“On the move” – Die Globalisierungsdebatte in der

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“On the move” – Die Globalisierungsdebatte in der
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
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“On the move” – Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
VIOLA HÖRBST & KRISTINE KRAUSE
Zusammenfassung: Obwohl heilkundliche Ideen und Praktiken zunehmend weltweit Verbreitung finden, beziehen bislang nur wenige Studien der Medical Anthropology sozialwissenschaftliche Ansätze zur Globalisierung explizit ein. Diese Arbeiten werden in einer Literaturübersicht vorgestellt, wobei ein kürzlich veröffentlichter
Sammelband der AG Medical Anthropology in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. (DGV) besondere Berücksichtigung findet. Zudem fasst der vorliegende Artikel ausgewählte Ansätze gegenwärtiger Globalisierungstheorien und die daran geübte Kritik zusammen. Anhand der Begriffe „Kultur“ und „Ort“ wird dargelegt,
inwieweit die Phänomene globaler Verflechtungen eine Revision ethnologischer Schlüsselkonzepte erforderlich
machten. Deren Bedeutung für das Feld der Medical Anthropology wird ebenfalls besprochen. Neben der Identifizierung thematischer Forschungslücken wird auf analytischer Ebene das Konzept der medicoscapes vorgeschlagen, um die Komplexität der Verflechtungen in medizinethnologischen Forschungsfeldern greifbar zu machen,
ohne darin involvierte unterschiedliche Akteursebenen zu vernachlässigen.
“On the Move”—Debate on Globalisation in Medical Anthropology
Summary: Although medical ideas and practices travel globally, only few studies in Medical Anthropology have
actively used theories of globalization from the wider field of social science. This article summarizes current theories of globalization and its critics to discuss the consequences for Medical Anthropology. It focuses on terms like
“culture” and “place” to show, how the phenomenon of global connectedness requires a revision of anthropological
key concepts. It outlines the relevance of these changes for Medical Anthropology and provides a selective review
of articles and books which draw on theoretical key concepts from globalisation theories. Additionally it introduces
a volume which the working group “Medical Anthropology” of the DGV (German Association of Ethnology) published recently. Research gaps are identified and the concept of “medicoscapes” is proposed to grasp the complexity of intertwined relations in medical research fields without neglecting the different actors involved in these
processes.
keywords (Schlagwörter): globalisation – biomedicine – medical tourism – medical pluralism – medicoscapes –
migration – indigenous concepts (traditionelle Konzepte) – telemedicine
Einleitung: Globalisierung medizinischer
Alltagswelten in Deutschland
Globalisierung und ihre Effekte machen nicht halt
vor medizinischen Feldern. Im Gegenteil, es drängt
sich eine überraschende Vielfalt an Phänomenen
auf, die unter dieses Konzept gefasst werden können: So ist es in München derzeit beliebt, sich ayurvedischen Kuren in Indien zu unterziehen. „Authentizität” der Behandlung und geringere Behandlungskosten sind die Kriterien, welche in Verbindung mit
der Attraktivität einer Fernreise den Ausschlag geben. Mit der Möglichkeit touristischer und exotischer kultureller Erfahrungen wird ebenfalls geworben, um günstige Laserbehandlungen am Auge in
indischen Kliniken anzupreisen (MEDICAL TOURISM 2003, 2004; MSID 2003). Auch südafrikanische Kliniken bieten Schönheitsoperationen zusamcurare 27(2004)1-2: 41-60
men mit Safari-Ausflügen als touristisches Kombinationspaket an (BAUCH 2000: 60f; MEDICAL
TOURISM 2003). Aber nicht nur europäische Patienten gehen auf Reisen, um sich medizinischen Behandlungen zu unterziehen: Auch nach Deutschland
kommen Patienten bspw. aus Russland oder den
Vereinten Arabischen Emiraten. Sie werden im härter werdenden wirtschaftlichen Konkurrenzkampf
der Krankenhäuser von Privat- und Universitätskliniken eigens angeworben. So wird das Klinikum
Augsburg im Herbst 2004 für wohlhabende Patienten aus dem Ausland eine „Privatstation auf HotelNiveau“ einrichten (Süddeutsche Zeitung 2004a:
48).
Experten der Biomedizin1 bewegen sich teils mit
ihrem gesamten OP-Team in die arabische Welt, um
dort – gegen hohe finanzielle Entschädigung –
Transplantationen an Mitgliedern der Königshäuser
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vorzunehmen (Süddeutsche Zeitung 2004b: 35).
Chirurgen des Deutschen Herzzentrums in München führen – wiederum unentgeltlich – invasive
Eingriffe in Tansania durch, um dortigen Ärzten
Operationstechniken am offenen Herzen beizubringen. Heilkundliche Experten anderer Länder – darunter nicht nur Biomediziner, sondern bspw. auch
Homöopathen, Hoca oder „Ethnotherapeuten“ –
halten in Deutschland Vorträge oder arbeiten und
leben hier.
“On the move” sind also Menschen als Experten
und Therapiesuchende. Mit ihnen reisen neben Geldern jedoch auch Wissen und Praktiken, Wahrnehmungen und Ideen. Und auch ohne dass sich Menschen räumlich weit bewegen müssten, sind ihnen
heilkundliches Wissen, Praktiken und Ideen an unterschiedlichen Lokalitäten der Welt durch Informationssendungen in Rundfunk und Fernsehen und vor
allem durch das Internet zugänglich (BAUCH 2000:
60f). Indigene Welt- und Heilungsrealitäten finden
sich dort uminterpretiert und re-kontextualisiert
wieder: Neben zahlreichen Selbsterfahrungskursen
mit indianischen „Schamanen“ werden auf deutschen Internetseiten Ausbildungen zum „schamanischen Therapeuten“ angeboten mit dem Hinweis,
dass diese „... zu einem neuen Berufsbild, abgesegnet durch die IHK“ (Industrie- und Handelskammer), entwickelt würden (NEWSLETTER ELEMENTARKREISE 2003; vgl. HÖRBST, WOLF 2003: 17f;
WÖRRLE et al. 2003). Laien tauschen sich im Internet mit Therapeuten aus, holen sich behandlungsrelevante Informationen von Homepages oder chatten
in Selbsthilfeforen. Über Mailinglisten entsteht vermehrte Kommunikation unter Experten unterschiedlicher heilkundlicher Richtungen (BAUCH
2000: 60, 71f; CARTWRIGHT 2000; SINHA 2000).
Dies sind nur einige Beispiele, die nahe legen,
die ethnologische Untersuchung von Medizin und
Heilkunde2 mit sozialwissenschaftlichen Diskussionen über Globalisierungsprozesse zu verbinden.
Wie sich dies in der medizinethnologischen Forschung gestaltet, wie theoretische Ansätze zur Globalisierung für den Heilkundebereich fruchtbar gemacht werden und welche analytischen Neuerungen
sich daraus ergeben, sind die Fragestellungen, denen wir nachgehen möchten. Zum besseren Verständnis werden wir als Einstieg theoretische Ansätze zur Globalisierung und kritische Positionen der
Ethnologie zum Interpretationsschema „Globalisierung“ skizzieren. Wie sich theoretische Konzepte
Viola Hörbst & Kristine Krause
der Ethnologie in der Auseinandersetzung mit den
Phänomenen weltweiter Vernetzung und Verflechtung verändert haben, wird anschließend kurz aufgezeigt, um uns dann auf die inhaltliche Verbindung
von Globalisierung und medizinethnologischen
Forschungen zu konzentrieren. Obwohl die Thematik heilkundlicher Globalisierung in der Medizinethnologie bisher eher vernachlässigt wurde, gibt es
in der Fachliteratur einzelne interessante Ansätze,
die wir vorstellen werden. Hierzu gehören verschiedene Arbeiten aus dem Bereich der anglo-amerikanischen Medical Anthropology und Beiträge aus der
AG Medical Anthropology, die teilweise unter dem
Titel „Globalisierung und Medizin: globale Ansprüche – lokale Antworten“ veröffentlicht wurden
(HÖRBST, WOLF 2003). Eine Bewertung des Globalisierungsansatzes als Analysemethode für die Medizinethnologie wird den Beitrag abrunden.
1.
Theoretische Ansätze zur Globalisierung
Das Schlagwort Globalisierung wurde in den
1970er Jahren geprägt und wird in der Öffentlichkeit seitdem vor allem mit weltweiter ökonomischer
Vernetzung verbunden. Gemeint sind damit über
nationalstaatliche Grenzen hinweg organisierte Kapitalströme und Arbeitsmärkte, eine intensivierte
Entstehung und Verbreitung von Informationen und
Unterhaltungsmedien (CASTELLS 2001; ROBERTSON 1998, 2001) sowie global organisierte Dienstleistungen, Versicherungen, Banken und professionelle Vereinigungen, die sich in Metropolen konzentrieren (SASSEN 1991). Aber auch daraus
resultierende Unsicherheitspotentiale wie die Auslagerung von Kapital und Arbeitsplätzen ins Ausland, ein Verlust staatlicher Kontrolle auf wirtschaftliche Einflussnahme in politische Belange sowie die allgemein zu beobachtende Schwächung
staatlicher sozialer Sicherungssysteme werden mit
Globalisierung verknüpft (BAUCH 2000: 60, 69ff).
Makrotheoretische Ansätze aus der Ökonomie, den
Polit- und Kommunikationswissenschaften betonen
vor allem kulturelle Vereinheitlichungstendenzen
(Homogenisierung) (KREFF 2003: 21ff; TSING
2002: 462ff; WALLERSTEIN 1989). Sie gehen davon
aus, dass eine weltweite Steigerung der Zirkulation
von Waren und Menschen zu einer Uniformierung
der kulturellen Vielfalt und damit zu einer Amerikanisierung bzw. Verwestlichung führen würde – McVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
Donalds und Coca-Cola werden oft als Beispiele dafür angeführt (MEYER & GESCHIERE 1999: 1f). Diese sogenannte Homogenisierungsthese stützt sich
auf die Behauptung, dass es bestimmte Zentren auf
der Welt gäbe, von denen alles global Wirksame auf
die Peripherien ausstrahle. Unter „Zentren“ werden
hierbei westliche Metropolen verstanden, während
mit „Peripherie“ die so genannten Dritte-Welt-Staaten gemeint sind. Problematisch an dieser Perspektive ist zum einen die Annahme, dass die Menschen
in den zur Peripherie erklärten Regionen die von
den Zentren ausgehenden Einflüsse passiv aufnähmen (INDA & ROSALDO 2002: 15). Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die einseitige Perspektive,
die den so genannten Westen als Zentrum und alle
anderen Regionen der Welt als Peripherie konstruiert. Ethnologische Forschungen widersprechen diesen Annahmen und zeigen, wie in verschiedenen lokalen Kontexten global zirkulierenden Gütern sowie Ideen, Praktiken und Einflüssen durch
vielfältige Aufnahmen, Einbettungen und Neuschöpfungen begegnet wird, wie Homogenisierungen und Heterogenisierungen im Lokalen gleichzeitig zum Tragen kommen. Ethnologische Forschungen zeigen ebenso, dass Austausch und Zirkulation
nicht nur vom „Westen“ in den „Rest“ der Welt
stattfindet, sondern auch von Zentren der südlichen
Hemisphäre ausgehen.
Historisch gesehen fanden Prozesse, die mit dem
Begriff Globalisierung beschrieben werden, schon
in der Vergangenheit statt, z.B. durch die Eroberung
des amerikanischen Kontinentes (LINDNER 1997;
HANNERZ 2003; WIMMER 2002). Was die derzeitigen Vorgänge aber von früheren Vernetzungsschüben abhebt, ist deren Intensität der Vernetzung, die
vor allem durch die neuen Informationsmedien und
die gestiegenen Transportmöglichkeiten hergestellt
wird3. Dadurch werden soziale, politische und ökonomische Beziehungen durch Interaktionen über
Entfernungen hinweg geknüpft und aufrechterhalten. Ereignisse und Gegebenheiten finden zwar
räumlich getrennt voneinander statt, stehen aber
zeitgleich miteinander in Beziehung (HANNERZ
1996: 66). Der Soziologie ANTHONY GIDDENS fasst
diese Entwicklungen abstrakt als Beschleunigung in
der Zeit und als Verdichtung des Raumes zusammen (GIDDENS 1995: 85; TREIBEL 2000: 248; vgl.
BECK 1999: 127ff).
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2.
Kritische Stimmen aus der Ethnologie zu
Globalisierungstheorien
ULF HANNERZ (2003: 6f) und ANNA TSING (2002:
465) merken an, dass die Begriffe Globalisierung,
Vernetzung oder Verflechtung häufig mit positiv
konnotierten Metaphern wie Fließen und Strömen
verbunden werden, die vor allem einen Zugewinn
an Freiheit suggerieren. Nationalstaaten scheinen
überholt und Grenzen jeglicher Art im Fluss weltweiter Vernetzung aufgehoben zu sein. Ausgeblendet werden dadurch politische Machtkonstellationen, die zu Asymmetrien der Verflechtung führen
und Ungleichheiten in der globalen Verteilung von
Ressourcen, Gütern und Wissen bewirken. Dies hat
auch massive Auswirkungen im Gesundheitsbereich. So ergibt sich für Industrienationen mit kooperatistisch organisierten Gesundheitssystemen
(wie etwa Deutschland) das eklatante Problem, dass
sich wirtschaftliche Entwicklungen der nationalstaatlichen Gestaltungshoheit entziehen, die sozialen und gesundheitlichen Folgen aber innerhalb der
nationalstaatlichen Grenzen bewältigt und vor allem
finanziert werden müssen (BAUCH 2000: 58ff, 78).
Gleichzeitig verstärken sich die Unterschiede zwischen arm und reich, so dass im Zusammenspiel mit
anderen Faktoren – wie demographischen Entwicklungen – Globalisierungsprozesse gravierende gesundheitliche Effekte haben. Hierzu gehört auch,
dass bspw. in Deutschland nicht akademisch geschulte Migranten und Asylbewerber, die weltweit
schnell in die Illegalität abgedrängt werden (BAUMANN 2002: 111), von gesundheitlicher Basisversorgung ausgeschlossen sind (ANDERSON 2003:
34f; ALT 2003: 150ff). Auch setzt der Austausch
über medizinisches Fachwissen und die Nutzung
neuester heilkundlicher Techniken durch medizinischen Tourismus, Fernberatung via Telefon oder
gar Videokonferenzen technische und finanzielle
Ressourcen der Institutionen und der sie nutzenden
Patienten voraus. Durch die sich vergrößernde
Schere zwischen arm und reich innerhalb aller Gesellschaften einerseits, zwischen ärmeren und reicheren Nationen oder Regionen andererseits, ist
großen Gruppen von Menschen die Teilhabe an
heilkundlichen Verflechtungsprozessen verwehrt.
Im Bereich des weltweiten Handels und Bedarfs
nach menschlichen Transplantationsorganen etwa
befinden sich Dritte-Welt-Länder allgemein auf der
Verliererseite, wenngleich einzelne Vertreter dorti-
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ger Eliten gut daran verdienen (MARSHALL & DAAR
2000; SCHEPER-HUGHES 2002). Zu benennen ist
ebenso die stagnierende Therapieforschung zu Infektionskrankheiten wie bspw. Malaria. Derartige
Krankheiten betreffen die nördliche Hemisphäre
weniger als bspw. AIDS, so dass die kapitalintensive Forschung durch Pharmakonzerne, welche auf
zahlungskräftige Absatzmärkte angewiesen ist,
wohl nicht lukrativ genug erscheint. Somit umfasst
Globalisierung als beschreibender Begriff kein unbehindertes Fließen und Strömen an Menschen, Gütern und Ideen, sondern auch die Bestärkung bestehender (nationalstaatlicher, politischer oder ideologischer) Grenzen sowie die Erschaffung neuer.
Politische und wirtschaftliche Kräfte sind an den
Grenzziehungen aktiv beteiligt, obwohl sie in anderen Bereichen Grenzauflösungen partiell vorantreiben.
Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten,
dass sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Diskurs zu Globalisierung spezielle gesellschaftliche Wirklichkeiten angepriesen, andere
aber ausgeblendet werden. Denn Globalisierung
enthält nicht nur “... new and better opportunities
(when it does at all) but also new risks, greater
uncertainty; perhaps more suspicions.” (HANNERZ
1999: 326). Gerade letztere sind aber, um mit BAUMANN zu sprechen, wichtige Thematiken für die
Ethnologie. Ist es doch Aufgabe von Ethnologen,
nicht nur die positiven Seiten globaler Verflechtungen hervorzuheben, sondern auch ihre negativen
Folgen aufzudecken (BAUMANN 2002: 112, 122).
Insgesamt besehen entsteht im Zusammenhang
mit dem Thema Globalisierung leicht der Eindruck
der Unübersichtlichkeit, was auf einer mehrfachen
Verwendung und Bedeutung des Begriffes beruht.
Denn Globalisierung und Globalisierungstheorien
beschreiben erstens die empirische Realität durch
die Verdichtung des Raumes und Beschleunigung in
der Zeit (s.o.). Zweitens bezeichnen sie analytische
Ansätze, die den Konsequenzen dieser Verdichtung
nachgehen. Drittens sind Theorien und Diskussionen zur Globalisierung auch als machtpolitischer
Diskurs anzusehen, der weltweite Veränderungen
legitimiert, teils als unausweichlich darstellt und sie
auch selbst vorantreibt. Nicht zu vergessen ist hier,
dass Wissenschaft selbst Teil von Globalisierungsprozessen ist und zwar auf machtdiskursiver als
auch auf empirischer Ebene. Gerade aufgrund der
Wechselwirkung von Theorie und zu untersuchen-
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dem Feld ist es auch für die medizinethnologische
Diskussion wichtig, sich darüber zu verständigen,
wie sich theoretische Konzepte und Forschungsfelder verändern und heilkundliche Praktiken Teil der
Prozesse sind, die als Globalisierung beschrieben
werden.
3.
Veränderte Forschungsfelder und Begriffe
Aufbauend auf feministischen und postmodernen
Ansätzen hat die Auseinandersetzung mit Globalisierungstheorien und die Anerkennung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verflechtungen in der internationalen ethnologischen Fachdiskussion das Verständnis zentraler Konzepte in
der Ethnologie verändert. Neben dem Modell des
„Lokalen“ betrifft dies vor allem den Kulturbegriff.
3.1 Der Kulturbegriff
Kultur befindet sich –und befand sich schon immer
– in Bewegung mit den Menschen, die sie praktizieren (HANNERZ 1996: 20). Entsprechend wird „Kultur“ nicht mehr als ein einheitlicher Komplex von
Sitten und Gebräuchen verstanden, der an ein bestimmtes Territorium, eine Region oder eine Nation
gebunden gedacht wird, wie es in früheren Theorien
der Ethnologie, Völker- oder Volkskunde üblich
war, wenn von der „Kultur der Nuer“ oder der „traditionellen Medizin der Tzotzil“ gesprochen
wurde4. In neueren Theorieansätzen wird Kultur
zwar weiterhin als sozial verbindendes Bedeutungssystem verstanden, allerdings muss Kultur in sich
heterogener gedacht werden, als es bisher der Fall
war (HANNERZ 1996: 68). Hier sieht sich die Ethnologie vor neue Herausforderungen gestellt: Sie muss
in gewisser Weise Ethnologie ohne „Ethnos“ betreiben (GUPTA & FERGUSON 1999a: 2).
Anschaulich machen lässt sich dies z.B. an mexikanischen Gemeinden in den USA, die mit verschiedenen ethnischen Herkunftsgruppen in Mexiko
durch Migrationszirkulation (ROUSE 2002: 162) so
verbunden sind, dass ökonomische und politische
Querverbindungen, soziale Strukturen und kulturelle Identitäten in beiden Staaten nachhaltig verändert
werden (PRIES 1998). Derartige Vernetzungsprozesse durch Migration sind an vielen Orten der Welt
entstanden und werden in der sozialwissenschaftVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
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lichen Forschung als „transnationale soziale Felder
und Räume“ beschrieben (GLICK SCHILLER et al.
1992, 1999; LEVITT et al. 2003; PRIES 1998: 62).
Solche transnationalen Phänomene verdeutlichen
Spannungsfelder, die in den Lebenswelten weit
voneinander entfernt lebender Mitglieder einer sozialen Gruppe zu finden sind, die sich trotz aller
räumlichen Distanz als zusammengehörig begreifen
und sich durch ihre Heterogenität hindurch aufeinander beziehen (BAUMANN 2002: 113). Auf analytisch-theoretischer Ebene steht die Ethnologie damit
vor dem Problem, die bislang von Homogenität geprägten Vorstellungen von Kultur um diese gleichzeitig wirkenden Kräfte intrakultureller Heterogenitäten zu erweitern. Empirisch gilt es herauszufinden, wie und wodurch eine – teils imaginierte –
Zusammengehörigkeit und Bezogenheit aufeinander über Zeit und Raum hinweg trotz aller Unterschiedlichkeiten überzeugend hergestellt wird
(HANNERZ 2003).
3.2 Lokales versus Globales?
Auf empirischer Ebene ethnologischer Forschung
bildet das Lokale als konkreter Ort immer noch den
zentralen Bezugspunkt, um pragmatische Haltungen und Bedeutungen zu untersuchen, doch hat sich
seine Konzeption in der Auseinandersetzung mit
Phänomenen und Theorien der Globalisierung verändert. So wird das Lokale nicht mehr als abgrenzbare Einheit verstanden, sondern findet im Rahmen
weltweiter Vernetzung in komplexeren Dimensionen Beachtung.
Als Trugschluss ethnologischer Studien erwies
sich, um mit HANNERZ (1996: 19) zu sprechen, die
häufige Annahme, dass „das“ Lokale in Beziehung
zum „Globalen“ stehe, wie Kontinuität zu Wandel.
Ebenso wenig steht „das“ Globale für die ganze
Welt, sondern für spezifische Einflüsse, die von
weit her ins Lokale eindringen (HANNERZ 1995:
78). Vorher aber waren sie selbst etwas Lokales –
und werden dann weit entfernt von ihrem Ursprung
wiederum – zum Lokalen. Verführen die Begriffe
„global“ und „lokal“ gerne zum Denken in Oppositionen, so existieren sie doch nicht losgelöst voneinander, sondern durchdringen sich gegenseitig, wofür ROBERTSON den Begriff der „Glokalisierung“
prägte5 (1998: 201). Hierbei sind „global“ und „lokal“ als idealtypische Konzeptionen zu verstehen,
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welche einen weiten Bereich anderer territorialer
Organisationsformen umfassen können, wie etwa
Region, Nation oder Kontinent. Empirisch werden
Wechselwirkungen zwischen diesen scheinbar abgrenzbaren territorialen Ebenen aber erst an praktischen Haltungen und sinnstiftenden Konzepten verschiedener Akteure oder Akteursgemeinschaften in
je spezifischen Lokalitäten erkennbar.
Zusätzlich verlangen verstärkte Migrationsbewegungen das Einbeziehen verschiedener Orte innerhalb eines Forschungsprojektes. Nicht nur die
ethnologischen Forschungssubjekte sind in Bewegung, auch ethnologische Teilnahme wird mobil
und folgt als “multisited ethnography” den Menschen, Gütern und Ideen (MARCUS 1995; WELZ
1998). Erst dadurch lassen sich detailliert die Prozesse von Globalisierung in Form von zeitgleichen
Homogenisierungs- und Heterogenisierungsbestrebungen an konkreten Orten und in den Handlungen
und Sinnstiftungen von Akteuren bestimmen. Insofern aber ist das ethnologisch Lokale eine brauchbarere und anspruchsvollere Kategorie zugleich geworden. Geschichten vom „Lokalen“ als konkretem
Ort und spezifischem Kontext bilden den Gegenpol
zur großen Erzählung des abstrakt „Globalen“ und
den darin forcierten Uniformitätsgedanken.
Das Lokale als spezifischer Kontext, den die
Ethnologie untersucht, ist nach Hannerz immer als
„Grenzregion“ im übertragenen Sinn zu verstehen:
Grenzregionen sind die Bereiche, wo Dinge wahrgenommen werden können, die gleichzeitig verbunden und getrennt sind. Die konkreten Orte, an denen
viele Ethnologen ihre Feldforschungen durchführen, sind jeweils auf spezifische Weise geprägt von
dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Haltungen, Weltbezüge und Machtinteressen, welche
durch Aneignung, Uminterpretation und Rekontextualisierung verändert werden (HANNERZ 1996: 79).
Der Bereich der Heilkunde stellt dabei einen besonderen Grenzbereich dar, da er universelle menschliche Bedürfnisse und Konstanten wie Geboren werden, Kranksein, Gesundsein und Sterben betrifft,
welche jedoch lokal spezifische Interpretationen
und Umgangsformen erfahren. Gerade weil Heilkunden aber universelle Probleme bearbeiten, sind
sie für einen globalen Markt prädestiniert.
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3.3 Die besondere Stellung der Biomedizin
Auch wenn Kranksein und Heilung alle Menschen
auf der Welt beschäftigen und Heilkunden deswegen als ein prototypisches Feld global-lokaler Dynamiken angesehen werden können, werden zu ihrer
sozialwissenschaftlichen Untersuchung bislang nur
selten Globalisierungstheorien einbezogen. Möglicherweise hängt dies gerade mit der transnationalen Stellung der Biomedizin zusammen. Sie hat sich
mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine
jener Institutionen geschaffen, die als global player
agieren: Sie arbeitet als Koordinationsbehörde der
Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheitswesen und besitzt ein Monopol in
der Standardisierung diagnostischer transkultureller
Manuale (z.B. International Classification of
Diseases, ICD 10). Auch organisiert sie über nationalstaatliche Grenzen hinweg biomedizinisches
Wissen, standardisierte Ausbildungen und setzt wissenschaftlich bindende Kriterien weltweit fest
(DIESFELD 1996: 572f).
Insbesondere aufgrund der Koordinationsbehörde WHO kann die Biomedizin damit eng in Verbindung mit Homogenisierungsprozessen im heilkundlichen Bereich gebracht werden. Als global gültiger
Referenzpunkt erscheint „die Biomedizin“ auf den
ersten Blick als „das Globale“ im heilkundlichen
Bereich. So wurden in den vergangenen Dekaden
der Biomedizin als „Globalem“ häufig die „traditionellen Medizinsysteme“ verschiedenster Regionen
als „das vermeintlich Lokale“ entgegengesetzt. Dadurch wurde die Opposition oder Dichotomisierung
zwischen „globaler“ Biomedizin einerseits und lokalen Heilkunden andererseits zementiert (HADOLT
& LENGAUER 2003a: 105). Zwar waren und sind
biomedizinische Modelle und Umgangsweisen in
medizinethnologischen Studien häufig Referenzpunkte für Kritik, jedoch betrifft dies vor allem ihre
als kulturfrei deklarierten Konzeptionen und nicht
ihre örtlichen Umsetzungen. Der Anspruch der Biomedizin, über höhere Effizienz zu verfügen, wurde
hingegen selten in Frage gestellt6, sondern von der
Mehrheit der Forscher gerade in Arbeiten außerhalb
der so genannten ersten Welt vielmehr implizit anerkannt. Insbesondere die Public-Health-Politik
versteht Konzeptionen und Effizienz biomedizinischer Handlungen als Lösungsweg zu weltweit verbesserter Gesundheit. Sie kritisiert eher die nicht auf
lokale Besonderheiten eingehende Umsetzung bio-
Viola Hörbst & Kristine Krause
medizinischer Therapien und Präventionen. Insgesamt schienen im heilkundlichen Bereich die Homogenisierungsbefürchtungen wissenschaftlicher
Globalisierungstheorien durch die weltweite Verbreitung biomedizinischer Instanzen wohl eher bestätigt.
Durch den Einfluss der Science und Technology
Studies ab den 1970ern (vgl. HESS 1992; FRANKLIN
1995), durch die Historisierung biomedizinischer
Vorstellungen und die ideengeschichtliche Betrachtung ihrer Genese wurde der Weg bereitet, Biomedizin grundsätzlich als lokal praktiziert zu verstehen.
So können die Arbeiten der Medical Anthropology,
die sich seit den späten 1980ern biomedizinische
Bereiche als Gegenstand ihrer Untersuchungen gewählt haben, als Vorläufer einer Betrachtung der
Zusammenhänge zwischen Heilkunde und Globalisierung angesehen werden. Viele dieser Untersuchungen zeigen nämlich in paradigmatischer Weise,
wie ein als global gültig erklärter Kanon von lokalen
Akteuren in der Umsetzung angeeignet und verändert wird7. Auch durch medizinethnologische Studien in klassisch ethnologischen Forschungsregionen wurde immer deutlicher, dass biomedizinische
Anschauungen zunehmend Bestandteile des Wissens von Laien und rituellen Experten sind. Diese
Erkenntnisse wurden durch einen differenzierteren
Blick auf den „Westen“ (INDA & ROSALDO 2002:
22) und durch eine allgemeine Hinwendung zu
handlungspraktischen Ansätzen in der ethnologischer Forschung unterstützt. Die einstige Abgrenzung zwischen Autochthonem und Neuem, zwischen Biomedizin und „traditionellen Heilkunden“
wurde zunehmend in Frage gestellt. Denn biomedizinische Bereiche bewegen sich selbst im Spannungsfeld zwischen globalen oder universellen Ansprüchen und jeweiligen Umsetzungen vor Ort, die
von regionalen, nationalen und transnationalen Interessen durchdrungen werden.
4.
Globalisierung und Heilkunde
In den letzten Jahren sind einige medizinethnologische Publikationen erschienen, welche ökonomische, politische und soziale Bedingungen weltweit
als Untersuchungsrahmen für heilkundliche Prozesse setzen, ohne aber auf theoretische Ansätze zur
Globalisierung einzugehen. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren in diesem Zusammenhang ReproVWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
duktionstechnologien. Als Beispiele zu nennen sind
hierzu etwa der Sammelband Conceiving the New
World Order, herausgegeben von FAYE GINSBURG
und RAYNA RAPP (1995), der von SARAH FRANKLIN und HELENA RAGONÉ editierte Band (1998) Reproducing Reproduction oder der von MARCIA INHORN & FRANK VAN BALEN (2002) herausgegebene Sammelband Infertility around the Globe. Aber
auch das allgemeine Einführungswerk in die Medizinethnologie von BAER, SINGER & SUSSER (1997)
stellt, wie der Titel Medical Anthropology and the
World System. A critical Perspective schon verrät,
heilkundliche Bereiche in den Rahmen der Weltsystemtheorie. „Globale Kultur“ wird in diesem Sinne
als durch den Druck des kapitalistischen System
vereinheitlichte Kultur betrachtet (BAER et al. 1997:
40). Biomedizin erscheint vor diesem Hintergrund
als einzige globalisierende Kraft im Heilkundebereich.
Im Gegensatz dazu widmet JOST BAUCH in seiner Einführung in die Medizinsoziologie (BAUCH
2000) dem Thema Globalisierung in Verbindung
mit der Biomedizin ein ganzes Kapitel. Im Vordergrund der Betrachtung stehen ökonomische Effekte
der Globalisierung, welche Bauch entlang der von
ULRICH BECK konzipierten sechs Globalisierungsdimensionen untersucht8. Eingehend beleuchtet
werden hier die Krisen der Finanzierung kooperativ
organisierter Gesundheitssysteme (wie bspw. das
deutsche System). BAUCH kommt zu dem Ergebnis,
dass einerseits durch den Export von Arbeitsplätzen
in Billiglohnländer die finanziellen Grundlagen der
Krankenversicherungssysteme ausgehöhlt werden,
andrerseits aber durch informationstechnische Globalisierung die Erwartungshaltung der Bevölkerung
wächst, von den neusten Fortschritten innerhalb der
Medizin profitieren zu können. Dem wachsenden
öffentlichen Druck steht ein durch Globalisierung
geschwächtes Handlungspotential der nationalen
Gesundheitspolitiken entgegen (BAUCH 2000:
60ff). Zusätzlich geraten weltweit heilkundliche Experten unter größeren Konkurrenzdruck, da sie sich
auf einem globalen Markt für Gesundheitsdienstleistungen behaupten müssen. (BAUCH 2000: 72f).
4.1 Ein Streifzug durch die Literatur
Die wenigen medizinethnologischen Arbeiten, welche theoretische Ansätze zur kulturellen Globalisiecurare 27(2004)1-2
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rung explizit auf den heilkundlichen Sektor anwenden, sollen im Folgenden vorgestellt werden. Größerer Raum wird dabei den Arbeiten von AGMitgliedern gewidmet, denn bereits im Jahr 2000
veranstaltete die AG eine Konferenz in Wien zum
Thema Medizinische Begrifflichkeiten im Spannungsfeld globaler Konzepte und lokaler Umsetzungen. Aus den auf der Tagung gehaltenen Vorträgen
und den sie begleitenden Diskussionen entstand der
von ANGELIKA WOLF und VIOLA HÖRBST herausgegebene Sammelband (WOLF & HÖRBST 2003).
Grenzen der Anwendbarkeit biomedizinischer
Kategorien
Kontextabhängige Grenzen der Anwendbarkeit biomedizinischer Konzepte bilden den Ausgangspunkt
für MICHAEL KNIPPER und MARIA DELIUS. So hinterfragt MICHAEL KNIPPER in seinem Beitrag Was
ist „Krankheit“? – Anmerkungen zur transkulturellen Anwendung des wissenschaftlichen Krankheitsbegriffs die Vorstellung von Krankheit als universellem Konzept. Basierend auf seiner Forschung in
Ecuador zeigt er, dass die biomedizinische Vorstellung von diagnostisch identifizierbaren, kulturspezifischen Krankheiten, die über einen konkreten Zustand hinaus Bedeutung haben und unabhängig vom
Einzelfall vorzufinden sind, wichtige Aspekte nicht
erfassen können, welche für viele Naporuna zum
Konzept Mal Aire gehören. Er kritisiert, dass durch
eine ontologische Verwendung des Krankheitsbegriffes in den medizinethnologischen Debatten um
das sogenannte kulturgebundene Syndrom zwar die
Bedeutungsebene, aber nicht die strukturelle Ebene
in Frage gestellt wurde. Gerade diese strukturelle
Ebene des aus der Biomedizin entlehnten Krankheitsbegriffes unterzieht Knipper einer besonderen
Betrachtung und kommt zu dem Schluss, dass der
biomedizinische Krankheitsbegriff nicht transkulturell anwendbar ist.
In ähnliche Richtung argumentiert die Gynäkologin MARIA DELIUS, die in ihrem Beitrag Befindlichkeit im Wochenbett – globaler Körper und sozialer Kontext – zeigt, wie der von der Biomedizin
als universelle einheitliche Entität konzipierte
menschliche Körper in lokalen Biologien seine
Grenzen findet. In biomedizinischen Auffassungen
von affektiven Störungen im Wochenbett wird das
Individuum in den Vordergrund gestellt. DELIUS
zeigt auf, dass der biomedizinischen Konzeption ein
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wissenschaftliches Erklärungsmodell fehlt, um die
Aspekte der sozialen Umwelt einzubeziehen. Daraus resultieren Anwendungs- und Übertragungsgrenzen des biomedizinischen Körperbildes, die
DELIUS anhand ihrer Studie mit Migrantinnen aus
der Türkei in einer Münchner Klinik herausarbeitet.
Denn gerade die sozialen Zusammenhänge spielen
bei Erkrankungen während kirk, wie die gefährlichen vierzig Tage nach der Geburt auf Türkisch
bezeichnet werden, eine entscheidende Rolle. Eine
biomedizinische orientierte Prävention von Wochenbettstörungen, die sich alleine an der Mutter
orientiert, muss demzufolge hier scheitern.
Umdeutungen und lokale Integration
Die globale Verbreitung heilkundlicher Deutungskonzepte wird durch die Einbettung in machtvolle
Institutionen vorangetrieben. Verbunden damit ist
eine kreative Umdeutung der Konzepte durch verschiedene Akteure und eine Einpassung in kulturell
unterschiedliche Zusammenhänge. Eine wesentliche Voraussetzung dafür liegt in der strukturellen
Zugänglichkeit der Konzepte für Neuinterpretationen. Diese Zusammenhänge untersucht HANSJÖRG
DILGER in seinen Arbeiten anhand der Immunschwäche AIDS, welche als „globale Epidemie“ bezeichnet wird. DILGER differenziert das Bild der
„globalen Betroffenheit und weltweiten Kooperation“ und zeigt auf, dass der Umgang mit AIDS auf
unterschiedlichen Machtebenen widersprüchlich
ausfällt: So werden nationale Grenzen im Fall eines
Epidemieverdachts geschlossen, gleichzeitig bildet
sich eine globale Identität der Betroffenen aus, und
eine weltweite Kooperation entwickelt sich innerhalb der Unterstützungsarbeit durch Non-governmental Organisations (NGOs) (DILGER 2003: 180;
WOLF & DILGER 2003: 261ff). DILGER widmet sich
vor allen Letzteren: so stehen im Zentrum seiner Betrachtungen das Handlungsparadigma „PositHIV
leben“ und seine Umsetzung in Tansania. „PositHIV leben“ lag als Lebenskonzept in den USA
und Europa ein psychologischer Ansatz zugrunde,
um die stigmatisierenden Erfahrungen von Infizierten in eine positive Lebensidentität zu transformieren. DILGER arbeitet heraus, dass bei der Verfolgung dieser Handlungsstrategie seitens HIV-Infizierter in Tansania hingegen religiöse Aspekte in
den Vordergrund rücken.
Viola Hörbst & Kristine Krause
Wie biomedizinische Vorstellungen zu AIDS lokale Umdeutungen erfahren analysiert ANGELIKA
WOLF in ihrem Artikel „AIDS und Kanyera in Malawi: lokale Rezeption eines globalen Phänomens“
(WOLF 2003). Symptomparallelen mit sexuell übertragbaren Krankheiten, epidemiologische Aspekte
und moralische Prinzipien bilden die Grundlagen
für die Übereinstimmungen zwischen AIDS und
dem lokalen Krankheitsbild Kanyera. Im indischen
Kontext und am Beispiel Malaria widmet sich auch
TINA OTTEN Fragen zu Integrationsprozessen biomedizinisch global verbreiteter Krankheitsauffassungen in ihren Arbeiten zur indigenen Bevölkerung in Orissa (OTTEN 2000, 2003). Biomedizinische Erklärungsansätze und Behandlungsempfehlungen werden bei den Desya ebenfalls in ein
lokales Klassifikationssystem eingepasst und dadurch grundlegend verändert. Während ANGELIKA
WOLF zeigt, wie in Malawi das lokale Krankheitskonzept Kanyera eine neue Bedeutung erhält und
moralisch aufgeladen wird, stellt Otten dar, dass der
biomedizinischen Vorstellung von Malaria der
niedrigste Status innerhalb einer hierarchischen
Krankheitsordnung zugewiesen wird. Dieses Vorgehen entspricht der allgemeinen Art und Weise vor
Ort, Neues in Bestehendes einzuflechten. Während
in Ottens Analyse der hegemoniale Bedeutungsanspruch der indigenen Sichtweise deutlich wird, arbeitet Wolf in ihrer Studie heraus, wie dem universellen Anspruch biomedizinischer Krankheitsbilder
mit eklektischen Neu-Arrangements einzelner
Komponenten in lokalen heilkundlichen Zusammenhängen begegnet wird.
Mit der Zirkulation pharmazeutischer Produkte –
medicines on the move – beschäftigen sich SUSAN
REYNOLDS WHYTE, SJAAK VAN DER GEEST und
ANITA HARDON in ihrem Buch Social Lives of Medicine (2002)9. Die Verfasser nehmen die Anregung
von APPADURAI (1986) auf, das soziale Leben von
Waren über den Globus zu verfolgen, und analysieren, wie sich die Kommerzialisierung von Heilmitteln aus Sicht der Konsumenten, der Händler und
der Verbreitungsstrategen darstellt. Sie zeigen, dass
pharmazeutische Produkte zum einen durch die Akteure angeeignet, uminterpretiert und in lokale Kosmologien eingeflochten werden und zum anderen
gewichtige gesellschaftliche Transformationen bewirken. Kommerzielle pharmazeutische Produkte
tragen dazu bei, dass die Gesundheitssysteme Wa-
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
rencharakter annahmen und sich dadurch Machtkonstellationen und soziale Beziehungen verändern.
Politische Implikationen globaler
Gesundheitspolitik
BRIGIT OBRIST VAN EEUWIJK (2003a) geht in
ihrem Artikel „Richtige Ernährung“ in Papua New
Guinea: Anspruch und Wirklichkeit der in der Forschung vernachlässigten Frage nach, welche Prozesse die Vorstellungen von richtiger Ernährung
beeinflussen. OBRIST weist darauf hin, dass biomedizinische Konzeptionen von gesunder Ernährung
ebenso kulturgebunden sind wie die Auffassungen
der von ihr befragten Mütter. Aufgrund mangelnder
Kommunikation über die Unterschiede der Vorstellungen stößt die Anwendung eines universellen
Konzeptes von „richtiger Ernährung“ auf Grenzen
der Akzeptanz und Machbarkeit. Doch nicht nur indigene heilkundliche Vorstellungen und biomedizinische Konzepte bestimmen den lokalen Diskurs
zur optimalen kindlichen Ernährung. OBRIST VAN
EEUWIJK zeigt, wie ökonomische, politische, ideologische und kulturelle Kräfte auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene die Durchsetzung
von Ernährungsprogrammen und die damit verbundenen Diskurse im Lokalen durchziehen. Denn die
Bekämpfung von Fehlernährung ist ein klassisches
Thema internationaler Organisationen wie WHO,
UNICEF und Weltbank (OBRIST VAN EEUWIJK
2003a: 52) und auch wirtschaftspolitische Interessen globaler Konzerne sind in diesem Bereich wirksam. Ein großes Problem stellt dabei die zeitlich
begrenzte Anwesenheit biomedizinischer Repräsentanten vor Ort dar: Die von den Unterstützungsprojekten geweckten Erwartungen in biomedizinische
Maßnahmen werden mit der Beendigung der Unterstützungsprogramme nicht mehr erfüllt. Die lokale
Bevölkerung quittiert dies mit einer allgemein sehr
ambivalenten Haltung gegenüber Aufklärungsprogrammen und temporären Versorgungsangebote
von außen.
In dem von LINDA M. WHITEFORD und LEONORE MANDERSON herausgegebenen Buch Global Health Policy, Local Realities finden sich verschiedene Beiträge zu Gesundheitspolitik, welche die politischen Akteure und Institutionen heilkundlicher
Globalisierung in den Mittelpunkt stellen. Insbesondere konzentrieren sich die Beiträge darauf, dass
Gesundheitspolitik in ihrem Anspruch global forcurare 27(2004)1-2
49
muliert wird, aber jeweils lokal durchgesetzt werden muss. Sie kritisieren, dass in der internationalen
Gesundheitspolitik Gesundheit jedoch kontextunabhängig als ein neutrales Feld konzipiert wird (“level
playing field”), in dem ökonomische, politische und
kulturelle Unterschiede nicht zum Tragen kommen,
sondern viel mehr davon ausgegangen wird, dass sie
durch den Einsatz global wirksamer Instrumente nivelliert werden könnten (WHITEFORD & MANDERSON 2000: 5).
Die Herausgeber betonen, dass der Begriff Globalisierung gerade im Hinblick auf „Gesundheitspolitik“ das Erbe von Kolonialismus und Imperialismus angetreten hat. Historisch gesehen ist Globalisierung nicht nur in Verbindung mit Vorgaben der
Weltbank oder der WHO zu sehen, sondern auch
mit Bemühungen der Kolonialmächte, ihre nationalen „Volkskörper“ gesund zu erhalten (ebd.: 2000:
3, 13). Dieser Sammelband verdeutlicht im medizinischen Bereich sehr eindringlich, welche Verharmlosungen mit der positiven Betrachtung von „Globalisierung“ einhergehen können: So behandelt der
Beitrag von PATRICIA MARSHALL und ABDALLAH
DAAR (2000) das globale Geschäft mit menschlichen Organen und Gewebeteilchen von verarmten
Menschen aus Indien. PETER VAN EEUWIJK bspw.
beschreibt, wie Dorfbewohner in Sulawesi den Begriff Globalisierung mit konkreten Vorstellungen
hinsichtlich einer verbesserten biomedizinischen
Versorgung in ihren Dörfern verknüpfen. Als Konsequenz daraus fordert VAN EEUWIJK, dass nationale wie internationale Gesundheitsprojekte darauf
eingehen sollten, anstatt sich, wie es derzeit Realität
ist, einfach darüber hinwegzusetzen (VAN EEUWIJK
2000).
Auch klassische Felder globaler Gesundheitspolitik wie neue Herausforderungen durch AIDS im
Beitrag von RICHARD PARKER (2000) oder Kinderhilfsprogramme im Artikel von JUDITH JUSTICE
(2000) werden kritisch hinterfragt10. CHRISTINA
ZAROWSKY (2000) zeigt auf, wie humanitäre Hilfe
somalische Flüchtlinge in Abhängigkeitsstrukturen
verwickelt, anstatt ihnen neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. MANDERSON et al. (2000) weisen in ihrem Beitrag über Migrantinnen aus Bosnien
und Herzegovina auf die fehlende Berücksichtigung
ethnischer Identitäten in internationalen humanitären Projekten hin.
50
Persistenz und Aneignung
Die Bedeutung der Handlungsfähigkeit lokaler Akteure und ihres kreativen Potentials im Umgang mit
global zirkulierenden Ideen und Praktiken wird in
theoretischen Beiträgen zur Globalisierungsdebatte
immer wieder betont. Dass aus lokaler Auseinandersetzung mit biomedizinischen Angeboten auch
Persistenzprozesse und Neuarrangements entstehen, rücken KRISTINE KRAUSE und VIOLA HÖRBST
ins Zentrum ihrer Darstellungen. KRISTINE KRAUSE
untersucht, wie eine Gruppe biomedizinisch ausgebildeter Fachkräfte christliche Heilpraxis mit biomedizinischer Behandlung in einer staatlichen
Psychiatrie in Ghana verbindet und wie dieses Angebot von den Patienten angeeignet wird. Die Verbindung beider Behandlungsansätze wird dabei erst
durch strukturelle Affinitäten zwischen christlichem und biomedizinischen Diskursen ermöglicht
(KRAUSE 2003, 2004). KRAUSE zeigt in ihren Arbeiten auch auf, dass zur Erforschung der lokalen Umsetzung biomedizinischer Verfahren neben den subjektiven Aneignungen der beteiligten Akteure auch
die Einflüsse religiöser und politischer Diskurse auf
internationaler, nationaler und regionaler Ebene zu
berücksichtigen sind.
Persistenzen und pragmatische Ambivalenzen
betroffener Akteursgruppen betont VIOLA HÖRBST
in ihren Arbeiten (2002, 2003, 2004). Am Beispiel
des heilkundlichen Spektrums bei den Cora in
Westmexiko stellt sie die Prozesse der Verflechtung, Transformation und Ablehnung dar. HÖRBST
stellt die Dynamiken des Forschungsortes in den
Mittelpunkt ihrer Arbeiten: Hierzu gehört ein Krankenhaus, in welchem die WHO-Strategie zur Kooperation zwischen „traditioneller Heilkunde“ und
Biomedizin in zwei verschiedenen Behandlungstrakten umgesetzt wird. Diese institutionalisierte
Form indigener Heilkunde stößt bei vielen Cora-Patienten, Heilern und biomedizinischen Repräsentanten auf Grenzen der Akzeptanz. Dies gilt jedoch
auch für die örtliche Umsetzung biomedizinischer
Behandlungen: Deren Universalitätsanspruch wird
von vielen Cora auf selbstbewusste Weise durch die
Beanspruchung globaler Wirksamkeit eigener heilkundlicher Praktiken auf individueller und sozialer
Ebene begegnet. Die therapeutische Reichweite der
biomedizinischen Praktiken im Krankenhaus wird
dabei geringer eingestuft. Andererseits sind diese
heilkundlichen Ansprüche nicht auf das Kerngebiet
Viola Hörbst & Kristine Krause
der Cora begrenzt, denn Teilaspekte davon gelangen mit der Esoterikbewegung auch nach USA und
Europa, wo sie wiederum örtlichen Aneignungen
und damit einhergehenden Uminterpretationen unterliegen.
Süd-Nord, Süd-Süd- und Ost-West-Flüsse
Auch im heilkundlichen Bereich ist unter Globalisierung kein einseitiger Fluss vom Westen in den
Süden zu verstehen, sondern sie beinhaltet ebenso
Quer- und Rückflüsse, auch wenn diese durch Ausblendungen im öffentlichen und wissenschaftlichen
Diskurs um Globalisierung leicht übersehen werden
(BAUMANN 2002: 111). HÖRBST (2003, 2004) verweist darauf, dass Globalisierungseffekte auch an
nicht verschriftlichten, indigenen Konzepten zu beobachten sind. Die praktische Umsetzung kanonisierten Wissens wiederum stellt ROBERT FRANK in
seinen Arbeiten zur Globalisierung „alternativer“
Medizin in den Vordergrund (FRANK 2004). FRANK
untersucht die Rezeption von Homöopathie in Indien sowie die Aufnahme von Ayurveda in Deutschland und arbeitet deren jeweils lokal praktizierte
Versionen heraus, die im Fall von Ayurveda etwa
sanfte Veränderungen (OTTEN 1996) umfassen. Da
es sich bei beiden Heilkunden um verschriftlichte
Wissenssysteme handelt, erweist sich FRANKs Ansatz als hilfreich, die praktizierte Version der jeweiligen Heilkunde und nicht das kanonisierte Wissen
in den Vordergrund zu stellen (FRANK 2004).
ELIZABETH HSU und ERLING HØG widmen
(2002) der weltweiten Verbreitung asiatischer Heilkundeformen eine editierte Sonderausgabe der Zeitschrift Anthropology & Medicine. Asiatische Heilkunde wird in Afrika, Europa und USA in unterschiedlichen Formen angeeignet, praktiziert und
konsumiert. Wie der Titel Countervailing Creativity: Patient Agency in the Globalization of Asian Medicines andeutet, stehen soziale Beziehungen als
Gestaltungskräfte heilkundlicher Globalisierung im
Vordergrund. In Anlehnung an ROBERTSON (1998)
gehen die AutorInnen dabei vor allem vom Konzept
der Glokalisierung aus: entsprechend der Vorstellung von Robertson erscheinen Differenzierungsprozesse asiatischer Medizinen als Transfer von Lokalität zu Lokalität bzw. Region zu Region. Zudem
wird im Begriff der Glokalisierung die Rolle hoch
mobiler Menschen bei Umgestaltungsprozessen betont. Dieses Untersuchungsfeld stellt ein zentrales
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
Anliegen der Herausgeber dar. So gehen die Einzelbeiträge auf unterschiedlicher Weise der Frage
nach, inwieweit die Globalisierung asiatischer Heilkunden von Patienten und ihren Handlungskräften
abhängt. Interdependenzen zwischen individuellen
Akteuren (Heilern, Ärzten sowie Patienten) und
größeren Netzwerken (Kliniken, Gesundheitssystemen und sozial-politischen Kontexten) werden anhand von Fallbeispielen aus Deutschland, England
und Japan, Tibet und den USA, aber auch aus Tansania, Kasachstan und Russland analysiert.
Imaginierte heilkundliche Welten und ihre
translokalen Aspekte
Anhand der von Hörbst angesprochenen, bei KRAUSE und FRANK eine zentrale Rolle spielenden Trans-
lokalität heilkundlicher Angebote lässt sich aufzeigen, wie das im sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdiskurs wichtige Konzept der “imagined
worlds” für medizinethnologische Ansätze produktiv gemacht werden kann. Geprägt wurde die Gedankenfigur “imagined worlds” von APPADURAI
und zwar im Sinne multipler Welten, welche durch
historisch situierte Imaginationen von Personen
oder Gruppen über den Globus verteilt sind (APPADURAI 1990: 296f). Auch auf dem Gebiet der Heilkunde entfalten imaginäre Bezugnahmen ihre Wirkungen, in dem sie neuartige Bedeutungen und Zuordnungen schaffen, die losgelöst von ihren
Ursprungslokalitäten in neue Handlungszusammenhänge eingepasst werden können. Aneignungsprozessen dieser “imagined worlds” im Rahmen deutscher biomedizinischer Lokalitäten widmen sich die
Arbeiten von YVONNE ADAM und ELSBETH KNEUPER. Sie untersuchen, wie Zugriffe auf ethnologische Informationen in heilkundlichen Bereichen
durch lokale Akteure umgesetzt und dabei verändert
werden.
YVONNE ADAM fokussiert in ihrem Beitrag Unterwegs von Ort zu Ort: Was MigranInnen und die
Ethnologie zur Globalisierung beitragen (ADAM
2000) auf interkulturelle Schulungen für Hebammen, welche für ihre Arbeit mit Migranten mittels
ethnologischer Beispiele und Ansätze für kulturell
unterschiedliche Bedeutungen sensibilisiert werden
sollen (ADAM & STÜLB 2001). ADAM und STÜLB
gehen der Frage nach, inwiefern die Ethnologie am
Globalisierungsprozess selbst beteiligt ist, indem sie
curare 27(2004)1-2
51
die Produktion von “imagined worlds”über fremde
Welten ankurbelt.
Mit den praktischen Aneignungen ethnologischer Forschung beschäftigt sich auch ELSBETH
KNEUPER in ihrem Artikel Die „natürliche“Geburt
– eine globale Errungenschaft?. Die Idee der „natürlichen Geburt“ stellt KNEUPER als ein Konzept
vor, das in den klassischen Regionen der ethnologischen Feldforschung verortet wird, hierzulande aber
bei vielen Schwangeren als erstrebenswerte Richtlinie für die Geburt gilt. Damit verbunden werden im
hiesigen geburtsmedizinischen Alltag eine Reihe
unterschiedlicher Praktiken außereuropäischer Genese, die seitens der Geburtshilfe scheinbar akzeptiert werden. KNEUPER analysiert die Bedingungen
und Voraussetzungen dieser Integration und fragt,
von welchen Grundannahmen die in Schwangerschaftsratgebern suggerierte globale mütterliche
Solidarität und Gemeinschaft jenseits kultureller
Unterschiede geprägt sind.
Sowohl ADAM als auch KNEUPER arbeiten in ihren Beiträgen heraus, dass Elemente der als Utopie
aufgefassten “imagined worlds” in die alltäglichen
Praktiken eingearbeitet werden. Dabei fallen sie auf
keinen neutralen Boden, sondern werden im allgemeinen Rahmen biomedizinischen Wissens seitens
der Schwangeren, aber auch seitens der geschulten
Experten in bestehende Grundkategorien eingebettet. Sie zeigen – ähnlich wie DELIUS und KNIPPER –
einerseits die Integrationsgrenzen der Biomedizin
auf, andererseits beziehen sie sich auch auf den
Aspekt der Translokalität, wie ihn ULRICH BECK
verwendet (HADOLT & LENGAUER 2003: 93). Dieser Begriff der Translokalität steht bei BERNHARD
HADOLT und MONIKA LENGAUER im Zentrum ihres
Beitrages . Unter dem Titel Jenseits lokaler Eindeutigkeit: Forschungsnotizen zu In-Vitro-Fertilisation
in Österreich analysieren sie die reproduktionspraktische Situation in einem Wiener Krankenhaus (vgl.
HADOLT & LENGAUER 2003). Während im Rahmen
der IVF-Behandlungen Konzeptionen, Handlungsabläufe und Erfahrungen seitens der Experten stärker im Lokalen der Klinikabläufe verhaftet bleiben,
gehen sie für die IVF-Betroffenen weit über die Klinik hinaus und haben translokale Dimensionen. Im
Gegensatz dazu erscheint die in der Klinik betriebene Biomedizin als Handlungsfeld, das wesentlich
stärker mit einer Örtlichkeit verhaftet ist. Wie HADOLT und LENGAUER feststellen, steht dies im Widerspruch dazu, dass „die Biomedizin“ vom Loka-
52
len losgelöst als „das Globale“ anderen Heilkunden,
die vermeintlich für „das“ begrenzte Lokale stehen,
entgegengestellt wird (ebd.: 93).
4.2 Vernachlässigte Forschungsbereiche
Nicht umsonst wird die Überbrückung von räumlicher und zeitlicher Distanz als wesentlicher Motor
gegenwärtiger Globalisierungsprozesse betrachtet
und in engen Zusammenhang mit neuen Kommunikationstechniken und gestiegenen Transportmöglichkeiten gebracht. Beide Aspekte stehen im heilkundlichen Bereich bspw. mit Migration und Telemedizin, mit medizinischem Tourismus und Altern
in Verbindung. Doch zählen gerade diese Thematiken zu den vernachlässigten Forschungsfeldern in
der Medizinethnologie. Zwar wird der Themenbereich Migration und Gesundheit seit Ende der
1970er Jahre zunehmend untersucht, allerdings dominieren Studien über erschwerte Zugangsmöglichkeiten von MigrantInnen zu den Gesundheitssystemen der Aufnahmeländer bzw. über migrationspezifische und damit verbundene kulturgebundene
Störungen11. Wurde noch in den 1980ern kulturspezifisches Wissen gefordert, um den Bedürfnissen
von MigrantInnen gerecht zu werden, wird heute
der Fokus mehr auf den jeweils spezifischen Kontext gerichtet, in dem der Umstand der Migration als
Element unter anderen, wie bspw. Geschlecht, soziale Schicht und aufenthaltsrechtlicher Status,
betrachtet wird (VERWEY 2003: 284). MARTINE
VERWEY bezeichnet diese Entwicklung als einen
Wechsel von einer kulturspezifischen zu einer migrationspezifischen Perspektive. Sie kritisiert dabei
zu Recht, dass ein veränderter Kulturbegriff der
Ethnologie – wie er einleitend zu unserem Beitrag
skizziert wurde – erst allmählich Eingang in medizinethnologische Forschungsperspektiven zur Migration findet (VERWEY 1994, 2003). Vielleicht ist
dies einer der Gründe dafür, warum sich zwar seit
etwa zwei Jahrzehnten medizinethnologische Arbeiten zur Migration mehren, die explizite Verbindung mit globalisierungstheoretischen Ansätzen vor
allem in der deutschsprachigen Literatur aber fehlen.
Ein weiterer vernachlässigter Aspekt des Themas Migration, das sowohl die Globalisierung von
Wissen, als auch transkulturelle und transnationale
Vernetzungen durch Akteure betrifft, stellt die Mi-
Viola Hörbst & Kristine Krause
gration von Gesundheitspersonal und heilkundlichen Experten dar. In Großbritannien bspw. übertraf
die Anzahl der Krankenschwestern und Pfleger, die
aus sogenannten Dritte-Welt-Ländern kommen, in
den letzten Jahren jene der in Großbritannien geborenen Fachkräfte. Migranten gestalten als Versorgende westliche Gesundheitssysteme aktiv mit. Inwiefern sie als Experten auch Praktiken, Ideen aus
dem Süden in den Norden transferieren und einbinden untersucht Kristine Krause in ihrem gegenwärtigen Forschungsprojekt mit Migranten aus Westafrika. Der Austausch von heilkundlichen Experten
muss auch im Zusammenhang mit politischen
Machtkonstellationen gesehen werden. Die Bedeutung, die z.B. die Sowjetunion oder Kuba in medizinischen Unterstützungsprogrammen für afrikanische Länder gespielt hat und daraus noch immer bestehende Austauschbeziehungen stellen ebenfalls
eine Lücke in der bisherigen Forschung dar12.
Auch die „Bewegung in der Zeit“, d.h. Altern
und Älterwerden, wurden in Verbindung mit Globalisierungsansätzen in der Medizinethnologie bislang
vernachlässigt. PETER VAN EEUWIJK hat dazu einige Artikel vorgelegt (VAN EEUWIJK 2003a, 2003b).
Im seinem Überblicksartikel (2003b) zum Thema
„Alter“ gibt er eine Darstellung des ethnologischen
Forschungsstandes und konzentriert sich dann auf
die Gesundheitstransformationen in Ländern des
Südens, vor allem in Asien. Dort weisen demographische Prozesse in eine ähnliche Richtung wie in
Europa und Nordamerika: immer mehr alte Menschen und immer weniger junge werden die Gesellschaften von morgen bilden (VAN EEUWIJK 2003a:
233f). Bezüglich der stattfindenden „globalen Gesundheitstransformation“ existiert vor allem ein
Forschungsbedarf hinsichtlich epidemiologischer
Veränderungen und ihren Folgeerscheinungen.
Denn die Wohlfahrtskrankheiten des Nordens betreffen – verwandelt in Armutskrankheiten – ebenso
alte Menschen in Ländern des Südens (VAN EEUWIJK 2003a: 234). In Afrika hingegen fehlen aufgrund von AIDS-Erkrankungen heute schon ganze
Altersklassen, was sich nicht nur für Kinder, sondern vor allem auch für älter werdende Menschen
dramatisch auswirkt. Die Versorgung der Enkel lastet finanziell und praktisch auf den alten Menschen, die zu ihrer eigenen Altersabsicherung nötige
Arbeitskraft der nachfolgenden Generation fehlt jedoch (WOLF 2004). Entsprechend ist in diesem Zusammenhang an Möglichkeiten und Nützlichkeiten
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
staatlicher sozialer Versicherungssysteme in Afrika
zu denken. Unter Leitung von MICHAEL NIECHZIAL
forscht ANGELIKA WOLF derzeit in einem in Bayreuth angesiedelten Projekt zu lokalen Versicherungsinitiativen im Senegal. NIECHZIAL und WOLF
gehen der Frage nach, wie sich lokale Gemeinschaften und individuelle Akteure mit verschiedenen
westlichen Modellen gesundheitlicher Sicherung
auseinandersetzen und zu welchen Ergebnissen sie
kommen. Da gerade ökonomische Globalisierungsprozesse als Schwächungsfaktoren für staatliche
Gesundheitssysteme Europas, bspw. das deutsche,
immer wieder genannt werden (BAUCH 2000: 63f,
75f), ist auch zu klären, inwieweit derartige Auswirkungen Hindernisse beim Aufbau sozialer Versicherungssysteme in ärmeren Regionen der Welt
darstellen (vgl. KLOCKE-DAFFA 1999).
Ein anderer Aspekt, der mit wirtschaftlichen
Schwächen staatlicher Gesundheitssysteme verknüpft wird, ist der Medizintourismus, den wir anhand verschiedener Beispiele auf den ersten Seiten
unseres Artikels streiften. Nehmen zwar Reportagen
aus deutscher Sichtweise zu diesen Phänomenen zu,
so fehlen unseres Wissens systematische medizinethnologische Forschungsergebnisse, die derartige
Prozesse im Rahmen von Globalisierungsperspektiven erfassen, fast noch gänzlich.
Einem Teilbereich dieser Thematik widmet sich
ein Forschungsprojekt von SILKE ETTLING (LMU
München) an einer süddeutschen Klinik: Mit der
Behandlung zahlungskräftiger PatientInnen vor allem aus den Golfstaaten und aus Russland hat sich
für das in der Krise steckende deutsche Krankenhauswesen ein neuer Dienstleistungssektor entwikkelt. Wie Ärzte, Pflegende und Therapeuten mit dieser Situation umgehen, mit welchen Erwartungen
arabische Medizintouristen nach Deutschland kommen und welche Erfahrungen sie bei ihrer Behandlung hier vor Ort machen, sind zentrale Fragen, die
durch das Forschungsprojekt von SILKE ETTLING
geklärt werden sollen.
Ähnlichen Fragestellungen geht auch VIOLA
HÖRBST im Rahmen ihres gegenwärtigen Forschungsprojektes zu Unfruchtbarkeit, ihre Konzeption und sozialen Konsequenzen für Frauen in Mali
nach. Hochtechnisierte Reproduktionsmedizin wird
zwar zunehmend in ärmere Nationen exportiert,
doch unterliegen die damit verbundenen Therapien
teilweisen Einschränkungen. Inwiefern betroffene
Frauen in Mali reproduktionstechnologische Maßcurare 27(2004)1-2
53
nahmen im Inland, im innerafrikanischen oder im
europäischen Ausland durchführen lassen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, stellt einen
Themenbereich des Projektes von HÖRBST dar.
In Bewegung im heilkundlichen Bereich sind jedoch nicht nur Menschen, sondern auch Ideen. Verbunden ist damit ein ebenfalls wenig erforschter
Bereich: die Telemedizin. Darunter wird die Übertragung medizinischer Informationen durch Kommunikationsmittel wie das Internet, Telefon, Satellit, Video etc. verstanden ebenso wie durch diese
Techniken vermittelte Arzt-Patienten-Konsultationen, bei denen sich die unmittelbar Beteiligten
räumlich weit voneinander entfernt befinden
(BAUCH 2000: 71f; SINHA 2000: 291; CARTWRIGHT
2000: 242). Zu Beginn der telemedizinischer Entwicklung Ende der 1950er versprach man sich eine
bessere Versorgung von Bevölkerungsgruppen in
ländlichen Gegenden und so genannten Dritte Welt
Ländern, durch medial transferierte Diagnosen von
Spezialisten in abgelegene und biomedizinisch weniger gut versorgte Bereiche. Damit war die Hoffnung auf eine Verringerung der Behandlungskosten
verbunden, z.B. durch die Einsparung der Transportwege (CARTWRIGHT 2000: 243). Seit den
1970er Jahren gab es verschiedene Pilotprojekte
z.B. in Afrika, wo versucht wurde, das Wissen von
Spezialisten via Telekommunikationseinrichtungen
zu implementieren. Vorangetrieben wurde dies vor
allem durch wirtschaftliche Interessen bezüglich der
Erschließung neuer medizinischer Märkte (vgl.
CARTWRIGHT 2000: 242, 247; SINHA 2000: 302f).
Die genannten Visionen erwiesen sich im Zuge der
zunehmenden Privatisierung staatlicher Gesundheitssysteme und des vermehrten Warencharakters
von Gesundheit jedoch als Trugschluss. Telemedizin bleibt in der Dritten Welt eher elitären Kreisen
vorbehalten (CARTWRIGHT 2000: 244f, 249; SINHA
2000: 302). In Bezug auf die mögliche Emanzipierung von Patienten und eine Demokratisierung der
Machtverhältnisse im Arzt-Patienten-Verhältnis ist
jedoch darauf hinzuweisen, dass Internetforen sehr
wohl eine emanzipative Wirkung haben, indem
Menschen sich zu neuen virtuellen Gemeinschaften
von Betroffenen zusammenfinden und sich bezüglich politischer Fragen oder Forderungen einfacher
vernetzen können (vgl. HENWOOD et al. 2003; GILETT 2003). Forschungen, die untersuchen, wie mediale Repräsentationen von Heilkunde regional, national und transnational Einfluss nehmen auf Patien-
54
Viola Hörbst & Kristine Krause
ten, Therapeuten und Institutionen stecken noch in
den Kinderschuhen. Gleiches gilt für Untersuchungen, die der Ausbildung neuer therapeutischer Gemeinschaften durch mediale Repräsentationen
nachgehen (SEALE 2003).
5.
“On the move” in Raum und Zeit
Zu Beginn des Artikels stellten wir die Frage, wie
sich die heilkundliche Globalisierung aus medizinethologischer Perspektive darstellt. Aus unserem
Streifzug durch Literatur und Forschung ergab sich,
dass unterschiedliche Thematiken in diesem Zusammenhang untersucht werden. Nicht wenige Themenfelder warten aber noch auf eine fundierte Bearbeitung. Die zweite eingangs gestellte Frage bezog
sich auf analytische Neuerungen, die sich aus theoretischen Ansätzen zur Globalisierung für medizinethnologische Betrachtungen eröffnen. Wie sich
medizinethnologische Themenfelder mit kritischer
Distanz zu bisherigen Konzepten, wie etwa dem
Medizinischen Pluralismus, gestalten möchten wir
im Folgenden aufzeigen.
5.1 Analytische Grenzen des Medizinischen
Pluralismus
Obwohl der Begriff des Medizinischen Pluralismus
auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, um eine
weltweite Pluralisierung heilkundlicher Praktiken
zu untersuchen, wie sie durch Globalisierungsprozesse entsteht, ist er in jüngster Zeit stark in die Kritik geraten. Eingeführt wurde der Begriff 1976 von
CHARLES LESLIE, um die Vielfalt gleichzeitig existierender Medizinsysteme in asiatischen Ländern
analytisch besser zu fassen (LESLIE 1976). Dies löste rege Forschungen aus und es wurde anerkannt,
dass Menschen in allen Teilen der Welt mehr als ein
Medizinsystem parallel nutzen (JANZEN 1979; OHNUKI-TIERNEY 1984; CRANDON-MALAMUD 1991;
JOHANNESSEN 2004). Doch weist das Konzept ähnliche problematische Implikationen auf, wie ein territorial gebundener Kulturbegriff: Der Medizinische Pluralismus impliziert in sich abgeschlossene
und territorial gebundene heilkundliche Systeme.
Damit kann konzeptuell aber nicht erfasst werden,
wie verschiedene Wissenssysteme durch die Praktiken von Akteuren neu miteinander verbunden wer-
den. Das Konzept des Medizinischen Pluralismus
unterstützt die bereits problematisierte Vorstellung
einer dichotomen Gegenüberstellung von „Biomedizin“ und „traditionellen Heilkunden“.
In den 1990er Jahren konzentrierten sich die Forschungen eher auf die subjektiven Befindlichkeiten
von Akteuren, die Konstruktion von Körperzuständen und Leiblichkeit (CSORDAS 1994; JOHANNESSEN 2004). Dies führte jedoch dazu, dass die Eingebundenheit medizinischer Praktiken in nationale Interessen und global-politische Bedingungen
vernachlässigt wurden (HÖRBST & WOLF 2003: 21;
JOHANNESSEN 2004; LOCK, NICHTER 2002; OBRIST
VAN EEUWIJK 2003a, 2003b; KRAUSE 2004). Zu
diesen gehören die Hierarchisierungen von Wissen
auf regionaler, nationaler und transnationaler Ebene
sowie wirtschaftliche, ideologische und politische
Querverbindungen, wie sie durch kapitalstarke und
mit politischen Machtbefugnissen ausgerüsteten
Institutionen (WHO, Weltbank etc.) geschaffen
werden. Auch wenn Patienten innerhalb globaler
Beziehungen vergleichsweise „mittellos“ erscheinen, treiben sie ebenfalls Veränderungen und Verquickungen im Gesundheitsbereich voran oder
hemmen sie. Vor diesem Hintergrund liegt die Herausforderung für die medizinethnologische Forschung nun gerade darin, zu untersuchen, wie die
Netzwerke von Akteuren territoriale Grenzziehungen durchdringen und Wissenssysteme, Institutionen und Machtbereiche verbinden. Dadurch werden
nicht vorhersehbare dynamische Zusammenspiele
gestaltet, welche das Modell des medizinischen Pluralismus alleine nicht erklären kann.
5.2 Medicoscapes
Wie unser Streifzug durch die medizinethnologische Literatur ebenfalls zeigte, lassen sich weder
biomedizinische Konzeptionen und Praktiken als
einzig „globale Phänomene“ noch Heilkunden
fremdkultureller Genese nur als „lokale“ Phänomene beschreiben. Ihre spezifischen Reichweiten werden jedoch vom Zusammenspiel politischer, ökonomischer, finanzieller und kultureller Kräfte auf regionaler, nationaler und transnationaler Ebene
bestimmt. Die Verflechtungen dieser Kräfte in konkreten Lokalitäten bewirken zum Teil widersprüchliche Ergebnisse und Effekte von Globalisierung.
TSING schlägt vor, diese Varianzen im theoretischen
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
Modell von Globalisierung wiederzugeben. Entgegen der subtilen Vorgabe durch die vielfach kritisierte Weltsystemtheorie ist Globalisierung auf empirischer und analytischer Ebene nicht wie bisher im
Singular, sondern vielmehr im Plural zu denken
(TSING 2002: 469ff).
Um dieser Problemstellung gerecht zu werden,
und die im Sammelband der AG beschriebenen Beispiele unter einem analytischen und deskriptiven
Begriff fassen zu können, greifen die Herausgeberinnen ANGELIKA WOLF und VIOLA HÖRBST auf einen theoretischen Entwurf von ARJUN APPADURAI
zurück: Sein zentrales Anliegen ist die Erforschung
von Beziehungsdynamiken zwischen fünf Dimensionen, die er in Globalisierungsprozessen ausmacht, und als ethnoscapes, mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes unterscheidet
(APPADURAI 2002: 50). Das Suffix “scapes” wird
von Appadurai zwar mit „Strömen“, „Räumen“
oder „Landschaften“ gleichgesetzt. In seiner von
Appadurai konzipierten Form ist “scapes” dennoch
schwer in einen deutschen Begriff zu fassen, vereint
es doch linguistische Bedeutungen im Sinne von losem „Wurzelgeflecht“ oder „Rhizoma“ (DELEUZE
& GUATTARI 1977) mit Konnotationen von Flucht
und Eskapade. In dieser Bezugnahme verweist das
Suffix auf die irreguläre Gestalt der Dimensionen
(APPADURAI 2002: 50). Impliziert wird, dass es keine objektiv gegebenen Verbindungen sind, die sich
aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus gleichförmig darstellen, sondern dass es perspektivenabhängige Gebilde sind, deren Abbildungsergebnis
sich ändert, je nach historischer und politischer Eingebundenheit verschiedener Akteure. Zu diesen Akteuren zählt APPADURAI Nationalstaaten, multinationale Konzerne, diasporische Gemeinden, subnationale Gruppen und Bewegungen religiöser,
politischer und ökonomischer Ausrichtung ebenso
wie Dörfer, Nachbarschaftsgruppen und Familien
(APPADURAI 2002: 50f).
In unserem Zusammenhang ist an diesem Konzept besonders interessant, dass es dynamische Prozesse von Beziehungen unterschiedlicher Akteure
in den Vordergrund stellt. Jenseits struktureller
Netzwerke werden dadurch sozial hergestellte diffuse Beziehungsgeflechte beschreibbar, die sich
über die ganze Welt spannen. Durch sie entstehen
transnationale und translokale soziale Felder, welche APPADURAI als ethnoscapes bezeichnet.
curare 27(2004)1-2
55
HÖRBST und WOLF schlagen vor, auch von einem
medicoscape auszugehen:
„In Anlehnung an APPADURAI verstehen wir
darunter weltweit verstreute Landschaften von Personen und Organisationen im heilkundlichen Bereich, welche sich lokal verdichtet an einem Ort darstellen können, aber zugleich räumlich weit entfernte Orte, Personen und Organisationen miteinander
verbinden. Dazu zählen unter anderem international
Therapie suchende und Therapie offerierende Personen, weltweit agierende Pharmakonzerne, die
WHO als globaler Wächter der Biomedizin, Organisationen so genannter traditioneller Heiler, regionale Heilpraktiken und deren Aufnahme an anderen
Orten, global verbreitete Therapieformen sowie
Organisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in medizinischen Bereichen.“
(HÖRBST & WOLF 2003: 4)
Aus dem Konzept medicoscapes ergeben sich
methodische Vorteile: Neben einer Konkretisierung
der global-lokalen Verknüpfung, umfasst dies die
Einbeziehung von Wirkungsgeflechten zwischen
verschiedenen Formen von Akteuren, welche neben
Menschen auch staatliche und transnationale Institutionen umfassen können. Zugleich wird damit die
territorielle Eingrenzung von Kulturen überwunden,
Lokalitäten als konkreten Orten dennoch großes Gewicht eingeräumt. Im Gegensatz zu makrotheoretischen Ansätzen steht die jeweils unterschiedliche
Situiertheit der Akteure dabei im Vordergrund der
Analyse.
Wie die Beispiele aus der Fachliteratur zeigen,
durchdringen Globalisierungsprozesse über territoriale Kategorien und soziale Akteursgemeinschaften hinweg heilkundliche Konzeptionen und Praktiken und verändern sie in ihren Erscheinungsformen.
Insofern sind medicoscapes als übergeordnetes
Konzept zu verstehen, um das heilkundliche Geflecht verschiedener Akteure zu benennen, das den
Globus überzieht.
Medicoscapes unterscheiden sich jedoch von
den anderen scapes durch die existentiellen Anliegen, die in ihnen verhandelt werden. Die Beeinträchtigung von Gesundheit, welche als Kranksein
wahrgenommen wird, und die hierdurch implizierte
Erfahrung der Sterblichkeit stellt eine universelle
Dimension des Menschseins dar. Die Suche nach
Linderung der Leiden betrifft Menschen ebenfalls
weltweit. Kulturelle Konstruktion und Erfahrung
von Krankheit, Heilung und Sterben unterliegen
56
Viola Hörbst & Kristine Krause
aber unterschiedlichen lokalen Bedeutungen und
Umsetzungen. Menschen sind in der Suche nach
Besserung der Leiden und in der Beurteilung der an
ihnen vollzogenen Behandlungen auf ihre leibliche
Erfahrung zurückgeworfen. Daraus ergibt sich ein
pragmatischer Umgang mit therapeutischen Angeboten.
Die von APPADURAI vorgestellten fünf Dimensionen der ethnoscapes, mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes reichen jeweils in die medicoscapes hinein und überlappen
sich mit diesen. In der sozialwissenschaftlichen Betrachtung geraten die im Gesundheitssektor wirkenden financescapes, technoscapes und mediascapes
gerne aus dem Blickfeld. Daher ist es dringend nötig, das Wirkungsverhältnis dieser Bereiche explizit
als Teil des medizinethnologischen Feldes zu begreifen.
6.
gesichts der weltweiten Entwicklungen, die sich in
den Untersuchungsfeldern der Medizinethnologie
teilweise besonders drastisch zeigen, ist es angebracht, den Verführungen des Globalisierungsbegriffes nicht zu verfallen, sondern in ethnographischer Genauigkeit den Umgang von Menschen mit
negativen und positiven Befindlichkeiten, mit Leiden, Genesung, Tod und Geburt zu folgen und zwar
im Machtspiel lokaler und globaler Kräfte.
Anmerkungen:
1.
Unter Biomedizin verstehen wir gemäß HAHN und KLEINMAN (1983: 305f) eine Medizin, deren Wissens- und Handlungsspektrum sich an den Naturwissenschaften mit der
Biologie als Leitwissenschaft ausrichtet.
2.
Den Terminus Heilkunde gebrauchen wir für alle Formen
von Medizin, sowohl für die Biomedizin als auch für Heilformen, die der Biomedizin üblicherweise als alternativ,
heterodox, holistisch, primitiv etc. gegenübergestellt werden. Mit dieser Verwendung des Begriffes versuchen wir
die aus der Gegenüberstellung resultierende Dichotomisierung zu vermeiden (vgl. HÖRBST, WOLF 2003: 3).
3.
HANNERZ (2003: 2) plädiert deshalb für eine Einteilung der
verschiedenen „Globalisierungsschübe“ in Perioden, um
quantitative und qualitative Unterschiede nicht zu übergehen.
4.
Zum deterritorialisierten Kulturbegriff siehe bspw. APPADURAI 1998, 1990; CLIFFORD 1986, 1988; GUPTA, FERGUSON 1997, 1999a, 1999b; HANNERZ 1992; 1996; WELZ
1998.
5.
„Hybridisierung“ (BHABHA 1994), „Indigenisierung“ (APPADURAI 1990), „Mélange“ (PIETERSE 1998) oder „Synkretismus“ (SHAW & STEWART 1994) etc. sind Begriffe,
die im Zusammenhang mit Mischungsverhältnissen des
Lokalen im Globalen und vice versa geschaffen oder uminterpretiert worden sind. Bezüglich Heilkunde vgl. hierzu
HØG & HSU 2002 sowie FRANK 2004 und FRANK &
STOLLBERG 2004.
6.
Innerhalb der medizinethnologischen Arbeiten wurde diese
Thematik vernachlässigt. Tiefergehend beschäftigte sich
MOERMAN (2003) mit diesem Thema.
7.
Zu nennen sind bspw. die Beiträge in LOCK & GORDON
(1988), LINDENBAUM & LOCK (1993) oder LACHMUND &
STOLLBERG (1992). Neuere Forschungen beschäftigen sich
etwa mit Gentechnologie und ihrer Auswirkung auf Verwandtschaftsvorstellungen (BECK 2000) oder die Veränderungen der Wahrnehmung, Erfahrung und Konzeption von
Tod und Leben durch Organtransplantation (HAUSERSCHÄUBLIN et al. 2001).
8.
BECK (1999) unterscheidet ökonomische, ökologische, arbeitsorganisatorische, kommunikationstechnische, kulturelle und zivilgesellschaftliche Dimensionen in den Globalisierungsprozessen
9.
Siehe hierzu GEEST, WHYTE & HARDON 1996; BIRUNGI &
WHYTE 2000 und Hinweise in WHYTE et al. 2002, WHYTE
2002 sowie CRAIG 2000.
Moving on?
Die heterogenen aber konkreten Prozesse von Globalisierung im heilkundlichen Bereich, wie sie in
der jüngeren Forschungsliteratur aufgegriffen werden, zeigen, dass ein differenzierter Globalisierungsbegriff einen spezifischen analytischen Zugriff erforderlich macht, um die vielfältigen regionalen, nationalen und transnationalen Machtsphären, wie sie sich im Lokalen verbinden und aus Sicht
lokaler Akteure verstanden werden, einzubeziehen.
Wenn heilkundliche Handlungen tatsächlich in Hinsicht auf ihre weiterreichenden Legitimationsstrategien und Wirkungen untersucht werden, ist es nicht
mehr möglich, beispielsweise nur die Biomedizin
als „das Globale“ zu verstehen, dem fremdkulturelle
Heilkunden als „das Lokale“ gegenüber gestellt
werden. Medizinische Systeme als in sich weitgehend abgeschlossene und bestimmten Territorien
zugehörige Gebilde zu konzipieren, wie es das Konzept des Medizinischen Pluralismus suggeriert, ist
für diese Anliegen ungeeignet. Die Handlungsebenen von Akteuren einbeziehend eröffnet sich im
Konzept von medicoscapes ein erweiterter Analyserahmen für die im Plural zu denkenden und sich
konstituierenden Prozesse translokaler Verflechtungen. Akteure und Orte als spezifische Lokalitäten
bilden dennoch Angelpunkte für die empirisch und
analytisch an der Ethnologie orientierte Herangehensweise medizinethnologischer Forschung. An-
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung
Die Globalisierungsdebatte in der Medizinethnologie
10. Siehe hierzu auch einen Überblicksartikel von OBRIST VAN
EEUWIJK (2003b), in welchem die Autorin die Politisierung
der Ethnologie und ihre Folgen für eine ethnologische Arbeit im Rahmen internationaler Gesundheitspolitik bespricht (s.a. OBRIST et al. 2003c).
11. Vgl. BOLLINI, SIEM 1995 und das von KROEGER & PFEIFFER 1986 herausgegebene curare-Schwerpunktheft zu
Migration, das Beiträge von biomedizinischen, psychologischen, sozialpädagogischen und sozialwissenschaftlichen
Experten umfasst (curare 9,2: 65-230).
12. KATRIN HANSING und HAUKE DORSCH (Universität Bayreuth) untersuchen in einem laufenden Forschungsprojekt
die Süd-Süd-Verbindungen zwischen Kuba und afrikanischen Staaten.
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Viola Hörbst, Ethnologin, M.A., Dr. des., Heilpraktikerin, Lehrbeauftragte am Institut für Ethnologie und Afrikanistik der Ludwig-Maximilian-Universität München; Postdok-Stipendiatin an der
LMU zur Bearbeitung eines Forschungsprojektes über Unfruchtbarkeit und soziale Konsequenzen
für Frauen in Mali; interkulturelle Trainings für Medizin, soziale und psychologische Bereiche; thematische Schwerpunkte: Reproduktion, Technologie und Unfruchtbarkeit, Wunschkaiserschnitt,
Globalisierung, Körper, indigene Krankheits- und Heilungsauffassungen, kulturgebundene Syndrome; regionale Forschungsbereiche: westliches Afrika, insbesondere Mali, Deutschland, westliches
Mexiko (Cora); Publikationen zu Globalisierung, Landschaft, Körper und Heilung, interkulturelle
Kommunikation, kulturgebundene Syndrome.
Mitbegründerin und ehemalige Vorsitzende der AG Medical Anthropology in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V.
Baaderstr. 59, D-80469 München
e-mail: [email protected]
Kristine Krause, Ethnologin M.A.; Junior Research Associate, Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS), University of Oxford; Mitglied des PhD Programms ‚Migration and Transnational
Networks’, Viadrina Frankfurt/Oder; Freie Mitarbeiterin des Ethnologischen Museums Dahlem, Berlin; Langjährige Arbeit in individueller Schwerstbehinderten Assistenz; Thematische Schwerpunkte:
Psychiatrie, Religion, Migration und Gesundheit, Migration von Gesundheitspersonal, Transnationale Netzwerke; Regionale Forschungsschwerpunkte: westliches Afrika: Ghana und Nigeria, EuroAmerika: USA, Grossbritannien und Deutschland; Publikationen zu: Verbindung von neo-pentekostalem Heilen mit biomedizinischer Psychiatrie, afrikanisch initierte Kirchen in London, Vereinahmungsprozesse und Gegenübertragung in der Feldforschung; Mitglied der AG Medical Anthropology, DGV;
COMPAS (Centre on Migration, Policy and Society)
University of Oxford
58 Banbury Rd; Oxford OX2 6QS, UK
e-mail: [email protected] oder [email protected]
VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung