Georg Kolbe in Istanbul 1917/18

Transcrição

Georg Kolbe in Istanbul 1917/18
Georg Kolbe
in Istanbul 1917/18
Georg Kolbe
in Istanbul 1917/18
Ursel Berger
Die Publikation erscheint aus Anlass der Ausstellung
GEORG KOLBE IN ISTANBUL 1917/18
Eine dokumentarische Ausstellung
27. 11. 2001 – 19. 2. 2012
Georg-Kolbe-Museum, Berlin
Konzeption und Text: Ursel Berger
Wissenschaftliche Mitarbeit: Juliane Kobelius
Kataloggestaltung: Steffen Wilbrandt
Druck: Flyeralarm
© Georg-Kolbe-Museum, Berlin
VG Bild-Kunst Bonn 2011 für die Werke Georg Kolbes
Frauken Grohs Collinson-Grohs Collection Trust,
Birmingham Alabama für die Fotografien
von Elma Grohs-Hansen
ISBN 978-3-9812935-5-5
Bildnachweis:
Georg-Kolbe-Museum Berlin:
S. 14, 15, 17, 18, 19, 23 re., 24, 26, 27 o., 30,
32, 33, 34, 35, 38, 42, 44, 54, 58, 63
Frauken Grohs Collinson-Grohs
Collection Trust, Birmingham Alabama.:
S. 3, 6, 7, 8, 9, 13, 16, 36, 37 re., 41, 47, 57, Rücktitell
Generalkonsulat Istanbul (Steffen Wilbrandt):
S. 10, 22 u., 23 o., 25 o.
Klausmeier/Pahl: S. 25 re., 39, 44
Steffen Wilbrandt, Berlin: Titelbild,
S. 5, 20, 21, 22 li., 25, 28, 29, 43, 51, 53
Politisches Archiv, Auswärtiges Amt: S. 40
Zentralarchiv; Staatliche Museen
Preußischer Kulturbesitz, Berlin: S. 12
Bundesarchiv/Militärarchiv Freiburg: S. 37 o.
Maria v. Tiesenhausen (Hrsg.) Georg Kolbe, Briefe
und Aufzeichnungen, Tübigen 1987: S. 49, 62
Abb. Titel: Detail vom Denkmal in Tarabya, 2011
Abb. Rücktitel: Georg Kolbe in seinem Atelier in Tarabya, 1918
Abb. rechts: Ariadne 1918, Terrakotta, Georg-Kolbe-Museum
Georg Kolbe
in Istanbul 1917/18
4
Im Festsaal der ehemaligen
deutschen Botschaft in Istanbul,
Reise des Freundeskreises
Georg-Kolbe-Museum, Mai 2011
Vorwort
Der fast zweijährige Aufenthalt Georg Kolbes in Istanbul
erscheint wie ein Fremdkörper im Lebenslauf des Künstlers.
Zwar war die Tatsache, dass Kolbe sich im Ersten Weltkrieg in
der Türkei aufhielt, durchaus bekannt gewesen, jedoch kannte man seine dortigen Lebensumstände kaum. Es gab nur
wenige Anhaltspunkte, mit denen man die Wissenslücken
schließen konnte. Zum Beispiel enthält die Kolbe-Briefedi­
tion von Maria Frfr. von Tiesenhausen kein einziges Schreiben des Künstlers aus Istanbul. Inzwischen kennt man immerhin einen Brief an seinen Bruder Rudolf Kolbe aus jener
Zeit.
Nicht nur das Fehlen von aufschlussreichen Dokumenten erschwerte die Erforschung der Jahre 1917/18 in Kolbes Leben,
sondern auch die Tatsache, dass sich sein dortiges Umfeld
vom übrigen Lebenslauf grundsätzlich unterschied. Kolbe
war einerseits Soldat, konnte sich andererseits aber frei
bewegen und verkehrte mit Diplomaten und Militärs. Nicht
nur sein Umgang, auch seine künstlerische Tätigkeit war
von den politischen Verhältnissen beeinflusst. All diese
Besonderheiten – zudem in einem fremden Land – machten
es (auch für die Autorin) nicht leicht, die Zusammenhänge
zu begreifen.
Verschiedene Quellenfunde haben die Sachlage inzwischen
entscheidend verändert, wenn auch immer noch Wissens­
lücken bleiben. Kolbes Tätigkeit in Istanbul spiegelt sich
in Dokumenten im Politischen Archiv des Auswärtigen
Amtes wider. Hier wird die Auseinandersetzung mit dem
Preußischen Kriegsministerium, dessen Originalakten zerstört sind, in der Korrespondenz zwischen der deutschen
Botschaft in Istanbul und dem Auswärtigen Amt referiert,
inklusive Abschriften von Briefwechseln mit dem Kriegsministerium und Protokollen von Sitzungen. Als wertvolle
Quelle für Kolbes Beziehungen zu Richard von Kühlmann,
der den Künstler nach Istanbul geholt hatte, erweist sich
5
der Nachlass von Fritz Wichert im Stadtarchiv Mannheim.
Der Mannheimer Museumsmann Wichert war im Ersten
Weltkrieg Sekretär Kühlmanns. Als Zeitzeugin konnte noch
Elma Grohs-Hansen befragt werden, die als junge angehende Künstlerin 1918 in Istanbul als Krankenschwester tätig
war und sich mehrfach mit Kolbe traf. Briefe, Fotografien,
eine Niederschrift ihrer Erinnerungen und die Korrespondenz mit der Autorin gaben wichtige Hinweise. Weitere
Quellen ließen sich im Nachlass von Alfred Dietrich finden,
der als Kolbes bevorzugter Steinmetz ebenfalls nach Istanbul versetzt worden war und dort das Denkmal in Tarabya
bei Istanbul ausführte. Zahlreiche weitere Quellen konnten
herangezogen werden, zuletzt noch ein wichtiger Brief in Sachen Kolbe im Zentralarchiv der Staatlichen Museen, Berlin.
Elma Hansen als Bildhauerin
Somit verbesserte sich die Grundlage zur Erforschung von
Kolbes Aufenthalt in Istanbul erheblich, andererseits sind
aber Unterlagen aus dem Kolbe-Nachlass, die in den 1970er
Jahren noch greifbar waren und auf Karteikarten im GeorgKolbe-Museum referiert sind, nicht mehr vorhanden. Da
sich etliche dieser Notizen als fehlerhaft erweisen, ist dieser
Verlust besonders bedauerlich, weil eine Nachprüfung nicht
möglich ist.
Recherchen von Esther Stenkamp zu den Grabmälern Kolbes
boten wichtige Anhaltspunkte für die Weiterarbeit. HansPeter Laqueur verdanke ich viele wertvolle Hinweise; gedankt
sei auch Klaus Kreiser, Manfred Bachmann, Axel Klausmeier
sowie dem Generalkonsulat in Istanbul. Ich danke außerdem Claus Dietrich, Frauken Grohs Collison sowie Hanni und
Kadir Evke.
Schwierig war es nicht nur, an Quellen heranzukommen,
sondern auch an Kunstwerke dieser Lebensphase von Georg
Kolbe. Vieles ist verschollen oder zerstört. Dies betrifft z. B.
alle Werke in der Sammlung von Kolbes Gönner Richard von
Kühlmann. Etliche Plastiken, die man nicht auffinden kann,
sind allerdings in Fotografien dokumentiert. Von manchen
anderen verschollenen Werken jedoch konnte bisher noch
nicht einmal eine Abbildung gefunden werden. Die gravierendste Lücke betrifft die Porträts der türkischen Politiker
Enver Pascha und Çemal Pascha; nur die Büste des dritten
jungtürkischen Machthabers, den Kolbe porträtierte, Talat
Pascha, ist fotografisch nachweisbar. Erfreulicherweise hat
sich das Bildnis der Gattin Envers, einer Sultansprinzessin, in
Istanbuler Privatbesitz erhalten. Es ist zu hoffen, dass weitere Werke und Quellen zum Vorschein kommen, angeregt
vielleicht durch die vorliegende Publikation.
Der Freundeskreis des Georg-Kolbe-Museums hat die Ausstellung und die Publikation unterstützt und außerdem
die Plastik Ariadne, die in Istanbul entstanden ist, für das
Georg-Kolbe-Museum erworben. Kolbes türkischer Aufenthalt war der Grund für eine Reise von Mitgliedern des Freundeskreises nach Istanbul im Frühsommer 2011. Die Teilnehmer waren gleichsam Zeugen der Recherchen vor Ort – im
ehemaligen Botschaftsgebäude ( jetzt Generalkonsulat)
wie auch im Park in Tarabya. Dort, wo jetzt ein Künstlerhaus
für Stipendiaten eingerichtet wurde, sind der teilweise von
Kolbe gestaltete Friedhof und das Gefallenen-Denkmal erhalten, aber auch ein kleines Gebäude im Park, Teehaus genannt, das Kolbe 1917/18 als Atelier nutze.
Ursel Berger
Nachricht Kolbes
für Elma Hansen, 1918
7
Georg Kolbe
in Istanbul 1917/18
9
Historische Ansichten
aus Istanbul. Fotografien
von Elma Hansen, 1918
Der Bildhauer Georg Kolbe (1877 – 1947), gebürtiger Sachse
und seit 1904 in Berlin beheimatet, verbrachte auch einige
Zeit seines Lebens im Ausland. Wie andere junge Künstler
zog es ihn nach Paris, wo er 1897/98 ein Semester an der
Académie Julian studierte. Anschließend zog er nach Italien;
über drei Jahre lebte er in Rom (1898­ – 1901). 1906 war er einer der ersten Stipendiaten der Villa Romana in Florenz. Waren diese Auslandsaufenthalte für deutsche Künstler jener
Generation keine Besonderheit, so erscheint es dagegen ungewöhnlich, dass ein deutscher Künstler in der Türkei tätig
war, wo sich Kolbe während des Ersten Weltkrieges fast zwei
Jahre lang aufhielt. Erst in den 1920er Jahren wurde die Türkei ein Ort, an dem deutsche Künstler arbeiteten; bedeutsam
wurde das Land als Exil während der NS-Zeit.1
Es war allerdings nicht Kolbes eigener Wunsch gewesen,
längere Zeit in Istanbul zu verbringen; dies war eine Folge
der Kriegszeit.
1
Burcu Dogramaci: Kulturtransfer und nationale Identität. Deutschsprachige
Architekten, Stadtplaner und Bildhauer in der Türkei nach 1927, Berlin 2008.
10
Historischer Blick auf den Istanbuler Stadtteil
Beyo­g̃lu mit der ehemaligen deutschen Botschaft,
in der Georg Kolbe sein Atelier hatte.
„Musenhof“ in Istanbul
Wie viele andere Künstler war Kolbe bei Kriegsausbruch von
der weitverbreiteten Euphorie erfasst worden. Er war kurze
Zeit freiwillig an der Ostfront als Fahrer eines Offiziers gewesen, des mit ihm befreundeten Kunsthistorikers Anton
Mayer. 1915 machte er eine Fliegerausbildung, wurde aber
entgegen seinen Hoffnungen nicht in der Luftwaffe eingesetzt. Als er 1917 dann doch regulär eingezogen werden sollte, war seine Begeisterung längst verflogen; nun versuchte
er, dem Kriegsdienst zu entgehen. Für seine Freistellung
setzte sich der mit Kolbe befreundete Diplomat Richard von
Kühlmann ein, dessen Initiative jedoch vergeblich war. An die
befreundete Schriftstellerin Annette Kolb schrieb Kolbe am
17. Januar 1917: „Kühlmanns Reklamation ist abgelehnt worden. Dafür hat man mich gestern noch einmal gemustert und
Infanterie kriegsverwendungsfähig geschrieben. Einziehung
in den nächsten Tagen. Der Stein ist ins Rollen gekommen,
aber er rollt in die entgegengesetzte Seite hinab. Hätte ich wenigstens Flieger bleiben können!“ 2 Wenig später rückte Kolbe
zur Ausbildung in die Kaserne in Achern, Südbaden, ein.
Der Einsatz an der Front wurde schließlich doch verhindert,
es kam zu einer anderen Lösung. Kühlmann, der damals
deutscher Botschafter in Istanbul war, versuchte dort schon
seit einiger Zeit, Künstler um sich zu scharen; er beantragte
die Versetzung des Soldaten Kolbe nach Istanbul. Der Inhalt
seines Schreibens, das nicht erhalten ist, lässt sich aus einem
Brief des preußischen Kriegsministers Hermann von Stein
an Wilhelm von Bode erschließen. Während die Akten des
Kriegsministeriums zerstört sind, blieb dieses private Schreiben vom 20. März 1917 im Nachlass des Generaldirektors der
Berliner Museen im Zentralarchiv erhalten.
2
Ursel Berger: Georg Kolbe – Leben und Werk. Mit dem Katalog der Kolbe‑Plastiken im
Georg‑Kolbe‑Museum, Berlin 1990; 2. Auflage Berlin 1994, S. 57. Der Brief befindet sich
im Annette-Kolb-Nachlass, Monacensia-Sammlung, Stadtbibliothek München; Transkription in: Maria von Tiesenhausen (Hrsg.): Georg Kolbe. Briefe und Aufzeichnungen,
Tübingen 1987, S. 88f.
11
12
Brief Hermann Stein an
Wilhelm von Bode, 1917, Zentralarchiv
der Staat­lichen Museen Berlin
„Eure Exzellenz!
Hier ist ein Gesuch eingegangen für den Bildhauer Georg
Kolbe. Er soll in Aussicht genommen sein für die Schaffung
des Denkmals der Gefallenen unserer Schiffe Goeben und
Breslau. Dazu müsste er nach der Türkei geschickt werden. Er
steht augenblicklich im Füs. Rgt. 40.“ Da Stein, wie er schreibt,
Kolbe nicht kennt, bittet er Bode „um ein Urtheil, da Kolbe
Euer Exzellenz jedenfalls bekannt ist.“ 3 Bodes Einschätzung
muss positiv ausgefallen sein, denn schon Mitte Mai traf
Kolbe in Istanbul ein. Dazu äußerte sich Kühlmann brieflich:
„Der Musen­hof ist noch nicht groß. Wir haben aber schon
den Bildhauer Kolbe eingefangen, der einen Soldatenfriedhof
schmückt und in seinen Mußestunden wahrscheinlich demnächst ein Porträt von mir anfangen will … Er ist ein sehr netter und frischer Mensch.“ 4
13
Georg Kolbe war in den Jahren zuvor zu einem der bekanntesten deutschen Bildhauer geworden. Seine Anerkennung war
schnell gewachsen, sodass er es sich leisten konnte, weitgehend nach eigenen Vorstellungen zu arbeiten, statt Auftragswerke auszuführen. Nun jedoch schlüpfte er in Istanbul gleichsam spielerisch in die Rolle eines „Hofbildhauers“. Eine seiner
ersten Arbeiten war das Bildnis des Botschafters. Kolbe porträtierte aber auch dessen Gattin und offensichtlich auch dessen
Geliebte. Er schmückte die „Residenz“ und plante weitere Kunstwerke, z. B. Brunnen für den Park in Tarabya bei Istanbul, was
sich aus hinterlassenen Zeichnungen erschließen lässt. Seine
Haupttätigkeit betraf jedoch, wie aus den zitierten Schreiben
von Stein und Kühlmann hervorgeht, ein Gefallenen-Denkmal
im Park von Tarabya und den Friedhof, auf dem dieses errichtet
werden sollte.
Nur eine kurze Zeitspanne war dem „Musenhof“ Richard von
Kühlmanns in Istanbul vergönnt: Am 7. August 1917 wurde der
Diplomat zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes (Außenminister) ernannt; schnell verließ er Istanbul in Richtung Berlin.
Das Vierteljahr von Kolbes Tätigkeit an Kühlmanns Seite war
durch den Tod von Marguerite von Kühlmann, der Gattin des
Botschafters, überschattet. Der Bildhauer hatte 1915 ein viel bewundertes Bildnis der jungen Frau geschaffen, das leider nicht
erhalten ist. Vermutlich stand die kunstsinnige und als Malerin
ausgebildete Marguerite von Kühlmann dem Bildhauer näher
als ihr Ehemann. Einen anderen Charakter als der besinnliche
und dennoch strahlende Porträtkopf besitzt ein unvollendetes
Halbfigurenbildnis, das Kolbe 1917 von ihr modellierte; es ist nur
durch eine Fotografie vom Tonmodell dokumentiert.5
3
4
5
Zentralarchiv Berlin, Nachlass Wilhelm von Bode.
Brief vom 17. 6. 1917 an den Kunsthistoriker Fritz Wichert, der damals als Kühlmanns
Sekretär fungierte; vorher und nachher war er an der Kunsthalle Mannheim tätig.
(Stadtarchiv Mannheim, Wichert-Nachlass).
Die Identifizierung des Bildnisses ist im Kolbe-Nachlass nicht belegt. Es zeigt große
Ähnlichkeit mit einem Porträtgemälde von Theo von Rysselberghe (Richard von Kühlmann [Hrsg.]: Marguerite von Kühlmann. Gedenkblätter aus ihrem Freundeskreis,
o. O. 1919, Abb.).
Georg Kolbe in Istanbul
14
Porträt Marguerite von Kühlmann,
1915, Bronze, nicht erhalten
Halbfigurenporträt
Marguerite von Kühlmann,
1917, Ton, nicht erhalten
Marguerite von Kühlmann war gesundheitlich seit langem
angeschlagen. Noch am 17. Juni 1917 hatte ihr Ehemann auf
Genesung gehofft: „Bei meiner Frau, die jetzt über fünfzig
Tage schweres Fieber hatte, scheint sich gottlob endgültige
Besserung anzukündigen.“ 6 Marguerite von Kühlmann starb
jedoch acht Tage später im Alter von 33 Jahren.
15
16
Die Schwiegermutter Anna von Kühlmann berichtete
der Schriftstellerin Annette Kolb, einer engen Freundin:
„Marguerite erlag nicht dem Typhus, sondern einer späteren
Lungenentzündung, die ihr geschwächtes Herz nicht mehr
überstehen konnte.“ 7
In Kolbes Atelier in Tarabya, 1918
mit Porträt Eva Dieckhoff,
Gips und Marmor, verschollen, und
Ariadne, 1918, Gips, Terrakotta­fassung
im Georg-Kolbe-Museum
Kolbe nahm keine Totenmaske ab, sondern fertigte am Tag
des Todes, dem 25. Juni 1917, eine Zeichnung. Als Faksimile
liegt sie der Gedenkpublikation bei, die der Witwer 1919 in
einer exklusiven Auflage von 100 Exemplaren herausgab.
Diese Gedenkblätter aus dem Freundeskreis enthalten Beiträge von Franz von Dülberg, Rainer Maria Rilke, Annette Kolb
und Rudolf Alexander Schröter sowie als Frontispiz eine Abbildung von Kolbes Porträtbüste.8
Das plastische Halbfigurenbildnis, von dem man nicht weiß,
ob es zu Lebzeiten begonnen worden war oder ein Erinnerungsbild sein sollte, wurde nicht vollendet. Vielleicht sollte
der Eindruck von Krankheit und Trauer nicht verewigt werden. Offensichtlich modellierte Kolbe später – möglicherweise ohne Auftrag – in der kleinen Sitzfigur eine Gedenkbild
für Marguerite von Kühlmann. Dies geht zumindest aus
den Erinnerungen der Zeitzeugin Elma Hansen hervor. Die
Ariadne benannte Figur sollte, nach Kolbes Angaben, die Persönlichkeit von Marguerite von Kühlmann ausdrücken.9 Auf
einem Foto, das Hansen 1918 in Kolbes Atelier im Park von
Tarabya machte, ist die Kleinplastik zu sehen.
6
7
8
9
Brief an Fritz Wichert, Stadtarchiv Mannheim.
Brief vom 12. 7. 1917 (Nachlass Annette Kolb, Monacensia-Sammlung,
Stadtbibliothek München).
Kühlmann 1919, wie Anm. 5.
Elma Grohs-Hansen: Mein Weg zur Kunst, Typoskript, o. D., Frauken Grohs
Collinson-Grohs Collection Trust, Teilkopie im Archiv des Georg-Kolbe-Museums.
Eine Publikation ist in der Vorbereitung.
Porträt Richard von Kühlmann,
1917, Bronze, Kunsthalle Mannheim,
Gips, Georg-Kolbe-Museum
17
Georg Kolbes Atelier im Teehaus im Park
von Tarabya, 1917 mit Porträt Richard
von Kühlmann, Halbfigurenporträt
Marguerite von Kühlmann
Im Sommer 1917 modellierte Kolbe das Bildnis von Richard
von Kühlmann. Schon als das Porträt seiner Frau entstanden
war wünschte sich diese, dass auch ihr Ehemann von Kolbe
dargestellt würde.10 Somit ist das Kühlmann-Porträt ein
Pendant der Büste seiner Frau. Das Gipsmodell, das auf einer
Atelieraufnahme aus Tarabya zu erkennen ist, sandte Kolbe
im November 1917 nach Berlin, um davon Bronzegüsse herstellen zu lassen. Inzwischen galt jedoch ein kriegsbedingtes
Verbot für den Bronzeguss, denn Kupfer, der Hauptbestandteil der Bronzelegierung, war kriegswichtig. Ausnahmen vom
Gussverbot gab es nur, wenn das Metall aus dem Ausland
beschafft werden konnte. Dem Diplomaten Kühlmann war
dies möglich. Mit einem enormen Aufwand – ca. 30 Schrei­
ben zur Metallbeschaffung sind erhalten! – wurde in den
Niederlanden Bronze besorgt. Ein Teil des Metalls musste
der „Kriegsmetall-Aktiengesellschaft“ abgegeben werden.
Die Berliner Bildgießerei Noack konnte schließlich 1918 zwei
Güsse des Bildnisses herstellen. Das Exemplar in der Sammlung des Dargestellten ist zerstört, die zweite Büste in der
Kunsthalle Mannheim blieb erhalten, ebenso wie das Gipsmodell im Nachlass des Künstlers.
Kolbe porträtierte Richard von Kühlmann kurz vor dem
Höhe­punkt von dessen Karriere. Etwas missgünstig beurteilte Harry Graf Kessler, den Kolbe zuvor ebenfalls porträtiert
hatte,11 das Kühlmann-Bildnis. Am 19. Juli 1918 notierte er in
seinem Tagebuch: „Ich sah zum ersten Male Kolbes Büste; sie
ist übertrieben jugendlich, giebt aber mit der schweren Stirn
seinen Charakter, die Plumpheit bei starker Intelligenz, gut
wieder.“ 12
Für Kühlmann führte Kolbe noch zwei weitere Plastiken
aus, die ebenfalls mit dem Bronzematerial aus Holland gegossen werden konnten und wie alle Kolbe-Werke in Kühlmanns Sammlung verloren sind. Es handelte sich um eine
kleine Version der Gruppe Frauenraub,13 von der das Modell
im Nachlass des Künstlers erhalten blieb und außerdem eine
Medaille, bezogen auf eine „Madame S.“.14 Der Name der
Dame ist vermutlich auf einer Karteikarte im Georg-KolbeMuseum verzeichnet: „Medaille Frau Siniossoglu“.15 Dabei
handelt es sich offensichtlich um eine Kühlmann nahe stehende Frau, deren griechisch-türkischer Name sie als Einheimische kennzeichnet.
Die Medaille ist nicht nachweisbar, auch Fotos existieren
nicht. Möglicherweise sind auf einem zeichnerischen Skizzenblatt (Z 230) zwei Alternativentwürfe für die Rückseite
zu erkennen: In rundem Format sind Ansichten von Istanbul
zu erahnen, die linke zeigt vermutlich den Blick von Kolbes
Arbeitsraum in der deutschen Botschaft (heute Generalkonsulat) in Richtung auf die Domabaçe-Moschee. Kühlmanns
Lebenswandel in Istanbul gab zu etlichen Gerüchten Anlass;
Harry Graf Kessler verzeichnet in seinem Tagebuch, Kühlmann „habe, während seine Frau im Sterben lag, eine Pascha
Wirtschaft in Constantinopel geführt.“ Es kam in dieser Sache
sogar zu einem Prozess.16
10 „Mein einziger Wunsch nun ist – dass sich Zeit, Gelegenheit mit Ihrem
Einverständnis vereinigen – und Sie auch meinen Mann einmal machen werden.“
Brief von Marguerite von Kühlmann an Georg Kolbe vom 30. 11. 1915
(Archiv Georg-Kolbe-Museum).
11 Berger 1990/94, wie Anm. 2, S. 234–236.
12 Harry Graf Kessler: Das Tagebuch, 6. Bd., Stuttgart 2006, S. 462.
13 Berger 1990/94, wie Anm. 2, S. 237f.
14 Brief von Kolbe an Kühlmann, 16. 11. 1917 (Stadtarchiv Mannheim, Wichert-Nachlass).
15 Die Quelle für diese Notiz ist unbekannt. Da die Datierung falsch ist (1916!), bleibt
dieser Hinweis ungeklärt.
16 Notizen vom 10. 2. u. 4. 7. 1918 (Kessler 2006, wie Anm. 12, S. 289, 437) und
vom 10. 2. 1926 (Harry Graf Kessler: Das Tagebuch, 8. Bd., Stuttgart 2009, S. 725f.).
Entwürfe für Reliefs, 1917,
Bleistift, Georg-Kolbe-Museum
19
20
Während seiner recht kurzen Zeit als Botschafter in Istanbul, 1916/17, forcierte Richard von Kühlmann die Renovierung
des spätklassizistischen Botschaftsgebäudes, vor allem der
Festsaal wurde umgestaltet.17 In den Abrechnungen über
die Instandsetzungsarbeiten am Gebäude der deutschen
Botschaft in Istanbul, werden für den 10. Juli 1917 Bildhauer­
arbeiten von Georg Kolbe angeführt.18 Der Betrag von
1800 Mark ist nicht gerade gering. Kolbes Beitrag zur Ausschmückung des Festsaales in der ehemaligen Botschaft
war eine Serie von acht Rundreliefs, die in Gips ausgeführt
sind. Sie scheinen auf Tondi nach Vorlagen von Bertel Thorvaldsen im Vestibül Bezug zu nehmen. Offensichtlich traten sie an die Stelle ursprünglich geplanter Rundbilder.19 Es
könnte sein, dass Kolbe anfangs Istanbul-Veduten für diesen
Ort schaffen sollte und die abgebildeten Kompositionsskizzen (Abb. S.17) nicht eine Medaille, sondern den Festsaal
schmücken sollten. Ausgeführt wurden allerdings Variationen von Kolbes Lieblingsgenre der vorangegangenen Jahre:
tänzerisch bewegte junge Frauen.
Vier unterschiedliche Variationen des Motivs erscheinen an
den beiden Längsseiten des Saals. Die Frauenfiguren sind mit
Drapierungen leicht verhüllt und halten flatternde Schleier,
was diesen Kompositionen einen jugendstiligen Charakter
verleiht. Dass es sich hier um Werke Georg Kolbes handelt,
war weitgehend vergessen; auch in Kolbes Nachlass gab
es keinen Hinweis darauf.20 Der Bildhauer distanzierte sich
später meist von seinen eher dekorativen Auftragswerken,
obwohl ihm solche Arbeiten der leichten Hand eigentlich
besonders lagen und gut gelangen.
21
Rundreliefs im Festsaal
der ehemaligen deutschen Botschaft,
Istanbul, 1917, Gips
Geplant war auch eine neue Ausgestaltung des Speise­
zimmers der Botschaft, zu deren Ausführung es jedoch nicht
kam.21 Hierfür könnte Kolbe Entwurfsskizzen geschaffen haben: Auf dem gleichen Blatt, das zwei runde Istanbul-Veduten aufweist sind auf der Vorder- und Rückseite orientalisch
wirkende Objekte skizziert, die Wand- oder Tischbrunnen,
17
18
19
20
21
Barbara Schwantes: Die Kaiserlich-deutsche Botschaft in Istanbul,
Frankfurt a. M. 1997, S. 159–160, 162–163.
Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131326.
Schwantes 1997, wie Anm. 17, S. 163.
Hinweis v. Ursula Silsberger an Hella Reelfs, 21. 9. 1983, der erst über 20 Jahre
später im Georg-Kolbe-Museum bekannt wurde. Auf Kolbes Arbeiten verwies
schon Schwantes 1997, wie Anm. 17, S. 164.
Schwantes 1997, wie Anm. 17, S. 162.
22
Aufgang zum zweiten Obergeschoss
der ehemaligen deutschen Botschaft,
Istanbul, 2011
vielleicht auch Tischdekorationen andeuten. Vergleichbare
Werke in solch manieristischer Raffinesse kennt man aus
Kolbes Gesamtschaffen nicht.
Kolbe stand also für verschiedenste Aufgaben bereit, dafür wurde ihm in der Botschaft ein großer Raum als Atelier
zur Verfügung gestellt. Elma Hansen, die sich im Krieg zum
Schwesterndienst gemeldet hatte und die Bildhauerin werden wollte, besuchte ihn dort: „Über weiße Marmortreppen
auf roten Läufern stieg ich hinauf, bis eine kleine Visitenkarte
an hoher Tür ›Prof. Georg Kolbe‹ mir anzeigte … Ich klopfte an.
Aus weitem Raum hallte ein frischer Schritt näher. Fast leer
war der Raum, als sich die Tür öffnete und in freundlichem Ton
trafen mich seine Begrüßungsworte. ›Ich freue mich.‹ … – Wir
traten an die großen Fenster und er ließ mich den einzigartigen Ausblick auf den Bosporus, Kleinasien und Konstantinopel
genießen.“ 22
Grundriss vom zweiten Obergeschoss
der ehemaligen deutschen Botschaft, Istanbul, 1918
Historische Aufnahme
der ehemaligen deutschen Botschaft
in Istanbul, um 1900
Das Atelier muss im zweiten Obergeschoss des Botschaftsgebäudes gelegen haben, in das man noch heute über Marmorstufen und einen roten Läufer hinaufsteigt. Die Angaben
Hansens lassen sich nur so verstehen, dass Kolbe den großen
quadratischen Raum in der Mitte der Raumfolge zum Bosporus hin nutzen konnte, den man – vom Treppenhaus kommend, sich nach rechts wendend – erreichte.
Seine Fenstergruppe bildet den Mittelakzent in diesem
Stockwerk. Durch einen damals angebauten Balkon wurde
er zudem aufgewertet.23 Wenn Kolbe tatsächlich diesen repräsentativen Raum als Atelier nutzen konnte – in einer Zeit
als es Platzmangel in der Botschaft gab24 – wird deutlich, wie
sehr man ihn in der Botschaft schätzte.
Ein Grundriss des zweiten Obergeschosses, der 1918 datiert
ist, macht deutlich, dass sich unmittelbar neben dem „Atelier“ die Wohnung des „Militär- und Marineattachés“ anschloss.25 Die Position des Militärattachés bekleidete damals
Otto von Lossow; er war der militärische Vorgesetzte des
Soldaten Kolbe. In ihm fand der Bildhauer einen entschiedenen Förderer, der sich erfolgreich für den Friedhof und das
Denkmal in Tarabya einsetzte. „Meinen General“ nannte ihn
Kolbe 1918 und ergänzte: „Er ist äußerst gut zu mir, bin sonst
hier täglich mit ihm zusammen bei Tisch etc.“ 26
22 Grohs-Hansen, wie Anm. 9. Die Visitenkarte muss ganz neu gewesen sein, denn
Kolbe war erst im Juli 1918 zum Professor ehrenhalber ernannt worden. Dabei könnte
es sich um eine Unterstützungsaktion des Kultusministeriums gehandelt haben,
um Kolbes Position gegenüber dem Kriegsministerium zu stärken (s. u.).
23 Schwantes 1997, wie Anm. 17, S. 160.
24 Vgl. Brief von Botschafter Bernstorff v. 4. 12. 1917, Polit. Archiv Ausw. Amt,
Berlin, R 131326.
25 Während der „Militärbevollmächtigte“ – Lossow – „nebst seinen umfassenden
Bureauräumen“ dort schon angesiedelt war, verlangte Ende 1917 auch
der „Marineattaché“ Räume (ebd.).
26 Brief vom 19. 2. 1918 an den Bruder Rudolf Kolbe, Privatbesitz,
Transskription Maria Frfr. v. Tiesenhausen.
23
Entwürfe für Tischbrunnen (?),
1917, Bleistift, Georg-Kolbe-Museum
Kolbe modellierte das Bildnis des Generals; nach Kriegsende
wurde es in Berlin in Bronze gegossen und vom Dargestellten als „eine Erinnerung an die gemeinsame Zeit in Konstantinopel“ willkommen geheißen.27 Das Bildnis ist verschollen,
nachweisbar ist lediglich ein Foto des Gipsmodells.
Der einfache Gefreite Kolbe erfuhr offensichtlich in der Botschaft eine Vorzugsbehandlung. So konnte er z. B. ausgiebig
das Telefon benutzen; täglich soll er seine Gattin angerufen
haben.28 Kolbe selbst wohnte allerdings nicht in der Botschaft, aber auch nicht in einer militärischen Unterkunft,
sondern privat im Stadtteil Pera (Beyog̃lu). Das Haus bewachte ein türkischer Türsteher, der auch schon mal als Koch
fungierte. Das Wohnzimmer, in dem Kolbe lebte, war „ganz
türkisch“ eingerichtet.29
Porträt General Otto von Lossow,
1917, Gips für Bronze, verschollen
27 Lossow bedankte sich brieflich: „Ich bin hoch entzückt.“
(Schreiben vom 2. 7. 1919, Archiv Georg-Kolbe-Museum).
Lossow wurde später vor allem durch seine Rolle beim „Hitlerputsch“ bekannt.
1923 schmiedete er als bayerischer Landeskommandant selbst Putschpläne; schloss
sich entgegen der Hoffnungen Hitlers jedoch dessen Putsch nicht an, sondern war
für die Niederschlagung mitverantwortlich.
28 Wie Anm. 9. Als gegen Ende des Krieges die Telefonverbindungen gestört waren
und Benjamine Kolbe über Monate kein Lebenszeichen ihres Mannes erhielt,
soll sie in Depressionen verfallen sein (Pieter van de Meer de Walcheren:
Menschen en God, 1, Utrecht 1940, S. 313).
29 Wie Anm. 9.
In Tarabya
Historischer Blick auf
die Sommerresidenz der
deutschen Botschaft in Tarabya,
um 1900
Es war offensichtlich angedacht, dass der „Hofbildhauer“
neben dem Botschaftspalais auch den Park schmücken sollte und zwar nicht den Garten bei der Botschaft, sondern das
weitläufige Gelände der Sommerresidenz in Tarabya, einem
ca. 11 km außerhalb des Zentrums von Istanbul gelegenen
Ausflugsort am Bosporus, der damals noch griechisch Therapia bezeichnet wurde, was darauf hinweist, dass ein dortiger
Aufenthalt gesundheitsfördernd war: eine Therapie.
In Tarabya, wo sich schon Sommerresidenzen einiger europäischer Länder befanden, erhielt das Deutsche Reich 1880
als Schenkung von Sultan Abdulhamid II. ein weitläufiges
Gartengelände mit einigen Bauten als Geschenk. Um 1890
wurden mehrere Häuser in der landesüblichen Holzbau­
weise für die deutsche Sommerresidenz errichtet.30
30 Martin Bachmann: Tarabya. Geschichte und Entwicklung der historischen Sommer­
residenz des deutschen Botschafters am Bosporus, Istanbul 2003.
Teehaus im Park von Tarabya,
1917/18 von Georg Kolbe als Atelier
genutzt, 2011
25
26
Auch hier wurde Georg Kolbe ein Atelierraum zur Verfügung gestellt. Er arbeitete im sogenannten Teehaus, einem
kleinen Pavillon mit großen Fenstern, der erhalten ist. Die
angehende Künstlerin Elma Hansen machte auch hier einen Besuch: „Wir gingen zurück bis in die Nähe des Sommerhauses der deutschen Botschaft. Inmitten blühender Büsche
stand dort ein eigenartiger kleiner Bau, der dem Künstler als
Atelier zur Verfügung gestellt worden war. Es war nur wenig
freier Raum vorhanden, aber für Kleinplastik und Porträts und
für Ideenskizzen genügte es vollkommen.“ 31 In der Tat, Kleinplastik, Porträts und Ideenskizzen hat Kolbe in Istanbul oder
Tarabya geschaffen.
Zwei kleine Fotografien, eine von Elma Hansen und eine
zweite aus dem Kolbe-Nachlass (Abb. S. 16 und 18), geben –
leider nur undeutlich – das Innere des Ateliers wieder. Immerhin lässt sich auf der zweiten Aufnahme an der Wand
eine Zeichnung erkennen. Anhand des erahnbaren Motivs
konnte herausgefunden werden, dass genau diese Zeichnung im Georg-Kolbe-Museum erhalten ist: Auf der Rückseite sind noch die Klebestreifen erkennbar, mit denen das Blatt
an der Wand befestigt war! Die Zeichnung (Z 198) zeigt einen
Entwurf für eine Brunnenfigur – ein sitzender Jüngling – innerhalb einer Rundbogennische.
Brunnen in einer Nische,
1917, Bleistift,
Georg-Kolbe-Museum
27
Drei Frauen, Skulptur für eine Nische,
1917, Tusche, Deckweiß, Pinsel und Feder,
Georg-Kolbe-Museum
Im Zeichnungsbestand des Georg-Kolbe-Museums gibt es
ein zweites Blatt gleichen Formats (Z 199) und ebenfalls mit
Klebestreifen-Resten auf der Rückseite; auch hier ist eine
Brunnenfigur in einer Rundbogennische dargestellt.
Diese beiden Zeichnungen sind mit Sicherheit in der Türkei
entstanden; sie waren deshalb im Atelier in Tarabya aufgehängt, weil sie mit diesem Ort etwas zu tun hatten. Auf dem
Parkgelände sind nämlich vergleichbare Rundbogennischen
erhalten, Relikte aus früherer Zeit, als sich dort eine osmanische Gartenanlage mit ausgeklügelter Wasserzirkulation
und mehreren Brunnen befand.32 Offensichtlich dachte man
1917 daran, die Wasserläufe zu aktivieren und auszuschmücken.
31 Ebd. S. 11; Axel Klausmeier, Andreas Pahl: Zur Geschichte des Parks des ehemaligen
Sommersitzes der deutschen Botschaft in Tarabya am Bosporus, in: Die Gartenkunst,
19. Jg., H. 1, (Worms) 2007, S. 109–126.
32 Ebd.
Nische im Park von Tarabya, 2005
28
Drei Frauen,
Skulptur für einen Brunnen im Park,
Kreide, Tusche, Feder und Pinsel,
Georg-Kolbe-Museum
Drei weitere Zeichnungen hängen höchstwahrscheinlich
mit dem gleichen Projekt zusammen. Ein Tuscheblatt zeigt
eine Gruppe von drei Frauen, die anscheinend ebenfalls für
eine Aufstellung in einer Nische vorgesehen ist (Z 182).
Das gleiche Motiv spielte Kolbe noch für zwei andere
Standorte durch. Die malerisch ausgestalteten Entwürfe
zeigen die Gruppe in einem Parkambiente, einmal zwischen
Bäumen stehend (Z 184), einmal entströmt dem Unterbau
ein breiter Wasserschwall, der in einem großen Brunnen­
becken aufgefangen wird (Z 183).
Drei Frauen,
Skulptur für einen Park, 1917,
Kreide, Tusche, Feder und Pinsel,
Georg-Kolbe-Museum
Diese Entwürfe konnte man früher nicht zuordnen. Die
angedeuteten Landschaftsausschnitte lassen sich fraglos
mit dem Charakter des Parks in Tarabya verbinden. Dass die
Planung relativ konkret war, belegt außerdem die Tatsache,
dass Kolbe die Dreiergruppe auch plastisch ausführte.33
33 Bei einer späteren Fotobeschriftung datierte er die Gruppe allerdings auf 1910,
was stilistisch jedoch nicht überzeugt.
29
30
Zur Realisierung eines Kolbe-Brunnens in Tarabya scheint es
aber nicht gekommen zu sein. Nach der Abreise Kühlmanns im
August 1917 dürfte es für solche anspruchsvollen Konzepte –
mitten im Krieg – keine Unterstützung mehr gegeben haben.
Bedauerlicherweise blieb das charmante Modell der Dreiergruppe nicht erhalten.
Im Tarabya-Atelier sind vermutlich auch einige weitere Kleinplastiken geschaffen worden. Eine, der Torso Therapia trägt den
Entstehungsort sogar in seinem Titel. Die Plastiken, die Kolbe
1917 oder 1918 datierte, müssen während seines Türkei-Aufenthaltes modelliert worden sein; eine Ausführung in Bronze,
Stucco oder Terrakotta wurde dann erst nach Kolbes Rückkehr
nach Deutschland, Anfang 1919, in Angriff genommen. Einige
Plastiken wurden von Kunsthändlern in einer festgelegten Auflage ediert. Zu den in der Türkei entstandenen Kleinplastiken
gehört eine der beliebtesten Erfindungen Kolbes, die Kauernde,
auch Kauernde 1917 oder Kauernde Möller genannt, weil der Galerist Ferdinand Möller, Berlin-Potsdam, diese in einer Auflage
von 15 Exemplaren herausgab.34
Eine Statuette mit erhobenen Armen wurde von der Dresdener Galerie Arnold herausgegeben. Schon erwähnt wurden
die Kleinplastiken Ariadne und Torso Therapia, die später nicht
in Bronze, sondern in Stucco oder Terrakotta herausgegeben
wurden und zwar wieder von der Dresdener Galerie Arnold. Der
Torso Therapia und eine verwandte etwas größere Gipsfigur
sind mit großer Wahrscheinlichkeit nicht freie Schöpfungen,
sondern entstanden im Zusammenhang mit der Konzeption
des Gefallenen-Denkmals in Tarabya.
Die in Istanbul entstandenen Kleinplastiken sind besonders
qualitätvoll. Sie erinnern noch den Charme der Plastiken der
Vorkriegszeit, verweisen aber auch schon auf die stilisierteren,
expressionistischen Plastiken um 1920.
34 Es gab jedoch später noch weitere Güsse (Berger 1990/94, wie Anm. 2, Nr. 31).
Drei Frauen, Gips,
nicht erhalten
31
32
Statuette I,
1917, Bronze, Privatbesitz
Kauernde,
33
Bronze, 1917,
Georg-Kolbe-Museum
34
Stehende Therapia,
1917, Gips, Privatbesitz
Torso Therapia,
1917, Stucco, Privatbesitz
Die vorangegangenen Ausführungen sollten nicht vergessen lassen, dass Kolbe nicht in die Türkei gesandt worden
war, um dort unter angenehmen Bedingungen nach eigenen Vorstellungen künstlerisch zu arbeiten. Im Gegenteil: Er
hatte einen ganz bestimmten Auftrag zu erfüllen, die Schaffung eines Krieger-Denkmals. Nur deshalb war seine Ausbildung als Soldat unterbrochen worden, nur deshalb wurde
er – vorerst – nicht an die Front geschickt. Als Standort des
Monuments war der Soldatenfriedhof am Rande des Parks
von Tarabya vorgesehen. Dieser Park lud also einerseits zum
Lustwandeln ein – und Kolbe wollte ihn durch Brunnen noch
verschönern – andererseits wurden dort gefallene Soldaten
bestattet. Das Nebeneinander so unterschiedlicher Nutzungen blieb nicht ohne Konflikt.
35
Der Friedhof in Tarabya
35
36
Matrosen der deutschen
Kriegsschiffe Breslau und Goeben
mit Elma Hansen in Tarabya, 1918
Im August 1915 war auf Initiative des späteren Marine­
attachés, Korvetten-Kapitän Hans Humann, einem Sohn von
Carl Humann, dem berühmten Ausgräber von Pergamon,
eine Kommission gebildet worden, „die den Ausbau und die
Verwaltung des Ehrenfriedhofs in Therapia einheitlich leiten
und über alle einschlägigen Fragen bindende Entschlüsse fassen sollte. Wie aus den Akten … ersichtlich, hat Seine Majestät
der Kaiser damals persönlich die Anlage der Begräbnisstätte im Botschaftspark von Therapia genehmigt.“ 36 In der Tat
hatte Kaiser Wilhelm II. durch eine persönliche Spende von
3000 Mark gleichsam die Initialzündung für die Einrichtung
dieses Friedhofs gegeben.
Der Friedhof befindet sich im südlichen Bereich des Botschaftsparkes auf stark ansteigendem Gelände, deshalb
waren Stützmauern notwendig, die die Kosten in die Höhe
trieben. Am 25. August 1917 wandte sich Humann deshalb
mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an das Preußische Kriegsministerium.37 Von dort kam die Rückfrage, welche Summe notwendig sei. Es wurde außerdem die Übersendung „von Entwürfen und Lichtbildern der fertigen und
der geplanten Anlagen erbeten“. Am Ende des Schreibens
steht die Frage: „Trifft die Annahme zu, dass die künstlerische
Leitung in den Händen des Bildhauers Kolbe liegt?“ 38 Als vier
Wochen später der Kriegsminister Hermann von Stein im
Gefolge von Kaiser Wilhelm II. Istanbul und auch Tarabya besuchte, muss er besonders auf das Friedhofsprojekt geachtet
haben, aber auch auf den Bildhauer Kolbe, dessen Tätigkeit
in Istanbul er ja persönlich genehmigt hatte. Stein war ebenfalls dabei, als Wilhelm II. am (interimistischen) Grab von
Feldmarschall von der Goltz, außerhalb des jetzigen Friedhofgeländes, einen Kranz niederlegte.39
Der Kaiser und der Kriegsminister müssen bei diesem Besuch auch in das Atelier von Georg Kolbe gekommen sein,
wo beiden der Entwurf von Kolbes Denkmal missfallen
haben muss (s. u.). Auch mit dem im Aufbau befindlichen
Friedhof konnte sich der Kriegsminister, wie sich bald zeigen
würde, nicht anfreunden.
Hans Humann beantwortete einige Wochen nach dem Kaiserbesuch den Brief des Kriegsministeriums, anscheinend
ohne Kenntnis von dessen negativer Einstellung. Die fehlenden Mittel bezifferte er mit der hohen Summe von 70.000
Mark und er übersandte die „angeforderten Pläne:
a) Gesamtübersicht (Zeichnung)
b) Grundriss
c) Lichtbild des vom Bildhauer Georg Kolbe geschaffenen
Modells für ein Schmuckrelief
d) Entwurf für die Aufstellung des Reliefs (Zeichnung).“
35
36
37
38
39
Hans-Peter Laqueur: Der deutsche Ehrenfriedhof in Tarabya am Bosporus,
in: ewig. Forum für Gedenkkultur, 2008, Nr. 5, S. 36–37.
Brief des Militärbevollmächtigten Otto von Lossow , 6. 4. 1918,
Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Abschrift ebd.
Brief v. 16. 9. 1918, Abschrift, ebd.
Fotografie Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, s. auch Klaus Wolf: Gallipoli 1915.
Das deutsch-türkische Militärbündnis im Ersten Weltkrieg, Sulzbach Ts., Bonn 2008,
Abb. S. 212; Stein ist die 2. Person hinter dem Kaiser.
Kaiser Wilhelm II. legt
einen Kranz am interimistischen
Grabmal von Feldmarschall Colmar
von der Goltz nieder, Tarabya 1917
Blick vom Park in Tarabya
auf den Bosporus, 1918
37
38
Diese Zeichnungen muss Georg Kolbe ausgeführt haben,
denn Humann erläuterte im gleichen Brief: „Die künstlerische und bautechnische Leitung des Friedhofs befindet sich
jetzt in Händen des Bildhauers Georg Kolbe. Er ist in seiner
Eigenschaft als Füsilier d. Ldst. zum Deutschen Militärbevollmächtigten bei der Kaiserlichen Botschaft kommandiert.“ 40
Humann bemühte sich, die Bedeutung des Friedhofs als
„Sinnbild der deutschen Politik des Weltkrieges“ herauszustreichen. „Auch die Tatsache, dass dort die beiden Vorkämpfer der deutschen Orientpolitik, Generalfeldmarschall von der
Goltz und Botschafter Freiherr von Wangenheim eine Ruhestätte gefunden haben, trägt zu dieser Auffassung bei.“ 41
Die Bitte um Unterstützung durch das Kriegsministerium stieß auf vehemente Ablehnung. Dass auf dem Friedhof
sowohl gefallene Soldaten als auch Zivilisten beigesetzt
wurden, widerstrebte z. B. dem „militärischen Gefühl“ Steins.
Erst nach zahlreichen Debatten deutete sich nach einem
Dreivierteljahr an, dass der Kriegsminister bereit sei, „zu den
Kosten des eigentlichen Friedhofs einen Beitrag zu zahlen.“ 42
Der Steinmetz Alfred Dietrich
[2. von links] und seine soldatischen
Hilfskräfte, vor dem Teehaus
im Park von Tarabya, 1918
Es wurde schließlich ein erheblicher Beitrag zugesagt, nämlich genau die Summe, die Humann im Jahr zuvor beantragt
hatte. Dazu wurde mitgeteilt: „Das Kriegsministerium ist
auf Grund der Besprechung mit Herrn General von Lossow zu
Berlin am 26. 6. 1918 unter der Voraussetzung, daß die Kosten
für das Relief aus Sammlungen gedeckt werden, bereit, einen
Zuschuß bis zur Höhe von 70.000 M zu den Kosten des Ehrenfriedhofs Therapia zu geben.“ 43 Der Friedhof war gerettet,
doch das Denkmals-Relief durfte nur aus Spendengeldern
finanziert werden.
Die Arbeiten auf dem Friedhof wurden von Soldaten unterstützt. Am 19. Februar 1918 schrieb der Bildhauer an seinen
Bruder Rudolf Kolbe: „Es fehlt auch hier an Material und Arbeitskräften. Habe ein kleines Matrosenkommando für meinen Friedhof.“44 Im August 1918 wartete man jedoch noch
auf „Armierungssoldaten“. 45 Beim erzwungegen Abzug der
Deutschen aus derTtürkei Ende 1918 war der Friedhof noch
nicht vollendet.
Aus den Quellen geht klar hervor, dass mit der Anlage des
Friedhofs im Tarabya-Park schon vor Kolbes Eintreffen in
Istanbul im Mai 1917 begonnen worden war. Der ursprüng­
liche Plan kann also nicht von ihm stammen. 46 Stützmauern
waren bereits errichtet und von den vorgesehenen 180 Grabstätten waren anscheinend schon 101 belegt. 47
40
41
42
43
44
45
46
Brief vom 3. 11. 1917, Abschrift, Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Ebd.
Ebd.
Bericht v. 19. 7. 1918, Abschrift, ebd.
Wie Anm. 26.
Bekanntmachung der Militärmission vom 23. 8. 1918,
Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
S. dagegen Bachmann 2003, wie Anm. 30, S. 70; Klausmeier/Pahl, 2007,
wie Anm. 31, S. 118; Marin Bachmann: Epochenwandel am Bosporus. Die bauliche
Entwicklung auf dem Gelände der Sommerresidenz in Tarabya, in: Matthias von
Kummer (Hrsg.): Deutsche Präsenz am Bosporus. 130 Jahre Kaiserliches Botschafts­
palais – 120 Jahre historische Sommerresidenz des deutschen Botschafters in Tarabya,
Istanbul 2009, S. 117–135, hier S. 131; Wolf 2008, wie Anm. 39, S. 212f.
47 Brief Humanns vom 25. 8. 1917, Abschrift, Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Die oberste Terrasse
des Friedhofs Tarabya, 2005
39
40
Wie die ursprüngliche Planung aussah, lässt sich nur vermuten. Vor Kolbes Eintreffen waren zumindest schon die seitlichen Grabreihen der beiden untersten Terrassen angelegt
gewesen. Zuletzt hatte man mit der Belegung der verbindenden vorderen Grabreihe – hinter der Stützmauer, in die
später das Denkmal integriert wurde – begonnen. 48
Offensichtlich war Kolbe aber für eine Änderung der
Planung verantwortlich, die zu einer Konzentration des
Friedhofsprojektes führte. Dieses neue Konzept war wohl in
Plan des Friedhofs
im Park von Tarabya,
Politisches Archiv
des Auswärtigen Amtes
der gezeichneten Gesamtübersicht und dem Grundriss festgehalten, die im November 1917 nach Berlin gesandt worden
waren. Da die Akten des Kriegsministeriums nicht erhalten
sind, sind diese zeichnerischen Darstellungen verloren und
die Vorstellungen Kolbes nicht im Einzelnen bekannt.
Vor Kolbes Ankunft in Istanbul waren drei prominente Grabmäler außerhalb des jetzigen Friedhofsgeländes nahe beim
Moltke-Denkmal oberhalb des Friedhofs angelegt worden.
Hier waren anfangs Generalfeldmarschall Colmar Freiherr
von der Goltz (1843 – 1916), der ehemalige Botschafter Hans
Freiherr Wangenheim (1859 – 1915) und der bei einem Unfall
verstorbene Militärattaché Erich Heinrich August von Leipzig (1860 – 1915) bestattet worden. Diese Gräber waren offensichtlich nicht als provisorisch gedacht gewesen, zumindest
erwähnen Zeitzeugen dies nicht. Ihre Verlegung in das Innere des Friedhofs war somit wohl Teil der Neuplanung Kolbes.
Zur Umkonzipierung des Friedhofs trug sicherlich bei, dass
nicht nur der Kriegsminister mit den Planungen unzufrieden
war, sondern auch der neue Botschafter, Johann Graf Bernstorff. Er beklagte, dass „die schreckliche Humannsche Gründung des Ehrenfriedhofs in Therapia“ ihm den Beginn seiner
Tätigkeit „gründlich verdorben habe“. Sein Fazit war: „Man
kann doch nicht den ganzen Park mit Gräbern ausfüllen.“49
Somit wird der Botschafter die Umbettung der Prominenten befürwortet haben. Im Ensemble erhielten sie weiterhin
bevorzugte Plätze: Wangenheim und Leipzig nebeneinander
in einer Reihe und auf der Gegenseite, gänzlich isoliert, die
Grabstätte des Generalfeldmarschalls.
48 Dies ergibt sich aus dem Vergleich der Gräberlisten, publiziert von Wolf 2008,
wie Anm. 39, S. 223–227, und einem der Friedhofsplan im Polit. Archiv, Ausw. Amt,
Berlin. Ich danke Axel Klausmeier für den Hinweis.
49 12. 3. 1918, Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Soldaten im Park
von Tarabya, 1918
41
Wo die ca. 80 noch nicht belegten Gräber vor 1917 angelegt
werden sollten, ist nicht bekannt. Somit weiß man nicht, ob
die innere Aufteilung des Friedhofs mit der eindrucksvollen
Terrassierung in vier weiteren Niveaus und die ungewöhnliche, an ein Labyrinth erinnernde Wegeführung allein auf
Kolbe zurückgehen. In dem schon mehrfach zitierten Brief
an seinen Bruder nennt Kolbe die Anlage „meinen Friedhof“.
Während die Gestaltung der Reihengräber schon festgelegt
war – mit seinem sehr einfachen Schriftdesign –, waren für
die Grabplatten der drei Prominenten ursprünglich aufwendige individuelle Gestaltungen vorgesehen. Dies geht aus
zeichnerischen Unterlagen hervor, die sich im Kolbe-Nachlass erhalten haben.
Carl Werner [?]: Entwurf
für die Grabplatte Leipzig,
Georg-Kolbe-Museum
Für die Grabplatte Erich Leipzigs sind zwei Entwürfe von
fremder Hand überliefert, die recht altertümlich erscheinen.
Ein Drittel der Tafel sollte jeweils das sehr detailliert ausgeführte Wappen einnehmen; die Schrift besteht aus gotisierenden Lettern. Der ältere der beiden Entwürfe sollte eine
Bronzeplatte über je einer Stufe in grünem und schwarzem
Marmor aufweisen. Kolbes Design stellt eine extreme Modernisierung der Vorlagen dar: Zwischen dem Wappen oben
und dem eisernen Kreuz unten gestaltet er die Grabplatte
mit Schriftzeichen: Große und kleine Versalien in einfacher
moderner Form sind in helle Steinplatten eingraviert. Dabei
werden die Angaben gegenüber den älteren Entwürfen verkürzt. Die Gestaltung der Grabplatten ist somit der der Reihengräber verwandt. Im Übrigen wird Kolbe später die Grabplatte für seine Frau und dementsprechend auch für sein
eigenes Grab nur mit modernen Schriftzeichen gestalten.
50 Archiv Georg-Kolbe-Museum.
43
Zwischen Herbst 1917 und Frühjahr 1918 müssen die Umbettungen stattgefunden haben. Der Terminus post quem für
Kolbes Entwurf der Grabplatte des Generalfeldmarschalls
von der Goltz ist ein Brief einer seiner Töchter an die Botschaft in Konstantinopel. Sie sandte im November 1917 Vorlagen für das Wappen: „3 Entwürfe, die etwas ausführlicher
mit Schildhalter und … einen Entwurf nur mit Schild und Krone. Der Bildhauer kann nun wählen.“50 Die Zeichnungen sind
im Nachlass Kolbes erhalten (Z 2289 – 2291). Gemäß seinem
Konzept verwendete Kolbe eine ganz reduzierte Wappengestaltung.
Im Mai 1918 schrieb der Archäologe Theodor Wiegand an
seine Frau: „Auf mehreren übereinanderliegenden Stützmauerterrassen, die mit Treppenstufen unter sich in Verbindung
stehen, lagen die Gräber vieler deutscher Soldaten, ein Holzkreuz wie das andere, viele Kraftfahrer, der Leutnant neben
dem Gemeinen, auf halber Höhe etwa dann zwei Gräber
auf der Seeseite allein: zwei Eisenkreuze, darauf nur die Namen Hans Freiherr von Wangenheim und Erich von Leipzig.
Grabmale Erich von Leipzig,
Hans Freiherr von Wangenheim
und Generalfeldmarschall Colmar
Freiherr von der Goltz,
1917/18, Tarabya
44
Auf derselben Höhe, aber auf der anderen Seite ganz allein
dann Colmar Freiherr von der Goltz, um dieses Kreuz ein vergoldeter Lorbeerkranz der türkischen Armee.“ 51 Die Eisenkreuze, die Wiegand erwähnt, wurden in den 1920er Jahren durch
Kreuze in Marmor ersetzt. Der damalige Botschafter Rudolf
Nadolny ließ den Friedhof fertig stellen, auf ihn geht auch
das zentrale Holzkreuz zurück.52
Das Gefallenen-Denkmal
im Friedhof von Tarabya, 2005
An der unteren Stützwand des Friedhofs wurde das Denkmal
eingebaut. Wenn man also von unten auf den Friedhof zugeht, steht man zuerst vor Kolbes Steinrelief, um das so viel
gestritten wurde.
51 Brief vom 22. 5. 1918 (Theodor Wiegand: Halbmond im letzten Viertel.
Briefe und Reiseberichte aus der alten Türkei von Theodor und Marie Wiegand
1895 bis 1918, München 1970, S. 276f.).
Das umkämpfte Denkmal
Kolbe sollte ein Denkmal zur Erinnerung an gefallene Matrosen, die bei den Gefechten der deutschen Kreuzer Goeben
und Breslau verstorben waren, schaffen. Dass dies eigentlich
ein Vorwand war, um Kolbe den Fronteinsatz zu ersparen,
macht die Tatsache deutlich, dass es sich anfangs um relativ
geringfügige Verluste handelte. Dies änderte sich allerdings,
als die Breslau am 20. Januar 1918 sank und die Opfer ebenfalls in Tarabya bestattet wurden.53
Als Kolbe Mitte Mai 1917 nach Istanbul gekommen war, wollte er offensichtlich sofort mit der Arbeit am Denkmal für die
Gefallenen beginnen. Dafür wurde von der Botschaft Ende
Mai 1917 ein halber Zentner Ton bei March & Co. in BerlinCharlottenburg bestellt, „für hiesige Arbeiten Bildhauers
Kolbe“. Allerdings war gemäß einem Telegramm vom 11. Juli
1917 noch immer kein Modellierton eingetroffen.54
Den Entwurf klärte Kolbe sicherlich durch zeichnerische
Skizzen; nur ein kleines Blatt, das sich mit dem Projekt in
Tarabya in Verbindung bringen lässt, blieb erhalten (Z 229).
Wie schon angedeutet, dürfte Kolbe in diesem Fall außerdem eine ungewöhnliche Art der Vorbereitung benutzt haben, indem er die Komposition der weiblichen Hauptfigur in
vollplastischen Statuetten ausprobierte. (Abb. S.34f) Andererseits war für Kolbe die Aufgabe, ein Gefallenen-Denkmal
auszuführen, nicht ganz neu. Für einen belgischen Soldatenfriedhof hatte er schon zuvor eine Reliefdarstellung für
den zentralen Gedenkort geschaffen, dessen Komposition
durchaus verwandt ist. Unmittelbar bevor er nach Istanbul
kam, war er – frisch eingezogen – gleich schon einmal einschlägig als Denkmalentwerfer aktiv gewesen, er zeichnete
eine Flieger­gedenksäule aus der sich das Privatdenkmal Stürzender Flieger, bzw. Ikarus entwickelte.55
52
53
54
55
Rudolf Nadolny: Mein Beitrag, Wiesbaden 1955, S. 93.
Wolf 2008, wie Anm. 39.
Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131326.
Berger 1990/94, wie Anm. 2, S. 239–241.
45
46
Bei dem Denkmal in Tarabya handelt es sich im Wesentlichen
um eine Weiterentwicklung der Komposition des Reliefs
für Eppeghem, Belgien (heute in Lier, Belgien). Nun jedoch
erreichte Kolbe eine harmonischere Aufteilung des Reliefs.
Das Tonmodell, dessen Aussehen in einem Foto von Elma
Hansen dokumentiert ist, wurde in Gips abgegossen und
diente dann als Vorlage für die Vergrößerung.
Das Gefallenen-Denkmal
im Friedhof von Tarabya, 1918
Kaiser Wilhelm II. und der preußische Kriegsminister Hermann von Stein nahmen im Oktober 1917 das kleine Modell
in Augenschein. Kolbes Gönner, Richard von Kühlmann, der
als Außenminister ebenfalls dabei war, berichtet in seinen
Erinnerungen: „In Therapia arbeitete mein Freund, der Bildhauer Georg Kolbe, an einem Monument für die deutschen,
im Orientkriege gefallenen Krieger. Leider hatte sein Entwurf
nicht das Glück, das Wohlgefallen des Kaisers zu finden. Ich
beruhigte den sehr niedergeschlagenen Künstler und sagte
ihm, der Kaiser sei sehr impulsiv und äußere sich oft in ausgesprochener Weise; man müsse das nicht tragisch nehmen, sich
in den Einzelheiten etwas anpassen, im übrigen aber ruhig
weiterschaffen.“ 56 Dies war allerdings, wie sich zeigen wird,
keine Lösung des Problems.
Noch größere Einwände als der Kaiser hatte offensichtlich
der preußische Kriegsminister Hermann von Stein. Nach einer Mitteilung von August Gaul notierte Harry Graf Kessler
in seinem Tagebuch: „Der Kriegsminister Stein … soll sich über
Kolbes Entwurf … in Therapia vor Wut fast umgebracht haben.
Er habe Kolbe kurzerhand in die Front stecken wollen, weil der
Entwurf ihm zu nackt war.“ 57 Erinnert sei, dass es Stein gewesen war, der Kolbes Aufenthalt in Istanbul genehmigt hatte.
Wie es zu den Stellungnahmen des Kriegsministeriums
kommen konnte, berichtete der neue Botschafter Johann
Graf Bernstorff an das Auswärtige Amt: „Unglücklicherweise
hat aber Humann … das Kriegsministerium um eine Beihilfe
47
gebeten. Infolgedessen mischt sich nun Herr von Stein in die
Sache und verlangt einen neuen Entwurf des Reliefs, weil ihm
das bisherige bei seiner hiesigen Anwesenheit nicht gefallen
hat.“ 58
Die vom Kriegsministerium erbetene finanzielle Unterstützung war gedacht für „zum Teil bereits ausgeführte Mauerarbeiten … Im wesentlichen aber handelt es sich um den
Plan, ein von dem Bildhauer Kolbe entworfenes, bisher erst im
Gipsmodell ausgeführtes Relief (ein sterbender unbekleideter
Krieger, der von einem Engel in den Armen aufgefangen wird)
an der schon errichteten unteren Stützmauer des auf ansteigendem Gelände befindlichen Friedhofs anzubringen.“ 59 Insofern stand Kolbes Entwurf im Mittelpunkt bei den Kontroversen zwischen dem Kriegsministerium einerseits und der
deutschen Botschaft in Istanbul sowie dem Auswärtigen
Amt, das auch noch vom Kultusministerium unterstützt
wurde, andererseits.
56
57
Richard von Kühlmann: Erinnerungen, Heidelberg 1948, S. 504.
Notiz vom 1. 6. 1918. (Kessler 2006, wie Anm. 12). Fälschlicherweise bezog Kessler
die Nachricht auf die Grabmäler Goltz und Wangenheim. Der Bildhauer Gaul war
mit der Gestaltung von Kriegerfriedhöfen in der Schweiz beauftragt und dürfte
deshalb Interna gekannt haben.
58 Schreiben vom 12. 3. 1918 an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Hilmar
Freiherr von dem Bussche-Haddenhausen (Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375).
Einen ähnlichen Brief schrieb Bernstorff am 19. 3. 1918 an Gustav Stresemann,
der Gelder für den Friedhof gesammelt hatte (Johann Heinrich Graf Bernstorff:
Erinnerungen und Briefe, Zürich 1936, S. 170; Berger 1990/94, wie Anm. 2, S. 59).
59 Aktennotiz von einer Besprechung am 14. 12. 1917 im Auswärtigen Amt, Polit. Archiv,
Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Entwurf zum Denkmal in Tarabya,
Ton, nicht erhalten
48
Bernstorff erklärte in seinem Brief weiterhin: „Der Bildhauer
Kolbe ist auf besonderen Wunsch Kühlmanns hierher gekommen und gilt allgemein als Künstler ersten Ranges. Er ist zwar
natürlich bereit, einen anderen Entwurf zu machen, aber ich
bezweifle, dass er sich in der Richtung der amtlichen Königlich
Preussischen Kunst bewegen kann.“ 60
Stein blieb weiterhin bei seiner Ablehnung des Kolbe-Entwurfes; am 15. Februar 1918 wurde vom Kriegsministerium
konstatiert: „Der Herr Kriegsminister hat sich … dahin geäußert, dass er den Entwurf gegenständlich als zu zeitlos ablehne und mit Rücksicht auf die Zweckbestimmung vielmehr eine
Darstellung des deutschen Kriegers der Jetztzeit für geboten
erachte. An dieser Stellungnahme hat sich nichts geändert. Es
wird daher gebeten, den Bildhauer Kolbe zu einem neuen Entwurf zu veranlassen und diesen hier vorzulegen.“ 61
Im April 1918 reichte Kolbe tatsächlich zwei weitere Entwürfe
ein, deren Aussehen man nicht kennt. In der Antwort vom
3. Mai 1918 wurde daraufhin mitgeteilt, dass nach Meinung
des Ministers alle drei Entwürfe der Aufgabe nicht gerecht
würden. Die Gremien in Istanbul hatten sich jedoch eindeutig für Kolbes ursprüngliches Projekt entschieden „Die von
dem Kriegsminister verpönte Allegorie ist jedenfalls der beste
Entwurf … Die Marine verlangt, daß ein Matrose abgebildet
werde. Auf diese Weise werden wir niemals fertig werden.“ 62
60
61
62
63
64
65
Schreiben vom 12. 3. 1918, ebd.
Ebd.
Bernstorff an G. Stresemann, 19. 3. und 9. 4. 1918, in: Bernstorff 1936,
wie Anm. 59, S. 170. S. auch Bernstorff an Bussche-Haddenhausen v. 19. 3. 1918,
Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375.
Schreiben Bussche-Haddenleben an Bernstorff vom 18. 4. 1918 (ebd.).
Wie Anm. 26.
Kriegsministerium an die Deutsche Botschaft vom 3. 5. 1918
(Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131375).
49
Auch in Berlin setzte sich bei einer Besprechung im April
1918 zwischen Auswärtigem Amt, Kriegsministerium, Kultus­
ministerium und zwei Gutachtern, dem Architekten German
Bestelmeyer und dem Bildhauer Louis Tuaillon, die gleiche
Einschätzung durch. „In der Frage der Auswahl der Reliefs erklärten sich unter dem Einfluß von Bestelmeyer und Tuaillon
alle für den ersten Kolbeschen Entwurf und die bei der Besprechung anwesenden Vertreter des Kriegsministeriums haben
bestimmt zugesagt, Herrn von Stein zu bitten, daß er gegen
das ursprüngliche Kolbesche Relief jedenfalls seinerseits nichts
unternimmt, sondern sich in dieser Beziehung mindestens
desinteressiert, sodaß Kolbe noch einige Monate weiter vom
Frontdienst zurückgestellt wird.“ 63 Bevor die Frage, welcher
Entwurf ausgeführt werden solle, geklärt war, war der Steinblock bestellt worden; am 19. Februar 1918 teilte der Bild­
hauer seinem Bruder Rudolf Kolbe mit: „Jetzt ist endlich der
große Block für mein Relief im Transport.“ 64
Der Kriegsminister hielt sich nur teilweise an die Verabredung. Zwar agierte er nicht gegen die Ausführung des
Denkmals; den Soldaten Kolbe jedoch wollte er so schnell
wie möglich an die Front schicken. Ab 1. Juni 1918 könne „der
Bildhauer Kolbe entbehrt werden“, war seine Überzeugung.65
Nun setzte man sich von Seiten des Kultusministeriums beim
Kriegsminister für eine Verlängerung von Kolbes Aufenthalt
in der Türkei ein. Es wurde dargelegt, „daß nach sachverständigem Urteil die von dem Bildhauer Kolbe zu leistende Arbeit
bis zum 1. Juni d. Js. unter keinen Umständen ausführbar ist.
Selbst unter der Voraussetzung, daß die bildhauerischen Vorarbeiten an dem Steinblock, die handwerklichen Kräften über-
Alfred Dietrich bei der Arbeit am Denkmal,
vorne links: Georg Kolbe, 1918
50
lassen bleiben können, bereits weit gefördert sein sollten, wird
die zu dem Kunstwerk ganz unerläßliche persönliche Tätigkeit
des Künstlers noch 3 bis 4 Monate in Anspruch nehmen. Ich
kann daher eine entsprechende weitere Zurückstellung Kolbes
vom Militärdienst nur aufs wärmste befürworten. Andernfalls
würde der ganze bisherige Auftrag Kolbe‘s nutzlos erteilt und
ein beachtenswertes Kunstwerk in der Entstehung vernichtet
sein.“ 66
Als auch dieses Schreiben nichts bewirkte, telegrafierte Graf
Waldburg, der erste Sekretär der Botschaft in Istanbul, am
17. Mai 1918 an den Außenminister Richard von Kühlmann:
„Kannst du etwas für Kolbe tun der, ersten Juni einberufen, er
soll noch Büsten von Sultan und türkischen Staatsmännern
hier anfertigen.“ 67 Am folgenden Tag wandte sich Kühlmann
an den Kriegsminister mit der Bitte Kolbes Aufenthalt in
Istanbul bis zum Oktober zu verlängern, wobei auch er auf
jene Porträtaufträge verwies (s. u.). Daraufhin antwortete
Stein: „Eurer Exzellenz beehre ich mich ergebenst zu erwidern,
dass ich ausnahmsweise die weitere Belassung des Bildhauers
Kolbe in seinem jetzigen Kommando bis 21. 10. 1918 lediglich
zum Zwecke der Fertigstellung des Denkmals für den Friedhof
in Terapia verfügt habe. Das Kommando für Kolbe zur Herstellung von Büsten zu verlängern, bin ich zu meinem Bedauern
nicht in der Lage.“ 68 Dieser Brief legt nahe, dass sich die Schikanen des Kriegsministeriums gegen Kolbes Sonderstatus in
Istanbul auch gegen Kühlmann richteten, der Kolbe berufen
hatte. Der Außenminister wurde vor allem vom Militär bekämpft und musste bald darauf zurücktreten.
66 Brief v. Chappuis vom 10. 5. 1918 (ebd.).
67 Ebd.
68 Brief v. 23. 8. 1918, ebd.
Das Gefallenen-Denkmal
im Friedhof von Tarabya, 2011
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Nachdem die Militärmission von der Marine die Verwaltung
der Kriegsgräber in der Türkei übernommen hatte, wurde am
23. August 1918 bekanntgegeben: „Bildhauer Kolbe tritt nach
Beendigung seiner Arbeiten für den Ehrenfriedhof Therapia
zur Militärmission über.“ 69 Kolbe wurde dank vielfältiger Unterstützung vom Einsatz an der Front verschont. Er verließ
Istanbul erst Ende November 1918 und kehrte mit den Botschaftsangehörigen zurück nach Berlin.
Das Denkmal wurde aus einem fünf Tonnen schweren
Kalksteinblock herausgehauen; im Nachlass des ausführenden Steinmetzen Alfred Dietrich befand sich ein Foto
des Steinblocks auf dem Parkgelände, das leider nicht mehr
auffindbar ist. Dietrich, der schon mehrfach für Kolbe gearbeitet hatte, war ebenfalls als Soldat nach Istanbul versetzt
worden. Eine Fotografie aus seinem Nachlass zeigt ihn zusammen mit seinen Mitarbeitern – sowohl Türken als auch
Deutschen – in Uniform.
Das Denkmal wurde von ihm an Ort und Stelle von Alfred
Dietrich ausgehauen. Auf einem Foto aus Kolbes Nachlass
sieht man ihn bei der Aktion; Georg steht daneben, vor dem
Gipsmodell in kleinem Format, das mithilfe des Storchschnabel vergrößert wird. (Abb. S.49)
Elma Hansen war von dem Denkmal besonders ergriffen. „An
meinen freien Tagen aber erholte ich mich von übermäßiger
Arbeitsbelastung im heißen Klima und unternahm mit einem
Dampfer die Fahrt nach Therapia, um im Botschaftspark das
Denkmal von Georg Kolbe zu sehen. Wir gingen gemeinsam
auf die höchste Höhe des herrlichen Gartens, wo der Friedhof
angelegt war. Der Steinmetz war kräftig an der Arbeit, man
hörte es schon aus der Ferne. Dann sah ich es. Ein Genius hält
den Gefallenen. Kein Wort konnte ich herausbringen. Ich sah
den Künstler an, als er mich fragte, ob es mir gefiele. Ich konnte
nur antworten, dass die feine Darstellung mich erschüttere, es
läge darin eine Versöhnlichkeit mit dem Tode, wie sie mir bisher in keinem Ehrenfriedhof begegnet sei.“ 70
Unklar ist, ob die Arbeit vor Kriegsende ganz fertig gestellt
war. Der Botschafter Rudolf Nadolny behauptet in seinen
Erinnerungen, er habe in den 1920er Jahren das Denkmal
„angebracht“.71 Das zumindest kann nicht stimmen, denn es
stand ja schon, während das Relief ausgehauen wurde, am
endgültigen Platz. Möglicherweise war aber die Einfügung
des Monuments nicht ganz vollendet, vielleicht sollten noch
seitliche Lisenen angefügt werden, wie sie das kleine Modell
aufweist. Auch die Tatsache, dass der Sockel schmaler ist
als das Relief, erscheint nicht überzeugend. Nach Angaben
Nadolnys ließ er den Vorplatz vor dem Denkmal anlegen. An
Kolbe schrieb der Botschafter am 22. Juni 1926: „Ihr Denkmal auf unserem Heldenfriedhof ist unser aller Freude, und
ich glaube, es würde Ihnen selbst Freude bereiten, wenn Sie
den Friedhof jetzt sähen.“ 72 1958 wurden seitlich des Reliefs
Bronzetafeln mit Namen von Gefallenen angebracht, die der
deutsche Bildhauer Rudolf Belling geschaffen hatte.
69 Ebd.
70 Wie Anm. 9. Der Verlobte von Elma Hansen war zu Beginn des Krieges gefallen,
weshalb sie von dem Denkmal besonders berührt wurde.
71 Nadolny 1955, wie Anm. 52, S. 93; Wolf 2008, wie Anm. 39, S. 287, Anm. 589.
72 Archiv Georg-Kolbe-Museum.
Mitglieder des Freundeskreises
Georg-Kolbe-Museum im Mai 2011
am Gefallenen-Denkmal in Tarabya.
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Porträt Dietrich
von Scharfenberg,
Gips für Bronze, 1917,
Privatbesitz
Porträtbildhauer vom Dienst
Während seines Aufenthaltes in Istanbul war Kolbe immer
wieder auch als Porträtist tätig. Das eigentlich angewandte
Genre des Bildnisses hat den Künstler durchaus interessiert,
wenn er auch sein Porträtschaffen als Nebenschauplatz verstand. Doch die Auseinandersetzung mit der Individualität
von Männern und Frauen reizte ihn immer wieder, zumal
es ihm – zumindest meistens – leicht fiel, die erwünschte
Ähnlichkeit heraufzubeschwören. In Istanbul verweisen seine Bildnisse auf den Personenkreis, mit dem Kolbe Umgang
hatte: Es waren Diplomaten und Militärs und auch mal eine
Ehefrau eines Mitglieds dieses Kreises. Die Bildnisse des
Botschafters Kühlmann und des Militärbevollmächtigten
Lossow sind schon vorgestellt worden.
Der Diplomat Dietrich von Scharfenberg, den Kolbe porträtierte, war als Legationsrat an der deutschen Botschaft in Istanbul tätig und hatte direkt mit Kolbe zu tun. Der Pass vom
22. November 1918, der wegen der „Zwangsrückreise nach
Deutschland“ ausgestellt wurde, trägt seine Unterschrift.
Bei der Rückkehr der Mitglieder der Botschaft per Schiff soll
Scharfenberg Kolbe in seine Kabine aufgenommen haben:
„Mit dem Dienstgrad eines Gefreiten hätte Kolbe sich … unter
Deck aufhalten müssen.“ 73 Scharfenberg wohnte übrigens in
Berlin in der gleichen Straße wie Kolbe.74
Kolbes in Istanbul modellierte Bildnisse standen als Gips­
modelle in seinen Ateliers, denn sie blieben beim Künstler,
um nach Kriegsende unter seiner Aufsicht in Berlin in Bronze gegossen zu werden. Besucher der Ateliers bekamen also
eine Vorstellung von Kolbes Porträtkunst; dadurch wird sich
das Interesse für weitere Bildnisse entwickelt haben. Man
kann im Übrigen sagen, dass Kolbes Bildniskunst damals auf
einem Höhepunkt stand.
73 Tiesenhausen, wie Anm. 2, S. 19.
74 Beide wohnten im Tiergartenviertel in der ehemaligen Regentenstraße,
deren Reststück jetzt Hitzigallee heißt.
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Als junger Bildhauer hatte er aufwändige Büsten geschaffen, die dem damaligen Zeitgeschmack entsprachen. Allmählich waren seine Porträts immer konzentrierter geworden; mit sparsamen Mitteln deutete er zum Beispiel durch
einen Uniformkragen Bildnisse von Soldaten an. Stilistisch
stand er – wie auch in seinem Figurenwerk der damaligen
Zeit – zwischen dem zart modellierenden Stil der Vorkriegsjahre und der fast kubistischen Stilisierung der Zeit um
1920. Er suchte damals nicht mehr die natürliche Weichheit
der menschlichen Formen, aber auch noch nicht deren naturferne Überformung, sondern verwandte eine sich festigende, aber unprätentiöse Formensprache, die sich für Bildnisse besonders eignete.
Sicherlich stand nicht jeder, den Kolbe in Istanbul porträtierte, dem Künstler nahe, er war wohl beinahe der Porträtist
vom Dienst. Da sich seine Hauptaufgabe, die Schaffung
des Denkmals in Tarabya so lange hinauszögerte, wurde
Kolbe anderweitig beschäftigt, sogar mit Bildnissen türkischer Politiker. An seinen Bruder schrieb Kolbe im Februar
1918: „Meine sonstige Arbeit, außer Porträts (Talaat Pascha,
Enver Pascha etc.) geht unheimlich langsam vorwärts.“ Eines
der in Istanbul modellierten Porträts, das des Vizeadmirals
Johannes Merten, blieb aus unbekannten Gründen in Kolbes
Eigentum zurück. In dem Dargestellten, der einen türkischen Orden trägt, meinte man früher einen türkischen Politiker zu erkennen.75
Kolbe kam damals mit einigen Personen in Kontakt, die
auch für sein späteres Leben und seine Karriere von Bedeutung waren. So freundete er sich z. B. mit Kurd von Hardt
an, damals Gesandtschaftsattaché an der deutschen Botschaft in Istanbul, für den er 1920 anlässlich eines mehrwöchigen Besuches mit der gesamten Familie im Tessin als
Gast­geschenk die überlebensgroße Jünglingsstatue Lucino
modellierte.76
57
In Istanbul machte Kolbe auch die Bekanntschaft des Archä­
ologen Friedrich Sarre, Schwiegersohn von Carl Humann,
der später in Berlin das Orientalische Museum leitete. Nach
Kriegsende porträtierte Kolbe dessen Ehefrau Maria.77 Über
Sarre lernte Kolbe den türkischen Archäologen Habil Edhem
Eldem kennen, den Generaldirektor der Museen in Istanbul.
Dies geht aus einem Brief hervor, den Kolbe 1926 „nach Rücksprache mit Prof. Sarre“ an Edhem schrieb:
„Hochverehrter Herr Generaldirektor,
darf ich hoffen, dass Sie sich noch meiner bildhauerischen
Tätig­keit während der letzten Kriegsjahre in Konstantinopel
erinnern? Herr Prof. Sarre war so liebenswürdig, mich damals
zu Ihnen zu führen, was zur Folge hatte, dass Sie meine bescheidenen Arbeiten in der Deutschen Botschaft und in Therapia besichtigten.“ 78
Dass sich Kunstinteressierte in Kolbes Ateliers einfanden,
wird häufig vorgekommen sein. So brachte Elma Hansen
zum Beispiel eines Tages den Soldaten Hugo Wilkens mit,
der später als Grafiker tätig war; er wird Kolbes jüngste
Schwester Gertrud heiraten.79 Auch mit dem Kunsthistoriker
Paul Clemen hatte Kolbe in Istanbul Kontakt; der rheinische
Denkmalpfleger war im Ersten Weltkrieg „Reichskommissar
für den Kunstschutz“. Als die junge Krankenschwester Elma
Hansen im Frühsommer 1918 zum Einsatz in die Türkei fuhr,
kam sie in der Eisenbahn mit Clemen ins Gespräch, dem sie
erzählte, dass sie sich so sehr für Bildhauerei interessiere.
75
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Karteikarte im Georg-Kolbe-Museum mit „Enver Pascha“.
Dank der Porträtähnlichkeit schloss die Autorin auf Johannes Merten
(Berger 1990/94, wie Anm. 2, Nr. 34), was durch eine Verwandte bestätigt worden ist.
Wilhelm Reinhold Valentiner: Georg Kolbe, München 1922, Abb. 42f., 50.
Das Bildnis ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschollen,
eine Abbildung existiert nicht.
Archiv Georg-Kolbe-Museum.
Niemeyer Achim Roscher: Otto Niemeyer-Holstein.
Lebensbild mit Landschaft und Figuren, Berlin 2001, Abb. S. 68.
Elma Hansen in Istanbul, 1918
58
Porträt Talat Pascha,
Gips für Bronze, 1918,
verschollen
„Lächelnd sagte er, das könne er absolut verstehen. – ›Sie müssen sich bald in Therapia das Denkmal für die Gebliebenen
der Breslau ansehen, es ist noch in Arbeit. Der Bildhauer ist
selbst mit seinem Steinmetz noch daran tätig … Kolbe ist mein
Freund, ich treffe ihn heute Abend im Perapalast und werde
von unseren Gesprächen erzählen.“ 80 Es gibt weitere Hinweise darauf, dass sich das gesellschaftliche Leben, an dem
Kolbe teilnahm, zum Teil in dem Luxushotel Pera Palace abspielte, dessen Renovierung vor einiger Zeit den ursprüng­
lichen Glanz wieder herstellte. Offensichtlich hat der Bildhauer diesen Umgang genossen.
Überraschend ist jedoch, dass Kolbe nicht nur Bildnisse von
Deutschen, die in der Türkei stationiert waren, schuf, sondern
auch die Troika der jungtürkischen Machthaber porträtierte:
den Kriegsminister Enver Pascha, den Innenminister Talat
Pascha und den Marineminister Çemal Pascha. Bedenken
muss man allerdings, dass es enge diplomatische und zum
Teil auch persönliche Beziehungen der Deutschen in Istanbul zumindest mit Enver und Talat gegeben hat. In welchem
Maße Kolbe über die Verantwortung der jungtürkischen Politiker für das Vorgehen gegen die Armenier informiert war,
kann nicht geklärt werden.
Leider scheint keine der Porträtbüsten, die möglicher­weise
nach Kriegsende in Berlin in Bronze gegossen wurden,81 erhalten zu sein und nur eine, die von Talat, ist fotografisch
dokumentiert. Etliche Hinweise in den Quellen bestätigen
jedoch, dass auch die Bildnisse Envers und Çemals modelliert wurden.
80 Wie Anm. 9.
81 Eine missverständliche Karteikarte im Georg-Kolbe-Museum aus den 1970er Jahren
gibt – auf der Grundlage unbekannter Quellen – an, dass 1919 drei Bildnisse in der
Gießerei Noack gegossen wurden. Unklar ist, ob es sich dreimal um das Porträt von
Enver oder von Talat oder um je eines der drei Politiker-Bildnisse handelte. Auftraggeber muss Ernst Jäckh gewesen sein, der einflussreiche Propagator der deutsch-türkischen Beziehungen, so zumindest muss die Notiz „Prof. E. Jächts“ auf der Karteikarte
gelesen werden.
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Porträt Prinzessin Emine Naciye
Sultan, Gattin von Enver Pascha,
Marmor, Privatbesitz
Für Kolbe könnten diese Aufträge auch den Zweck gehabt
haben, ihn vor dem Fronteinsatz zu bewahren. Wie wichtig
die Anwesenheit des Bildhauers in der türkischen Hauptstadt eingeschätzt wurde, belegt folgendes Briefzitat: „Kolbe
hat von mehreren hiesigen hohen Persönlichkeiten unter anderem Enver und Dschemal den Auftrag, sie zu modellieren.
Ein Porträt S. M. des Sultans ist in Aussicht genommen.“ Der
Botschafter Graf Bernstorff war überzeugt, „dass eine Nichterfüllung der Wünsche seiner hohen Auftraggeber unseren
Interessen zuwiderläuft.“ 82 Die Arbeit des Bildhauers spielte
somit in die hohe Politik hinein.
In ihren Erinnerungen berichtet Elma Hansen von der ÇemalBüste. Beim ersten Besuch in Kolbes Atelier im Botschaftsgebäude soll ihr der Bildhauer gesagt haben: „›Ich erwarte,
daß eine Arbeit in Kürze heraufgetragen wird‹ … Zwei kräftige
Männer trugen ein schweres Tonmodell herauf, das noch verhüllt war und brachten es zum Modellierbock. Im Hochhieven
stießen sie an die Kante der Platte, es gab eine gefährliche
Schwankung, doch bald stand die Arbeit. Kolbe nahm die Hülle
ab, sah, daß am Porträt vom Mund abwärts das Kinn heruntergebrochen war … Er bemühte sich, den Schaden schnell zu
bewältigen.“ 83
Während die Bildnisse der jungtürkischen Politiker verloren
sind, blieb die Marmorbüste, die Kolbe von der zwanzigjährigen Ehefrau Envers geschaffen hat, erhalten; diese war eine
Prinzessin aus der Sultansfamilie. Kolbe und der Steinmetz
Alfred Dietrich führten dieses Bildnis im Harem des Dolmabaçe Palastes aus. Wie Dietrich erzählt haben soll, „hatte
ihn der Sultan empfangen, rechts und links vom Sultan je ein
schwarzer Leopard. Im Harem wurde er durch einen Zwerg
82 14. 5. 1918 (Polit. Archiv, Ausw. Amt, Berlin, R 131326).
83 Wie Anm. 9.
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und durch schwarze Eunuchen begleitet bis dorthin, wo ihn
die Prinzessin empfing.“ 84 Dass Kolbe, wie erwogen, auch den
Sultan selbst porträtiert haben könnte, ist nicht nachzuweisen.
Georg Kolbe in Istanbul, 1917/18
Während seines Aufenthaltes in Istanbul strömten höchst
unterschiedliche Lebenswelten auf den Künstler ein: Es waren die komplexe, malerische Stadt, deren Architektur und
Kunstschätze er erwanderte, die anregenden täglichen Treffen mit Diplomaten und Militärs und die Berührungen mit
der hohen Politik, mit Kaiser Wilhelm II. sowie der türkischen
Führungstrias und schließlich ein Seitenblick auf das zu
Ende gehende osmanische Reich. Der Krieg war der Hintergrund all dieser Erfahrungen, er scheint jedoch das tägliche
Leben nicht allzu stark beeinflusst zu haben. Die Nachteile
von Kolbes Aufenthalt in Istanbul waren die Trennung von
seiner Familie, lediglich im August 1918 konnte er einen
Heimat­urlaub nehmen. Aber auch seine künstlerische Arbeit
unterlag – trotz der erheblichen Vergünstigungen, die er erhielt – Einschränkungen. Anfang 1918 hatte er seinem Bruder
geschrieben: „Meine Sehnsucht nach Schluß und Freiheit ist
maßlos.“ Nach seiner Rückkehr nach Berlin fasste Kolbe 1919
zusammen: „Ich kam im Januar aus der Türkei, wo ich zwei
wundervolle Jahre verbrachte, die schlechten Seiten natürlich
abgerechnet.“ 85
84
85
Aufzeichnungen des Neffen Wolfgang Dietrich
nach Erzählungen seines Onkels, Privatbesitz.
Brief an Georg Swarzenski vom 21. 8. 1921
(Archiv Städel Museum, Frankfurt a. M.).
Doch kein Nachspiel
Als Kolbe 1926 eingeladen wurde, an einem Denkmal­
wettbewerb für Ankara teilzunehmen, wäre er gerne in die
Türkei zurückgekehrt; die guten Erinnerungen schienen zu
überwiegen. Der türkische Unterrichtsminister lud Kolbe
in einem Schreiben vom 23. Mai zum Wettbewerb für eine
Statue von Mustafa Kemal – Atatürk – ein. Kolbe war interessiert. In seinem französisch verfassten Antwortschreiben
verwies er auf seinen Aufenthalt 1917/18 in der Türkei, an den
er sich mit Freude erinnerte. Als Qualifikation führte er an,
dass er damals mehrere Mitglieder der türkischen Regierung
porträtiert habe. Dass ihm durchaus an dem Auftrag etwas
lag, geht daraus hervor, dass er den deutschen Botschafter
Nadolny, den er im Krieg in Istanbul kennen gelernt hatte
und auch den Generaldirektor der Museen in Istanbul, Halil
Edhem Bey, um Unterstützung bat.
Brief Kolbes an den türkischen
Unterrichtsminister, 1926, betreffend
ein Atatürk-Denkmal in Ankara
63
64
Über die deutsche Botschaft sandte er eine Auswahl von
Foto­grafien seiner Werke zur Ansicht. Bevor er sich tatsächlich über die Aufgabe Gedanken machen konnte, war der
Auftrag allerdings schon an den italienischen Bildhauer
Pietro Canonica vergeben worden. Dieser führte eine traditionelle Porträtstatue aus, wie sie Kolbe in den 1920er Jahren
sicherlich nicht hätte realisieren wollen. Das für ihn typische
Denkmalskonzept mit Symbolfiguren hätte in der Türkei
Atatürks sicher keine Chance gehabt. Canonica lieferte übri­
gens weitere Monumente, so auch das Republik-Denkmal
auf dem Istanbuler Taksim-Platz.
Noch ein zweites Mal wurde Kolbe zur Teilnahme an einem
türkischen Wettbewerb aufgefordert, diesmal – 1941 – ging
es um das Mausoleum Atatürks. Die Einladung erreichte
Kolbe über den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste. Kolbe forderte die Unterlagen an, in denen die
sechs Grundsätze der neuen türkischen Republik angeführt
sind, die symbolisch dargestellt werden sollten. Der Bildhauer sagte jedoch ab, da er erkannte, dass es sich vorrangig um
eine Aufgabe für Architekten handelte. Die Fertigstellung
des riesigen Mausoleums für Atatürk in Ankara zog sich bis
1958 hin.
Beide Türkei-Projekte waren für Kolbe schon vor dem eigentlichen Wettbewerb, trotz seines ursprünglichen Interesses,
gescheitert. Er kehrte nicht wieder in die Türkei zurück; sein
dortiger Aufenthalt blieb eine markante Erinnerung. Als ihm
Richard von Kühlmann 1942 zu seinem 65. Geburtstag gratulierte, antwortete er: „Es war ein Anklang vom Paradiesischen,
was sich dort uns bot, was wir haben durften. Seitdem ist das
Dasein enthaltsam geworden.“ 86
86 Tiesenhausen 1987, wie Anm. 2, S. 173.
Georg Kolbe in Istanbul 1917/18
Im Ersten Weltkrieg lebte und arbeitete der Bildhauer Georg
Kolbe fast zwei Jahre lang in der Türkei. Als Soldat war er nach
Istanbul versetzt worden, um dort künstlerisch tätig zu sein.
Seine Hauptaufgabe war die Gestaltung des Friedhofes im
Botschaftspark von Tarabya, der mit einem Gefallenen-Denkmal geschmückt wurde. Der deutsche Botschafter Richard von
Kühlmann hatte den Bildhauer nach Istanbul gerufen, denn er
wollte einen „Musenhof“ um sich scharen.
Kolbe betätigte sich auf mehreren Gebieten: Er porträtierte
Botschaftsangehörige und Militärs, aber auch die damals
führenden jungtürkischen Politiker. Für den Botschaftspark
entwarf er Brunnenfiguren und den Festsaal der Botschaft
(heute Generalkonsulat) schmückte er mit einem Relief­zyklus.
Die ungewöhnliche Lebensphase des Bildhauers wird auf
der Grundlage von Archivalien und historischen Fotografien
dargestellt.

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