„Unsere Kindheit wurde uns gestohlen“ Ausstellung nicht in Achern

Transcrição

„Unsere Kindheit wurde uns gestohlen“ Ausstellung nicht in Achern
„Unsere Kindheit
wurde uns gestohlen“
Ausstellung nicht in Achern zu sehen?
60 geraubte Kinder aus Polen zur
Achern (slr). Es sind berührende
Zwangsgermanisierung
ein.
Nach
Schicksale, die Christoph Schwarz vom
Schätzungen von Christoph Schwarz
Freiburger Verein „Geraubte Kinder –
fielen dem Menschenraub zwischen
vergessene Opfer“ in einer Wanderaus50 000 und 200 000 Kinder zum Opfer.
stellung dokumentiert: Schicksale von
Sie wurden von der SS auf offener
Kindern aus Polen, Russland oder SloStraße aufgegriffen, ihren Eltern entwenien, die vermeintlich „arisch“ ausrissen oder aus Waisahen, deshalb ihren
senhäusern geholt.
Eltern von den Nazis
Zu ihnen gehörte
geraubt,
nach
nach den Recherchen
Deutschland
vervon Schwarz auch Boschleppt und dort in
gumila Rostocka. Das
Heimen zwangsgermaJugendamt im polninisiert wurden. Eines
schen Lodz etwa erdieser Heime war die
fasste ihren Namen,
Illenau in Achern, wo
bevor die „Abteilung
Christoph Schwarz die
Erb- und RassenpfleAusstellung gerne zeige“ eine „Grobauslegen würde. Doch die
se“ der polnischen
Stadt Achern winkt
Kinder vornahm. Kinab: Laut Oberbürgerder, die als „rassisch
meister Klaus Muttach
wertvoll“ galten, wurgibt es in der Illenau
den laut Schwarz dem
dafür keinen Platz.
SS-Lebensbornverein
Seit mehr als zehn
übergeben. Die andeJahren dokumentiert
ren die wegen ihres
Christoph Schwarz das
Aussehens als „JudenSchicksal der geraubverdächtig“
oder
ten Kinder, führt Inter„minderwertig“ eingeviews mit Überlebenden und dokumentiert ZYTA SUSE wollte sich nicht stuft wurden, ließ SSRasseprüfer
Herbert
deren Leidensweg. Zu- „eindeutschen“ lassen.
Grohmann ins Ghetto
dem setzt er sich für
in Lodz einweisen. Bogumila Rostock,
eine Entschädigung der Opfer durch
die nach Achern entführt wurde, erindie Bundesrepublik ein – wenn auch
nert sich nach Recherchen von Chrisbislang erfolglos. Auslöser für das Entoph Schwarz an die gewaltsame Trengagement des Lehrers war ein Pole, den
nung von den Eltern: „Am 2. August
er in seinem Heimatort Geislingen ken1942 riss in meiner Familie der Lebensnenlernte. Der alte Mann erzählte ihm
faden. In der Tür sah ich plötzlich einen
von einem Heim in Achern, in das die
Gendarmen und eine Nonne. Nach eigeraubten Kinder von den Nazis genem kurzen Gespräch mit meinem Vabracht wurden – die Illenau. Die 1843
ter nahm mich der Gendarm an einer
eingeweihte Heil- und Pflegeanstalt in
Hand und diese Nonne an der anderen
Achern bestand bis 1940. Dann fiel sie
und zogen mich zum Ausgang. Schon
dem Euthanasieprogramm der Nazis
als deutsches Kind mit geändertem
zum Opfer.
Vornamen und Nachnamen (Erna Rost)
In der Illenau, wo heute die Stadtverwar ich ganz alleine, eine Polin alleine
waltung Achern ihren Sitz hat, wurde
unter Deutschen. … mir wurde all das
auf Geheiß von Hinrich Himmler eine
beigebracht, was einem künftigen
SS-Heimschule gegründet. 1942 bis
deutschen Mädchen, das von Hitler
1943 sperrten die Nazis dort auch rund
IN DER ILLENAU war ab 1940 eine SS-Heimschule untergebracht, die auf Geheiß von Heinrich Himmler gegründet wurde. Dort waren
etwa 60 geraubte Kinder aus Polen eingesperrt und wurden körperlich und seelisch misshandelt.
Fotos: Archiv Schwarz
zum Gebären und Erziehen von künftigen Nazis vorgesehen war, notwendig
war.“ In der Illenau hieß Bogumila Rostocka laut Schwarz nur noch Erna Rost:
„Wenn sich die polnischen Kinder gegen die Eindeutschung in Achern wehrten, wurde ihnen mit der Einlieferung
ins KZ gedroht“, so der Freiburger
Lehrer.
Zyta Suse, die 1941 im Alter von sieben aufgrund ihres „arischen“ Äußeren
ebenfalls in Lodz von der SS in einem
Waisenhaus aufgegriffen wurde, erlebte den Aufzeichnungen von Schwarz
zufolge in Achern die Hölle auf Erden.
„Brutale körperliche Züchtigungen
und das Einsperren im Keller sowie Essensentzug musste Zyta Suse über sich
ergehen lassen, weil sie ein Hitlerplakat in der ,Reichsschule für Volksdeutsche’ in Achern abgerissen hatte.“ Wie
Zyta Suse, so leiden viele der Opfer bis
heute unter den traumatischen Erlebnissen: „Wir haben einen schrecklichen
Schock erlitten, der tiefe Narben bei
uns hinterlassen hat. Unsere Kindheit
wurde uns gestohlen. Man kann die bitteren Leiden nicht mehr gutmachen.“
Schicksale wie diese sind es, die
Christoph Schwarz mit der Ausstellung
„Geraubte Kinder – vergessene Opfer“
dokumentiert.
In Freiburg war die Wanderausstellung im Mai in einem Zelt auf dem
Platz der Alten Synagoge zu sehen. Viele Schulklassen und mehrere tausend
Besucher informierten sich über das
Thema. In Achern hat sich Christoph
Schwarz bisher Absagen geholt. In der
Illenau gebe es keinen Platz, erfuhr
Schwarz, obwohl dort ein ganzer Flügel
leer stehe. Dieses „brutale Kriegsverbrechen“ wolle die Stadt Achern offensichtlich verschweigen, mutmaßt er in
einer Pressemitteilung.
i
Internet
www.geraubte.de