
demokratische Gesellschaft.
Ergänzung: Stiftungen ergänzen demnach Mechanismen des Marktes wie auch der staatlichen
Politik, indem sie Gruppen mit spezifischen Bedürfnissen unterstützen, denen ansonsten weder
vom Staat noch von Wirtschaftsunternehmen ausreichend Rechnung getragen wird.
Substitution: Entsprechend diesem Rollentypus
übernehmen die Stiftungen Aufgaben des Staates
und tragen zur Produktion ehemals dem Staat vorbehaltener öffentlicher Güter bei.
das wirtschaftsnahe Modell: Im wirtschaftsnahen
Modell entstehen Stiftungen aus der Gemeinwohlorientierung von Unternehmen. Diese verfolgen
im Sinne eines «Corporate Citizenship» gesellschaftliche Anliegen und Projekte, welche über
ihre unmittelbaren ökonomischen Interessen hinausreichen.
Innovation: Dieser Rollenypus sieht Stiftungen als
treibende innovative unabhängige gesellschaftliche Kraft.
das periphere Modell: Im peripheren Modell spielen Stiftungen nur eine unbedeutende Rolle. Sie
werden toleriert, solange sie den Status Quo nicht
verändern.
Die nachfolgenden Länderstudien der Schweiz,
Österreichs und Deutschlands befassen sich mit den
oben beschriebenen Rollen und Visionen des Stiftungswesens in den einzelnen Ländern.
Bewahrung von Traditionen und Kulturen: Stiftungen üben sich in der Bewahrung von Traditionen und Kulturen und tragen demnach zur sozialen Stabilität bei.
Verbands-Management, 29. Jg., 3 / 2003
Social
Democratic
State
Controlled
Corporatist
Liberal
Peripheral
Business
Complementarity
Redistribution
Innovation
Social change
Preservation
Pluralism
Substitution
Abbildung 2: Visionen und Rollen von Stiftungen (Quelle: CCS 2000a, S. 9).
Fussnoten
1
Vgl. Anheier 2003, S. 38.
2
Vgl. Anheier/Daily 2003, S. 3.
3
Vgl. CCS 2000a, S. 2 f.
4
Vgl. Purtschert/von Schnurbein 2003, S. 37.
5 Vgl. CCS 2000a, S. 8.
6
Vgl. Anheier 2001, S. 35 ff.
7
Vgl. CCS 2001, S. 7.
Literaturverzeichnis
Anheier, H.K., Foundations in Europe: A Comparative
Perspective, in: Schlüter, A./Then, V./Walkenhorst,
P. (Hrsg.), Foundations in Europe – Society Management
and Law, London, 2001, S. 35 – 81.
Anheier, H.K., Der Dritte Sektor in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs, in: Verbands-Management, (1/2003),
S. 38 – 47.
Anheier, H.K./Daily, S., The Visions and Roles of Foundations in Europe, Project Overview and Initial Results,
Präsentation an der Jahreskonferenz des EFC, Lissabon, Juni 2003.
Centre for Civil Society (Hrsg.), Research Memorandum 1 – Definition, Classification, Roles and Visions,
London, 2002a.
Centre for Civil Society (Hrsg.), Research Memorandum 2 – Sampling and Case Study Selection, London,
2002b.
Centre for Civil Society (Hrsg.), Research Memorandum 3, Checklist for Data Collection, London, 2002c.
Centre for Civil Society (Hrsg.), Research Memorandum 4, Expert/Policy Interview Schedule, London,
2002d.
Centre for Civil Society (Hrsg.), Research Memorandum 5, Report Outline and Time Schedule, London,
2003e.
Purtschert, R./von Schnurbein, G./Beccarelli, C.,
Visions and Roles of Foundations in Europe, Länderstudie Schweiz, Fribourg, 2003.
Schlüter, A./ Then, V. / Walkenhorst, P. (Hrsg.), Foundation in Europe – Society Management and Law, London, 2001.
Der Autor
Claudio Beccarelli /[email protected]
lic.rer.pol. Claudio Beccarelli; Ökonomiestudium mit Fachrichtung BWL an der Universität Freiburg /CH (1997 – 2001). Seit November 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter und
Doktorand am VMI. Forschungsaufenthalte am Centre for Civil Society der London
School of Economics und an der Law University of Vilnius. Besondere Interessengebiete:
Kulturökonomik, Management von Kulturinstitutionen.
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