Global-Sourcing-Szenarien

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Global-Sourcing-Szenarien
VARIANTEN DER VERL AGERUNG VON SERVICE-FUNK TIONEN ” 1
1.
Onshore
Offshore
Outsourcing Outsourcing
National
54 diebank 7.2012
Captive
Offshoring
International
Hoher Grad an Standardisierung
und Digitalisierung
Eigenerstellung Fremdvergabe
Eigenerstellung Fremdvergabe
Ausgangssituation
Interne
inländische
Leistungserstellung
3.
2.
Onshore
Offshore
Outsourcing Outsourcing
Interne
inländische
Leistungserstellung
Captive
Offshoring
National International
Eigenerstellung Fremdvergabe
fi
Offshore
Onshore Outsourcing
Outsourcing Indirekter
Ansatz
Interne
inländische
Leistungserstellung
National
Captive
Offshoring
International
Hoher Grad an
Spezialisierung
Geringer Grad der
Internationalisierung
Geringer Grad an
Spezialisierung
BETRIEBSWIRTSCHAFT
ó
Global-Sourcing-Szenarien
in der Finanzwirtschaft
KOSTENSENKUNG Sourcing-Strategien für Finanzdienstleister basieren auf einer Analyse der Kernkompetenzen, die der Bank eine starke Wettbewerbsposition sichern und damit ein unverzichtbarer Bestandteil der Wertschöpfungskette sind. Alle anderen Elemente des Bankbetriebs kommen für eine Auslagerung in Betracht. Das Spektrum der Handlungsoptionen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich
erweitert. Insbesondere bei international agierenden Finanzkonzernen ist ein Trend hin zu komplexen
Global-Sourcing-Strategien zu beobachten. Markus H. Dahm
Keywords: Outsourcing, Effizienzsteigerung,
Prozessoptimierung
Die meisten Banken haben eine relativ hohe Wertschöpfungstiefe in ihren Prozessen. Die maßgeblichen Ursachen dafür
sind:
ó Ein hoher Anteil an Eigenerstellung ist historisch gewachsen, insbesondere aus Sicherheitsüberlegungen.
ó Durch die Konsolidierung im Finanzsektor gibt es sehr
heterogene Prozessstrukturen. Diese lassen sich deutlich
schwerer verlagern.
ó Rechtliche Anforderungen an den Betrieb von Banken
(überwacht durch die BaFin) verringern die Anzahl
potenzieller Verlagerungsobjekte.
Es gibt jedoch den klaren Trend, dass zunehmend interne
Dienstleistungen ausgelagert werden. Insbesondere für international agierende Banken kommen dafür nicht nur die klassischen Outsourcing-Konzepte infrage, sondern auch GlobalSourcing-Strategien ” 1. Zunächst muss in einem ersten Schritt
grundsätzlich eine Make-or-Buy-Entscheidung getroffen werden. Danach wird für jeden Prozess der Bank analysiert,
welche Leistungen von welchem Standort und gegebenenfalls
von welchem Fremdanbieter am sinnvollsten erbracht werden
können.
Sourcing stellt die Möglichkeit dar, verschiedene Unternehmensbereiche oder Prozesse intern und extern so zu verteilen,
dass im Idealfall eine hohe Produktivität (Wertschöpfung pro
Zeiteinheit) für das gesamte Unternehmen gewährleistet wird
” 2. Der Zusatz „Global“ bedeutet, dass bestimmte Dienstleistungen auch aus anderen Ländern heraus erbracht werden
können.
Vielfältige Sourcing-Strategien
Beim direkten Outsourcing sucht sich eine Bank einen Service
Provider im Ausland, der die entsprechende Dienstleistung
übernimmt. Häufig findet dieses Modell bei Unternehmen Anwendung, die bereits Global-Sourcing-Erfahrungen haben. Beispielsweise hat American Express ihre Betrugs-AnalyseAbteilung direkt nach Indien verlagert. Diese untersucht betrügerische Aktivitäten bei Kreditkartennutzungen.
Im Gegensatz dazu ist der indirekte Provider zu sehen. Dabei
verlagert die Bank die betroffenen Dienstleistungen auf ein inländisches Unternehmen. Erst dieses realisiert dann die Verlagerung ins Ausland. Der Service Provider muss dabei die Qualitätsanforderungen des Auftraggebers umsetzen. Für die Bank
sinkt dabei das Risiko. So bietet zum Beispiel ein globaler IT
Dienstleistungs- und Beratungskonzern in Deutschland Softwareerstellung und -wartung in Zusammenarbeit mit seiner
indischen Tochtergesellschaft an.
Alternativ zu den Outsourcing-Modellen kann das Unternehmen die Aktivitäten im Ausland auch selber erbringen. In der Reinform wird das als Captive Offshoring bezeichnet. Dabei werden
die entsprechenden Unternehmensbereiche, Dienstleistungen
oder Prozesse innerhalb des eigenen Unternehmens ins Ausland
ausgelagert. Besonders prädestiniert dafür sind Unternehmen,
die weltweit tätig sind und somit in den entsprechenden Ländern
Umsätze erzielen. Beispielsweise werden bei IBM zahlreiche Verwaltungsaufgaben zentral in verschiedenen Ländern durchgeführt. So befindet sich die Reisekostenbearbeitung in Malaysia,
der deutschsprachige Helpdesk für Softwareprobleme in Irland
und die operative Personalverwaltung in Ungarn. Ein anderes
Beispiel: Die weltweit präsente Bank HSBC hat bereits über
13.000 Angestellte in Indien. Diese übernehmen die globale, telefonische Kundenbetreuung und einfache Sachbearbeitungen.
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ó
BETRIEBSWIRTSCHAFT
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Die Sourcing-Optionen
Outsourcing ist als Spezialfall einer Make-or-Buy-Entscheidung
zu sehen. Dabei werden Leistungen, die vorher unternehmensintern erbracht wurden, anschließend von einem externen
Service Provider erstellt. Seit den 1980er Jahren finden verstärkt Outsourcing-Aktivitäten in Banken statt. Im ersten Schritt
waren davon hauptsächlich Dienstleistungen betroffen, die
nicht an die Wertschöpfung der Unternehmen gekoppelt sind.
Zu nennen sind hier zum Beispiel Reinigung, Kantine und Facility Mangement. Heute findet verstärkt Business Process Outsourcing (BPO) statt. Dieses bezeichnet die Auslagerung von
geschäftlichen Funktionen und Primärprozessen.
Offshoring wird zum einen zur geographischen Einordnung und
zum anderen allgemein als Begriff für die Verlagerung von Funktionen ins Ausland verwendet. Im Bankenbereich können zwei
Hauptfelder unterschieden werden: Frontoffice-Services (das
Arbeiten mit Kundenkontakt, zum Beispiel per Call-Center) und
Backoffice-Services (Bereiche ohne Kundenkontakt, zum Beispiel HR-Administration oder Einkauf). Offshoring bedeutet
nicht zwangsläufig auch Outsourcing, es kann auch unternehmensintern durchgeführt werden. Dann wird von Captive Offshoring gesprochen.
Als Onshoring (Local Sourcing) werden die Verlagerung von
Dienstleistungen, Prozessen und Unternehmensbereichen innerhalb desselben Landes bezeichnet. Nearshoring bezeichnet
die Verlagerung in Nachbarländer. Gemeinhin wird der Begriff
für Verlagerungen aus Deutschland in andere EU-Länder verwendet. Beispiele sind somit sowohl Länder Osteuropas als
auch westliche Länder, wie zum Beispiel Irland, die schon vor
15 Jahren Outsourcing-Standorte waren.
Was spricht für Auslagerungen?
Die Beweggründe für Banken, Global Sourcing-Strategien umzusetzen, unterscheiden sich nicht wesentlich von den Motiven
in anderen Branchen. Im Mittelpunkt der Verlagerungen stehen
zumeist die erwarteten Kosteneinsparungen. Diese beruhen
beim Off- und Nearshoring größtenteils auf den Lohnkostenunterschieden. So können Lohnkosten in Indien oder China etwa
ein Zehntel von denen in Deutschland betragen. In den osteuropäischen Ländern kann von circa 20 % der westeuropäischen
Löhne ausgegangen werden. Beim Offshoring im Bankensektor
wird unter dem Strich von einer durchschnittlichen Kostenersparnis von 30 % ausgegangen. Diese sollte allerdings als mittel- bis langfristiges Ziel betrachtet werden, da zunächst ein
Mehraufwand für die Überführung entsteht.
Für die Banken als Outsourcing-Geber können sich Qualitätsund Produktivitätssteigerungen ergeben. Wenn beispielsweise
ein Call-Center in Indien (Offshore) und ein zweites in Europa
(On- bzw. Nearshore) betrieben wird, so ist ein 24-StundenService deutlich leichter umsetzbar. Ein weiterer Vorteil liegt
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in der Flexibilitätserhöhung. Diese kann in zwei Teilbereiche
unterschieden werden. Zunächst ist es möglich, fixe in variable
Kosten umzuwandeln. So wird zumeist nach einer Verlagerung
nicht mehr pauschal, sondern pro durchgeführtem Prozessschritt und nach abgenommener Leistung bezahlt. Resultierend
daraus kann wesentlich zeitnäher auf eine Veränderung der
Rahmenbedingungen (zum Beispiel bessere oder schlechtere
Auftragslage, Gesetzesänderung) reagiert werden.
Des Weiteren müssen die Kenntnisse für unterschiedliche
Prozesse und Dienstleistungen nicht mehr in der Bank vorgehalten werden. Dies ist insbesondere für den IT-Bereich von
zentraler Bedeutung, da durch die rasante Entwicklung ständig
neue Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich sind. Durch die
Verlagerung an einen qualifizieren Service Provider kann in
der Regel auf einen größeren Qualifikationspool zurückgegriffen werden.
Damit eine Verlagerung erfolgreich durchgeführt werden
kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden. So sollten zunächst die Unternehmensbereiche oder die Prozesse auf
Tauglichkeit hin überprüft werden. Dabei werden die vier Faktoren Digitalisierung, Standardisierung, Internationalisierung
und Spezialisierung innerhalb der Bank betrachtet ” 3. Im Idealzustand sind alle Anforderungen abgedeckt. Da dies jedoch
eher selten der Fall sein wird, kann die Realisierung einiger
Anforderungen als Vorbereitung auf eine Sourcing-Strategie
betrachtet werden.
Maßnahmen zur Risikominimierung
Ein Großteil der Risiken ist kurzfristig und wirkt in der Phase
des Übergangs auf den Dienstleister. Die Risken steigen meist
mit zunehmender Komplexität eines Verlagerungsvorhabens.
Dieses wird komplexer, je mehr Schnittstellen zu anderen Unternehmensbereichen existieren und je langfristiger es angelegt
ist.
Zu den betriebswirtschaftlichen Risiken zählt der Mehraufwand bei der Überführung. Die Hauptursache liegt in der möglicherweise unvollständigen Betrachtung der zu erwartenden
Kosten. Dieses betrifft zum Beispiel den Schulungs- und Wissenstransferaufwand, der häufig unterschätzt wird. Ein weiterer
Punkt ist die Integration in vorhandene Unternehmensprozesse. Dieses Risiko ist besonders groß, wenn es um die Auslagerung kompletter Unternehmensprozesse geht (zum Beispiel den
Einkauf) und nicht nur um die Erbringung einer einzelnen
Dienstleistung (zum Beispiel Programmierauftrag). Das Risiko
ist in Offshoring-Ländern mit geringerer Prozessstandardisierung, wie etwa in China, besonders hoch. Zur Senkung dieses
Risikos ist es ratsam, mit erfahrenen Service-Providern zusammenzuarbeiten bzw. Berater mit langjährigen Erfahrungen in
der Verlagerung einzusetzen.
BETRIEBSWIRTSCHAFT
Kritisch ist die Kommunikation der Unternehmensleitung mit
den Mitarbeitern besonders dann, wenn es zu Arbeitsplatzverlagerungen kommt, die häufig mit Entlassungen am heimischen
Standort verbunden sind. In diesem Fall ist es schwierig, bei
den Mitarbeitern Verständnis für das Vorhaben zu erzeugen.
Dieses Verständnis ist allerdings erforderlich, um den notwendigen Wissenstransfer zu realisieren. Abhilfe kann geschaffen
werden, indem den betreffenden Mitarbeitern eine langfristige
Perspektive, zum Beispiel ein neuer Arbeitsplatz bei dem
Dienstleister – insbesondere bei Onshore-Projekten – oder in
einem anderen Bereich des Unternehmens angeboten wird. Etwaige anfallende Kosten sollten unbedingt bei der Planung berücksichtigt werden.
Ein weiteres Risiko ist die Kommunikation zwischen Outsourcing-Geber und Service Provider. Bei internationalen Outsourcingvorhaben ist meist Englisch die vorherrschende Sprache.
Die Englischkenntnisse sind allerdings weltweit sehr unterschiedlich ausgeprägt. So ist im direkten Vergleich zwischen
den Offshoring-Ländern China und Indien festzustellen, dass
die Chinesen im Durchschnitt deutlich schlechter englisch sprechen. Um hier auf der sicheren Seite zu sein, sollten die Anforderungen an die Sprachkenntnisse der Mitarbeiter vorher klar
definiert werden. Nearshoring-Länder bieten den Vorteil, wegen
der geringeren Distanz mehr persönlichen Kontakt zwischen
den Mitarbeiten beider Unternehmen realisieren zu können.
Außerdem ist es häufig möglich, Deutsch als Geschäftssprache
zu etablieren.
Kulturelle Unterschiede beachten
Kulturelle Unterschiede bilden ein sehr großes Risikopotenzial,
das für Unternehmen ohne internationale Erfahrung besonders
schwer zu kalkulieren ist. Kulturelle Unterschiede sind meist
historisch gewachsen. Hinzu kommen religiöse und politische
Aspekte. Bereits innerhalb eines Landes können kulturelle Unterschiede erkennbar werden, so zum Beispiel zwischen Nordund Süditalien. Wichtig für eine erfolgreiche Zusammenarbeit
ist der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einige Kulturen - zum Beispiel Deutschland,
Japan und Finnland - ihren Geschäftspartnern tendenziell zunächst vertrauen, während andere zunächst misstrauisch sind.
Beispiele dafür sind China oder Korea. In diesem Fall muss eine
Vertrauensbasis erst aufgebaut werden. Unternehmen dieser
„Low-Trust Societies“ machen Geschäfte häufiger mit Geschäftspartnern, mit denen sie bereits Erfahrungen haben, auch wenn
der Preis höher oder die Qualität geringer ist als bei den Wettbewerbern.
Ähnlich verhält es sich mit den Mitarbeitern beider Unternehmen. Fast immer wird in Off- und Nearshoring-Projekten
eine intensive Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern nötig,
ó
3
Eignung eines Unternehmens für die Verlagerung von
internen Funktionen
Ausprägung
(Zahlenwert)
Organisatorische Dimension
1) Grad der Standardisierung
…%JF(FTDIjGUTQSP[FTTF"VGHBCFOCFTDISFJCVOHFO
und Schnittstellen im Unternehmen sind umfassend
dokumentiert.
…6OUFSOFINFOTQSP[FTTFTJOEOBDIJOUFSOBUJPOBMFO
Standards, wie beispielsweise CMM, ISO oder ITIL
gestaltet.
…%JFUBUTjDIMJDIF0SHBOJTBUJPOXFJDIUOJDIUWPOEFS
formal festgeschriebenen Organisation ab.
…*OGPSNFMMF4USVLUVSFOTJOEOVSVOXFTFOUMJDIJN6OUFSnehmen vorhanden.
…&TFYJTUJFSUFJOIPIFT.B‡BO5SBOTQBSFO[CF[HMJDI
der im Unternehmen verursachten Kosten.
2) Grad der Digitalisierung
… *OGPSNBUJPOFOTJOEJN6OUFSOFINFOCFSXJFHFOEJO
digitalisierter Form verfügbar.
… %JF,PNNVOJLBUJPOEFS.JUBSCFJUFSVOUFSFJOBOEFS
erfolgt zum Großteil in digitaler Form (E-Mail, Instant
Messaging, usw.).
… *,5JTUTUBSLJOEJF(FTDIjGUTQSP[FTTFFJOHFCVOEFO
… %VSDIEJFUFDIOJTDIF*OGSBTUSVLUVSLBOOHFHFCFOFOGBMMT
global auf die notwendigen Ressourcen zugegriffen
werden.
… *5JTUFJOHSP‡FS,PTUFOCMPDLJN#VEHFU
3) Grad der Internationalisierung
a) der Mitarbeiter
…%JF.JUBSCFJUFSCFTJU[FOVNGBOHSFJDIF4QSBDILFOOUnisse.
…&OHMJTDIJTUBMT6OUFSOFINFOTTQSBDIFFUBCMJFSU
…*N6OUFSOFINFOXJSECFSFJUTJOJOUFSOBUJPOBMFO
Teams gearbeitet.
b) des Unternehmens
…%BT6OUFSOFINFOJTUHMPCBMBVGHFTUFMMU
…&THJCU,PPQFSBUJPOFONJUBVTMjOEJTDIFO6OUFSOFImen.
…&TXVSEFCFSFJUT&SGBISVOHJN#FSFJDI0GGTIPSJOH
gesammelt.
4) Grad der Spezialisierung innerhalb des Unternehmens
… %JF"VGHBCFOJNHFTBNUCFUSJFCMJDIFO,POUFYUTJOELMBS
definiert und in überschaubare Aufgabenpakete geteilt.
… &TCFTUFIUEJF.zHMJDILFJUCFTUJNNUF5jUJHLFJUFO5FJMprozesse aus dem bestehenden System herauszulösen
und durch andere Aufgabenträger auszuführen.
…*N6OUFSOFINFOTJOE0OTIPSF0VUTPVSDJOH1SPKFLUF
geplant bzw. bereits durchgeführt worden.
… &THJCUFJOFFYQMJ[JUFPSHBOJTBUPSJTDIF;VPSEOVOHEFS
Zuständigkeiten für Kundengruppen, Sektoren oder
Produkte.
Wie ist der Grad der Ausprägung der folgenden Kriterien beim betrachteten Unternehmen?
sehr hoch = 4 | hoch = 3 | mittel = 2 | gering = 1 | sehr gering = 0
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BETRIEBSWIRTSCHAFT
die sich vorher nicht kannten. Um den Risiken gerade beim Offshoring vorzubeugen, muss der Governanceplan diese interkulturellen Kommunikationsschnittstellen besonders berücksichtigen. Empfehlenswert ist es, einen „Kultur-Coach“, der sich mit
den kulturellen Besonderheiten des Landes auskennt, zumindest in den ersten Monaten einzubinden.
Bei den langfristig wirkenden Risiken müssen zuerst die möglichen Kostensteigerungen betrachtet werden. Beispielsweise
ist in Indien davon auszugehen, dass die Personalkosten in Zukunft deutlich steigen werden. Die Ursache hierfür liegt in dem
fl Kulturelle Unterschiede bilden ein sehr großes
Risikopotenzial, das für Unternehmen ohne internationale Erfahrung besonders schwer zu kalkulieren ist.
verhältnismäßig geringem Angebot und der hohen Nachfrage
nach qualifizierten Arbeitskräften. Bereits heute gibt es in einigen Regionen und Branchen Indiens zahlreiche unbesetzte
Stellen. Gegen langfristige Kostensteigerungen kann sich ein
Unternehmen nur schwer schützen. Langfristige Lieferverträge
sind daher empfehlenswert.
Ein weiteres wesentliches Risiko ist ein möglicher Qualitätsverlust. Um diesen auszugleichen, sind höhere finanzielle Auf58 diebank 7.2012
wendungen notwendig, insbesondere für Schulungsmaßnahmen. Dieses Risiko kann leicht auf einen Service Provider übertragen werden, der durch seine Erfahrungen Maßnahmen zur
Qualitätssicherung durchführen kann.
Ein deutlich schwerer vorhersehbares Risiko sind Wechselkursschwankungen. So würde parallel bei einem Anstieg der
Indischen Rupie die Beschaffung aus Indien teurer werden. Dieses Risiko wird abgeschwächt, wenn die Absatzmärkte den Beschaffungsmärkten entsprechen, wodurch sich die Wirkung einer Kursveränderung teilweise ausgleicht, oder wenn die Transaktionen in Euro oder US-Dollar durchgeführt werden.
Eine weitere Gefahr besteht darin, bei der Verlagerung wichtige und kompetente Mitarbeiter zu verlieren. Am größten ist
diese Gefahr bei Off- und Nearshoring Projekten. Zudem besteht
die Gefahr, dass das Öffentlichkeitsbild des Unternehmens leidet. Dieses Risiko tritt vor allem bei Verlagerungsvorhaben ein,
die mit einem starken Arbeitsplatzabbau bzw. –umbau verbunden sind. Ein schlechtes Bild in der Öffentlichkeit kann eine geringere Nachfrage nach den Produkten eines Unternehmens
und eine Schwächung der Marke zur Folge haben.
Bei Onshoring-Projekten können Unternehmen sich durch
eine gute Vertragsgestaltung gegen einen Großteil der rechtlichen Risiken absichern. Bei Off- und Nearshoring-Auslagerungen ist dies nur bedingt möglich. Eine Pflicht zur Vertragserfüllung besteht zwar generell auch dort, allerdings ist es teilweise
schwierig, diese durchzusetzen. Durchschnittlich sind die Kos-
BETRIEBSWIRTSCHAFT
fl Im Fokus sollten neben Kostensenkungen auch
qualitative Aspekte stehen. Die Verlagerung eines
Geschäftsprozesses ist als Teil einer unternehmensweiten Sourcing-Strategie zu betrachten.
Als weitere rechtliche Risiken sind der Datenschutz und die
Datensicherheit zu nennen. Dies greift insbesondere, wenn sensible Unternehmens- oder Kundendaten an einen Dienstleister
weitergereicht werden müssen.
In ” 4. werden die aufgezeigten Risiken bewertet. Es kann festgestellt werden, dass das Risiko für die Bank signifikant sinkt,
wenn sie nicht direkt verlagert, sondern auf die Dienstleistungen
eines Service Providers zurückgreift. Eine besonders starke
Übertragung der Risiken findet beim indirekten Provider statt.
Handlungsempfehlungen für Banken
Eine Sourcing-Strategie sollte für eine Bank ganzheitlich entwickelt werden. Sie ist das Ergebnis einer Analyse der Kernkompetenzen. Diese stellen dabei die Teile der Wertschöpfungskette dar, bei denen die Bank einen Wettbewerbsvorteil hat. Diese
müssen weiter im Unternehmen erbracht werden. Alle Elemente, die nicht zu den Kernkompetenzen gehören, sind Kandidaten für eine Auslagerung. Parallel dazu erfolgt eine Analyse der Unternehmensprozesse nach den vorne genannten Kriterien. Als grobe Bewertung kann das Schema in ” 1 verwendet
werden.
4
Risikoübersicht und -bewertung
Risikogruppe
Risikobewertung
für die Bank beim
Risikobeschreibung
(1 = gering ..., 5 = hoch)
Captive
Offshoring
Joint
Venture
Direktes
Outsourcing
Indirekter
Provider
ten für die Vertragsdurchsetzung, in Indien viermal so hoch wie
in Deutschland, während sie in Tschechien auf gleichem Niveau
wie in Deutschland liegen.
Anders verhält es sich bei politischen Risiken. Diese sind
schwer zu kalkulieren, da sich die politische Situation beispielsweise durch Neuwahlen schnell ändern kann. Das politische
System vieler Entwicklungsländer, aber auch von Schwellenländern, ist deutlich instabiler als das der Industrieländer. Ein
Beispiel dafür ist die Verstaatlichung der Erdgasförderung in
Bolivien im Jahr 2006. Ähnlich kann es sich auch verhalten,
wenn Servicebereiche ins Ausland verlagert werden. Übernimmt eine Regierung die Kontrolle über alle ökonomischen
Aktivitäten in ihrem Land, wird es schwer möglich sein, die gewohnte hochwertige Dienstleistung sicherzustellen. Die beste
Möglichkeit, sich als Unternehmen dagegen abzusichern, ist die
vertragliche Bindung mit einem deutschen Unternehmen als
Service Provider (indirekter Provider). Wenn in diesem Fall politische Unwägbarkeiten auftreten sollten, gilt weiterhin der
Vertrag mit dem deutschen Unternehmen, welches das Risiko
in der Regel durch Mehraufwand auffangen muss.
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Risiken in der Implementierungsphase
Betriebswirtschaftliche Risiken
Mehraufwände bei der Überführung
Integration in Unternehmensprozesse
Finden und Halten personeller Ressourcen
Kommunikationsrisiken
Kundenunzufriedenheit
Kommunikation mit den Mitarbeitern
Kommunikation unter den Mitarbeitern
Kulturelle Risiken
Langffristige Risiken
Betriebswirtschaftliche Risiken
Langfristige Kostensteigerungen
Qualitätsverlust
Wechselkursschwankungen
Verlust kompetenter Mitarbeiter
Öffentlichkeitsbild
Rechtliche Risiken
Vertragsgestaltung
Politische Risiken
Datenschutz
Summe der Bewertungen
4
3
4
4
4
3
3
3
2
2
3
2
1
4
3
4
2
3
3
4
4
4
3
3
3
3
3
2
4
2
2
3
3
4
3
2
4
3
3
5
2
4
3
3
3
1
3
3
1 4 5 2
5 5 4 3
2 3 5 4
45 51 53 40
Die Banken können ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine
Konzentration auf die Kernkompetenzen steigern. Die immer
noch hohe Wertschöpfungstiefe vieler Finanzinstitute bietet dabei große Potenziale für Synergieeffekte. Im Fokus sollten neben Kostensenkungen auch qualitative Aspekte stehen. Die Verlagerung eines Geschäftsprozesses ist als Teil einer unternehmensweiten Sourcing-Strategie zu betrachten. Dabei ist es unbedingt notwendig, für jedes Verlagerungsvorhaben einen realistischen und damit ungeschönten Business Case zu erstellen,
um den Nutzen, die Einsparmöglichkeiten, die Risiken und mögliche Alternativen sachlich einschätzen zu können. Nur wenn
sich die Bank der Risiken bewusst ist, können entsprechende
Maßnahmen dagegen eingeleitet und das Vorhaben letztendlich
zum Erfolg geführt werden.
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Autor: Dr. Markus H. Dahm lehrt und forscht an der FOM Hochschule für
Oekonomie & Management, Hamburg, und ist Strategieberater im Inhouse
Consulting der IBM Deutschland GmbH.
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