250 Quadratmeter misst die Fassade des Kunstzentrums Pierre

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250 Quadratmeter misst die Fassade des Kunstzentrums Pierre
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Foto Rainer Sohlbank
250 Quadratmeter misst die Fassade
des Kunstzentrums Pierre Arnaud in
Lens bei Crans-Montana. Sie besteht
aus gläsernen Solarpanels.
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Die Glasfassade spiegelt See und Berge –
und liefert gleichzeitig Energie. Spiegeln
und stärken sollen auch die Ausstellungen
in der Fondation Pierre Arnaud in Lens.
Text: Monique
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erlen wachsen unsichtbar in den
Muscheln der Austern. Erst wenn
man die harte Schale au!richt,
kommen diese Wunderwerke der Natur zum Vorschein. Ein bisschen ähnlich
ist es mit dem Kunstzentrum der Fondation Pierre Arnaud in Lens. Von der
kurvigen Strasse aus, die von Sion nach
Crans-Montana führt, verdeckt ein
Dachgarten mit einer leichten Neigung
zur Strasse hin das aussergewöhnliche
Gebäude. Wer würde hier, im kleinen
Dorf Lens, ein Kunstmuseum von internationalem Ruf vermuten? Zu verdanken hat die 4000-Seelen-Gemeinde
das Museum dem Franzosen Pierre
Arnaud (1922–1996). Er wurde in Südfrankreich geboren, war während des
Zweiten Weltkriegs Kämpfer der Résistance und verbrachte einen grossen Teil
seines Lebens in Marokko, wo er sein
Geld mit dem Verkauf von Schiffen
machte. Als Bergsteiger entdeckte er
das Wallis und verliebte sich in die
Region. In Crans-Montana erwarb er
ein kleines Chalet, erwarb weitere Parzellen und baute für sich und seine
Familie ein Wohnhaus. In die Schweiz
übersiedelt, gelang ihm eine Erfolgsstory mit dem Fotolabo Club, einer
Firma, die er an Valora verkau#e.
Seine Tochter Sylvie und sein Schwiegersohn Daniel Salzmann waren es, die
2007 in seinem Namen eine Sti#ung
gründeten, die 2013 zum Kunstzentrum
Lens führte. «Mein Schwiegervater war
ein Mann von grosser Einfachheit, sehr
bescheiden, der ein Leben lang viel ge-
arbeitet hat. Er liebte die klassische Musik und liebte die Malerei: Für ihn waren
die Bilder, die er gesammelt hat, emotional wertvoll. Er liebte sie und fragte
nicht nach deren Wert.»
In der Sammlung, die von Sylvie und
Daniel Salzmann weitergeführt wurde,
befinden sich vor allem Bilder, die das
Wallis und die Schweiz, die Landscha#en
und Bewohner, in einer teilweise idealistischen Schönheit darstellen. Vertreten
sind neben eher unbekannten Malern
auch Künstler wie Cuno Amiet und Félix Vallo$on.
Mit der Sti#ung Pierre Arnaud und dem
Kunstzentrum strebt das Ehepaar Salzmann vor allem eines an. «Wir wollen mit
Hilfe der Kunst den Dialog zwischen den
Kulturen fördern», so Daniel Salzmann.
«Dieser Dialog soll zum Nachdenken anregen sowie das Lokale und Regionale in
Zusammenhang mit der Universalität der
Menschen stellen.» Das Wallis sei prädestiniert für diese Symbiose, so der studierte Arzt und heutige Geschä#smann
und Investor: «Das Wallis ist tief in seinen Traditionen verwurzelt, und gleichzeitig kommen seit dem Beginn des 20.
Jahrhunderts Gäste aus der ganzen
Welt hierher und haben zur Entwicklung
und zum Wallis, wie es heute ist, beigetragen.»
Auf zwei Ebenen und einer Fläche von
rund 1000 Quadratmetern kuratiert die
Sti#ung pro Jahr mehrere Ausstellungen. Bis im Oktober waren unter dem Titel «Weisser Mann – Schwarzer Mann»
Werke von weissen und schwarzen
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«Das Wallis ist
prädestiniert
für die Symbiose
zwischen
Tradition und
Wandel»
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1 Carl Gustav
Carus’ «Vision d’une
ville imaginaire»
ist eines der Ikonenbilder
der Ausstellung «Romantik».
2 Daniel Salzmann und seine Frau Sylvie
haben die Sti!ung gegründet.
www.fondationpierrearnaud.ch
Öffnungszeiten: Mi#woch
bis Sonntag,
10 bis 19 Uhr
Künstlern zu sehen. Ab dem 19. Dezember startet die Ausstellung «Romantik –
Melancholie der Steine», unter anderem
mit Werken von Alexandre Calame, Gustave Doré, Francisco Goya, Victor Hugo,
John Ruskin und Caspar Wolf.
«Heute reicht ein traditionelles touristisches Angebot nicht mehr», ist Daniel
Salzmann überzeugt. Man müsse den
Gästen Mehrwert bieten. Ein Kunstzentrum sei dafür ideal, «denn in den Ferien hat man Zeit, sich mit Kultur auseinanderzusetzen und eine Ausstellung
zu besuchen». Das Museum werde von
Gästen aus aller Welt besucht, den Einwohnern aus der Region, aber auch von
Kunstfreunden, die extra für eine Ausstellung anreisten. Die Sti!ung will aber
auch Kunstvermi"lung betreiben, für Erwachsene wie auch für Kinder, und bietet neben geführten Ausstellungsbesuchen zusätzlich Vorträge, Diskussionen,
Musik, Tanz und Performance an. «Wir
sehen unsere Rolle darin, Kultur weiterzugeben, zu vermi"eln, anzustecken.
Kultur soll uns motivieren, nachzudenken und – im besten Fall – bessere Menschen zu werden», so der Sti!ungsratspräsident.
Die Fondation Pierre Arnaud setzt aber
nicht nur kulturelle Akzente, sondern
hat auch architektonisch eine Meisterleistung vollbracht: Das Zentrum wurde
vom einheimischen Architekten JeanPierre Emery aus Beton, Holz und Glas
gebaut. «Das Gebäude ist stark in seinem Ausdruck und gleichzeitig diskret»,
beschreibt es Salzmann. Denn so un61
scheinbar es von hinten wirkt, so gewaltig ist es auf seiner südlichen Front: Eine
250 Quadratmeter grosse Fassade aus
Glas reflektiert bei jeder Wi"erung den
kleinen Lac du Louché, an dessen
Ufer es steht, und die imposante Bergwelt. Was wie normales Glas aussieht,
sind in Wirklichkeit Solarpanels, die das
Sonnenlicht in Energie umwandeln.
15 000 Kilowa"stunden Strom kommen
so pro Jahr zusammen. Die Fassade ist
auch Wärmeisolation und filtert das
Licht, damit die Kunstwerke geschützt
sind. Nachts können darauf zudem
Lichtspiele erzeugt werden. Einen eigenständigen Ruf hat sich das Museumsrestaurant Indigo mit seinen 14 GaultMillau-Punkten erworben. Mit einzigartiger Aussicht auf See und Berge bietet
es neben Snacks auch Mi"agsmenus
und abends eine exklusive Menukarte.
Die Weinkarte besteht ausschliesslich
aus Walliser Weinen.
Die Glasfassade, in der sich die Landscha! wie ein Gemälde spiegelt, hä"e
Pierre Arnaud sicher gefallen: Sie zeigt
«sein» Wallis, das er in langen Wanderungen erkundete. Doch nicht nur die
Landscha! ha"e es ihm angetan. «Er
liebte auch die einfache und direkte Art
der Walliser», erinnert sich Daniel Salzmann, der die herzliche und direkte Art
der Walliser ebenso schätzt. «Auch
wenn sie manchmal sehr direkt sind und
die Neigung haben, einen Konflikt in
Kauf zu nehmen, sta" zu verhandeln.
Aber nichts und niemand ist perfekt,
oder?», meint er schmunzelnd.